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Romantische Bücher.

Alle heutige Kunst beruht auf dem Roman, selbst das Drama.

Solger.

 

Der Roman ist ein romantisches Buch, sagte Friedrich Schlegel; das heißt, es ist bestimmt, gelesen, nicht dargestellt zu werden wie das Drama und es soll einen sentimentalen Inhalt in phantastische Form fassen, nämlich gemischt aus Erzählung, Gesang und Wechselrede. Keineswegs sei der Roman mit dem Epos verwandt, was man daraus sehe, daß im epischen Styl die subjektive Stimmung nicht sichtbar werden dürfe.

So ist mit der allmäligen Entwickelung des Menschen aus dem objektiven Epos der subjektive Roman geworden: der alte epische Dichter, der vorzüglich äußeren Sinn und Weltbewußtsein hat, schildert den Menschen nur, insofern er die Welt schildert, der moderne Romandichter mit seinem erweiterten Ich-Bewußtsein giebt den Menschen und in ihm die Welt – das All wird Person. Nicht auf das, was der Dichter darstellt, kommt es also an, sondern ihn selbst suchen wir in seinen Büchern, und was für eine Welt seine Organe ihm schaffen. Darum verlangten die Romantiker nach Selbstschilderungen und Bekenntnissen und erklärten Rousseau's Confessionen für einen weit vorzüglicheren Roman als seine Heloïse. »Mancher der vortrefflichsten Romane«, sagt Friedrich Schlegel, »ist ein Compendium, eine Encyklopädie des ganzen geistigen Lebens eines genialischen Individuums; Werke, die das sind, selbst in ganz andrer Form, wie Nathan, bekommen dadurch einen Anstrich von Roman. Auch enthält jeder Mensch, der gebildet ist und sich bildet, in seinem Innern einen Roman. Daß er ihn aber äußre und schreibe, ist nicht nöthig.« Und es folgt daraus, was er weiter sagt, daß es überflüssig zu sein scheine, mehr als einen Roman zu schreiben, außer wenn etwa der Künstler ein neuer Mensch geworden sei. Als den Hauptunterschied zwischen antiker und moderner Poesie bezeichnet er, daß die moderne auf historischem Grunde ruhe, nämlich Selbsterlebtes schildere: »was gut ist, da liegt immer wahre Geschichte zu Grunde« Und sind unsre modernen großen Romane etwas andres als Bekenntnisse? Nur Erlebtes ist uns schön und lieb: der Mensch mit unkundigen, ungeübten oder schwachen Augen will durch ein fremdes Ich wie durch ein geschliffenes Glas die Welt schöner und klarer erkennen.

Nicht das ist die Meinung, es könnten etwa gut gezeichnete, interessante Charaktere ein Buch werthvoll machen: »Das bloße Darstellen von Menschen, von Leidenschaften und Handlungen macht es wahrlich nicht aus, so wenig wie die künstlichen Formen, und wenn Ihr den alten Kram auch Millionenmal durch einander würfelt und über einander wälzt.« Sondern der Duft, der unsichtbar darüber schwebe, der milde Widerschein der Gottheit im Menschen, das, sagt Friedrich Schlegel, mache das Buch romantisch und macht es überhaupt erst zur Dichtung. Die unermeßliche, unerforschte Innenwelt des Menschen, die also soll der tiefste Grund sein, den die bewegliche Meeresoberfläche des Romanes widerspiegelt »oder, was dasselbe ist, die Gottheit des Dichters, seine Religion.« Wiederum führt die romantische Poesie durch die Person hindurch zum All. Ein durchsichtiges, bewegliches Element ist das romantische Buch, das in allen seinen Theilen durchleuchtet und durchseelt werden kann, »ein Meer, dem der Widerschein der Tiefe oder des Himmels die Farbe, den Charakter, den Ton giebt.« Die innerliche Welt des Dichters ist die versunkene Stadt, die der träumende Schiffer wahrnimmt, der sich Nachts über den Rand des Schiffes beugt, das schwimmende Geläut, das er sehnsüchtig vernimmt, ohne zu wissen, von wo es ausgeht, die farbige Wunderwelt, die in der Finsterniß des unbesonnten Grundes ihr heimliches Leben spielt. Das Symbol eines Ich kann man kurz das romantische Buch oder den modernen Roman nennen.

Als das große Muster des Romanes betrachten die Romantiker den Don Quixote. Hier fanden sie die Mischung aller Formen, in den Gang des Ganzen eingestreute Novellen und Lieder, sie fanden jeden Ton des Ernstes und Scherzes angeschlagen und alle die Theile des mannigfaltigen Chaos verbunden durch den Geist des Dichters, der darüber schwebt, leicht und mächtig, frei, herrschend, ein Lichtäther, der Alles durchdringt und es hell und kenntlich macht: die romantische Ironie. Hier kommt es eigentlich nicht auf die Handlung an – so reizend auch die bunte Menge der Abenteuer ist – sondern auf das, was nirgends mit Worten gesagt ist und was man doch überall in der Seele fühlt: ein lebendiges, unsterbliches Ich, Spiegel einer Welt und Keim einer Gottheit.

