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Wie der Mann im Allgemeinen dazu neigt, das Weib zu verachten, aus dem er doch hervorgegangen ist, so verachtet die handelnde Zeit die hinter ihr liegende in sich gekehrte, beschauliche, obwohl die wahrhaft fruchtbringende Handlung aus der Idee entspringen muß und ein Wechseln zwischen Innen und Außen nothwendig ist. Das junge Deutschland warf es der Romantik bitter vor, daß sie entweder unpolitisch war oder denn daß sie einer fortschrittlichen Entwickelung durch ihre Vorliebe für das Mittelalter entgegengewirkt hätte. Thatsächlich hat keiner von den führenden Geistern der Romantik an eine Wiederherstellung vergangener oder gar mittelalterlicher Zustände gedacht.
Unpolitisch waren die romantischen Naturen; das heißt die äußere Gestaltung des Lebens, sei es in der Familie, in der Gesellschaft oder im Staate, interessirte sie wenig, die den Menschen in erster Linie als Inneres, in Bezug auf das Ewige und Unendliche betrachteten. Sie waren keine handelnden Menschen; die Politik riß sie aus dem weihrauchdurchdufteten Tempel des Inneren, den Clemens Brentano so lockend schildert, aus heiligen Hainen der Betrachtung und Anbetung, in Straßenlärm und Schlachtgewühl, wo die Augen nicht Schönes und Fernes suchen durften, sondern aufmerken mußten, wo es galt sich mit den Armen durchzukämpfen.
Justinus Kerner hat sich über sein Verhältniß zur Politik folgendermaaßen ausgesprochen: »Ich mißkenne nicht, daß die Politik der Tod aller wahren Poesie ist, wohl auch, weil sie zur Aeußerlichkeit, vom Naturleben weg in die Unnatur des Staatenlebens führt, in dem nun einmal, besonders in unsern Jahrhunderten, keine Poesie mehr zu finden ist«. Gerade das, daß sie »die Natur mit ihrem Lärm übertäubten« warf er den Revolutionären vor, daß man vor dem Schlag ihrer Trommeln den lieben Schall der Drosseln und Nachtigallen nicht mehr hören könne. Das Menschenleben, soweit es nicht mit der mütterlichen Natur in Zusammenhang steht, erschien ihm zufällig und unwesentlich.
Euer entsetzliches Schreien;
»Volksherrschaft bringt einzig Gedeihen!«
Euer Vivatrufen und Wüthen,
Euer Trommeln, Trompeten,
Uebertönet der Nachtigall Flöten,
Erschüttert Blätter und Blüthen!
Und dem Dichter ist's wohl zu verzeihen
Ruft er im Freien:
Ihr Menschenkinder!
Ist's Frühling? ist's Sommer? ist's Winter?
Als sein politisches Glaubensbekenntniß bezeichnete er selbst das Gedicht, in welchem er sich über den Druck der napoleonischen Fremdherrschaft mit der ewigen Sonne am unantastbaren Himmel tröstet:
So lang noch Berg und Thale blüh'n,
Durch sie melodisch Flüsse zieh'n,
Ein Vogel hoch im Blauen schwebt,
Goldähren licht im Westhauch wallen,
Gebirge stehn, Alphörner schallen,
Hat diese Welt nicht ausgelebt,
Und was die Menschen thun und treiben,
Ob frei sie oder Knechte bleiben,
Dem Himmel gräbt es sich nicht ein:
Kein Treiber bringt mich je in Zweifel,
Wär' er ein Teufel aller Teufel,
Er ändert nicht der Sonne Schein.
Als die Kriege gegen Napoleon anfingen, schrieb Brentano an Arnim: »Werde kein Soldat in einer Zeit, wo es keine gibt, bleibe der unsichtbaren Kirche der Kunst angehörig … Du weißt nicht, wie es mich erschreckt, wärst du Soldat, o sei keiner der untergeht, keiner der siegt: sei ein Mensch hoch über der Zeit und falle nicht in diesem elenden Streit um Hufen Landes«. Worauf Arnim, der Brandenburger Edelmann, Abkömmling von Soldaten, antwortete: »Soldat fürchtest du, daß ich werden möchte? Es wäre freilich das einfachste, aber wahrscheinlich auch das nutzloseste bei meiner Unkenntniß und Ungewohntheit in tausend nothwendigen Dingen«. An Görres, als er sich mit seinem Merkur wenigstens als geistiger Kämpfer in's Gewühl stürzte, schrieb Arnim abmahnend: »Es thut mir wahrlich leid, daß du dich von den Büchern zu den Menschen gewendet, du kannst froh sein, wenn du mit verlorener Zeit davonkommst«. Es fehlte Arnim nicht an Lust sich zu bethätigen; aber er hatte doch nicht Kraft und Unbefangenheit genug, allen inneren und äußeren Zwiespalt zu überwinden und für eine heilig gehaltene Ueberzeugung in die Schranken zu springen. Creuzer ließ sich ähnlich wie Arnim gegen Görres vernehmen; er schrieb ihm, daß er ihn für zu gut halte, sich in das Getriebe der Welthändel zu mischen, die, wie es den Anschein hätte, allenthalben sehr ungöttlich wären. »Mohren werden Sie doch nicht weiß waschen!« Von E. T. A. Hoffmann wird erzählt, er habe politische Blätter nicht gelesen, sich überhaupt um Politik nicht gekümmert; hätte ihm jemand wichtige politische Neuigkeiten erzählen wollen, so hätte er ihn mit den Worten unterbrochen: »lassen Sie das, wir haben etwas Gescheideres zu reden«. Je ereignißreicher die Zeit wurde, desto energischer entfaltete sich, gleichsam in Gegenwirkung, sein Inneres, und während er i. J. 1813 in Dresden seine ersten Novellen dichtete, schrieb er einem Freunde: »In keiner als in dieser düsteren, verhängnißvollen Zeit, wo man seine Existenz von Tag zu Tag fristet und ihrer froh wird, hat mich das Schreiben so angesprochen – es ist, als schlösse sich mir ein wunderbares Reich auf, das, aus meinem Inneren hervorgehend, und sich gestaltend, mich dem Drange des Aeußeren entrückte«. Ganz ähnlich schrieb Goethe im Jahre 1809 an Bettine: »Ich habe mich nun hier in Jena in einen Roman eingesponnen, um weniger von allem Uebel der Zeit ergriffen zu werden«.
Wo es sich nun aber in der Politik um Persönlichkeiten oder um die Nationalität handelt, waren die Romantiker stark, zum Theil mit Leidenschaft betheiligt.
