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Neue Wissenschaften.

Die Ueberzeugung, daß alles Aeußere Symbol eines Inneren sei, führte die Romantiker unmittelbar zur Physiognomik, das heißt zu der Wissenschaft von der seelischen Bedeutung der Körperformen, insbesondere natürlich der menschlichen.

Diejenigen welche annahmen, daß der Geist sich den Körper baue, folgerten daraus, daß man die allgemeinen Gesetze und Verhältnisse des Geistes auf den Organismus müsse anwenden können. Die andern, welche von keinem Primat des Geistes wissen wollten, sondern an einen Parallelismus von Geist und Körper glaubten, zogen aus der Thatsache, daß das, was von der einen Seite Geist, von der andern Körper ist, das Ergebniß, es müsse sich vom einen auf das andere schließen lassen.

An der Möglichkeit, aus dem Aeußern das Innere zu deuten, wird nirgend gezweifelt; es finden sich Zeugnisse dafür bei Ennemoser, Görres, Volk, dem Verfasser des Buches über die ekstatischen Jungfrauen in Tirol, Troxler und anderen. Ennemoser äußert sich folgendermaaßen: »Wie alle Form eine Vergeistigung des räumlichen Stoffes darstellt, so wird auch die leibliche Form, in der sich der Vernunftgeist des Menschen offenbart, durch einen eigenthümlichen Charakter sich auszeichnen, und die Kenntniß dieser Form führt daher direkt auf die Erkenntniß des Geistes, oder umgekehrt: wer den Geist kennt, wird ihn in der Form wiederfinden. Die Kenntniß der Form ist die Physiognomik.«

Entsprechend der doppelten Möglichkeit des Schließens von der Form auf den Geist und vom Geiste auf die Form, wird denn auch ein zweifacher Weg in der Physiognomik eingeschlagen, ein metaphysischer und physiologischer. Die metaphysische Untersuchung nimmt die Dreieinigkeit als Maaß an und legt dies an den menschlichen Leib, wie es Malfatti in seiner »Architektonik des menschlichen Organismus« thut. Die elliptische oder die Kreisform, die mehr oder weniger den Organen zu Grunde liegt, drückt etwas Geistiges aus und enthüllt dem für die feinen Abweichungen der Form empfindlichen Auge Geheimnisse der Seele. Theilt Malfatti den Menschenkörper in drei Gruppen: das Kopf-Ei mit den Satelliten Auge und Ohr, das Brust-Ei mit den Satelliten Lunge und Niere, das Bauch-Ei mit den Satelliten Leber und Milz, so weiß derjenige, dem die romantische Anschauungsweise vertraut ist, daß diese Dreieinigkeit der von Geist, Seele und Leib oder der von Sensibilität, Animalität und Vegetation oder der von Mannheit, Jugend und Embryoleben oder der von Actio, Functio und Factio entspricht, und entnimmt daraus, was jedes der Organe im Allgemeinen an seiner Stelle auszudrücken und in welchem Verhältniß es zum andern zu stehen hat. Hierzu tritt nun die vergleichende Methode Oken's, der das Antlitz die Wiederholung des ganzen Körpers in seiner höheren Region – denn der Kopf ist der eigentliche Aetherleib – nannte. Die Stirn wiederholt den Kopf beziehungsweise das Gehirn, die Nase, gebildet durch die Einmündung der Lunge, die Brust, der Mund, gebildet durch die Einmündung des Darmes, den Bauch, die Kiefer, da sie eigentlich Glieder sind, die Extremitäten: indem sich so das Wesen der Organe, das was sie sind, offenbart, offenbart sich zugleich unmittelbar, was sie bedeuten. Auch der Kopf unterliegt wie der ganze Körper dem Maaß der Dreieinigkeit. »Einheit und Theilung in Zweiheit und Wiedervereinigung in der Dreiheit ist in der Gesichtsform auf wundervolle Weise enthalten« sagt Ennemoser. Es leuchtet von selbst ein, von welcher Bedeutung für die Art des Menschen gute oder mißliche Verhältnisse zwischen den beiden Theilen des Gesichtes und das Verhältniß der Nase sind, welche gewissermaaßen der Mittler – der Ternar – zwischen ihnen ist. Dennoch ist es sicher, daß solche Andeutungen noch kein wissenschaftliches System der Physiognomik bedeuten können, da dem Verständniß oder sagen wir der Eingebung des Auslegenden ein allzugroßer Spielraum gegeben ist. Es ist aber gleichwohl aus dem Umkreise der Romantik ein meisterhaftes und das erste wissenschaftliche Werk über diesen Gegenstand hervorgegangen: Symbolik der menschlichen Gestalt von Carus, im Jahre 1853 erschienen.