Und nun erschien mitten aus der Gegenwart heraus, von einem bekannten und verehrten Meister geschaffen, ein Buch, das wie zum Beispiel für die Theorieen der Romantiker gemacht schien. »Wer Goethe's Meister gehörig charakterisirte«, schrieb Friedrich Schlegel, »der hätte damit wohl eigentlich gesagt, was es jetzt an der Zeit ist in der Poesie. Er dürfte sich, was poetische Kritik betrifft, immer zur Ruhe setzen.« Es ist eins seiner bekanntesten Paradoxen, daß er den Meister neben der französischen Revolution und Fichte's Wissenschaftslehre für die größte Tendenz des Jahrhunderts erklärte. So fängt seine Abhandlung über Wilhelm Meister an: »Ohne Anmaßung und ohne Geräusch, wie die Bildung eines strebenden Geistes sich still entfaltet, und wie die werdende Welt aus seinem Innern leise emporsteigt, beginnt die klare Geschichte;« und in diesen Worten liegt schon Alles angedeutet, was die Romantiker an dieses Buch fesselte, nämlich, daß es in fertiger vollendeter Form etwas Werdendes darstellte. Wie kommt im Grunde Wilhelm Meister dazu, daß eine ganze Welt sich um ihn dreht, der der Held eines Buches heißt und doch von den meisten Nebenpersonen der Handlung an Charakter und Tüchtigkeit überragt wird? »Sein ganzes Thun und Wesen«, sagt Schlegel, »besteht fast im Streben, Wollen und Empfinden.« Gerade diese »grenzenlose Bildsamkeit« aber und »vielseitige Empfänglichkeit« macht ihn geeignet, Held einer Entwickelungsgeschichte zu sein. Er ist, was ich einen romantischen Charakter genannt habe; seine Vorsätze und Handlungen laufen – das ist wieder ein Ausspruch Schlegel's – in parallelen Linien neben einander her, ohne sich je zu stören oder zu berühren. Wenn er nicht handeln kann, so hat er dafür die »Vorempfindung der ganzen Welt« und durch ihn hat sie das ganze Buch. Man darf es nicht nehmen »als einen Roman, wo Personen und Begebenheiten der letzte Endzweck sind. Denn dieses schlechthin neue und einzige Buch, welches man nur aus sich selbst verstehen lernen kann, nach einem Gattungsbegriff beurtheilen, das ist, als wenn ein Kind Mond und Gestirne mit der Hand greifen und in ein Schächtelchen packen will.« Es ist eben der moderne Roman, das romantische Buch, das, soviel auch von Theater und Kunst darin die Rede ist, doch immer das große Schauspiel der Menschheit und die Kunst des Lebens im Auge hat.

Aelter als Wilhelm Meister ist William Lovell. Die Sonne Goethe'scher Gesundheit hat auf den unheilbar wunden Jüngling nicht geschienen: blaß, mit wehvollem Blick aus tiefen, flackernden Augen, schwanken Schrittes tritt er uns entgegen. Viel schärfer und einseitiger als bei Goethe treten hier die neuen Tendenzen in's Leben: die Fabel und ihr Zusammenhang ist dem Dichter so gleichgültig, wie es dem Helden ist, ob er einen zerfetzten Mantel und einen abgegriffenen Hut trägt. Nichts als ein Mensch ist das ganze Buch oder besser gesagt: als eine Seele, die rastlos, krampfhaft, immer und immer wieder versucht sich darzustellen, um sich selbst zu erkennen und erkannt zu werden. Es ist eine Scene in dem Buche, so innig und erschütternd, daß sie sich aus der verschwommenen Masse des Ganzen klar heraushebt und dem Gedächtniß einprägt, nämlich wo Eduard seinem einst und noch immer geliebten Freund William, der inzwischen zum Verbrecher geworden ist und ihn selbst in der Wildheit seines kranken Gemüthes von sich gestoßen hat, der ihm die Schwester, ohne sie zu lieben, nur aus seiner zerstörungssüchtigen Verzweiflung heraus, verführt hat und im Begriff ist, sie zu entführen, vorsichtig und treu, der Getäuschte, das Geleit giebt, um ihm zur sicheren Flucht behülflich zu sein.

»Wie im Traume ging ich mit ihm fort, keiner von uns ließ einen Laut vernehmen, wie zwei Gespenster schlichen wir durch den Garten. Es war mir wunderbar, als wir den Lauben und den Bänken vorübergingen, wo ich so oft mit ihm gesessen hatte; die Bäume neigten sich wehmüthig, als wir unter ihren Wipfeln hinweg gingen. – Arm in Arm war ich sonst hier mit Lovell auf- und abgegangen, hier hatte sich uns mit Entzücken die Welt Shakespeare's aufgeschlossen, hier hatte ich ihn am Morgen zuerst gesucht, und noch der Abend traf uns in diesen Gebüschen, wenn die Uebrigen schon längst zu den Zimmern zurückgekehrt waren, – hier hatte er mir sein ganzes Herz enthüllt, und ich ihm das meinige; – o! und nun gingen wir mit dicht verschleierten Seelen neben einander, kein Mund öffnete sich, keine Hand streckte sich nach einem Drucke aus.«

