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Carus, der Arzt und Kunstfreund, der sich an Goethe und der Romantik geschult hatte, sagt, als er im Alter auf sein Leben zurückblickt, der Lebenslauf des Menschen habe einen zwiefachen Boden, einen für das unbewußte, einen für das bewußte Leben. Wie das Unbewußte nach geheimnißvollen Gesetzen den Körper baue, so bilde es mit am Leben, und gerade in der Betrachtung des Weges, den dies Princip genommen habe, um sich zeitlich durch Handlung darzustellen, liege das Interesse, das wir an Lebensläufen nehmen.
In den romantischen Menschen ist das Verhältniß des Unbewußten und Bewußten gestört, so daß man sagen könnte, ihr Leben habe nur einen einfachen Boden, aus dem sowohl das unbewußte wie das bewußte in gefährlicher Mischung hervorgehe. Ein Leben, das nur durch unbewußte Triebe oder nur durch den bewußten Geist oder durch abwechselndes Wirken beider gebildet wird, ist kein romantisches; denn in diesen Fällen würde entweder der sichere Instinkt oder durchdachtes Wählen den Menschen einer bestimmten unter den tausend Möglichkeiten des Lebens unwiderstehlich entgegentreiben, während gerade das Schweben und Schwanken zwischen ihnen dem romantischen Lebenslauf eigenthümlich ist. Ueberblickt man einen solchen Lebenslauf im Ganzen, so erkennt man allerdings doch einen treibenden Zug, das was Lenau bei sich selber die Gravitation nach dem Unglück nannte. Es ist in ihnen mehr Schwere, das Princip des Nichtfürsichseins, als Licht, das Princip des Fürsichseins, oder, physiologisch ausgedrückt, das Bauchsystem überwiegt das Gehirnsystem. Wir haben darüber eine interessante Auseinandersetzung von Justinus Kerner: das Ueberwiegen des Bauchsystems störe das Geistige im Menschen, das Gehirn und was von ihm ausgehe, den freien Willen, die Selbstständigkeit. Es verbinde sich der Mensch dann mehr mit der Außenwelt, seine Selbstständigkeit schwinde – »ich möchte sagen, es wächst ihm eigentlich wieder eine Nabelschnur, an der ihn jeder mit vorherrschendem Gehirn zu gängeln vermag.« Das Gehirn nennt er in diesem Sinne den Wächter und Gott in uns. Die Juden seien eine Nation, in der das Bauchsystem oder sympathische System sehr thätig sei; im allgemeinen stellten die Weiber das überwiegende Bauchsystem dar.
Mit bemerkenswerther Selbsterkenntniß schrieb der junge Passavant, der spätere Arzt, in sein Tagebuch: »Der Anfang des Tages geht, wie so viele der besten Stunden meines Lebens, mit allerlei Träumerei hin. Diese Krankheit beruht denn doch wohl auf Geistesschwäche. Sie ist verminderte Energie mit erhöhter Reizbarkeit. Ich hoffe, die Krankheit wird geheilt werden, wenn ein bestimmtes Berufsgeschäft meinen Geist fixirt und ihm die Wahl der Beschäftigung durch Willen oder Noth vorgeschrieben ist.« Diesem Einsichtigen gelang es thatsächlich, durch unablässige Selbstzucht, den verhängnißvollen Folgen des natürlichen Mißverhältnisses wirksam entgegenzuarbeiten.
Dies Hinabziehen der Schwere, der Sinnlichkeit, aus der zugleich reizende Blumen der Phantasie herausblühen und das Bild umkränzen, verbunden mit einem rührenden Drange nach Licht und Freiheit, gestaltet den romantischen Lebenslauf. Tiefe Menschen stehen dem Leben nicht selbstthätig wie ein Künstler dem Stoffe, den er formen will, gegenüber; sie leben hauptsächlich aus der Seele heraus, deren Wesen, als der Punkt, in welchem Unbewußtes und Bewußtes sich mischen, Beweglichkeit, ein Schweben und eine Sehnsucht ist. In der witzigen Satire gegen die Romantiker, die von Baggesen und Voß ausging, heißt es, sie, die Romantiker, müßten anstatt: ich dichte, sagen: ich werde gedichtet; ebensogut könnte man sagen, daß sie nicht leben, sondern gelebt werden. Sie haben das ja auch selbst von sich ausgesagt, so Wackenroder und Brentano, indem sie sich mit Instrumenten verglichen, deren Saiten das Schicksal bewegt, oder Karoline von Günderode, wenn sie an Bettine schreibt: »Du dünkst mir der Lehm zu sein, den ein Gott bildend mit Füßen tritt.« In der modernen Romantik hat Hugo von Hofmannsthal den schönsten und zutreffendsten Ausdruck für diese Art des Lebens gefunden. Er vergleicht das Leben gern einem Schattenspiel und schildert Menschen, die »in jedem Ganzen, räthselhaft gehemmt,« den Fluch mit sich schleppen »nie ganz bewußt, nie völlig unbewußt« ihr Leben wie ein Buch zu erleben, daß man halb noch nicht und halb nicht mehr begreift, denen die Tage hingleiten, »wie abgerissene Wiesenblumen ein dunkles Wasser mit sich reißt«. Als Meranda im »Weißen Fächer«, nachdem sie eben noch tiefster Trauer über den Tod ihres Mannes hingegeben war, in sich die Entdeckung der neuen Liebe macht, läßt Hofmannsthal sie sagen: »Gelegenheit
Das große Wort; wir selber nur der Raum,
Drin tausende von Träumen buntes Spiel
So treiben wie im Springbrunn Myriaden,
Von immer neuen, immer fremden Tropfen
All unsre Einheit war ein bunter Schein;
Ich selbst mit meinem eignen Selbst von früher,
Von einer Stunde früher, grad so nah,
Vielmehr so fern verwandt wie mit dem Vogel,
Der dort hinflattert.«
Das erinnert lebhaft an die Worte, die Karoline von Günderode über Clemens Brentano schreibt: »Es kommt mir oft vor, als hätte er viele Seelen, wenn ich nun anfange, einer dieser Seelen gut zu sein, so geht sie fort und eine andere tritt an ihre Stelle, die ich nicht kenne und die ich überrascht anstarre.« Sein Lebenslauf ist denn auch typisch romantisch.
Er entsprang einer Ehe, in der sich italienisches und deutsches Blut mischte, eine für die Nachkommenschaft durchaus nicht unglückliche, aber gefährliche Zusammensetzung. Jedenfalls waren die häuslichen Verhältnisse wegen der allzuverschiedenen Art der Eltern nicht angenehm. Nach dem Tode der Mutter lebte er bei einer Taute, die das Unglück, einen in Trunksucht verkommenen Mann zu haben, hart und verschlossen gemacht hatte, und wo sein weiches Gemüth unter schrecklichen Eindrücken litt. Mit 17 Jahren gab ihn sein Vater in die Oel- und Branntweinhandlung des Herrn Polex zu Langensalza, ohne zu beachten, daß er zum kaufmännischen Berufe als ein unpraktischer, in sich gekehrter Träumer durchaus untüchtig war. Je mehr Anforderungen das praktische Leben an ihn stellte, desto mehr verkroch er sich in ein märchenhaftes Traumleben und legte bald augenscheinliche Proben seiner Untauglichkeit ab.
Der kaufmännische Stand pflegt jungen auf Poesie und Kunst gerichteten Menschen besonders widerwärtig zu sein und man kann nicht einen jeden, der davon zu einem andern übergeht, nur deshalb romantisch nennen. Freiligrath zum Beispiel, der wie Brentano als Jüngling die Kaufmannschaft über den Haufen warf um nichts als ein freier Dichter zu sein, war keineswegs eine romantische Natur und hätte füglich auch Kaufmann bleiben können, wenn die Verhältnisse es durchaus erfordert hätten; Brentano dagegen war wirklich nicht im Stande sich einer Thätigkeit hinzugeben, die sich nicht irgendwie mit seinem Innern hätte verknüpfen lassen. Solange sein Inneres ein schwankendes Chaos war, konnte er nicht, auch nicht einmal mit Vorbehalt, zu gewissen Stunden, regelmäßig nach außen wirken. Er hatte denn auch keine Neigung zu irgend einem bestimmten Berufe, sondern ein Verlangen nach Bildung überhaupt, ja eigentlich nur nach Eindrücken, die das Universitätsleben wohl mit sich bringen konnte. Kenntnisse erwarb er keine und scheute geistige Anstrengung so sehr, daß er nicht einmal in Fichte's und Schelling's philosophische Systeme einzudringen sich bemühte, die damals fast alle Studenten nicht nur interessirten sondern leidenschaftlich bewegten. Auch in seinem ersten Roman Godwi, den er in dieser Zeit schrieb und den er selbst einen verwilderten nannte, zeigt sich seine Unfähigkeit zur Sammlung, zum Durchführen einer Stimmung, eines Bildes, einer Idee. Mehr nach seinem Sinne war das Sammeln von Ueberbleibseln des Mittelalters, seien es Lieder oder Bilder, wobei er seinem Hang zu ungebundenem Wandern genugthun und sein Talent mit dem Volke zu verkehren, seinen poetischen Sinn und seinen schnellen Blick zu einem schönen Zweck verwerthen konnte. Auch wird die Volksliedersammlung, die er im Verein mit Arnim herausgab, von allen Parteien als eine dankenswerthe Leistung anerkannt.
Die Zeit zwischen seinem zwanzigsten und dreißigsten Jahre war für Clemens die glücklichste, weil ein wesentlich schwärmendes und genießendes, ganz auf Hoffen und Erwarten gestelltes Dasein in den Jünglingsjahren noch nicht als störender Mißklang empfunden wird. Er selbst behauptete zwar später, und man glaubt es ihm gern, daß er selbst damals nie eine trunkene Minute hatte, in der er seinen Unwerth, seine Schwäche und Lüge ganz vergaß; aber Liebe und Freundschaft, die seiner Schönheit, seiner Wärme, seiner munteren Laune gern dargebracht wurden, führten ihn leichter an den dunkeln Stunden vorüber.
Bei der Wahl seiner Freunde bevorzugte Clemens, der stets die Kraft, die ihm fehlte, in Andern suchte, ernste, männliche Naturen: an Savigny und Arnim schloß er sich mit Leidenschaft. Es ging ihm aber mit ihnen wie mancher Frau, die dem Manne, sowie er nicht mehr in sie verliebt ist, gleichgiltig wird, weil eine engere geistige Verbindung nicht zwischen ihnen möglich ist: beide heiratheten Schwestern von Clemens, eigneten sich also das was ihnen in der Brentano'schen Art zu Herz und Sinnen gesprochen hatte auf's innigste an, und bedurften seiner nun in dieser Hinsicht weniger, in einer anderen aber konnte er ihnen wenig bieten. Mit beiden blieb er zwar sein Lebenlang in freundlicher Beziehung, aber ganz äußerlicher, da sie von ihrem reiferem Standpunkt aus zu ihm so wenig zurück konnten, wie zu ihrer eigenen Jugend.
