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Die leise Besonnenheit des Apollo und
die göttliche Trunkenheit des Dionysos.
Friedr. Schlegel.
Wissen ist des Glaubens Stern,
Andacht alles Wissens Kern.
Friedr. Schlegel.
Die Romantiker waren die Entdecker des Unbewußten. Indiensuchende Träumer, sandten sie ihre Seele aus nach dem uralten Wunderlande, von dem die Märchen der Vorzeit erzählten. Düfte, Blumen, die abgerissen im Wasser flossen, verkündeten den einsamen Schiffern oft die Nähe der blühenden Küste. Wie Kolumbus, wußten sie nicht, was sie gefunden hatten. Denn nicht das entfernte Mittelalter oder irgend ein wunderbares Traumland war es, sondern in ihnen selbst öffnete sich das unendliche Nachbarland ihres Geistes, die entgegengesetzte Scheibe des beseelten Planeten, wie einer von ihnen die verhüllte Hälfte des mit sich selbst unbekannten Menschen nennt, hatte sich ihnen zugewendet.
Im Jahre 1807 schrieb Ritter, nachdem er eine Somnambule beobachtet hatte, an Baader: »Eine Entdeckung von Wichtigkeit denke ich durch die eines passiven Bewußtseins, die des Unwillkürlichen, gemacht zu haben. Es wird durch Frage, Antwort erregt.… Hier neue Aufschlüsse in der Magie. Dann Theorie der Kraft der Phantasie. Alles Vorgestellte ist wirklich, eben deshalb aber hat es nur die Hälfte seiner Wirklichkeit, eine Halbwirklichkeit, für uns, gerade wie schon jeder Dritte uns doch nicht so wirklich ist, als wir uns selbst. Ferner hier Theorie des Gewissens, indem aktives Bewußtsein sich von passivem nur dadurch unterscheidet, daß dort die Frage mit der Antwort, und hier die bloße Antwort zum Bewußtsein kommt. Alle unsre reinen Handlungen sind somnambulistisch, Antwort auf Frage; wir die Frager. Jeder trägt selbst seine Somnambule bei sich und ist selbst der Magnetiseur von ihr. – Fall wo die Frage die Antwort selbst erräth, oder eigentlich die bewußte Unwillkürlichkeit selbst. Gott im Herzen.«
Von dieser empirischen Entdeckung eines passiven Bewußtseins, das von dem sonnenwachen Bewußtsein verschieden und nicht mit dem Gehirn, sondern mit dem sogenannten sympathischen Nervensystem verbunden sein sollte, wußten die jungen Führer der Romantik noch nichts. Immer pflegt der Erfahrung ein blinder Prophet der Wahrheit vorauszugehen. Uebrigens war das Gefühl, daß dem Menschen zwei Seelen in der Brust wohnen, kaum jemals unbekannt, und jeder kann Beobachtungen über ihr Verhalten zu einander anstellen. Im Leben des Kindes giebt es eine kurze Epoche, wo es sich nur als Objekt empfindet und von sich in der dritten Person redet; es ist zum Selbstbewußtsein noch nicht erwacht. Allmälig lösen sich die beiden Seelen von einander ab und trennen sich immer mehr – ebenso wie sich die Menschheit in eine männliche und eine weibliche Hälfte spaltet –, woraus die heißen Kämpfe der reifenden Jugend zu erklären sind, von denen nur wenige Menschen garnichts erfahren. Nun stellt die wache, sehende Seele Gesetze und Ideale auf, denen die schwerfällige blinde nicht folgen kann, oder umgekehrt, das überschwängliche Gefühl der blinden drängt zu Thaten, denen die berechnende sich widersetzt. Wenn die Jugend zu Ende geht, wird der Zweikampf so oder so entschieden, häufiger durch Ueberwältigung der einen oder durch ein schwächliches Sichmiteinanderabfinden, als durch Versöhnung.
In der Völkergeschichte wiederholt sich derselbe Vorgang. Kein Kampf ist im Innern der Thiere, wo der blinde Instinkt noch unangezweifelt herrscht; abgesehen von gewissen Hausthieren, in denen unter dem Einflusse der Menschen die ersten Keime des Selbstbewußtseins sich entfalten mögen. Auch bei den kulturlosen Völkern kann die schwache Stimme der Einsicht noch nichts ausrichten gegen die ungebändigte Wildheit des Instinkts. Der reine, harmonische Mensch des goldenen Zeitalters hat nie gelebt; eine optische Täuschung der menschlichen Phantasie versetzte ihn, wie den persönlichen, bewußten Gott, die beide am Ende aller Geschichte stehen, an ihren Anfang. Allerdings lebten die Griechen, wie wenn uns ein Vorbild gesetzt sein sollte, nach dem wir strebend uns zu richten hätten; hier herrscht eine innere Uebereinstimmung wie die zwischen Oedipus und Antigone: die kindliche Führerin schmiegt sich in vertraulichem Gehorsam an den blinden, weiseren Vater. Das Christenthum war die erste Auflehnung gegen die Tyrannis des Triebes. Das Bersten der Erde und das Zerreißen des Vorhangs im Tempel waren die ersten Vorzeichen der beginnenden Seelenschlacht im Menschen.
Wie im Leben des Einzelnen Tage oder Jahre, wo er handelt und lebt, auf solche folgen, wo er sich auf sich selbst besinnt, wechseln auch die Zeiten in der Weltgeschichte mit einander ab; während das Innenbewußtsein ruht, steigen die großen Thaten gerüstet, entschlossen aus der Tiefe des Unbewußten empor. So lösten auch im Mittelalter innerliche und äußerliche Zeiten einander ab; aber die Innerlichkeit gab der ganzen Epoche ihren Charakter. Wie eine große Revolution die neue Zeit eröffnete, ist sie durch eine andre, die französische beschlossen, während gleichzeitig die Romantik ein erneutes, erhöhtes Mittelalter heraufführte.
Es giebt keine interessantere und furchtbarere Zeit, als das frühe Mittelalter, wo der Mensch sich im Innern einem Dämon gegenübersah, der ihm sein eigenstes Reich streitig machte, den er fürchtete und haßte und dessen er sich doch nicht entledigen konnte, mit dem er wie mit einem Zwillingsleibe verwachsen war, und der doch ewig nach entgegengesetzter Richtung drängte. Er wußte sich eins und fühlte sich doch zwei, was einen wohl krank und wahnsinnig machen kann. Vergebens suchten die Priester die bösen Geister aus den Besessenen auszutreiben und durch Beschwörungsformeln bei der Taufe den Teufel aus dem neugeborenen Kinde zu bannen. Bald wähnte man in der edelsten Begierde des Menschen, der nach Erkenntniß, die fremde, feindselige Wirkung zu spüren, bald in den natürlichen Leidenschaften; unbändiger Frevel wechselte ab mit heldenmäßigen Opferthaten und weltüberwindender Entsagung. Durch die beständige, wenn auch feindselige Berührung mit dem Unbewußtem wuchs das Bewußtsein mächtig; dem Antäus gleich, dem aus der mütterlichen Erde die Kraft einströmt.
Auf einer inneren Zweiheit beruht die Möglichkeit des Selbstbewußtseins überhaupt; je deutlicher sich jene ausprägt, desto schärfer kann auch dieses werden. Einige Aussprüche der Romantiker sollen zeigen, daß sie die Doppelerscheinung des Ich klar erkannten.
Novalis: Denn Niemand kennt sich, insofern er nur er selbst und nicht auch zugleich ein andrer ist.
Eine nicht synthetische Person ist eine Person, die mehrere Personen zugleich ist, ein Genius. Jede Person Apollo und Dionysos ist der Keim zu einem unendlichen Genius. Sie vermag, in mehrere Personen getheilt, doch auch eine zu sein.
Die höchste Aufgabe der Bildung ist, sich seines transcendenten Ich zu bemächtigen, das Ich seines Ichs zugleich zu sein.
Unser Denken ist also Zwiesprache und unser Empfinden Sympathie.
Jede Person, die aus Personen besteht, ist eine Person in zweiter Potenz oder ein Genius.
Friedr. Schlegel in der Lucinde: Nur in der Antwort seines Du kann jedes Ich seine unendliche Einheit ganz fühlen. Dann will der Verstand den inneren Keim der Gottähnlichkeit entfalten, strebt immer mehr nach dem Ziele und ist so voll Ernst die Seele zu bilden, wie ein Künstler das eigene geliebte Werk. In den Mysterien der Bildung schaut der Geist das Spiel und die Gesetze der Willkür und des Lebens. Das Werk des Pygmalion bewegt sich, und den überraschten Künstler bewegt ein Schauer im Bewußtsein eigener Unsterblichkeit, und wie der Adler den Ganymedes reißt ihn die göttliche Hoffnung mit mächtigem Fittich zum Olymp.
