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Achtes Kapitel. Das Geschenk des Monarchen

Als vor einiger Zeit die Nachricht durch die Presse ging, daß ein europäischer Monarch beabsichtige, dem König eines Kannibaleneilandes eine überaus kostbare Perle zum Geschenk zu machen, erregte dieser Vorfall namentlich in England beträchtliches Aufsehen.

Ich führte damals ein bescheidenes, aber nicht unehrliches Schriftstellerdasein, und der Gegenstand, der das Tagesgespräch bildete, begeisterte mich zu einigen satirischen Versen, die eine bessere Aufnahme fanden, als alles, was ich bisher geschrieben hatte. Ich hatte meine Wohnung in der Stadt vermietet und unter dem Vorwand einer selbstlosen Leidenschaft für den Wassersport ein paar billige Zimmer in Ditton an der Themse genommen.

»Ausgezeichnet!« rief Raffles (der es sich natürlich nicht hatte verkneifen können, mich dort zu besuchen), indem er sich im Boote zurücklehnte, während ich ruderte und steuerte. »Dafür hast du wohl ein ganz niedliches Sümmchen bekommen?«

»Nicht einen roten Heller!«

»Was du nicht sagst, Bunny! Ich glaubte, so etwas würde ganz gut bezahlt. Aber laß den Leuten nur Zeit, dann wirst du deinen Scheck schon erhalten.«

»Nichts werde ich erhalten,« antwortete ich verdrießlich. »Ich muß mich in diesem Falle mit der Ehre begnügen, daß meine Sachen angenommen worden sind; das hat mir der Herausgeber ganz unumwunden erklärt,« fügte ich hinzu, wobei ich jedoch den bekannten Namen des Herrn nannte.

»Du willst doch nicht sagen, daß du schon einmal gegen Bezahlung geschrieben hast?«

Nein, das sagen zu wollen, war mir nicht im entferntesten eingefallen, aber ich hatte es getan, und nun war es heraus, so daß weitere Verheimlichung keinen Zweck mehr hatte. Ja, ich hätte für Geld geschrieben, weil ich wirklich welches nötig gehabt hatte, und wenn er es denn einmal wissen müsse, so wolle ich zugeben, daß es mir sehr knapp gehe. Raffles nickte, als ob er das schon wisse, und ich wurde wärmer bei meinen Klagen. Es sei keine Kleinigkeit, den Kopf mit der Schriftstellerei über Wasser zu halten, wenn man keine Übung habe, und ich schriebe, wie ich fürchtete, weder gut, noch schlecht genug, um Erfolg zu haben. Meine Hauptschwierigkeit sei ein vergebliches Streben nach Stil; Verse gelängen mir schon besser, machten sich aber nicht bezahlt, und zu persönlichen Mitteilungen und den niedrigeren journalistischen Arbeiten könne und wolle ich mich nicht herablassen.

Abermals nickte Raffles, und diesmal mit einem Lächeln, das nicht wieder aus seinen Augen verschwand, als er sich, mich beobachtend, zurücklehnte. Ich wußte, daß er an andre Dinge dachte, zu denen ich mich schon herabgelassen hatte, und ich glaubte auch zu wissen, was er jetzt sagen werde. Meine Antwort war bereit, aber er war offenbar müde, dieselbe Frage zu wiederholen. Seine Augenlider sanken herab, er nahm die Zeitung wieder auf, die er hatte fallen lassen, und ich ruderte an der alten roten Mauer von Hampton Court vorbei, als er wieder sprach.

»Also hierfür haben sie dir nichts bezahlt? Mein lieber Bunny, die Verse sind ausgezeichnet, nicht nur als Verse, sondern auch, weil du es verstanden hast, deinen Gegenstand in einer so knappen und abgerundeten Form zu behandeln. Jedenfalls haben sie mir mehr gesagt, als ich vorher wußte. Aber ist sie wirklich fünfzigtausend Pfund wert – eine einzige Perle?«

»Hunderttausend, glaube ich, aber das paßte mir nicht ins Versmaß.«

»Hunderttausend Pfund!« sagte Raffles mit geschlossenen Augen. Wieder glaubte ich genau zu wissen, was kommen werde, und wieder hatte ich mich geirrt. »Wenn sie so viel wert ist,« rief er endlich, »wäre sie gar nicht zu Geld zu machen. Mit Diamanten ist es etwas andres; die kann man teilen. Aber verzeih, Bunny, ich hatte vergessen ...«

