Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel.
Edward Atkins – Schluß


Der Zug von New York war eben in Oil-City eingelaufen. Auf dem breiten Bahnsteig entwickelte sich all das rege Leben und die Geschäftigkeit, die ein derartiges Ereignis stets zu begleiten pflegt. Da der Aufenthalt amerikanischer Eisenbahnzüge auf den Stationen immer ein ganz kurz bemessener ist, so umbraust ein gerade fieberhaftes Hasten und Drängen jeden Train. Jeder Reisende sucht sich raschest in die Wagen zu drängen, um einen möglichst guten Platz zu erlangen, die Aussteigenden quetschen sich durch die Menge, ihre Häuslichkeit, ihre Geschäftslokale mit denkbar kleinstem Zeitverlust zu erreichen, ohne dabei irgendwelche Rücksicht auf ihre Nebenmenschen zu nehmen.

Weniger eilig geht es bei einer kleinen Gruppe Reisender zu, die eben einen jener glänzend ausgestatteten Pulmann-Cars, die rollenden Salons transatlantischer Eisenbahnzüge, verlassen hat.

Ein schlanker Jüngling mit sonnverbrannten Zügen springt auf den Perron. Ihm folgt bedächtig ein kleiner vierschrötiger Geselle in netten doch einfachen Kleidern. Kaum auf festem Boden stehend, streckt er seine Arme gegen den Wagen zurück und unterstützt einen jungen Mann beim Aussteigen, den ein älterer Herr sorgfältig untergefaßt hat.

Kapitän Parr mit seinen Genossen haben glücklich ihren Schützling nach Oil-City gebracht.

Paul Werner ist nur ein Schatten von dem kraftstrotzenden Buren, der vor wenigen Monden noch kühn dem Löwen gegenüber trat und den gewaltigen Elefanten bis in das tiefste Dickicht der Urwälder verfolgte, unbeeinflußt von den Mühen und Gefahren, die das Klima und die Natur ihm entgegenstellten.

Seine Wangen sind hager geworden, die Augen glanzlos, die breite Brust nun eingesunken und nur geringe Anzeichen verraten die wiederkehrende Kraft und Gesundheit von einst. Zu gewaltig war der Stoß gewesen, den der verräterische Franzose gegen ihn geführt, und wochenlang hatte seine gestählte Natur im Kampfe mit dem Tode gerungen. Nur ihr und der aufopfernden Pflege der Mutter und ihrer Enkelinnen war der endliche Sieg zu danken gewesen.

Als er das erste Mal nach langem Krankenlager das Freie betrat und ihm alle die freudig umringten, die er bisher als seine alleinigen Verwandten geachtet und geliebt hatte, da war er wankend in seinem Entschlusse geworden, sich von ihnen zu trennen und nur Kapitän Parr war es zuzuschreiben, daß er blutenden Herzens und mit dem festen Versprechen, wieder zu kommen, Abschied genommen hatte.

Die »Königin Mab« war in Durban von Pieter jauchzend begrüßt worden und auf ihr wurde die Reise nach Kapstadt zurückgelegt. Nach einigen Tagen hatte man die freundliche, vom Tafelberge überragte Stadt verlassen und war geradewegs nach Amerika gedampft. Die frische Seeluft, die herrliche Fahrt, die neuen Eindrücke hatten wohlthätig auf Pauls Körper und Geist gewirkt, und die frohe Hoffnung, in absehbarer Zeit vollkommen genesen zu sein, wollte nun nicht mehr schwinden, wie in der ersten Zeit der Reise.

Schwach noch, aber schon widerstandsfähig und glücklich in dem Bewußtsein, treue Freunde um sich zu haben, betrat er den Boden Oil-Citys, auf dem einst sein Vater gewirkt und gestrebt hatte, für ihn, sein einziges geliebtes Kind. In Durban hatte er am Grabe des Verblichenen gestanden, es mit Parrs Hilfe mit einem Gedenksteine geschmückt und dafür gesorgt, daß ein Blumenflor es für immer überzog.

Mittels Wagen fuhr die kleine Gesellschaft ins Hotel, wo man erst von der Fahrt ruhen wollte, ehe der Weg zu Atkins angetreten werden sollte.

»Wie gefällt Ihnen der Parfümerieladen Oil-City, Herr George?« fragte Pieter in seiner trockenen Weise, als man im Speisesaale des Hotels beim Mahle saß.

»Schauderhaft gut! Was unsere Felsenstadt für die Augen gewesen, ist Oil-City für die Nase,« entgegnete dieser.

