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Manche Leute hängen wohl darum so an der Natur, weil sie als verzogene Kinder sich vor dem Vater fürchten und zu der Mutter ihre Zuflucht nehmen.
Novalis.
»Ein Weltumsegler unsres Innern wird auch wohl noch einmal die Rundung unsrer Seele entdecken, und daß man nothwendig auf denselben Punkt der Ausfahrt zurückkommen muß, wenn man sich gar zu weit davon entfernen will.« Das altbekannte Wort: les extrêmes se touchent drückt dasselbe aus. Gerade aus dem Kreise der Romantiker bieten sich so viele Beispiele dazu, weil sie eben die Weltumsegler waren, die mit bohrender Folgerichtigkeit den besten Gründen und Ergebnissen jeder Erscheinung nachgingen. So wurden sie zugleich die Entdecker der vaterländischen Vergangenheit und der schönen Fremde; das Heimischste wie das Ausländischste nahmen sie in die Dichtung auf. Sie waren zugleich ultra-demokratisch und ultra-aristokratisch, schwuren ebenso theuer auf äußerste Natürlichkeit, wie auf höchste Künstlichkeit. Und dahin gehört es, daß ihr kühner, alle Schranken der Autorität und des Herkommens überspringender Forschungsgeist, der den Gedanken einer neuen Religion zu fassen wagte, damit endigte, in den Hafen der alten, der katholischen einzulaufen.
Im Leben jedes Einzelnen kann man den Weg wohl wahrnehmen, den seine Seele zurücklegte, um zu diesem Ziele zu gelangen.
Tieck, der von jeher häufig in poetische Stimmungen verfiel und sich dann von seiner aufgeklärt verständigen Umgebung nicht verstanden und angekältet fühlte, äußerte als Knabe einem seiner Lehrer gegenüber, wie gut er die Sehnsucht eines vom Leben verwirrten Menschen mitfühlen könne, sich in ein Kloster zurückzuziehen, um in andächtiger Glaubensversenkung Ruhe zu suchen. Die Entrüstung des wohlmeinenden Protestanten, dem der liebebedürftige Knabe noch das meiste Verständniß von Allen zugetraut hatte, bestärkte ihn in seiner Vorliebe für das weiche, tiefe Gemüthselement im Katholicismus. Allen seinen unbestimmten Wünschen und Ahnungen, die aus der einseitig gebildeten Gegenwart verbannt waren, schaffte seine Phantasie Raum in der Vergangenheit; denn die Kühnheit und Kraft besaß er nicht, mit ihnen die Zukunft zu erobern, ihnen neue Formen zu schaffen. Er erging sich mit ihnen in den alten Zeiten, mit denen der Katholicismus unzertrennlich verbunden war. Ebenso machte es sein Freund Wackenroder. Unbefriedigt von der Kunst der Gegenwart, besonders in der Malerei, wendete er sich voll Andacht zurück nach den alten Meistern und übernahm den katholischen Glauben gewissermaßen als Requisit der Zeit, in der sie lebten. Daher betonte er immer nur den Glauben im Allgemeinen als fruchtbar für die Kunst und ihr verwandt, daß es eben der katholische war, und daß daraus allerlei Folgerungen sich ziehen ließen, fiel erst dem mehr beobachtenden Tieck ein, welcher denn auch in das Büchlein seines Freundes jenen Brief einfügte, in dem Franz Sternbald seinem in Nürnberg zurückgebliebenen Freunde die Veranlassung seines Uebertritts zum katholischen Glauben schildert. Er erzählt, wie oft schon seine katholische Braut in liebevoller Angst ihn angefleht hat, seine Seele zu retten; wie er denn einmal in die Peterskirche eintritt, eigentlich nur um sie zu sehen; wie dann aber die Feierlichkeit der religiösen Handlung, die Macht des hehren Baus, die überirdische Musik und der lateinische Gesang ihn trunken machen, die ineinsströmende Inbrunst der anbetenden Menge, zu der auch die Geliebte gehört, ihn hinreißt, daß er mit entzücktem und zerknirschtem Herzen gelobt, ihren Glauben zu bekennen. »Die Kunst hat mich allmächtig hinübergezogen, und ich darf wohl sagen, daß ich nun erst die Kunst so recht verstehe und innerlich fasse.«
Damit, daß Tieck Stimmungen wie diese schilderte, ist nicht bewiesen, daß er Handlungen wie diese hätte ausführen können. Selbst wenn etwa sein eines Ich ihn dazu getrieben hätte, würde sein andres Einsprache erhoben und seine entgegengesetzten Bedürfnisse geltend gemacht haben. Weil er in dem flachen Berliner Protestantismus Befriedigung der dunkeln, mächtigen Glaubenstriebe nicht fand, wollte er doch keineswegs auf die Rechte seines feinen, aufmerksamen Verstandes, auf die Freiheit zu protestiren, verzichten. Nichts ärgerte ihn deswegen mehr, als wenn später junge Leute mit unklaren modischen Uebertrittsgelüsten sich auf ihn beriefen. Das mag ihm gewesen sein, als wenn etwa alle Selbstmörder in der Wertherzeit Goethe für ihr Vorbild hätten erklären wollen.
