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Die Kindheitsstufe der Menschheit umfaßt die gesamte vorchristliche Zeit. Bei den Völkern des Ostens schuf die Natur gewissermaßen noch weiter, hauptsächlich bauend. Ihre Dichtung war Symbolik, d. h. der Spiegel ihres Bewußtseins nahm richtige Weltbilder auf. An Üppigkeit des architektonischen Schaffens ist keine Epoche dieser gleichgekommen; aber dies Schaffen neigte, wie die vom bewußten Geist nicht gehemmte Natur immer tut, zum Verwildern. Daher war der Osten die Wiege der Kultur; aber die erste harmonische Kultur entstand in Griechenland. Die griechische Kultur war ein harmonisches Ganzes, weil die Griechen bereits bewußte geistige, aber noch ganz einheitliche Menschen waren. Die männliche Negativität und die weibliche Positivität wurzelten noch gemeinsam in der neutralen Kindheitssphäre; der Mann war noch verhältnismäßig weiblich – noch nicht selbstbewußt –, das Weib noch kindlich, und Mann, Weib und Kind deshalb zu einer solchen Einheit verschmolzen, wie sie im Norden nie und auch im Süden nur annähernd wieder erreicht wurde. Es gab daher im Innern des primitiven Menschen nur eine mäßige Spannung, aber eine starke, produktive Natur, deren reine formen nicht durch Geschlechtsleben und Selbstbewusstsein gestört wurden.
Zwischen der Knabenliebe bei den Griechen und bei den modern-dekadenten Menschen besteht der Unterschied, daß sie den Griechen, als noch nicht sehr männlichen Männern, natürlich war, während sie beim dekadenten Mann ein Symptom des Wiederweiblichwerdens ist.
Das Problem der mechanischen Arbeit war bei den Griechen wie bei allen alten Völkern – durch die Sklaverei gelöst. Es muß nämlich zur Erhaltung des menschlichen Lebens eine gewisse Summe mechanischer, d. h. ungeistiger Arbeit verrichtet werden, die dem geistigen Menschen widersteht, weil sie seinen Produktionstrieb nicht in Anspruch nimmt. Die Stärkeren – im allgemeinen die Geistigen, Männlichen, mit Produktionstrieb Begabten – laden sie deshalb auf die Schwächeren ab, die sich wegen ihres geringen Produktionstriebes besser dazu eignen. Die Schwächeren sind im allgemeinen die unbewußten, primitiven Menschen, sowohl Frauen wie Männer. Indem die Schwächeren sich der ungeistigen, mechanischen Arbeit anpassen, werden sie immer ungeistiger, während die Geistigen immer geistiger, männlicher, negativer werden. Werden die Arbeiter nun nicht aus der Mitte der Gesellschaft selbst genommen, sondern sind es Fremde, unterworfene Völkerschaften und werden diese vom Körper der Gesellschaft ganz abgesondert, so kann diese sich harmonisch entwickeln, d. h. sie sondert sich nicht in Übergeistige und Ungeistige oder Allzumännliche und Allzuweibliche. Allerdings beraubt sich dadurch die Gesellschaft einer Quelle der Positivität und Verjüngung und muß daher nach Ablauf ihrer Entwicklung absterben.
Nachdem das Christentum die Sklaverei in der Idee aufgehoben hatte, damit alle Menschen sich menschlicher Bestimmung gemäß zum Bewußtsein entwickeln könnten, teilte sich die Gesellschaft in Stände und später, nachdem auch die Stände in der Idee aufgehoben waren, in Gebildete und Ungebildete. Dadurch durchdrang die Sklaverei den Körper der Gesellschaft selbst, d. h. die Gesellschaft wurde in sich gespalten, indem die Geistigkeit auf der einen, die Ungeistigkeit auf der anderen Seite zunahm. Dieser Zustand schlecht verteilter Negativität und Positivität bestand und besteht am meisten in Deutschland, welches insofern das unkultivierteste Land des Abendlandes ist.
Je mehr die Sklaverei tatsächlich aufgehoben wurde, bestrebte sich die Menschheit, das Problem der mechanischen Arbeit auf andere Weise zu lösen, indem sie dieselbe nicht auf Menschen, sondern auf Maschinen ablud. Die Maschine, Abbild der Urmaschine, der allweisen und allmächtigen Natur, das vervollkommnete Werkzeug, wird vermutlich so vervollkommnet werden, daß dem Menschen nur so viel mechanische Arbeit zu tun übrig bleibt, wie ihm das Gegengewicht gegen die geistige Arbeit nützlich und angenehm ist. Dies wenigstens ist die Idee der Maschine.
