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An einem schönen Morgen dieses nämlichen Monats März, Samstag den 29., am St. Eustachstage, bemerkte unser junger Freund Johannes Frollo, der Mühlenhans, während er sich ankleidete, daß seine Börse keinen metallischen Klang mehr von sich gab.
»Arme Börse!« sprach er. »Keinen rothen Heller mehr! Ach! die Würfel, die Bierflaschen und Venus haben dich grausam ausgesogen! Wie bist du so leer, so flach, so runzlich!«
Traurig kleidete er sich an. Ein Gedanke schien in ihm aufzusteigen, aber nur widerstrebend. Er dachte nach, aber dieser Gedanke kam wieder. Endlich warf er zornig seine Mütze auf den Boden und rief: »Sei's, wie es sei! Es muß sein. Ich gehe zu meinem Bruder, dem Archidiakonus. Er wird mir eine Predigt halten und einen Thaler geben.«
Mit diesen Worten raffte er seine Mütze vom Boden auf und schritt hinaus, wie ein Mensch, der zum Aeußersten schreitet. Als er vor der Liebfrauenkirche ankam, fühlte er sich aufs Neue unschlüssig. Er ging gedankenvoll ein paarmal auf und ab und sagte: »Die Predigt ist gewiß, der Thaler zweifelhaft! Wo ist mein Bruder, der Archidiakonus?« fragte er einen Meßner, der aus dem Kloster kam.
»Er ist,« erwiederte dieser, »in seiner Zelle im Thurm, und ich rathe Euch nicht, ihn dort zu stören, Ihr hättet denn eine Botschaft vom Pabst oder vom König auszurichten.«
Der Mühlenhans klatschte in die Hände und rief: »Das kommt wie gerufen, eine herrliche Gelegenheit, die berüchtigte Zauberzelle zu sehen.«
Während er den Thurm hinaufstieg, hielt er folgendes Selbstgespräch: »Ich bin recht neugierig, diese Wunderzelle zu sehen, die mein Bruder versteckt, wie sein Pudendum! Es heißt, daß er dort große Oefen anzünde, um den Stein der Weisen zu kochen! Wie einfältig! Mir liegt an dem Steine der Weisen so wenig, als an einem Kieselstein, und es wäre mir lieber, wenn ich in seinem Ofen einen Eierkuchen mit Speck fände, als den größten Stein der Weisen, den es auf der Welt geben mag.«
Nachdem er tausend Schock Donnerwetter über die endlose Treppe geflucht hatte, kam er endlich keuchend vor der magischen Zelle seines Bruders an. »Uf!« sagte er, »da sind wir ja!«
Der Schlüssel steckte und die Thüre war nur angelehnt; er gab ihr einen leisen Stoß und brachte seinen Kopf durch die Oeffnung.
Wer Rembrand's Faust gesehen hat, kann sich einen Begriff von dem machen, was jetzt Johannes Frollo erblickte: eine düstere Zelle, in der Mitte derselben eine Tafel mit Todtenköpfen, Sphären, Brennkolben, Compaß, hieroglyphischen Pergamenten. Vor dieser Tafel sitzt der Doktor Faust, seine Pelzmütze über die finstern Augenbraunen herabgezogen. Man sieht ihn nur mit halbem Leibe; er hat sich halb erhoben von seinem ungeheuern Lehnstuhl, stützt sich mit den Händen auf die Tafel und betrachtet, neugierig und schreckenvoll, einen großen leuchtenden Cirkel magischer Buchstaben, der im Hintergrund der Zelle auf der Wand glänzt. Die cabbalistische Sonne scheint unter der Anschauung zu flimmern und erfüllt die düstere Zelle mit den Strahlen eines geheimnißvollen Lichtes. Es ist schön und furchtbar zugleich.
So ziemlich den nämlichen Anblick hatte Johannes Frollo, als er durch die halboffene Thüre in die Zelle seines Bruders blickte. Sie war eben so düster als Doktor Faust's. Es stand auch ein großer Lehnstuhl und eine große Tafel darin, deßgleichen Compasse, Brennkolben, Todtenköpfe, Skelette von Thieren, dicke Manuskripte; nur die leuchtende Inschrift an der Wand fehlte.