Sie neigten nicht dazu, wie so viele Deutsche, Napoleon zu bewundern; denn er war für sie der Vollender der Revolution, das Princip der Centralisation und des Despotismus. Seine entscheidende Form hat dem romantischen Hasse gegen Napoleon Kleist gegeben; auf das marmorne Bild des »Korsenkaisers« wirft seine schauerliche, in Gluth gehämmerte Sprache ein düsteres Licht. Ihm ist Napoleon nicht ein Feind im gewöhnlichen Sinne, sondern »der böse Geist, der Anfang alles Bösen und das Ende alles Guten, ein Sünder, den anzuklagen die Sprache der Menschen nicht hinreicht und den Engeln einst am jüngsten Tage der Odem vergehen wird, ein der Hölle entstiegener Vatermördergeist, der herumschleicht in dem Tempel der Natur und an allen Säulen rüttelt, auf welchem er gebaut ist«. Auch der Verhaßte wird aus Vereinzelung und Zufälligkeit in's Ewige erhoben.
Mit dem Haß Napoleons war der Frankreichs enge verbunden. Er war gewissermaaßen der böse Dämon, der in den ihm geeigneten Körper gefahren war und von der lüsternen Seele Besitz ergriffen hatte. Im französischen Staatsleben hatte seit Jahrhunderten schon die Centralisation gesiegt, das kahle, dürftige, lebentödtende Princip des Mechanismus, das die Romantik auf allen Gebieten verfolgte. Wie sie Newton bekämpfte als den, der in der Physik und Astronomie an die Stelle des Lebens den Mechanismus gesetzt habe, so Frankreich als den Staat, der durch willkürliche Berechnung und Konstruktion die mannigfaltige Gestaltung organischer Form und lebendige Wechselwirkung ersetzen wollte. Preußen nicht minder war das feindliche Princip in diesem Sinne, der todte Begriff gegenüber der lebendigen Idee, das Bewußte im Gegensatz zum Unbewußten, der naturlose Geist, als Staat im Großen Ganzen die willkürliche Schöpfung einzelner Männer, nicht in ältester Vergangenheit wurzelnd und mit Nothwendigkeit sich entfaltend, also in den Augen der Romantik der Heiligung durch beständiges Theilhaben am göttlichen Urquell entbehrend. Man glaubte nicht, daß Preußen berufen sein könnte, Deutschland an Frankreich zu rächen, aber man wünschte es auch nicht. Schon als die Freiheitskriege im Jahre 1813 begonnen hatten, schrieb Creuzer an Görres, sie wären in Heidelberg durchaus nicht der Meinung, als würden die Preußen viel ausrichten. Daub hätte ihre Begeisterung treffend einen Strohfeuerenthusiasmus genannt, »und wenn sie, was nicht zu erwarten, emergiren könnten, so würde ihre angestammte Hoffart in unerträglichen Hohn und Härte gegen Andere ausarten«. Durch diese Charakterzüge haben die Preußen von jeher alle übrigen deutschen Stämme abgestoßen. Bei allen Reibungen und Neckereien beruht das Verhältniß der Schwaben, Sachsen, Hessen, Franken untereinander auf einem friedlicherem, sichererem Grunde, als das der sämmtlichen deutschen Stämme gegen die Preußen. Die Ursache davon liegt im tiefsten Unbewußten, das den Romantikern heilig war, nämlich in der nationalen Verschiedenheit. Zur Zeit des Wiener Kongresses schrieb Görres im Rheinischen Merkur, die Sachsen und Rheinländer wären verwundert, daß 4/5 deutsche Menschen sich nach dem entferntesten 1/5 nennen sollten, das noch dazu halb slavisch sei.
Die Stammcharaktere, sagt Görres, seien so unverwüstlich wie die Pflanzenarten. Und Pflanzenmenschen waren die Romantiker alle, entweder entwurzelte, heimathlose, oder starke einheimische Gewächse, stolz in ihrer Stammeseigenthümlichkeit ruhend, voll Sinn für die Eigenart anderer Stämme, voll instinktiver, unüberwindlicher Abneigung gegen manche und sich sträubend gegen Verschmelzung selbst mit solchen, die von weitem wohlwollend betrachtet wurden. Durch die Wurzel empfangen sie die Nährkraft der Erde, und je nachdem der Boden, der sie trägt, anders geartet ist, sind sie wie Kinder, die verschiedene Muttermilch gesogen haben. Die Vorliebe für das Stammhafte ist nichts anderes als die für das Unbewußte im Menschen, das Forschen nach den tiefsten Quellen, aus denen sein Wesen zusammengeflossen ist. Daher begannen zur Zeit der Romantik Untersuchungen über die Verbreitung der germanischen und insbesondere der deutschen Stämme; aus Sage und Märchen und Vergleichung und Anschauung der Gegenwart suchte man sich ein Bild ihrer Art zu machen. Görres wollte seine Idee von den Stämmen in einem Buche das Altdeutschland heißen sollte, aber nicht vollendet wurde, darstellen; die Brüder Grimm, Arnim und andere Freunde feuerte er an, ihm mit Beobachtungen, in ihrer Heimath oder auf Reisen gesammelt, zur Hand zu gehen.
Es ist hiernach einleuchtend, daß ein centralisirter Staat wie Frankreich, wo die Stämme oder Provinzen zu Gunsten eines beherrschenden Mittelpunktes unterdrückt und ihre Verschiedenheiten ausgeglichen werden, nicht nach dem Sinne eines romantischen Politikers sein konnte. Die Einheit, die sie wünschten, sollte die Eigenthümlichkeit und bis zu einem gewissen Grade die Selbstständigkeit der einzelnen Theile keineswegs zerstören: der Bundesstaat wie man sieht, schwebte ihnen vor. An seiner Spitze, als Vertreter der Einheit dachten sie sich nicht Preußen, sondern Oesterreich oder denn Beide, Oesterreich aber jedenfalls als Träger der Kaiserkrone. Preußen war ein neuer Begriff, an den man sich kaum gewöhnt hatte, das alte kaiserliche Oesterreich mit Deutschland durch herrliche Erinnerungen verbunden. Nicht nur den Rhein, sondern auch die Donau hatte die Heldensage bekränzt: die Donau hinunter fuhr Chrimhild in's Hunnenland, in der Donau badeten die Meerfrauen und prophezeiten Hagen den Untergang der Burgunder. In dem halbböhmischen Prag hatten die Lützelburger gesessen, die letzten Kaiser der großen Romzüge, und die erste deutsche Universität hatten sie dort gegründet. Das alte Bollwerk gegen die Türken war zugleich Deutschlands Pforte zu den Wundern des Orients, ja, mit Italien dem Lande deutscher Sehnsucht, auf's engste verbunden. Oesterreich war, darf man sagen, innerhalb Deutschlands der Süden und der Orient, wohin der Kompaß der Romantik deutete; das Land des Gesanges, der Phantasie, die üppige Natur.