Wir sprachen nicht mehr über das Geschenk des Monarchen, denn der Stolz gedeiht am besten bei leeren Taschen, und auch die schwersten Entbehrungen würden mir den Vorschlag nicht entlockt haben, den ich von Raffles gemacht zu sehen wünschte. Meine Erwartung war halb und halb eine Hoffnung gewesen, obgleich ich das erst jetzt inne ward. Aber auch den andern Gegenstand, den Raffles vergessen zu haben behauptete – meine »Abtrünnigkeit« oder »meinen Rückfall in ein tugendhaftes Leben«, – wie er es zu nennen beliebte – berührten wir nicht wieder. Wir waren beide etwas wortkarg, ein wenig befangen und ein jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Seit Monaten waren wir uns nicht begegnet, und als ich mich an jenem Sonntagabend um elf Uhr von ihm verabschiedete, bildete ich mir ein, daß wir uns wieder auf einige Monate trennten.

Allein während wir auf den Zug warteten, sah ich im Lichte der Bahnhofslaternen, daß mich seine klaren Augen prüfend ansahen, und als sich unsre Blicke kreuzten, schüttelte Raffles den Kopf.

»Der Aufenthalt hier scheint dir nicht gut zu bekommen, Bunny,« sagte er. »Vom Themsetal habe ich nie viel gehalten, und du bedarfst augenscheinlich einer Luftveränderung,« schloß er, worauf ich den Wunsch äußerte, mir eine verschaffen zu können.

»Am besten wäre eine Seereise für dich.«

»Und vielleicht ein Winter in St. Moritz, oder hältst du Cannes oder Kairo für besser? Das ist alles recht schön und gut, A. J., aber du vergißt, was ich dir über meine Fonds gesagt habe.«

»Nichts vergesse ich; ich wollte dir nur nicht wehe tun. Aber eine Seereise sollst du machen. Auch ich bedarf einer Luftveränderung, und du sollst mich als mein Gast begleiten. Wir wollen den Juli im Mittelländischen Meere verbringen.«

»Aber du wolltest ja Cricket spielen.«

»Ach was, das Cricket kann meinetwegen der Teufel holen.«

»Ja, wenn ich wüßte, daß du im Ernst sprichst ...«

»Natürlich spreche ich im Ernst. Willst du mich begleiten?«

»Von Herzen gern – wenn du gehst.«

Bei diesen Worten schüttelte ich ihm die Hand und winkte ihm viele Abschiedsgrüße nach, immer in der von jeder Bitterkeit freien Überzeugung, daß ich weiter nichts von der Angelegenheit hören werde. Es war ein flüchtiger Gedanke gewesen, weder mehr, noch weniger. Bald aber fing ich an, zu wünschen, es wäre mehr gewesen, denn noch ehe die Woche abgelaufen war, empfand ich das sehnlichste Verlangen, England für immer den Rücken zu kehren. Ich verdiente nichts und mußte von dem Unterschied zwischen der Miete meiner Wohnung und dem Preise leben, zu dem ich sie möbliert für die Dauer der Saison vermietet hatte. Aber diese nahte ihrem Ende, und in der Stadt erwarteten mich Gläubiger. War es denn überhaupt möglich, vollkommen ehrlich zu leben? Solange ich Geld in der Tasche hatte, bezahlte ich alles bar, und die offene Unehrlichkeit schien mir das weniger unehrenhafte Verfahren zu sein.

Von Raffles hörte ich natürlich nichts weiter. Eine Woche verging und die Hälfte einer zweiten, als ich spät am Mittwoch abend ein Telegramm von ihm in meiner Wohnung vorfand, nachdem ich ihn vergeblich in der Stadt gesucht und verzweifelt in dem verlassenen Klub gesessen hatte, zu dem ich immer noch gehörte.