In seinen ersten Studentenjahren knüpften sich auch Clemens' Beziehungen zu seiner nachmaligen Gattin Sophie Mereau, die, als er sie kennen lernte, Gattin eines Professors war. Das Paar wurde durch herzogliche Gnade wegen mangelnder Uebereinstimmung geschieden; es war dieselbe Scheidung, auf die sich bald hernach Wilhelm und Karoline Schlegel als auf einen Präcedenzfall beriefen, der ihrer eigenen Trennung zugute kommen sollte. Sophie Mereau war weder im Sein noch im Denken und Dichten romantisch, sondern gehörte zu den sanft sentimentalischen Frauen, die sich um Schiller scharten. Sie war schön, taktvoll und verständig, von einer wohlthuenden Wärme und Milde, wenn auch weder ein großer Geist noch großer Charakter. Wie es zu gehen pflegt, hatte sie die Huldigungen des blutjungen Studenten zurückgewiesen, nach einigen Jahren aber, da sich der Altersunterschied weniger fühlbar machte, gewann er sie und konnte sogar triumphiren, daß sie nun glühe, er dagegen kühler sei. Wie er auch hier nicht aus vollem Herzen, mit ganzem Willen und ganzer Gegenwart des Geistes handelte, zeigt nicht nur diese Bemerkung, sondern vielmehr noch was er an Bettine schrieb: »Wir – d. h. er und Sophie – werden leben wie es Schneeflocken zusammenschneit und wie die zerrinnen, wenn ein neuer Frühling kommen sollte, so werden auch wir zerrinnen, wenn wir nicht beisammenbleiben sollten.« Also durchaus passiv fühlte er sich, von irgend einem Zufall, einem dunklen Naturtriebe mit einem lieben Weibe vereint, darauf gefaßt, daß derselbe sie auch wieder auseinanderwehen könnte und von vorn herein entschlossen, dem keinen Widerstand entgegenzusetzen.
Daß diese Ehe, die freilich nur drei Jahre dauerte, sich so glücklich anließ, ist wohl vor allem seiner Frau zu danken, deren weiblich harmonische Güte seine Friedlosigkeit beruhigte. Er klagte zwar zuweilen, daß sie ihn mehr beschwere als beflügle, wie er denn immer grade getragen zu werden, da er selber seiner Naturschwere das Gleichgewicht in sich nicht halten konnte, von seinen Genossen verlangte; aber – ganz abgesehen davon, daß sie mit vollem Recht das gleiche von ihm hätte erwarten können – war er sich doch dankbar bewußt, daß er wenigstens zuweilen in ihr ruhen konnte und sehnte sich, wenn er sich einmal von ihr getrennt hatte, sogleich nach ihr zurück. Sie lebten in dem schönen Heidelberg, das gerade um diese Zeit durch die Anwesenheit und Wirksamkeit von Arnim, Görres und Kreuzer zu einem Mittelpunkt der Romantik wurde, und wo er, da ihm nun auch ein Kind geboren wurde, Heimath, Familie, einen Freundeskreis und Antrieb und Gelegenheit zu geeigneter Thätigkeit hatte. Aber noch ehe sich das alles recht gestaltet hatte, starben Sophie und das Kind, und er war wieder losgerissen vom Boden, schwankend ohne Ziel und Halt im Leben.
Jetzt war der Augenblick, wo er seine Fähigkeit das Leben zu gestalten hätte erproben können: er war wiederum frei, ohne Beruf und Familie an den Eingang des Lebens gestellt, älter und durch Erfahrung gereift und doch noch nicht zu alt, um sich in veränderte Bedingungen hineinzuarbeiten. Es ging ihm aber, wie es wohl manchem gehen würde, der glaubt, er würde keine Thorheit mehr begehen, wenn er mit allen gesammelten Erfahrungen das Leben von vorne beginnen könnte: er machte es ebenso wie zuvor, ging als fahrender Schüler mit der Guitarre über dem Arme auf die Wanderschaft, erwarb sich den Ruf eines schönen, witzigen Gesellschafters und fand sich unversehens mit einer zweiten Frau. Hätte er damit wenigstens das ihm gemäße gethan und wäre dieser zweiten Jünglingsperiode froh geworden, so hätte man eine so naive und genußkräftige Natur in gewissem Sinne sogar bewundern können; aber er fühlte sich, nach außen glänzend und blendend, im Inneren zerrüttet, wie er es oft in Liedern äußert:
Ich muß die lust'gen Triller greifen
Und Fieber bebt durch Mark und Bein,
Euch muß ich frohe Weisen pfeifen
Und möchte gern begraben sein.
Besonders in Bezug auf seine Heirath mit Auguste Busmann bewies der Erfolg, wie sinnlos er gehandelt, vielmehr wie schmählich er sich von den niedrigsten Reizen hatte treiben lassen. Dies Mädchen war wie er heißblütig, leicht erregbar und jedem Triebe ohne Selbstbeherrschung hingegeben, doch fehlte ihr ein starkes Gegengewicht des Geistes oder des Herzens, welches letztere er hatte. Sie fröhnten ihrer kindischen Abenteuersucht durch eine Entführung, zu der kein vernünftiger Grund vorlag, die Clemens, dem Wittwer, am wenigsten anstand, und für die er, der beinah dreißigjährige, doch schließlich am meisten verantwortlich war. Auch warnte ihn vor der Trauung sein Gewissen, das häßliche Bündniß nicht abzuschließen und er hatte auf dem Wege zur Kirche große Lust umzukehren. was er aber auszuführen doch sich scheute. Männer seiner Art pflegen Frauen, mit denen sie nur Sinnlichkeit verbindet und die ihnen weder Halt noch Ruhe gewähren können, nach kurzem Rausch zu hassen, ja, wie ungerecht das auch sein mag, zu verachten. In diese Gefühlslage gerieth Clemens seiner Frau gegenüber schon bald nach der Hochzeit, woran sie ohne Zweifel die Hauptschuld trug; selbst wenn man einräumt, daß seine gedrungene Gestalt, seine gebräunte Farbe, sein feuriger Blick, ihr vielleicht eine kräftige Männlichkeit vorgetäuscht hatten, die sein Charakter nicht war. In den tollen Scenen des Unfriedens, wenn sie auch durch alle beide herbeigeführt sein mochten, war Clemens, wozu ihm sonst wenig Gelegenheit wurde, bei weitem der Würdigere, Maßvollere. Ihre Sucht aufzufallen und in gewaltsam veranstalteten Auftritten eine rührende Rolle zu spielen macht den Eindruck des Krankhaften und bei Clemens' eigenem leicht zu erschütterndem Gleichgewicht war es wohl das beste, daß er nicht daran dachte, die Folgen des einmal Unternommenen zu tragen; er hätte sich zu Grunde gerichtet, ohne ihr wohlthun zu können.
Nach der Scheidung dieser Ehe konnte Clemens, als Katholik sich nicht wieder verheirathen. Er fühlte sein Alleinstehn, unter dem er überhaupt weit mehr litt als ein anderer Mann gethan hätte, jetzt doppelt, da seine Freunde inzwischen Familien gegründet hatten oder bald dazu schritten. Arnim und Savigny heiratheten zwei seiner Schwestern, die übrigen waren anderweitig verheirathet, ebenso seine Brüder mit Ausnahme von Christian, der ihm selbst in vieler Hinsicht ähnlich war, und mit dem er gerade deswegen nicht längere Zeit zusammenleben mochte. Ueberhaupt war seine Eigenart so, daß Niemand, auch seine besten Freunde nicht seinen Besuch auf die Dauer ertragen konnten. Jeder Besuch war sozusagen ein abgekürztes Bild seines Lebens: übertriebenes Feuer von Mittheilsamkeit, Anregung und Aufregung im Anfang, plötzlich dann Ausgeleertheit und Erschöpfung. Zum Theil weil er dies selbst fühlte, zum Theil weil ein innerer Stachel ihm keine Ruhe ließ, hielt es ihn nie lange an einem Orte und er führte wieder ein Wanderleben, im größeren Stil als früher, aber freudloser und einsamer. Er lebte abwechselnd in Prag, Wien, Berlin, nicht wie einer der genießt, sondern wie einer der etwas sucht, etwas wichtiges, wesentliches, und dessen Angst sich steigert, wie die Zeit vergeht, ohne daß er es findet. War er auch zuweilen fleißig und ausdauernd bei der Arbeit, wie er denn für sein Drama Libussa gründliche Studien machte, so gab ihm das doch keine Befriedigung, wie es vielleicht eine ganz geringe, handwerksmäßige, aber nutzbringende Thätigkeit gethan hätte. Es sei, sagt er gelegentlich, ein verdächtiges Ding um einen Dichter von Profession. »Man kann sehr leicht zu ihm sagen: Mein Herr, ein jeder Mensch hat, wie Hirn, Herz, Magen, Milz, Leber und dergleichen, auch eine Poesie im Leibe; wer aber eines seiner Glieder überfüttert, verfüttert oder mästet und es über alle andere hinübertreibt, ja es gar zum Erwerbszweige macht, der muß sich schämen vor seinem ganzen übrigen Menschen. Einer, der von der Poesie lebt, hat das Gleichgewicht verloren, und eine übergroße Gänseleber, sie mag noch so gut schmecken, setzt immer eine kranke Gans voraus. Alle Menschen, welche ihr Brot nicht im Schweiße ihres Angesichts verdienen, müssen sich einigermaaßen schämen: und das fühlt einer, der noch nicht ganz in der Tinte war, wenn er sagen soll, er sei ein Schriftsteller.«
Eine Idee, für die er sich hätte begeistern, für die er hätte kämpfen und sich opfern können, hätte ihn glücklich machen, ihm den Lebensgrund schaffen können, den er vermißte; doch interessirte er sich, wie er selbst klagt, nicht für Dinge, sondern nur für einzelne Menschen. Immerhin konnte er sich durch die Begeisterung für Deutschlands Erhebung gegen Napoleon eine Zeit lang mit fortreißen lassen, was er auch dankbar empfand. Für die darauf folgende politische Bewegung, als mehr den Verstand ansprechend, hatte er kein Verständniß. Im Gefühl, überflüssig zu sein, weder als Mensch in seiner Entwickelung etwas erreicht, noch auf irgend einem Gebiete etwas geleistet zu haben, fällt er in der Blüthe seines Lebens, bei vollen Kräften, das vernichtende Urtheil über sein Leben, es sei vergeblich gewesen. Das schreckliche Wort vergeblich sei die Ueberschrift seines Lebens, und bei allem, was er gedacht, gethan, gelitten, habe er denken müssen, daß es vergeblich sei.