Da spürt man deutlich, nicht um Eduard und William handelt es sich hier, sondern Tieck selbst ist es, der mit bohrenden, entsetzten Augen seinen eigenen Dämon anstarrt, der halb verhüllt neben ihm wandelt, dessen Hauch und Einfluß er fühlt, den er einmal deutlich sehen möchte, wenn ihm auch graut vor dem Augenblick, wo ihm vielleicht ein verzerrtes, hassenswürdiges Antlitz aufginge. Kaum glaublich ist, wie der Dichter uns dadurch glaubte täuschen zu können, ja sich selbst dadurch täuschte, daß er den vielen auftretenden Figuren verschiedene Namen anheftete; denn aus jeder der stereotypen Masken glühen uns dieselben Augen, spricht uns dieselbe zerrissene Seele an. Der Blick in die wirre Ueberfülle dieser Brust macht es uns begreiflich, daß da kein Raum für die Außenwelt ist, und nur ein solches Ich kann uns auch dafür entschädigen. Es ist unzweifelhaft, daß ein vollendeter Charakter schöner wäre; aber was für ein reizendes und bezauberndes Schauspiel ist es auch, in das gährende Chaos eines Werdenden hineinzusehen. Man ahnt da die Möglichkeit eines Genusses, der ebensosehr wissenschaftlich wie künstlerisch ist; freilich im Lovell ahnt man sie nur. Der Künstler, der dieses zerfließende Werk verwirft, weil es keine organische Gestalt, kein körperliches Leben hat, wird doch, wie hoch er auch immer seine bildende Kraft schätzen mag, mit Bewunderung oder Neid auf die Verschwendung von Seele blicken, die hier wuchert. Es ist einem beim Lesen zu Muthe, als ginge man über einen mit Blumen bestreuten Festweg und müsse auf der Hut sein, die vielen Blüthen und Blätter nicht zu zertreten

Ironie ist nicht im Lovell; während er seine Qualen schildert, steht der Dichter immer noch am Marterpfahle.

Verwandt und ähnlich, aber doch anders geartet ist Tieck's zweiter Roman, Franz Sternbald, der wandernde Maler, dessen bürgerlicher Name Wackenroder ist. Ein sehnsüchtig brennendes Auge sieht uns an unter einer demüthigen Stirn, aus einem Gesicht von rührender Zartheit, das man sich nur als das eines kindlichen Jünglings denken kann. Man sieht es dem gläubigen Schwärmer an, daß er das Mark und die aufgespeicherte Kraft nicht in sich hat, um auszureifen und ein Mann zu werden, und so wundert man sich nicht, daß der Dichter ihn verläßt und aufgiebt, nachdem er seine Blüthe reichlich besungen hat und man anfängt auf Früchte zu warten. Diese Wanderungen sind Lehrjahre wie Meisters aber von einem geschrieben, der nicht über seinem Stoffe stand, sondern der selbst ein einseitiger Romantiker war, und das war die Ursache, warum das junge Geschlecht von dem grünen, unvollendeten, unkünstlerischen Sternbald noch innerlicher ergriffen wurde als von dem Goethe'schen Meister- und Musterwerke. Sternbald half ihnen mehr sich selbst zu suchen und zu finden; denn er hat nichts marmornes, stylisirtes oder idealisirtes, durch seine kränklich durchsichtige Haut sieht man das jagende, sickernde, ewig zwischen brausender Hitze und sterbender Ermattung wechselnde Blut.

Als Tieck und Wackenroder, zwei junge, einander liebende, überschwänglich strebende und hoffende Menschen über die waldigen Hügel Mitteldeutschlands und durch die alterthümliche Pracht Nürnbergs streiften, träumte Tieck davon, der Entdecker des vergangenen, vergessenen Deutschlands zu werden, wie es sich seinem schwelgenden Herzen darstellte, und es in einem Buche zu schildern, das wie eine hinreißende Dichtung wirken sollte. Anstatt dieses Buches, das nicht geschrieben wurde, kann man Sternbald's Wanderungen nehmen. Es ist ein Echo jener seligen Frühlingstage, ein klagendes, weil inzwischen der eine der wandernden Genossen seinen Freund verlassen hatte. Zum ersten Male thut sich hier in engem Zusammenhange jene mittelalterliche Welt auf, die das Eldorado der Romantiker werden sollte: die ernsthaften frommen Malerkünstler, die reuigen Pilger und stillseligen Eremiten, die reisenden Kaufleute und Kunstjünger, die über die Alpen herüber und hinüber wandern, die ragenden gothischen Thürme, die Städte voll Gewerbfleiß und Handelsmacht, die unergründlichen Wälder voller Hirsche und Rehe. Die ersten zarten Skizzen zu einem solchen Bilde hatte Wackenroder in seinen Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders entworfen und hatte die goldige mystische Farbenstimmung, in der die Traumfiguren wie in einem fernen Abendrothe wandern, darüber gehaucht.