Nicht mehr fremd und feindselig also stehen die Menschen ihrem Du gegenüber; seit sie sich ihm gewachsen fühlen und es besser erkennen, sehen sie die Möglichkeit einer Verständigung, ja das erste Schaudern liebender Neigung überläuft sie. Mit gutem Grunde spricht matt hier von Liebe, da die Wesenshälften des Menschen sich wie die Hälften des Menschengeschlechts positiv und negativ, männlich und weiblich zu einander verhalten.
Daß das Erkennen das weibliche Prinzip sei, liegt in einer der ältesten Sagen des Menschengeschlechtes: Eva war es, die den verhängnißvollen Apfel pflückte. Allerdings stellen eine Menge Frauen, vielleicht sogar die Mehrzahl, eher ein entgegengesetztes Prinzip dar. Diese vergegenwärtigen den Urtypus, in dem die Geschlechter noch unvermischt bei einander waren. Man kann ihn nicht androgyn nennen, da er nicht männlich und weiblich war, sondern weder das eine noch das andre, ein chaotisches Neutrum. Der Mann, das positive, thätige, schöpferische Prinzip riß sich zuerst los und eilte voran, die Frau folgt ihm zwar langsam nach, aber sie vertritt das höhere, wenn auch ohne ihn ohnmächtige Prinzip. Thatsächlich indessen vereinigen viele Frauen noch den Urtypus in seiner schwerfälligen, mütterlichen Trägheit. Erst in neuerer Zeit wird die Differenzirung des Männlichen und Weiblichen immer schärfer und bildet sich der rein weibliche Typus heraus. Auch stellen die modernen Schriftstellerinnen den Mann mit Vorliebe als den gutartigen, etwas rohen und etwas tolpatschigen Bären hin, der mit schwerer Tatze nach der feinen, neckischen Frauen-Libelle greift, die ihn umschwirrt. Je stärker die Differenzirung sich ausprägt, desto heftiger wird die Anziehung zwischen den Geschlechtern: der physiologische Grund, warum die Liebe in den neueren Zeiten eine so viel größere Rolle spielt als im Alterthum. Es ist anzunehmen, daß die Liebe ihren Charakter wieder ändern wird, wenn einst ein dem Urtypus analoger Mensch entsteht, in dem sich Männliches und Weibliches vereinigt, ohne in einander unterzugehen.
Dieser Umstand also, daß es zwei Frauentypen giebt und ferner, daß es weibliche Männer und männliche Frauen giebt, je nachdem welches Prinzip gerade stärker entwickelt werden soll, sind die Ursache, daß die Frau von den Männern meistens als Vertreterin des Unbewußten hingestellt wird, während doch gleichzeitig die weibliche Neugier, Eitelkeit, Gefallsucht, Frühreife, Schlauheit, Bosheit, Bewußtheit in Aller Munde ist. Daß die Neugier, das Wissenwollen, weibliches Erbteil ist, ist allbekannt. In der Sprache der Romantiker könnte man sagen: die Frau ist eine Potenzirung des Mannes, ist der romantisirte Mann, das heißt der bewußtwerdende. Diesen Sinn wird man in folgenden Aussprüchen von Novalis über die Frau finden:
Die Holzkohle und der Diamant sind ein Stoff und doch wie verschieden! Sollte es nicht mit Mann und Weib derselbe Fall sein? Wir sind Thonerde und die Frauen sind Weltaugen und Saphire, die ebenfalls aus Thonerde bestehen.
Das Beiwesen des Mannes ist das Hauptwesen der Frau.
Ungeheuere Verstellungsgabe, Verbergungsgabe der Weiber überhaupt. Ihr feiner Bemerkungsgeist. Alle Weiber haben das, was Schlegel an der schönen Seele tadelt. Sie sind vollendeter als wir. Freier, aber gewöhnlich sind wir besser. Sie erkennen besser als wir.
Ihre Natur scheint unsre Kunst, unsre Natur ihre Kunst zu sein. Sie sind geborene Künstlerinnen.
Alles fordert von der Frau unbedingte Liebe zum ersten besten Gegenstande. Welch hohe Meinung von der freien Gewalt und Selbstschöpfungskraft ihres Geistes setzt das nicht voraus.
Alles dies und das Goethe'sche Wort, daß das Ewig-Weibliche uns hinanziehe, steht mit dem Mythos, daß das Weib den Sündenfall veranlaßt habe, nur scheinbar im Widerspruch. Man ist leicht geneigt, die Natur um ihre Sicherheit und Unschuld zu beneiden; die sorglose Lebenswonne der Thiere, ihre körperliche Unbefangenheit, Kraft und Bestimmtheit erscheint uns vorzüglicher als unser zusammengesetztes Wesen, und wir bedauern es, wenn der kindliche Frohsinn wilder Völkerschaften bei Berührung mit der Kultur in Angst, Unsicherheit und Sorge untergeht. Und doch können die Thiere nicht lachen; ein Zug großartiger Traurigkeit ist in ihren Gesichtern, da wo von Gesicht und Gesichtsausdruck überhaupt die Rede sein kann. Die Angst der Kreatur sieht aus ihren flehenden Augen. Ebenso erkennt man an den vollen, schweren, gesenkten Lippen, an einer beständigen unwillkürlichen Schwermuth des Auges den Sklaven-Menschen, der noch an der Kette des Instinktes liegt. Daß jedes Geschöpf zur Freiheit geboren und von edler Art ist, beweist die unbewußte Trauer über die Schmach der Unterthänigkeit. Selbst die wundervollen griechischen Götter- und Heldengestalten. ob sie uns nun in der Plastik oder in der Poesie begegnen, haben bei all ihrer Pracht eine stolze, verhaltene Schwermuth in den Zügen, als wären sie vom Geschlechte des Tantalus und trügen das eherne Band um die Stirn, das verdunkelt und fesselt; die verhältnißmäßig niedrige Stirn in dem formschönen, kraftvollen Antlitz ist der sichtbare Ausdruck davon. Und die Fröhlichkeit des Naturmenschen ist keine andre als die des Kindes, die jeden Augenblick grundlos in die äußerste Trübseligkeit umschlagen kann. Häufiger Genuß von Berauschungsmitteln muß ihm den dumpfen Druck des Lebenmüssens erträglich machen: der Rausch giebt ihm die Flügel, die der Geist ihm noch nicht geben kann.
Nur Bewußtheit verleiht echte, dauernde Heiterkeit. Was ist dem Kinde sein Glück, um das wir es beneiden; dem Schmetterling, dem Schläfer, dem Todten? Die Schlange hatte Recht mit ihrer Verheißung: eritis sicut deus scientes bonum et malum. Die griechische Mythe erzählt, daß Zeus den Menschen das Licht habe vorenthalten wollen, damit sie nicht den Göttern gleich würden, und wie wirklich das Licht Bringer der Kultur wurde. Ebenso wie Psyche, deren Sünde wie Eva's im Sehen-, das heißt Wissenwollen bestand, nach vielen erduldeten Qualen an der Hand des Geliebten als Göttin in den Olymp eingeht. Tiefsinniger, wenn auch nicht so abgeschlossen und vollendet, ist die biblische Darstellung. Wir sehen da, wie die Erkenntniß das bisher verantwortungsfreie Geschöpf zunächst in Schuld verstrickt. »Ohne das Gesetz war die Sünde todt«, sagt Paulus. Wir ahnen den Riesenkampf, den der werdende Geist gegen die Natur wird kämpfen müssen, bis er ihr gleich und frei von ihr geworden ist. Wir vernehmen, daß das durch einen Menschen verlorene Paradies durch einen Menschen wiedergewonnen wird. Neben der tiefsten Herabwürdigung des Weibes in Eva steht, nach einem gelegentlichen Worte Baader's, ihre höchste Verherrlichung in Maria. Im Märchen ist es die Prinzessin, die den durch eine Hexe in einen Fisch oder Bären verwandelten Prinzen durch einen freiwilligen Liebeskuß erlöst.