Das erste Volk der Alten Welt, bei welchem die Negativität mächtig hervortrat, und welches dadurch zur neuen Geschichte hinüberleitete, waren die Juden. So mächtig war diese selbstbewußte Geistigkeit, daß sie sogar die Kindheits- oder Tieressphäre fast aufzehrte und der Negativität im Manne fast gar keine Positivität mehr gegenüberstand. Der Überschuß an Negativität ist die Ursache der Ähnlichkeit zwischen dem jüdischen Typus und dekadenten Menschen, z. B. bei den Sprößlingen alter Geschlechter, welcher oft beobachtet worden ist. Die starke Sexualität und Selbstbewußtheit, das Fehlen der Kindlichkeit ist es, die die jüdische Nation der übrigen Menschheit so unsympathisch und fast unheimlich macht: die ganze Natur lehnt sich gegen die einseitige Geistigkeit auf; namentlich der naive Germane fürchtet und haßt sie. Bezeichnend für das deutsche Volk ist es, daß es den Teufel nur als dummen Teufel begreift: der Teufel als die inkarnierte Negation, Mephisto, geht seiner unbewußten Kindlichkeit nicht ein.
Das Fehlen des Unbewußten schließt die Juden von der bildenden Kunst, die die Quelle im Unbewußten hat, vollständig aus, dagegen sind sie zur Musik und Lyrik prädestiniert, allerdings auch nur in entsprechender Art. Da sie des konstruktiven, als des Unbewußten, nicht mächtig waren, erfanden sie für die Lyrik die Form der Formlosigkeit, d. h. sie begründeten den Rhythmus nur auf das Gefühl. Von keiner anderen Nation ist jemals im rhythmisch Ungebundenen so Hinreißendes geschaffen worden; es ist die Form, die der negative, persönliche Geist der typischen Natur entgegensetzt. Diese Form kann nun ausdrücken: brünstige, d. h. wissende Liebe; wenn sie durch Übertragung ins Geistige zur Inbrunst wird, so entsteht der religiöse Hymnus. Ihn, wie der Religion überhaupt, verdankt die Menschheit den Juden.
Bis dahin hatte es nur Mythologie, d. h. kindliche Weltanschauung gegeben; der bewußte Mensch verhalt sich erkennend zur Welt, erst der selbstbewußte erfaßt sich als Ebenbild des persönlichen, sittlichen Gottes, wodurch Religion entsteht, d. h. Bewußtsein einer persönlichen Verbindung zwischen Gott und den Menschen. Nur aus der Mitte der Juden konnte der erste vollkommen selbstbewußte und dabei vollkommene Mensch erstehen, Christus, der Gottmensch, der durch sein Erscheinen den zwischen Gott und Menschen geschaffenen Bund, die Religion, realisierte. Wie schon an anderer Stelle bemerkt, wies Christus, aus der Entzweiung hervorgegangen, auf das Kind, das Unbewußte, hin, als auf das Symbol der wiederzugewinnenden Einheit. Nun trat die gespaltene Menschheit in die Entwicklung ein, welche in noch erreichtem höchsten Selbstbewußtsein zur zweiten Einheit, zum zweiten Paradiese, zurückführen sollte.
Die Entwicklungsjahre der abendländischen Menschheit sind bezeichnet durch die Hauptspaltung zwischen Kaisertum und Papsttum. Beide Formen halten die Idee der Ganzheit, die in der Alten Welt bestanden hatte, fest, aber nur, um die allgemeine Spaltung und Zerstreuung zu vermehren. Von der bäuerlichen Kultur reißt sich die städtische, männlich-negative Kultur ab – ein Nomadentum auf höherer Stufe – und endlich tritt die schneidendste Entzweiung mit der Kirchenspaltung ein. Die Entwicklung hat damit die Form der Ellipse erreicht, die Menschheit ist selbstbewußt geworden.
Die Protestanten begannen mit der Anknüpfung an das Urchristentum, also an die Einheit, waren aber ihrem Wesen nach titanisch, höchst negativ und rebellisch. Dies war notwendig, da die katholische Kirche sonst der Erstarrung anheimgefallen wäre, und der Protestantismus ist überhaupt die dem Katholizismus notwendige Ergänzung. Sähen dies Protestanten und Katholiken ein, so müßten sie sich nicht nur dulden, sondern schätzen und lieben; damit aber würden sie in ihrem Wesen hinfällig, und es kann nichts anderes zwischen ihnen sein als Kampf, solange Leben sein soll.
