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IV. Kapitel.
Der Held

Alles Lebendige unterliegt der Polarität des Negativen und Positiven; es kann vergens ad malum oder vergens ad bonum sein. Der handelnde Mensch ist entweder dem Heldenhaften oder dem Verbrecherischen zugewendet.

Der handelnde Mensch ist der zeitliche, und wie die Zeit dem Raume gegenüber negativ ist, so ist das Handeln an sich negativ: Handeln an sich ist Zerstören.

Der Zerstörer ist der Verbrecher, und jedes Verbrechen ist ein Zerstören; Übertretung von Verboten aus äußeren Gründen ist kein Verbrechen, außer wenn etwas Zerstörendes darin liegt. Da das Weib als solches nichthandelnd ist, außer vom Standpunkte der Mutterliebe aus, kann sie keine Verbrecherin sein; der weibliche Verbrecher ist eine Abnormität.

Das Destruktive des Handelns wird deutlich, wenn man sich vorstellt, die Masse, die der Bildhauer knetet, empfände; in diesem Falle würde das Geknetetwerden für sie ein Leiden bedeuten. Die Menschen, welche das Mittel des Handelnden sind, leiden selbst dann, wenn der Handelnde die Absicht hat, ihnen wohlzutun; denn durch Handeln wird immer ein Zustand verändert, und diejenigen, deren Zustand verändert wird, müssen mehr oder weniger leiden. Dies ist der Sinn des Goetheschen Wortes: Du mußt Hammer oder Amboß sein; d. h. du mußt entweder handelnd Leiden zufügen oder nichthandelnd dir Leiden zufügen lassen. Der Widerstand, den der Leidende dem Handelnden naturgemäß entgegensetzt, verstärkt den Aktionstrieb und macht ihn immer destruktiver; aber auch widerstandsloses Leiden verstärkt ihn, wenn nicht eine Korrektur des Handelns durch Mitleid hinzukommt.

Es ist öfters bemerkt worden, die Helden der Sage und alten Geschichte wären eigentlich Verbrecher, was zuträfe, wenn man Menschen Verbrecher nennen könnte, die sich der Verwerflichkeit ihres Tuns nicht bewußt sind; aber die Helden der kindlichen Epoche waren naiv, und man tadelt die Verwüstungen, die sie anrichten, so wenig wie das Raubtier, das seine Beute zerreißt.

Der naiv heldenhafte, destruktive Mensch ist ein wundervolles Raubtier mit starker Sexualität, starkem Aktionstrieb, starkem Verstande, scharfen Sinnen und künstlerischer Begabung, die sich nur deshalb nicht äußert, weil der Handelnde wesentlich in der Zeit, nicht im Geiste lebt. Mit dem Zunehmen des Bewußtseins indessen nimmt die Wucht des naiven Handelns ab; denn wie der Mensch sich selbst erkennt, fängt er auch die anderen als ähnliche Wesen zu erkennen an und mißt an seinem eigenen ihr Leiden. Dies ist der Punkt, wo aus dem naiv destruktiven Helden der tragische Held wird.

Die Helden im Kindheitsalter der Menschen waren unbekümmerte Raufbolde; die infolge der herrschenden Ungeistigkeit und Unpersönlichkeit geringe Schätzung des Lebens machte, daß sie Blutvergießen nicht als Schuld empfanden, auch kämpften sie nicht für sich persönlich, sondern im Dienste einer Gesamtheit, sei es Familie oder Genossenschaft oder Staat.

Vertreter dieses Typus sind bekannt. Als typischen Helden der Jünglingsstufe nenne ich Alexander den Großen, den Schweifenden, Abenteuernden. Er hat bereits einen tragischen Hauch, den die mittelalterliche Auffassung fein herausfühlt, wenn sie ihn seine Züge bis an die Pforte des Paradieses ausdehnen läßt, wo der Unaufhaltsame zurückgewiesen wird.