Die Romantiker hatten das Verdienst einzusehen, daß die Erkenntniß, die die Einheit der Natur zerstörte, dennoch ihr Heil und das Mittel zu einer Wiedervereinigung auf höherer Stufe ist. Das bedeutet wohl die flüchtige Notiz von Novalis: »Adam und Eva. Was durch eine Revolution bewirkt wurde, muß durch eine Revolution aufgehoben werden (Apfelbiß).«
In einer dramatischen Dichtung Tieck's begegnet Zerbino dem Lieblingshelden der Romantik, Shakespeare. Auf seine Frage, was man auf Erden von ihm sage, antwortet Zerbino:
»Nun, man hält dich für einen wilden, erhabenen Geist, der bloß die Natur studirt hat, sich ganz seiner Furie und Begeisterung überläßt und nun darauf los dichtet, was es giebt, gut und schlecht, erhaben und gemein durch einander.« Worauf Shakespeare antwortet:
»Grüße deine Bekannten von mir und sag ihnen, daß sie sich irren. Verkündige ihnen, daß die Kunst immer meine Göttin war, die ich anbete.«
Es war die Entgegnung des Romantikers auf die Lehre der Geniezeit, daß die Poesie eine Blume sei, die sich nur des Nachts erschließe und dufte. Nachdem eben die Einsicht gewonnen war, daß nicht die Gelehrten, sondern das Volk die schönsten Dichtungen hervorgebracht hatte, fing man an, die Produkte eines gebildeten und unterrichteten Menschen mit Mißtrauen zu betrachten. Nicht denken, nicht lernen, damit die Unschuld des Instinkts nicht zersetzt werde. Diesem kleinmüthigen Pessimismus, der dem Kulturmenschen nur die Wahl lassen wollte, entweder sein stolzes Erbe der Jahrhunderte oder die Kraft der Kunst aufzuopfern, schleuderte Novalis mit revolutionärem Uebermuth die Frage zu: Kann man Genie lernen? um sie zu bejahen.
»Kann man Genie sein und werden wollen? So mit dem Witz, dem Glauben, der Religion u. s. w. Es hat in Beziehung auf das Genie bisher beinahe das Prädestinationssystem geherrscht. Die zum Theil wahre Beobachtung liegt zu Grunde, daß der Wille Anfangs ungeschickt wirkt und das Naturspiel stört – Affektation – und einen unangenehmen Eindruck macht – im Anfang durch Theilung der Kraft – bei der Aufmerksamkeit – sich selbst untergräbt und aus mangelhaftem Reiz und mangelhafter Capacität das nicht zu leisten vermag, was er dunkel, instinktartig beabsichtigt.«
Der vormalige lächerliche Aberglauben, Gelehrsamkeit könne Genie ersetzen, verwandelte sich in den frohen Glauben, daß Wissen dem Genie förderlich sei, an die Möglichkeit eines unendlichen Fortschritts in der Kunst. »Glaubt ihr nicht«, läßt Tieck seinen Dürer sagen, »daß es den künftigen Zeiten möglich sein wird, Sachen darzustellen und Geschichten und Erfindungen auszudrücken, auf eine Art, von der wir jetzt nicht einmal eine Vorstellung haben?«
Gern sprachen die Romantiker von der absichtsvollen Weisheit des Dante, Cervantes und Shakespeare, die Friedrich Schlegel den Dreiklang der romantischen Poesie nannte. An Goethe's Meister hob er hauptsächlich hervor »die geheimen Absichten, die er im Stillen verfolgte, und deren wir beim Genius, dessen Instinkt zu Willkür geworden ist, nie zu viel voraussetzen können.«
Unter den bildenden Künstlern war ein Liebling der Romantiker Leonardo da Vinci mit seiner überschauenden Intelligenz, mit seiner gewaltigen Phantasie, die sich dennoch unter die Leitung des grübelnden Kopfes beugte. »Uebrigens ist man bei Leonardo nicht in Gefahr, einen zu tiefen Sinn in seine Werke zu legen. Er dachte sich gewiß immer noch viel mehr, als er auszuführen im Stande war. Diese Ueberlegenheit des Verstandes über das ausübende Vermögen giebt er selbst als Kennzeichen des echten Künstlers an. Er hätte einer immer erneuten Jugend bedurft. Sein vieljähriges Leben war zu kurz für seine Gedanken, der Tod riß ihren labyrinthischen Faden ab. Bei ihm hielt das Streben nach Wahrheit mit dem Kunsttrieb nicht nur gleichen Schritt: beides hatte sich gegenseitig durchdrungen und war eins geworden. Sein Forschungsgeist war durchaus romantisch, bizarr und mit Poesie tingirt, und er verfolgte hinwieder die Forderungen der Kunst mit der Strenge der Wissenschaft oder der Pflicht.«
Diese Stelle kommt in dem Gespräche Wilhelm's und Karoline's über die Gemälde vor, das sie für das Athenäum schrieben; vielleicht hatten sie die Anregung zu dieser Auffassung Leonardos aus Wackenroder's Herzensergießungen geschöpft, wo der Klosterbruder mit anbetendem Staunen vor dem ungeheuren Manne steht, der zugleich schaffen konnte und denken, was er schaffte. Diesem klaren Geiste stellt Wackenroder den phantastischen Maler Piero di Cosimo gegenüber und beschließt seine Betrachtungen mit den ahnungsvollen Worten:
»Das Kunstgenie soll, wie ich meine, nur ein brauchbares Werkzeug sein, die ganze Natur in sich zu empfangen, und, mit dem Geiste des Menschen beseelt, in schöner Verwandlung wiederzugebären. Ist er aber aus innerem Instinkte und aus überflüssiger, wilder und üppiger Kraft ewig für sich in unruhiger Arbeit, so ist er nicht immer ein geschicktes Werkzeug, vielmehr möchte man dann ihn selber eine Art von Kunstwerk der Schöpfung nennen.«
Man irrt sich, wenn man annimmt, es sei den Romantikern nur in unklarer Verworrenheit wohl gewesen; auf die sogenannten älteren wenigstens trifft das durchaus nicht zu. Novalis nennt es im Gegentheil Folge einer krankhaften Constitution, Einseitigkeit, daß das Genie bisher meistens ohne sein Wissen wirkte; der Mangel an Bewußtsein sei schuld, daß es immer nur glückliche Augenblicke hatte. »Das erste Genie, das sich selbst durchdrang«, sagt er, »fand hier den typischen Keim einer unendlichen Welt; es machte eine Entdeckung, welche die merkwürdigste der Weltgeschichte sein mußte, denn es beginnt damit eine ganz neue Epoche der Menschheit.« Das Wort »Mehr Licht«, das Goethe nicht gesprochen haben soll, war doch jedenfalls wie aus seinem, so auch aus dem Geiste seiner Jünger gesprochen. Es ist bezeichnend, daß Novalis einen Traktat vom Lichte zu schreiben beabsichtigte. »Licht ist Symbol der echten Besonnenheit«, sagt er einmal. »Also ist Licht, der Analogie nach, Aktion der Selbstberührung der Materie. Der Tag ist also das Bewußtsein des Wandelsternes, und während die Sonne wie ein Gott in ewiger Selbstthätigkeit die Mitte beseelt, thut ein Planet nach dem andern auf längere oder kürzere Zeit das eine Auge zu und erquickt in kühlem Schlafe sich zu neuem Leben und Anschauen. Also auch hier Religion. Denn ist das Leben der Planeten etwas Andres als Sonnendienst?«
Schelling sah im Licht und in der Schwere die Urdualität der Natur; wenn man also »den Zauberstab der Analogie« gebraucht, müßte man, wie dem Licht das Bewußtsein, der Schwere den dunkeln Trieb, das Unbewußte gleichsetzen.
Empfindet man nicht auch eine Leidenschaft, der man trotz allen Ringens nicht Herr werden kann, als Schwere in sich? Im Gegensatze zu den Sturm- und Drang-Menschen, die mit Vorliebe in der Gewitterschwüle der Leidenschaft athmeten und nur in ihren krampfhaften Aeußerungen Kraft sahen, feierten die Romantiker den elastischen Geist, der die unbändige Wildheit der Triebe gebändigt hat und lenkt.