Eine durch und durch protestantische Natur war Wilhelm Schlegel. Ohne alle Mystik, ohne alle Sehnsucht nach Bildern und Formen, die etwas unaussprechlich in ihm Wogendes ausgedrückt hätten. Er und Karoline, die mit ihrem unmittelbaren Naturzusammenhang heidnisch im Goethe'schen Sinne genannt werden könnte, kamen ganz unbefangen und zufällig dazu, sich in die Schönheit der katholischen Welt zu vertiefen. Als sie in Dresden die Gemälde studirten, wurden sie mit Nothwendigkeit darauf hingeführt. Karolinen's Andacht vor der Sixtinischen Madonna veranlaßte Wilhelm zu der Bemerkung: »Sie sind in Gefahr katholisch zu werden«, worauf sie zur Antwort giebt: »Wie dann und wann heidnisch. Es ist kein Gefahr dabei, wo Rafael der Priester ist.« Da hat man ganz den modernen Menschen, der sich nach Belieben katholisch oder heidnisch stimmen kann. Nichts unterscheidet so sehr Menschen hoher Kultur vom Naturmenschen, der etwas ist, etwas sein muß, weil er den blinden Willen dazu in sich hat; wir können uns und die Welt überblicken und in die zahllosen Metamorphosen, durch die wir im Laufe unsrer Entwickelung hindurchgegangen sind, uns spielend hineinträumen. Ganz parteilos verglich Wilhelm das Entstehen der protestantischen Religion mit dem ersten Auskommen des Christenthums überhaupt, und sein eigenes Gefühl dem Katholicismus gegenüber mit dem, welchem Schiller in den Göttern Griechenlands Ausdruck gegeben habe.
Anders war es mit Friedrich. Er hatte zwar als Atheist begonnen, dann aber einen Umschwung erlebt und fühlte sich zum Religionslehrer berufen. Für die ungeheure Masse von Ideen, die in ihm aufgespeichert waren, suchte er beständig nach zusammenfassenden, einreihenden Bezeichnungen, wenn er sich wissenschaftlich aussprechen sollte. In ganz ähnlicher Weise suchte er nach Symbolen für die künstlerische Mittheilung Er, der kein Dichter war, sah die Mittel und Fähigkeiten künstlerischen Schaffens zu sehr in äußerlichen Dingen. So kam er zum Schlusse, daß es vornehmlich an dem Mangel der Symbole läge, wenn die künstlerischen Hervorbringungen der Modernen, mit den antiken und mittelalterlichen nicht zu vergleichen wären. Ohne Zweifel ist es dem Künstler bequem, ja bis zu einem gewissen Grade nothwendig, was jeder fühlt, aber keiner sagen kann, in allgemein verständliche Bilder einzukleiden. Auch hatten ja thatsächlich alle Dichter und Künstler, denen die Madonna, die Heiligen und Engel des katholischen Himmels fernstanden, auf die alten Heidengötter, griechische, ja sogar germanische zurückgegriffen Friedrich's Meinung war nun, die neue Religion, die uns entspreche, müsse auch ihre neue Mythologie mit sich führen. Und leuchtet das nicht als ein zutreffender und großartiger Gedanke ein, daß auch die Natur und der Geist mit ihren Kräften, wie wir sie kennen, in ewigen Gestalten und Bildern sollte erscheinen können? Es lag aber um so näher, sich der schon dagewesenen zu bedienen, als die nächstliegende Vorzeit beinah ausschließlich die antiken gebraucht hatte und die mittelalterlich-katholischen ganz gut für neu und unabgegriffen gelten konnten. Die Menschheit pflegt ja nach gewissen Zwischenpausen immer ihren alten Hausrath von Ideen wieder hervorzusuchen, so wie Kinder ein uraltes, verstaubtes, in der Rumpelkammer wieder aufgefundenes Spielzeug dem schönen neuen vorziehen; es liegt ein duftiger Erinnerungsgoldglanz darüber. Auch Wilhelm hatte im Anfang mit Prometheus, Aphrodite, den Musen und Grazien gewirthschaftet. Aber die unnennbaren unendlichen Seelenstimmungen wurden durch diese plastischen Gestalten nicht gedeckt. Das Feinste, das Zarteste, gerade das Wichtigste blieb immer ungesagt. Die Romantik war ja ein neu erstehendes Mittelalter. Wie natürlich, daß mit Faust und mit Götz und der heiligen Vehme auch Gott und der Teufel und ihr ganzes Gefolge zurückkehrten. Es ist eine Renaissance wie die des 15. Jahrhunderts, nur daß man damals das Alterthum neu belebte, weil man den mittelalterlichen Idealen entwachsen war, jetzt das Mittelalter. Die antike und die mittelalterliche Mythologie sind die Ur-Symbole von Natur und Geist, mit denen die Menschheit abwechseln wird, bis es ihr gelingt, in einer dritten beide zu verschmelzen. Auf Generationen von vorzugsweise handelnden und nach außen lebenden Menschen folgten jetzt jüngere, die mehr nach innen schauten, beschauliche, denkende, zweifelnde, zwiespältige Seelen, die für die von ihren Eltern und Voreltern verketzerte Zeit sympathisches Verständniß hatten und den Sinn der Symbole rasch begriffen, die ihnen von einigen vorschauenden, spürenden Anführern gezeigt wurden. Die himmlische Gestalt der göttlichen Jungfrau, der die Romantiker auf so vielen der bewunderten Bilder vergangener Jahrhunderte begegnet waren, schwebt nun durch Novalis' geistliche Lieder:
Was hab' ich Armer dir gethan?
