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Am nächsten Tage, wieder vor der Villa am Meer. Die Luxusgaleere ist fortgefahren, nun liegt der Hafen still. Lemniselenis sitzt am Fuße der einen Säule und hält das Gesicht in den Händen verborgen. Matrosa sitzt neben ihr und strickt. Das Wetter ist noch immer schön.
Toxilus kommt aus der Villa, erblickt Lemniselenis, hält und betrachtet sie; zu Matrosa: Was hat sie denn?
Matrosa Sie weint.
Toxilus Warum?
Matrosa Es ist ihr hier so gut gegangen und jetzt hat sie Angst vor der Zukunft. Speziell vor Dordalus zittert ihr Herzchen.
Toxilus Aber – aber! Dordalus in Pompeji ist zwar auch nur ein Sklavenhändler, aber in dieser verdammten Branche gibts noch massivere Lümmel – da könnt ich erzählen!
Matrosa lacht: Ich auch!
Toxilus Mit Dordalus kann man sogar reden und ich bin überzeugt, wenn das Fräulein artig zu ihm ist, verschafft er ihr noch einen bedeutend besseren Posten. Keinen solchen geizigen Kracher, wie meinen gnädigen Herrn!
Lemniselenis blickt zum Himmel empor: Oh Götter, was gäb ich darum, wenn ich nur nicht wieder verhandelt werden müßt – Sie verbirgt ihr Gesicht wieder in den Händen.
Matrosa zu Lemniselenis: Laß dich nicht so gehen! Fast entschuldigend zu Toxilus. Sie regt sich dabei immer so schrecklich auf.
Toxilus Wie oft ist sie denn schon verkauft worden?
Matrosa Erst einmal. Aber sie hatte Pech. Die Firma Maximus in Herkulanum, die sie hierher verschachert hat, hat sich richtig schäbig benommen. Nicht einmal eine eigene Kammer hatte das arme Mädel, mußte in einem Raume hausen mit den letzten Galeerenruderern, diesem Abhub der Sklavenwelt! Schmutzig wie die Pest!
Toxilus Also beim Dordalus ist alles sauber, muß man ihm lassen, peinlich sauber sogar! Ich lag dort drei Wochen auf Lager und fand keine einzige Wanze.
Matrosa Das findet man allerdings selten, daß man nichts findet!
Lemniselenis sieht Toxilus groß an: Ist er grob!
Toxilus ein wenig verwirrt durch ihre Augen: Wer?
Lemniselenis Dordalus.
Toxilus Keine Spur! Er ist ein subalternes Wesen.
Lemniselenis Wenigstens das. Sie starrt vor sich hin.
Matrosa zu Toxilus: Sie hat nämlich nur einen Wunsch: keine Hetäre mehr zu sein, heraus aus dieser Sklaverei endlich freigekauft zu werden! Zu Lemniselenis. Nicht, Kindchen?
Lemniselenis wie zuvor; leise: Ja.
Toxilus Freigekauft:? Ein großes Wort!
Matrosa Fast zu groß – Sie lächelt.
Lemniselenis Das ist mein Ideal.
Stille.
Toxilus betrachtet schätzend Lemniselenis; zu Matrosa: Was würds denn kosten, wenn man sie freikaufen tät?
Matrosa Soviel ich weiß, zirka sechshundert Silberlinge –
Toxilus Potz Pluto! Ein Vermögen!
Lemniselenis horcht auf: Bin ichs nicht wert?
Toxilus grinst: Wahrscheinlich –
Lemniselenis kurz: Danke.
Stille.
Matrosa zu Toxilus: Jetzt habt Ihr sie beleidigt. Macht es wieder gut.
Toxilus zu Lemniselenis: Es war nur ein Scherz.
Lemniselenis lächelt kalt: Lieb von Euch!
Toxilus grinst: Ich tät Euch sogar freikaufen, wenn ich sechshundert Silberlinge hätt –
Lemniselenis erhebt sich unwillig: Verschont mich mit Eueren öden Scherzen! Das typische Sklavengeblödel!
Toxilus Nanana!
Lemniselenis zu Matrosa: Der Herr möchte mich freikaufen. In meinem Zustand vertrag ich keine Witze über die Freiheit! Dazu ist mir mein Leben zu ernst! Sie schluchzt verärgert.
Toxilus Ihr scheint nicht zu wissen, wer ich bin?
Matrosa zu Toxilus: Laßt sie jetzt in Frieden!