Carus gewinnt seine psychologischen Ergebnisse, indem er sich in die Physiologie jedes Organs versenkt, wobei ihm seine bedeutenden anatomischen und morphologischen Kenntnisse zu Statten kamen. Vielfach sich an Oken anschließend geht er doch weniger sprunghaft, mit weiserem und strengerem Tiefsinn vor. Analogieen, die sich nicht physiologisch begründen lassen, vermeidet er, überhaupt schließt er das Sinnbild aus, »um den Sinn und die Bedeutung in der Natur an und für sich selbst zu erfassen.« Lavater's Anregungen schätzt er außerordentlich und läßt es sich häufig angelegen sein, desselben geistreiche Entdeckungen zu begründen, doch war er sich bewußt, daß sich durch ihn die Physiognomik zu einer Wissenschaft erhöhen werde. Daß freilich der Physiognomiker – wie nach romantischer Auffassung der Arzt – mit aller Wissenschaft unvollkommen arbeiten müsse, wenn er nicht auch Künstler sei und sein systematisches Erforschen durch seherischen Blick unterstützen könne, betont er ausdrücklich. Ob er selbst Divinationsgabe oder Gewalt über die Menschenseele in so hohem Grade besaß wie Lavater, ist zu bezweifeln; jedenfalls hatte er Menschenkenntniß und wissenschaftlichen, insbesondere naturwissenschaftlichen Sinn, dessen Fehlen Lavater's Werk trotz seiner Verwandtschaft mit romantischen Bestrebungen im Ganzen doch zu einem unromantischen macht.

Ein gewisser Scharfblick war auch dem bekannten Phrenologen Gall nicht abzusprechen, doch trübte er ihn durch eine haltlose Theorie; gerade wo Carus ihm entgegentritt, erhellt die wissenschaftliche Reinheit und Tiefe seiner eigenen Methode am schönsten. Als ein Beispiel führe ich an, wie Carus bei Gelegenheit der Schädellehre die Schwellungen der Stirn erklärt, welche die Augen von oben umgeben, an welche Stelle Gall den Orts-, Farben- und Zahlensinn verlegte. Carus erkannte darin das richtige Gefühl an, daß an dem hervorspringenden Knochenrande der Augenhöhlen Eigenschaften zu suchen sein müßten, welche sich auf den Gesichtssinn beziehen; denn auch aus der Vergleichung verschiedener Thiere, die Carus immer zuerst vornahm, um sich an diesen einfacheren Organismen zu orientiren, ergab sich, daß diejenigen, die sich durch Anschwellung der unteren Stirngegend auszeichnen, mit besonderer Sehschärfe begabt sind und umgekehrt, wie zum Beispiel die Raubvögel gegenüber den Maulwürfen oder, in einer und derselben Thierklasse die Gemsen gegenüber den Schafen. In Bezug auf die Menschen fand Carus die fragliche Schwellung weit mehr bei den Stämmen des Westens, den Indianern, als bei den östlichen Völkern, zum Beispiel den Chinesen, die an dieser Stelle eher flach gebildet sind, und bei Betrachtung der verschiedenen Art und Lebensweise dieser Völker wird man das dem vorhergehenden ganz entsprechend finden. Trotzdem hielt es Carus nicht für erlaubt, jedem Individuum mit vorspringendem Orbitalrande daraufhin Sehschärfe und daraus entspringende geistige Eigenschaften – geschweige denn Farben-, Orts- und Zahlensinn – zuzuschreiben. Nur das, meinte er, könne dadurch angezeigt werden, daß die betreffende seelische Individualität vorzüglich durch den Sinn des Gesichtes bestimmt, »mehr gegen die Welt des Lichtes als gegen die Welt der Töne organisirt« wäre. Es ist darin bereits etwas anderes angedeutet: Carus erinnerte sich, bei Malern, – er erwähnt seinen berühmten Zeitgenossen Friedrich – vielfach tiefliegende, durch vorspringende Augenhöhlenränder beschützte Augen beobachtet zu haben, während ein vorspringendes Auge eher bei Dichtern und Musikern gefunden wird. Auch Gall hatte, in Uebereinstimmung mit der Volksmeinung, den Menschen mit vorspringendem Auge starkes Gedächtniß, Sinn für Sprache und Ton zugeschrieben, ohne aber eine annehmbare Erklärung beizubringen. Diese liegt einfach darin, wie Carus schön ausführt, daß, wer nicht gegen die Welt des Lichtes organisirt ist, – was durch tiefliegende Augen angezeigt wäre – naturgemäß mehr durch die Welt der Töne beeinflußt sein wird. Das hervorgedrängte Auge – gleichsam in's Aeußere sich verlierend – gebe an sich schon, sagt Carus, den Ausdruck eines aufhorchenden Menschen, der keinen Gegenstand besonders fixirt, während einer, der scharf sehen will, das Auge unwillkürlich zurückzieht und womöglich noch mit der Hand beschattet. Käme zum vorstehenden Auge eine Schwellung des Schädels gegen den Gehörsinn hinzu, so hätten wir das ausgesprochene Symbol einer vorzüglich in der Tonwelt lebenden Seele.