»Fahr Montag neun Uhr fünfundzwanzig Minuten Morgens mit Norddeutschen Lloyd Sonderzug,« drahtete er. »Erwarte dich Southampton auf ›Sachsen‹ mit Billett. Brief folgt.«

Der Brief kam, ein leichtherziger Brief, und doch voll ernster Besorgnisse für mich, meine Gesundheit und meine Aussichten, ein Brief, der im Lichte unsrer früheren Beziehungen und im Zwielichte ihres vollständigen Bruches fast rührend war. Er habe zwei Kojen nach Neapel genommen, und unser Ziel sei Capri, die Insel der Lotosesser, wo wir uns zusammen sonnen und »eine Weile vergessen« wollten, kurz, ein reizender Brief. Italien sei mir neu, und er werde den Vorzug haben, mich in seine Schönheiten einzuführen. Es für im Sommer unerträglich zu halten, sei der größte Irrtum, den man begehen könne. Nie sei die Bai von Neapel gleich göttlich; und er schrieb von »stillen Feengärten«, als ob ihm die Poesie von selbst in die Feder geflossen wäre. Um auf die Erde und zur Prosa zurückzukehren, würde ich es vielleicht unpatriotisch von ihm finden, daß er einen deutschen Dampfer gewählt habe, aber auf keiner andern Linie werde man für sein Geld so zuvorkommend behandelt und so ausgezeichnet verpflegt. Dann folgte eine Andeutung, daß noch wichtigere Gründe für seine Wahl bestimmend gewesen seien. Brief wie Telegramm kamen von Bremen, und ich schloß aus einigen Wendungen, daß sein Einfluß bei maßgebenden Persönlichkeiten eine wesentliche Herabsetzung des Passagepreises bewirkt habe.

Meine Aufregung und Freude kann man sich vorstellen! Es gelang mir, meine Schulden in Ditton zu bezahlen, aus einem kleinen Zeitungsverleger einen sehr kleinen Scheck und aus meinem Schneider einen neuen Flanellanzug herauszupressen, und ich entsinne mich, daß ich meinen letzten Sovereign anbrach, um für Raffles eine Schachtel Sullivanzigaretten für die Reise zu kaufen. Aber als mich an jenem Montag morgen, dem schönsten Morgen eines häßlichen Sommers, der Sonderzug durch den Sonnenschein nach dem Meere trug, da war mein Herz so leicht als meine Börse.

In Southampton erwartete uns ein Tender. Raffles war nicht an Bord, und ich hatte ihn auch gar nicht zu sehen gehofft, bevor wir an der Seite des großen Dampfers lagen, aber auch hier schaute ich vergebens nach ihm aus. Sein Gesicht war nicht unter der Menge, die an der Brüstung stand, seine Hand befand sich nicht unter den wenigen, die ankommenden Freunden ihre Grüße zuwinkten. Mit plötzlich schwer gewordenem Herzen stieg ich an Bord. Ich hatte weder ein Billett, noch Geld, um eins zu bezahlen, und wußte nicht einmal die Nummer seiner Koje. Mit einem Gefühl als ob ich ersticken müsse, rief ich einen Steward an und fragte ihn, ob ein Mr. Raffles an Bord sei. Dem Himmel sei Dank – er war da! Aber wo? Das wußte der Mann nicht, der offenbar etwas andres zu tun hatte, und ich mußte auf die Suche gehen. Auf dem Promenadedeck war keine Spur von ihm, auch nicht unten im Salon, und der Rauchsalon war leer, abgesehen von einem kleinen Herrn mit einem roten Schnurrbarte, der nach den Augen in die Höhe gedreht war. Ebensowenig war Raffles in ferner eigenen Kabine, nach der ich mich verzweifelt durchgefragt hatte, wo mich jedoch sein auf den Gepäckstücken stehender Name etwas beruhigte. Warum er sich aber so versteckt hielt, war mir unbegreiflich, und als ich nach Gründen für dieses Verhalten suchte, konnte ich nur unheilverheißende Erklärungen finden.

»Da steckst du also? Ich habe dich im ganzen Schiff gesucht!«

Trotz des strengen Verbots hatte ich die Kommandobrücke als meine letzte Hoffnung erstiegen, und dort saß A. J. Raffles in der Tat auf einem Oberlicht und neigte sich über einen langen Deckstuhl, worauf ein junges weißgekleidetes Mädchen lag, ein schmächtiges Ding mit bleicher Hautfarbe, dunklem Haar und etwas auffallenden Augen. So viel hatte ich bemerkt, als er sich erhob und sich rasch umwandte, doch dann hatte ich nur noch Interesse für die flüchtige Grimasse, die dem Ausdruck gut gespielter Überraschung vorausging.

