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Das Wunderbare kann durch abenteuerliche Handlung in die Dichtung gebracht werden; ein anderer Weg, der romantische, geht nach innen und läßt aus der Nachtseite der Seele und der Natur ein magisches Licht auf das bewußte, dem Verstande zugängliche Leben fallen. Traum und Wahnsinn, zwingende Neigung und dämonischer Haß, der verwandte und doch ewig verhüllte Geist, der aus der Natur beschwichtigend, bethörend, warnend zu uns zu sprechen scheint, alle Erscheinungen, die den Menschen, schwankend und sich selbst unbekannt, in Verbindung mit gewaltigen Weltkräften zeigen, gebraucht der Romantiker als Mittel, um seine Kunst ebenso schauerlich schön, räthselhaft bedeutend zu machen, wie die Welt und das Leben ist.
Die Neigung zur Nachtwelt und ihren Geheimnissen ist jedem romantischen Dichter, eigentlich jedem Dichter überhaupt, bis zu einem gewissen Grade wesentlich. Tieck hatte in Erzählungen und Märchen die unheimliche Stimmung und das Grausige mit großem dichterischen Vermögen gepflegt und im Runenberg die verhängnißvolle Anziehung edler Steine und Metalle, namentlich des Goldes, dargestellt, noch ehe Campetti bekannt wurde und die Lockung des Goldes als eine Art Magnetismus oder Besessenheit des Menschen durch den Goldgeist aufgefaßt werden konnte. Er hatte die in Märchen und Sagen gegebenen Keime ausgesponnen oder denn sich von einem Gefühle für den in Natur verhüllten Geist leiten lassen, um die Wissenschaft unbekümmert, was ihm vielleicht wirklich erleichterte, den poetischen Ton nicht zu verlieren. Die späteren Romantiker blieben dabei nicht stehen, sondern zogen die Wunder der Nacht in's helle Tageslicht, den Entdeckungen der Wissenschaft entsprechend.
E. T. A. Hoffmann, dessen Werke sich zum größeren Theil auf der Nachtseite der Natur bewegen, fühlte sich zwiefach, sowohl durch das Bewußtsein, sowie durch Sympathie zu derselben hingezogen. Jener »unbegreiflich geheimnißvolle Zustand,« den er selbst das Grauen oder die Gespensterfurcht nannte, lag in seiner Natur; er ließ es aber dabei nicht bewenden, sondern suchte sich mit dem Verstande darüber klar zu werden. Ueberzeugt, daß die Natur »gerade beim Abnormen Blicke vergönne in ihre schauerliche Tiefe, studirte er mit Vorliebe die verschiedenen Schlafzustände des Menschen; den Traum, der »mit einem süßen Kuß das innere Auge weckt, daß er vermag die anmuthigsten Bilder eines höheren Lebens voll Glanz und Herrlichkeit zu erschauen,« den Wahnsinn und den animalischen Magnetismus. Er kannte die Werke von Pinel und Reil über den Wahnsinn, liebte Schubert's Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft und suchte andererseits Material in alten Büchern, wo räthselhafte Thatsachen von naiv-gläubigem oder mystischem Standpunkt aus gesammelt waren.
Im allgemeinen ist das Schaurige bei Hoffmann auf zwei Phänomene zurückzuführen: auf das Hineinspielen der inneren Welt in die äußere, wodurch auch komische Wirkungen erzielt werden, und auf die Einwirkungen eines »psychischen Princips« auf den Menschen. Das »Serapiontische« selbst, woran seine Werke gemessen werden sollten, beruht auf der Annahme einer inneren Welt, in welcher die Dichtung leben und angeschaut sein müsse; sie entspricht durchaus der »siderischen Region,« wo, nach Ringseis, die Bilder der Sinne und der Phantasie ein immaterielles aber reales Leben haben. Hoffmann erklärt den Wahnsinn des Serapion dadurch, daß er »die Erkenntniß der Duplicität« verloren habe, »von der eigentlich allein unser irdisches Dasein bedingt ist,« nämlich die Erkenntniß, daß wir zugleich in einer äußeren und einer inneren Region leben, und daß es die äußere ist, »in der wir eingeschaltet sind,« welche die Kraft die innere zu schauen in Bewegung setzt.