Was für die organischen Formen wird auch für die organischen Funktionen gelten: die physiologischen Vorgänge haben eine psychologische Seite und umgekehrt, und können nicht von einander getrennt werden, und es müßte demnach aus den beiden Wissenschaften Physiologie und Psychologie eine einzige, die Physio-Psychologie werden.

»Kein Wunder«, so sagt Malfatti in seinen Studien über Anarchie und Hierarchie des Wissens »daß bei der gegenwärtigen Trennung die Psychologie von der Physiologie verlassen, sich oft im Denken entleibte, sowie die Physiologie von der Psychologie getrennt sich ebenso oft in Leiben entseelte.« Die Forderung einer Psycho-Physiologie lag zu sehr in der Naturphilosophie inbegriffen, deren Aufgabe es ja war, »die Gleichheit der Naturerscheinungen mit den Geisteserscheinungen aufzudecken«, als daß sie nicht von allen ihren Anhängern erfaßt und ausgesprochen hätte werden müssen. Derjenige der wirklich einige Grundlinien der neuen Wissenschaft zog, war wiederum Carus. In seinen beiden Werken Psyche und Physis hält er streng die Einheit der Seele fest, als welcher nicht nur das Erkennen, sondern auch das Bilden und Ernähren zufalle. Daraus aber, daß alle Lebenserscheinungen eine gemeinsame Grundlage haben, folgt, daß jede physiologische Thatsache Bedeutung für die Psychologie haben muß und umgekehrt. Als Grundsatz der Psychologie stellte er auf, daß der Schlüssel zum bewußten Seelenleben im unbewußten liege, insofern als das bewußte aus dem unbewußten sich entwickele. Das Getheiltsein des Menschen in bewußtes und unbewußtes Seelenleben, welches in ein gegensätzliches Verhältniß zu einander trete, sodaß der Unbewußte zusammenschrumpfe, je mehr das Bewußte sich ausbreite, habe den Irrthum eines Getheiltseins in Leib und Seele erzeugt, und der Umstand, daß der bewußten Seele fortwährend aus den unbewußten Seelenprovinzen Gefühle zugehen, und daß der Mensch durch die unbewußte Seele mit dem Allgemeinen zusammenhänge, veranlasse die Täuschung, als sei der Geist vom Leibe abhängig. Eigentlich dürfe man beispielsweise nicht sagen: gewisse Vorgänge in der Galle machen zornig, sondern: die Gallenabsonderung ist, was im bewußten Leben der Zorn ist. Oder es sei nicht richtig zu sagen, Aerger und Aufregung der stillenden Mutter verderbe ihre Milch, da es vielmehr so sei, daß was sich im bewußten Leben als Aerger, im unbewußten als Verderbniß der Milch äußere. Carus vermißte in unserer Sprache Ausdrücke für das unbewußte Seelenleben, wie man denn das Wort Willen füglich nur auf den bewußten anwenden kann, und um den unbewußten zu bezeichnen Umschreibungen gebrauchen muß. Es scheint, als wäre es von solchen Einsichten aus nur noch ein Schritt gewesen zu dem Gesetz der Schwelle, das Fechner aufstellte, daß die unbewußten Prozesse eine gewisse Stärke erreicht haben müßten, um bewußt zu werden; allein Carus befaßte sich nicht damit, über die Beziehung zwischen Unbewußten und Bewußten im Einzelnen Versuche zu machen und hat überhaupt, wie schon gesagt, nicht mehr gethan, als das allgemeine Bild einer Psycho-Physiologie entworfen. Seine Wissenschaft blieb stets entweder Physiologie oder Psychologie. Bedenkt man aber, wie reich und lebensvoll seine Seelenentwickelungslehre gegenüber der alten Begriffspsychologie war, so muß man wohl Oken Recht geben, welcher sagte, mit Carus' Psyche sei der Embryo der Psychologie zur Welt gekommen, einer Psychologie, das will eben doch der Naturphilosoph damit sagen, die nur im Zusammenhange mit der Physiologie gedacht werden kann.