Ein Mädchen, Luise Hensel, führte einen Umschwung in seiner Verzweiflung herbei. Ernst und tüchtig, herbe, in schweren Lebensprüfungen gehärtet, fest und klar einem Ziele zugewendet, imponirte sie ihm mehr als je zuvor eine andere Frau, vollends noch dadurch, daß sie sich durch seine Liebe nicht entzünden ließ, sondern ihn mit bescheidener Strenge in gewissen Schranken hielt. Als sie ihn zuerst auf die katholische Kirche hinwies, der er ja angehörte und die ihm allein den Frieden geben könnte, den er bei ihr suchte, weckte sie damit keinen Widerhall in seinem Innern. Nur das Bedürfniß ihr zu gehorchen, in irgend einer Sache eins mit ihr zu sein, bewog ihn, sich überhaupt mit dem Gedanken zu befassen und Schritte zu seiner Verwirklichung zu thun. Der Umgang mit dem klugen, humanen, liebenswürdigen Bischof Sailer that das übrige dazu, Clemens den Sinn für die Kirche zu eröffnen: die Zugehörigkeit zu einer großen, starken Gemeinde, die nichts von ihm verlangte als Hingebung, ersetzte ihm bis zu einem gewissen Grade Familie, Beruf und Heimath.
Die erste Frucht seiner Sinnesänderung oder, wenn man lieber will, seiner veränderten Stellung zur Gesellschaft war eigenthümlicher Art: vierzigjährig begab er sich an das Krankenlager der stigmatisirten Nonne Katharine Emerich in Dülmen und verweilte dort sechs Jahre, nur mit ihrer Pflege und dem Aufschreiben ihrer Visionen beschäftigt. Der Aufenthalt in dem ärmlichen Dorfe, das keine Zerstreuung bot, als die Unterhaltung mit einem schwer leidenden, ungebildeten Bauernmädchen wäre manchem auch weniger verwöhnten Manne unerträglich gewesen. Brentano empfand es als ein langentbehrtes Glück, eine Aufgabe zu haben, Jemandem nützen zu können, und noch dazu einer Person, die er für heilig halten durfte, ja mußte. Kurze Zeit, ehe er sich an die Kirche anschloß, hatte er einmal, halb ernst halb scherzend, gegen Görres den Wunsch ausgesprochen, ihm bei seiner Thätigkeit am Merkur als mechanischer Hilfsarbeiter zu dienen, da nur eine solche dienende und nutzbringende Beschäftigung ihn glücklich machen könne. Zu einer derartigen freilich hätten ihm Stetigkeit, Willenskraft und manches andere gefehlt; am Bette der visionären Kranken dagegen, wo nur an sein Herz und seine Phantasie Ansprüche gestellt wurden, fühlte er sich am Platze.
Nach dem Tode der Emerich brach das ganze Elend der Beruflosigkeit und Heimathlosigkeit wieder über ihn herein. Er lebte abwechselnd an verschiedenen Orten, für die Propaganda der katholischen Kirche thätig, trotz mancher Ausbrüche seines zügellosen Temperamentes, des Teufels, den er nun einmal im Leibe hatte, im Ganzen seinem stillen, demüthigen Glauben treu und dadurch in leidlichem Frieden erhalten. Die letzten neun Jahre seines Lebens war er in München seßhaft, wo er im Freundeskreise wegen seiner Warmherzigkeit und als guter Gesellschafter, denn er konnte noch immer sprühenden Witz entfalten, wohl gelitten war. Als Schriftsteller war er längst bedeutungslos geworden: daß er auf seine früheren Werke mit Abscheu und Reue zurückblickte, war wohl nicht nur die Folge seiner veränderten Gesinnung, sondern auch die Folge davon, daß ihm die poetische Kraft mit der Jugend verblüht war. Wenn seine älteren, namentlich seine protestantischen Freunde ihn seit seinem Anschluß an die katholische Kirche aufgaben, so war das nicht unberechtigt: derselbe hatte ihm wohl Ruhe und Halt gegeben, aber gegen das Opfer seiner geistigen Kräfte. Die Ruhe war nicht nach großen geschlichteten Kämpfen eingetreten, und der Halt ihm nicht durch eine unerschütterliche Ueberzeugung gewachsen, sondern er hatte sich, ein gänzlich ermüdeter Schwimmer, auf eine Insel gerettet, die ihn in Sicherheit ernährte, um welchen Preis er aber auf das Weiterfahren verzichtete, sei es, daß es ihm an Kraft oder an Muth gebrach, sich noch einmal auf das offene Meer zu wagen.
Wollte er das Heimweh, das zuweilen bitter in ihm aufstieg, nicht aufkommen lassen, mußte er seine Insel als das schönste Land der Welt preisen, die ihm freilich auch ein rettendes Delos gewesen war.
Ein Freund Brentano's sagte von ihm, er bleibe immer Most, den man nicht täglich trinken könne; zur süßen Weingährung und Klärung ließe er sich keine Ruhe. Eine unbestimmte Sehnsucht ist das bestimmende dieses Lebenslaufes, ein dunkler Drang, der es zu ruhiger Bildung und Gestaltung nicht kommen ließ. An allem alltäglichen, naheliegenden, was eine gewisse Befriedigung gewähren könnte, geht die weitausgreifende Sehnsucht vorüber und läßt den Gehetzten schließlich wie ein Kind, das vorwärts läuft, um den Horizont zu berühren, einsam und müde auf einem Fleck stehen, wo er dem dunklen Ziele seines Heimwehs nicht näher ist, als zu Beginn seiner Laufbahn.
Drei Punkte sind in diesem Lebenslauf wesentlich und finden sich in den Lebensläufen aller Romantiker, nämlich die Beruflosigkeit, die Familienlosigkeit und die Heimathlosigkeit. Nach einer träumerischen, von namenlosen Hoffnungen bewegten Kindheit sträubt sich der Jüngling gegen eine geregelte, beschränkte Thätigkeit, die ihn, den durch die Unermeßlichkeit des Phantasielebens verwöhnten, hemmt, und Wechseln oder gänzliches Abweisen des Berufes ist die Folge davon. Ebenfalls als Schranke wird die Familie empfunden, in welche sich aber gerade diese Männer am leichtesten hineinbewegen, da sie des Anschlusses am bedürftigsten sind. Die Heftigkeit ihrer Triebe wirft sie immer wieder den Frauen in die Arme, meistens aber gerade denen, die am wenigsten geeignet sind, ihre Ansprüche zu erfüllen. Brentano fand zwar eine Luise Hensel, hatte sich aber durch seine frühere sinnlose Ehe mit Auguste Busmann das Zusammenleben mit ihr unmöglich gemacht. Ueberhaupt geht den romantischen Naturen gerade die Eigenschaft ab, die den Mann zum Familienbegründer und Familienhaupt bestimmt, nämlich die Kraft; wir werden also manches Liebesabenteuer, aber selten ein glückliches Eheleben bei ihnen finden. Die Heimathlosigkeit ist eine selbstverständliche Folge der Sehnsucht und man kann von Clemens Brentano wohl sagen, daß es auf der ganzen Erde keine Heimath für ihn gab; schrieb doch die Mutter Goethe's dem Knaben schon in's Stammbuch: »Dein Reich ist in den Wolken und nicht von der Erde, und so oft es sich mit dieser berührt, wird es Thränen regnen.«
Ein so Entwurzelter scheidet meistens früh von dieser Erde, sei es willkürlich oder durch den bewußtlosen Willen seiner Natur, oder aber er findet ein Unterkommen in irgend einer religiösen Gemeinschaft. Nicht wenige sind im Wahnsinn untergegangen. »Blumen der Art halten nicht über den Sommer aus« sagt der liebevolle Justinus Kerner, der viel solche Naturen kennen zu lernen Gelegenheit hatte. »Auch er ist ein Beweis« ruft er einem jungverstorbenen Freunde nach, »wie Novalis, wie Seraphine und Serpentin, daß Gemüther der Art, die die Natur so gern an ihre Brüste legt, gar bald auf immer in ihren Schooß kehren.« Er plante einen Roman, betitelt die Heimathlosen, in dem Seraphine und Serpentin eine Rolle spielten, und in welchem unter andern ein Mann vorkommen sollte, der, ein ewiger Wanderer, mit immer gepacktem Koffer von einem Wirthshaus zum andern reiste.
In Hinsicht der Beruflosigkeit machte Christian Brentano dasselbe durch wie sein Bruder Clemens. Auch er hatte nie etwas rechtes gelernt. Heitere Geselligkeit war seine Hauptbeschäftigung, die ihn aber durchaus unbefriedigt ließ, so daß er sein glänzendes Wesen, ähnlich wie Clemens, oft als »frevelnde Lustigkeit empfand, womit er sich selbst betäubte und andere vergnügte.« Als er sich der katholischen Kirche näherte, dachte er daran, Priester zu werden, in welcher Stellung er sein Talent zum Umgange mit Menschen hätte verwerthen können, den Segen einer gewissen Bestimmung genossen, und doch den Druck und die Eintönigkeit der gewöhnlichen, bürgerlichen Berufe vermieden hätte; allein sein geistlicher Berather rieth ihm davon ab. In seiner Noth richtete er an einen Heiligen folgendes charakteristische Gebet: »Heiliger Titus! um des herrlichen Berufes willen, der Dir aus der Hand der Apostel zutheil ward, rufe ich zu Dir und bete: daß Du mein elendes, berufloses Leben ansehen und für mich bei dem ewigen Geber des Guten fürbitten mögest, daß er doch auch mir einen Beruf zutheil werden lassen möge und mich mit Treue, Eifer, Fleiß und Beharrlichkeit begnadige, diesem Berufe nachzuleben. Ach ja, heiliger Bischof! einen Beruf, sei es der mindeste, aber einen festen und fruchtbaren Beruf, damit das Vergeuden meiner Leibes- und Seelenkräfte, der beständige Diebstahl an der Zeit aufhöre.«
Der Heilige erhörte ihn zwar nicht, doch gewährte ihm in der Folge eine Heirath und, wie bei Clemens, die katholische Propaganda, die mangelnde Stütze.