Es waren nun aber die Führer der Romantik durchaus nicht so parteiisch blind, daß sie Preußens Verdienste verkannt und es etwa ganz aus Deutschland hätten verdrängen mögen. Namentlich durch die Freiheitskriege hatte sich das Land der Ordnung und Beherrschung einen giltigen Titel auf eine leitende Rolle in Deutschland unwidersprechlich erkämpft. »Zwar erkenne ich es als Unglück« sagte Görres, »daß im Reich zwei Mächte stark geworden sind; aber es gehört zur Geschichte.« Widersprach also die Zweitheilung dem monistischen Ideal, so war sie doch bereits durch Ueberlieferung geheiligt, als etwas Gewordenes Entwickeltes zu achten. In der Zeit seiner größten politischen Wirksamkeit stellte Görres das ächt romantische Ideal eines nach dem Vorbild des Sonnensystems gebildeten deutschen Reiches auf: eine Ellipse mit zwei Brennpunkten Preußen und Oesterreich.
Justinus Kerner hat ein Gedicht daraus gemacht:
Kein Körper kann besteh'n mit einem Kopf allein,
Es leget Gott in ihn stets auch ein Herz hinein.
Dem deutschen Körper gab zum Kopfe Gott Berlin,
Als Herz doch legt er Wien, das herzliche in ihn.
Oesterreich sollte sich demnach zu Preußen verhalten wie das Unbewußte zum Bewußten, das Gangliensystem zum Cerebralsystem, die Nacht zum Tage, die Wurzel zum Wipfel. Für unentbehrlich hielt Görres Oesterreich, das mütterliche, den warmen Lebensquell, die bildende Natur; »aber sicher ist die Uebermacht des Geistigen auf Seite Preußens, und der Geist ist's, der in jetziger Zeit zuletzt immer siegreich bleibt«. Es ist das etwa die Auffassung Preußens, die Kleistens Prinzen von Homburg zu Grunde liegt, und das Zugeständniß einer gewissen Obmacht ist darin inbegriffen. Görres liebte die Gothik; der Plan des Kölner Domes mit den zwei Thürmen versinnbildlichte ihm Deutschland wie es hätte werden sollen, der Wiener und der Straßburger mit einem Thurme, wie es geworden war.
Görres Rheinischer Merkur bezeichnet die Blüthe der romantischen Politik. Er war von Geburt Rheinländer; von der Mutter her floß auch italienisches Blut in seinen Adern. Doch war seine Erscheinung durchaus deutsch: groß und kräftig gebaut hatte er goldblondes Haar und goldhelle Augen. Sein Wesen war gesund, naiv, harmonisch, seiner Jugendgeliebten blieb er zeitlebens treu, seinen Kindern war er ein guter Vater, der Freunde nicht so sehr bedürftig, wie von Jüngeren und Schwächeren als Lehrer oder Freund gesucht. Wundervoll charakterisirt ihn das Zeugniß, das ihm auf der Schule ausgestellt wurde: felicissimum ingenium, diligentia ingenio non satis congrua, progressus satis magnus, mores pueriles. Man sieht da den Knaben voll Lebensdrang und Lebensfeuer vor sich, der über die Schulstube hinaus strebt, mit unbewußter Sicherheit den überflüssigen Lernkram beiseite schiebt, dennoch Schritt hält; im Denken reifer als seine Mitschüler, im Wesen aber ein Kind. Als naiver Mensch dachte er nicht über sich nach, sondern lernte sich erst handelnd kennen, und so konnte ihm die große Täuschung mit dem Anschluß an die französische Republik begegnen. Das hatte aber noch andere, einleuchtende Gründe: er kannte die verrotteten Zustände der kirchlichen Fürstenthümer am Rheine aus eigener Anschauung, von der neuen Freiheit in Frankreich hatte er nur seine Ideale, die er sich nach ruhmrednerischen Gerüchten gebildet hatte. Als er nun in Paris mit französischer Art und französischen Einrichtungen in Berührung kam, wurde er sich seiner germanischen Eigenthümlichkeit erst recht bewußt und kehrte als Vorkämpfer einer Wiedererhebung Deutschlands in das Vaterland zurück. Nachdem er von einem Zwischenreich wie das karolingische Lotharingien war, geträumt hatte – schon damals an die alten Ueberlieferungen anknüpfend – ging ihm nun der Gedanke des unabhängigen, einigen Deutschlands auf, den er unerschrocken und unentwegt zu verbreiten suchte. Als die Unabhängigkeit erkämpft war, begründete er den Rheinischen Merkur, der am 23. Juni 1814 zuerst erschien, um als ein freiwilliger Volksvertreter bei der Neugestaltung des deutschen Reiches, die zu erwarten stand, seine Stimme abzugeben. Er allein, dessen Arbeitskraft unerschöpflich war, schrieb dies Blatt, das allgemein als das erste politische Journal angesehen wurde, allerdings unter getreuer Benützung der Briefe, die von Freunden und Gesinnungsgenossen, zu denen die meisten Gebildeten der Zeit zählten, an ihn gerichtet wurden. Zustimmung von allen Seiten ermunterte ihn. »Ich behaupte«, schrieb der Naturforscher Ebel, »daß mit so viel Geist, Witz, Umsicht der Vergangenheit und Gegenwart, mit solcher Kenntniß der Geschichte und ihres wahren Geistes, mit so viel Tiefe, Kraft und heiligem Feuer noch nie ein politisches Blatt in Europa geschrieben wurde«. Dr. Schultze, später ein berühmter Schulmann, schrieb: ihm erscheine der Rheinische Merkur oft wie ein Vesuv, der in die Ecke zwischen Mosel und Rhein von höherer Hand mächtig hingepflanzt sei zum Schutz und Trutz gegen das Franzosenthum. Die Brüder Grimm berichteten, in Hessen, Preußen und sicherlich überall in Deutschland sei jedermann vom Merkur entzückt. Der durchaus unpolitische Clemens Brentano, vermuthlich hingerissen von der stilistischen Kraft und Schönheit, die Görres im Merkur entfaltete, schrieb zwischen Ernst und Scherz: »Liebster bester Görres, es muß anders werden in der Welt, die Politik kann nicht so schlecht sein, daß sie nicht eine Passion für euch kriegte, ihr redet ja wie ein berauschter Liebhaber, die Geschichte muß euch Schäferstunden geben«. Die Macht von Görres Sprache erkannten auch seine Gegner an. Nicht leicht habe jemand erhabener, furchtbarer und teuflischer geschrieben wie Görres, schrieb Gentz an die Rahel, und an Görres selbst, freilich nicht ohne berechnetes Schmeicheln: »Wenn ich gleich oft gegen Sie gemurrt habe, hat doch das Uebergewicht ihres Genies mich ebenso oft wieder mit Ihnen ausgesöhnt«.