Toxilus Fällt mir nicht ein!
Lemniselenis zu Matrosa: Sag ihm, ich rede mit ihm kein Wort mehr!
Toxilus zu Matrosa: Sagt ihr, ich könnte sie jederzeit freikaufen, wenn ich nur wollte! Richtet es ihr aus!
Matrosa Ich werd mich schön hüten, einen solchen Blödsinn auszurichten!
Toxilus Blödsinn? Wenn Toxilus sagt, daß er sechshundert –
Matrosa fällt ihm ins Wort: Ihr und sechshundert?! Daß ich nicht wiehere!
Toxilus Wiehert nur! Aber richtet es aus!
Matrosa Haltet andere zum Narren, aber nicht uns, mich und meine sanfte Herrin!
Toxilus Ihr vergeßt, wer ich bin.
Lemniselenis voll Verachtung: Ein Sklave.
Toxilus Gewiß! Jedoch während der Abwesenheit unserer Herrschaft wurde der Sklave Toxilus zum obersten Verwalter dieser Villa eingesetzt, denn er genießt das restlose Vertrauen seines Herrn und ich könnt mir also jederzeit auch sechshundert Silberlinge beschaffen, ich müßt nur was verkaufen, was nicht mir gehört, oder irgend etwas unterschlagen, einen Wechsel fälschen oder dergleichen!
Lemniselenis fährt Toxilus an: So verkauft es doch, was nicht Euch gehört, unterschlagt, fälscht, raubt –
Matrosa fällt ihr ins Wort: Sei so gut!
Lemniselenis Er deklamiert ja nur!
Toxilus zu Lemniselenis: Ihr traut mir anscheinend den Mut nicht zu, daß ich es tun könnte?
Matrosa zu Toxilus: Ihr werdet Euch beherrschen!
Toxilus Ja.
Matrosa Na also!
Lemniselenis Schade. Denn der Mann, der mich freikaufen würde, der wäre der erste und einzige Mann, den ich lieben könnte.
Toxilus horcht auf.
Lemniselenis Oho!
Stille.
Toxilus zu Matrosa: Was die für Augen hat –
Matrosa Ihre Mutter war Schlangenbeschwörerin.
Toxilus Aha!
Lemniselenis Meine Wiege stand auf Lemnos, von wo die schönen Frauen kommen. Arme Mama! Sie lebte nur kurz, mein Papa aß ihr alles weg.
Toxilus perplex: Aß ihr weg?
Lemniselenis Papa ist nämlich ein Parasit, ein Vielfraß, wie alle meine Vorfahren väterlicherseits. Nicht nur meine Mama, auch meine Freiheit wurde ein Opfer seiner Gier: er verschacherte mich als Sklavenkind für ein opulentes Menü.
Toxilus entrüstet: Das eigene Kind?! Also das ist schon das Allerletzte!
Lemniselenis Er konnte den Fasanen, Muränen und Hummern nicht widerstehen. Die geschlachteten Tiere haben ihn überwältigt, sie wohnen in ihm und sitzen auf seinem Willen – er kennt nur den Bauch, sonst nichts.
Matrosa beiseite: Was das Mädel aufführt!
Lemniselenis seufzt: Meine Kindheit war traurig. Ewiger Zwist der Eltern, zerrüttete Familienverhältnisse –
Toxilus ehrlich: Armes Kind! Mit Euch verglichen gehts ja sogar mir noch besser: ich weiß es wenigstens nicht, wer meine Eltern waren! Als dreijähriger Knirps verlor ich meine Freiheit, bei Babylon wurd ich gefangen –
Lemniselenis Ach, Ihr seid ein Perser?
Toxilus Perser, Grieche, Inder, Ägypter – was weiß ich, woher ich stamm!
Lemniselenis Schad! Denn Perser sind alle dunkel und ich bin blond.
Toxilus lächelt: Wenn Ihr es wünscht, dann werd ich ein Perser –
Lemniselenis klatscht in die Hände: Fein!
Matrosa Wie man freiwillig ein Perser sein möcht, das geht über meinen Horizont.
Toxilus Warum?
Matrosa Weil alle Perser böse Menschen sind.
Lemniselenis lacht: Böse Menschen gibts überall! Sie hört plötzlich auf zu lachen und deutet ruckartig auf den Vesuv um die Ecke. Seht, den Vesuv! Wie stark der raucht oder sinds nur die Wolken?