Zacharias Werner glückte es, zum Berufe des Priesters zu gelangen. Er war eigentlich Jurist, übte seinen Beruf aber nur kurze Zeit und ohne Ernst und Eifer aus. Wie viele Romantiker schwärmte er für das Landleben, kaufte sich in seinem 24sten Lebensjahre ein Gut bei Königsberg und bewirthschaftete es mit seiner damaligen Frau. Bald aber verwünschte er die Landwirthschaft und schlug das Gut mit Verlust wieder los. Nicht so vermögend wie Brentano warb er begierig um die Großmuth irgend eines Mäcens und erbettelte sich auch wirklich ein Jahresgehalt. Begründet hatte er sein Ansinnen damit, daß er sich der Poesie, insbesondere der dramatischen widmen wolle; die Hauptsache war aber, daß seine Arbeitsscheu und Unordentlichkeit ihn ein ungebundenes Leben wünschen ließen. Er war nun, wie Brentano, nichts als Schriftsteller, doch mit dem Unterschiede, daß sein Jahresgehalt ihm die Ehrenpflicht auferlegte, in nicht allzugroßen Zwischenpausen etwas Nennenswerthes, Fertiges erscheinen zu lassen. Auch diesen Beruf gab er mit Freuden auf, als er katholisch geworden war und die Kirche ihm durch die Priesterweihe die förmliche Berechtigung ertheilte, Seelen für die Kirche zu gewinnen. Insofern als er von jeher das Propagandamachen für seine Ideen mit aufdringlichem Eifer betrieb, es als höchstes Ziel des Strebens ansah, eine Religionsgemeinschaft zu gründen und seine dramatischen Arbeiten nur als Mittel zu diesem Zweck gelten lassen wollte, erreichte er schließlich das, was ihm am meisten entsprach und wozu er sich innerlich am meisten berufen fühlte. Der Drang nach Menschen, der unruhige Trieb auf sie einzuwirken, der sich bei Werner äußerlich in seiner »gewaltigen, in Gesellschaft sich spürend nach allen Seiten hin wendenden Nase« ausdrückte, bestimmt solche warmherzige und sich selbst nicht genügende Naturen dazu, vermittelnd zwischen Menschen und Ideen zu stehen; wie sich auch Clemens gelegentlich den pontifex minimus, den geringsten Brückenbauer nennt, da er so oft Menschen zusammengeführt habe. Menschen für Ideen zu gewinnen war er freilich weniger der Mann, indem er vielmehr durch sein Gebahren den meisten Menschen den Katholicismus eher verleidete, als lieb machte.
Kleist empörte sich nicht nur gegen den Officiersberuf, dem er durch Familientradition angehörte, sondern gegen jeden Beruf überhaupt. Er hielt es für die Bestimmung des Menschen, sich auf Erden so viel wie möglich zu bilden, in der Aussicht, daß man auf anderen Sternen, in anderer Form, der Vervollkommnung entgegengeführt würde, und verstand unter der erforderlichen Bildung zunächst die wissenschaftliche. Demgemäß widmete er sich an der Universität dem Studium der Wissenschaften im allgemeinen, wurde aber durch Kant's Philosophie, die ihn an dem absoluten Werth aller unserer Erkenntniß zweifeln lehrte, in seinem Bildungsdrange erschüttert. So wenigstens rechtfertigte er vor sich selbst seinen beginnenden Ueberdruß an den Wissenschaften. In Wahrheit drängte ihn ein glühender Produktionstrieb, eine dämonische Sinnlichkeit in's Ungewisse vorwärts, und die Unfähigkeit dieser inneren Raserei Stand zu halten, machte, daß er sich gegenüber den Anforderungen an Regelmäßigkeit, Ordnung, Selbstbeherrschung, die jeder Beruf stellt, ohnmächtig fühlte.
Die Nothwendigkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und der Wunsch, einen eigenen Herd zu gründen, beides mußte ihn doch eine gesicherte Lebensstellung als das Wünschenswerthe, ja Gebotene erscheinen lassen; er quälte sich nicht wenig mit solchen Erwägungen. Viele Dinge, die der gesunde Mensch allmählicher, stiller Entwickelung überläßt, betrieb er mit eigensinnigem Bewußtsein und strebte sie zu überlegter Handlung zu machen, wie er denn den Entschluß, Dichter zu werden, an sich schon ein Unding, vom Ausfall einer einzigen schriftstellerischen Arbeit abhängig machen wollte. Andrerseits, wo man Ueberlegung und Besinnung bestimmt erwarten muß, wo man für unbegreiflich widerspruchsvolle Handlungen nach Gründen sucht, gab es bei ihm keine. Als er Wieland's Haus, wo er sich glücklicher als je gefühlt, wo er die Bewunderung eines berühmten Mannes und die Liebe eines Mädchens gefunden hatte, plötzlich verließ, ohne zu wissen wohin, vermochte er auch seinen Vertrautesten nicht anzugeben, was ihn dazu bewogen hatte, offenbar weil er es selbst nicht wußte. »Ich mußte fort und kann dir nicht sagen, warum. Ich mußte fort! Ich brachte die ersten folgenden Tage in einem Wirthshaus in Weimar zu und wußte garnicht, wohin … Endlich entschloß ich mich, nach Leipzig zu gehen. Ich weiß wahrhaftig nicht anzugeben, warum.«
Einmal nahm er sich das Wort ab, nicht eher aus dem Zimmer zu gehen, als bis er sich über einen Lebensplan entschieden hätte, aber seine Unschlüssigkeit war so groß, daß er sich nach acht Tagen seines Versprechens entbinden und das Zimmer verlassen mußte, ohne dem Ziele nähergekommen zu sein. Bald suchte er auf gewaltsame Weise seinem Leben eine bestimmte Richtung zu geben, bald tritt auch an ihm das Unklare, das Gelebtwerden hervor, wie er denn von sich selbst sagte: »In meinem Kopfe sieht es aus wie in einem Lotteriebeutel, wo neben einem großen Loose tausend Nieten liegen. Da ist es wohl zu verzeihen, wenn man ungewiß mit der Hand unter den Zetteln herumwühlt.«
In diesem Triebrad von positiven und negativen Regungen, von leidenschaftlichem Drang und ängstlich planvollem Bedenken war eine Störung, so daß sie sich nicht ausglichen, sondern bald Stockungen, bald Ueberstürzungen eintraten, und ein in Explosionen krankhaft und zerstörend sich abspielendes Leben das Ergebniß war.
In einem Augenblick gänzlicher Abspannung und Hülflosigkeit unterwarf er sich dem Wunsche seiner Schwester Ulrike und ließ sich als Diätar an der Domänenkammer in Königsberg anstellen, hielt aber trotz der besten Vorsätze nicht bei der trockenen Beschäftigung ans. In der Ungebundenheit überkam ihn indessen sogleich wieder die Sehnsucht nach regelmäßiger, womöglich mechanischer Thätigkeit, und einmal faßte er sogar den ernstlichen Plan, Tischler zu werden. Der Wunsch Bauer zu werden und ganz im Bunde mit der Natur zu leben blieb nicht aus; einer Erleuchtung gleich ging ihm plötzlich die Einsicht auf, daß die Thätigkeit des einfachen, unschuldigen Menschen ihn heilen würde. Er ging mit dem Gedanken um, ein kleines Gut zu kaufen und zu bewirthschaften und trennte sich von seiner guten, durch lange Treue erprobten Braut, weil sie und ihre Eltern nicht darauf eingehen wollten. Der Plan, dem er sie geopfert hatte, kam indessen nie zur Ausführung, da einsichtsvolle Freunde ihm abriethen und seine Lust daran auch von selbst nachließ.
Zeitlebens suchte er ein Geländer zum Anklammern. Zuletzt wurde ihm der Kampf gegen Napoleon, was Zacharias Werner und den Brentano die Propaganda für die katholische Kirche geworden war, eine Aufgabe, die ihm das Gefühl gab, sein Leben sei nicht zwecklos.
Betrachtet man Clemens Brentano's Leben, so denkt man wohl, Armuth, also ein äußerer Zwang zur Arbeit, zum Broterwerb, hätten ihn vor Zerfahrenheit und Verwilderung retten können; denkt man an Kleist, so möchte man gerade seiner Armuth die Schuld an seinem Untergange zuschreiben. So wenig bedeuten die äußeren Umstände, oder, was auf dasselbe herauskommt, so sehr hat jeder sein eignes Schicksal, dem die äußeren Verhältnisse im allgemeinen nur dienstbar sind.
Von wächserner Weichheit und voll von brennendem Ehrgeiz, höchst reizbar, mißmuthig, kränkelnd, wandelbar, ewig zwischen Flut und Ebbe schwankend, trug Hölderlin alle Züge eines Romantikers. Die Scheu vor einem festen Berufe war bei ihm ebenso ausgeprägt wie bei den andern. Trotz seiner Liebe und Ehrfurcht gegen seine Mutter, deren Herzenswunsch es war, ihren Sohn so bald als möglich als Pfarrherrn oder sonst in einer guten bürgerlichen Stellung zu sehen, widerstrebte er in diesem Punkte beharrlich und begründete sein auffallendes, im gemeinen Sinne unverständiges Benehmen bald mit seiner Jugend, bald mit seinem sonderbaren, launenhaften Charakter. »Das Schusterleben, wo man Tag für Tag auf seinem Stuhle sitzt, treibt, was sich im Schlafe treiben läßt, das bringt den Geist vor der Zeit in's Grab.« Er wollte, wie Kleist, zunächst unbeschränkt seiner allseitigen Bildung leben. Da Geld zu verdienen unumgänglich nöthig war, zog er das Hauslehrerleben einem Amte vor, weil ihm der Verkehr mit jungen Leuten und der Familie Anregung und Wechsel, überhaupt eine solche Stelle verhältnißmäßig große Freiheit versprach. Wie vorauszusehen war, fehlte es aber gerade in diesem Verhältnisse nicht an Hemmungen und Beeinträchtigungen, die es ihm vergällten und auf die Dauer ganz unerträglich machten; was vermuthlich auch dann der Fall gewesen wäre, wenn nicht der Sohn der Frau v. Kalb ein krankhaft angelegten peinlich zu behandelnder Junge gewesen wäre, und wenn er sich nicht in Frau Gontard, die Mutter seiner Zöglinge in Frankfurt verliebt hätte.