»Aber du, o mein Einsiedler, statuirtest keine Außenwelt, du sahst den versteckten Hebel nicht, die auf dein Inneres einwirkende Kraft; und wenn du mit grauenhaftem Scharfsinn behauptetest, daß es nur der Geist sei, der sehe, höre, fühle, der That und Begebenheit fasse, und daß also auch sich wirklich das begeben, was er dafür anerkenne, so vergaßest du, daß die Außenwelt den in den Körper gebannten Geist zu jenen Funktionen der Wahrnehmung zwingt nach Willkür. Dein Leben, lieber Anachoret, war ein steter Traum, aus dem du in dem Jenseits gewiß nicht schmerzlich erwachtest«.
Im Sandmann wird mit großer Feinheit geschildert, wie wirkliche Vorgänge in der Außenwelt ein gewisses inneres Leben in dem von Natur träumerischen Kinde in Bewegung setzen, wie die innere Welt immer an Deutlichkeit zunimmt, mit der äußeren in Zwiespalt geräth und schließlich ihren Kreis, in dem wir leben, durchbricht, womit denn der entschiedene Wahnsinn eingetreten ist. Es ist also der Zustand eingetreten, wo, nach Ringseis' Darstellung, die Bilder der Sinne und der Phantasie ein selbständig-unabhängiges Leben zu führen beginnen und sich durch assimilirende Kraft einen abnormen immateriellen Leib im Seelischen bilden. Schauerlich versinnbildlicht Hoffmann die Einsamkeit des Kranken, inmitten seiner empörten Visionen in der Leidenschaft Nathanael's für die Wachsfigur, die der Professor Spalanzani, ihr Urheber, für seine Tochter Olympia ausgiebt.
Wie er ihren steifen, abgemessenen Gang bewundert, entzückt lauscht, wenn sie mit ihrer schneidenden Glasglockenstimme singt, von grausigem Todesfrost durchbebt wird, wenn er die Eiskälte ihrer Hand spürt, aber bald zu fühlen glaubt, daß sie in der seinigen warm wird, wie er mit ihr tanzt, ohne die rhythmische Festigkeit, mit der sie sich dreht, und die alle andern als etwas Unheimliches empfinden, zu bemerken, wie er die höchsten Schwärmereien und die Liebe seines Herzens vor ihrer wächsernen Unbeweglichkeit ergießt und dabei nicht gewahr wird, daß der Ballsaal sich leert, die Kerzen erlöschen und die letzten Töne der Musik verhallen, das gehört zu den schaurigsten Bildern aus der Hoffmann'schen Zauberlaterne, gerade darum entsetzlich, weil es zugleich komisch ist.
Auf das Unheimliche der Automaten, das wohl jeder mitempfinden kann, der einmal ein Wachsfigurenkabinet besucht und vielleicht eine Figur im ersten Augenblick für lebend gehalten hat, kam Hoffmann oft zurück. Es liegt wohl darin, daß die getreue Nachäffung des Lebens, das doch kein Leben ist, was auch den Anblick einer Leiche oder unseres Spiegelbildes, wenn es uns unerwartet entgegentritt, so schreckhaft machen kann, uns eine Anschauung unserer Doppelnatur gewährt. Wir gewahren ein Ich, sei es nun unser eigenes oder ein fremdes, das uns gleich und doch nur ein Trugbild ist und zu fragen scheint: wer bist du? glaubst du mehr zu sein als ich? oder: siehst du nun, in welchem Irrwahn du dahingelebt oder wie du immer das Todte für das Lebendige genommen hast?
