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Im Zirkus von Pompeji, während einer Vorstellung. Wir befinden uns hinter den Sitzplätzen. Die Bühne ist in zwei Teile geteilt, unten und oben. Unten sehen wir zwei breite Gittertüren, dahinter liegen die Gewölbe, in denen die Gefangenen warten, bis sie von den Löwen zerrissen werden. Es ist finster in den Gewölben und die Gefangenen werden nur sichtbar, wenn sie am Gitter stehen. Rechts führt eine Treppe nach oben. Dort befindet sich ein Buffet. Links oben führt ein Gang nach den Sitzplätzen. Man hört aus der Arena immer wieder Musik, Gejohle, Beifall und Pfiffe. Es ist Mittag, und das Wetter ist herrlich, wie im ersten Bild. Der Buffetier bedient soeben einige Gäste, während Bagnio und der Parasit unten von links erscheinen.
Bagnio deutet nach den Gewölben: Dort liegt das Löwenfutter. Die Gefangenen.
Parasit Erinner mich nicht daran!
Bagnio Wieso? Du warst doch noch niemals eingesperrt!
Parasit Ich wollte sagen: erinner mich nicht an die Zukunft. Manchmal hab ich solch Ahnungen, als hätt man schon einmal gelebt.
Bagnio Bei deinen gesellschaftlichen Beziehungen nehm ich Gift darauf, daß du mit ruhigem Gewissen auf alle deine Ahnungen pfeifen kannst!
Parasit Forder die Götter nicht heraus!
Bagnio Laß mich nur mit denen in Ruh! Er tritt an die linke Gittertür und blickt hinein. Da liegt einer drin.
Parasit tritt an die rechte Gittertür: Da liegen sogar sechs – nein! Zwei, drei, vier, sieben!
Bagnio klopft mit einem falschen Geldstück an die eisernen Gitterstäbe: Kling-kling! Zum Parasiten. Er rührt sich nicht.
Parasit Laß ihn schlafen.
Bagnio klopft wieder: Kling-kling!
Parasit Spiel dich nicht mit deinem Geld.
Bagnio Ich spiele nicht, ich wunder mich nur, daß es klingt – Er klopft wieder. Kling-kling!
Wärter kommt von unten rechts; zu Bagnio: Das Necken der Verurteilten ist verboten!
Parasit zu Bagnio: Siehst du! Folg deinem Vater, ich hab eh schon Hunger – Er steigt mit Bagnio die Treppe empor und beide nehmen am Buffet Platz und bestellen groß, während die Gäste sich durch den Gang links oben entfernen.
Toxilus erscheint hinter der linken Gittertüre; zum Wärter: He, wann komm ich denn endlich dran?
Wärter Ich hab kein Programm.
Aus dem rechten Gewölbe dringt nun ein leiser einfacher Gesang.
Toxilus lauscht: Wer singt denn da?
Wärter Das sind Christen.
Toxilus Was ist das?
Wärter Überzeugungstäter. Freue dich, daß du nur ein Krimineller bist – Ab nach links unten.
Toxilus lauscht wieder dem Gesang.
Parasit mit vollem Munde zu Bagnio: Schau im Programm. Was kommt denn jetzt?
Bagnio sieht nach: Die Löwen.
Parasit Schon wieder die Löwen? Dann eß ich noch was. Fade Nummer, diese Löwen – sie zerreißen und aus! Immer dasselbe. Na, und dann?
Bagnio blättert im Programm: Lebende Fackeln.
Parasit Ekelhaft! Das hängt da und brennt! Kein Kampfmotiv und nichts – Zum Buffetier. Noch einmal dasselbe!
Die Christen singen nun nicht mehr.
Toxilus Jaja, wer als armer Bursche eindringt in die Pforten der Liebe, der überflügelt mit seiner Qual selbst die Qualen des Herkules. Lieber als mit Amor möcht ich mit der Hydra selber kämpfen – Ach, Lemniselenis! Warum hast du einen so langen Namen? Woher soll sich ein Räuber, auf den die Löwen schon warten, die Zeit nehmen, um dich immer wieder aussprechen zu können? Er lächelt. Woher? Er zieht sich in die Finsternis seines Gewölbes zurück.
Bagnio erhebt sich plötzlich und deutet nach rechts empor: Dort sitzt deine Tochter!
Parasit Wo?
Bagnio In der Loge des Praetors. Er grinst und setzt sich wieder. Glück muß man haben!