»Wie ... Bunny!« rief Raffles. »Wie kommst denn du hierhergeschneit?«

Dabei kniff er mich in die Hand, und ich stammelte etwas Unverständliches.

»Und du fährst mit in diesem Schiffe? Am Ende sogar auch nach Neapel? Na, das muß ich aber wirklich sagen! Miß Werner, darf ich Ihnen meinen Freund vorstellen?«

Das tat er denn auch ohne zu erröten, indem er mich als einen alten Schulkameraden bezeichnete, den er seit Monaten nicht gesehen habe, und wobei er allerhand ganz willkürliche und unnötige Nebenumstände erfand, die mich verwirrten und mich mit Argwohn und Ärger erfüllten. Ich fühlte, wie ich für uns beide errötete, aber daran lag mir nichts. Meine gesellschaftliche Gewandtheit hatte mich vollständig verlassen, und ich bemühte mich auch gar nicht, sie wiederzufinden, um die mir aufgezwungene Rolle durchzuführen. Nur dazu ließ ich mich herber, einige Worte zu murmeln, die mir Raffles geradezu in den Mund legte, und auch das tat ich, ohne meine üble Laune zu verbergen.

»Also du hast meinen Namen in der Passagierliste gelesen, und das hat dich veranlaßt, mich aufzusuchen? Du guter alter Bunny! Aber hör' mal, ich wollte, du könntest meine Kabine teilen. Ich habe eine prachtvolle auf dem Promenadedeck, aber der Zahlmeister konnte mir nicht versprechen, mich allein zu lassen, und wir wollen gleich das Nötige besorgen, daß sie keinen Fremden hineinlegen. Hier können wir ohnehin nicht länger bleiben.«

Ein Steuermann war nämlich ans Rad getreten, und noch während wir sprachen, nahm ein Lotse die Kommandobrücke in Besitz. Als wir hinunterstiegen, fuhr der Tender mit flatternden Taschentüchern und unter lauten Abschiedsrufen ab, und wir empfahlen uns von Miß Werner unter Begleitung des langsamen tiefen Stöhnens, das aus dem Maschinenraum heraufdrang und uns verkündete, daß unsre Reise begonnen hatte.

Die Beziehungen zwischen Raffles und mir nahmen keinen vielversprechenden Anfang. An Deck hatte er meine hartnäckige Verblüffung durch seine erzwungene, aber im ganzen überzeugende Lustigkeit verhüllt; in der Kabine legte er jedoch die Glacéhandschuhe ab.

»Du Schafskopf,« knurrte er, »hast mich schon wieder verraten.«

»Wieso habe ich dich verraten?« entgegnete ich, die besondere in den Worten »schon wieder« liegende Beleidigung überhörend.

»Wie? Ich sollte denken, jeder Dummkopf hätte herausfühlen können, daß ich unser Zusammentreffen ein rein zufälliges sein lassen wollte.«

»Nachdem du selbst beide Billetts genommen hattest?«

»Davon wußte an Bord niemand etwas. Außerdem hatte ich mich auch noch nicht dazu entschlossen, als ich sie nahm.«

»Dann hättest du mich benachrichtigen sollen, sowie du deinen Entschluß gefaßt hattest. Du machst deine Pläne, sagst kein Wort darüber, und dann verlangst du, daß ich mich ihnen instinktiv anpassen soll. Ich konnte doch nicht riechen, daß du irgend etwas im Schilde führst.«

Damit hatte ich den Spieß ziemlich wirkungsvoll umgekehrt, und Raffles ließ beinahe den Kopf hängen.

»Ja, siehst du, Bunny, ich wollte es dich eigentlich nicht wissen lassen. Du – du bist auf deine alten Tage ein so frommes Huhn geworden.«

Mein Spitzname und sein Ton besänftigten mich einigermaßen, doch hatte er noch mancherlei auf dem Kerbholz.