Wie Kleist kam er zu der Ansicht, daß das Glück hinter dem Pfluge zu finden sei; gerade die ganz unbäuerliche Ueberreiztheit und Ueberspannung ließ die Sehnsucht nach dem kindlichen Urleben des Menschen in ihm aufsteigen, das er, der die Ruhe am wenigsten ertragen konnte, so wenig wie Zacharias Werner oder Kleist durchzuführen vermocht hätte. Mehr und mehr begriff er, daß eben dem ungesicherten Charakter eine feste Berufsthätigkeit segensreich ist. Seinem jüngeren Bruder Karl rühmte er den Werth mechanischer Arbeit: »Es ist oft wünschenswerth, blos mit der Oberfläche unseres Wesens beschäftigt zu sein, als immer seine Seele, sei es in Liebe oder in Arbeit, der zerstörenden Wirklichkeit auszusetzen.« Das nämlich thun und müssen thun die schwächeren Menschen, die nicht an sich halten können und sich durch unnöthiges Preisgeben fortwährend noch schwächer und reizbarer machen. »Dein Selbstgefühl« schrieb er einem Freunde, »ruht auch noch auf andrer glücklicher Thätigkeit, und so bist du nicht vernichtet, wenn du nicht Dichter bist.« Er selbst fühlte sich der Aufgabe des Berufes aber nicht gewachsen. »Jedes Amt will einen reifen Mann, und der bin ich noch nicht«
Lenau, von dem still innerlichen Schwaben sehr verschieden, doch verwandten Schicksals, wollte erst die Rechte studiren, gab das aber zu Gunsten der Philosophie auf. Davon ging er, nachdem er auch eine Periode, wo er Landwirth werden wollte, überwunden hatte, zum Studium der Medicin über, was er ebensowenig wie das andere zu Ende führte; sondern er ergab sich einem unstäten Dichter- und Wanderleben
Der als Alterthumsforscher zu seiner Zeit berühmte Arnold Kanne war in seiner Jugend abwechselnd Schriftsteller, Theologe, Soldat in österreichischen Diensten, wieder Schriftsteller, Soldat in preußischen Diensten, dann, nachdem er in der äußersten Noth gewesen und buchstäblich zum Bettler geworden war, wurde er zwischen seinem 30. und 40. Jahre als Lehrer an einer höheren Schule in Nürnberg seßhaft. Als er sich im Jahre 1806 in Berlin aufhielt, um ein Buch, das er für sehr bedeutend hielt, drucken zu lassen, marschirten eines Tages an dem Wirthshause wo er wohnte, Soldaten unter Musik und Trommelschlag prächtig vorbei. Augenblicklich stellte es sich ihm so lebhaft vor, wie warm es den Soldaten um Kopf und Herz sei, während ihn im ungeheizten, ungemüthlichen Wirthszimmer fror, daß er sein Manuskript verbrannte und sich anwerben ließ; so ließ er sich von der Gelegenheit, von an sich unbedeutenden Zufällen treiben.
Doch war er nicht, was man unter einem Abenteurer versteht; seine Freunde schildern ihn als einen »seltsam überkräftigen Geist, der in dem äußerlichen Treiben des Lebens vergeblich nach einem Ruhepunkte suchte, der sein mächtiges Sehnen tragen konnte.«
Weder das Soldatenleben, noch die Schullehrerstelle verschafften ihm Befriedigung. Innerer Unfrieden, gänzliche Entzweiung mit sich selbst machten ihn menschenscheu, dabei fraß an seinem Herzen ein rasender Ehrgeiz »wie mit Höllenflammen.« Wie Andere in der katholischen Kirche, begrub er seine Unruhe und seine Leidenschaften im Pietismus, ein Umschwung, der plötzlich, ich weiß nicht durch welche Umstände, in ihm herbeigeführt wurde.
Ritter hatte seine Laufbahn als Apotheker begonnen; sein späteres Leben wurde durch die überwiegende Neigung zu den Naturwissenschaften bestimmt, denen er treu blieb. Unordnung und eine verhängnißvolle Neigung zum Alkohol, wie es scheint auch andern Berauschungsmitteln, brachten Wechsel und Zerrüttung reichlich in sein Leben, das mit kläglichem Zusammenbruch seiner selbst sowie der äußeren Verhältnisse endete.
Welche Hoffnungen Passavant auf den Beruf setzte, zu dem er eigentlich keine Neigung hatte, habe ich schon erwähnt. Von den älteren Romantikern erlitt der frühverstorbene Wackenroder alle Qualen der Angst vor dem Berufe und der Unfähigkeit die Berufslosigkeit zu ertragen.
Einen ganz anderen Charakter hat der Lebenslauf E. T. A. Hoffmann's, der, gleichfalls romantischer Art, sich durch einen Ueberschuß von Willenskraft von den vorher genannten unterscheidet. Er behielt bei allem Hang zur Ungebundenheit und der Lust am Abenteuerlichen, bei heftigem Abscheu gegen das Regelmäßige und Pedantische, doch die Kraft, sich in die bürgerliche Ordnung zu schicken, der er hinter dem Rücken Grimassen schnitt. Obwohl ihm die Rechtswissenschaft, sein eigentlicher Beruf, zuwider war, stand er seinen Mann darin; was so selbstverständlich erscheint und was die meisten Romantiker doch nicht konnten, brachte er fertig: das als nothwendig Erkannte zu thun.
Als er nach vielen Wanderungen und Wechseln wieder in das Justizwesen eintrat, schrieb er seinem Freunde Hippel: »Es ist in meinem Leben etwas recht Charakteristisches, daß immer das geschieht, was ich garnicht erwartete, sei es nun Böses oder Gutes, und daß ich stets das zu thun gezwungen werde, was meinem eigentlichen tieferen Princip widerstrebt.« Zufälle und Unfälle aller Art beeinflußten sein Leben, aber zerstückelten es nicht; sie gaben seiner Person eher Folie, als daß sie sie überwältigten. Der Druck des Brodstudiums lähmte ihn nicht, sondern trieb sein ganzes Feuer in die Mußestunden, wo er malte, musicirte und schriftstellerte. Eine Zeit lang, als Beamter in der Provinz Posen, verlor er sich in gemeinen, sinnlichen Ausschweifungen, wußte aber doch rechtzeitig ein Ende damit zu machen. Als in Folge des napoleonischen Krieges die preußische Regierung in Posen sich auflöste und die Beamten ihrer Thätigkeit enthoben wurden, genoß er entzückt die Freiheit und das bunte, tolle Treiben, das der interimistische Zustand in Warschau mit sich brachte; unterließ aber deswegen doch nicht, sich eifrig nach neuen Einnahmequellen umzusehen, und nahm hoffnungsvoll eine Stelle als Kapellmeister in Bamberg an. Da die damaligen Theaterverhältnisse großen Schwankungen unterlagen, mußte er sich bequemen, nebenbei in Familien Unterricht zu ertheilen und litt bei krankhafter Reizbarkeit unsäglich durch Verständnißlosigkeit, Beschränktheit und Rohheit der Schüler, namentlich aber der Eltern. Trotzdem sein heftiges Temperament es ihm erschwerte, hielt er aus, nur daß er sich zuweilen beim Weine tröstete oder dadurch, daß er satirisch humoristische Betrachtungen aufschrieb. Dabei entdeckte er sein schriftstellerisches Talent, das ihm allmählig zu einer namhaften Geldquelle wurde; nichtsdestoweniger suchte er Rückhalt in einem bürgerlichen Amte, und trat, nachdem er noch einmal in Leipzig Kapellmeister gewesen war, durch Vermittlung seines Jugendfreundes Hippel wieder in die juristische Laufbahn ein. Er füllte diese ihm durchaus nicht zusagende Stelle nicht nur genügend, sondern sogar rühmlich aus, und ließ sich im Amte nie die kleinste Nachlässigkeit zu Schulden kommen. Während andere Romantiker Verschiedenes ergriffen und nichts mit gutem Erfolge tüchtig zu Ende führten, war Hoffmann auf mehreren, zum Theil ganz entgegengesetzten Gebieten beruflich thätig und in jedem tüchtig, hierin dem übrigens ganz anders gearteten Novalis ähnlich.
Hoffmann war von den genannten Romantikern auch der einzige, der in einer guten, glücklich zu nennenden Ehe lebte. Allerdings spielt, wie es bei allen Romantikern der Fall war, die schönste Rolle in seinem Leben die Freundschaft. Sein Verhältniß zu seinem Freunde Hippel, der schon, als er noch unter dem Regiment des verhaßten Oheims schmachtete, sein Tröster war, und dessen Fürsorge er zuletzt die gesicherte Lebensstellung verdankte, blieb nicht nur das ganze Leben hindurch ungetrübt und förderlich, sondern war auch in seinen Aeußerungen stets von jugendlicher Zärtlichkeit und Liebesinnigkeit.
So stehen im Kreise der Romantiker als bekannte Freundesgruppen die Gebrüder Schlegel, die Gebrüder Grimm, treuer, schlichter und reiner als jene, die Gebrüder Boisserée und Bertram, Arnim und Brentano, Tieck und Wackenroder, Kerner und Uhland; zu schweigen von dem großen Freundschaftsnetz, das alle mit einander zu einer Gemeinde verband.
Hoffmann's Beziehungen zu Frauen wurden nur zu häufig durch eine allzu hitzige Sinnlichkeit gestört und verzerrt; doch wußte er sich schließlich immer wieder herauszureißen und darüber zu erheben. Als Jüngling hatte er eine wüthende Liebe zu einer jungen verheiratheten Frau, die sich oft in krankhaft wilder Weise äußerte; als Ehemann zu einem ganz jungen Mädchen, seiner Julia, die den viel älteren Mann, ihren Musiklehrer, kindlich verehrte, sich aber von ihrer Mutter leicht bereden ließ, einen reichen, wenn auch durchaus nicht liebenswerthen jungen Mann zu heirathen. Seine brennende Eifersucht trieb ihn verschiedentlich in lächerliche, unwürdige Situationen, aus denen er sich aber doch heil wieder herausfand, um aus dem angebeteten Kinde die Muse seiner Kunst zu machen.
Zerstörender noch als für Brentano wurde die Liebe für Zacharias Werner's Leben. Als ganz junger Mensch ließ er sich durch die gemeinsten Triebe hinreißen und tauchte aus einem Strudel verächtlicher Genüsse mit einer Frau auf, die er selbst später als ein würdeloses Wesen bezeichnete. Er führte mit ihr eine Zeit lang ein zigeunerhaftes Wunderleben, mußte aber erfahren, daß sie ihn hinterging und entledigte sich ihrer durch Scheidung. Ebenso ging eine zweite leichtsinnig geschlossene Ehe auseinander: die zweite Frau hatte ihn, nach seiner Angabe, hauptsächlich dadurch abgestoßen, daß sie durch Gleichgültigkeit und Fahrlässigkeit die Fehlgeburt eines Kindes verschuldete. Wiederum frei, verheirathete er sich mit einer armen polnischen Schneiderstochter, die er beim ersten Sehen auf der Straße als sein langgesuchtes Ideal erkannt zu haben behauptete. Obwohl sie sich kaum verständigen konnten, da sie nicht deutsch und er nicht polnisch sprach, wollte er mit dieser Frau eine mystisch-heilige Gemeinschaft darstellen, wovon aber nichts zur Ausführung gekommen zu sein scheint. Der Wunsch der Scheidung ging diesmal von der Frau aus, die sich mit einem andern zu verheirathen beabsichtigte, was niemand besser begriff als Werner selbst, der sie ausdrücklich mit seinen schlechten Eigenschaften als Faulheit, Unreinlichkeit, Geiz und anderen entschuldigte. Uebrigens war ihm die wiedererlangte Freiheit nicht unwillkommen, obwohl er gern von der Ewigkeit seiner Liebe zu der Verlorenen sprach und den trostlos Verlassenen spielte.