Dergleichen undeutliche, erschütternde Vorstellungen sind am meisten mit der Erscheinung des sogenannten Doppelgängers verknüpft, der bei Hoffmann denn auch öfters auftritt. In den »Elixiren des Teufels« und im »Doppelgänger« erklärt sich allerdings das Wunder aus naher Verwandtschaft von zwei jungen Männern, die gegenseitig von ihrem Dasein keine Kenntniß haben, dennoch führt die Verwickelung zu einigen grausigen Scenen, wo z. B. dem fliehenden Medardus Nachts im Walde der wahnsinnige Doppelgänger, heulend und lachend, auf den Rücken springt und sich nicht abschütteln läßt, wenn auch Medardus in seiner Verzweiflung gegen Bäume und Felsen mit ihm rast. Aber noch eigenthümlicher erregt es uns, wenn wir hören, daß Hoffmann auf einem Balle den Einfall hatte, sich sein Ich durch ein Vervielfältigungsglas zu denken und alle Gestalten, die sich um ihn herum bewegten, als seine Ichs zu sehen, über deren Thun und Lassen er sich wie über sein eigenes ärgerte.
Die Einsicht, »daß unser Nervensystem nicht ausschließlich unser Eigenthum, sondern ein Gemeinbesitz von noch andern Wesen sein kann, die sich nicht nur in den Besitz und Gebrauch desselben theilen, sondern uns bisweilen ganz daraus verdrängen,« oder mit andern Worten Baader's, »daß der Mensch denkend doch nicht allein ist und die meisten seiner Einfälle nichts weniger als seine Selbstgemächte sind,« führte das Gespensterwesen in die Literatur ein oder doch die Erscheinungen des animalischen Magnetismus, die unmittelbare Einwirkung eines psychischen Principes auf den Menschen.
Als Träger der magnetischen Kraft läßt Hoffmann gern einen diabolischen Menschen von überlegener Kraft auftreten mit pechschwarzen brennenden Augen und einer Habichtsnase, der einen unwiderstehlichen Zauber auf unschuldige strebsame Jünglinge und namentlich auf junge Mädchen ausübt. Alban und der dänische Major im Magnetiseur, der irische Major O'Malley im Elementargeist, der Graf im unheimlichen Gast sind alle Vertreter der schwarzen Magie, d. h. sie sind nicht beseelt vom guten Willen zu heilen, sondern vom bösen zu schaden. Diese Männer sind als groß, stattlich und kräftig, Alban und der Graf als schön geschildert, nur daß sie ihre Züge oft durch spöttisch-teuflischen Ausdruck entstellen. Ebenso mißbraucht Alban seinen hohen Geist, um sich selbst auf anderer Menschen Kosten zu erhöhen und wird so anstatt zum Engel zum Satan.
Gott ist, nach seiner Lehre, der Brennpunkt aller psychischen Strahlen; je mehr Seelen es also einem gelingt in sich zu sammeln, desto näher steht man Gott. Infolgedessen trachtet er danach, so viel Menschen als möglich unter seine geistige Herrschaft zu bringen und gewissermaßen auszusaugen, um sein eigenes Ich dadurch anzuschwellen. Maria, die einem abwesenden Verlobten in treuer Liebe ergeben ist, kann sich doch dem übermächtigen Einfluß nicht entziehen und geht unter in dem Kampfe, den ihr schwaches Selbst mit dem Eindringling in ihrem Innern kämpft.
Die Mädchen sind aus eigener Kraft nicht im Stande dem männlichen Willen obzusiegen. Im »öden Hause« wird der magnetische Zauber von einem Weibe gegen einen Mann ausgeübt, der der fremden Gewalt seinen Willen und seine Kenntnisse entgegensetzt, dabei aber freilich an den Rand des Wahnsinns geräth.