In immer weiteren Kreisen sehen wir die Einführung der Naturwissenschaften in die Geisteswissenschaften. Ueberall spüren wir als Grundlage die Ueberzeugung, daß die Physik, nach einem Ausdruck von Windischmann, zu Gott führen müsse; die Anwendung physiologischer, überhaupt naturwissenschaftlicher Thatsachen auf religiöse Fragen war ein Hauptzug von Baader's Methode. »Wie werden Sie und mehrere sich freuen über den lebendigen Zusammenhang der Religion und Physik« schrieb er gelegentlich einem Freunde, und wiederum, es sei kaum zu glauben, welches Licht die Anwendung der Physiologie auf die Religionswahrheiten gebe, »und wer die Physiologie im allgemeinsten Sinne des Wortes darstellte, würde, ohne es zu wissen, eine Begründung unserer Religion geben.« In einer Schrift über das Opfer wies er den physisch-psychischen Grund der Augurien beim Schlachten der Thiere nach. Ein ander Mal meldet er einem Freunde feierlich, es sei ihm gelungen, das selige Geheimniß der Menschwerdung Gottes und Gottwerdung des Menschen an dem Wachsthum der Pflanzen als Erdwerdung der Sonne und Sonnenwerdung der Erde zu illustriren. Auch der von den Romantikern verehrte Philosoph St. Martin hatte beklagt, daß er nicht genug Kenntnisse in den Naturwissenschaften besäße, »pour viriliser sa doctrine religieuse et morale.«

Als Passavant der Arzt einen Versuch zur wissenschaftlichen Begründung der katholischen Lehre unternahm, ermahnte ihn Diepenbrock, der nachmalige Kardinal, mit dem er darüber brieflich verhandelte, die tiefsten, dunkelsten Punkte mit dem Sonnenmikroskop der Naturwissenschaften zu beleuchten, das Dogma von der stellvertretenden Genugthuung durch Christi Opfertod zum Beispiel physiologisch, psychologisch und philosophisch zu erörtern. Diepenbrock selbst machte den Versuch, dem Sinn der Tauflehre dadurch auf die Spur zu kommen, daß er daran erinnerte, wie der Mensch aus dem unreinen Wasser des Mutterleibes hervorgegangen sei, weswegen bei der Wiedergeburt das Symbol des aus dem Wasser erzeugten Lebens nicht fehlen dürfe.

Im Bezug auf Görres' Mythengeschichte der asiatischen Welt schrieb ihm Creuzer, daß ihm diejenigen Stellen am besten gefielen, wo er die Wurzeln des Mythus durch Physiologie und Anthropologie so recht innerlich aus des Menschen Natur selbst aufgezeigt hätte. Ebenso verfährt Görres in seiner Mystik, wo durchweg das Naturleben auf geistigem und das Geistige auf physiologischem Grunde aufgebaut ist.