Man weiß längst, daß das wirkliche Mittelalter ganz anders aussah, als die ersten Romantiker es sich reconstruirten. Es kam ihnen ja auch nicht darauf an, zu ergründen, wie es wirklich gewesen war: sie knüpften nur ihre Luftschlösser an den Ruinen der alten Zeit fest, banden ihren Ballon an eine gothische Thurmspitze und überließen sich den Winden und Wolken. Die ganze mittelalterliche Dekoration ist überhaupt nur etwas Negatives, nämlich die Sehnsucht des Dichters, sich von jeder Schranke, die ihn festhält innerhalb des Wirklichen, Thatsächlichen, zu befreien. Damit dies Ich nirgends anstößt, wird die allzugreifbare Gegenwart hinweggeräumt, die es einengen möchte, aber die Folge ist, daß es aus Mangel an Gegendruck in die unermeßliche Phantasienwelt zerfließt. Goethe hatte sich's zugetraut, seine Menschen inmitten der bekannten Alltagswelt groß und poetisch erscheinen zu lassen, allerdings nicht ohne zu allerhand Wunderlichkeiten die Zuflucht zu nehmen, die statt des Wunderbaren dienen sollten. Tieck flüchtete sich aus seiner Zeit in eine Nicht-Zeit; denn das ist eigentlich sein vorgebliches Mittelalter. Daß er es sich zu leicht gemacht hat, rächt sich an seinem Werke, dem es an aller Wahrhaftigkeit und Eindrucksfähigkeit fehlt, wenn es auch phantastisch genug sein möchte; es ist wie eine süße Speise, von der man nicht zu viel vertragen kann und die zwar schnell übersättigt, aber nicht nährt. Keinesfalls aber darf man sich durch die fremdartige Einkleidung täuschen lassen, als sei der Sternbald etwas Andres als Selbstbekenntniß so gut wie Meister oder Lovell. Die ganze Außenwelt ist ja nur für das Innere da; was außer dem Gemüthe da ist, hat keinen andern Werth, als etwa den eines Gürtels, an dem man das Schwimmen lernt. Was sollen im Grunde die zahllosen Schatten, die an uns vorüberstreifen, die Handwerker, Bauern, Nonnen, Bildhauer und Eremiten; was sind sie anders als Seelenspeise für Franz? Sie haben kein eigenes Leben, sie sind Automaten, Phantome, an denen er leben lernt. Man würde ihrer mechanischen Gestikulationen bald müde, wenn nicht die wohlbekannte Stimme des Dichters beständig den Sinn dieses Puppentheaters so ernst und rührend erläuterte.

Wer nicht die Ansicht der Romantiker theilt, daß Bildung, also Entwickelung des Ich, das höchste Gut und das allein Nützliche ist, sollte allerdings ein solches Buch nicht in die Hand nehmen.

Als eine ärgerliche Mißgestalt mischt sich die sonderbare Lucinde in den Reigen dieser phantastischen Gebilde. Niemand mag ihr die Hand reichen, vereinsamt und grämlich steht sie zur Seite. Nicht schön ist sie, noch reizvoll, noch interessant, noch liebenswürdig, obwohl sie Alles das zu sein behauptet; verwachsen, langweilig und anspruchsvoll, hat sie niemals vermocht, Herzen zu gewinnen. Von Anfang an schreckte die sehnsüchtig erwartete und breitspurig verkündete Lucinde sogar die nächste Verwandtschaft und Freundschaft ab. Friedrich in seiner naiven Autorfreude hatte Herolde mit Trompeten vor ihr hergeschickt, die es ausblasen sollten, was für eine epochemachende, nochniedagewesene, echt romantische Erscheinung ihnen folgte. Man hatte sich, nicht ohne ängstliche Spannung, auf etwas vielleicht Groteskes oder sehr Gewagtes oder schwer Verständliches gefaßt gemacht: und es kam eine Mißgeburt, keine laideur intéressante, nichts als ein unansehnlicher, etwas widerlicher Krüppel. Wilhelm erklärte die Lucinde für einen Unroman, in welcher bündigen Kritik allerdings Alles enthalten ist, was sich darüber sagen ließe.

»Was werden Sie zu dieser Lucinde sagen«, schrieb Karoline an Novalis. »Uns ist das Fragment im Lyceum eingefallen, das anfängt: Sapphische Gedichte müssen wachsen oder gefunden werden. Ich halte noch zu dieser Zeit diesen Roman nicht mehr für einen Roman als Jean Paul's Sachen, mit denen ich es übrigens nicht vergleiche –.« Und Novalis antwortete: »Friedrich lebt und webt darin. Vielleicht giebt es nur wenig individuellere Bücher. Man sieht das Treiben seines Innern, wie das Spiel der chymischen Kraft in einer Auflösung im Zuckerglase, deutlich und wunderbar vor sich. Tausend mannigfache, helldunkle Vorstellungen strömen herzu, und man verliert sich in einen Schwindel, der aus dem denkenden Menschen einen bloßen Trieb, eine Naturkraft macht, uns in die wollüstige Existenz des Instinkts verwickelt. An romantischen Anklängen fehlt's nicht, indes ist das Ganze und das Einzelne noch nicht leicht und einfach und rein von Schulstaub genug. – An den Ideen ist übrigens nichts auszusetzen. – Der Roman hat zu früh das Licht der Welt erblickt. – Es müßte den Titel haben: Chymische Phantasien oder Satanisken.«