Nach der dritten Scheidung hielt Werner sich für ausgestoßen aus dem Heiligthum der Ehe und behalf sich, während er seine Einsamkeit bejammerte, mit zahlreichen flüchtigen Genüssen, die er auf das Schamloseste aufsuchte, obwohl seine Reue und der Ekel vor sich selber dabei unaufhörlich zunahmen.
Ritter, der Physiker, den Friedrich und Dorothea Schlegel zur engeren Kirche zählten, verdarb sein Leben durch die Ehe mit seiner Haushälterin, einer nicht nur ungebildeten, sondern unordentlichen und haltlosen Frau, die den keineswegs charakterfesten Mann immer mehr herabzog.
Einen merkwürdigen Gegensatz zu Brentano's und Werner's blindzufälligen Hineintaumeln in die Ehe bildet die Heirathsscheu anderer Romantiker; im Grunde freilich ist das eine wohl nur die Kehrseite des andern und ist beides auf hochgesteigerte Ueberspanntheit und Reizbarkeit der Nerven zurückzuführen. Was in Brentano bei seiner Hochzeit mit Auguste Busmann nur als Wunsch aufblitzte: nämlich vor der Kirchenthüre wieder umzukehren, das führte Kanne in Nürnberg wirklich aus. Am Abend vor dem Tage, der zu seiner Heirath mit einem lange geliebten Mädchen anberaumt war, wurde er plötzlich von Angst und Unruhe überwältigt und entfloh auf's Gerathewohl nach Würzburg, wo ihn ein wohlmeinender Freund durch ernsten Zuspruch bewog, zurückzukehren und seine Braut um Verzeihung zu bitten.
Er soll später ein guter Ehemann geworden sein.
Hölderlin führte seinen Entschluß, nie zu heirathen, auf dieselbe Charakteranlage zurück, die ihn das Amt, überhaupt jede feste Stellung fürchten ließen. Seine Launen, sein Hang zu Projekten, sein Ehrgeiz würde ihn im ruhigen Ehestande nicht glücklich werden lassen, meinte er. Wollte ihn irgend eine eingegangene Verbindung fesseln, bekam er Angst vor dem, was er kurz zuvor heftig gewünscht hatte; denn er war keineswegs kalt, vielmehr leicht entzündlich und schnell in Liebesangelegenheiten verstrickt, denen nach einiger Zeit eine ihn selbst überraschende Kälte ein Ende machte. Auch in dieser Hinsicht wechselte ewig Ebbe und Fluth in ihm, hochgehende Erregung und schwere, steinerne Kälte. Obwohl er früh angefangen hatte zu lieben und fast immer verliebt war, sagt er doch von sich: »Es ist wunderbar, ich soll wahrscheinlich nie lieben als im Traume;« so scheint er klar gefühlt zu haben, daß die Ursache in ihm lag. Seine Diotima, Frau Gontard in Frankfurt, war nun freilich eine Frau, die ihn durch den Nimbus ihrer gesellschaftlichen Stellung, die Schönheit und Feinheit, nicht am wenigsten durch ihre Unerreichbarkeit lange auf der Höhe seiner Gefühle erhalten konnte. Hier konnte die Alltäglichkeit, die er so fürchtete und haßte, niemals eintreten, allerdings aber auch niemals die Ruhe der Erfüllung, die vermuthlich die auf's Aeußerste gesteigerte Empfindung sogleich gedämpft hätte. Sicherlich war es nicht die unglückliche Liebe, die seinen Wahnsinn herbeiführte; im Gegentheil war dies volle, zweifellose Gefühl wohl das letzte schöne Strahlen seines Gemüths vor dem Erlöschen.
Am reinsten und ruhigsten war Hölderlin immer seiner Mutter, seinem Bruder, seinen Freunden gegenüber, wie denn auch Freundschaft und Familie bis zum Ende opferbereit um den Unempfindlichen bemüht war. Jugendfreunde nahmen ihn in ihre Mitte, als er zu kränkeln anfing, um ihn zu erheitern, waren geschäftig, ihm gute Stellen zu vermitteln, ihm mit Rath und That an die Hand zu gehen. Als die Krankheit ausgebrochen war, nahm der junge Sinklair die Sorge für ihn auf sich, wie es ein Sohn nicht dringlicher und zarter hätte thun können, verschaffte ihm eine Schein-Anstellung bei dem Landgrafen von Homburg, deren Kosten von seinem eigenen Gehalte abgingen und erbat sich von der Mutter des Dichters das Recht, ihn zu pflegen in einer Weise, als ob er um eine hohe Gunst nachsuchte.
Lenau war stets verlobt, fand aber stets in sich selbst einen Widerstand und unerklärliche Angst, wenn die Verbindung endgültig gemacht werden sollte. Etwas Aehnliches liegt bei Grillparzer vor.
Kleist liebte nicht wie z. B. die Gebrüder Schlegel, Schelling, Brentano, Hölderlin, Lenau, reife, verheirathete Frauen, sondern jugendliche Mädchen, bei denen er willenlose Hingabe ahnte; nicht daß er herrschsüchtig gewesen wäre, aber für ihn lag darin der üppigste Zauber der Leidenschaft. Wie der Graf von Strahl sein Käthchen von Heilbronn pflegte er seine Mädchen auf die Probe zu stellen und stieß sie von sich, wenn sie seinen vernunftwidrigen und zum Theil geschmacklosen Zumuthungen widerstrebten. Von seiner ersten Braut verlangte er Einwilligung in seine Laudwirthschaftspläne; mit der zweiten brach er, weil sie sich weigerte, die gegenseitige Liebe vor Eltern und Vormündern geheimzuhalten, was bei der Lage der Dinge völlig sinnlos gewesen wäre. Im Grunde mochten dies freilich Vorwände sein, an die er selbst glaubte, und die wirkliche Ursache lag wie bei den andern in dem krankhaften Auf und Ab seiner Gefühle.
Bedeutungsvoller als irgend eine andere Frau in Kleist's Leben war jedenfalls seine Schwester Ulrike, die einzige, an der er mit unwandelbarer Liebe hing; wenn sie auch zu wenig liebreizend, zu männlich war, um ihm den Umgang mit anderen Frauen zu ersetzen. Unglückliche Liebe allein hätte ihn aber gewiß nicht zu dem Selbstmorde bewogen, der nichts anderes als die letzte Explosion dieses gemarterten Lebens war.
Wie berechtigt übrigens bei diesen Naturen die Angst vor der Ehe war, zeigt das Beispiel des Malers Otto Runge. Dieser verliebte sich stürmisch in ein ganz junges Mädchen, das schon den Jahren nach zu unreif war, um allem Hohen, was er in sie hineinlegte, anders als in der Möglichkeit zu entsprechen. Voll Ungeduld sah er der Hochzeit entgegen, denn er war überzeugt, ihr Besitz, die ihm gewissermaßen die begeisternde Muse war, würde ihn zu den höchsten Schöpfungen beflügeln. Anstatt dessen fühlte er sich, sowie das Ziel erreicht war, bedrückt und beklommen. Vergeblich wartete er auf den Schaffenstrieb, der ihn früher befeuert hatte; er blieb matt und kalt bis zu seinem frühen Tode. Dies Lähmende der Ehe anstatt erwarteter Beflügelung hatte schon Tieck und auch Clemens Brentano in seiner im Ganzen doch so glücklichen Ehe erfahren, und es liegt wohl daran, daß der künstlerische Trieb bei diesen Menschen eng mit der Liebessehnsucht, der Jugend überhaupt verbunden war.
Daß die Romantiker Heimathlose waren, geht aus dem Erzählen hervor. Keiner von den Genannten hatte einen festen Wohnsitz, auch waren sie ja weder durch Familie noch Beruf gebunden. Bei mehreren, als Hoffmann, Brentano, Werner, Lenau, hatte sich schon in Folge unglücklicher, verschrobener Verhältnisse im Vaterhanse das naive Anhänglichkeitsgefühl an den Boden der Kindheit nicht bilden können.
Brentano's Leben war ein beständiges Wandern, Heidelberg, der Schauplatz seiner Ehe und seiner Familienträume, der einzige Ort, für den er eine Art von Heimathsgefühl hegte. Uebrigens »schnell fertig mit jedem,« stets vom Fremden angelockt, ließ er sich nie Muße, Wurzel zu schlagen. Nachdem sein Haushalt in Heidelberg aufgehoben war, machte er nur noch Stationen, hauptsächlich in Berlin, Wien, Prag, Dülmen in Westfalen, deren letzte München war.
Zacharias Werner nannte sich geradezu den Pilger. Seine Wanderungen sind besonders frappant, wenn man bedenkt, daß der Ostpreuße eine zweite, geistliche Heimath in Rom fand und schließlich ständigen Aufenthalt in Wien nahm, Punkte, die durch Klima, Natur des Landes und Volkes rechte Gegensätze zu seinem Geburtslande bilden.
Hat man bei Brentano und Werner das Gefühl, als sei der Grund ihres beständigen Umherreisens die dunkle Sehnsucht, die sie nirgends Ruhe und Befriedigung finden ließ, so schritten Kleist und Lenau durch innere Angst, durch einen Dämon umgetrieben. In Reisen, oft planlosen, ziellosen, explodirte gewöhnlich die auf's Höchste gediehene Spannung Kleist's. Seine innere Rastlosigkeit suchte er an der äußeren Bewegung abzustumpfen. Am merkwürdigsten ist wohl Lenau's Reise nach Amerika, die er trotz des inständigen Abrathens seiner Freunde, von einem übermächtigen, inneren Zwange gedrängt, unternahm, gleichsam die Sehnsucht über die Erde hinaus nach einem anderen Sterne durch Uebersiedelung nach einem anderen Welttheil zu stillen meinend. Gebrochen und zerrüttet kam er von dieser Reise zurück, wenn auch bis zum Ausbruch des Wahnsinns noch mehrere Jahre verliefen.