Die hohe Werthschätzung von Mythos, Sage und Volksdichtung überhaupt beruht auf der von Görres und Kanne zuerst aufgestellten Idee, daß Gott sich sowohl in der Natur wie in dem frühen, noch mit der Natur eng zusammenhängenden Menschen offenbart habe, und daß daher die Natur, für diejenigen, die ihre Symbole entziffern könnten, wie die alten mythischen Dichtungen untrügliche Wahrheit über Gott und die Welt enthielten. Es müßten die Weissagungen des menschlichen Geistes auf die Natur sich beziehen lassen, wie umgekehrt die großen Erscheinungen der Natur, der Streit zwischen Licht und Dunkel, der Wechsel im Aufblühen und Verwelken, Bilder für das Leben des Geistes wären. Görres nennt den frühen Menschen das artikulirte Wort, das die Erde ausgesprochen, wie die Welt das von Gott sei. »In den Reden, die er führt, tönt die dumpfe Sprache der Elemente fort, eines jeden eigenthümlicher Accent läßt sich in ihnen unterscheiden. Nothwendig muß daher diese Geschichte der Uebergang der Physik in's Leben sein, wenn irgendwo müssen in ihr die Gesetze des Himmels sich bewähren, in einem Grade, daß sie sogar kritisch über Echtheit und Unechtheit gegebener Thatsachen entscheiden können. Der Mensch in dieser Periode ist somnambul, wie im magnetischen Schlafe wandelt er, seines Bewußtseins unbewußt, im tieferen Bewußtsein der Welt einher; sein Denken ist Träumen in den tieferen Nervenzügen; aber diese Träume sind wahr …«

Steffens war zwar der Ansicht, daß Görres und Schubert in der Anwendung dieser Idee zu weit gingen, doch glaubte auch er, daß Poesie und Mythologie auf unmittelbare göttliche Offenbarung müßte zurückgeführt werden. Die tiefe Naturbedeutung mancher Sagen habe ihn oft in Erstaunen versetzt, erzählte er Wilhelm Grimm, und führte als Beispiel die vom gefesselten Prometheus und der Melusine an: sie sei das Wasser, daß sich mit dem Licht verbindet, ihre seltsam gebildeten Söhne seien die mannigfachen Gestaltungen der Erde; denn die Erde habe sich als Niederschlag aus dem Wasser gebildet. Er habe häufig Thatsachen, zu denen er durch Spekuliren und Studiren mühsam durchgedrungen sei, in der Mythologie klar ausgedrückt gefunden.

»Wie die Grundfesten der Erde auf dem gewaltigen Urgebirge ruhen, so ruht unser Wissen auf den einfach großen Ueberlieferungen.« Auch für die Geschichte beutet der romantische Historiker gern Sage und Chronik und jede Art der Ueberlieferung aus, überzeugt daß die Geheimnisse so gut im unbewußten, wie im bewußten Leben wurzeln. Wenn Görres verlangt, daß das Privatleben der Menschen in die Geschichte hineingezogen werden müsse, so thut er das, damit uns der Boden enthüllt werde, auf welchem die großen, öffentlichen Ereignisse gedeihen, um der Masse gegenüber dem Einzelnen ihr Recht zu geben. Zwar war die Liebe für das Individuelle in den Romantikern viel zu groß, als daß sie die Bedeutung des Einzelnen für die Geschichte je hätten verkennen können; aber die Berührung des Einzelnen mit dem Allgemeinen, des Bewußten mit dem Unbewußten, die zu zeigen, das wird immer das wesentliche Trachten des Romantikers auf jedem Gebiete sein. Insofern also, als er mit Vorliebe diplomatische Quellen für sein Geschichtswerk benützte, war Ranke unromantisch; seinen weltgeschichtlichen Standpunkt indessen hatte er von der Romantik übernommen Die Idee der Einheit führt die Idee der Universalgeschichte mit, die der Entwickelung bedingt eine verhältnißmäßige Entwerthung der Thatsache gegenüber dem Werdegange. Die bedeutendste Leistung der Creuzer und Görres im universalgeschichtlichen Sinne war die Anknüpfung des Hellenenthums in der Richtung gegen die Vergangenheit mit dem Morgenlande, gegen die Zukunft mit dem Christenthum. Ernst von Lasaulx, Görres' Verwandter und Schüler, war der Romantiker der klassischen Philologie. In der Oedipussage fand er das Verhältniß des Griechenthums zum ägyptischen Wesen und »zu der höchsten Manifestation Gottes im Christenthum ausgesprochen. Der nach dem Tode wohlthätig waltende Heros Oedipus war ihm »die über dem Grabe der hellenischen Philosophie auferstandene Gnosis«, die Geschichte von Prometheus eine Art griechischer Sündenfall, das Bild des Herakles entwarf die Hoffnung auf den Heiland, überhaupt die Mythologie der heidnischen Völker des Alterthums »eine Traumprophezie, deren wahre Deutung erst in Christus gegeben wurde.«