»Der Adel des Ich besteht in freier Erhebung über sich selbst – Laster ist eine ewig steigende Qual, Abhängigkeit vom Unwillkürlichen, Tugend ein ewig steigender Genuß, Unabhängigkeit vom Zufälligen.«
Die geschmeidige Jünglingskraft des Novalis'schen Geistes ist in diesen Worten nicht zu verkennen; ein Geist, der wie David, furchtlos und fromm, ein künftiger König, den Riesen herausfordert. Es gab eine Zeit, wo man die gothischen Kathedralen, die mit einer Art von Raserei allen Naturgesetzen trotzen zu wollen schienen, barbarisch fand und Nichts gelten ließ als den kindlich an Hain und Wald geschmiegten griechischen Tempel. Aber die Romantiker verstanden den schaurigen Trotz, mit dem der mittelalterliche Geist, die Schwerkraft des Gesteins im Riesenauflauf überwindend, leicht und mächtig, titanenhaft gegen den Himmel anstürmt; ihr reizbares Ohr vernahm den steinernen Triumphschrei, die kolossale Herausforderung des Menschen an den alten Naturgott. Wie Goethe früher gethan hatte, verherrlichte Tieck den Straßburger Münster in seinem Sternbald: »Es ist zum Entsetzen, daß der Mensch aus Felsen und Abgründen sich einzeln die Steine hervorholt und nicht rastet und ruht, bis er diesen ungeheuren Springbrunnen von lauter Felsenmassen hingestellt hat, der sich ewig, ewig ergießt und wie mit der Stimme des Donners Anbetung vor uns selbst in unser sterbliches Leben hineinpredigt.«
Das Selbstbewußtsein des Menschen reckt sich, die Löwennatur zu zähmen. Sieg über die Schwere ist seine Losung. Es ist kein Wunder, daß die Erfindung der Flugmaschine eines der Lieblingsprobleme der modernen Menschheit ist; eins von den vielen Beispielen moderner Phantastik, in der sich trockene Wissenschaft und Technik mit schwärmerischer Einbildungskraft mischen. Trieb in Kunst zu verwandeln, das Unbewußte in Wissen, war das Studium der Romantiker. Man könnte aus ihren Werken die interessantesten Zusammenstellungen darüber machen. Während Novalis tiefsinnige Andeutungen über die Kunst des Essens macht, lehrt Tieck, daß jede Tischunterhaltung ein Kunstwerk sein sollte, »das auf gehörige Art das Mahl accompagnirte und in richtigen Generalbaß mit ihm gesetzt würde.« Die Unterhaltung der Freunde im Phantasus, die wie Blumengewinde die verschiedenen Märchen und Erzählungen umrahmen und verknüpfen, bestehen hauptsächlich in Versuchen, sich über Instinkte klar zu werden und die unwillkürlichen Gefühle zu ergründen; wodurch dieses handlungslose Selbstgespräch so unerschöpflich und anziehend wird. Da wird über die »Tiefe und Innigkeit« des Geschmackes gesprochen, der Farbensinn behandelt: »Wie wundersam, sich nur in eine Farbe als bloße Farbe recht zu vertiefen. Wie kommt es denn, daß das helle ferne Blatt des Himmels unsre Sehnsucht erweckt, und des Abends Purpurroth uns rührt, ein helles goldenes Gelb uns trösten und beruhigen kann, und woher nur dieses unermüdete Entzücken an frischem Grün, an dem sich der Durst des Auges nie satt trinken mag?« Immer näher und näher schleicht der Dichter dem Abgrund des Unbewußten. eine schaurige Lust des Schwindels lockt ihn, sich ganz über den schwarzen Schlund zu beugen und den in Nebel wallenden Geburten und Gestalten zuzusehen, bis ihn ein unnennbares Gefühl von Angst aufschreckt und zurücktreibt. Das sieht man vor sich, wenn man ihn in seinen Schriften beobachtet. »Die Kunst hat diese Geheimnisse wohl unter ihren vielfarbigen Mantel genommen«, sagt er im Phantasus, »daher die wilde Verzweiflung in der Lust mancher bacchantischer Dichter. – So wollten wild schwärmende Corybanten und Priesterinnen ein Unbekanntes in Raserei entdecken, und alle Lust, die über die Grenze schweift, nippt von dem Kelch der Ambrosia, um Angst und Wuth mit der Freude laut tobend zu verwirren. Auch der Dichter wird noch einmal erscheinen, der dem Grausen und der wilden Sehnsucht mehr die Zungen löst.« Mit unmüdlicher Rüstigkeit und Frische bekämpft Baader den Jacobischen empfindsamen Satz, daß Denken dem Fühlen schade. Wenn Jacobi sagt: Der Gott, der gewußt werden könnte, wäre gar kein Gott, entgegnet Baader: der Gott, der ohne Gott gewußt werden könnte, wäre keiner; er erinnert daran, daß Christus nicht gesagt hat: ihr werdet die Wahrheit fühlen oder ahnen, sondern: ihr werdet sie erkennen. Er versucht eine Wissenschaft der Liebe zu begründen und unterscheidet die freie Zuneigung – Liebe – die vom Erkennen ausgeht, von der Leidenschaft, die, von einem Nichtgedachten ausgehend, ein unfreies Bewegtsein ist: »der Mensch weiß in diesem seinem blinden (finstern) Getriebensein nicht eigentlich, was er will und thut, und seine Bewegung ist insofern keine lebendige, weil sie nicht von seinem Innersten ausgeht.« Ganz ähnlich sagt Novalis: »Neigungen sind materiellen Ursprungs; Anziehungs- und Abstoßungskräfte sind hier wirksam. Die Neigungen machen uns zu Naturkräften. Sie perturbiren den Lauf des Menschen, und man kann von leidenschaftlichen Menschen im eigentlichsten Sinne sagen, daß sie fallen.« An Schlegel's Lucinde ist die Wachsamkeit und stete Gegenwärtigkeit des Dichters das Merkwürdigste, die ihm inmitten des Sinnenrausches ermöglicht, »mit kühler Besonnenheit auf jeden leisen Zug der Freude zu lauschen.«
Wie die Liebe soll auch die Religion ein freies Geschöpf des Bewußtseins werden, und in Goethe's Bekenntnissen einer schönen Seele findet Schlegel diesen Grundsatz künstlerisch dargestellt. »Daß auch die Religion hier als angeborene Liebhaberei dargestellt wird, die sich durch sich selbst freien Spielraum schafft und stufenweise jede Kunst vollendet, stimmt vollkommen zu dem künstlerischen Genusse des Ganzen und es wird dadurch, wie an dem auffallendsten Beispiele gezeigt, daß er Alles so behandeln oder behandelt wissen möchte.« Daß der ganze Meister eigentlich nicht sowohl die Kunst behandelt als »die Kunst aller Künste, die Kunst zu leben«, hatte Friedrich Schlegel bewiesen und gerühmt. Sittlichkeit definirt Novalis als die Kunst, unter den Motiven zu Handlungen einer sittlichen Idee, einer Kunstidee a priori gemäß zu wählen und die Masse innerer und äußerer Handlungen zu einem idealischen Ganzen zu ordnen. »Nicht nur Mensch werden, ist eine Kunst«, hat er gesagt, sondern dieser unerschrockenste und zugleich feinste der romantischen Denker spricht sogar von einer Kunstlehre der Unsterblichkeit.
Die ersten Romantiker haben denn auch unermüdlich gelernt und das Erlernte denkend zum Besitz ihres Bewußtseins zu machen gesucht, ja sie alle waren zugleich Kritiker der Kunst, die sie ausübten. Niemals glaubten sie, wie die modernen Künstler zu thun pflegen, sie würden die glückliche Kraft der Gesundheit des dunklen Instinktes dadurch wiederfinden, daß sie sich in's Dunkel der Unwissenheit versteckten. Hierin wie überhaupt war Herder ein Vorläufer der Romantik, der die Poesie Kultur zum Schönen nennt, die Bekanntschaft der neuen Poesie mit der Wissenschaft freudig begrüßt, weil sie dadurch an dem Fortschritt und Wachsthum des menschlichen Geistes theilnehmen werde, der zur besonnenen Nachahmung andrer Völker auffordert und als die Muse des bewunderten Briten die Reflexion bezeichnet Es ist bekannt, wie Goethe beinahe pedantisch seine Kenntnisse zu erweitern und Ordnung in dem, was er wußte, zu halten suchte, wie er sogar nach Mustern oder Ideen, ja zuweilen um Exempel zu statuiren, dichtete.
Das aber haben Schiller und viele Andre auch gethan, und zwar gerade solche, deren ärgste Feinde die Romantiker waren. Wenn das Wissen und Bewußtwerden allein den Romantiker machte, wie wäre es möglich, daß sie mit gutem Gewissen den großen Krieg gegen die Aufklärung hätten führen können, daß jeder beim Worte Romantik an den geheimnißvollen lauschigen Wald des Märchens und der Sage denkt, in den sie die Menschen wieder eingeführt haben; daß in ihrem Gefolge der Zauber, die Magie, das Räthsel, die Sehnsucht – alle die verschleierten Gestalten des Unbewußten erscheinen? Das ist eben, was man niemals vergessen darf, daß das Bewußtsein des Romantikers mit dem Gehalte des Unbewußten erfüllt ist; das Thor, das die beiden Reiche trennte, ist nicht mehr geschlossen, sondern nur angelehnt, und langsam strömt das Licht von der einen Seite in die wallende Finsterniß, lösen sich von der andern Seite die dunklen Bildungen im Lichte auf. Baader führt einmal folgende Stelle aus einem alten Schriftsteller an: »Dieweil Studiren und Lernen eine Erweckung ist des, das in mir ist, nämlich, daß ich erkenne und gewahr werde des, das in mir ist und in allen Menschen verborgen liegt, denn das Himmlische und Irdische liegt in mir verborgen. Dannenhero auch die Platonici gesagt: discere esse reminisci.« Mit solchem Sicherinnern und Sichbesinnen war alles Lernen der Romantiker verbunden. Der unbewußte Mensch wird sich seines instinktiven Lebens nur dadurch bewußt, daß es wirkt; in ungestörter Stille reifen seine Gefühle heran, bis sie auf einmal als Handlungen an's Licht treten; sein Denken ist weißes Licht, erst durch das Prisma des Bewußtseins wird es in die Regenbogenfarben zerlegt. Dem bewußten Menschen, der seine Gefühle im Lichte zersetzt, fehlt leider oft die Formel, sie wieder ganz und lebendig zu machen, so daß man sagen kann: Der unbewußte Mensch hat die Gefühle, aber kennt sie nicht, der bewußte kennt sie zwar, aber hat sie nicht, der harmonische Zukunftsmensch hat und kennt sie.