So eigenartig und reizvoll Hoffmann's Erzählungen auch sind, gerieth er doch fast immer in die Gespenstergeschichte und verdarb dadurch ihren künstlerischen Werth. Er verstieß gegen das Gesetz, daß die Welt des Unbewußten steigt in dem Maße als die des Bewußtseins versinkt: nur diejenigen Gespenster haben poetische Kraft, die aus der tiefsten Nacht des Unbewußten aufsteigen, bei Hoffmann aber geht das Unheimliche weit weniger aus dem großen »Zusammenhang der Dinge,« aus dem Hereinragen der Natur- und Geisterwelt in die Menschenseele hervor, als aus bewußten Kombinationen. Ferner ist zu bedenken, daß nach allem Volksglauben den Gespenstern oder überhaupt dem Unheimlichen nur die Mitternachtsstunde gehört; es läßt sich also leicht berechnen, wie wenig Raum sie im Verhältniß zu den Wesen von Fleisch und Blut einnehmen dürfen. Bei Hoffmann scheint es weit länger Nacht als Tag auf der Erde und die Erde mehr von Dämonen als von Menschen bevölkert zu sein.
Mit mehr poetischem Sinn hat Kleist den Somnambulismus in die Literatur eingeführt: der Prinz von Homburg und das Käthchen von Heilbronn sind Figuren, deren poetischer Zauber durch das mystische Princip, das in ihnen waltet, nicht beeinträchtigt, sondern vollendet wird. Beider Nachtleben scheint nur ein Ausdruck für die Liebe der Natur zu diesen ihren Geschöpfen, Seelen ohne Arg und Falsch, zu sein, denen sie mit ihren innigsten Kräften nah sein will. Dabei ist mit bescheidenem Takt vom Wunderbaren Gebrauch gemacht, so daß es nur wie ein Leuchten aus fernen Tiefen in die Wirklichkeit hineinfällt, und die Atmosphäre des Stückes widerspricht diesen Blitzen nicht. Durchaus angemessen ist Käthchen als gesundes, einfaches, jungfräuliches Kind geschildert, die sich obendrein infolge ihrer Liebe noch in eine Art von natürlichem Magnetismus kleidet; bei dem Grafen von Strahl ist sein aus Doppelgängerei oder Fernwirkung beruhender Besuch beim Käthchen durch Krankheit glaubwürdig gemacht. Weit schwieriger war es, den nachtwandlerischen Prinzen in das preußische Lager zu stellen, doch ist das Wagniß vollkommen geglückt: nicht macht das Lager den Träumer lächerlich, sondern von ihm fällt ein poetischer Schimmer auf jenes.
Wenn sich in einem Menschen eine Leidenschaft erhebt, ihn selbst überraschend und überwältigend, und er machtlos zusieht, wie sie anschwillt und ihn und alles was er liebt zerstört, etwa wie im Othello, so liegt auch darin etwas Dämonisches. Solange aber die vom Willen unabhängige Macht aus der eigenen Natur des Menschen auftaucht und rechtmäßig ihm unterworfen sein sollte, wird in dem Zuschauer Furcht, Schrecken und etwa Mitleid erregt, nicht aber das Grauen, welches nur dann entsteht, wenn die feindliche Macht in einem dem Ich außerweltlichen Boden wurzelt. Das Hereinregieren fremder Gewalten in das Schicksal des Menschen ist die Grundlage der Schicksalstragödie. Denken wir uns den Lebenslauf des Menschen aus zwei Kräften gebildet: Selbstbestimmung und Schicksal, so ist das Schicksal der südliche Pol, das für sich allein betrachtet wieder einen südlichen Pol hat, nämlich den Zufall. Es versteht sich, daß die Romantiker, nach Süden blickend, dem Schicksal einen bedeutenden Platz einräumen mußten; entspricht doch das Schicksal der Allgemeinheit gegenüber dem Einzelnen, der Natur gegenüber dem Geiste. Aber erst, als die romantische Bewegung selbst zum großen Theil von Menschen getragen wurde, die mehr gelebt wurden als lebten, die den allgemeinen Lebensströmen stets weniger Einzelwillen entgegensetzten, entstand die eigentliche Schicksalstragödie, in welcher nicht lebendige Wechselwirkung zwischen Mensch und Schicksal dargestellt ist, sondern der rathlose Mensch einem tückischen, unbegreiflichen Schicksal gegenübersteht.