Während im allgemeinen politische Schriften schnell veralten, kann man Görres' Aufsätze aus dem Merkur und die darauf folgenden noch heute genießen, die kraftvolle architektonische Schönheit mit der seine Gesinnung ausgedrückt ist, und seine ächt romantische Haltung »über den Polen« bewundern. Es liegt Größe darin, wie Görres um der wesentlichen Ideen willen, die er verfocht, jede innerliche Ungerechtigkeit an Zuneigung oder Abneigung zu unterdrücken wußte. Die Hauptideen waren außer dem Kampfe gegen Frankreich und der Einheit des Ganzen bei Erhaltung der eigenthümlichen Besonderheit im Einzelnen, die Beachtung des Entwickelungsgesetzes durch Anschluß an alte Formen und fortschreitende Weiterbildung derselben. Für die Romantiker war der Staat nicht minder als etwa die Erde ein lebendiger Organismus mit Gliedern, die bis zu einem gewissen Grade ihr selbstständiges Leben haben. Der Staat ist kein Begriff, sondern eine Idee, sagt Baader; der Staat ist ein Naturgewächs, ein Kunstwerk Gottes, Ringseis. Darum sollen, das ist Görres Meinung, uralte Formen in verjüngter Gestalt wieder aufstehen; man solle das Neue vor dem Alten nicht verwerfen, noch auch umgekehrt, Jedes habe seine Zeit und Gelegenheit. Er hält den Norden für zu historisch, den Süden für zu radikal, beide Parteien aber müßten sein – ohne Parteien keine Reibung und Bewegung – beide wären berechtigt und lösten sich auf in einer höheren Einheit. Nicht einmal der Reaktionär Adam Müller war blind gegen die alten Mißstände; von dem »alten Wust« warfen Gentz und Metternich ihm vor, könne kein Jakobiner verächtlicher reden als er. Zunächst betrachtet der Romantiker, wie es nicht anders sein kann, das Zurückliegende, die verlassenen, stets von Offenbarungen volle Formen. »Der Mensch fußt, und Dank sei es seiner guten Natur, mit tiefen Wurzeln in der Vergangenheit seines Daseins«. Und noch einmal Görres: »Wer auf lange Dauer gründen will ein bleibend Dach, muß durch den leichten Schnitt der Außenfläche dringen und unten die ewigen Grundvesten aufsuchen«, die auf dem uralten Gerüste der ersten gesellschaftlichen Verfassungen ruhen. Aus dem vielgliedrigen mittelalterlichen Staatenbunde, mit seinem Reichthum an individuellen Gebilden, seiner Beweglichkeit, Ausdrucksfülle, seiner chaotischen Verwirrung, was alles den Romantikern so sehr zusagte, konnte nach diesen Grundsätzen kein Einheitsstaat, höchstens ein Bundesstaat werden.
Entrüstet über die Selbstsucht der deutschen Fürsten auf dem Wiener Kongreß die, anstatt an das Ganze zu denken, sich auf Kosten Anderer zu vergrößern suchten und dadurch Oberherrschaft zu ertrotzen, schrieb Görres, minder phantastisch als eine solche Hegemonie sei die deutsche Republik, »und näher liegt ein Bundesstaat in der Form des Amerikanischen der Gegenwart«. Ernstlich dachte Görres nie an eine Republik; zu allen Zeiten von einem Kaiser und vielerlei Fürsten beherrscht, wäre Deutschland nicht ohne Willkür in allen Theilen so umzuwandeln gewesen. Da indessen der südliche Pol oder der zweite Brennpunkt, das Volk, zu seinem Rechte kommen sollte – »Fürsten und Völker sind von Gottes Gnaden«, sagte Ringseis, – kam man folgerichtig auf die Form der beschränkten Monarchie. Von der doktrinären Voreingenommenheit für eine bestimmte Staatsform war Görres frei. »Das ist überhaupt der Irrthum in allein, daß man meint, Größe und Kleinheit, Genie und Blödsinn, Tugend und Schlechtigkeit, Großsinnigkeit und Erbärmlichkeit seien stehend und fest an irgend eine irdische Form geknüpft«. Doch mußte sich aus Deutschlands historischer Entwickelung eine bestimmte Verfassung als die beste ergeben, und das schien Görres und andern eine Verbindung von Monarchie und Demokratie zu sein. J. J. Wagner, der größtentheils romantische Ideen aufnahm und verarbeitete, war der Ansicht, daß das überhaupt allgemein gültig sei: »Nach dem Priesterstaate kam die Despotie, die Demokratie war dagegen ein Fortschritt und würde, verbunden mit der Monarchie, in der Neuzeit die Völker zu wahrer organischer Gestaltung führen.«
Dies ist – es versteht sich von selbst – keine Spezialität der Romantiker; die wesentliche Frage ist, in welcher Weise die Volksvertretung gedacht wurde. Gerade hier nun konnten die Romantiker, auch Görres, sich von den mittelalterlichen Formen nicht losmachen: »die ständische Vertretung blieb für sie die einzig zulässige«. Wie die Stämme sahen sie auch die Stände, den Adel oder Wehrstand, den die Geistlichkeit und die Gebildeten überhaupt umfassenden Lehrstand und den ackerbautreibenden Nährstand, als ein Naturgewächs, als eine ewig unveränderliche Art an. Dem Handel und der Industrie sollte, so war wenigstens Görres Meinung, durch eine große Hansa handeltreibender Städte Leben und Wirkung gesichert sein.