In dem Lehnstuhl saß, auf die Tafel niedergebückt, ein Mann, den Johannes Frollo an seinem Kahlkopf alsbald für seinen Bruder erkannte, obgleich er ihm den Rücken zukehrte. Der Archidiakonus war in so tiefen Gedanken, daß er die Anwesenheit seines Bruders nicht bemerkte. Er sprach in abgebrochenen Sätzen für sich, indem er von Zeit zu Zeit wieder in die Manuscripte blickte: »Ja, Manou sagt es und Zoroaster lehrt es! Das Feuer erzeugt die Sonne, die Sonne den Mond. Das Feuer ist die Seele des großen All. Seine elementarischen Atome ergießen sich unaufhörlich über die Welt und rieseln aus unzähligen Quellen. An den Punkten, wo diese Ausströmungen sich am Himmel durchschneiden, erzeugen sie das Licht, an ihren Durchschnittspunkten in der Erde erzeugen sie das Gold. Licht und Gold ist eins. – Feuer im concreten Zustand. – Die Verschiedenheit zwischen dem Sichtbaren und Fühlbaren, zwischen dem Flüssigen und Festen der nämlichen Substanz, der Wasserdünstung zum Eise, weiter nichts. – Das sind keine müßigen Träume, es ist das allgemeine Gesetz der Natur. – Aber wie das Geheimniß dieses allgemeinen Gesetzes in wissenschaftliche Regeln bringen? Wie! dieses Licht, das meine Hand überströmt, ist Gold! diese nämlichen Atome, die nach einem gewissen Gesetze vereinzelt sind, müssen nun nach einem gewissen andern Gesetze wieder vereint werden. – Wie nun? – Einige sind auf den Gedanken gerathen, einen Lichtstrahl einzuschließen. – Averroës, ja, der ist es, – Averroës hat einen solchen Lichtstrahl unter dem ersten linken Pfeiler des muhamedanischen Heiligthums in der großen Moschee zu Cordova eingeschlossen, allein man darf die Höhle nicht öffnen, um zu sehen, ob die Operation geglückt ist, bevor 8000 Jahre verflossen sind.«
Da müßte ich lange auf meinen Thaler warten, dachte der Mühlenhans bei sich. –
Andere waren der Meinung, fuhr der träumerische Priester fort, daß es besser sei, auf einen Strahl des Sirius zu operiren. Es ist aber sehr schwierig, diesen Strahl rein zu erhalten, wegen der gleichzeitigen Gegenwart anderer Gestirne, deren Strahlen sich damit vermischen. Flamel glaubt, daß es einfacher sei, auf das irdische Feuer zu operiren. – Flamel! Welcher prophetische Name! Flamma! – Ja, das Feuer, sonst nichts, darin liegt Alles. – Der Diamant ist in der Kohle, das Gold im Feuer. – Aber wie es herausziehen? – Magistri behauptet, daß es gewisse Frauennamen von so geheimnißvollem Zauber gebe, daß es nichts weiter bedürfe, als sie während der Operation auszusprechen. – Laßt doch sehen, was hierüber Manou sagt: »Wo man die Weiber ehrt, ist Gott geliebt; wo man sie verachtet, braucht man nimmer zu Gott zu beten. Der Mund eines Weibes ist eine reine Quelle, ein fließendes Wasser, ein Sonnenstrahl. – Der Name eines Weibes muß angenehm, sanft, wohlklingend sein und Weisen einer Benediction gleichen . . .« – Fürwahr! der Weise hat Recht: Maria, Sophia, Esmeral . . . – Verflucht seist Du! Immer dieser Gedanke!
Der Priester schlug das Buch, aus dem er gelesen hatte, heftig zu und rieb mit seiner Hand die Stirne, als ob er den Gedanken, der ihn verfolgte, aus dem Kopfe treiben wollte. Hierauf nahm er vom Tische einen Nagel und einen kleinen Hammer, dessen Stiel mit cabbalistischen Zeichen seltsam bemalt war.
Seit einiger Zeit, sagte er mit bitterem Lächeln, scheiterte ich in allen meinen Versuchen! Ich bin von einer fixen Idee besessen, die mein Hirn verzehrt, wie ein brennendes Feuer. Ich konnte nicht einmal Cassiodors Geheimniß, dessen Lampe ohne Docht und Oel brannte, wieder auffinden, und das ist doch eine so leichte und einfache Sache!
Den Teufel auch, mag das leicht sein! brummte der Mühlenhans in den Bart.