»Und für den Gaumen; denn passen Sie nur auf, hier riecht nicht nur alles nach Petroleum, hier schmeckts auch wie das liebliche Erdöl,« ergänzte der Matrose, der seit der letzten Fahrt sich nur mit »Herr Steuermann« titulieren ließ, welche Würde ihm sein geliebter Kapitän verliehen hatte.

Es wurde bei der Frühstückstafel noch manches Witzwort Pieters laut, das helles Lachen hervorrief, ohne ganz die Bangigkeit Parrs verscheuchen zu können, der stets an den Ausfall des Besuches bei Atkins dachte…

In seinem uns bekannten Arbeitszimmer lehnte der Petroleumkönig bequem im Schaukelstuhl. Er las in einer Zeitung, die fast seinen ganzen Oberkörper verdeckte.

Das Jahr seit der folgenschweren Unterredung mit Parr und Pieter war an Atkins nicht spurlos vorüber gegangen. Der Körperumfang hatte derart zugenommen, daß seine Freunde und die Ärzte die Befürchtung hegten, ein Schlaganfall werde unverhofft einmal sein Leben enden.

Seine Gesichtsfarbe ist trotz der fetten Hängebacken keine gesunde und die stechenden Augen haben an Ruhelosigkeit seit jener Zeit noch zugenommen.

Plötzlich haften seine Blicke an den Schiffsnachrichten der Zeitung. Da steht es klar und deutlich:

Eingelaufen von Cape-Town (Süd-Afrika):

Yacht »Königin Mab«, Kapitän Parr, dann Register-Nummer und Angabe der Tonnenzahl.

Atkins wechselte die Farbe. Die Buchstaben schwammen vor seinen Augen, immer und immer wieder lenkte er sie ab, von der scheinbar so harmlosen Notiz, doch mit magischer Gewalt wurden sie neuerdings angezogen, immer und immer wieder.

Mit unwilliger Bewegung schleuderte er die Zeitung von sich, sprang auf, so rasch es seine Korpulenz zuließ und durchmaß das Zimmer mit auf dem Rücken gekreuzten Händen, vor sich hinmurmelnd:

»Pah, wie kann man sich so ängstigen, wie ich es thue. Atkins, sei kein Feigling! Wovor fürchtest du dich denn eigentliche Dieser Parr, was geht der dich an! Dieser Narr, der auszog, meinen Vetter zu suchen. Aus purer Ehrlichkeit! haha, nur ein Glück, daß zwischen Suchen und Finden ein kleiner Unterschied ist, den wir, Dickson und ich, etwas zu verlängern suchten.

Jedenfalls ist Dicksons Sendling auch mit ihm eingetroffen und die nächste Stunde wird mir Aufklärung bringen.« Er zog die schwere goldene Uhr, die an dicker goldener Kette hing und ließ sie repetieren.

»Es ist zwölf Uhr, um halb zwölf lief der New Yorker Zug ein. Dickson muß gleich hier sein, wenn ihm Parrs Ankunft nicht entging…«

Der schwarze Portier unterbrach das Selbstgespräch mit den Worten: »Herr Dickson« und schon folgte ihm der Angemeldete auf dem Fuße nach.

»Nun Dickson, Parr ist eingetroffen,« rief Atkins dem Agenten entgegen, als sich kaum die Thüre hinter dem Neger geschlossen.

»Stimmt! Eben in Oil-City, und wird in einer Stunde hiervor Ihnen stehen, mit, einem langen blassen Menschen. Wenn mich nicht alles trügt, einem wirklichen oder angeblichen Paul Werner, Ihrem lieben Vetter!«

»Sind Sie des Teufels, Dickson!« schrie Atkins fassungslos.

»Leider nicht, sonst säße Parr mit seinen Kumpanen in der Hölle, wo sie am tiefsten ist!«

»Ei, das sind ja schöne Neuigkeiten,« kreischte Atkins auf.

»Und Ihr Detektiv, dieser findige, schlaue Franzose, der, nach Ihrer Meinung, die Sterne vom Himmel herunterholt, dieser Tausendkünstler, wo ist er, wo steckt er mit meinen schönen Dollarnoten?«

Ein Achselzucken Dicksons war die ganze Antwort, die Atkins zeigte, daß selbst der durchtriebene Amerikaner an keinen Erfolg der ihm einst übertragenen Ausgabe mehr glaube. Die innere Wut Atkins erreichte daher ihren Höhepunkt und unartikulierte Laute brüllend, faßte er krampfhaft den Agenten beim Rock. Diesen verließ bei dem Wutausbruche des Kaufmanns keinen Augenblick die Ruhe und die Hände Atkins fassend und kräftig drückend, zwang er ihn auf das Sofa nieder. Mit blauen Lippen, nach Luft ringend, sank dieser auf die Kissen.