Oelsner, der kluge Beobachter der französischen Revolution, hatte eine hohe Meinung von Görres' schriftstellerischer Begabung, meinte aber, seine drei Stände gehörten in's Reich der Nibelungen. Aber ebenso monströs und barbarisch wie ihm solche Antiquitäten, erschien dem Romantiker die moderne Auswalzung des Volkes zu einer gleichartigen Masse. Jakob Grimm äußerte später einmal, er könne keine Partei unbedingt loben noch tadeln, doch mißbehage ihm an den Liberalen ihr pedantisches Streben nach Ausgleichung und Gleichförmigkeit. Die Romantiker konnten auch in der Politik vom künstlerischen Standpunkt nicht ganz absehen, wie es denn Görres zum Beispiel eine Barbarei nannte, ein solches Kunstwerk wie die venezianische Verfassung gewesen sei, zu zerstören. Gliederung der breiten Masse des Volkes verlangte der künstlerische Sinn sowohl wie der naturphilosophische, und zwar natürlich keine schematische, willkürliche, sondern wie sie das bewußtlos plastische Alterthum vorgebildet hatte. Die französische Revolution hatte in den Augen der Romantiker nicht alte Einrichtungen über den Haufen geworfen, sondern Lebewesen in Stücke gerissen, aus denen Blut floß. Man habe damals nicht daran gedacht, meinten sie, daß die Menschheit ein großer Organismus ist, daß ein persönlicher Lebenswille sowohl wie ein organischer Zusammenhang die Geschlechter zusammenhält. In der französischen Revolution, sagt Adam Müller, herrschte der Irrthum, als seien die alten Bräuche und Gesetze Sachen, die man beiseite werfen könnte, als wären die Vorfahren wirklich vermodert und ihre ganze Verlassenschaft bedeute nicht mehr, als was sich auf dem Markt erwuchern und erkaufen lasse. Könnte man wirklich den Menschen als eine Einzelerscheinung abgesondert von Vor- und Nachwelt betrachten, gäbe es eine durchgreifende Grenze zwischen Vater und Sohn, so wäre der erbliche Adel etwas Sinnloses. Nicht nur auf die Geschichte, sondern auch auf die Natur berufen sich die romantischen Politiker: in der Natur sei alles gesondert, gegliedert, körperlich scharf geordnet, ebenso müsse es in der Gesellschaft durch die Stände sein. Görres vergleicht den Bauernstand dem Ernährungsapparat im Organismus, das städtische Leben dem Athmungsapparat; beide ständen sich qualitativ gleich, obwohl letzteres höher gerückt sei.
Gerade der Bauernstand erfreute sich besonders auszeichnender Liebe von Seiten der Romantik. Sie stimmte darin mit der französischen Revolution überein, aber wesentlich verschieden war doch ihre Idee von der Natur und von der Rückkehr zur Natur als die Rousseau's. Hatten auch viele Romantiker, Zacharias Werner, Kleist und andere eine Zeit im Leben, wo sie Bauern werden wollten, so war doch, wenn man das reifliche Denken der Romantik zusammenfaßt, sein Ergebniß, daß man durch Vorwärtsschreiten, nicht durch Zurückgehen wieder zur Natur gelangen müsse, nicht durch Wegwerfen der Errungenschaften der Kultur, sondern durch Vertiefung der Bildung, bis der Punkt erreicht werde, wo die Kultur sich wieder mit der Natur begegne. Man liebte den Bauernstand etwa wie das Kind, als Bild eines naiven und vollkommenen Zustandes, aus dem man ein für alle Mal herausgetreten sei und der doch zugleich als Paradies der Zukunft vor einem liege. So wenig wie man wünschen würde, die Kinder möchten unkindlich werden, wie vielmehr Jedem daran liegt, der Kindheit ihre Naivität zu bewahren, so strebte die romantische Politik danach, die urthümlichen Formen des bäuerlichen Standes festzuhalten. Ringseis, Adam Müller, Baader stimmten für die Erhaltung beziehungsweise Wiedereinführung der Naturalwirthschaft und suchten, soviel an ihnen war, die Ablösung der Zehnten zu hintertreiben. Begünstigten sie damit scheinbar eine Form der mittelalterlichen Hörigkeit, so verbarg sich doch dahinter keineswegs der Wunsch, das Volk in sklavischer Unterwürfigkeit zu erhalten; abgesehen von der Neigung, am historisch Gegebenen festzuhalten, fürchteten sie, die Bauern würden, um die erforderliche Summe aufzubringen, in die Hände von Wucherern gerathen, und überhaupt würde die Geldwirthschaft mit allen ihren verderblichen Formen zunehmen. Interessant, wenn auch höchst wunderlich, ist Wilhelm von Schützen's Versuch, aus Faust's zweitem Theil eine Weissagung über den Untergang des Ackerbaues und dessen Folgen herauszulesen. Schütz hatte in Schlegel's deutschem Museum die Behauptung aufgestellt, daß die römisch-katholische Kirchlichkeit und Lehre sich im christlich abendländischen Ackerbau manifestire, die Dreifeldereintheilung zum Beispiel das Mysterium der Trinität widerspiegele. Würde der Ackerbau dereligionisirt, so müßten alle übrigen Zustände nachfolgen. In einem Gespräch, das Schütz mit Goethe hatte, kam Goethe, wie jener erzählt, auf diesen Gegenstand, billigte Schützens Ansicht und sagte, man würde statt neuer Konstitutionsversuche besser die Frömmigkeit und Unschuld des alten Ackerbaues zu erhalten suchen. Im Faust nun habe Goethe zunächst das Teuflische und Verhängnisvolle der Geldwirthschaft dargestellt, da nämlich, wo die Gnomen, Riesen, Plutus u. s. w. auftreten, die Repräsentanten des Bergbaus und metallurgischen Geschäftes. Von dort stamme der Verlust des Paradieses, unter der Erde wohne der infernale Tod. Es habe eine tiefe Bedeutung, fügt Schütz bei dieser Gelegenheit hinzu, daß Luther Sohn eines Bergmann's gewesen sei. Vollends als wesenloses Nichts, als das rein mephistophelische wird uns das Papiergeld gewiesen, das die Geldwirthschaft zur Blüthe treibt. Ihr ergiebt sich Faust gänzlich, indem er das Symbol des ackerbaulichen Lebens, die friedliche Hütte von Philemon und Baucis, zerstört und sich seinen auf's Meer gerichteten Plänen widmet, die Merkantilismus und Navigation bezwecken, »vielleicht« meint Schütz im Jahre 1844 »Vorahnung von List's aberwitzigem Schmachten nach einer deutschen Marine«. Mit der Entkirchlichung des Lebens – durch Zerstörung des christlichen Ackerbau's – kommen Sorge, Mangel, Schuld, Noth und Faustens Ende.
Im allgemeinen namentlich der Industrie abgeneigt, insofern sie den Ackerbau unterdrückte, waren die romantischen Politiker doch nicht einseitig beschränkt: nur die überhandnehmenden Ansprüche und die ihrer Ansicht nach verkehrten Formen des industriellen Lebens bekämpften sie. So sagt Baader, wenn auch mit dem Steigen des Industriewesens der Pauperismus, der Socialismus und das Bestreben der Arbeiter, sich zu organisiren, zunehmen müsse, solle man deswegen doch nicht den Fortschritten der Industrie Einhalt thun. Seine Meinung war, man müsse gegen die verderblichen Folgen durch Begründung eines vernünftigen Armenwesens aufkommen, woran die Geistlichkeit sich betheiligen solle. Ringseis betonte, daß er nicht die Industrie an sich, nur die gegenwärtige, nicht korporative bekämpfe; diese gegenwärtige freilich sei nicht gemeinnützlich, sondern gemeinschädlich, weil wenige dabei reich und viele dabei arm würden. Er hielt die Auflösung der alten Zünfte für einen verhängnißvollen Irrthum; angeboren, sagte er, sei der Trieb nach eigener Verwaltung, von Gott gegeben der Trieb nach Gesellung. Die Zeit hat ihm Recht gegeben, nur insofern nicht, als der Nothstand bessere, geeignetere Formen hervortreibt, als die alten, durch vielen Mißbrauch entstellten gewesen wären. Damals wurde die Vorliebe für das Zunftwesen als Symptom des mittelalterlichen Aberglaubens verlacht, ja mitsammt den anderen Meinungäußerungen als illiberale Bosheit und Schmeichelei der Großen gebrandmarkt.