Es bedarf also, fuhr der Priester fort, bloß eines einzigen ärmlichen Gedankens, um den Menschen schwach und toll zu machen! wie würde doch Claude Pernelle über mich lachen, sie, die nicht einen Augenblick Nicolas Flamel von dem großen Werke abwendig zu machen vermochte!
Wie! ich halte in meiner Hand Zechiels magischen Hammer! Bei jedem Streiche, den der furchtbare Rabbiner, in seine Zelle eingeschlossen, mit diesem Hammer auf diesen Nagel schlug, that sich plötzlich die Erde auf und verschlang denjenigen seiner Feinde, den er dem Untergang geweiht hatte, wäre er auch zweitausend Meilen weit entfernt gewesen. Der König von Frankreich selbst mußte im Pflaster von Paris bis an die Kniee versinken, bloß weil er eines Abends unbedachtsam an die Pforte des Wunderthäters gepocht hatte. Und das ist erst vor dreihundert Jahren geschehen. Diesen Hammer und diesen Nagel nun besitze ich, aber was sind sie in meiner schwachen Hand? Eben so wenig furchtbar, als der Schmiedhammer in der Faust eines Grobschmieds. Und gleichwohl braucht es nichts, als die Zauberformel wieder aufzufinden, welche Zechiel aussprach, während er auf den Nagel klopfte.
Das wird keine so große Hexerei sein! dachte der Mühlenhans.
Es kommt nur auf einen Versuch an, fuhr der Priester lebhaft fort. Ist das rechte Wort gefunden, so wird ein blauer Funken aus dem Nagel strömen. – Emen-Hetan! Emen-Hetan! Emen-Hetan! – Das ist nicht das rechte Wort. – Sigeani! Sigeani! Nagel, Nagel, öffne das Grab Jedem, der den Namen Phöbus trägt! – Verflucht seist Du! immer und ewig der nämliche Gedanke! Mit diesen Worten warf er den Hammer zornig von sich und beugte sich so tief auf die Tafel nieder, daß ihn der lauschende Johannes Frollo vor der ungeheuern Lehne seines Stuhls nimmer sehen konnte. Plötzlich erhob er sich wieder, nahm einen Zirkel und grub stillschweigend in die Mauer das griechische Wort:
ἈΝΆΓΚΗ
Mein Bruder ist ein Narr, dachte der Mühlenhans bei sich. Es wäre viel einfacher gewesen, wenn er geschrieben hätte: Fatum. Es braucht nicht Jedermann Griechisch zu verstehen.
Der Archidiakonus setzte sich wieder in seinen Lehnstuhl und stützte das Haupt in seine beiden Hände, wie ein Kranker thut, dessen Kopf schwer und brennend ist.
Der Student staunte bei diesem Anblick. Er, dessen Herz in der frischen freien Luft flatterte, wie ein Vogel, der auf der Welt kein anderes Gesetz befolgte, als das der Natur, der seinen Neigungen und Leidenschaften freien Lauf ließ, und bei dem der See großer menschlicher Erschütterungen immer trocken war, weil er ihn jeden Tag in vollen Strömen fließen ließ, er wußte nicht, wie stürmisch dieses Meer menschlicher Leidenschaften aufwallt und gegen die Ufer schlägt, wenn man ihm jeden Ausgang wehrt, wie es anschwillt und das Herz durchfrißt, wie es wallt und wogt, bis es die Dämme durchgraben und sich sein Bett gebrochen hat. Des Priesters ernste und kalte Außenseite, die eisartige Oberfläche unzugänglicher Tugend hatte Johannes Frollo immer getäuscht. Der lustige Student hatte niemals daran gedacht, daß unter dem schneebedeckten Gipfel des Aetna ein Meer flammender Lava verborgen liegt.
Er konnte sich vielleicht im Augenblicke keine genaue Rechenschaft über diese Gedanken geben, aber das fühlte er doch, daß er gesehen, was er nicht hätte sehen sollen; daß er die Seele seines älteren Bruders in einem Erguß ihrer geheimsten Tiefen überrascht hatte, und daß dieser nichts davon erfahren durfte. Als er daher sah, daß der Archidiakonus in seine vorige Unbeweglichkeit zurückgefallen war, zog er sachte den Kopf aus der Thüre und machte hinter derselben ein Geräusch, wie Jemand, der gerade ankommt und seine Ankunft schon von ferne anmelden will.