»Ruhe, Ruhe vor allen Dingen. Wenn Sie so rasen, geht schließlich alles verloren, während jetzt noch ein Hoffnungsschimmer vorhanden ist, daß Parrs Begleiter gar nicht Paul Werner ist.«

Unfähig zu sprechen, schüttelte Atkins nur verzweifelt den Kopf.

»Kann nicht Parr sich irgend jemanden geworben und ihn die Rolle des Paul Werner angelernt haben? Ich traue den Menschen stets das Schlechteste zu und bin immer gut dabei gefahren. Warum sollte es hier nicht zutreffen? Lassen Sie uns deshalb abwarten, welche Beweisgründe Parr für die Identität Ihres Vetters beibringt. Die geringste Blöße werden wir erspähen, ihn zu treffen und giebt er sich keine solche, dann denken Sie daran, daß ein goldbeladener Esel die höchsten Mauern übersteigt, auch heute noch, wie vor tausend Jahren! Wenn der gerade Weg nicht dahin führt, wohin wir gerne gelangen wollen, so giebt's eben noch krumme. Darum Fassung, Herr Atkins, treten Sie diesem Herrn entgegen, wie es nötig ist, wenn wir unsere Sache wirksam verfechten wollen!«

Dicksons cynische Worte richteten denn auch den ihm so seelenverwandten Atkins auf und mühselig erhob er sich vom Sofa, als der Portier eintrat und mehrere Karten überreichte, die Dickson ohne weitere Umstände abnahm.

»Kommandant Parr ersucht Herrn Atkins, ihm dessen Vetter Paul Werner vorstellen zu dürfen!« las Dickson laut, Atkins einen ermunternden Blick zuwerfend.

»Ich lasse bitten!« brachte dieser fast stöhnend hervor, woraus Parr, Paul am Arme Pieters und Georges eintraten, der die Thüre hinter sich schloß.

Nach einer Verbeugung nahm Parr unaufgefordert das Wort:

»Ich bitte, Herrn Werner sofort einen Stuhl gestatten zu wollen, da er durch den mörderischen Überfall eines Herrn Louis Durand eine Wunde empfing, von welcher er bis jetzt noch nicht völlig genesen.«

Parr sprach gelassen, nur den Namen des Franzosen auffällig betonend.

Atkins machte nur eine zustimmende Handbewegung. Zu reden vermochte er nicht. Auch Dickson trat alles Blut zum Herzen zurück. Nun wußte er, daß alles verloren, der geplante Schurkenstreich mißglückt sei. Am liebsten hätte er sich gedrückt, doch Parrs Blick bannte ihn auf seinen Platz und vor diesen flammenden Augen hielt selbst die Frechheit eines Dickson nicht stand.

»Gestatten Sie mir, lieber Paul, daß ich hier für Sie spreche. Nun denn, Herr Atkins, hören Sie, auch Herrn Dickson – ich habe doch jedenfalls das Vergnügen, diesen Herrn hier vor mir zu sehen? – wird meine kurze Erzählung manches Neue bieten, da die Berichte aus Transvaal an ihn nicht abgesandt werden konnten.«

Dickson überlief es bald heiß, bald kalt, auch Atkins rang vergeblich nach Worten, erdrückt von einer Schuld, die er vollständig dem Gegner preisgegeben sah.

»Ich will Ihnen keine Schilderung der Fahrten und Abenteuer geben, die wir durchzumachen hatten, mein Neffe George, Pieter Koopmann und ich, um das einst verschwundene Kind Paul Werner zu finden und an die Stätte zu bringen, wo er von Gottes und Rechts wegen hingehört. In der zwölften Stunde drohte der feige Mordstahl eines Buben, der vor dem Richterstuhle des Höchsten steht, unsere Mühe zu schanden zu machen. Es gelang ihm nicht! Mit Verwünschungen gegen den- oder diejenigen, die ihn in den Tod getrieben, starb Louis Durand, den das verheißene Gold zum Mörder gemacht. Nicht als Rächer der gegen ihn geschmiedeten Ränke kommt Paul Werner, das getreue Ebenbild seines Vaters Richard hierher, sondern als gerechter Richter, der sein Erbe antreten und treue Dienste belohnen, Untreue mit Verachtung strafen will.«