In der antiken Schicksalstragödie vertritt das Schicksal wirklich die Allgemeinheit gegenüber dem Wollen des Einzelnen: wir empfinden hier eine geheimnißvolle Zusammengehörigkeit des menschlichen Geschlechtes, die stärker und wichtiger ist als der Anspruch des Einzelnen, und gerade weil garnicht für nöthig gehalten wird demjenigen, den das Schicksal zermalmt, eine entsprechende Schuld aufzubürden, um es zu rechtfertigen, das in seiner göttlichen Nothwendigkeit gar keiner Rechtfertigung bedarf, und weil der Mensch schlechtweg handelnd sein Leben lebt unbekümmert um das Schicksal, wie es unbekümmert um ihn ist, entstehen die grausigen Berührungen und vernichtenden Zusammenstöße, die uns erschüttern.
Zacharias Werner, der mit seinem 24. Februar die Schicksalstragödie begründete, schuf Menschen, die nicht mit starken Instinkten und großem Wollen leben, sondern die sich von wechselnden Trieben vorwärts stoßen lassen, dabei in abergläubischer Furcht nach dem Schicksal schielend, das ihnen auflauert; denn seinen Menschen entspricht sein Schicksal: er schuf kein großes, treibendes Schicksalsrad, das den Strom theilt und, indem es zahllose Tropfen aufrauschen und zerstäuben läßt, gewaltig regelt. Werner war selbst ein Mensch, der sich beständig Orakel machte und von dem Umstande, ob es heute regnete oder nicht, es abhängig sein lassen wollte, ob er die ewige Seligkeit gewänne. Bei ihm selbst haben wir den Eindruck, er könnte, je nachdem was für Wetter oder was für ein Datum ist, etwas Verbrecherisches oder etwas Gutes thun. So bringt Kunz Kuruth seinen Sohn um, nicht etwa, weil dessen Anblick und Art dunkle Erinnerungen und Leidenschaften in ihm weckt oder weil eine Verkettung von Umständen ihn dazu zwingt; sondern weil der 24. Februar ist, weil die grausige Nachtstimmung es ihm suggerirt, weil zufällig diese Anwandlung unter hundert andern die Oberhand behält. In der Goethe'schen Iphigenie drängt Elektra dem Bruder, der den Muttermord im Herzen trägt, den alten Dolch auf, mit dem die Blutthaten des verfluchten Hauses begangen wurden: aber er bleibt immer nur das Werkzeug, dessen Orestes sich bedient, die Schuld nimmt er allein auf sich. In der Ahnfrau von Grillparzer hingegen wird ein bedeutender Antheil am Vatermorde auf den Dolch abgewälzt. Ein geheimnisvolles Licht geht von ihm aus, das in Jaromir's Seele zündet.
Lockend seh ich her dich blinken,
Und mein Schicksal scheint zu winken.
Hier ist der Fehler gemacht, daß das Unbewußte bewußt gemacht wird: bei Shakespeare heult wohl der Sturm bedeutungsvoll in den Schicksalsnächten, weil der große Zusammenhang des Weltganzen es so mit sich bringt; in den Schicksalstragödien ist das Wetter die Hauptsache und stimmt die Menschen zu ihrem Thun und Lassen.
Seit dem 24. Februar begannen die Schicksalstragödien mit Vorliebe damit, daß bei sehr schlechtem Wetter in öder Gegend jemand ängstlich erwartet wird. Zwar erscheint der Betreffende diesmal noch in dem Augenblick, wo die Aufregung unerträglich wurde, aber man fühlt, daß es nur ein Hinhalten ist, und die schreckhafte Stimmung läßt während des ganzen Stückes nicht nach. Wenn eine Thür geht, wenn ein Gegenstand fällt, eine Uhr schlägt, überläuft jedermann ein Zittern; man merkt, daß das Schicksal, anstatt seinen großen Gang zu gehen, wobei es den Einzelnen zermalmt, gerade weil es seiner nicht achtet, schadenfroh durch die Thürritze sieht und zuweilen anklopft, um zu sehen, wie seine Opfer sich winden.