»Herein!« rief der Archidiakonus. »Ich habe auf Euch gewartet und deswegen den Schlüssel stecken lassen. Nur herein, Meister Jakob!«
Der Student trat keck in die Zelle. Der Priester, dem ein solcher Besuch an solchem Orte unwillkommen, war, rief ihm mißmuthig entgegen: »Wie! Du bist es! Johann?«
»Es ist immerhin ein J,« erwiederte der Student mit seinem rothen, lustigen, unverschämten Gesichte.
Der Archidiakonus nahm eine ernste und strenge Miene an: »Was willst Du hier?«
»Mein Bruder,« erwiederte der Student, indem er sich vergebliche Mühe gab, sein Gesicht in anständige und bescheidene Falten zu legen, »ich wollte Euch nur bitten . . .«
»Um was?«
»Um ein wenig Moral, deren ich sehr benöthigt bin.« Der Mühlenhans wagte nicht hinzuzufügen: und um ein wenig Geld, das ich noch nothwendiger habe.
»Mein Freund,« sagte der Archidiakonus frostig, »ich bin sehr unzufrieden mit Dir.«
»Ei du mein Gott!« seufzte der Student.
Der Priester faßte ihn scharf ins Auge. »Es ist gut, daß Du selbst kommst.«
Dieser Eingang war nicht sehr erbaulich, und der Mühlenhans war einer scharfen Strafpredigt gewärtig.
»Johann, man bringt mir täglich Klagen über Dich vor. Was ist es denn mit der Bastonade, die ihr dem jungen Vicomte Albert de Ramonchamp gegeben habt?«
»Oh! Das ist nicht der Mühe werth: ein unverschämter Page, der absichtlich sein Pferd durch den Koth sprengte, um die Studenten zu bespritzen!«
»Was ist es weiter mit einem gewissen Mahiet Fargel, dessen Kleid ihr zerrissen habt? Tunicam dechiraverunt, besagt die Klagschrift.«
»Bah! Es war nur ein schlechter Kittel! Was ist da für ein Lärm darum?«
»Die Klagschrift besagt Tunicam, und nicht cappettam. Verstehst Du Dein Lateinisch?«
Johannes antwortete nichts.
»So,« fuhr der Priester mit Kopfschütteln fort, »so steht es jetzt um die Wissenschaft und das Studium? Die lateinische Sprache versteht man kaum, die hebräische gar nicht, die griechische ist so unbekannt, daß selbst die Gelehrtesten sich nicht schämen, ein griechisches Wort zu überhüpfen, und daß es fast sprüchwörtlich geworden ist: graecum est, non legitur.«
Der Student erhob kühnlich seine Augen zu dem Priester: »Wenn es Euch gefällig ist, Herr Bruder, so will ich Euch das griechische Wort, das dort auf der Mauer steht, auf gut Französisch erklären.«
»Welches Wort?«
ἈΝΆΓΚΗ
Eine leichte Röthe färbte die bleichen Wangen des Priesters, gleich dem emporsteigenden Rauche, der die innere Glut eines Vulkans nach Außen ankündigt. Der Student bemerkte sie kaum.
»Je nun,« stotterte der ältere Bruder mühsam, »so sage mir, was dieses Wort heißt.«
»Verhängniß.«
Der Archidiakonus wurde wieder bleich, und der leichtsinnige Student fuhr fort: »Und das Wort, das von der nämlichen Hand darunter gegraben ist: Ἀναγνεία, bedeutet Unkeuschheit. Ihr seht, daß man sein Griechisch versteht.«
Der Archidiakonus erwiederte nichts. Diese griechische Lektion hatte ihn in seine alten Träumereien versenkt. Der schlaue Mühlenhans, der sich auf alle Ränke eines verzogenen Kindes verstand, hielt den Augenblick für günstig, seine Bitte anzubringen. Er nahm daher eine äußerst sanfte Stimme an und begann auf folgende Weise:
»Mein lieber Bruder, Ihr werdet mir doch nicht böse sein wegen einer Tracht Schläge, welche etliche böse Buben in gerechter Fehde von mir erhalten haben?«
Dieser schmeichelnde Eingang machte jedoch auf den ernsten Archidiakonus nicht den gehofften Eindruck. Cerberus biß nicht in den Honigkuchen. Die Stirne des Priesters entrunzelte sich nicht im geringsten.
»Wo willst Du damit hinaus?« fragte er trocken.
»Je nun, um auf die Hauptsache zu kommen: ich brauche Geld.«
Auf diese unverschämte Anforderung nahm das Gesicht des Archidiakonus einen pädagogischen und väterlichen Ausdruck an.