Ringseis, dem Ritter ohne Furcht und Tadel, lag Kriecherei oder Berechnung fern: er verfocht jederzeit unentwegt seine eigenste Meinung und scheute die wüthenden Ausfälle der Liberalen so wenig wie die Ungnade der Fürsten. Als die Universitäten in den Verdacht kamen, den Geist des Aufruhrs in der Jugend großgezogen zu haben, vertrat er muthig in akademischer Rede das Recht der freien Forschung. Würden die Regierungen, sagte er, die Freiheit der Universitäten vernichten, so hieße das den jakobinischen Forderungen von Aufhebung des Königthums und Adels Recht geben, und das gälte selbst in dem Falle, daß die Universitäten wirklich einige Schuld an dem revolutionären Geiste der Zeit trügen.
Wie wäre es überhaupt denkbar, daß die Romantiker die das Unbewußte eigentlich entdeckt hatten und es liebten, die Liebhaber des Volksliedes und alles Volksthümlichen, eine volksfeindliche Gesinnung gehabt hätten? »Ich habe von Jugend auf,« sagt Justinus Kerner, »unter dem Volke und für das Volk gelebt« hinzufügend: »aber nie um seine Gunst, wie nie um die eines Fürsten gebettelt«. Ebenso volksthümliche Männer waren Ringseis, Görres, Brentano, die Brüder Grimm, die alten Schäfern und Bäuerinnen ihre Märchen ablauschten.
Bis zu den 20er Jahren athmeten Kerners Gedichte, wenn sie Politisches berührten, durchaus liberale Gesinnung. Rückwärts, sagt er da in einem »Vorwärts« betitelten Liede, wäre eine Weise aus irrem und krankem Herzen. Bürgerssöhne und Ritterskinder wären im Gefechte Brüder geworden, ihr Blut mit gleicher Ehre in einem Strome vergossen, jetzt dürfe man nicht rufen, der eine sei mehr, der andere minder nach altem Recht.
Vorwärts! Vorwärts! weiter! weiter
Ueber Trümmer ewig todt.
Weh', o Bürgerfahne, heiter
In das frische Morgenroth
Was für unüberwindlicher Freiheitsdrang in dem wundervollen Weinliede, das wie ein dunkelrother Strahl aus krystallenem Becken aufschießt:
Laßt uns heut mit Geistern ringen;
Blickt der Alte noch so klar,
Bringet jetzt den Neuen dar,
Der dem Kerker will entspringen!
· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·
Füllet muthig bis zum Rande
Den Pokal mit seiner Gluth!
Stoßet an! Dem Jugendblut
Heil im weiten deutschen Lande!
Ach! es liegt erstarrt, veraltet,
Mancher Völker großes Herz,
Jugendwärme, Lust und Scherz
Sind in ihrer Brust erkaltet.
Laßt der Jugend warmes Leben
Strömen euch in's Herz hinein,
Trinkt in Lust den neuen Wein,
Den der neue Stern gegeben.
Von E. T. A. Hoffmann erzählt ein Freund, er habe sich gern mit Bauern, Handwerkern, überhaupt Leuten niederen Standes unterhalten, aber sie hätten müssen in den Grenzen ihrer Stellung bleiben, sich nicht geltend machen wollen. Man findet nicht selten, daß konservative und reaktionäre Menschen, die Sinn für den Reiz des Volksthümlichen haben, besser mit dem Volke umzugehen wissen, als die von Partei wegen Volksfreunde sind. Ein Romantiker würde es so thöricht und unbegreiflich finden, einen typischen Mann des Volkes aus seinem Kreise zu heben, wie ein Volkslied in ein Sonett umzuwandeln. Welche Ansicht die richtige und für das Allgemeinwohl förderlichste sei, die Frage soll hier nicht berührt, nur festgestellt werden, daß ein Romantiker etwa gegen das allgemeine Wahlrecht oder gegen die parlamentarische Volksvertretung stimmen und doch ein warmes Herz und eingehenden Sinn für das Volk haben kann. Mit besonderer Lust schildert Hoffmann den Meister Johannes Wacht, den Zimmermann und Sohn eines verarmten Drechslers – denn »nicht die Paläste der Großen, nicht fürstliche Prunkgemächer wählt die Mutter des Lebens für ihre Lieblinge« – oder den Küfermeister Martin und seine frommen, treuen Gesellen, die ein stolzes Genügen in ihrer zunftgemäßen Arbeit finden und sich in ihrer Art vor keinem Könige schämen. Man liebte darum die mittelalterliche Gesellschaft, weil sie aus vielen einzelnen Kreisen bestand, die zusammen ein reiches Farbenbild gaben, und die so kräftig und blühend sein konnten, weil (was im allgemeinen vorausgesetzt wurde) jeder einzelne Angehörige sie mit ganzer Seele erfüllte.
Durchaus unrichtig ist, was man wohl in Literaturgeschichten lesen kann, daß die romantische Richtung »mit politischem und kirchlichen Obscurantismus« nothwendig verbunden sei. Befaßte sich der deutsche Romantiker überhaupt mit den äußeren Angelegenheiten, so gehörte er – bis ihn etwa die Ereignisse oder innerliches Erlahmen abdrängten zum Extremen – keiner Partei an, sondern hielt sich »über den Polen«. Man hat sich darüber lustig gemacht, daß Viktor Hugo nacheinander Bonapartist, Liberaler, Republikaner, Socialist war; es beweist immerhin, daß sich die Romantik mit den verschiedensten politischen Richtungen verträgt. Savigny wollte im Jahre 1802 ein unschuldiges Blatt gründen »parteilos und unpolemisch«; doch knüpft die romantische Reaktion gerade an Savigny und seine Schule, die der radikalen Idealpolitik der Revolution die Achtung vor dem Bestehenden als dem nothwendigen Ergebniß vorangegangener Entwickelungen entgegensetzte. Justinus Kerner vergleicht in einem Gedicht die Radikalen mit verrückten Horden, die an einem blühenden Baum Feuer legen, damit er desto schneller Früchte trage. Unvorbereitete Zustände gewaltsam aus dem Boden stampfen zu wollen, das erscheine lächerlich und verderblich; im Parteikampfe erwuchs dieser antirevolutionären Richtung bald ein äußerstes, das auf das altherkömmliche sich steifend jede auch die berechtigste Weiterentwickelung zu hintertreiben suchte.