Noch bet' ich dich voll Sehnsucht an,
Sind deine heiligen Kapellen
Nicht meines Lebens Ruhestellen?
Gebenedeite Königin,
Nimm dieses Herz mit diesem Leben hin!
Du weißt, geliebte Königin,
Wie ich so ganz dein eigen bin.
Hab' ich nicht schon seit langen Jahren
Im Stillen deine Huld erfahren?
Als ich kaum meiner noch bewußt,
Sog ich schon Milch aus deiner sel'gen Brust.
Die Jungfrau Maria fing an diesen Protestanten ganz vertraut zu werden. Nach dem Tode der kleinen Auguste empfahl Wilhelm Schlegel in einem zartgedachten Gedichte das geliebte Kind, das der zärtlichen Fürsorge seiner irdischen Mutter entrissen war, dem gütevollen Herzen jener himmlischen droben. Ein ganzes Panorama der mittelalterlich-katholischen Welt breitete Tieck in seiner Genoveva ans. Das Ineinanderübergehen der entgegengesetzten Triebe und Leidenschaften, das Aneinandergrenzen von Heiligkeit und Sinnlichkeit lockte ihn zu diesem Legendenstoffe. Eine heimliche Gluth sollte die Brust der keuschen Genoveva, ihr selbst halb unbewußt, umhüllen; inbrünstige Flammen brennen in ihrem Mädchenherzen, von denen sie selbst nicht weiß, ob sie dem Heiland oder dem unbekannten Geliebten gelten. Sie bebt vor Scham in den Armen ihres verehrten Gemahls und sehnt sich nach der verzehrenden, tödtlich ihr Wesen aufsaugenden Leidenschaft Golo's, den sie sucht und flieht. Golo selbst sollte der Held sein, dem alle Herzen gefallen, den die Natur zum König der Erde geschaffen hatte, und der, was Niemand anders vermocht hätte, mit dämonischer Lust sich selber zu Grunde richtet, um zuletzt als Büßer willig zu sterben. Ueber dem blühendsten Lebensdrange sollte das Kreuz erscheinen als Symbol der Marter und des Opfertodes, mit den süßesten, hinsterbendsten Liebesliedern sollten sich Gesänge reuiger Entsagung vermischen. Nicht daß Tieck Alles dies wirklich dargestellt hätte; man merkt nur, daß er es beabsichtigte. Wenn die altchristlichen Helden in der Genoveva mit Sehnsucht von den frommen Männern der Vorzeit sprechen, die sie eben vorstellen sollten, verräth Tieck, daß er selbst nicht mittelalterlich-katholisch empfand, nur Sehnsucht nach einem solchen naiven Glauben hatte. Und was war es, daß die Jenenser Studenten so entzückte, die in der Mitternachtsstunde das »treffliche Werk« unter Andacht und Jubel zusammen lasen? Sie sahen eine Pforte sich aufthun und köstlich bunte Gestalten daraus hervorwallen mit einem Hauch unnennbaren Lebens, leidenschaftlich, geheimnißvoll; das Reich der Unbewußten, das lange verschüttet gewesen war, stieg wieder an's Licht hervor. Viele von ihnen mochten sich einbilden, mit der Wiedereinführung des katholischen Glaubens würde auch die ganze Prozession edler Gottesstreiter, wunderthätiger Heiliger, barmherziger Frauen wieder über die Erde ziehen.
Wie wenig die Romantiker an eine thatsächliche Wiedereinführung dachten, kann man an dem Eindruck sehen, den eine kleine Schrift von Novalis machte, die er unter dem Titel: Die Christenheit oder Europa, ein Fragment; im Jahre 1799 in's Athenäum rücken wollte. An dieser Schrift ist vielleicht das auszusetzen, daß die Weltgeschichte darin von einem zu hohen Standpunkte aus überblickt wird. Novalis betrachtet die Zeit des ungebrochenen Katholicismus als die Zeit der Eintracht – der Eintracht vor der Spaltung – also gewissermaßen der bewußtlosen, nothwendigen und deshalb verdienstlosen und unsicheren Vollkommenheit. Der Protestantismus ist nun die Spaltung, an sich häßlich und beklagenswerth, aber nothwendig als Mittel zum Zweck, als erstes Symptom des Selbstbewußtwerdens. Bevor steht nun eine Wiedervereinigung – Novalis glaubte sie schon nahe –, eine bewußte und freie Einheit, ein neuer Katholicismus, aber eben ein neuer. So verschieden vom alten, wie bewußte Vollkommenheit von unbewußter, wie ein Heiliger von einem kleinen Kinde. Das ist etwa der nackte Gedankengang des höchst farbigen, prächtigen Prosa-Dithyrambus.