»Ihr wißt, Meister Johann, daß unser Lehen von Tirechappe, wenn man Alles zusammenfegt, nicht über 39 Livres, 11 Sous und 6 Pfennige erträgt. Das ist zwar um die Hälfte mehr, als zu den Zeiten der Gebrüder Paclet, aber es ist noch nicht viel.«
»Ich brauche Geld,« sagte der Student mit stoischem Gleichmuth.
»Ihr wißt, daß nach dem Spruche des Officials unsere 21 Häuser des Lehens dem bischöflichen Stuhle frohnpflichtig sind, und daß wir diese Last mit zwei Mark abkaufen müssen. Nun wißt Ihr auch ferner, daß ich diese zwei Mark noch nicht zusammen zu bringen vermochte.«
»Ich weiß weiter nichts, als daß ich Geld brauche.«
»Und was willst Du damit machen?«
Auf diese Frage glänzte ein Hoffnungsstrahl in den Augen des Studenten. Er nahm seine vorige unterwürfige und süßliche Miene wieder an.
»Seht, mein lieber Bruder,« sagte er, »ich würde mich gewiß nicht in schlechter Absicht an Euch wenden. Es ist nicht davon die Rede, mit Euren Pfennigen in der Kneipe den Wildfang zu machen, noch im goldgestickten Mantel durch die Straßen von Paris zu ziehen, den Lakaien hinter mir, cum meo laquasio. Nein, lieber Bruder, dieses Geld ist zu einem guten Werke bestimmt.«
»Zu welchem guten Werke?« fragte der Archidiakonus etwas verwundert.
»Zwei meiner Freunde möchten gerne dem Kind einer armen Wittwe ein Wickelzeug kaufen. Das ist ein Almosen. Es kostet drei Gulden und ich möchte das Meinige auch dazu beitragen.«
»Wie heißen diese beiden Freunde?«
»Pierre l'Assommeur und Baptiste Croque-Oison.«
»Hm!« sagte der Archidiakonus, »die Namen dieser guten Freunde passen zu einem guten Werke wie die Faust auf ein Auge.«
Der Mühlenhans sah zu spät ein, daß er die Namen seiner beiden Freunde übel gewählt hatte.
»Und,« fuhr der kluge Priester fort, »einem armen Weib ein Kindszeug kaufen, das drei Gulden kostet!«
»Nun, zum Teufel,« fuhr der Student erbost auf, »so brauche ich also dieses Geld, um diesen Abend Isabelle im Liebesthale zu besuchen.«
»Unzüchtiger Mensch!« rief der Priester aus.
»Ἀναγνεία«, sagte Johannes.
Dieses Citat, welches der Student boshafter Weise von der Mauer der Zelle entlehnte, machte einen sonderbaren Eindruck auf den Priester. Er biß sich in die Lippen und sein Gesicht überzog sich mit einer Schamröthe.
»Packe Dich,« sagte er zu Johannes, »ich erwarte Jemand.«
Der Student machte noch einen letzten Versuch:
»Bruder Claudius, gib mir wenigstens ein halbes Livre, daß ich zehren kann.«
»Wo bist Du in Gratian's Decretalien stehen geblieben?« fragte der Archidiakonus.
»Ich habe meine Hefte verloren.«
»Wie weit bist Du in den lateinischen Humanioren gekommen?«
»Man hat mir meinen Horaz gestohlen.«
»Wie steht es mit Deinem Aristoteles?«
»Meiner Treu, Herr Bruder! Sagt nicht ein gewisser Kirchenvater, daß die Ketzer aller Zeiten auf die metaphysische Waide des Aristoteles gegangen seien? Ich will kein aristotelisches Heu fressen und meine Religion nicht der Methaphysik opfern.«
»Junger Mensch,« fuhr der Archidiakonus fort, »bei dem letzten Einzug des Königs war ein Edelmann, Philipp de Comines genannt, auf dessen Pferdsdecke der Wahlspruch gestickt war: Qui non laborat, non manducet. Diesen Wahlspruch nimm Dir zu Herzen.«
Der Student zögerte einen Augenblick mit der Antwort, heftete das Auge auf den Boden und machte ein böses Gesicht. Plötzlich wandte er sich gegen seinen Bruder und sagte: »Ihr wollt mir also nicht einmal ein paar Sous geben, um bei dem nächsten Bäcker ein Brod zu kaufen?«
»Qui non laborat, non manducet.«
Auf diese Antwort des unerbittlichen Archidiakonus deckte der Mühlenhans seine Augen mit beiden Händen zu, wie ein schluchzendes Weib, und rief im Tone der Verzweiflung aus: Ὀτοτοτοτοτοῖ
»Was will das heißen, Freund?« fragte der Archidiakonus, erstaunt über dieses tolle Benehmen.