Den Gegnern der Romantiker ganz besonders zuwider war, daß sie die Politik nicht von der Religion trennen wollten. Es gehört zu ihren wesentlichen Ideen, daß die Religion die Grundlage – oder Spitze – der Wissenschaft, der Kunst und des staatlichen Lebens sei: auch in dieser Beziehung mußte ihnen das Mittelalter mit seiner engen Verknüpfung von Staat und Kirche, Kaiser und Papst, die sich wirklich wie zwei Brennpunkte der Menschheit verhielten, ein Ideal sein. Aber was Adam Müller von den Jesuiten sagte, sie hätten untergehen müssen, weil sie zuviel Weltliches und Heidnisches anerkannt hätten, so erging es jetzt der Religion bei Berührung mit dem Staate, der stärker war als sie und sie nur gebrauchen wollte. Die Verquickung gemeiner politischer Berechnung mit religiösen Floskeln, wie sie in der heiligen Allianz zum Ausdruck kam, konnte nur der Eindruck widerlicher Heuchelei und den Einfluß der Romantik verhaßt und lächerlich machen. Gleichwohl kann man den Romantikern im Grunde keinen Vorwurf machen, als daß sie nicht voraussahen, daß die eigentlichen Politikmacher und Gewalthaber sich das, was sie ehrlich meinten, nur für höchst selbstsüchtige Zwecke zu nutze machen würden. In ihren Augen war »Recht thun und Gerechtigkeit üben die einzig wahre Politik,« der Staat eine Pflanzschule der Humanität, weder dazu da, um auf der einen Seite Freiheit, noch um auf der anderen Macht zu gewährleisten, Ansichten, die denen der Fürsten und Minister ganz und garnicht entsprachen und von denen sie sich nur aneigneten, was ihre Reaktionspolitik theoretisch stützen konnte. Einen Einblick in das wunderliche Verhältniß zwischen Staatsmänner und Romantiker bekommt man, wenn man den Briefwechsel von Gentz und Adam Müller liest, dem mit allem seinem süßlich adligen Christenthum eine strenge Folgerichtigkeit in seinem politischen Gedankengebäude doch nicht abzusprechen ist. Forderte er auf der einen Seite Unterordnung, so forderte er nicht minder auf der anderen Seite die Uneigennützigkeit und Unanfechtbarkeit, zu der das Recht des Regierens verpflichtet. Metternich und Gentz fühlten sich und ihresgleichen dem Maaßstab, den er an die Spitzen des Staates anlegte, so wenig gewachsen, daß sie sich fragten, ob der zu ihrer Hilfe und Rechtfertigung bestellte Theoretiker sie zum Besten habe und ihn ernstlich erinnerten, es sei ihnen nicht mit Bundesgenossen gedient, »die dem Feinde die glänzendsten Waffen gegen sie liehen«. Der um 1764 gebotene Gentz verstand die gegen die Regierungen gerichteten Ideen der französischen Revolution weit besser als die den Regierungen freundlichen religiös politischen des Zeitalters der Romantik.
Mit den Zuständen, die die Reaktion herbeiführte, konnten die Romantiker sich ebensowenig einverstanden erklären wie mit denen, die eine nivellirende Revolution wollte, und thaten sie es doch, so war es Refiguration der Alternden und Kampfesmüden
E. T. A. Hoffmann wurde zum Mitglied der Immediatkommission ernannt, welche zur Zeit der beginnenden Reaktion zur Untersuchung der sogenannten demagogischen Umtriebe eingesetzt worden war. Er bezeichnete das, was sich nur vor seinen Augen enthüllte, als ein »Gewebe heilloser Willkür, frecher Nichtachtung aller Gesetze, persönlicher Animosität«. Diese Auffassung bekundete er auf das unerschrockenste, da ihm der Prozeß gegen den Turnvater Jahn übertragen wurde, indem er in dem Gutachten, das er dem Justizminister einreichte, Jahn der Schuld zu entlasten und den Denuncianten vielmehr als einen unzuverlässigen unmoralischen Menschen hinzustellen suchte. Als Jahn seinerseits gegen Kamptz klagbar wurde, übernahm Hoffmann die Führung seiner Sache und scheute nicht davor zurück, durch die unbeugsame Rechtlichkeit, mit der er den Turnvater vertrat, die allerhöchste Ungnade auf sich zu ziehen. Erbittert darüber, daß der König, um Kamptz zu schützen, eine krasse Rechtsverletzung beging und Jahn's Klage durch Machtspruch abwies, machte er die ganze Demagogenhetze in einer Märchennovelle »Meister Floh« lächerlich, die freilich in dieser Gestalt niemals veröffentlicht wurde. Nur die eifrig für ihn eintretenden Freunde bewahrten ihn vor höchst peinlichen Folgen seines kühnen Witzes; denn dem Könige war bereits der Antrag unterbreitet, Hoffmann zur Strafe nach Insterburg zu versetzen und ihm weitere schriftstellerische Thätigkeit zu untersagen.
Sehr bezeichnend ist die Wandlung, die mit Jakob Grimm vor sich ging, einem Manne, der sich wie wenige die Jugend des Geistes bewahrte. Hatte er im Jahre 1837 bekannt, daß er kein Parteimann sei, nie aus der Vergangenheit Waffen entlehnt habe, um die Gegenwart zu bekämpfen, die Gegenwart hochhalte und den Nutzen konstitutioneller Einrichtungen einsehe, aber doch kein Liberaler sei, so that er 1851, als die Reaktion zur Blüthe kam, den merkwürdigen Ausspruch: »Es ist an gar keine Rettung zu denken, wenn sie nicht durch große Gefahren und Umwälzungen herbeigeführt wird. Es kann nur durch rücksichtslose Gewalt geholfen werden. Je älter ich werde, desto demokratischer gesinnt bin ich. Käme ich nochmals in eine Nationalversammlung; ich würde vielmehr mit Uhland stimmen«. Hier sieht man die natürliche Neigung des Romantikers »über den Polen« zu bleiben, sich nach rechts zu neigen, wenn der Schwerpunkt nach links, umgekehrt nach links hinüberzugehen, wenn er nach rechts verrückt wird.