Hölderlin konnte es zwar auch nie lange an einem Orte aushalten, doch hatte er ein starkes instinktives Heimathsgefühl. Das mag damit zusammenhängen, daß Hölderlin's Eltern beide Schwaben, aus gesunden Bürgerfamilien stammend, waren, während zwischen den Eltern der übrigen oft starke Gegensätze der Abstammung oder der Veranlagung bestanden.
»Blumen der Art halten nicht über den Sommer aus«, sagte Justinus Kerner und eine ähnliche Bemerkung machte Goethe einmal, als er mit Sulpiz Boisserée Zeichnungen von Runge betrachtete. Er machte den jungen Freund darauf aufmerksam, wie »das Teufelszeug« schön und toll zugleich sei, und fügte mit Hinweis auf des Malers frühen Tod hinzu: »Aber der arme Teufel hat's auch nicht ausgehalten, er ist schon hin, es ist nicht anders möglich, wer so auf der Klippe steht, muß sterben oder verrückt werden, da ist keine Gnade.«
Betrachten wir den Abschluß der Lebensläufe der Romantiker, so fällt in der That ihr frühes Welten auf: Novalis, Wackenroder, Graf Löben, der Maler Runge, der Physiker Ritter starben jung durch Krankheit, Lenau verfiel im Anfang der vierziger, Hölderlin im Anfang der dreißiger Jahre in unheilbaren Wahnsinn, Kleist, sein Leben lang mit Selbstmord und Wahnsinn ringend, erschoß sich fünfunddreißigjährig. Werner, Kanne, Brentano, Hoffmann erreichten zwar durchschnittlich das fünfzigste Jahr; aber wie war das Jahrzehnt beschaffen, das sie vor jenen voraus hatten? Man muß bedenken, daß der Anschluß an die Kirche in diesen Fällen eine Art Verzweiflungsakt war, eine Flucht aus der Welt, mit der man nicht fertig werden konnte, ein Waffenstrecken und Sichbesiegterklären. Abgehetzt, um jeden Preis Ruhe verlangend, verleugneten diese Rathlosen ihre Vergangenheit, gaben das eigene Streben und Irren auf und lieferten sich gewissermaaßen dem Arzt aus, der Gemüthsruhe und Langeweile zum Behuf einer Fettkur vorschrieb. Friedrich Schlegel widerrief, nachdem er katholisch geworden war, nicht nur die Lucinde, eines der hauptsächlichsten Erzeugnisse der romantischen Blüthezeit, sondern das Wesen und Wirken seiner Jugend überhaupt; Brentano nannte seine früheren Schriften die künstlerisch seine besten sind, dämonische Verirrungen, Werner schrieb die Weihe der Unkraft, Kanne nur noch wässerige Romane mit pietistischer Tendenz.
Etwas besonderes liegt bei Hoffmann und Tieck vor. Hoffmann's Ende hat insofern keinen kläglichen oder tragischen Charakter, als er bis zuletzt im Besitze seiner geistigen Fähigkeiten blieb und noch auf dem Kranken- und Sterbelager Novellen dichtete, die an Rundung und stiller Wärme eher gewonnen als verloren haben. Es ist aber die Frage, wie sein Leben sich gestaltet hätte, wenn er sich nicht so, wie er that, dem Trunke hingegeben hätte. Wie er jedes einzelne Mal durch den Alkohol sich Koncentration machte und seine Schaffenskraft steigerte, nicht bedenkend oder geringschätzend, daß eine desto größere Erschlaffung erfolgte, hat er dadurch vielleicht auch im Ganzen seinem Leben größere Energie und Einheit auf Kosten der Dauer gewonnen. Hätten wir also bei Hoffmann eine Erhöhung der Lebenskraft um den Preis der Lebensdauer, so scheint bei Tieck im Gegentheil eine Verlängerung des Lebens um den Preis des Lebensfeuers vorzuliegen.
Tieck's Bedeutung für die Romantik und für das Geistesleben überhaupt liegt vor seinem dreißigsten Lebensjahre. Ungefähr um diese Zeit stellte sich die Gicht bei ihm ein, dem Wesen nach eine Alterskrankheit, die seine hohe Gestalt, als er eben die Schwelle des Mannesalters überschritten hatte, krümmte. Zugleich verschwand seine Anmuth und Beweglichkeit, und er bekam äußerlich eine Würde, die ganz in Uebereinstimmung war mit seinen späteren antiromantischen, langweiligen Novellen. Der körperliche Vorgang des Alterns, durch welchen oft die allzugroße Hitze des Blutes ausgeglichen wird, das Verknöchern, ist hier bedeutend verfrüht eingetreten.
Fouqué bekam in den dreißiger Jahren einen Rückenmarkschlag, von dem man glaubte, daß er seinen Tod in kürzester Frist herbeiführen würde. Anstatt dessen lebte er beinah noch einmal so lange, aber seine Schriften, die schon vorher angefangen hatten, bedenklich schwächer zu werden, fielen mehr und mehr in's Kindische. Was er Gutes geschrieben hat, und die Undine ist ein Meisterwerk der Romantik, ist Jünglingsdichtung; auch er konnte nicht alt werden.
büßen aber dabei die Zeit des Reifens ein und werden plötzlich zu Greisen; andere sterben, andere erkranken. Tieck, obschon er alt wurde, war nie eigentlich Mann, sondern bekam plötzlich, als Jüngling, die Art eines Greisen. Wilhelm Schlegel erschien im Alter abstoßend, etwa wie ein als Jüngling maskirter Greis. Hoffmann hatte im Gegentheil niemals etwas jünglinghaftes, aber ebensowenig männliches; er glich eher einem kleinen Kobold oder Hexenmeister.
Betrachten wir das Leben derjenigen Männer, die im romantischen Geiste wirkten, romantisch dachten, aber nicht romantische Naturen waren, wird der Unterschied recht deutlich werden zwischen einem Lebenslauf, der zwischen Trieb und Zufall, Sehnsucht und Schicksal schwankt, und einem, dem starke Anlagen die Richtung geben, und den ein besonnener Wille formt. Auch das Leben eines Görres, Adam Müller und anderer war reich an Wechselfällen und ungewöhnlichen Ereignissen. Görres, ein Rheinländer, arbeitete als Jüngling, angeregt durch die Ideale der französischen Revolution, für den Anschluß seiner Heimath an die französische Republik, kehrte sich, von der Wirklichkeit enttäuscht, von Frankreich ab und warf sich mit Feuer auf das Studium der Wissenschaften, in welchen er neu und zündend wirkte. Als die Befreiung Deutschlands herannahte, gründete er den Rheinischen Merkur, die erste deutsche politische Zeitschrift, die eine selbstständige Gesinnung vertrat und soviel Beachtung verdiente, daß Napoleon sie als sechste Großmacht bezeichnete. Unter dem Beifall der besten Männer Deutschlands mit grenzenloser Hingebung von Görres durchgeführt, erregte das Blatt durch seinen Freimuth die Abneigung einiger Fürsten, es wurde verboten, und Görres mußte, um seine Freiheit zu wahren, aus Preußen fliehen. Er lebte nun wiederum den Wissenschaften, erst in Straßburg, dann in der Schweiz, und wurde, während er erst ein mächtiger Schirm der Freiheit und allseitiger Gerechtigkeit gewesen war, ein Vorkämpfer des Katholicismus und der hervorragendste deutsche Kirchengelehrte neuerer Zeit.
Aber hier sehen wir nicht einen Menschen, den zufällige Umstände planlos vor sich hertreiben, sondern einen, der die verschiedensten Umstände ergreift und sich anbildet. Gegeben war bei Görres eine leidenschaftliche aktive Natur, der Wirken nach außen Lebensbedingung war; Lust und Fähigkeit die Menschen zu beeinflussen; stolzer Freiheitsdrang, den ein einsichtiger Verstand regelte, und den das Alter, wie es natürlich ist, milderte und einschränkte; ein poetischer Sinn, der alles bekränzte, was er trieb, sei es Religion oder Politik oder Wissenschaft; eine erstaunliche Fassungskraft, die ihm ermöglichte, in kürzester Zeit ganze Bibliotheken auszufressen, Sprachen zu erlernen, Handschriften zu entziffern; die Gabe mündlicher und schriftlicher Rede: im Ganzen eine kräftige, stark bewegte aber doch fest in sich ruhende Persönlichkeit. Er warf sich naturgemäß immer dahin, wo er diese Gaben walten lassen konnte; als die Revolution ausbrach auf Frankreich, als Deutschland sich zum Kampfe nach außen sammelte und später als es in seinem Innern um Einheit und Verfassung stritt, auf Deutschland, als alle Hoffnungen vereitelt waren und ihn das Treiben der Regierten sowohl wie der Regierenden anekelte, auf die Kirche, von der er einzig noch Rettung erwartete. Jedesmal füllte er seine Stelle ganz aus, und wie groß die Folgerichtigkeit in seinen Wandlungen war, beweist das am besten, daß er selbst sie nicht als solche empfand, sondern sich immer selbstverständlich am Platze fühlte.
Görres, Creuzer, Schelling, Baader, Savigny die Gebrüder Grimm, Schubert, Carus, Ringseis, lauter Häupter der romantischen Richtung, waren Professoren, Carus und Ringseis dabei ausübende Aerzte. Adam Müller war Diplomat, Eichendorff juristischer Beamter, Justinus Kerner und Passavant waren Aerzte. Ein fest angesiedeltes Leben war damit von selbst gegeben, und waren auch alle mehr oder weniger reiselustig, wie denn auch mehrere oft und weit reisten, so hat das mit dem Gefühl der Heimathlosigkeit und sehnendem Irren in's Weite nichts zu schaffen und sie kehrten immer gern in die Schranken ihres Wirkungskreises zurück.
Die Liebe spielt im Leben dieser Männer keine größere Rolle, als die normale Natur es mit sich bringt. Nur in die Jugendzeit greift wohl die Liebe erschütternd ein, aber das Mannesalter begleitet sie höchstens noch gelinde. Creuzer faßte, als verheiratheter Mann, eine verhängnißvolle Liebe zu Karoline v. Günderode, die von ihr erwidert wurde und zur Auflösung seiner Ehe zu führen schien. Bevor sich das völlig entwickelt hatte, verfiel er in eine schwere Krankheit, während welcher sein Sinn sich änderte, so daß er seiner Frau versprach, im Fall, daß er genese, sie nicht zu verlassen. Hiervon wurde die unglückliche Karoline in Kenntniß gesetzt, und, unfähig das plötzliche Scheitern ihrer Lebenshoffnungen zu ertragen, erdolchte sie sich am Ufer des Rheines. Creuzer erreichte als guter, stiller Familienvater ein hohes Alter. Dies romantische Ereigniß führte also ein ganz anderes Ergebniß herbei, als ähnliche im Leben der eigentlichen Romantiker; nicht deshalb, weil es nicht zur Lösung der Ehe kam, sondern weil die Liebe sich dem Leben einordnen muß und nicht des Lebens Zweck wird.