Auf das rechte Maaß zurückgeführt, wäre das bange Gefühl, daß neben unsern eignen andere, unsichtbare Hände am Teppich unseres Lebens mitweben und unser Muster verändern und zerreißen, im schönsten Sinne romantisch. Die Verschiebung des Schwerpunktes nach Süden zerstört die Wirkung: der Mensch ist nur mehr die Somnambule, die das Schicksal magnetisirt hat. Dementsprechend haben die Personen beständig Träume, Visionen und Ahnungen.
Walter, mir wird bang zu Muth.
Hm, mir auch und ohne Grund.
In dieser Lage befindet sich meistens auch der Leser oder Zuschauer der Schicksalstragödie Im Grunde ist es die Bangigkeit eines Kindes oder ungebildeten Menschen, der überall Gespenster und böse Geister wittert und sich seiner Ohnmacht ihnen gegenüber bewußt ist.
E. T. A. Hoffmann ahnte stets Schrecknisse, die unversehens in sein Leben treten würden, und die Freude am Guten wurde ihm beeinträchtigt durch die abergläubische Ueberzeugung, daß der Teufel, wie er zu sagen pflegte, auf alles seinen Schwanz lege.
Wo er eine Blöße finde,
Späht der Teufel sonder Rast:
heißt es bei Müllner, und ein andermal bei demselben:
Die Hölle ist offen,
Und ihr falber Widerschein
Leuchtet in die Nacht hinein,
Die der Teufel geht auf Erden.
In der That, ein Teufel ist das Schicksal, dessen Tücke man fürchtet, nicht eine Gottheit, die man scheut oder mit der man in titanischer Ueberhebung den Kampf aufnimmt. Der schleichende Teufel der Schicksalstragödie sucht sich wehrlose Opfer; man könnte auch umgekehrt sagen, daß die passive Furchtsamkeit der Helden die Mordlust im Schicksal reizt, wie das den Gesetzen der Seelenkunde entspricht. Diese Leute sind von vornherein überzeugt, daß es auf ihr Wollen im Leben garnicht ankommt.
O der Hölle Macht ist groß,
Und an einer Fiber Bebung
Hängt die Wonne und der Graus.
Sie hängen nicht organisch mit ihren Thaten zusammen, glauben nicht an sie, stehen nicht für sie ein.
Die Fabel von Grillparzers Ahnfrau hat den Vorzug, daß das Schicksal von einer verbrecherischen Aeltermutter ausgeht, die ihre verhängnißvollen Leidenschaften oder doch ihre Art und Wesen auf Kinder und Kindeskinder vererben könnte, wodurch denn der Zusammenhang mit ihr und die Theilhaberschaft an ihrem Frevel veranschaulicht wäre. So hat Goethe die Sage von Tantalus bearbeitet, dessen Geschlecht den Fluch der Götter, der ihn traf, mit übernimmt, zugleich aber seine Leidenschaft und Ueberhebung ererbt und sich ausdrücklich mit ihm eins fühlt. Grillparzer hat die Ahnfrau der Familie, die er uns vorführt, willkürlich angeflickt, wir empfinden die Zusammengehörigkeit so wenig wie die Nachkommen selbst. Des Dichters Versuch, Jaromir und Bertha durch die Heftigkeit ihrer Liebe an der Schuld der Ahnfrau theilnehmen zu lassen, ist schwächlich ausgefallen; seine Personen leben in dem Bewußtsein, Menschen zu sein, »die das Schicksal hat gezeichnet,« ein »mächtiger Finger« bemüht sich, sie zu Falle zu bringen, und wer die That that, ist doch nicht für sie verantwortlich.
Tiefverhüllte, finstre Mächte,
Lenkten feine schwache Rechte.
Nicht der fromme Glaube an eine regierende Weisheit läßt sie den Ausgang der Dinge in Gottes Willen befehlen, nicht die Ahnung geheimer Kräfte, die in unser Dasein eingreifen, macht sie in entscheidenden Stunden zögern und erschauern, sondern, überzeugt daß Zufall und Schicksalstücke walten, lassen sie sich gehen und verschleudern kläglich ihr edelstes Menschenthum.
Wo ist der, der sagen dürfe,
So will ich's, so sei's gemacht!