»Es war eine schöne, glänzende Zeit, wo Europa ein christliches Land war, wo eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte; ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen Reiches.« So beginnt er mit einer idealisirenden Schilderung des Mittelalters. Ganz persönliche Erinnerungen klingen rührend an, wo er den schönen menschlichen Sinn des verpönten Reliquienglaubens erläutert: »So bewahren liebende Seelen Locken oder Schriftzüge ihrer verstorbenen Geliebten und nähren die süße Gluth damit bis an den wiedervereinigenden Tod. Man sammelte mit inniger Sorgfalt überall, was diesen geliebten Seelen angehört hatte, und Jeder pries sich glücklich, der eine so tröstliche Reliquie erhalten oder nur berühren konnte. Hin und wieder schien sich die himmlische Gnade vorzüglich auf ein seltsames Bild oder einen Grabhügel niedergelassen zu haben. Dorthin strömten aus allen Gegenden Menschen mit schönen Gaben und brachten himmlische Gegengeschenke: Frieden der Seele und Gesundheit des Leibes zurück.«
Wenn sich Novalis aber auch ein Ideal dieser Zeit bilden konnte, übersah er doch nicht, wie wenig die Wirklichkeit ihm gleichgekommen war: »Noch war die Menschheit für dieses herrliche Reich nicht reif, nicht gebildet genug. Es war eine erste Liebe, die im Drucke des Geschäftslebens entschlummerte.«
Den Grundfehler des Protestantismus nennt er die Vergötterung des Buchstabens durch Alleingültigkeit der Bibel, was dem heiligen Geist die freie Belebung, Eindringung und Offenbarung erschwert habe. Man könnte mit andern Worten sagen, es war eine Ausschließung, Verschüttung der unerschöpflichen Quellen des Unbewußten im Menschen zu Gunsten des Verstandes, der ohne diese Nahrung verwelkt oder erstarrt.
Als besonders anstößig mochte den Freunden die merkwürdige Stelle erscheinen, wo Novalis den Jesuitenorden verherrlicht: »Ewig wird diese Gesellschaft ein Muster aller Gesellschaften sein, die eine organische Sehnsucht nach unendlicher Verbreitung und ewiger Dauer fühlen, aber auf ewig ein Beweis, daß die unbewachte Zeit allein die klügsten Unternehmungen vereitelt.… Jetzt schläft er, dieser furchtbare Orden, in armseliger Gestalt an der Grenze von Europa, vielleicht daß er von daher sich, wie das Volk, das ihn beschützt, mit treuer Gewalt sich über seine alte Heimath, vielleicht unter anderm Namen, verbreitet.«
In der Geißelung der Aufklärungszeit hatten alle Romantiker Uebung. »Der Religionshaß dehnte sich sehr natürlich und folgerecht auf alle Gegenstände des Enthusiasmus aus, verketzerte Phantasie und Gefühl, Sittlichkeit und Kunstliebe, Zukunft und Vorzeit, setzte den Menschen in der Reihe der Naturwesen mit Noth obenan und machte die unendliche schöpferische Musik des Weltalls zum einförmigen Klappern einer ungeheuren Mühle, die, vom Strome des Zufalls getrieben und auf ihm schwimmend, eine Mühle an sich, ohne Baumeister und Müller, und eigentlich unechtes Perpetuum mobile, eine sich selbst mahlende Mühle ist.«
Seine äußerste Spitze erreicht der Protestantismus in der französischen Revolution. Aber eben sie, und dies war auch eine alte Lieblingsansicht Friedrich Schlegel's, ist heilbringend, indem sie den Umschwung nothwendig macht. Denn: »Wahrhafte Anarchie ist das Zeugungselement der Religion. Aus der Vernichtung alles Positiven hebt sie ihr glorreiches Haupt als neue Weltstifterin empor.« Darum, nachdem die unfruchtbare, zerstörende Zeit vorüber ist, gebührt auch ihren Verdiensten Anerkennung »Jetzt stehen wir hoch genug, um auch jener obenerwähnten, vorhergegangenen Zeit freundlich zuzulächeln – dankbar wollen wir jenen Gelehrten und Philosophen die Hände drücken. Reizend und farbiger steht die Poesie wie ein geschmücktes Indien den kalten, todten Spitzbergen jenes Stubenverstandes gegenüber.«
Es folgt zum Schlusse die entzückte, seherhafte Prophezeiung der neuen Religion. »Soll der Protestantismus nicht endlich aufhören und einer neuen, dauerhaften Kirche Platz machen? – – – Die Christenheit muß wieder lebendig und wirksam werden und sich wieder eine sichtbare Kirche bilden, die alle nach dem Ueberirdischen durstigen Seelen in ihren Schoß aufnimmt und zur Vermittlerin der alten und neuen Welt wird.«
Nach eifrigen Debatten wurde, namentlich auch auf Goethe's Schiedsspruch hin, die Europa nicht in das Athenäum aufgenommen, doch wohl weil man eine Aufforderung darin sah, zum Katholicismus zurückzukehren, oder wenigstens fürchtete, es könne so ausgelegt werden. Man wundert sich, daß diese Schrift so mißverstanden werden konnte. Auch in späterer Zeit thaten die protestantischen Freunde des verstorbenen Dichters gern etwas geheim damit, um zu verhüten, daß die Convertiten sie als Beweis für Novalis' katholische Gesinnung benützten.