Parasit Dordalus ist ein Genie. Ich freue mich sehr, daß er sie in ein kultiviertes Haus gebracht hat, der Praetor ist ein vorbildlicher Gastgeber.
Bagnio Weiß er, daß sie deine Tochter ist?
Parasit Er weiß garnichts. Er kennt nur mich.
Posaunen in der Arena.
Bagnio schnellt empor: Posaunen! Das ist schon das Rennen! Vater, komm! Ich hab auf grün gesetzt, rasch!
Parasit mit vollem Munde: Vergiß nur das Zahlen nicht!
Bagnio wirft dem Buffetier ein Geldstück zu: Da! Behalt den Rest! Rasch ab mit dem Parasiten durch den Gang links oben.
Buffetier verbeugt sich: Danke! Er betrachtet das Geldstück, wird mißtrauisch und wirft es auf eine Platte. Hoppla, das klingt ja gar nicht! Ist ja falsch! Er eilt nach links. Aufhalten! Aufhalten! Er stößt im Gang links oben mit Dordalus zusammen, der aus der Arena kommt.
Dordalus Nanana! Aufpassen! Aufpassen!
Buffetier Verzeiht mir, aber ich hab grad falsches Geld – Rasch ab.
Dordalus Wichtigkeit! Er steigt, während in der Arena das Publikum mit großem Gejohle das Rennen begleitet, die Treppen herab und blickt in das rechte Gewölbe. Da ist er nicht. Er blickt in das linke Gewölbe. Da ist er auch nicht – doch! Da ist er! Er ruft hinein. Toxilus!
Toxilus tritt an die Gittertüre, erblickt ihn und grinst: Ist das nicht Dordalus?
Dordalus Also nur nicht wieder vorlaut! Er sieht sich vorsichtig um. Ich hab einen Brief für dich.
Toxilus Einen Brief?
Dordalus Von ihr – Er zieht vorsichtig einen Brief hervor. Sie sitzt in der Loge, mit dem Praetor.
Toxilus Gib her!
Dordalus Seit wann kannst du denn lesen?
Toxilus Ah, das hab ich jetzt ganz vergessen! Lies ihn mir vor, bitte!
Dordalus Drum bin ich ja da, ich versäum zwar ein ganzes Rennen, aber ich bin eh kein besonderer Anbeter der zirzensischen Spiele, ich bin mehr fürs ernste Theater, Operetten und so –
Toxilus unterbricht ihn ungeduldig: So lies doch schon! Lies!
Dordalus Warum so nervös? Hast keine Zeit?
Toxilus Nein!
Dordalus Ahso, richtig! Also höre – Er erbricht den Brief und liest. Mein lieber Toxilus! Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber seit ich weiß, daß Du meinetwegen zum Tode verurteilt wurdest, liebe ich Dich unendlich. Sei frohen Mutes, ich bin immer bei Dir und Du wirst nicht sterben –
Toxilus stutzt: Was?!
Dordalus stutzt ebenfalls: Nicht sterben? Wieso wirst du nicht sterben?
Toxilus Weiter!
Dordalus liest weiter: Du bleibst am Leben, wenigstens vorerst. Ich vertrag mich nämlich mit dem Praetor sehr gut, er ist sehr gerecht, und ich kann ihn bereits um den kleinen Finger wickeln, wenn ich ihn bei seinem Rechtsgefühl packe. In diesem Sinne redete ich es ihm ein, daß er es doch nicht wissen könnte, ob unser K. R. Thago Dir das gestohlene Geld nicht doch geschenkt hätte, bevor ihm dies Thago nicht persönlich bestätigt hätt. Und da Thago doch in der Sommerfrische weilt, will nun der Praetor warten, bis er zurückkommt. Er ist nämlich wirklich sehr gerecht und er hat auch soeben Weisung gegeben, daß der Vollzug Deiner Strafe hinausgeschoben wird, was mich riesig freut, denn ich wäre sehr traurig gewesen, wenn ich Dich zwischen den Löwen erblickt hätt. In grenzenloser Liebe und Sehnsucht Deine – Er blickt genauer hin. Unleserliche Unterschrift.
Toxilus ernst: Ich weiß schon.
Dordalus Auf alle Fäll kann man gratulieren! Ein liebendes Weib ist doch was wert.
Toxilus wie zuvor: Ja.
Dordalus Jetzt lebst du noch ein halbes Jahr.
Toxilus Ist das hier ein Leben? Und was ist dann? Dann kommt Herr Präsident K. R. Thago –
Dordalus Und der wird dich nicht retten, der nicht!
Toxilus Es wär ein Wunder.