Ganz naive Helden gibt es seit dem Christentum kaum noch; aber erst mit dem 16. Jahrhundert beginnt die eigentliche Selbstverneinung des Handelnden und schafft die Menschheit die Gestalt des tragischen Helden. Mit der Einsicht, daß Handeln Zerstören ist, verliert der Held den unbedingten Glauben an sich, der ihm ermöglichte, seine fabelhaften Taten zu tun: So macht Gewissen Feige aus uns allen. Er muß das Handeln verneinen, und da er dies nicht kann, denn Handeln ist sein Wesen, bleibt ihm nichts anderes, als sich selbst zu verneinen. Sein Zerstörungstrieb kehrt sich gegen sich selbst; man kann auch sagen, er opfert sich, um nicht mehr andere zu opfern.

Shakespeare und Schiller haben die größten tragischen Helden der Dichtung geschaffen, mit dem Unterschied, daß Schiller ein männlich-destruktiver Mann war, der sich von der Idee aus verneinte, Shakespeare aber, weiblich, wohl von vornherein eher anschauend als handelnd war. Etwa um die Jahrhundertwende beschwor Shakespeare den ersten aller tragischen Helden und aller folgenden Urbild: Hamlet, der, weil er den anderen in sich und die anderen draußen erkannt hat, weil er aus der Zeit heraus in den Geist eingetreten ist, nicht mehr handeln kann. Er sieht, daß alles Handeln Zerstören ist, daß alle zerstören, weil sie handeln, daß er selbst zerstören müßte, wenn er handelte, und verneint darum das Leben sowie sich selbst.

Die meisten der Schillerschen Helden befinden sich mehr in einer tragischen Lage, d. h. in einem unlösbaren Konflikt, als daß sie wesentlich tragisch wären; Wallenstein jedoch gibt durch die visionäre Einsicht, mit der er zuweilen Blicke in den Abgrund seiner dämonischen Seele tut, reichen Aufschluß über den zwischen dem naiven Gefühl seines Rechtes und dem dunklen Begreifen seiner Verwerflichkeit schwankenden, destruktiven Menschen.

Die bedeutendste und zugleich neue tragische Figur, die Schiller geschaffen hat, ist Philipp II., der die Spitze des Selbstbewußtseins erreicht hat und in der eisigen Melancholie des Alleinseins mit sich nach einem Menschen verlangt, den er lieben könnte, und durch den er sich mit der Natur versöhnte, der aber, wie der Ewige Jude, bei aller Sehnsucht zu lieben und zu sterben, wider Willen getrieben wird, zu leben und zu hassen.

Unter den historischen Helden der Umkehrungs-Epoche ist Gustav Adolf besonders anziehend, dessen leuchtende Gestalt nur eine leise Ahnung seines destruktiven Wesens tragisch umwittert.

Wie der Held, anstatt sein Selbst zu verneinen, sein Selbst vervollkommnen, die Umbiegung vollziehen kann, zu der die Natur die Neigung und Möglichkeit in alle Menschen gelegt hat, zeigt Garibaldi, der seinen leidenschaftlichen Aktionstrieb nicht nur in den Dienst seiner Idee stellte, sondern ihr auch unterordnete. Dies wurde ihm allerdings dadurch erleichtert, daß er, wie auch sein Äußeres anzeigte, ein antiker Mensch, von nicht hervorragender Persönlichkeit war. Während seiner ganzen Laufbahn sieht man den Kampf zwischen seinem Drang zu handeln und zu siegen und seiner Liebe zu den Menschen, der in fast allen Fällen damit endet, daß er sich selbst opfert, um nicht andere zu opfern. Hier sieht man den Übergang vom Helden zum Heiligen. Wie der Vater um seiner Familie willen aus einem Beweglichen, Umsichgreifenden zu einem Sichselbstbeschränkenden wird, so wird der Heilige aus einem naiv destruktiv Handelnden zu einem selbstlos Guthandelnden. Durch die Liebe ist aus einem negativen destruktiven Handeln positives hilfreiches Handeln geworden. Andere Heilige bilden das Seitenstück zu Hamlet, indem sie sich aus dem Zeitlichen ins Geistige wenden und überhaupt aufhören zu handeln.


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