Dickson fiel ein Stein vom Herzen bei dieser Erklärung, die ihm einen Teil seiner Geistesgegenwart und damit seiner Frechheit wiedergab. Sein Mut wurde noch weiter gehoben, als Paul bestimmte:

»Das Andenken meines verewigten Vaters soll nicht durch das Strafgesetz verunglimpft werden. Doch, Herr Kommandant, wer sagt Ihnen, daß eine solche Drohung überhaupt nötig ist und mein Vetter Edward Atkins mich nicht freudig aufnehmen und mir mein Erbe überantworten wird, wenn er erst erkannt, in mir wirklich den Sohn Richard Werners vor sich zu haben?«

Tiefe Stille folgte diesen Worten und alle Anwesenden blickten gespannt auf Atkins, dessen Körper konvulsivisch zuckte, während auf seinem Gesichte tiefes Dunkelrot mit Totenblässe wechselten.

»Ich – freudig aufnehmen –?« stieß er knirschend heraus… »Nein – mein Junge, soweit sind wir noch lange nicht! Die Komödie ist gut insceniert –, brillant, alle Ehre! doch noch nicht fein genug, um einen Edward Atkins, zu foppen, dazu ist sie doch zu plump – wer mich fangen will, muß es schlauer anstellen. Also Sie da sind Paul Werner, mein lieber Vetter, der sich volle siebenundzwanzig Jahre verborgen hielt, um im achtundzwanzigsten vor mich hinzutreten, mir guten Tag zu bieten und mich zu bitten, ihm die Bagatelle von zwanzig Millionen Dollars an Werten und Liegenschaften auszufolgen. Die ganze Geschichte ist zu blödsinnig, um selbst den naivsten Menschen zu überzeugen, geschweige denn mich, der ich, wenn's sein muß, selber wie Münchhausen lüge.« Das darauffolgende Lachen Atkins klang so greulich boshaft, daß sich selbst Dickson eines Schauders nicht erwehren konnte.

Die Anschuldigung des abgekarteten Betruges berührte Paul so schmerzlich, daß er sich geisterbleich erhob, um sich auf Atkins zu stürzen. Pieter und George faßten seine Arme, ihn von dieser Unbesonnenheit zurückzuhalten, während Parr vor ihn hintrat und so dicht vor Atkins zu stehen kam.

»Diese Worte, Herr Atkins, zeigten uns endlich nach langer Verstellung Ihre wahre Gestalt. Wie der Schelm ist, so denkt er, sagt ein altes Sprichwort. Statt Anklagen zu erheben, wo Paul Werner darauf verzichtete, Ihnen solche entgegen zu schleudern, hätten Sie fragen müssen, ob dieser Mann, der sich für Paul Werner ausgiebt, auch Beweise dafür hat, sich so nennen, sein Vermögen beanspruchen zu dürfen. Das wäre begreiflich gewesen und eine Verneinung hätte unser ganzes Lügengewebe zerstört. Sie thaten dies nicht und unseres Bleibens ist nun hier nicht länger. Ehe wir jedoch gehen, seien Ihnen aber – bitte, Herr Dickson, treten Sie näher und überzeugen Sie sich von der Echtheit der Papiere – diese Dokumente vorgelegt. Hier…« Parr entnahm seiner Brieftasche einzeln die Dokumente, die er, als Paul auf das Schmerzenslager in Operboems Farm gefesselt war, an sich genommen, um sie vor weiteren Unfällen zu schützen – »ist ein Geburtsschein Pauls, hier der Trauschein seiner Eltern, hier der Paß seines Vaters, hier Kreditbriefe auf den Namen seines Vaters auf europäische Handelshäuser, hier ein Vertrag zwischen Richard Werner und Edward Atkins und endlich hier die Erklärung der Pflegeeltern Pauls, der Buren…«

»Um Gottes willen, Onkel, sieh auf Herrn Atkins!« unterbrach George die Aufzählung des Onkels.

Atkins, mit den Händen in der Luft fuchtelnd, den Mund weit ausgerissen, die Augen aus den Höhlen, war röchelnd auf das Sofa gesunken. Alle sprangen auf ihn zu. In Eile wurde seine Kleidung, sein Hemd geöffnet – doch zu spät – in wenigen Minuten war der Petroleumkönig Edward Atkins eine Leiche!

Die Aufregung hatte den längst befürchteten Schlaganfall herbeigeführt, der sein Leben jäh beendete. Menschliche Hilfe war vergebens.


In dem schmucken Häuschen zu Canorsie saß Paul Werner im Arbeitszimmer Kapitän Parrs.

Auf sein Antlitz war das Rot der Gesundheit zurückgekehrt und nichts verriet mehr die Schmerzen und Aufregungen der Vergangenheit. In alter Kraft und Gewandtheit dehnten sich die Glieder und das modische Kostüm vermochte nicht die Schönheit seines Wuchses zu beeinträchtigen. Es war eine gar ernste Zwiesprache, die er mit seinem väterlichen Freunde Parr pflegte.

Pauls Ansprüche auf das Vermögen seines Vaters waren von den Gerichten widerspruchslos anerkannt worden und der arme Bure, der früher sein Leben wagen mußte, um für wenige Pfund Sterling Elfenbein zu erbeuten, der den Löwen des Felles wegen jagte, sah sich im Besitze eines Vermögens, dessen Größe er noch immer nicht zu fassen vermochte. Trotz des Unrechtes, das ihm von seiten Atkins zugefügt, hatte er freigebigst für die Hinterbliebenen dieses Mannes gesorgt und ihnen ein Kapital sicher gestellt, das sie vor allen Wechselfällen des Lebens schützte.

Morgen sollte die »Königin Mab« ihn und George nach Südafrika bringen, wo beide einige Zeit bei den Operboems verleben wollten, um dann für immer nach Carnosie zurückzukehren zu Parr und Pieter, die dort allein zurückblieben.

Lange hatte sich Parr gesträubt, seine Einwilligung zu Georges Reise zu geben, doch endlich war er durch Pauls Bitten erweicht worden. Dieser versprach, George wie seinen Augapfel zu hüten und ihn nach glücklicher Rückkehr seinem Oberbeamten in den Petroleumwerken zu unterstellen, um ihm später die alleinige Verwaltung derselben zu übergeben.

Paul selbst haßte Oil-City und wünschte es möglichst wenig zu betreten. Die Erinnerung an die durchlebte schreckliche Scene mit Atkins wollte aus seinem Gedächtnisse nicht schwinden.

All dieses und noch vieles andere mehr wurde von den beiden Männern am letzten Abend vor der Abfahrt der Jacht beraten.

Schweren Herzens nur trennte sich Parr von Paul, den er wie einen Sohn lieben gelernt hatte.

»Tausend Grüße bestelle deinen guten Alten, namentlich Mutter Operboem, die an dir wie eine rechte Mutter gehandelt. Vergiß es nicht, lieber Paul! Für die Mädchen, den Enkelkindern, die dich so treu und aufopfernd gepflegt, habe ich ein Kästchen an Bord bringen lassen, dessen Inhalt ihnen wohl Freude bereiten wird.«

»Es ist doch kein Putz?« fragte Paul ganz besorgt.

»Nein, mein Sohn,« entgegnete Parr lachend, »ich weiß es wohl, daß der in der Wildnis nichts gilt. Es sind goldene Kreuze – bist du nun zufrieden?«

»Ich danke Ihnen im Namen meiner Geschwister, deren selige, strahlende Gesichter ich schon jetzt vor mir zu sehen glaube.«

»Vergiß auch nicht dem treuen Frantz einen Händedruck in meinem Namen zu geben, der Mann hat es verdient. War er es doch nächst Gott, der mir zu dir verhalf.«

»Er soll ihm werden. Das kostbare Repetiergewehr wird ihm zeigen, daß auch ich seine Dienste nicht vergessen habe. Auch den Brüdern Operboem habe ich gleiche Waffen zugedacht und wohlverpackt ruhen sie im Kielraume der »Königin Mab.« Außerdem soll ihnen ein reiches Geschenk an Vieh werden, das ihren Wohlstand erhöhen wird.«

Pieter trat ein und meldete, daß Kapitän Fogger eben den Garten durchschreite.

»Gut, laß ihn sofort eintreten,« beschied Parr. »Nun, Fogger, was bringen Sie uns?« rief er dem Seemanne entgegen.

»Ich habe die Meldung zu erstatten, daß wir bereit sind, morgen früh in See zu gehen. An Bord ist alles in Ordnung.«

»Danke, Kapitän. Nehmen Sie heute abend an unserem Abschiedsschmause teil, dem, will es Gott, in nicht allzu langer Zeit eine Wiedersehen-Feier folgen wird. Pieter, auch du sitzest heute an unserem Tische, gehörst du doch zu uns, wie ein Familienmitglied. Die Herren sind doch damit einverstanden?« fragte Parr.

»Gewiß, Herr Kommandant,« entgegnete Paul schnell, »ich wollte Sie schon darum bitten, den treuen Mann heute abend an meiner Seite zu lassen. Auch George wird glücklich sein, seinen alten Freund, von dem er seit seiner Kindheit unzertrennlich, war, so lange wie nur angängig, um sich zu haben.«

»Nein, Herr Paul,« sagte Pieter, mit seinem Auge ganz eigentümlich blinzelnd, »weich machen gilt nicht! Kommt's mir ohnehin schon schwer genug an, den Jungen und Sie fortlassen zu müssen, wird lange dauern, ehe wir uns daran gewöhnen.«

»Willst du mitgehen, Pieter?« fragte Parr scherzend.

»Potztausend, dann möchte ich Sie mal sehen! Ohne George, ohne Paul und Pieter kämen Sie sich ja verlassen vor, wie ein Eisberg, den der Wind nach dem Äquator getrieben hat!«

»Ein kühner Vergleich!« lachte Fogger.

»Vielleicht aber zutreffend,« sagte Parr ernst, doch gleich darauf setzte er hinzu, »fort mit dem Trübsinn, wir wollen am heutigen Abend lustig und nicht traurig sein. Rufe George, Pieter, und dann, liebe Freunde, laßt uns den Abschied so feiern, wie er sein muß, wenn ihm ein glückliches Wiedersehen folgen soll!«


Die Sonne vergoldete die leichten Schäume der Wogen in der Bai vor Canorsie, daß es aussah, als sei ein schimmerndes Netz über das Meer gezogen. In ihrem Strahlenbündel blitzte der schmucke Dampfer, der Parrs Lieblinge dem fernen Weltteile zuführen sollte, um sie später wieder zurück in die Arme des väterlichen Freundes zu bringen. Dunkle Dampfwolken entströmten dem Schlote der Pacht und verhüllten einen Augenblick die beiden schlanken Gestalten, welche sich auf der Kommandobrücke befanden und Tücher zum Gruße schwenkten. Auf einem Hügel des Ufers standen Parr und Pieter und sahen wehmütig dem Schiffe nach, das ihr Teuerstes barg. Sie hatten an Bord Abschied genommen und waren auf den erhöhten Standpunkt geeilt, um möglichst lange dem Afrikafahrer nachzublicken.

Als die Flagge an der Mastspitze verschwunden war, kehrten sie in Gedanken versunken ins Haus zurück, das ihnen öde und ausgestorben vorkam. Kapitän Parr sank auf dem Schaukelstuhle nieder, der an seinem Lieblingsplatze, dem Fenster mit der weiten Aussicht auf das Meer, stand. Da trat Pieter zu ihm. »Seien Sie nicht traurig, Herr Kommandant, ich bin's ja auch nicht. Ich bin sogar lustig, riesig vergnügt und freue mich, wie so 'n lütjer Junge auf den Jahrmarkt, auf die Heimkehr der Kinder. Denn wieder kommen sie, das sage ich Ihnen, ich Pieter Koopmann, den seine Ahnungen noch niemals trügten!«

»Wie gerne glaube ich dir, Pieter!« sprach Parr wehmütig.

»Das können Sie auch, Herr Kommandant, denn solch wackere Gesellen, wie unsere beiden Herzensjungen, stehen überall unter dem Schutze eines besonderen Engels, der sie in keiner Gefahr verläßt. Wir werden sie wiedersehen und uns an ihnen, die wir doch so schwer vermissen, doppelt erfreuen…«

Und Pieter sollte auch diesmal, wie damals im Boote, mit seinen Ahnungen recht behalten. Ehe sechs Monate vergangen waren, lagen Paul und George in den Armen Parrs und Pieters, um sich nie wieder auf lange Zeit von ihnen zu trennen.

Ein Jahre währendes glückliches Beisammensein folgte, das nur zeitweilig durch Reisen in der Union und nach Europa unterbrochen wurde. Parr und Pieter erlebten die Freude, Kinder von Paul und George heranwachsen zu sehen und auf sie übertrugen sie alle die Liebe, die sie den Vätern von jeher entgegengebracht hatten.

.

Druck von A. W. Hayn's Erben,
Berlin und Potsdam

 


 << zurück