Unsere Thaten sind nur Würfe
In des Zufalls blinde Nacht.
Geschmackloser drückt Müllner denselben Gedanken aus:
Thun? Der Mensch thut nichts. Es waltet
Ueber ihm verborgener Rath,
Und er muß, wie dieser schaltet
Thun? Das nennst du eine That?
O ich bitt' dich, laß das ruhn!
Alles, alles hängt zuletzt
Am Real, den meine Mutter
Einer Bettlerin verweigert!
Und, was mehr bedeutet, als daß die Personen so reden, es ist in der Schicksalstragödie so. Die Greuelthate in Müllner's Schuld sind wirklich nur der Prophezeiung der Zigeunerin zuliebe geschehen; das Orakel in der Braut von Messina dagegen und vollends die Wahrsagung der Hexen im Makbeth bildet eigentlich gar kein Glied im Kausalzusammenhange der Handlungen, sondern ist der poetischen Wirkung wegen da, gleichsam ein präludirender Akkord aus verbundenen Schicksals- und Seelentönen.
Feiner hat Mörike im Maler Nolten das Verhältniß zwischen Mensch und Schicksal abgewogen. Das Zigeunermädchen, ohne daß er es ahnt des Helden nahe Blutsverwandte, erscheint als Sinnbild der dunklen Unterströme seines Wesens, die ihn von dem Wege, den sein Bewußtsein ihm vorschreibt, weglocken in Verwirrung und Untergang. Ihr unglückbringendes Auftreten deutet auf verborgene Bezüge, auf das Hereinragen fremder Daseinswellen in seine Seele, die aber den Charakter des Unterirdischen, Unbewußten bewahren. Gerade weil das Bewußtsein der Menschen ganz in der Tageswelt lebt, ergreift es uns – ohne daß Gespensterfurcht erregt wird – sie nächtlichen Einflüssen preisgegeben zu sehen.
Familienbeziehungen, die auf einer vielleicht nie ganz zu ergründenden Gemeinsamkeit des Blutes, auf Begegnungen und Verschlingungen der Seelen beruhen, bilden häufig die Unterlage geheimnißvoller und grausiger Vorgänge, wie sie die Romantik liebt; in den Elixiren des Teufels, in der Ahnfrau, der Schuld und vielen anderen Dichtungen.
Die Wechselmorde in Kleist's Familie Schroffenstein hängen ganz ausdrücklich von einem Zufall ab, nämlich von dem kleinen Finger, den die Waldfrau dem ertrunkenen Kinde abgeschnitten hat. Hier war indessen keine Schicksalstragödie beabsichtigt, sondern wirklich sollte die schaurigste Wirkung durch die Eröffnung erzielt werden, daß ungeheure Dinge, das Verderben zweier Familien, aus einem albernen Versehen hervorgegangen sind. Aber instinktiv hat Kleist, weil er ein viel größerer Dichter war als Werner und vollends Müllner, seine Personen so gemacht, daß sie keineswegs wie hilflose Opfer eines Zufalls erscheinen, und man könnte füglich von dem Schluß, der jene Eröffnung enthält, ganz absehen, ohne dem Stück etwas Wesentliches zu nehmen.
In der neuesten Literatur haben die kleinen Stücke von Maeterlinck den Beweis geliefert, wie schwer es ist, uns den Hauch des Schicksals spüren zu lassen, ohne uns zugleich in Angstgefühlen zu ersticken. Mit einer Technik, die bewundernswerth ist, verglichen mit der Romantik im Anfange dieses Jahrhunderts, werden wir in eine beklommene Stimmung versetzt, die sich bis zum Alpdruck steigert; die Menschen sind hilflos und traurig wie der kleine Tintigeles und das Schicksal sitzt allmächtig und grausam hinter eisernen Thüren. Unvergleichlich künstliche Mittel erzielen am Ende doch nur die Wirkung von Gespenstergeschichten. Die klare, freie Welt des Bewußtseins ist ausgelöscht, und wir befinden uns ganz auf der Nachtseite.
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