Man kann sich den Verkehr zwischen den beiden Welten etwa so vorstellen, als gäbe es eine Klappe, die die obere von der unteren trennte. Bei dem gemeinen Durchschnittsmenschen öffnet sich diese Klappe niemals von selbst, außer vielleicht im Traume. Es kann auch bei diesen Vieles und Großes sich unterirdisch entwickeln, aber es tritt nicht in's Bewußtsein, sondern setzt sich in Arbeit um. Es sind die einfachen, handelnden Menschen, die Arbeitsthiere, aber auch solche, die im Stande sind, heroische Thaten zu thun. Man könnte diesen den Bauern- oder den Römer-Typus nennen, oder einfach den männlichen. Als Nacht-Menschen könnte man sie bezeichnen, insofern sie unbewußt handeln, als Tag-Menschen, insofern ihr Bewußtsein der äußeren Welt nie durch Nebel aus dem Innern gestört wird; wenn man nicht unter Tag-Menschen diejenigen verstehen will, denen das Unterirdische überhaupt fehlt und die in Folge dessen in diese Betrachtung nicht gehören.
Nun kommen die Menschen, bei denen die Klappe immer offen steht, oder eine Spalte ist darin. Es ist gerade, wie wenn ein Riß in einer Dampfmaschine wäre, die nicht arbeiten kann, weil der Dampf entweicht und keinen Druck mehr ausübt. Denn weil die Triebe, ehe sie sich ansammeln und bilden, in's Bewußtsein eintreten, können sie sich nicht in Handlung umsetzen und nach außen wirken. Dies ist der weibliche oder artistische Typus. Diese Menschen sind nicht groß durch ihre Handlungen, kaum giebt es überhaupt eine Außenwelt für sie, die ganz durch die unentdeckte Innenwelt in Anspruch genommen sind. Vorzüglich Musiker gehören hierher, Dichter, Schauspieler, alle Arten von Künstlernaturen und Talenten, nur nicht die ganz Großen, die das Bleibende schaffen. Auch Schwärmer, Idealisten und Kritiker, die Alles besser wissen, aber Nichts besser machen können, sind unter diesen. Man kann sie auch Uebergangs- oder Dämmerungsmenschen nennen.
Der dritte Haupttypus ist der die beiden früheren vereinigende, der mannweibliche. Diesen Typus trägt das Genie. Hier ist die Verbindung zwischen den beiden Welten durch eine Feder geregelt. Ungestört geht die Entwickelung der Kräfte im Unterirdischen vor sich. Sind sie aber reif, so heben sie die Klappe und betreten das Lichtreich. Sie können sowohl nach außen wie nach innen wirken. Diese Menschen müssen sich nicht selbst zerstören, um sich selbst zu kennen. Sie brauchen nicht deshalb, weil sie wissen, auf das Handeln und Schaffen zu verzichten. Sie können zuweilen mit den Menschen der ersten Klasse verwechselt werden, wie denn das Genie auch oft aus primitiven Kreisen hervorgeht. Sie können einfach, ja unbedeutend erscheinen, und es kann das Ansehen haben, als brächten sie das Große, was sie leisten, nur zufällig hervor.
Für jeden Menschen ist das Sichöffnen der Klappe wenn ich bei dem elementaren Bilde bleiben darf – etwas Erwünschtes, das er herbeizuführen strebt: Rausch im weitesten Sinne, die höchsten Momente des Lebens. Es ist das Auflösen des Festen und Schweren im Menschen, weswegen auch die Berauschten, Begeisterten sich so leicht fühlen, als flögen sie. Man könnte es auch Bewußtwerden oder Romantisiren nennen. Eine alte chemische Regel heißt: corpora non agunt nisi soluta; die Alchymisten gingen deshalb darauf aus, eine Substanz zu finden, die jeden Körper löste: Alkahest nannten sie dies hypothetische Mittel. Auch der Mensch wirkt nur, wenn das Unbewußte in ihm sich löst, so daß er handelt nach außen oder nach innen. Seine Lösungsmittel sind vor allem Jugend, Liebe und Wein – die Griechen nannten Dionysos den Lösenden – kurz Wärme. Die südlichen Völker gebrauchen weniger Wein als die nördlichen, weil die Klappe sich mit Leichtigkeit, fast allzuleicht, von selbst öffnet. Diese und die Dämmerungsmenschen, bei denen die Klappe immer offen steht oder einen Riß hat – solche giebt es mehr im Norden – sind die Immerberauschten; ein Alkahest, das noch dazu kommt, wirft sie ganz über den Haufen. In seinem Sternbald läßt Tieck den Lukas v. Leyden, den er als schlichten, unermüdlich thätigen, mehr schaffenden als denkenden Mann schildert, am liebsten nach Tische arbeiten, wenn er vom Wein erhitzt ist; während der sinnige, phantasievolle Dürer sagt, daß er im Gegentheil nur nüchtern malen könne: »denn mir steigt der Wein in den Kopf und verdunkelt mir den Gedanken.« Kunstgenuß wirkt nicht auf Alle lösend. Je geistiger das Alkahest ist, dessen der Mensch bedarf, um sich selbst zu genießen, desto höher steht er. Einst wird es ganz überflüssig werden: dann leben die Zukunftsmenschen, von denen Novalis sagt, daß sie immer zugleich wachen und schlafen werden.
Die meisten Romantiker waren weiblicher Art, Dämmerungsmenschen, aber sie strebten nach Harmonie. Selbst oft einseitig, ließen sie doch nie die Einheit und Ganzheit aus den Augen; in ihr Gebet an die Sonne klingt die berühmte Heraufbeschwörung der mondbeglänzten Zaubernacht wie eine harmonische Begleitung einstimmiger Melodie hinein.
Insofern als das wachsende Selbstbewußtsein beständig mit Fragmenten, mit in der Entwicklung unterbrochenen Organismen zu thun hat, bringt es krankhafte, verzerrte Erscheinungen hervor. Die romantische Literatur ist reich daran. Friedrich Schlegel sagt sogar geradezu, Jean Paul stehe so hoch über Sterne, als er krankhafter sei als dieser. Aber ihr Interesse am Krankhaften war nicht etwa blasirter Ueberdruß am Einfachen und Schönen oder überreizte Sucht nach dem noch nie Dagewesenen, sondern die Einsicht in das Wesen des Krankhaften als Symptom der beginnenden Entwicklung, als ein nothwendiges Uebergangsstadium, das mit Freuden begrüßt werden muß, weil es beweist, daß der Kampf, ohne den der Sieg nicht sein kann, nun doch im Gange ist. Ich will einige darauf bezügliche Bemerkungen von Novalis anführen:
»Krankheit gehört zur Individualisirung. Es gilt hier, wie auch bei den menschlichen Gemüthern, gerade das, was in der bildenden Kunst von dem DoryphorDoryphorusm Canon gilt.«
»Krankheiten zeichnen den Menschen vor den Pflanzen und Thieren aus. Zum Leiden ist der Mensch geboren. Alle Krankheiten gleichen der Sünde darin, daß sie Transcendenzen sind. Unsre Krankheiten sind alle Phänomene einer erhöhten Sensation, die in höhere Kraft übergehen will.«
»Je mehr der Mensch seinen Sinn für's Leben künstlerisch ausbildet, desto mehr interessirt ihn auch die Disharmonie – wegen der Auflösung.«
Daß es immer nur »wegen der Auflösung« ist, darf nie vergessen werden. Und wie verschieden die Entwicklung vor sich gehen kann, zeigt das Beispiel der Nationen. Bei den romanischen Völkern bildet sich der Stoff des Geschehens allmälig im Unbewußten und bricht plötzlich in furchtbaren Revolutionen hervor. Bei den germanischen Völkern geht die Entwicklung in kleineren Wellenbewegungen, langsamer, zuweilen verzweifelt langsam, aber sie ist interessanter, reicher und viel umfassender, besonnener. In den Engländern vereinigt sich die Harmonie und Kraft des Unbewußten mit der Fülle, Tiefe und Vielseitigkeit des Bewußten.