Friedrich Schlegel war zu schwer, träge und gründlich, um nur zu spielen; er machte mit all den Stimmungen, Phantasien und Gedankenträumen Ernst. Eine besondere Stellung zum Katholicismus hatte er, solange er sich noch mit der Gründung der neuen Religion beschäftigte, nicht genommen. Gradezu antikatholisch hatte sich Dorothea vernehmen lassen. Für sie, die phantasievolle, aber im Denken anlehnungsbedürftige Frau, hatte zwar der Gedanke etwas Reizendes, einen Glauben zu haben, noch dazu ein und denselben mit Friedrich. Sie wäre gern auf Schleiermacher's Vorstellungen eingegangen, der ihr zuredete, protestantisch zu werden, hätte sie nicht auf ihren guten, redlichen Mann, Simon Veit, Rücksicht nehmen wollen, der zwar durchaus kein beschränkter, unduldsamer Jude war, aber es, etwa im Sinne des alten Moses Mendelssohn, überflüssig gefunden hätte, seine Glaubensgenossen zu verlassen, nur um eine Form zu wechseln, durch die der eigentliche Kern und Werth des Menschen nicht verändert werden konnte. Später, als sie mit Friedrich in Paris war, verständnißlos und unverstanden, vereinsamt – Friedrich betrachtete sich »als Idealisten oder Poeten in partibus infidelium« und schrieb seinem Bruder von dem Elephanten in der Menagerie, er habe ihm viel Achtung und Theilnahme eingeflößt und sei nächst ihm unstreitig derjenige, welcher am wenigsten hier zu Hause gehöre – fühlte sie noch mehr als sonst das Bedürfniß nach einer innerlichen Stütze. Sie las viel in der Bibel und schrieb an Schleiermacher, das protestantische Christenthum gehe sie viel mehr an als das katholische, welches viel Aehnlichkeit mit dem Judenthum habe, »das ich verabscheue«. Im Herzen sei sie Protestantin, halte aber ein öffentliches Bekenntniß für überflüssig, worin ihr sogar »katholische Ostentation, Herrschsucht und Eitelkeit« zu liegen scheine.
Ob nun ein solcher Hang zur Ostentation allmälig in ihr rege wurde oder schon immer in ihr verborgen gewesen war, im April 1804 ließ sie sich protestantisch taufen. Nicht zwei Jahre später warf ihre Freundin, Frau Professor Paulus, mit der sie von Jena her innig befreundet war, ihr vor, sie lasse sich von der modernen katholischen Wuth hinreißen, worauf Dorothea sehr gereizt und mit einem vollständigen Mangel an Logik, Kenntniß und Belehrbarkeit antwortete.