Wenn eine vorsichtige Freundin sich so ausdrückt, Lucinde sei kein Roman, sondern ein Romanextract, daraus nun Jeder selbst welche machen könnte, ist im Grunde dasselbe damit gesagt: die schöpferische Kraft hat gefehlt, die aus dem Embryo etwas Lebendiges hätte machen können. Nur der bewußte Gedanke hat dies künstlichste Kunstwerkchem wie Friedrich selbst es nannte, hervorgebracht. Wiederum bezeichnete er es als »das wundersame Gewächs von Willkür und Liebe«; womit es vorzüglich charakterisirt wäre, wenn man statt Liebe Lust setzte.

Willkürlich und phantastisch genug ist die Form: Briefe, beschriebene Zettel, Märchen, Betrachtungen, ein Zwiegespräch, ein Stückchen Biographie, Allegorien – das war der Witz der Form, worauf er sich so viel zu Gute that, das Chaos, die romantische Verwirrung, die er so viel im Munde führte; nur freilich nicht das Chaos, aus dem die Welt entspringen kann. Auch ist der Inhalt, nach romantischer Vorschrift, nur Selbsterlebtes; aber es hängt als eine klebrige Masse an ihm, die sich nicht ablösen und formen läßt.

Das Wunderlichste ist, daß die Lucinde gewissermaßen ein Lehrbuch der Liebe sein sollte; denn aus einem verlorenen Vers, den ein Handwerksbursche singt, aus einem alten Reim, einem Gassenhauer, kann man mehr über das Wesen der Liebe erfahren. Und doch ist auch hier an den Ideen, wie Novalis sagt, nichts auszusetzen; woraus allein zu erklären ist, warum in ein Buch, an welchem die oberflächliche oder verderbte Gesellschaft Anstoß nahm, sich ein reines Herz, Schleiermacher meine ich, mit Entzücken vertiefte. Als ein ganz unkünstlerischer Mensch nahm er nichts auf, als die Absichten des Verfassers. Nur Kopf auf Kopf und Kopf auf Gemüth wirkte hier; kein genialer Instinkt war da, der das Lebensunfähige, das Todte von sich stieß. Den Zweck aber Friedrich's die Liebe darzustellen als eine Gottheit zwiefacher, nämlich geistiger und sinnlicher Natur, die Sinnlichkeit in der Liebe nicht heuchlerisch oder beschämt zu verhüllen, sondern sich ihrer zu freuen, ja stolz auf sie zu sein, den durchschaute und billigte er, um dessentwillen hauptsächlich war ihm das ganze Buch theuer. Die bisherigen Schriftsteller, schrieb er in einem seiner vertrauten Briefe, hätten aus der Sinnlichkeit nichts Andres zu machen gewußt, als ein nothwendiges Uebel. »Denke recht lebhaft daran, welche Sehnsucht uns diese Einseitigkeiten erregten, die göttliche Pflanze der Liebe einmal ganz in ihrer vollständigen Gestalt abgebildet zu sehen und nicht in abgerissenen Blüthen und Blättern, an denen nichts von der Wurzel zu sehen ist, welche das Leben sichert, noch von dem Herzen, woraus sich neue Blüthen und Zweige entwickeln können. – Hier hast Du die Liebe ganz und aus einem Stück, das geistigste und das sinnlichste … auf's Innigste verbunden.« Die Aufgabe des modernen Menschen sei, die aus der neuen Entwickelung hervorgegangenen Ideen mit den alten zu verbinden, nicht die neuen den alten entgegenzusetzen; so müssen wir suchen, die antike, sinnliche Liebe mit unsrer intellektuellen zu einem vollkommenen Ganzen zu verschmelzen.

Auch Schleiermacher's vertraute Briefe über die Lucinde sind der Ansatz zu einem Roman. Er und Eleonore, die von ihm geliebte Frau eines Andern, wären die Hauptpersonen gewesen. Friedrich's Idee, daß jeder Mensch, der sich bildete, einen Roman in sich hätte, lockte alle Freunde, in die Marmorbrüche oder Thongruben des Innern einzufahren und ein Bild ihres Ich zu entwerfen. Aber Schleiermacher war zu klug. Auf Eleonore's Bitte, er möge aus ihrer Liebe ein Gegenstück zur Lucinde machen, antwortete er ablehnend: »Nicht jeder Liebe folgt auch die Kunst, nicht jeder Pfeil, den der Sohn der Venus Urania abschießt, verwandelt sich in einen Griffel. Einen großen freien Stil des Denkens und Lebens haben wir uns selbst gebildet, und ein zartes, bewegliches Herz haben uns die Götter gegeben. So lasse uns handelnd, wie wir bisher thaten, die schöne Vereinigung der Selbständigkeit und der Liebe darstellen.«

Ebensoviel Einsicht und Geschmack hatte Karoline, die es bei einem Plane zur Geschichte ihres Werdens bewenden ließ; wozu ihr freilich auch eine gewisse Bequemlichkeit geholfen haben mag. Der geschlossenste und lebendigste unter den romantischen Romanen wäre er wahrscheinlich geworden.