Dordalus Und es gibt keine Wunder – bei Thago schon überhaupt nicht! Höchstens Kreditwunder!
K. R. Thago erscheint hinter der rechten Gittertüre, er trägt keine Maske mehr: Wer nennt hier immer meinen Namen?
Dordalus wendet sich ihm zu; schroff: Was los?
K. R. Thago lächelt: Ach, das ist ja Dordalus!
Dordalus Wer bist du?
K. R. Thago Erkennst du mich nicht?
Dordalus Woher? Keine Ahnung!
K. R. Thago Ich bin Thago.
Dordalus erschrickt: Was?!
Toxilus der Thago nicht sehen kann, aufgeregt zu Dordalus: Wer ist er?! Thago?!
Dordalus Absurd – absurd!
K. R. Thago Ich bin es aber. Du erkennst mich nur nicht, weil du mich ohne Maske siehst.
Toxilus Das war seine Stimme! Ich hör sie genau!
Dordalus Mich trifft der Schlag!
Toxilus Wie kommt Ihr da herein, Herr Präsident? Was ist denn passiert?! Stille.
K. R. Thago Wir fuhren nach Kreta, aber mein Schiff sank. Ich trieb im Sturm auf einem Brett und rief alle Götter an – da sah ich, daß jemand über das Meer geht.
Dordalus Über das Meer?
K. R. Thago Ich glaube, ja. Dann weiß ich nichts mehr. Ich erwachte in einer Höhle, unter der Erde –
Toxilus Unter der Erde?
K. R. Thago Dort wurd ich wieder zu mir gerufen, es waren brave Menschen. Von ihnen erfuhr ich es erst, daß es nur Einen gibt, der über das Wasser gehen kann. Jetzt sind wir alle hier – Er lächelt und zieht sich in die Finsternis zurück.
Matrosa kommt von rechts unten, erblickt Dordalus, aber Toxilus nicht: Endlich! Ich such Euch schon, meine Herrin ist sehr besorgt – habt Ihr den Brief angebracht?
Dordalus dumpf: Ja.
Matrosa Was ist Euch? Schlecht?
Dordalus Etwas Entsetzliches –
Matrosa unterbricht ihn sehr erschrocken: Mit Toxilus?!
Dordalus Ah was Toxilus! Toxilus ist eine Null, aber wenn das möglich ist, ein reicher Mann, ein steinreicher Mann – Matrosa, die Welt geht unter –
Matrosa Setzt Euch ein wenig –
Dordalus Nein! Das muß sofort gemeldet werden – also wenn das der Praetor hört, fällt er um! Rasch ab nach rechts.
Matrosa Was ist denn passiert?! Hinter ihm her ab nach rechts.
Stille.
Toxilus Man hört immer wieder von neuen Göttern, man weiß schon gar nicht mehr, was man glauben soll – Er zieht sich in die Finsternis zurück.
Parasit kommt mit Bagnio von oben links aus der Arena: Jetzt kommen wieder die faden Löwen! Du hättest auf blau setzen sollen, grün verliert immer!
Bagnio Red nicht, Vater! Du bist ja farbenblind!
Parasit vor dem Büffet: Der Kaviar ist schwarz und der Hummer ist rot!
Bagnio triumphierend: Falsch! Der Hummer ist schwarz und der Kaviar ist rot!
Parasit Du bist farbenblind – Er setzt sich an das Büffet, ißt, trinkt und auch Bagnio bedient sich selbst.
Buffetier kommt von links oben aus der Arena mit zwei Liktoren; er erblickt Bagnio und den Parasiten: Da sitzen sie! Er nähert sich ihnen. Schmeckts euch, wenn der Wirt nicht zuhause ist?
Parasit Was sollen diese ungezogenen Anspielungen?
Bagnio Tröste dich, wir bezahlen alles!
Buffetier Ich tröste mich nicht, denn ihr zahlt mit falschem Geld.
Parasit wird bleich: Wie bitte?
Buffetier zu den Liktoren: Durchsucht sie nur!
Bagnio Halt! Das laß ich mir nicht bieten!
Buffetier Wir werden viel fragen!
Parasit Ich protestiere! Ich bin ein Freund des Praetors!
Bagnio Und ich bin sein Sohn!
Parasit Des Praetors Sohn?
Bagnio deutet auf den Parasiten: Dem sein Sohn!
Buffetier Feine Familie! Zu den Liktoren. Durchsucht sie!
Parasit plötzlich verzweifelt: Nein! Er reißt sich vom Buffetier los und rast rechts die Treppe herab.