In allen Fragen ist es so: hatten die Romantiker im Allgemeinen das Recht der Stämme und Nationalitäten vertreten, so rief doch Ringseis warnend, sowie sich das gefährliche, kulturfeindliche dieser Richtung zeigte: »Lassen wir uns nicht vom Nationalitäts-Teufel umgarnen! Was würde in Zukunft geschehen, wenn die Nationen sich isoliren!«
Dasselbe kann man bei den kirchlichen Dingen beobachten: Görres wollte, daß die Kirche dem Staate beigeordnet, nicht übergeordnet sei, und innerhalb der Kirche waren weder er noch zum Beispiel Baader für eine Zunahme der päpstlichen Autorität, wohin die eingeschlagene und von ihnen selbst getragene Richtung schließlich führte.
Im Jahre 1848 hatte Justinus Kerner nur Abneigung und Spott gegen die Jungen und Rothen mit ihren Schlagworten von der »breitesten Unterlage«, »Volkssouveränität« und »Sondergelüsten«; aber zwei Jahre später klingt sein Lied in viel ernsterer Klage: daß Schießen und Henken den Siegern nicht hilft, weil Liebe, Glaube, Treue hier wie dort fehlt, daß Gott den Gefallenen Reue senden möge, denen aber, die aufrecht stehen – und das ist gesperrt gedruckt – Demuth. Mit bitterem Grame wendet er sich völlig vom Treiben der Welt ab und gräbt sich sehnsüchtig in die geliebte Mutter Erde hinein, die durch »Einseitigkeit und Engherzigkeit« der Menschen leiden muß.
Vollends ein Beispiel demokratischer und feurig nach außen gekehrter Romantik haben wir nun aber in Bettine, die als Kind schon, der ängstlichen Warnung ihres Bruders zum Trotz, sich für Mirabeau und die französische Revolution begeisterte. Zunächst kam es ihr wesentlich auf das Heldische überhaupt an: wer für seine Idee kämpfte, sei es Königsthum oder Freiheit, erregte ihre Theilnahme. Zur Zeit der Tiroler Freiheitskämpfe erhob sie sich bewußt gegen das thatenscheue, vornehme Sichinsichselbstzurückziehen, welches die Art und zum Theil auch der Grundsatz ihrer Umgebung war. Den angebeteten Goethe selbst und seine olympische Ruhe tadelt sie nicht minder scharf, als späterhin das junge Deutschland that. Hatten die ersten Romantiker Wilhelm Meister als das Ideal des Romans angerufen, so entrüstete sich Bettine über die darin geschilderte Welt von marklosen Schwärmern und nichtsnutzigen Komödianten. »Komm,« sagt sie zu dem schwächlichen Helden, »flüchte dich mit mir jenseits der Alpen zu den Tirolern, dort wollen wir unser Schwert wetzen und das Lumpenpack von Komödianten vergessen, und alle deine Liebsten müssen dann mit ihren Prätensionen und höheren Gefühlen eine Weile darben … Ja, wenn etwas noch aus dir werden soll, so mußt du deinen Enthusiasmus an den Krieg setzen … die Melancholie erfaßt dich, weil keine Welt da ist, in der du handeln kannst … O es ist eine himmlische Wohlthat Gottes, an der wir alle gesunden könnten, eine solche Revolution: er läßt abermals und abermals die Seele der Freiheit wieder neugeboren werden«. In demselben Sinne redet sie den »kapriziösen Liebhaber der Wissenschaften und Künste,« den jungen Rumohr an, während er auf einem Spaziergang nach dem Dörfchen Harlachingen bei München unter einer frühlingsgrünen Pappel eingeschlafen ist: »Wie kommt's, daß du ein so großes Erbarmen hast und freundlich bist mit allen Thieren und nicht dich kümmerst um das gewaltige Geschick jenes Bergvolks? Vor wenig Wochen, wie das Eis brach und der Fluß überschwoll, da setztest du alles daran, eine Katze aus der Wassernoth zu retten. Vorgestern hast du einem todtgeschlagenen Hund, der am Wege lag, mit eigenen Händen eine Grube gemacht und mit Erde bedeckt, obschon du in seidenen Strümpfen warst und einen Claque in Händen hattest. Warum gefällt dir's nicht, deine Langeweile, deine melancholische Laune zu verkaufen um einen Stutzen, du bist so leicht und schlank wie eine Birke, du könntest Sätze thun über Abgründe, von einem Fels zum andern, aber faul bist du und furchtbar krank an Neutralität … Was geht dem Edelmann das Schicksal derer an, denen keine Strapaze zu hart, kein Marsch zu weit ist, die nur fragen: wo ist der Feind? Dran, dran für Gott, unsern lieben Kaiser und Vaterland«.
Eine Reihe der jüngsten Romantiker theilten diese romantische Kriegsbegeisterung und machten sie zur That: Fouqué, Eichendorff, Philipp Veit kämpften in den Freiheitskriegen und pflegten das Ideal des ritterlichen Sängers. Dies ließ sich nun freilich mit reaktionären Ideen sehr wohl vereinigen, wie denn auch die Genannten den späteren revolutionären Bewegungen feindlich gegenüberstanden. Anders Bettine: das Mitleid für die Nothleidenden, das sich bei ihr von klein auf als Energie, als Wille zu helfen zeigte, bildete in ihr socialpolitische Ideen aus, in denen sie sich weit mehr mit den Freunden der Revolution als mit den Vertretern der romantischen Reaktion begegnete. Weder die Ausschreitungen der Revolution noch der Unwille ihr nahestehender Personen, wie zum Beispiel ihres Schwagers Savigny, vermochten sie in ihren Ueberzeugungen irre zu machen. Entgegen den übrigen Romantikern hielt sie sich in dieser Hinsicht an das Sein, anstatt wie jene es aus dem Werden zu erklären und dadurch gewissermaßen als geheiligt anzusehen; sie stellte sich allemal auf die Seite der Unterdrückten und Elenden und forderte Verbesserung vorhandener Schäden unbedingt
Hier hat einmal die Mischung von Germanischem und Romanischem die merkwürdige Erscheinung eines zugleich nach innen lebenden und stark nach außen gerichteten Sinnes erzeugt. Es ist interessant, gerade an der Bettine, die als einer der bekanntesten typischen Vertreter der Romantik angesehen wird, zu beobachten, wie die Romantik sich mit ihrem Gegensatz verbindet, über sich hinausgeht. Vielmehr: es erhellt wieder, wie es das Ideal der Romantik war, alles zu umfassen, Nordpol und Südpol, Innen und Außen, Historisch und Radikal, und während es im Allgemeinen ihr Schicksal ist, höchst einseitig in die Vergangenheit zurückzusinken, ranken sich aus ihrem Absterben einzelne Ranken nach außen und verbinden sie von neuem mit der Zukunft.
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