Die schönste Verherrlichung der »dunklen Gefühle« muß man bei Wackenroder, dem lieblichsten, dem verträumtesten Romantiker suchen. Seine Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders sind eine schwärmerische Verkündigung des Glaubens, daß Kunst nichts Erlernbares, sondern göttliche Eingebung, Offenbarung sei. Das Buch ist wie eins, das lange, lange Jahre in einer Kirche gelegen hat, ein Psalterium mit goldnen und flammenden Ornamenten zwischen den mystischen Gesängen und durch und durch süß von dem Weihrauch, der es beständig umwölkt hat. Ihn ängstigte das Licht, weil er nie völlig aus dem Schlafe erwacht war: sein ganzes Leben war wie das Aufschrecken eines müden Schläfers, der blinzelnd in's Morgenlicht sieht, aus den umschlingenden Blumenranken seines Traumes sich nicht losreißen kann und sich willig von ihnen in den Schlummer zurücklocken läßt. »Die Weltweisen«, sagt er, »sind aus einem an sich löblichen Eifer für die Wahrheit irre gegangen; sie haben die Geheimnisse des Himmels aufdecken und unter die irdischen Dinge, in irdische Beleuchtung stellen wollen und die dunklen Gefühle von denselben, mit kühner Verfechtung ihres Rechtes, aus ihrer Brust verstoßen. Vermag der schwache Mensch die Geheimnisse des Himmels aufzuhellen? Glaubt er verwegen an's Licht ziehen zu können, was Gott mit seiner Hand bedeckte? Darf er wohl die dunkeln Gefühle, welche wie verhüllte Engel zu uns herniedersteigen, hochmüthig von sich weisen? Ich ehre sie in tiefer Demuth; denn es ist große Gnade von Gott, daß er uns diese echten Zeugen der Wahrheit herabgesendet. Ich falte die Hände und bete an.« Weil er mit Worten, der Sprache des Bewußtseins, die dunklen Gefühle nicht offenbaren kann, die so überwältigend aus dem Grunde seines Innern ihn überströmen, flüchtet er zur Musik. Sie könnte ihn aus seiner Bedrängniß erlösen. Der ganze Strom von Schmerz und Wonne, der sich aus den Tönen über das widerstandslose, behende Herz ergießt, rauscht unterirdisch unter seiner Sprache.
»Und so erkühne ich mich denn, aus meinem Innersten den wahren Sinn der Tonkunst auszusprechen und sage: Wenn alle die inneren Schwingungen unsrer Herzensfibern – die zitternden der Freude, die stürmischen des Entzückens, die hochklopfenden Pulse verzehrender Anbetung –, wenn alle die Sprache der Worte, als das Grab der inneren Herzenswuth, mit einem Ausruf zersprengen: dann gehen sie unter fremdem Himmel, in den Schwingungen holdseliger Harfensaiten. wie in einem jenseitigen Leben in verklärter Schönheit hervor und feiern als Engelgestalten ihre Auferstehung.«
Unermüdlich tönt seine wohllautende Klage über die kalten Vernünftler, die das »stumme Singen, den vermummten Tanz der unsichtbaren Geister in ihrem Innern« an das Licht zerren wollen; die sich nicht begnügen, den verdeckten Strom in der Tiefe ihres Gemüths von ferne rauschen zu hören. Unermüdlich lobt seine melodische Zunge die göttliche Kraft der Musik, die uns das unendliche Lied, das wir da unten gehört haben, aus bezauberten Saiten schöner wieder vorsingt, bis zuletzt seine Worte in Thränen sich auflösen. »Aber was streb' ich Thörichter, die Worte zu Tönen zu zerschmelzen? Es ist immer nicht, wie ich's fühle. Kommt, ihr Töne, ziehet daher und errettet mich aus diesem schmerzlichen irdischen Streben nach Worten, wickelt mich ein mit euren tausendfachen Strahlen in eure glänzenden Wolken und hebt mich hinaus in die alte Umarmung des allliebenden Himmels!«
Wie ein keimendes Pflänzchen, das unter der winterlichen Blätterhülle allzulange der Sonne entzogen war und niemals frisch und kräftig werden kann, sehnt er sich immer in den dunkeln Schoß der Erde. Aber dennoch, und ohne diesen Zug wäre er kein echter Romantiker, graut es ihm zuweilen vor der »frevelhaften Unschuld, der furchtbaren, orakelmäßig-zweideutigen Dunkelheit« der Musik. Nachdem er eine Symphonie in Worten an sich vorübergezaubert hat, schließt er so: »Dann, wenn ich in finsterer Stille noch lange horchend dasitze, dann ist mir, als hätt' ich ein Traumgesicht gehabt von allen mannigfaltigen menschlichen Affekten, wie sie, gestaltlos, zu eigener Lust, einen seltsamen, ja fast wahnsinnigen pantomimischen Tanz zusammen feiern, wie sie mit einer furchtbaren Willkür, gleich den unbekannten, räthselhaften Zaubergöttinnen des Schicksals, frech und frevelhaft durch einander tanzen.«
Es ist die leise Gewissensangst des Träumers, der die heilige Erlöserkraft des Lichtes ahnt und es doch flieht. Vorwitzig hat er das Thor zum Hades seines Innern aufgerissen, und nun schweben die bleichen Schatten ihm nach, umdrängen ihn und verlangen Leben. Hätte er sie in das Lichtreich seines Bewußtseins geführt, so wären sie entweder, wie man aus vielen Märchen weiß, augenblicklich zerflattert oder in Asche zerfallen, oder aber der mächtige Strahl hätte ihre Leiber verklärt in Kunst. Nun aber, da sie zurück nicht können, werden sie in ihrer Todesnoth zu Vampyren und saugen ihm bis auf den letzten, zitternden Tropfen das junge Blut aus.
Es ist der Irrthum der meisten modernen Künstler, daß sie, weil sie ihr Bewußtsein mit den Gestalten der Unterwelt zu bevölkern begonnen haben, nun aus der Oberwelt ein Reich der Finsterniß zu machen suchen, während sie grade des Lichtes am meisten bedürfen. Ihre Unterwelt entvölkert sich, ein Schaffen im Unbewußten ist für sie unmöglich geworden, aber sie könnten dasselbe im Bewußtsein erreichen; denn, sagt Novalis, der vollkommen Besonnene heißt der Seher. Es ist wahr, daß sie zunächst durch die Aushöhlung des unterirdischen Reiches schwankend und unkräftig werden, aber durch Verbreitung künstlicher Dunkelheit können sie es nicht wieder ausfüllen. Tieck war von dieser Schwäche, auch dem Bewußten den Schein des Unbewußten aufzuzwingen, nicht frei. Viele seiner Gedichte sind in einem Ton des Stammelns und Lallens gehalten, der nicht kindlich, sondern albern ist. Zuweilen macht es den Eindruck, als habe er glücklich sein aufmerksames Bewußtsein halbwegs eingeschläfert und bemühe sich nun eilig, ehe es wieder zu sich kommt, so viel Worte wie möglich hervorzusprudeln; oder als kneife er die Augen zu, um sich einbilden zu können, er träume. Das Bestreben immer, »aus dem Innersten zu reden«, wie es die Romantiker unter sich nannten, verführt zu Simili-Offenbarungen. An den affektirten Faseleien seiner Nachahmer erkannte Tieck mit Schrecken, wohin seine Art führen konnte, und er hat in dem Schwank »Der Autor«, in der Scene, wo der Bewunderer dem Autor seine Gedichte vorlesen will, ein allerliebstes warnendes Beispiel davon gegeben.
Autor:
Sie drücken sich aber kuriose aus.
Bewunderer:
Es muß immer aus dem innersten Gemüth heraus,
Und oft will es nicht weichen und wanken,
Oft fehlen wohl selber die Gedanken,
Da muß man die Sprache recht bei der Wurzel kriegen,
Aus dem Innersten sprechen, es mag brechen oder biegen,
So ist es mir schon oft gelungen,
Zu gerathen auf treffliche Vorstellungen.
Worauf er folgendes Gedicht vorträgt:
Stille, stille
Wie die Welle,
In den Seen
Blumen stehen,
An dem Rande
Sanfte Bande,
Und es flimmern
In den Schimmern
Süße Töne,
Ach wie schöne!
Komm und kröne
Mein Verlangen,
Denn dein Bangen
Ist so ferne
Wie die Sterne,
Liebesblicke
All mein Glücke,
Binden Flammen
Sich zusammen,
Daß sie schwammen;
Ach die schöne Zeit,
Weit! weit!