Mit hoher Begeisterung, die jetzt noch mit hinreißen kann, erfüllte die Idee, auf die alle die neuen Entdeckungen und Kombinationen hinzuführen schienen, von dem einen in Centralasien ansässigen Urvolke, der einen Religion, der einen Sprache, die wie eine Ur- und Centralsonne am Beginn der Geschichte stehen und von der alle Völker mit ihren Sprachen und Religionen losgelöste Gestirne sein sollten. Wie anfechtbar diese Theorie nun auch sein mag, wer dürfte die großartigen Ergebnisse verkennen, die die vergleichende Methode gefördert hat! Daß hie und da in kühnen Deutungen zu weit gegangen und fehlgegriffen wurde, kann davon nichts herabmindern. Derjenige, welcher Gründlichkeit und Kühnheit vereinend, die ersten grundlegenden Werke vergleichender Geisteswissenschaft schuf, Jakob Grimm, hat den Einfluß der Bahnbrecher, Görres und Kanne, dankbar erfahren und bewunderte beider Genialität trotz mancher Ausstellungen im Einzelnen aufrichtig. Es gäbe, sagte er, zweierlei Art zu etymologisiren, beide nothwendig, beide reizvoll; die eine, die häusliche, hielte sich im Kreise ihrer Sprache, die zweite dringe in die Ferne und suchte gleichsam Gott aus der weiten Welt zu erkennen, dessen Spuren unleugbar im Ganzen ebenso da wären, wie im Kleinen. Fühle er sich auch zu jener häuslichen mehr hingezogen, so achte er doch auch jene andere Art zu untersuchen hoch; man könne ihrer sogar als einer Stärkung und Erhebung bedürftig werden, weil zu dem Wege durch das Detail doch kein menschliches Leben ausreiche.

Es ist durchaus unbillig, den Romantikern und Naturphilosophen den Vorwurf zu machen, als hätten sie exakte wissenschaftliche Forschung für überflüssig gehalten, um sich anstatt dessen ganz auf ihre Eingebungen und Spekulationen zu verlassen. Vielmehr war jeder von ihnen, soviel ich gefunden habe, der Meinung, daß Erfahrung und Idee im Forscher zusammenwirken müßten. Ueber die Methode Creuzer's, der sich Auszüge aus den Quellen machte, und wenn er sein Material beisammen hatte, den kombinirenden Ideen Spielraum ließ, machte sich Voß nicht wenig lustig. »Durch Vermischung der handfesten Excerpirmethode des Occidents« schreibt er in der Symbolik »mit der leichten symbolischen des Orients erwuchs eine wundersame westöstliche Doppelnatur: unten Sitzfleisch wie Blei, mit beweglichen Schlangenfüßen und eiserner Faust; oben ein Magierhaupt mit des Sonnendienstes goldrother Kalotte. Nach mystischer Windempfängniß warf die Zweigestaltete ein paar Mal fehl; dann unter Wehen der Angst gebar sie das vierschrötige Ungeheuer, die Symbolik, mit nachwedelndem Lindwurmschwanz!« Creuzer hatte sich allerdings im Thatsächlichen kleine Irrthümer zu schulden kommen lassen; im Ganzen wird er, nicht mit Unrecht, eben auf die Doppelnatur, das Sitzfleisch zur Einzelforschung und das Magierhaupt der Idee, stolz gewesen sein. Oken, der »den Zauberstab der Analogie« aus Grundsatz schwang, sagt über seine naturphilosophische Methode, er habe sie sich geschaffen, um die Ebenbildlichkeit des Einzelnen mit dem Göttlichen, des Organischen mit dem Unorganischen, des Menschlichen mit dem Elementarischen, des Elementarischen mit dem Aetherischen herauszuheben. So sage er zum Beispiel, der Organismus ist das Ebenbild des Planeten; und folgere daraus, daß er kugelig sein und so viel Grundprozesse in sich haben müsse, als es Planetenelemente gebe. Diese Methode sei nicht die wahrhaft ableitende, sondern gewissermaaßen die dichterische, aus der die Folgen hervorspringen, ohne daß man wisse wie, gleich den algebraischen Formeln, welche durch einen Zauber hervorgerufen, vor uns wie Riesen stehen, die man nicht faßt, von deren Wirklichkeit man aber doch überzeugt sei wie von seiner eigenen. Er habe diese Methode aber, und das ist das Wichtige, nur nebenher gebraucht, um seinen Schülern die Einheit aller Dinge vorzustellen, in der Hauptsache die sachliche Methode benutzend, die sich an die einzelnen Gegenstände hält.