Schelling's jugendliche Leidenschaft zu Karoline Schlegel dauerte in der Ehe als beglückende Gattenliebe bis zu ihrem Tode fort. Durch denselben in tiefste Trauer versetzt, heirathete er doch bald darauf ein junges Mädchen, die Tochter von Karolinen's Jugendfreundin Gotter, Pauline, die in der Verehrung der mütterlichen Freundin aufgewachsen war. Sie schenkte Schelling, der bis dahin kinderlos war, mehrere Kinder, und er fühlte sich dauernd beglückt in seiner Häuslichkeit.
Auch Schubert verlor eine heißgeliebte Gattin durch den Tod und glaubte die Trauer um sie nie überwinden zu können; doch nach kürzester Zeit hob ihn der Anblick eines Mädchens, einer jungen Verwandten der Verstorbenen, aus dem trostlosen Einsamkeitsgefühl mit einem Male in ein ungetrübtes Glück, und eine zweite glückliche Ehe war die Folge. So leben und handeln nur naive, gesunden Instinkten sich überlassende Naturen.
Carus heirathete eine Cousine, die mit ihm im Elternhaus auferzogen war, in der bestimmten Absicht, sich dadurch über die peinigende Seelenunruhe der Jugend zu erheben und sich ungestört wissenschaftlichen Studien widmen zu können. Ein langes Leben hindurch war er ein ausgezeichneter Gatte und Vater.
Baader sah seine Frau zuerst auf der Straße, wo er sich, ohne sie zu kennen, sofort so in sie verliebte, daß er beschloß, sie oder keine müsse seine Frau werden. Er setzte es wirklich durch, hatte viele Kinder mit ihr, und als sie nach langjähriger glücklicher Ehe starb, heirathete er, schon alternd, ein gutes, viel jüngeres Mädchen, die ihn bis zu seinem Tode treulich liebte, verehrte und pflegte.
Passavant war eigentlich romantisch veranlagt; er klagte selbst, wie schon angeführt, über Schwäche seines Gehirnlebens gegenüber den sinnlichen Trieben. Aber mit einem starken sittlichen Willen, den er vor den übrigen Romantikern voraus hatte, bekämpfte er diese Gluth, die ihm, wie er einsah, auf dem Wege zu männlicher Vollkommenheit im Wege stand, unerbittlich wie ein strenger Christ des Mittelalters. Als Jüngling verliebte er sich heftig in eine hübsche Salzburgerin, beschloß aber, seine Neigung zu überwinden, damit sie ihm nicht in seinem hohen Streben störe, was ihm auch zu großer Betrübniß des Fräuleins gelang. Später heirathete Passavant ein Mädchen, in das er nicht verliebt war, dem er aber, während er sie ärztlich behandelte, theuer, ja unentbehrlich geworden war. Er lebte mit Marianne Lessing lange in einer im Ganzen glücklichen Ehe, während welcher die beständige Kränklichkeit der Frau seine Geduld schweren Prüfungen unterwarf. Die erste Geliebte wurde die Frau eines anderen Arztes, des Professor Ringseis. Ringseis war immer wegen seiner Unempfindlichkeit gegen Frauen geneckt worden; als er seine nachmalige Gattin, Friederike, kennen lernte, war er bereits in den 30er Jahren, und auch sie befand sich jenseits der ersten Jugend. Obwohl er sie liebte, führte er sie nicht heim, bevor er sich von ihrer Religiosität überzeugt hatte, und sie lebten ohne Ueberschwänglichkeit, aber in herzlicher Gemeinschaft bis in's hohe Alter.
Alle diese Frauen waren tüchtige, hübsche Frauen, geistig nicht hervorragend, aber munter, talentvoll und bildsam. Sie beeinflußten die geistige Entwickelung ihrer Männer nicht unmittelbar, trugen aber zu ihrer häuslichen Behaglichkeit und ihrem menschlichen Glücksgefühl viel bei. Kinder fehlten diesen Ehen nicht. Die Liebe war bei den genannten Männern hauptsächlich der familienbildende Instinkt, durch den sie sich als Glieder in die Gattung einreihten. Unter den eigentlichen Romantikern war nur Tieck Vater; Hoffmann hatte ein kleines Mädchen, das früh starb. Brentano's Kinder starben bald nach der Geburt.
Eine Zwischenstellung nehmen Justinus Kerner und Gotthilf Heinrich Schubert ein, die einander auch äußerlich geglichen haben sollen. Sie waren nicht ewige Jünglinge und wurden auch nicht Männer, sondern blieben ihr Leben lang Kinder. Sicher wie Nachtwandelnde gingen sie ihren Weg, selten mit Bewußtsein das richtige wählend, doch immer überzeugt, es werde sich von selbst alles zum Guten kehren. Sie fühlten sich immer von Wundern getragen, und ein wunderbarer Schimmer umgiebt auch ihr Leben: das Kerner's stellt sich mehr wie ein Märchen, das Schubert's mehr wie eine Legende dar. Das liegt aber an ihrer eigenen Auffassung: ihr romantisches Auge stand über ihrem Leben wie der Mond, der ein am Tage alltäglich bürgerliches Gärtchen bei Nacht in eine Zauberei verdämmert.
Kerner wurde anfänglich gegen seine Neigung in ein Tuchgeschäft gesteckt, wo er in unbewachten Augenblicken seine ersten Gedichte verfaßte, erlangte aber durch Vermittelung einiger Freunde die Erlaubniß zu studiren. Er wurde Arzt in seiner Heimath Schwaben, seine erste Liebe, das Rikele, wurde seine Frau, und er blieb sein langes Leben durch in zärtlicher Treue mit ihr verbunden.
Etwas bunter war Schubert's Leben: Schubert's Großmutter, eine einfache Frau aus dem Erzgebirge, die mit geklöppelten Spitzen handelte, besaß die Gabe bedeutungsvoller Träume und ließ ihren Sohn, Schubert's Vater, aus den Wink eines Traumes hin Theologie studiren, für die in ihr kleines Gebirgsdorf versteckten schlichten Leute ein unerhörtes Unternehmen. Dies Träumen vererbte die fromme, charaktervolle Frau auf ihren Sohn und auch auf ihren Enkel, dem Träume oft, wie er meinte, den seelischen Antrieb zu in der Folge als glücklich sich erweisenden Handlungen gaben.
Die Liebe zu den Naturwissenschaften war ihm angeboren; als kleiner Junge legte er sich zum Zweck einer Art von vergleichender Ornithologie eine Sammlung von Vogelknochen, ferner eine Sammlung von Mineralien an; er begann ein Buch über den Walfischfang zu schreiben, machte feuergefährliche Experimente und brütete mit Vorliebe über physikalisch-astronomischen Räthseln. Andererseits war er in die Frömmigkeit der guten Pfarrersfamilie – denn Vater und Großvater mütterlicherseits waren Pfarrer – so eingehegt, daß er es anfänglich zufrieden war, Theologie zu studiren, und sich darauf verließ, daß die Vorsehung die Sache der Medicin für ihn führen würde, was auch geschah. Kaum hatte er sein Studium beendet, so heirathete er, noch ein Jüngling, ein gleichalteriges Mädchen, und begann Praxis und Haushalt zugleich, obwohl beide nichts besaßen außer 100 Thaler Schulden. Sie waren so voll Zuversicht, daß sie trotz dieser bedenklichen Lage weitgehende Gastfreundschaft übten, und zur rechten Zeit stellten sich dann auch Patienten oder Verleger für seine Bücher ein.
In Dresden war Schubert einmal ohne Praxis, ohne irgend eine Aussicht auf Einnahme, aller Hilfsmittel so entblößt, daß er sich einer niedergedrückten Stimmung nicht erwehren konnte, doch tröstete ihn schließlich ein sehr kräftiges und inniges Beten. Wenige Tage nachher kam ein Brief von Schelling, der ihm die Aussicht auf eine Anstellung als Direktor einer höheren Schulanstalt in Nürnberg eröffnete.
Er ließ sich von Nürnberg nach Mecklenburg führen, wo er Erzieher eines Prinzen wurde, von Mecklenburg wieder nach Erlangen, von dort als Professor nach München, nicht wie einer, der sich dem Spiel des Zufalls überläßt, sondern wie ein vertrauensseliges, ahnungsvolles Kind, das gewiß ist, sein Ziel nicht zu verfehlen. Es war, als ob der Lärm der Sinnenwelt nie ganz in die kindliche Stille seines Innern hineindrang, so daß er den leisesten Ruf seines Genius vernehmen und ihm nachgehen konnte.
Wie anders als diese Erdenbürger, die alt, von Kindern und Enkeln umringt, nach einem tüchtigen, wirkungsvollen Leben in's Grab steigen, jene Heimathlosen, deren Blüthe ein jähes Auflodern ist, dem bald Verwelken folgt. Daß sie nicht ausreifen konnten, berechtigt wohl dazu, in ihrer Anlage einen Fehler vorauszusetzen. Denn wir sollen, so müssen wir doch denken, die Vollkommenheit darin suchen, den mannigfachen Aufgaben des Lebens gerecht zu werden, wir sollen den Schönheitstraum der Jugend von uns werfen, die Verzweiflung über die Befleckung der Ideale im Kampfe überwinden und auf die edelsten Genüsse selbst verzichten, um zunächst ein leidender und ringender Mensch zu sein. Die eigentlichen Romantiker hatten den Trieb, sich vor dem Leben in ihr Inneres zurückzuziehen; das Leben rächte sich doppelt an ihnen: einmal, weil nur im Leben Entwickelung ist und sie unentwickelt blieben, dann weil sie schrecklich litten durch die Reue, ihre Aufgabe nicht erfüllt zu haben.
Damit soll aber keineswegs ein verwerfendes Urtheil über die Heimathlosen ausgesprochen sein. Erscheint doch jeder im fremden Lande zerfahren, unwirksam, kindlich hilflos, der im Vaterlande sich vielleicht klug und kräftig bethätigen könnte. Wenn wir diejenigen bewundern, die das Leben furchtlos bestanden, es ergriffen und sich hindurcharbeiteten, ohne ihre Seele zu verkaufen, so müssen wir diejenigen von Herzen beklagen, denen es nie gelang, sich hienieden einen festen Platz zu erobern und zu behaupten, weil, wie Frau Rath Goethe dem jungen Brentano in's Stammbuch schrieb, ihr Reich in den Wolken war und sie nicht vermochten, zwischen ihm und der Erde eine Brücke zu bauen.
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