»Ob ich glaube, fragst du, daß die ewige Jugend im katholischen Glauben stäke? Freilich glaube ich das – es ist merkwürdig genug, wie die katholischen Dichter so bis in das späteste Alter in voller Jugendkraft blühten. Calderon ist über 80 Jahre alt geworden, und seine letzten Sachen sind von den Jugendsachen an Kraft nicht zu unterscheiden. Cervantes war so alt, als jetzt Goethe ist, als er den ersten Theil des Don Quixote schrieb. Dagegen ist in Shakespeare, dem ersten der protestantischen Dichter, sehr bemerkbar, wie seine Jugendsachen gegen seine im Alter geschriebenen abstechen.«
»Schon weil er so uralt ist, ziehe ich den Katholicismus vor. Alles Neue taugt nichts.«
»Ob ich glaube, fragst du, daß die Künste in Deutschland eine Folge des Katholicismus seien? Allerdings glaube ich das. Wenigstens sind sie mit dem Katholicismus versunken, so wie sie mit diesem geblüht haben. Alles ist schlecht seitdem, ja Deutschland selber ist daran zu Grunde gegangen und keine Kraft und kein Wille mehr darin, als etwa noch in dem unglücklichen, unterdrückten und betrogenen Rest, wo auch ein kleiner Schimmer jenes alten Glaubens noch sparsam glimmt.«
Als Frau Paulus sich nicht enthalten konnte, Dorothea daran zu erinnern, daß Friedrich einstmals eine neue Religion habe stiften wollen, antwortete sie mit der fröhlichen Sicherheit, die naiven Augenblicksmenschen eigen ist, das könne er nicht gewollt haben; wenn er von Religion gesprochen habe, so sei es immer die alte gewesen. Friedrich, dem gewiegten Denker, mochte die unbefangene Beweisführung denn doch peinlich sein, und mit einem Rest seines alten Freimuths fügte er ihren fanatischen Bravaden die Nachschrift bei: »In Ihre dogmatischen Streitigkeiten mit meiner Frau mische ich mich nicht. Sie sehen selbst, was Sie sich für eine Predigt zugezogen haben. Wenn Sie uns für etwas parteiisch halten für die Katholiken, so muß ich nur gestehen, daß das zum Theil der Fall ist aus persönlicher Freundschaft. Diese allgemeine Achtung und diese herzliche Freundschaft fand ich nur bei diesen sehr verdammten Menschen«
Dorothea hatte das Talent, solche offene Zugeständnisse ihres Mannes völlig zu übersehen. Sie war stets bereit, jede seiner Absichten und Meinungen vor sich, ihm und der Welt zu verklären. In der Hoffnung, freundliche Aufnahme und Unterstützung in Oesterreich zu finden, ging er mit dem Plan um, ein Drama zu schreiben, in dem Karl V. verherrlicht würde. »Wie rührend«, schrieb sie, sogleich Feuer und Flamme dafür, um ihn in dem Gedanken zu bestärken, »war mir gleich dieser sanfte königliche Held in seinem Kampfe gegen die schlechte Zeit, die er vergeblich aufzuhalten bemüht war; wie tragisch und heilig, daß er endlich ermattet und noch liebevoll diesen ganzen Kampf gegen sich selbst wendet und durch seine Büßung versucht, den Himmel zu versöhnen.«
Das Merkwürdigste ist, wie in dem Maße, als der Fanatismus sich in ihr entwickelte, jedes andre Gefühl, von der Liebe zu Friedrich abgesehen, jede Rücksicht auf Freunde und Angehörige abnahm. An Schleiermacher, der der neuen Wendung nicht sympathisch gegenüberstand und sich immer enger an das protestantische Preußen anschloß, schrieb sie einen feindseligen Brief voller Vorwürfe und Ermahnungen, und während sie ihm gegenüber betheuerte, daß diese nur von alter Freundschaft, Sorge und Angst um ihm eingegeben seien, schrieb sie gleichzeitig an Friedrich: »Um mir einige Gemüthsergötzung zu schaffen, habe ich ihm ((Schleiermacher)) geantwortet und meine üble Laune in ein leises Schimpfen auszudrücken gesucht; wenn er böse darüber wird, ist es auch gleichgültig.« Als Friedrich sich bedachte, den förmlichen Uebertritt auszuführen, weil er seine Geschwister und namentlich seine Mutter allzusehr zu betrüben fürchtete, stellte sie ihm vor, daß es ja ganz im Geheimen geschehen könne; denn »das geräuschvolle Bekanntmachen ist ganz dem katholischen Wesen entgegen, ist vielmehr protestantisch«; als er aber den vollzogenen Uebertritt nun wirklich seiner Familie nicht gleich eingestand, trieb sie ihn unablässig zur Veröffentlichung an, damit durch sein Beispiel Andre – besonders auf Wilhelm hatte sie es abgesehen – hinübergezogen werden. Von Rücksichten dürfe diesen Verpflichtungen gegenüber keine Rede sein.
Dorothea's schwärmerische Anhänglichkeit an die katholische Kirche war übrigens aufrichtig, wie schlecht sie sie auch zu begründen wußte. Sie war, was sie anging, sogar ehrlich genug, zuzugeben, daß sie den wirklichen eigentlichen Glauben nicht habe; anstatt dessen begnügte sie sich mit dem Glauben an den Glauben und mühte sich redlich, ihn allmälig zu gewinnen durch häufigen Besuch der Messe, Beten in der Kirche und Beten in der Kammer, Lesen und Bedenken der Heiligengeschichten. Die Aufopferung des eigenen Denkens, um Gott in sich denken zu lassen, wurde ihr durchaus nicht schwer, die Aussicht, als Lohn dafür Vergebung der Sünden zu empfangen und eine auserwählte, ausgezeichnete Person zu sein, befriedigte den romanhaften Hang, der immer in ihr gelegen hatte. Und es kam wohl auch in Betracht, daß ihr Verhältniß zu Friedrich, das auf durchaus ungesetzlichem Boden begründet war, durch die katholische Kirche eine nachträgliche Weihe erhielt und unauflöslich gemacht wurde.