Ob wir nun in der Romantik bald auf ein Ausschweifen in dunklen Gefühlen treffen, bald auf Vergötterung des Kunstverstandes und der Kritik, das möchte ich eben vor Allem betonen, daß das Ideal der romantischen Aesthetik eine Vereinigung von Fühlen und Wissen war. Das will auch die lange Erklärung Friedrich Schlegel's sagen, von der ich nur den Anfang hier anführen will:
»Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald vermischen, bald verschmelzen.«
Das Wort »romantisiren«, das besonders bei Novalis häufig vorkommt, kann man zuweilen durch »Bewußtwerden« oder »Bewußtmachen«, bald durch »Unbewußtwerden«, »Unbewußtmachen« übersetzen. Aus der Fülle der diese Ansicht beleuchtenden Aphorismen kann ich nicht unterlassen, noch einige hier zusammenzustellen.
»Genie ist zwar nicht Sache der Willkür, aber doch der Freiheit, wie Witz, Liebe und Glauben, die einst Künste und Wissenschaften werden müssen. Man soll von Jedermann Genie fordern, aber ohne es zu erwarten. Ein Kantianer würde dies den kategorischen Imperativ, die Genialität nennen.«
»In jedem guten Gedicht muß Alles Absicht und Alles Instinkt sein. Dadurch wird es idealisch.«
»Die ganze Geschichte der modernen Poesie ist ein fortlaufender Commentar zu dem kurzen Texte der Philosophie: alle Kunst soll Wissenschaft und alle Wissenschaft soll Kunst werden; Poesie und Philosophie sollen geeinigt sein.«
»Durch Kunst allein wird der Menschen zu einer leeren Form; durch Natur allein wird er wild und lieblos.«
»Das Vorrecht der Natur ist Fülle und Leben; das Vorrecht der Kunst ist Einheit.«
»Reine Liebe ist schlechthin arm; alle ihre Fülle ist eine Gabe der Natur. Reine Natur ist nichts als Fülle; alle Harmonie ist ein Geschenk der Liebe. Freundlich begegnen sich ihre beiden Unendlichkeiten und bilden ein neues Ganzes, welches als die Krone des Lebens Freiheit und Schicksal vereinigt.«
Diesen Aussprüchen von Friedrich Schlegel füge ich noch einige von Novalis hinzu:
»Die Natur wird moralisch sein, wenn sie aus echter Liebe zur Kunst sich der Kunst hingiebt, thut, was die Kunst will, die Kunst, wenn sie aus echter Liebe zur Natur für die Natur lebt und mit der Natur arbeitet. Beide müssen es zugleich aus eigner Wahl, um ihrer selbst willen, und aus fremder Wahl, um des Andern willen thun. Sie müssen in sich selbst mit dem Andern und mit sich selbst im Andern zusammentreffen.«
»Alles Unwillkürliche soll in Willkürliches gewandelt werden.«
»Die Trennung von Philosoph und Dichter ist nur scheinbar und zum Nachtheil beider. Es ist ein Zeichen einer Krankheit und krankhaften Constitution.«
»Jetzt ist der Geist aus Instinkt Geist, ein Naturgeist, er soll ein Vernunftgeist, aus Besonnenheit und durch Kunst Geist sein.«
Unter diesem Gedankensystem hat Friedrich Schlegel in seinem bedeutendsten Jugendwerk, über das Studium der griechischen Poesie, die antike und moderne Kunst in ihren Unterschieden betrachtet. Er bedient sich, um das Unbewußte und Bewußte zu bezeichnen, gewöhnlich der Ausdrücke Trieb und Absicht, zuweilen auch für Trieb des später durch Schopenhauer geläufig gewordenen Willen. Schon Jakob Böhme nannte den organisch wirkenden Trieb Willen und leitete das Wort ab von dem Wallen des immer schwangeren Geistes, dessen Funktion es sei, die innere Geburtsgestalt mit und in seinem Leibe darzustellen. Die antike Poesie nun, sagt Schlegel, sei eine Schöpfung des Triebes, die moderne eine Schöpfung der Absicht. Was der Trieb hervorbringt, prangt in organischer Vollendung und Fülle; es sei daran nichts zu tadeln, wie jede Pflanze in ihrer Art ist es schön. Nicht genug kann Schlegel die reizende, selige Vollkommenheit jener Naturkunst rühmen, die durch die »chymischen Versuche« des Verstandes, sein willkürliches Scheiden und Mischen, nur zerrüttet wird. Aber nichtsdestoweniger wendete er sich gegen das allgemeine Vorurtheil, es sei die Kunst nichts als eine Frühlingsblüthe der Menschheit, bestimmt, zu blühen, zu reifen und zu welken, nichts als der unwillkürliche Erguß eines leidenschaftlichen Herzens oder eines unbewußten Naturmenschen, nichts als ein süßer Kindertraum, der im Lichte der Bildung und Wissenschaften zerfließen müsse. Die Kunst zwar, die der unbewußte Trieb hervorbringt, vergeht wie jede Bildung der Natur; aber es giebt eine andre, welche einen sehenden Führer hat. »So wie es eine Poesie giebt«, sagt Baader, »die ahnend und träumend dem Gedanken vorangeht, so giebt es eine bessere Poesie, welche dem klaren Gedanken sich zugesellend, ihm dienend folgt.« Für diese werdende Poesie, die das Bewußtsein, langsam zwar und auf Irrwegen, der Vervollkommnung entgegenführt, giebt es den Naturzwang des Sinkens und Vergehens nicht, weil es keine Schranken des Fortschritts, der Weiterentwicklung für sie giebt. In Goethe's Erscheinung erblickte Schlegel eine Bürgschaft, daß die durch das Bewußtsein verlorene Schönheit mit Bewußtsein wieder gewonnen werden könne, und zwar als eine unvergängliche.
Dieser Adler-Optimismus mit der Devise »Ascendam« macht die Romantik so ewig jung und herrlich. Sie zweifelten nicht, daß sie, wenn auch hundert Mal geblendet und gelähmt, ein Mal das Antlitz der Sonne berühren würden. Unerschütterlich war ihr Glaube, daß alle Gespenster und Schrecken der Mitternacht sich im Tageslichte in schöne Wirklichkeit verwandeln müßten, daß jeder Schmerz des Lebens nur auf einer Täuschung des noch umflorten Auges beruhe. Die moderne Phantasie denkt sich ihre Dichter nicht blind, wie die Alten den Homer und Demodokos. Schlegel erwähnt, es sei nach Pindar eine alte Sage, »daß der Dichter, wenn er auf dem Dreifuß der Musen sitze, nicht bei Sinnen sei, sondern wie eine Quelle alles Zuströmende willig von seinen Lippen fließen lasse.« Demokrit soll die besonnenen Dichter vom Parnaß verbannt haben. Und schließlich sagt der platonische Sokrates im Phädros: »Wer sich aber ohne Raserei der Musen der Pforte der Poesie nähert, in der Meinung, die Kunst allein könne ihn schon zum Dichter machen, der bleibt unvollständig und gelangt nicht in's Heiligthum; er und die Poesie des Nüchternen sind nichts gegen die Poesie des Rasenden.« Am ausdrücklichsten verräth die Auffassung der Griechen die Sage, daß Juno den Teiresias blind machte, ehe sie ihm die Gabe der Weissagung verlieh. Warum dies? Das Bewußtsein, das dem griechischen Dichter verhüllt werden mußte, wenn er singen sollte, war anders als das unsrige. Es war nur von der äußern Welt erfüllt. Er richtet sein Auge so unverwandt auf diese, daß es ihm gewaltsam nach innen gekehrt werden muß, damit es die zweite Hälfte der Welt, die innere, wahrnimmt. Der moderne Mensch, in dessen Bewußtsein das Unbewußte sich aufzulösen beginnt, ist von Natur der dionysische; auch nüchtern ewig berauscht von den betäubenden Dünsten, die durch die Spalte aus dem Zauberkessel des Erdinnern aufsteigend sein Haupt umschweben. Er muß Apollo anrufen, daß die Klarheit des Sonnengottes sein verworrenes Stammeln ordne. Eine Felsplatte bedeckte die verhängnißvolle Spalte im Innern des antiken Menschen; ungetrübte Lichthelle herrschte in seinem apollinischen Haupte. Er mußte zu Dionysos flehen, daß er mit der Kraft seines Götterrausches den Stein wegwälzte und die feste Erde erschütterte, bis die magische Geburt sich aus ihrem Schooße löste und nach oben stieg.
Das Werk eines dionysischen Dichters wird sich durch Stimmung, Reichthum und Fülle auszeichnen, aber während man sich im Lesen an tausend Einzelheiten erfreut, wird man am Ende wunderlich enttäuscht sein; gegen das Ganze wird sich der etwaige Tadel richten. Der apollinische Dichter ist ärmer und kälter, aber er hat die Form in seiner Gewalt, und deshalb wird sein Werk die Herzen im ersten Augenblick weniger entzünden, aber es wird leben und dauern. Die Form ist das Organische und wird aus dem Unbewußten heraus geschaffen, die feinste Bildung und Fülle des Geistes kann sie nicht geben; der Körper muß aus dem Körperlichen geboren werden. In der Symbolik der griechischen Mythologie bedeutete Apollo die Einheit, Dionysos die Vielheit.
In den südlichen Ländern folgen Tag und Nacht einander ohne Uebergang. Am Tage herrscht despotisch die ungemilderte Sonne, erst in der Nacht wagt sich das Leben hervor, Thiere und Menschen breiten ihr Gemüth vertrauensvoll gegen den verdunkelten Himmel aus. In den nördlicheren Breiten giebt es zahllose Uebergänge. Und selbst im heißesten Sommer ist der Tag doch die Zeit des Arbeitens und Wachens, der Schlaf fällt immer in die Nacht. Der Tag schmilzt allmälig in die Nacht hinüber, die Nacht in den Tag. In unsern Dämmerungsträumen können wir ahnen, wie es sein mag, wenn wir einst, wie Novalis sagt, immer zugleich schlafen und wachen. Wer die nordische Sommernacht kennt, wo sich zwei Meere von Sonnenschein und Mondschein gegenüberwogen, ohne daß eins im andern erlischt, kann sich vielleicht noch ein besseres Bild von diesem Mysterium machen.
Das Zwielicht ist es, das den Norden zur Heimat der Romantik macht. Und die Gefahr des modernen Künstlers liegt darin, daß er, von der Dämmerung verzärtelt, den Tag nicht mehr ertragen kann. Er vergißt, daß rüstiges Schaffen nur am Tage möglich ist. Immer stärkungsbedürftig schließt er vor dem Tage die Augen im Wahne, daß dann Nacht sei. Aber die balsamischen Quellen des Sternenhimmels bethauen ihn nicht; schlaff und verdrossen erwacht er aus seiner künstlichen Nacht und findet sich unfähiger als zuvor.
Wie die Nacht Trösterin und zugleich Entsetzen der Menschen ist, so ist es mit dem Unbewußten. Das Unbewußte ist das Dämonische. Man kann einen klassischen und einen modernen Dämonismus unterscheiden: der bewußte Mensch ist dämonisch, wenn das Unbewußte in ihm erscheint, der unbewußte, wenn es in ihm wirkt. Gewöhnlich nennt man nur den ersteren dämonisch, in dem das versunkene Rheingold, das bei andern Menschen ungesehen in der unzugänglichen Tiefe ruht, beständig in schwebender, schwankender Bewegung nach oben ist, so daß ein buntes Blitzen, Flimmern und Funkeln von Edelsteinen durch das wechselnde Gewässer der Seele zuckt; denn das dämonische Wesen der naiveren Menschen wird nicht erkannt, bis einmal aus ihrem immer ruhevollen, spiegelglatten Gemüthe unvorbereitet, ungeahnt eine beseligende oder vernichtende That springt, wie aus dem schlummernden Märchensee, wenn die Geisterstunde gekommen ist, der schleierlose Leib der Nixe glänzend hervorsteigt.
Aus der Wechselwirkung zwischen dem Bewußten und Unbewußten entspringt die Magie. Rein theoretisch, durch die stürmische Consequenz seines Denkens, bestimmte Novalis das, was wir jetzt als Hypnotismus kennen. Das Beherrschtwerden des Unwillkürlichen durch das Bewußte war sein Dogma. Auch der bewußte Geist des Menschen hat seine körperliche Erscheinungsform, das Cerebralsystem, aber sein Wirken ist nicht an körperliche Vermittlung gebunden, sondern springt über, wie ein elektrischer Funke, auf andre Geister. »Alle geistige Berührung gleicht der Berührung eines Zauberstabes. Alles kann zum Zauberwerkzeug werden.« Baader führt einmal als Citat aus einem »übrigens possirlichen Schriftsteller« diese merkwürdigen Worte an: daß, wer nur des Geistes gering in sich hätte, um ihn auch in fremde Leiber spediren zu können, diese Leiber von innen heraus bewegen würde, wie seinen eigenen. – Was jetzt erfüllt ist, setzte Novalis als logisch nothwendig voraus und folgerte weiter, daß nichts als unsre eigene Schwäche und Unfertigkeit dieser Wirksamkeit des Geistes auf die Natur eine Schranke setze. Noch können wir weder unsre eigene Somnambule, noch die der Andern, noch die eine große Somnambule Natur völlig magnetisiren; aber er weissagt eine Periode der Magie, wo der Körper der Seele oder der Geisterwelt dienen werde. »Der physische Magus weiß die Natur zu beseelen und willkürlich wie seinen Leib zu behandeln.« Als solchen Magus schildert die Bibel Gott, der sprach: es werde Licht! und es ward Licht. Das kommt einem in den Sinn, wenn man die merkwürdige Notiz von Novalis liest: »Gefährliche Gedanken. Nähern sich etwa manche Gedanken der magischen Grenze? Werden manche de facto wahr?« Gewiß hat es Jeder schon in sich erlebt, daß er irgend einen dunklen auftauchenden Gedanken rasch erdrückte in dem plötzlichen, wahnsinnigen Angstgefühl, er könnte mit eins wirklich werden.
Da nun der Geist so unabhängig vom Körper ist oder sein kann, so muß er auch unabhängig von ihm leben und erscheinen können. Wenn er in ein fremdes Bewußtsein übergeht und von dort auf einen fremden Körper regiert, erscheint er ja gewissermaßen schon in diesem; man hat oft beobachtet, daß Mann und Frau, die ja, wenn sie in inniger Seelengemeinschaft leben, sich gegenseitig hypnotisiren, einander ähnlich werden. Kann er also sich in einem fremden menschlichen Körper materialisiren, wie die jetzigen Spiritisten es nennen, so darf man die Folgerung nicht ausschließen, daß er es in jedem beliebigen Stoffe zu thun fähig sei. Dies etwa mag der Gedankengang Novalis' gewesen sein, als er Folgendes niederschrieb: »Das willkürlichste Vorurtheil ist, daß dem Menschen das Vermögen, außer sich zu sein, mit Bewußtsein jenseits der Sinne zu sein, versagt sei. Der Mensch vermag in jedem Augenblick ein übersinnliches Wesen zu sein. Ohne das wäre er nicht Weltbürger, er wäre ein Thier. Freilich ist die Besonnenheit, Sichselbstfindung in diesem Zustande sehr schwer, da er so unaufhörlich, so nothwendig mit dem Wechsel unsrer übrigen Zustände verbunden ist.« – »Die Geisterwelt ist uns in der That schon aufgeschlossen, sie ist immer offenbar! Würden wir plötzlich so elastisch, als es nöthig wäre, so sähen wir uns mitten in ihr. Unser jetziger mangelhafter Zustand macht immer eine Heilmethode nöthig, sie bestand ehemals in Fasten und moralischen Reinigungen, jetzt wäre vielleicht die stärkende Methode nöthig.« Das heißt: ehemals mußte man das Unbewußte dämpfen und das Bewußtsein heben, jetzt, wie das Bewußtsein sich durch Aufnahme des Unbewußten und auf seine Kosten erweitert hat, müßte man umgekehrt verfahren.
So thaten die Romantiker die ersten Schläge an die Pforte der Geisterwelt, aus welcher bald das unheimliche Nachtvolk in Schaaren hervorströmen sollte. Die Führer waren nicht schuld an den Verirrungen und Mißverständnissen ihrer Jünger; sie sonderten zwar Natur und Geist, aber so extrem sie auch ihre Abstraktionen verfolgten, behielten sie doch ihre Einheit im Sinne und wollten nie das Eine ohne das Andre.
Man kann sich die Stadien des Bewußtseins an einem mathematischen Bilde klarmachen. Der Kreis muß uns die vollständige Unbewußtheit vorstellen, wo die beiden Hälften des Ich noch unzertrennt sind: der Kreis ist eine Ellipse, in der die beiden Brennpunkte zusammenfallen. Die Ellipse wäre dann die Form des vollendeten Selbstbewußtseins, wo jeder Strahl, der von dem einen Seelenbrennpunkt ausgeht, nach dem andern reflektirt wird. Aus der Ellipse aber wird, wenn man die Durchschnittsebene des Kreises so dreht, daß sie seiner Seitenwand parallel wird, die Parabel, das heißt, der eine Brennpunkt rückt in's Unendliche, die unbewußte Seele vereinigt sich mit der Natur. Das könnte man das Allbewußtsein nennen. Jeder Punkt der Unendlichkeit ist Brennpunkt für das Ich geworden; kein Strahl geht vom Unendlichen aus, keiner vom Ich, der nicht nach hier und dort reflektirt würde. Drehen wir die Ebene nun noch weiter, bis wir wieder beim Kreise angelangt wären, so hätten wir ein Bild des romantisirten Universums, des bewußten Chaos.
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