Matrosa blickt auch auf den Vesuv: Das sind keine Wolken. Hoffentlich gibt er endlich Ruh.
Stille
Lemniselenis Manchmal möcht ich der Vesuv sein: ausbrechen und alles vernichten – Sie lächelt.
Matrosa zu Toxilus, der sich nicht um den Vesuv kümmerte und immer nur Lemniselenis anstarrte: Was starrt Ihr denn das Mädel so an?
Toxilus einfach: Weil sie mir gefällt. Zu dumm, sie ist wirklich schön. Komisch, daß ich das erst jetzt bemerk –
Matrosa unterdrückt zu Lemniselenis: Komm, Herrin, ziehen wir uns zurück –
Lemniselenis fällt ihr laut ins Wort: Nein.
Matrosa sehr leise, damit Toxilus nichts hört: Ich bitt dich, mach keine Dummheiten, verdreh ihm nicht den Kopf!
Lemniselenis sehr leise: Ich verdreh ihn aber. Jetzt werd ich frei! Laut zu Toxilus. Also Ihr seid nun hier der Herr?
Toxilus starrt sie noch immer an: Ja. Der Stellvertreter.
Lemniselenis Und alles muß Euch gehorchen?
Toxilus Alles.
Lemniselenis Ich auch?
Toxilus stutzt: Hm. Eigentlich–
Lemniselenis Nun? Ja oder nein?
Toxilus lächelt etwas verlegen: Nach den Gesetzen der Logik eigentlich ja –
Lemniselenis fällt ihm ins Wort: Dann befehlt doch! Befehlt!
Stille.
Toxilus starrt sie an und zuckt plötzlich zusammen; unterdrückt: Au – Er faßt sich ans Herz und windet sich ein bißchen.
Lemniselenis erschrickt: Was ist? Was habt Ihr?
Toxilus leise: Ich weiß nicht, als wär ich verwundet –
Lemniselenis Tuts weh?
Toxilus lügt lächelnd: Nein.
Die Luft erklingt in zarten Akkorden.
Lemniselenis blickt empor und ruft: Oh, jetzt fürcht ich nichts mehr! Amor hat geholfen!
Matrosa zu Lemniselenis: Jetzt aber Schluß! Du bist eine brave Hetär und jener ist ein Sklave, das schickt sich nicht, der Kaiser hats verboten! Komm!
Lemniselenis herrscht Matrosa an: Kommandier nicht mit mir!
Matrosa Die Dienerin einer Hetäre ist wie die Mutter einer freien Frau: ein schützender Geist.
Lemniselenis Behalt deinen Schutz!
Toxilus Was hat sie denn?
Lemniselenis Sie geht mir auf die Nerven.
Matrosa blickt nach links; ruhig: Dort kommt Dordalus.
Lemniselenis schrickt zusammen: Oh! Sie schmiegt sich an Toxilus.
Matrosa blickt noch nach links: Richtig! Er ist es.
Toxilus Unser aller Händler –
Matrosa In zehn Minuten ist er da.
Toxilus In fünf.
Lemniselenis rehr leise zu Toxilus Rette mich. Rette mich –
Toxilus sieht sie an, überlegt einen Augenblick, fährt sich mit der Hand über die Stirne, sieht sich um, ob ihn auch niemand hören kann und redet dann unhörbar auf Lemniselenis ein.
Matrosa horcht, hört aber nichts.
Lemniselenis lauschte aufmerksam, gibt nun Toxilus einen flüchtigen Kuß auf die Wange; leise. Wiedersehen – Rasch ab in die Villa.
Matrosa sieht ihr nach; sehr besorgt: Wohin? Sie will auch in die Villa.
Toxilus vertritt ihr den Weg: Du bleibst zurück.
Matrosa entsetzt: Toxilus, was habt Ihr vor?!
Toxilus Erraten.
Matrosa Verblendet, verblendet! Das ist der Galgen, der Galgen – und das arme Mädel!
Toxilus herrscht sie an: Prophezei hier nicht herum und mach mich nervös! Sonst häng ich dich ins Meer hinein mit dem Kopf nach unten, damit dich die Polypen kitzeln! Still!
Dordalus kommt mit zwei Gehilfen von links; er sieht aus wie ein melancholischer Librettist; er hält und sieht sich um: Da wären wir. Säulen, als wärs ein Tempel des Jupiter, derweil ist es nur der ländliche Lustsitz eines alten Wucherers, Erpressers, Wechsel- und Kontofälschers, Witwen- und Waisengeldbehälters. Das lebt sich, diese Herren Punier – Er erblickt Toxilus. Ist das nicht Toxilus?