Am peinlichsten berührt die Art, wie Dorothea ihre beiden Söhne aus erster Ehe, Jonas und Philipp, für die Kirche zu gewinnen suchte. Philipp, der unter ihrem und Friedrich's täglichem Einflusse stand, ganz mit ihren Ideen zu erfüllen, war nicht schwer. Er bekam in Köln einen Geistlichen zum Lehrer, der ihn in den katholischen Glauben einführte; Dorothea, selbst schlug ihm vor, sie wollten in Briefen die Lehren des Paters immer unter dem Namen Moral zusammenfassen, ohne Zweifel damit der wahre Zweck nicht verrathen werde. Schwieriger war es, Jonas, dem älteren Sohne, beizukommen, der unter der Leitung seines Vaters aufgewachsen war; ein schwerblütiger, melancholischer Grübler, entschloß er sich erst nach vielen innerlichen Qualen und Kämpfen, der Mutter und dem jüngern Bruder nachzufolgen. Die seelischen Leiden Simon Veit's, der mit schlichter Großmuth Dorotheen auch in ihren materiellen Nöthen immer ein Helfer war und der nun zusehen mußte, wie alle die Seinigen, eins nach dem Andern, ihn verließen und sich auch innerlich von ihm trennten, scheinen ihr das Bekehrungswerk nicht schwerer gemacht zu haben, geschweige denn daß dadurch Zweifel an seiner Berechtigung in ihr erregt wären.
Im April 1808 traten Friedrich und Dorothea in Köln zur katholischen Kirche über; zwei Jahre später erst Philipp und dann Jonas Veit in Wien.
So berechtigt in vielen Fällen der Uebertritt zu irgend einem Bekenntniß sein kann, von Friedrich Schlegel muß man es als etwas Tragisches ansehen. Er streckte die Waffen, er kapitulirte schmählich. Wie ein Soldat, der dem Feinde, dem er sich ergeben hat, schwören muß, nie wieder ein Schwert für sein Vaterland zu ziehen. Er strich selbst seinen Namen aus der Liste der guten Kämpfer und ließ sich die Hände binden. Bestimmt, für die Wiedervereinigung der beiden Glaubenshälften, der katholischen und der protestantischen, zu einem neuen, vollendeten Ganzen zu streiten, gab er nicht nur den Kampf aus, sondern sogar die schon errungene Stufe preis, um sich auf die tiefere behaglicher Bewußtlosigkeit zurücksinken zu lassen. Sünde gegen den heiligen Geist. Dahin passen die strengen Worte von Novalis:
»Der Mensch besteht in der Wahrheit. Giebt er die Wahrheit preis, so giebt er sich selbst preis. Wer die Wahrheit verräth, verräth sich selbst. Es ist hier nicht die Rede vom Lügen, sondern vom Handeln gegen Ueberzeugung.«
In eigenthümliche Conflikte gerieth Dorothea, wenn Bekannte, die ihr früher unlieb waren, gleichfalls den Glauben wechselten, indem sie sich verpflichtet fühlte, sich darüber zu freuen, andrerseits aber dadurch irre gemacht und geängstigt wurde. Sie half sich dann wohl damit, daß sie die Güte der Beweggründe in Zweifel zog, indessen hoffte, die Kirche werde nachträglich die ihr zugefallenen Kinder ihrer werth erziehen. So etwa war ihre Stimmung den Tieck's gegenüber, von denen zuerst im Jahre 1805, wo sie sich in Italien aufhielten, das Gerücht ging, sie seien katholisch geworden. Soviel ich weiß, ist es niemals mit voller Sicherheit zu ermitteln gewesen, ob Ludwig Tieck thatsächlich übergetreten ist oder nicht; indessen spricht Alles dagegen und jetzt wird Niemand mehr daran glauben. Tieck's Schwester Sophie hingegen, in der das Schwanke, Unklare, das im Wesen des Bruders lag, noch mehr ausgeprägt gewesen zu sein scheint, vollzog den Uebertritt; sie gehöre nun einmal zu den Zugvögeln und müsse hin, wo der Wind hingehe, sagte Dorothea von ihr.
Welche Veränderungen das Verhältniß zu alten Idealen und alten Freunden erlitt, das machte sich allerwärts schmerzlich fühlbar. Erinnert man sich, wie Dorothea im Sommer 1799 klopfenden Herzens Goethe, den höchstverehrten Mann, kaum anzureden sich getraute, wie begierig sie in seinen Mienen forschte, ob er ihrem Friedrich wohl gewogen sei, berührt es eigen, zu lesen, in welchem Tone sie sechs Jahre später über ihn schrieb: »Den Winkelmann von Goethe habt ihr doch gewiß schon gelesen? Was sagst Du zu diesem sächsisch-weimarischen Heidenthum? Ich gestehe Dir, mir kommt das Ganze sehr flach, ja gemein, Goethe's Styl unerhört steif und pretiös und die Antipathie gegen das Christenthum sehr affektirt und lieblos vor, und wahrhaftig, wenn man alt ist, so ist man noch lange nicht antik. Aber wenn man sich so gewaltsam versteinert und durchaus antik sein will, dann wird man vielleicht alt.«
Freilich zog sich Goethe desto ablehnender in sein herbes, stylisirtes Griechenthum zurück, je mehr die Schwärmerei für das bunte, wundermächtige Mittelalter um sich griff. Die Uebertritte fingen an, zahlreicher zu werden. Die Zeit aber gehört schon nicht mehr in das erste Blüthenalter der Romantik, dessen Gedächtniß ich diesen Band bestimmt habe. Damals wurde nur mit verschwenderischer Hand Samen ausgestreut, der hernach die vielen verschiedenen eßbaren, ungenießbaren und giftigen Früchte trug. Nur, da die katholische Stimmung im Grunde von Bildern her zuerst unter die Romantiker ausgestrahlt war, sollte man noch wissen, was nun die Malerei wiederum von ihnen in dieser Hinsicht empfing. In den Bildern Friedrich's, des Lieblingsmalers der älteren Romantik, ist kein katholisches Symbol zu finden. Denn wenn er etwa auch einsame Kapellen oder Abteien im Walde oder gar Mönche und Krucifixe malte, so waren das doch nur Ausdrucksmittel für andächtige oder gottsuchende Stimmung.