Ein Liktor ihm nach.
Buffetier schreit: Aufhalten! Aufhalten!
Parasit will unten nach rechts ab, läuft jedoch dem Praetor in die Arme, der mit Dordalus, seinem Gefolge und Liktoren rasch von rechts unten kommt.
Praetor erkennt den Parasiten: Ach, du bists, mein Freund! Verzeih, daß ich so eilig war, komm morgen zum Essen –
Parasit völlig verwirrt; mechanisch: Was gibts denn zum Essen?
Praetor Alles, was wir lieben. Verzeih, daß ich eile!
Buffetier ruft von oben herab: Praetor! Der Mann zahlt mit falschem Geld! Grad wollt er durch!
Praetor starrt den Parasiten an: Durch?
Buffetier Durchsucht ihn nur, durchsucht ihn nur! Stille.
Praetor leise zum Parasiten: Erkläre dich, bitte –
Parasit zuckt leise die Schultern und lächelt resigniert.
Praetor fixiert ihn und wendet sich dann an die Liktoren.
Haltet ihn, ich komme gleich wieder – Er tritt an die rechte Gittertüre und wendet sich an Dordalus. Rufe!
Dordalus ruft in das Gewölbe hinein mit zitternder Stimme: Herr Präsident! Herr Präsident!
K. R. Thago erscheint hinter der Gittertüre, erblickt die vielen Leute und den Praetor, stutzt etwas und lächelt dann: Was wollt Ihr noch von mir?
Praetor starrt ihn an; er ist innerlich sehr erregt, beherrscht sich jedoch; zu Dordalus: Ist er es wirklich?
Dordalus nickt ja.
Praetor leise. Ich erkenne ihn. Laut. Ob Ihr ein Christ geworden seid oder nicht, das interessiert mich nun keineswegs. Das Urteil ist gefällt, der Akt ist geschlossen. Doch da Ihr noch heute sterben werdet, bin ich hierher, denn ich brauche Euch als Zeugen, und zwar im Falle Toxilus. Recht muß Recht bleiben. Er faßt sich kurz ans Herz.
K. R. Thago Was ist mit Toxilus?
Praetor Toxilus hat Euch sechshundert Silberlinge gestohlen, behauptet jedoch, Ihr hättet sie ihm geschenkt. Nun sagt: was ist die Wahrheit?
Stille.
K. R. Thago Ich hab ihm das Geld nicht geschenkt. Ich habs ihm gegeben. Das war nämlich kein Geschenk, es war eine Schuld.
Praetor Schuld?
K. R. Thago Ich habe ihm acht Jahre lang keinen Lohn bezahlt.
Praetor Er war doch Euer Sklave, da wart Ihr ja rechtlich nicht verpflichtet –
K. R. Thago fällt ihm ins Wort: Trotzdem! Die Rechnung stimmt!
Praetor Aber das kann doch nicht stimmen! Recht muß Recht bleiben!
K. R. Thago Gewiß! Er zieht sich zurück in die Finsternis.
Stille.
Praetor sehr leise: Lasset Toxilus frei.
Wärter der bereits längst von links gekommen war, öffnet die Gittertüre und ruft: Toxilus! Du bist frei! – Er ist nicht mehr da. Er ist geflohen!
Praetor Geflohen?!
Wärter Jetzt wird mir manches klar! Grad vor ein paar Minuten hat sich da beim drüberen Ausgang eine vornehme Dame mit ihrer Dienerin herumgetrieben, sie war so verdächtig erregt, sicher hat sie meinen Kollegen bestochen –
Praetor schreit: Schweig! Schweiget alle! Er hält die Hand vor die Augen.
Stille.
Wärter sehr leise zu Dordalus: Was hat denn der Praetor?
Dordalus ebenso: Er weint.
Stille.
Praetor blickt langsam zum Himmel empor:
Schrecklich ist manchmal das Walten der Götter, rätselhaft ihr Urteil, unfaßbar für einen irdischen Richter. Oh Jupiter, allmächtiger, hehrer Sohn der Rhea, höchster Gott, aus dessen Händen Reichtum, Hoffnung, Heil entströmt – warum erschlägst Du das Recht mit Deinem Blitz und läßt das Unrecht triumphieren? Sagt, Götter, was habt Ihr vor mit meiner Welt?!
Ein furchtbares Donnern erschüttert die Erde, eine Flamme zuckt auf, tausendstimmiger Schrei, alles wird finster und alles bricht zusammen.