Steffens, obwohl von der Naturbedeutung der Mythen überzeugt, betont nachdrücklich, man dürfe deswegen doch nicht a priori aus der Mythologie deduciren, sondern müsse unbeirrt den Weg wissenschaftlicher Forschung der Natur verfolgen, nachträglich möge man die Uebereinstimmung mit der Mythologie nachweisen. Erfahrung und Idee müssen immer abwechseln, sagt Eschenmayer, und Wilbrand empfiehlt dem Forscher als Grundlage die exakte Grundlage des Einzelnen. Allerdings setzt er hinzu: »Wo aber die Natur durch einen undurchdringlichen Vorhang das körperliche Auge tiefer zu schauen hindert, da sollen wir mit den Augen des Geistes schauen; nur seien die Geistesblicke in Harmonie mit demjenigen, was wir als wirkliche Thatsache kennen.« Und ebenso gesteht der im Ganzen so exakte und behutsame Carus der Divination ihr Recht zu, ja bekennt, daß ohne ihr Mitwirken die Wissenschaft immer am Staube müsse kleben bleiben.

So dachten in jenem idealistischen Zeitalter nicht nur Romantiker und Naturphilosophen. Alexander von Humboldt, den die Nachwelt seiner exakten Forschung wegen jenen weit voranstellte, wurde von Goethe und Schiller um soviel geringer geschätzt. »Dieser Freund«, sagte Goethe von ihm, »hat eigentlich nie höhere Methode gehabt, blos viel gesunden Verstand, viel Eifer und Beharrlichkeit« und weit schärfer Schiller: »Es ist der nackte, schneidende Verstand, der die Natur, die immer unfaßlich und in allen Punkten ehrwürdig und unergründlich ist, schamlos ausgemessen haben will – kurz, er scheint mir für seinen Gegenstand ein viel zu grobes Organ und doch ein viel zu beschränkter Verstandesmensch zu sein. Er hat keine Einbildungskraft – bei ungeheuerem Reichthum des Stoffes eine Dürftigkeit des Sinns.«

Humboldt selbst antwortete Schelling, der ihm im Jahre 1805 darüber schrieb, daß man der Naturphilosophie vorgeworfen habe, sie verschmähe die Erfahrung und hemme den Fortschritt: »Die Naturphilosophie kann dem Fortschritt der empirischen Wissenschaft nie schädlich sein. Im Gegentheil, sie führt das Entdeckte auf Principien zurück!« In demselben Sinne äußerte er sich auch gegen Andere und bekennt, wie viel er selbst, ja wie er gerade das Höhere der Naturphilosophie verdanke.

Die monistische Richtung der Romantik, die sich auf dem Gebiete der Heilkunde, zum Beispiel in dem Bestreben zeigte, ein Allheilmittel zu finden, alle Krankheiten auf eine zurückzuführen, ging in Hinsicht auf die Wissenschaften im Allgemeinen darauf aus, alle in einer einzigen aufgehen zu lassen, nämlich in der Mathematik, der Wissenschaft des Weltgesetzes. Sowie die Mathematik sich in den Besitz desselben gesetzt hätte, wäre sie zugleich Religion, gewissermaaßen die Form der Religion, während das, was wir jetzt darunter verstehen ihr Inhalt wäre, womit denn der Gegensatz zwischen Glauben und Wissen hinfällig geworden wäre, da es nur ein Schauen gäbe.

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