Toxilus imitiert ihn: Ist das nicht Dordalus?
Dordalus lächelt: Immer noch frech und oberfrech! No wie gehts – wie stehts, Herr Baron? Was hat dir der alte Dordalus gesagt vor acht Jahren? Laß dich hierher verkaufen, hat er gesagt. Hab ich erraten? Ich find schon immer die passende Stell für das passende Material, ich hab einen Riecher.
Toxilus Ich bin Euch auch dankbar.
Dordalus Ein seltenes Wort! Denn besonders von euch Sklavengesindel erntet man nichts als Undank, wo man sich Tag und Nacht abrackert, um euch an ein solides Haus anbringen zu können. Und obendrein verkauft man euch noch mit Verlust, bloß damit ihr gut lebt, man lebt ja schon nur für seine Herren Sklaven! Dich hab ich auch viel zu billig abgegeben, übel wirds mir, wenn ich dich seh. Also sehen wir das andere, diese Hetär, die ich mir da abholen soll. Lemniselenis heißt sie, damit man sich die Zunge bricht, wenn man an sie denkt – lauter Rache!
Toxilus Sie ist die Schönste von Lemnos.
Dordalus Dein Wort in Gottes Ohr! Möglich ist alles! Sie stammt zwar von Maximus in Herkulanum – auch eine Firma! Lauter Nullitäten! Und ich soll sie jetzt da in Kommission verkaufen, auch ein Geschäft, nichts verdient man dabei, nur Müh und Plag und Aufregerei, und am End zahlt man wieder drauf! Also zeig sie schon her, führ sie vor, deine Schönste aus Lesbos!
Toxilus Lemnos!
Dordalus Von mir aus! Also los – los! Wo steckt das Objekt?
Toxilus Wenn ich das wüßte!
Dordalus Wie soll das einer verstehen?
Toxilus Sie ist plötzlich verschwunden.
Stille.
Dordalus Du willst doch damit nicht andeuten, daß sie – großer Gott!
Toxilus Ja.
Dordalus entsetzt: Geflohen?!
Toxilus Ihr sagt es.
Dordalus Gott du bist gerecht! Was ihr da für Geschichten treibt!
Matrosa Wir?
Dordalus Sklaven gibts nur in der Mehrzahl – stellt einer was an, werden alle bestraft. Große Neuigkeiten? Weil ihr gar so geistreich glotzt!
Aufseher kommt rasch aus der Villa: Toxilus! Ist das wahr, daß die Hetär reiten darf?
Toxilus wirft einen erschrocken-forschenden Blick auf Dordalus; verwirrt: Wer sagt das?
Aufseher Sie selber hat zu mir gesagt! Grad jetzt, du hättest es ihr erlaubt, daß sie weggaloppiert –
Matrosa fällt ihm entsetzt ins Wort: Galoppiert! Stille.
Dordalus durchschaut die Situation; er droht mit dem Zeigefinger, freundlich und schadenfroh: Toxilus, Toxilus! In deiner Haut möcht ich nicht stecken, wenn dann die Herrschaft aus der Sommerfrisch kommt, wo der Herr Präsident eh so jähzornig sind – und gar erst der Herr Schwiegersohn! Aber was red ich da noch und verschwend die Zeit! Es dreht sich ja nicht um meinen Buckel – Euere Buckel werdens spüren! Euere! Er macht die Geste des Verprügeltwerdens und ab mit seinen Gehilfen nach links.
Aufseher sieht ihm nach und sinnt: Unsere Buckel? Mein Buckel?
Matrosa Das Mädel ist verrückt geworden.
Toxilus plötzlich zu Matrosa: Kannst du reiten?
Matrosa Ich? Reiten?
Toxilus Trab – trab!
Matrosa Nein!
Toxilus Dann gehen wir zu Fuß. Nämlich du mußt mich zu ihrem Bruder bringen, nach Pompeji –
Matrosa fällt ihm ins Wort: Da tu ich nicht mit!
Aufseher der grimmig lauschte: Aber vielleicht ich! Du hast das Mädel laufen lassen?! Trab – trab?! Na wart! Jetzt bring ich dich vor unser Gericht!
Toxilus horcht auf; ernst: Hoppla, das hab ich vergessen –