Noch eine Erscheinung, die vornehmste von allen, sei beschworen! Wie anders tritt er neben die plumpe, breithüftige Lucinde, Heinrich von Ofterdingen. Sein Schritt scheint über schwellende Wolken zu streifen, sein Auge strahlt einen Himmel voll unendlicher Liebe über die Erde aus, sein Haupt scheint einem sanften Zuge nach oben nachzugehen, als sauge er die lichte Aetherluft, die von den Höhen sich ergießt. Für liebliche Rede und inbrünstige Küsse scheinen seine Lippen geschaffen; sie sind geschlossen, als bewahrten sie ein großes Geheimniß, aber nur leicht, als wollten sie es gerne keuschen Seelen anvertrauen. Wer könnte diese schwebende Gestalt ohne Rührung und Bewunderung betrachten, eben weil man ihr ansieht, daß sie vergehen wird, ehe sie ihr Schönstes und Tiefstes offenbart hat! Allwissend sind die großen Augen, aber der zarte Mund wird das Wort nicht finden, um das Ungeheure auszusprechen, die allzuschlanken Hände werden das Gebilde nicht formen können, das dem prophetischen Blicke vorschwebt.

Nicht nur die ganze irdische Welt sollte der enge Rahmen des einen Buches umfassen, die Geschichte aller Völker, die harmonische Schönheit der Griechen, die brennenden Gedankenphantasien der Araber, die Märchenzeit der Kreuzzüge, Norden und Süden – für alle Räthsel des Daseins sollte sich hier die Lösung finden. Was uns Wunder scheint, das sollte in selbstverständlichen Symbolen, für Kinder faßlich, daraus hervorgehen; was wir für wirklich und alltäglich halten, davon sollten die äußersten Wurzelfasern bloßgelegt werden, die im Lande des Wunders haften. Das Diesseits und Jenseits sollte der Leser dieses Buches überblicken so mühelos, wie unser Auge von der Terrasse herab einen Garten und das Stück Himmel darüber umspannt.

Es war nicht jugendliche Unreife, die Novalis einen mehr als zu großen, einen unendlichen Stoff wählen ließ; er hatte die Ueberzeugung, daß die Goethe'sche Weisheit von der Selbstbeschränkung zu Gunsten der Vollendung engherzig sei und ein feiges Verzichten. Keiner hatte Wilhelm Meister, als er erschien, so bewundert wie er; auswendig gewußt hatte er ihn beinahe. Aber wie er allmälig zu seiner eigenen Individualität vordrang, änderte sich seine Ansicht, und das einst geliebte Vorbild haßte und bekämpfte er zuletzt. So lautete sein Urtheil darüber:

»Wilhelm Meisters Lehrjahre sind gewissermaßen durchaus prosaisch und modern. Das Romantische geht darin zu Grunde, auch die Naturpoesie, das Wunderbare. Das Buch handelt bloß von gewöhnlichen Dingen, die Natur und der Mysticismus sind ganz vergessen. Es ist eine poetisirte bürgerliche und häusliche Geschichte, das Wunderbare darin wird ausdrücklich als Poesie und Schwärmerei behandelt. Künstlerischer Atheismus ist der Geist des Buches. Die Oekonomie ist merkwürdig, wodurch es mit prosaischem, wohlfeilem Stoff einen poetischen Effekt erreicht. Wilhelm Meister ist eigentlich ein Candide, gegen die Poesie gerichtet.«

So schrieb er seinen Ofterdingen im bewußten Gegensatz zum Meister. Er hat alle Vorzüge, die man an diesem vermissen kann. Die Unendlichkeit der Persönlichkeit, ihre schlafwandlerische Wandelbarkeit, die Versöhnung aller Gegensätze, der Tod im Leben und das Leben im Tode, das Verborgenste und Heiligste, Alles strömt duftend aus dem tiefen Kelche dieser wunderbaren Geschichte. Könnte man sie mit Meister in Eins schmelzen, es gäbe keinen schöneren Roman. Nun ist in Ofterdingen wohl das Wirkliche in Wunder aufgelöst, nicht aber umgekehrt das Wunder in Wirklichkeit verdichtet.

Für die Form hatte Novalis das bekannte romantische Ideal. »Aeußerst simpler Styl, aber höchst kühne, romanzenähnliche, dramatische Anfänge, Uebergänge, Folgen – bald Gespräch, dann Rede, dann Erzählung, dann Reflexion, dann Bild und so fort. Ganz Abdruck des Gemüths, wo Empfindung, Gedanke, Anschauung, Bild, Gespräch, Musik u. s. w. unaufhörlich schnell wechselt und sich in hellen klaren Massen neben einander stellt.« So sollte sein Ofterdingen werden. Aber daneben hatte er auch ein deutliches Gefühl für das Ganze. Die Bibel, sagte er, sei das Ideal eines Buches, und diese Form nachzubilden hat er angestrebt; nämlich daß die zweite Hälfte die Erfüllung der ersten sei, wie das Neue Testament die des Alten. Diese Zweitheilung sollte wohl der entsprechen, die die ganze Welt trennt, bindet und erhält, eben weil ja jedes Kunstwerk Abdruck des Gemüthes, also der Welt, sein sollte.