Runge, der die Kunst durchaus auf der Religion aufgebaut wissen wollte, war deswegen von einer Neigung zum Katholicismus doch weit entfernt. Auch sein Freund Klinkowström, der späterhin katholisch wurde, sprach sich Anfangs sogar nachdrücklich dagegen aus; denn, sagte er, das Christenthum bestehe eben in der Vereinigung, man wechsele mit dem Bekenntniß nur die Form und solle nicht neuen Most in alte Schläuche füllen. Trotzdem bediente er sich auf seinen Bildern schon damals katholischer Symbole; vermuthlich auch deshalb, weil er nicht so viel Erfinderkraft besaß wie Runge, der sich eigene schuf. Im Jahre 1804 malte er einen St. Georg, von dem er sagte, er habe ihn ganz romantisch genommen, knieend auf einem großen springenden Pferde, rechts davon die Maria, links den tanzenden David, die Sonne aus Köpfchen in Strahlen gebildet. Die Maria mit dem Kinde und dem geschwungenen Rauchfaß sollte die Religion sein. Ueberhaupt sollte das Bild, nach seiner eignen Erklärung, die stille Religiosität, die Freude, Liebe, Macht und Herrlichkeit derselben ausdrücken. Wie ganz religiös er aber auch das Bild angesehen wissen wollte, war ihm doch der Gedanke, die Leute würden nichts als eine Versenkung in den Katholicismus darin erblicken, peinlich, und er hätte das sogar gern vermieden. Von den Brüdern Riepenhausen aus Göttingen, die siebzehn- und achtzehnjährig nach Dresden kamen, um katholisch zu werden, erzählte er Runge mit mißbilligendem Spott ihren Ausspruch: »Wir haben nun ganz den griechischen Styl fahren lassen«, anstatt dessen fingen sie eine Malerei in Nachahmung der alten Deutschen an, ganz flach, ohne Schatten und Licht. Klinkowström sah bei ihnen eine religiöse Composition: um die Maria mit dem Kinde, die auf einem Throne sitzt, zwei Engel mit traurigen Gebärden in großen altdeutschen, steifen Kleidern, die das Alte und das Neue Testament vorstellen sollten. Das Bild wie die ganze Richtung mißfielen Klinkowström durchaus. Vieles sei nur der Drang, auf die Kniee zu fallen, urtheilte er, Sinnentrunkenheit, durch die neuere Poesie veranlaßt. Auch er suchte, wie Friedrich Schlegel und Andre mit ihm gethan hatten, eine neue Religion; der alten wich er beinahe mit einer gewissen Aengstlichkeit aus, als wäre er sich heimlich bewußt gewesen, daß sie ein Armida-Zaubergarten werden könnte, in dessen erschlaffender Pracht man die Eroberung des heiligen Landes vergäße. »Und alle meine Worte sollen nur soviel enthalten«, schrieb er an Runge, »daß ich die christliche Kirche wie meine Braut suche, aber man liebt vom eignen Anschauen und kann sich nichts von der Liebe erzählen oder sich lehren lassen.«
Wie Manchem schwebt das Ideal einer Braut vor, wie er sie besitzen möchte; wenn aber einiges Suchen erfolglos geblieben ist, nehmen die Meisten mit einer zwar nicht ganz entsprechenden, aber doch greif- und genießbaren Wirklichkeit vorlieb.
Tieck vergleicht einmal die Menschheit mit dem Pudel, der, wenn er eine Weile auf den Hinterbeinen gesessen und Männchen gemacht hat, glückselig ist, wenn er wieder auf die Vorderpfoten zurückfallen und auf allen Vieren laufen kann.
Daran muß man denken, wenn man den Lebenslauf dieser strebenden Idealisten betrachtet, die die unsichtbare, alle Geister umfassende Kirche auf Erden verwirklichen wollten und nach kurzem Ringen im weichen Schoße der alten katholischen untergingen.
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