Von dem höchst negativen Protestantismus ging nun aber eine neue, großartige Form der Ganzheit aus. Die katholische Kirche erkannte die Sündhaftigkeit der Menschen an und begnügte sich damit, ihn durch seine Zugehörigkeit zur Kirche zu heiligen, also von außen. Die Protestanten dagegen faßten den Entschluß, den Menschen von innen her zu heiligen, ihn dadurch zu einem Ganzen zu machen, daß er das Ideal verwirklichte. Durch diese großartige Idee, die von der katholischen Kirche als ein strafbarer Titanismus angesehen wurde, machten die Protestanten den Menschen, wenigstens der Möglichkeit nach, wieder zu einem ganzen Menschen, während die katholische Kirche stets Geist und Körper gesondert hatte.
Von diesem Punkte aus begann die Selbstverneinung, indem die beabsichtigte Vollkommenheit nur durch Überwindung des Tieres im Menschen erreicht werden kann. Die Protestanten sind also die tragischen Helden der Menschheit; vom äußersten Punkte der Negativität aus verneinen sie sich, bringen Selbstmord, Geisteskrankheit und Nervenkrankheit über sich, um das im Spiegel des Selbstbewußtseins gesehene Ideal zu verwirklichen. Mit dem Beginn des Absterbens des alten Adam, des Tiermenschen, nahm das Erstehen des neuen, des Nervenmenschen oder geistigen Menschen seinen Anfang.
Nachdem der Krieg aller gegen alle, der Dreißigjährige Krieg, ausgetobt hatte, erkannten die beiden Religionsparteien sich an, und namentlich von protestantischer Seite begannen die Unionsbestrebungen, die allerdings der Form nach scheiterten, insofern aber doch zustande kamen, als der Religionskrieg sich als endgültig unmöglich zeigte. Die Menschheit trat umbiegend in die Epoche der Reife und wandte sich mit Entschiedenheit, nach Überwindung aller Spaltung und Vereinzelung, der Idee der Ganzheit wieder zu.
Die Zeit der Humanität war die Zeit, in welcher der väterlich gewordene Mann das Weib als selbstbewußten Menschen anerkannte. Die Hexenprozesse hörten vollständig auf, wurden als eine krankhafte, unverständliche Ausschreitung betrachtet. Hingegen wurde die Frau gerade wegen ihres Geistes, der auf dem höchsten Punkte seiner Entwicklung innerhalb des weiblichen war, gefeiert. Das 18. Jahrhundert war das Zeitalter der Geselligkeit, die ohne die geistvolle Frau ein Unding, eine wahre Sonnenfinsternis ist. Denn der allbelebende, alles durchleuchtende, sonnenhaft nach allen Seiten strahlende Geist, der seine schönste Verkörperung in der Frau findet, ist allein das heiter neutralisierende Element, in dem verschiedenartige Menschen sich glücklich verbinden können. Mit dem väterlich gewordenen Manne erzeugte die geistvolle Frau des 18. Jahrhunderts den genialen Mann; er erhielt den Geist der Mutter und den Charakter, die gebändigte Tierkraft des Vaters.
Im 18. Jahrhundert begannen die einzelnen Staaten des Abendlandes sich gegeneinander zu scheiden und zu formen; aber nicht zu schärferer Absonderung, sondern im Gegenteil zu geregelter Verbindung: die Form des Bundesstaates entstand. Immer häufiger tauchte auch die Idee der Weltrepublik und des Weltfriedens auf, und kam sie auch der Verwirklichung noch nicht nahe, so fühlt der moderne Mensch, trotz alles Patriotismus, sich doch mehr und mehr als Weltbürger.
Wenn im Osten ein Übermaß von Positivität herrscht, im Süden, namentlich in Italien, die harmonische Menschenform der Griechen annähernd fortlebt, also eine harmonische Verteilung von Positiv und Negativ, im Norden das Negative vorherrscht, in Deutschland besonders in ungünstiger Verteilung, so ist Amerika das spezifische Land der Dekadenz, des auf Kosten der Natur entwickelten Geistes. Der Geist ist naturlos, die Natur geistlos geworden, die hohe äußere Kultur klappert wie ein Räderwerk ab, das nichts zwischen den Zähnen hat, eine sinnlose Maschine, die sich bewegt, aber nichts erzeugt.
Es ist selbstverständlich, daß die Summe von Positivität der der Summe der Negativität auf der ganzen Erde gleich sein muß, und es ist anzunehmen, daß mit einer vollkommen harmonischen Verteilung von Geist und Natur auf der ganzen Erde die Entwicklung endet.