Mit einem Traume beginnt die Geschichte und endet mit einem Traume; unaufhörlich geht sie in's Märchen über, gemäß den Uebergängen aus dem Endlichen in's Unendliche, die der Dichter darstellen wollte. Man fühlt beständig, daß nicht das, was geschieht, das Wichtige ist, sondern das, was es bedeutet. Man könnte sagen, es sei die Geschichte von dem, der die blaue Blume suchte, und wie er sie fand; die blaue Blume ist aber das, was Jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit, Liebe, Ich oder Du. Wenn Novalis selbst sagt, der Roman handele von der Poesie, so ist das nur insofern richtig, als Poesie eben das Unendliche, das Ewige, die blaue Blume ist; nicht etwa als solle die Poesie als Kunst unter andern Künsten charakterisirt werden. Man könnte auch sagen, Ofterdingen sei die poetisch gefaßte Biographie Hardenberg's. Nur dadurch ist er so verschieden von den übrigen romantischen Ich-Romanen, daß Novalis nicht sich suchte – seiner war er sicher – sondern die Welt, das Nicht-Ich.

Novalis hatte mehr als die übrigen Romantiker die Idee des Ganzen gehabt, als sein Ofterdingen in ihm aufging, und man könnte mit einem Schein von Berechtigung sagen, nur sein früher Tod habe ihn verhindert es auszuführen. Es ist aber doch nicht so. Auch dieser Roman war als Fragment empfangen, es gehört zu seinem Wesen, nicht vollendet werden zu können. Zu Ende bringen hätte der Dichter ihn wohl können, aber ein Ganzes wäre er deswegen doch nicht geworden. Könnte man nicht auch von Wilhelm Meister sagen, daß er nur unter ein Nothdach gebracht sei? Muß nicht vor allen Dingen das Ich eine Stufe der Vollendung erreicht haben, ehe es seine Entwickelungsgeschichte schreiben kann? Es ist schon übergenug davon gesagt worden. Die unbewußte Kraft, die mit instinktiver Sicherheit die Form bildet, fehlte den Romantikern. Sie waren zu wenig Griechen. Sie preßten das duftendste ätherische Oel aus allen Blumen der Heimath und Fremde, aber geeignete Gefäße sie zu sammeln hatten sie nicht bereit gehalten; nur ihre Finger trieften von Wohlgerüchen, die bald verflogen, in die Erde versickerten, mit der Luft sich mischten.

Wie gut wußten sie selbst darüber Bescheid! Im Phantasus sagt Tieck, da wo von Goethe's Märchen die Rede ist:

»Bei aller dieser scheinbaren Vortrefflichkeit fehlt die beherrschende ordnende Seele, die der flüchtigen Schönheit den ewigen Reiz geben muß. Der Dichter will:

Es soll sich das Gedicht zum Ganzen runden,
Er will nicht Märchen über Märchen häufen,
Die reizend unterhalten und zuletzt
Wie lose Worte nur verklingend täuschen.«

Bei Novalis findet sich die Bemerkung:

»Die Idee eines Ganzen muß durchaus ein ästhetisches Werk beherrschen und modificiren. Selbst in den launigsten Büchern. Wieland, Richter und die meisten Komiker fehlen hier sehr oft. Es ist so entsetzlich viel Ueberflüssiges und Langweiliges, recht eigentliches hors d'oeuvre in ihren Werken. Selten ist der Plan und die große Vertheilung ästhetisch.«

Und Friedrich:

»Es giebt so viel Poesie und doch ist nichts seltener als ein Poem. Das macht die Menge von poetischen Skizzen, Studien, Fragmenten, Tendenzen, Ruinen und Materialien.«

Eine Einheit haben aber die romantischen Bruchstücke doch, welche Novalis die »geistige Einheit« nennt, nämlich die Seele des Dichters, welche in der Sprache uns erscheint. Es wäre eine wundervolle Aufgabe, aus der Sprache, wie sie sich durch die Romantik, Goethe als ihr Ausgangspunkt genommen, entwickelt hat, zu zeigen, welche Erweiterung die Bewußtseinswelt seitdem erfahren hat. Wie der Roman die moderne Form der Dichtung êáô' ?îï÷?í ist, so die Prosa die Sprache der modernen Dichtung. Sie ist der natürliche Ausdruck des Bewußtseins, die Poesie der des Unbewußten. Wenn nun das Ideal der Zukunft Einswerden von Instinkt und Geist, Trieb und Absicht ist, so muß die Sprache der Zukunft Prosa-Poesie, das heißt eine poetische Prosa oder prosaische Poesie sein. Und wie könnte man sich verhehlen, daß die Poesie mehr und mehr von der Prosa verdrängt, daß aber diese dafür immer poetischer wird! Wie viel Melodie und Rhythmus ist in der Prosa Goethe's, Tieck's, Hardenberg's! Wie unendlich viel poetischer ist sie als zum Beispiel die gebundene Rede Schiller's oder gar Lessing's.