»Je nun,« erwiederte der Student und erhob seine frechen Augen zu dem Priester, »das ist Griechisch! Es ist ein Anapäst von Aeschylus, das vollkommen den Schmerz ausdrückt.«
Bei diesen Worten brach er in ein so tolles, convulsivisches Gelächter aus, daß der Archidiakonus selbst mitlachen mußte. Es war freilich seine eigene Schuld, daß er den Knaben so verwöhnt hatte.
»Oh! mein guter Claudius!« fuhr Johannes, hierdurch ermuthigt fort, »seht doch einmal meine zerrissenen Stiefel an! Es gibt keinen tragischeren Cothurn auf der Welt, als ein paar Stiefel, von denen die Sohlen herabhängen.«
»Ich werde Dir neue Stiefel schicken, aber kein Geld,« versetzte der Archidiakonus mit wiederkehrender Strenge.
»Nur ein paar Sous, geliebtester Bruder!« flehte der Mühlenhans. »Ich will Gratian auswendig lernen, an Gott glauben und ein wahrer Pythagoras in Wissenschaft und Tugend sein. Nur ein paar lumpige Sous! Wollt Ihr, daß mich der Hunger fasse mit seinem offenen Munde, der mir drohend entgegenstarrt, schwarz, stinkend, wie ein Tartarus oder wie die Nase eines Mönchs?«
Der Archidiakonus wiederholte seinen Spruch: Qui non laborat . . . . Der Student ließ ihn nicht ausreden: »Zum Teufel!« schrie er. »Es lebe die Freude! Ich will mich festkneipen, ich will mich schlagen, ich will Krüge und Gläser zerbrechen, ich will zu den Mädchen gehen.«
Mit diesen Worten warf er seine Mütze an die Wand und ließ seine Finger knacken, wie Klappern.
Der Archidiakonus warf einen düstern Blick auf ihn: »Johann, Du bist ein Mensch ohne Seele.«
»In diesem Falle fehlt mir, laut Epikur, ein Etwas, das von einem Etwas geschaffen ist, welches keinen Namen hat.«
»Johann, Du mußt ernstlich auf Deine Besserung denken.«
»Ich sehe wohl,« rief der Student, indem er bald seinen Bruder, bald die Brennkolben auf dem Ofen betrachtete, »daß es hier verzwickte Gläser und verzwickte Ideen gibt.«
»Johann, Du stehst am Rande eines Abgrunds. Weißt Du, wohin das führen wird?«
»In die Kneipe,« sagte der Student.
»Die Kneipe führt auf den Pranger.«
»Das ist eine Laterne wie eine andere, und mit dieser hätte vielleicht Diogenes seinen Menschen gefunden.«
»Der Pranger führt an den Galgen.«
»Der Galgen ist eine Wage, an deren einem Ende ein Mensch, an dem andern die ganze Erde hängt. Es ist schön, ein Mensch zu sein,«
»Der Galgen führt in die Hölle.«
»Die Hölle ist ein großes Feuer.«
»Johann, Johann, das Ende wird schlecht sein.«
»Wenn nur der Anfang gut ist.«
In diesem Augenblicke ließen sich auf der Treppe menschliche Tritte hören.
»Stille,« sagte der Archidiakonus und legte seinen Finger aus den Mund, »da kommt Meister Jakob. Höre, Johann,« fügte er mit leiser Stimme hinzu, »rede niemals von dem, was Du hier gesehen und gehört hast. Verstecke Dich geschwind hinter den Ofen und rühre Dich nicht.«
Der Student kroch hinter den Ofen. Hier kam ihm ein guter Gedanke. »Bruder Claudius, einen Gulden, oder ich bin nicht still!«
»Schweig! ich verspreche Dir einen Gulden.«
»Ich will ihn gleich haben.«
»So nimm ins Teufels Namen,« schrie der Priester zornig und warf ihm seine Börse zu.
Der Mühlenhans schlüpfte wieder hinter den Ofen, und in diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre.