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Acht Tage schon waren Kapitän Parr und seine Gesellschaft auf der Reise im Innern Transvaals, ohne nennenswerte Abenteuer erlebt zu haben. An schwierige Bergfahrten, an Übergänge durch Bäche und Flüsse hatte man sich ebenso gewöhnt, wie an das Konzert, das allnächtlich ringsum erklang, wenn das Lagerfeuer brannte.
In verschiedenen Buren-Niederlassungen machte die kleine Karawane Halt, ergänzte den Proviant und versah sich mit Trinkwasser, das in größeren Tonnen mitgeführt wurde, um gedeckt zu sein, falls die Entfernung von einem Brunnen zum anderen zu groß war, um ohne Trunk zurückgelegt werden zu können.
Kapitän Parr war es längst aufgefallen, daß Frantz in jeder Ansiedlung mit einer an Ehrfurcht grenzenden Achtung empfangen wurde, und daß er oft lange geheimnisvolle Unterredungen mit den gleichaltrigen Buren hatte. Auch war einmal ein Jüngling zu ihnen gestoßen, der Frantz einen Brief überbrachte, den dieser, nachdem er ihn gelesen, sorgfältig zerriß, worauf der Bote, mit einer mündlichen Antwort versehen, trotz der anbrechenden Nacht davonsprengte. Kapitän Parr hätte gerne eine Erklärung für diesen Vorfall gehabt, da aber Frantz seiner mit keiner Silbe erwähnte, schwieg auch er darüber, fest davon überzeugt, daß sein Führer, den er als ruhigen, aber durchaus vertrauenswürdigen und kühnen Mann achtete, nichts Unrechtes im Schilde führen könne.
George fühlte sich froh und heiter und seine Lust am Reisen nahm jeden Tag mehr zu. Die Beschwerden schreckten ihn nicht nur nicht, sondern schienen ihm Vergnügen zu bereiten und seinen jugendlichen Körper zu kräftigen. Zu des Oheims inniger Freude entfalteten sich die Charaktereigenschaften des Jünglings von Tag zu Tag schöner und ließen erkennen, daß ein tüchtiger, zuverlässiger Mann in George heranwachse, jedem Platz gewachsen, auf den ihn die Vorsehung stellen werde.
Schon bei der Abreise von Canorsie hatte George ein Tagebuch begonnen, in das er gewissenhaft alle Ereignisse jedes Reisetages notierte. Noch waren keine sonderlichen Abenteuer verzeichnet, bis auf eines, das er wie folgt beschrieben hatte:
»Gottesgab am 6. Reisetag.
Der heutige Vormittag verlief ohne Zwischenfall, nur Witboois, der Zugochse rechts im dritten Glied kam einmal zu Fall, wurde aber von Christian Fledermaus, dem Zulukaffern, mir und Pieter wieder aufgerichtet. Frantz wetterte im Zuludialekte ordentlich mit dem Treiber, der ganz geknickt schien, fünf Minuten später aber die ganze Geschichte wieder vergessen hatte. Ein eigentümliches Volk, diese Zulus. Wenn man unsere beiden Exemplare, Christian und Gottlieb, betrachtet, kann man kaum fassen, daß sie Angehörige einer Nation sind, die den Engländern so viel zu schaffen machten, unter deren Assagais geschultes Militär erlegen war, darunter der Urgroßneffe Napoleon I. Unsere Zulus sind Leute, die nichts aus ihrem Gleichmute bringen kann, außer vielleicht Verweigerung von Tabak und Schnaps, ihren Idealen, ohne die ihnen das Leben leer und schal erscheint. Jeder nach seinem Geschmacke! Sonst sind sie komische Bursche, die uns durch ihre Geschäftigkeit, hinter der aber nichts steckt, als leere Wichtigthuerei, vielen Spaß machen. Pieter nennt Christian nicht anders, wie das unnütze Quecksilber und Gottlieb, den Markteufel; drückt man ihn noch so tief nieder, er steht immer wieder auf. Mit Pieter hatte ich heute auch ein Jagdabenteuer. Ich würde es nicht aufschreiben, wüßte ich nicht, daß diese Blätter keinem anderen als mir zu Gesichte kommen, wenn ich mein geliebtes Amerika wiedersehen sollte. Kehre ich nicht zurück, dann soll Onkel, dem ich dies Buch vermache, noch über meinen Eifer lachen, auch wenn ich nicht mehr unter den Lebenden weile. Es ging so zu: Ich schlenderte mit Pieter unserem Zuge voraus, der eben von einer Wasserstelle aufgebrochen war. Onkel hatte uns empfohlen, nach Wild Ausschau zu halten, da wir in letzter Zeit schon zu den Konserven greifen mußten. Seit mehr als acht Tagen hatten wir keine Antilope mehr gesehen, geschweige denn erlegt. Wir waren dem Wagen mehrere tausend Schritte vor, als mich Pieter auf ein Gebüsch aufmerksam machte, in dem er ein Geräusch zu vernehmen glaubte. Behutsam, die Gewehre schußbereit haltend, schlichen wir näher, bogen die dicht verwachsenen Zweige auseinander, vorsichtig jedes Geräusch vermeidend. Ich sah nun, daß das Gebüsch einen Halbkreis bildete und einen schmalen Ausgang nach dem hügeligen Terrain offen ließ, in dem nur vereinzelte Büsche zwischen den wüst herumliegenden Steinen emporwuchsen. Ein Tümpel schlammigen Wassers bildete den Mittelpunkt der grünen Umwallung. Noch spähte ich auf den Tümpel, als plötzlich eine mir gegenüber liegende Staude sich leise zu bewegen anfing. Vor Eifer stockte mein Atem, als mit einem Male zwei Ohren auftauchten, lang und spitz – Täuschung war unmöglich – es war ein Hase, im Busche versteckt. Ich ließ den von mir gefaßten Zweig los, der, in seine natürliche Lage zurückschnellend die ganze grüne Wand erzittern machte und riß mein Gewehr an die Backe. Rasch dieses durch die Zweige schiebend, sah ich den Hasen davonlaufen, der den Ausgang ins Freie gewonnen hatte. Nein, ein Hase konnte es doch trotz der Ohren nicht sein, dazu paßte die Färbung des Felles nicht, ebensowenig der trabende Lauf. Ohne mich aber lange derartigen Erwägungen zu überlassen, nahm ich das Tier aufs Korn, ein Blitz, ein Knall – es machte einen Satz, drehte sich und stürzte mit einem Schrei, der mir merkwürdig bekannt vorkam, zu Boden. ›Hurra, Pieter, ich habe getroffen!‹ rief ich freudig aus. ›Hab's gesehen‹ brummte dieser, ›schade ums Pulver.‹ Wie mich diese Bemerkung ärgerte, kann ich garnicht beschreiben. ›Bist doch ein alter mißgünstiger Hamster! Es fuchst dich, daß du nicht zum Schusse gekommen bist und ohne Wildbret zurückkehren mußt!‹ sagte ich zornig. ›Schönes Wildbret, werden ihre Freude dran haben, am Lagerfeuer, wenn wir mit einem weidgerecht erlegten – Schakal zurückkommen,‹ lachte der verstockte alte Bursche. Ein Schakal, eines jener abscheulichen Tiere, die Nacht für Nacht uns umbellten, und die von den Eingeborenen als Aasfresser verachtet, ihres Nutzens wegen aber geschont werden, da sie gefallene Tiere vertilgen, die, wenn ihre Kadaver in Fäulnis übergegangen, leicht die Luft verpesten und Tieren und Menschen schädlich werden könnten. Einen solchen Schakal schoß ich statt eines Hasen? Das konnte ich nicht glauben und diesen Zweifel sprach ich auch energisch gegen Pieter aus. ›Na dann kommen Sie hin zu Ihrem Wilde, Sie werden's ja sehen, vielleicht auch noch etwas anderes,‹ antwortete der und trottete voraus. Schon zehn Schritte vor dem gefallenen Schakal roch es unangenehm und mit jedem weiteren Schritte nahm dies an Stärke zu. ›Merken Sie's nun, Herr George, daß dieser Eau de Cologne-Fabrikant ein Schakal ist?‹ fragte Pieter mit breitem Grinsen. Ich würdigte ihn keiner Antwort und ging dem Wagen entgegen, der inzwischen herangekommen war. ›Hast du geschossen, George?‹ rief mir Onkel entgegen, ›was getroffen?‹ ›Nein,‹ antwortete ich kleinlaut. Abends zeigte mir Pieter verstohlen das von ihm abgezogene und präparierte Schakalfell, das eigentümlicherweise garnicht schlechter roch, als die Felle anderer Tiere. Er hat über das Jagdabenteuer geschwiegen… ist doch ein guter Kerl, der Pieter, dem ich's gedenken werde!«
Zwei Tage später fand Frantz eine Löwenfährte; das Tier selbst kam nicht zum Vorschein. Kapitän Parr befahl, daß der nächtliche Wachtdienst von nun ab strammer gehandhabt werde, als es bisher der Fall gewesen. Parrs Befürchtungen waren glücklicherweise grundlos, denn der König der Tiere ließ sich nicht blicken. Nur einmal nachts hörte man in weiter Ferne das dumpfe Gebrülle des Herrn der Wüste.
Am Spätnachmittage des siebzehnten Reisetages kam die Karawane bei den Ruinen eines Gebäudes an. Deutlich sichtbar vor dem Halteplatze lagen die kahlen zackigen Muralberge, rosig beleuchtet von den Strahlen der dem Untergange nahen Sonne.
Am Fuße der Berge dehnte sich Souls-Port aus, die ersehnte Missionsniederlassung. Aus dem frischen Grün hoher edler Palmen und Laubbäume sahen die roten Ziegeldächer einiger Gebäude hervor. Heilige Ruhe war über die ganze Gegend gebreitet und ernste, feierliche Stimmung ergriff Parr, George, selbst Pieter, als das helle Geläute einer kleinen Kirchenglocke vom Abendwinde aus der Mission zu ihnen getragen wurde. Frantz und die beiden Zulus entblößten ihre Häupter und lauschten, wie im Gebete, bis der Silberklang verhallt war.
Der Kapitän empfand eine brennende Ungeduld, sich nach der Mission zu begeben, doch sah er schließlich ein, daß der Tag hierzu schon zu weit vorgeschritten sei und beschloß daher, bis zum nächsten Morgen zu warten.
Während die beiden Zulukaffern die Ochsen aussträngten, Frantz, unterstützt vom Kapitän, alles für die Nacht vorbereitete, und Pieter, dem während der Reise das Amt eines Kochs zugefallen war, das er zu aller Zufriedenheit verwaltete, Anstalten für die Abendmahlzeit traf, machte George einen kurzen Spaziergang auf einem ausgetretenen Pfade, der nach der Mission führte. Auf dem Wege dahin begegnete ihm eine ältere Dame, deren Züge Güte und Freundlichkeit verrieten. Sie war in Schwarz gekleidet, sauber und nett, nur der Schnitt ihrer Kleidung mahnte an eine Mode, die, wie sich George erinnerte, auch seine Mama auf einem Bilde trug, das sie als Braut darstellte und das über Onkel Parrs Schreibtisch in Canorsie hing. Eine junge Negerin, mit einem Korbe beladen, folgte der Dame nach.
George trat bescheiden beiseite, seinen Hut zu höflichem Gruße lüftend.
Mit der Frage: »Gehören Sie zu der Reisegesellschaft, deren Wagen bei den Ruinen steht?« wandte sich die Dame an George.
»Jawohl, gnädige Frau,« antwortete dieser.
»Dann sind Sie der Sohn des Herrn Kapitän Parr, der sich bei meinem Manne, dem Missionar Borgfield nach einem Kinde erkundigte, dessen wir uns einst angenommen?« fragte sie weiter.
»Nicht der Sohn, sondern der Neffe,« erwiderte George.
Die Dame nickte mit dem Kopfe, als danke sie für den Bescheid.
»Ich freue mich Ihrer Ankunft und bin gerade auf dem Wege zu Ihrer Gesellschaft, Sie zu bitten, uns sofort die Ehre Ihres Besuches zuteil werden zu lassen.«
»Herzlichen Dank, im Namen meines Onkels. Wenn Sie gestatten, gnädige Frau, führe ich Sie zu ihm, der Ihnen für die liebenswürdige Einladung persönlich seinen Dank abstatten wird.«
Kapitän Parr hatte das Zusammentreffen Georges mit der altmodisch gekleideten Dame wohl bemerkt. Als er sie sich dem Lager nähern sah, wartete er nicht erst ihre Ankunft ab, sondern schritt ihr grüßend entgegen.
Nachdem viele Redensarten gewechselt, die Einladung nochmals in dringendster Form vorgebracht worden war, nahm Kapitän Parr sie an. Im Grunde seines Herzens frohlockte er darüber. Einerseits war es ihm ganz erwünscht, nach siebzehn Nächten wieder mal ein Bett statt des harten Lagers im Wagen zu benützen, andererseits hoffte er schon heute abend sich mit dem Missionar über die Angelegenheit aussprechen zu können, die ihm so sehr am Herzen lag. Pieter lehnte die auch ihm geltende Einladung für diese Nacht ab, da er das Essen für die Zulus zu bereiten hatte; auch Frantz bat beim Wagen bleiben zu dürfen, für dessen Sicherheit er noch immer verantwortlich sei.
So gingen denn nur Onkel und Neffe, von Frau Borgfield geleitet, der Mission zu.
Auf den letzten Ausläufern der Muralberge gelegen, an einem mit bewundernswertem Geschicke ausgewählten Platze, befanden sich die Gebäude in einem weitausgedehnten Garten, der von einer festen Lehmmauer umgeben war, an deren vier Ecken sich kleine festgefügte Wachttürme erhoben. Der Garten barg nicht nur tropische Gewächse in reicher Fülle, wie Palmen, Bananen, Kameldorn- und Brotfruchtbäume, sondern auch alle edlen Obstsorten der gemäßigten Zone, wie Pfirsiche, Birnen, Äpfel, Nüsse, Pflaumen in zahllosen Variationen. Im Schatten der Bäume blühten herrliche Blumen, berauschende Düfte ausströmend. Den nützlichen Gemüsen war ein breiter Raum im Garten eingeräumt und alle besseren Gemüsearten Europas wurden hier gezogen. Durch den Garten schlängelte sich ein Bach, der in den Muralbergen entsprang und nachdem er die Anlagen bewässert, in einen breiten Graben geleitet war, welcher sich um die Lehmmauer zog, dadurch der ganzen Ansiedelung den Charakter einer Festung verleihend.
Vor der kleinen, eisenbeschlagenen Pforte, dem einzigen Eingang in den Garten und zum Hause, stand auf einer schmalen, über den Graben geschlagenen Brücke der Missionar, um seine Gäste zu erwarten.
Sein kluges, feines Gesicht umrahmte ein graumelierter Vollbart, der über den schwarzen Priesterrock fiel, die breite Brust bedeckend.
Nach gegenseitiger Vorstellung und kräftigem Händeschütteln forderte Missionar Borgfield die Reisenden zur Besichtigung der Niederlassung für die Zeit auf, welche seine Gattin den Vorbereitungen zum Empfange und dem Abendessen widmen müsse.
Borgfield erntete von Kapitän Parr viele Lobsprüche über seinen musterhaft angelegten und mit großer Fachkenntnis und nimmermüder Sorgfalt gepflegten Garten. So gerne aber Parr schon bei dem Rundgang die Frage berührt hätte, welche ihn hierhergezogen, so war dies doch schlechterdings unmöglich. Borgfield, glücklich darüber, nach langer Zeit wieder einmal mit gebildeten Weißen, die nicht seiner Familie angehörten, sprechen, ihnen sein Steckenpferd, den Gartenbau, vorreiten zu können, war unermüdlich in seinen Erklärungen, die er mit der größten Ausführlichkeit vom Stapel ließ, sich auch nicht die kleinste Einzelheit schenkend. Selbst George hätte gerne ein rascheres Tempo gewünscht, da sein Magen ganz bedenklich knurrte und es wäre ihm ein zu Sauce verarbeiteter Paradiesapfel diesen Moment viel lieber gewesen, als die genaueste Kulturanweisung zum Ausbau dieser Frucht, die der Gartenbesitzer eben vortrug. Es half aber alles nichts. Ohne gegen die Höflichkeit zu verstoßen, konnte man den Redefluß Borgfields nicht hemmen und so vertröstete sich denn Parr auf später, auf das Beisammensein bei Tische, wo er sein Anliegen vorbringen wollte, ohne sich durch Borgfields Erklärungen davon abhalten zu lassen.
Nachdem der Garten in allen seinen Teilen besehen, Beet für Beet, Baum für Baum in Augenschein genommen worden war, zerrte der Missionar seine seufzenden Gäste nach einer Meierei, die innerhalb der Ringmauern gelegen, durch eine lebende Hecke vom Garten abgeteilt war. Von dort ging's nach einem Laden, der alle Gegenstände enthielt, die ein Negerherz sich ersehnt. Herr Borgfield betrieb, wie alle englischen Missionare, einen schwunghaften Handel mit den Eingeborenen, der ihn zum reichen Manne gemacht hatte.
»Nur um den Eingeborenen nützlich zu sein und ihnen den weiten gefährlichen Weg nach einer größeren Stadt zu ersparen, unterhalte ich dieses Geschäft,« erklärte der Missionar nicht ganz glaubwürdig, da er, wie alle seine landsmännischen Amtsbrüder, keinem Gewinne abgeneigt war, ganz im Gegensatze zu den deutschen Missionaren, die nur dem Glauben und seiner Verbreitung leben und keinerlei anderes Interesse neben ihrer gottgefälligen, segenbringenden Arbeit kennen.
»Dieser Grund läßt sich hören,« antwortete Kapitän Parr gefällig, wenn auch nicht überzeugt.
»Es ist nur einer von vielen,« sprach Borgfield weiter. »Mein Laden erleichtert meine Bekanntschaft mit den wilden Negern, die Hunderte von Meilen weit zu mir kommen, um von mir gegen Elfenbein, Straußfedern, Goldkörner und Tierfelle andere nützliche Dinge, wie Kleiderstoffe, Schießpulver, Konserven und tausenderlei anderes einzutauschen. Ich verhindere sie dadurch, die kostbaren Produkte bei gewissenlosen Händlern für wertlosen Flitterkram zu verschleudern, oder den Barerlös in Schnaps umzusetzen, wozu sie leider Gottes alle gar zu leicht geneigt sind. Wenn ich sie also mit Dingen versorge, die sie wirklich verwenden können, wenn ich sie vor Verschwendung hüte, vor dem Laster der Trunkenheit bewahre, so thue ich ein gutes Werk und erfülle meine Menschen- und Priesterpflicht.«
Als praktischer Amerikaner hätte der Kapitän keinen Augenblick diesen Handel mißbilligt, wenn ihn ein anderer getrieben hätte, als ein Missionar, dessen Beruf, seiner Meinung nach, ein zu hoher sein sollte, als daß er als Deckmantel diene, sich zu bereichern und den Eingeborenen für vollwertige Produkte minderwertiges Zeug aufzuhängen; doch hütete er sich, seiner Ansicht Worte zu leihen, die nichts genützt, aber seinen Wirt beleidigt hätten.
Schon sollte ein weiterer Gang angetreten werden, als eine schwarze Dienerin den Herren mit der Botschaft entgegen kam, daß das Essen bereitstehe. Wie sich George darüber freute!
Der Missionar und seine Gäste schlugen nun den Weg zum Wohnhause ein, einem hübschen zweistöckigen Bauwerke aus Backsteinen, das mit roten Ziegeln gedeckt war. Das Dach überragte noch ein etwa ein weiteres Stockwerk hoher viereckiger Aussichtsturm, von dessen Zinne der Blick weit über die Ebene schweifen konnte bis zu den bewaldeten Bergen, die dem Laufe des Limpopo, des Krokodilflusses, folgten und mit ihren Zacken den Einblick in das Betschuana-Land mit der Kalahari-Wüste hinderten. Die Vorderseite des Hauses nahm eine rebenumsponnene Veranda ein, auf die sich zwei Thüren öffneten, welche in einen Speisesaal führten. An diesen stieß das geräumige Wohnzimmer, von dem man in das Studierzimmer des Hausherrn gelangte. Die Schlafgemächer, darunter auch die den Gästen angewiesenen, befanden sich im ersten Stockwerke.
Im Speisezimmer empfing Frau Borgfield die Gäste, ihnen nochmals durch einen herzlichen Willkommengruß zeigend, wie freudig ihre Anwesenheit begrüßt wurde, die Abwechselung in die Weltabgeschiedenheit von Souls-Port brachte.
Das ganz auf englische Weise zubereitete Mahl war reichhaltig und schmackhaft und thaten ihm Parr und George alle Ehre an.
Kapitän Parr hielt es für seine Pflicht, sich äußerst anerkennend gegen den Missionar und seine Gattin über ihre Gründung auszulassen: »Ich bin überrascht, in dieser Gegend, so weit von aller Kultur entfernt, das kleine Paradies zu finden, das Ihr Fleiß und Ihre Kenntnisse geschaffen. Von außen betrachtet, macht Ihre Besitzung ganz den Eindruck einer kleinen Festung, die mit Hilfe der Wachttürme, der festen Mauer und des wassergefüllten Grabens wohl imstande ist, eine Belagerung auszuhalten.«
»Diesen Zweck verfolgt auch die Anlage. In der ersten Zeit unserer Anwesenheit wohnten wir in der Ebene; die Ruinen, in welchen Ihr Wagen steht, sind die Überreste unseres ersten Hauses. Seine Lage war in jeder Beziehung schlecht und ungünstig und haben wir es nur unserer Wachsamkeit zu danken, bei einem Überfalle der Matabele mit dem Leben davon gekommen zu sein. Es sind nun bald zwanzig Jahre her, das neue Haus war noch im Bau begriffen, der Garten und die Bäume eben gepflanzt, als eines Abends ein uns befreundeter Ansiedler, der etwa zwanzig Meilen gegen Norden eine kleine Viehfarm besaß, auf dampfendem Pferde ankam und mitteilte, daß ein Matabele-Stamm den Limpopo überschritten, in der Absicht, uns der mitgebrachten Tauschartikel zu berauben. Ein ihm befreundeter Stammesgenosse der Räuber hatte ihm eine Warnung zukommen lassen, worauf er sofort sein Vieh in eine nur ihm bekannte Höhle in den Muralbergen in Sicherheit gebracht und zu unserer Hilfe herbeigeeilt war. Unter der Leitung des in solchen Dingen wohlerfahrenen Mannes wurden alle Vorbereitungen getroffen, den Räubern Widerstand zu leisten. Die Fenster wurden durch Matratzen und Möbelstücke verbarrikadiert, nur kleine Öffnungen frei gelassen, den Flintenlauf durchzustecken und das Ziel zu erspähen.
»Withens, der Bure, drei schwarze Diener und ich waren die ganze Besatzung, eine kleine Zahl gegen die dreißig bis vierzig Matabeles, die freilich nur mit Pfeil, Bogen und Speeren bewaffnet waren, während wir gute englische Gewehre und Revolver zur Verfügung hatten.
»Stunden vergingen, die Landschaft war schon in nächtiges Dunkel gehüllt, das die zahllosen Sterne am Firmament nicht zu erhellen vermochten. Vor uns blieb alles ruhig, so still, daß ich den Schlag meines Herzens zu hören glaubte. ›Aufgepaßt,‹ rief da Withens leise, ›nicht früher schießen, als ich kommandiere, dann aber jeder Schuß ein Treffer, wenn euch euer Leben lieb ist.‹ Fünf Hähne knackten zu gleicher Zeit. Ich spähte durch die Ritze, die zwischen Matratze und Fenster frei geblieben war, sah aber im ersten Augenblicke nichts, als die im Windzuge schwankenden Grashalme. Da fiel mir ein Gebüsch auf, das ich mich nicht erinnern konnte, jemals an diesem Platze gesehen zu haben. Wenn ich mich nicht täuschte, so hatte der Busch Leben in sich, denn langsam, unmerklich fast schob er sich vorwärts, gegen unser Haus zu. Da, einige Schritte hinter ihm, noch eins, zwei, drei, mehrere, viele, aus dem Erdboden schienen sie aufzutauchen diese geheimnisvollen Büsche. ›Nehmen Sie den dritten Busch aufs Korn, ich werde auf den ersten schießen. Zielen Sie tief, da hinter ihm ein schwarzer Räuber!‹ flüsterte der Bure. ›Ihr Bursche feuert auf die anderen, aber erst, wenn ich drei rufe. Also Achtung, eins, zwei, drei…‹ und fünf Schüsse knallten und vier Büsche fielen nach vorn über, wodurch die von ihnen gedeckten Matabeles sichtbar wurden. Rasch lud ich wieder, als ein Geheul ertönte, das alle meine Nerven erzittern machte. Die schwarzen Teufel, nun sie sich entdeckt sahen, warfen die Zweige von sich und stürmten kreischend und brüllend auf uns los. Unsere Schüsse rasselten ihnen entgegen und ließen sie einen Augenblick wie schreckerstarrt zögern, da einige der ihren tödlich getroffen wurden, doch nur eine kurze Zeit dauerte dieses Zurückweichen, dann drangen sie wieder mit ihrem wüsten Geschrei vorwärts. Ein Pfeilregen ergoß sich auf die geschützten Fenster, der gottlob keinen Schaden that. Näher und näher kamen sie heran, schon hämmerten sie an die Hausthüre, die bald ihren Streichen nachgeben mußte, als plötzlich Totenstille eintrat, der sofort ein markerschütterndes Schmerzgeheul folgte und in wilder Flucht stürzten die Räuber davon, sich nicht einmal Zeit nehmend, ihre Gefallenen mitzunehmen, was sie sonst niemals versäumen. Wir waren über diesen plötzlichen Rückzug so erstaunt, daß wir das Schießen vergaßen. Was mochte vorgegangen sein, was die Räuber erschreckt haben? Noch tauschten wir unsere Meinung darüber aus, als sich die Thüre öffnete, meine Frau lächelnd eintrat und eine brennende Lampe auf den Tisch setzte. ›Ratet nicht lange, ihr findet doch nicht, was die Wilden in die Flucht getrieben hat,‹ sagte sie ruhig. Na, erzähle du weiter, Hatty,« forderte der Missionar seine Gattin auf.
»Da ist nicht viel zu erzählen,« entgegnete diese.
»Als ich von Witjens hörte, was wir zu gewärtigen hatten, machte ich auf dem flachen Dache unseres Hauses, im Schutze der Schornsteine ein großes Feuer an, über welches ich alles Wasser, das ich zur Hand hatte, zum Sieden brachte. Wie die Matabeles das Hausthor erbrechen wollten und ihrer viele in einem Klumpen zusammenstanden, goß ich mit Hilfe meiner schwarzen Dienerin das heiße Wasser auf ihre Köpfe hinab. Der Schmerz und die Überraschung über den ›warmen Empfang‹ jagte ihnen den panischen Schrecken ein, der in wilde Flucht ausartete.«
»Es war dies unsere Rettung aus höchster Gefahr. Einen Augenblick später und sie wären im Hause gewesen, was unseren Untergang besiegelt hätte. Ihre Überzahl hätte uns erdrückt,« schloß der Missionar die Erzählung.
»Und hatten Sie seitdem Ruhe?« fragte Parr.
»Es sind wohl noch öfter Plünderungszüge vorgekommen, doch haben sich die Räuber nie wieder an uns getraut, da ihnen meine jetzige Festung Respekt einflößt,« antwortete der Missionar.
»Jetzt haben Sie wohl überhaupt nichts mehr zu fürchten,« wollte George wissen, den des Hausherrn Bericht über alle Maßen interessiert hatte.
»Nein, mein junger Freund, nun sind wir ebenso sicher, wie wenn wir inmitten einer großen Stadt wohnten. Seitdem Englands Flagge bis an die Ufer des Sambesi getragen wurde und englischer Einfluß die Häuptlinge beherrscht, haben wir den tiefsten Frieden. Leider ist es an den Ufern des Sambesi nicht ebenso. England rivalisiert mit den Portugiesen um den Besitz der an den Schirefluß grenzenden Besitzungen und jede der beiden Mächte sucht sich seines Gegners dadurch zu erwehren, daß er den Haß der Eingeborenen gegen den Rivalen schürt. Da ohnehin die Feindseligkeit der einzelnen Häuptlinge der Makololo unter einander nie ganz aufhören, so haben England und Portugal leichtes Spiel und führen einen Krieg miteinander, der nur den Eingeborenen und nicht den eigenen Landeskindern zum Schaden gereicht. Die allgemeine Sicherheit hat natürlich arg unter dieser versteckten Kriegsführung gelitten, und zwar in noch erhöhtem Maße, seit der portugiesische Major Serpa Pinto in der umstrittenen Gegend weilt, umgeben von einheimischen Parteigängern, wie den einflußreichen Operboem und anderen.«
»Ist dies derselbe Serpa Pinto, dessen kühne Durchquerung Afrikas solch Aufsehen erregte?« fragte George.
»Allerdings, Herr Morton. Auf dem Platze, den Sie jetzt einnehmen, saß er, als er uns vor einigen Monaten besuchte.«
»So kennen Sie also den berühmten Reisenden, des Entdeckers eines fast weißen Volkes, wenn ich mich recht erinnere?«
»Die Kassequere, meinen Sie wohl, lichtfarbene Nomaden des Plateaus, auf welchem der gewaltige Sambesi entspringt.«
»Allerdings. Ich beneide Sie um diese Bekanntschaft. Mit weltberühmten Männern zu verkehren, muß doch ein ganz eigentümliches Gefühl sein! Sind noch andere namhafte Forscher bei Ihnen zu Gaste gewesen?« fragte George weiter.
»Schon oft,« erhielt er zur Antwort. »Zoologen, Botaniker, Geologen und Geographen, die ihre Wissenschaften zum Limpopo oder der Kalahari-Wüste geführt, haben in Souls-Port eine Ruhepause gemacht. Deutsche, Engländer, Amerikaner, Franzosen habe ich schon bewirtet, auch Österreicher, so den Forscher Dr. Emil Holub, der seine Hochzeitsreise von Kapstadt bis zum Sudan ausdehnen wollte, aber von den Maschukulumbe-Stämmen am Kafue, dem nördlichen Zuflusse des Sambesi, ausgeplündert und zur Rückkehr nach Europa gezwungen wurde.«