Als das Muster moderner Prosa bezeichneten die Romantiker – das heißt Friedrich Schlegel – die des Cervantes. Sie sei durchaus modern. In keiner andren sei die Stellung der Worte so ganz Symmetrie und Musik, keine andre wirke in ihren Abwechselungen, sowie Massen von Farbe und Licht. »Darum ist auch die Prosa des Cervantes dem Roman, der die Musik des Lebens phantasiren soll … so angemessen, wie die Prosa der Alten den Werken der Rhetorik oder der Historie.«

Auch die Sprache also soll in das Innere dringen – romantisirt werden; denn nun soll sie nicht mehr, wie die Geschichte thut, Ereignisse schildern, oder wie die Rhetorik durch starke allgemeine Schlagwörter den sinnlich beschränkten Menschen treffen, sondern den langsam aus dem Dunkel des Unbewußten an's Licht schwellenden Gefühlsmassen soll sie zur Geburt helfen. Darum nennen ja die Romantiker die Sprache Poesie, Allegorie, das erste unmittelbare Werkzeug der Magie, weil wir ein Ding gleichsam dadurch schaffen, daß wir es benennen. Es ist in dem Augenblick, wo wir ihm einen Namen geben. In Zeiten, wo große Massen von Unbewußten sich ablösen und das Bewußtsein zu erfüllen beginnen, muß die Sprache mitwachsen. Unaufhörlich ertönt in den Schriften der Romantiker die Klage über die Unzulänglichkeit der Sprache. »O ihr Liebenden«, ruft Tieck aus, »vergeßt doch niemals, wenn ihr ein Gefühl den Worten anvertrauen wollt, was läßt sich denn überhaupt in Worten sagen? Ist doch so Vieles schon dem Blick zu ungeistig und körperlich.« Und ein andres Mal sagt er, daß die Menschen sich nicht verstehen können, weil sie etwas Andres aussprechen als sie meinen: »in jedem Körper liegt die Seele wie ein armer Gequälter in dem Stiere des Phalaris, sie will ihren Jammer und ihre Schmerzen ausdrücken und die Töne verwandeln sich und dienen zur Belustigung der umgebenden Menge.« Oder an andrer Stelle: »Unsre Sprache besteht darin, daß wir ganze Massen von Gedanken und Bildern als einen Begriff hinstellen, wir nehmen die Phantasie zu Hülfe, um der fremden Seele zu erläutern, was uns selbst nur halb deutlich ist; und auf diese Art entstehen Gemälde, die dem kälteren Geiste, der nicht gespannt ist, Mißgeburten scheinen. Es ist ein Fluch, der auf der Sprache des Menschen liegt, daß keiner den Andern verstehen kann, und dies ist die Quelle alles Haders und aller Verfolgung: die Sprache ist ein tödtliches Werkzeug, das uns wie unvorsichtigen Kindern gegeben ist, um Einer den Andern zu verletzen.« So spricht die Bitterkeit einer Seele, die sich wund gerungen hat, um Unsägliches zu sagen.

Am ergreifendsten und am lehrreichsten ist es, den Kampf der Sprachentfaltung mit seinen Schmerzen und Wonnen in Wackenroder's Büchlein zu verfolgen. Zahllose Empfindungen und werdende Begriffe bestürmen ihn und flehen um Erlösung durch ein Zauberwort: das ist ja die Aufgabe des Dichters, die schwankende Welt des Unbewußten und Halbbewußten zu verewigen, dadurch daß er ihr Ausdruck giebt, sie benennt, sie verdichtet. Und nun sucht er und sucht, immer leidenschaftlicher wird sein Stammeln, immer wunderbarer und feiner werden die Klänge, mit denen er das verzauberte Heer beschwört, aber es weicht nicht von seiner Brust, wo es sich drückend wie ein Alp gelagert hat. Er verzweifelt an seiner Macht – nur die Musik könnte ihn befreien; wollen denn seine Worte nicht Musik werden?

Wie sich Prosa und Poesie gegenüberstehen, so in einem weiteren Kreise Poesie und Musik, wo nunmehr die Poesie das Bewußte, Musik das Unbewußte vertritt. Und auch hier kann man beobachten, daß die Poesie Musik werden will und die Musik Poesie: die Poesie bemächtigt sich der dunklen Stimmungen, die allgemein wie Ton, Farbe und Geruch auf unsern tiefsten Wesengrund einwirken, die Musik dagegen möchte wie das Wort unserm bewußten Geiste bestimmte Vorstellungen erregen.

Es ist schwer, sich ein andres als ein visionäres Traumbild davon zu machen, wie das erscheinen und wirken könnte, was man vielleicht in unendlicher Zukunft Kunst nennt, wenn es nur eine Kunst giebt, so nämlich daß jede Einzelkunst sich willig der allgemeinen hingiebt, ohne daß sie doch die Kraft verlöre, sie selbst zu sein. Schon aber deuten alle Zeichen darauf hin, daß auch hier das bewußte Chaos am Ziele der Entwickelung steht.

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