»Wenn du dich scheutest, mir zu schreiben,« fuhr ich fort, »so hättest du mir mindestens einen Wink geben sollen, sowie ich das Schiff betrat. Ich würde ihn sofort verstanden haben, und so furchtbar tugendhaft, als du zu glauben scheinst, bin ich auch nicht.«

War es Einbildung, oder sah Raffles wirklich etwas beschämt aus? Wenn ich mich nicht täuschte, so war es jedenfalls das erste und letzte Mal während all der Jahre unsrer Bekanntschaft, und zu beschwören vermag ich es auch jetzt noch nicht.

»Das war auch gerade das, was ich vorhatte,« sagte er. »Ich wollte in meiner Koje warten, bis du vorbeikamst, aber ...«

»Du warst durch etwas Besseres in Anspruch genommen.«

»Sag lieber durch etwas andres.«

»Die reizende Miß Werner?«

»Sie ist wirklich reizend.«

»Das sind die meisten jungen Australierinnen.«

»Woher weißt du denn, daß sie Australierin ist?«

»Ich habe sie sprechen hören.«

»Wie ungezogen!« entgegnete Raffles lachend. »Sie spricht nicht mehr durch die Nase als du. Ihre Familie ist nämlich eine deutsche. Miß Werner ist in einer Dresdener Pension gewesen und reist jetzt allein nach Hause.«

»Geld?« fragte ich.

»Geh zum Kuckuck!« erwiderte er, und obgleich er lachte, hatte ich den Eindruck, daß es ratsam sei, den Gegenstand des Gesprächs zu wechseln.

»Gut,« sagte ich, »also Miß Werner hatte mit deinem Wunsche, daß «wir uns als Fremde gegenüberstehen sollten, nichts zu schaffen? Führst du etwas Feineres im Schilde?«

»Das könnte wohl sein.«

»Willst du mir nicht lieber sagen, worum es sich handelt?«

Raffles musterte mich wieder mit der alten Vorsicht, die ich so gut kannte, und gerade, daß ich nach allen diesen Monaten so vertraut damit war, veranlaßte mich, in einer Weise zu lächeln, die ihn hätte beruhigen können, denn eine Ahnung, worum es sich handeln könne, war bereits in mir aufgestiegen.

»Wirst du dich nicht am Ende mit dem Lotsenboot davon machen, Bunny?«

»Kein Gedanke.«

»Also – erinnerst du dich noch der Perle, worüber du so schöne Verse ...«

»Du hast sie!« fiel ich ihm ins Wort, wobei mein Gesicht, wie ich im Spiegel sah, sich mit Purpurröte überzog.

Raffles schien überrascht zu sein.

»Noch nicht,« antwortete er, »aber ich gedenke, sie zu bekommen, noch ehe wir Neapel erreichen.«

»Ist sie an Bord?«

»Ja.«

»Aber wie – wo – wer hat sie?«

»Ein kleiner Offizier, ein Knirps mit einem senkrecht in die Höhe stehenden Schnurrbart.«

»Den habe ich im Rauchsalon gesehen.«

»Ja, das ist er; dort haust er den ganzen Tag. Hauptmann Wilhelm von H., wenn du in der Liste Nachsehen willst. Er reist in besonderem Auftrage seines obersten Kriegsherrn und überbringt die Perle.«

»Hast du das in Bremen ermittelt?«

»Nein, ich hab's in X. von einem Zeitungsmenschen erfahren, den ich dort kenne. Ich schäme mich, einzugestehen, Bunny, daß ich deswegen dorthin gereist bin.«

»Dessen brauchst du dich nicht zu schämen,« erwiderte ich, in Lachen ausbrechend. Übrigens trifft nun haarscharf das ein, was ich schon neulich bei unsrer Ruderpartie erwartete und erhoffte.

»Du hofftest das?« rief Raffles mit weit geöffneten Augen, und in der Tat war jetzt er an der Reihe, überrascht zu sein, während ich mich von Rechts wegen hätte schämen sollen.

»Ja,« antwortete ich, »ich bin von dem Vorhaben ganz eingenommen, aber ich hatte nicht die Absicht, es vorzuschlagen.«

»Und doch würdest du mir neulich Gehör geschenkt haben?«

Gewiß hätte ich das getan, und gestand das auch rückhaltlos ein, aber selbstverständlich nicht schamlos und auch nicht mit dem Wohlbehagen eines Menschen, dem ein solches Abenteuer an sich Vergnügen macht, sondern unwirsch, trotzig, verbissen, wie jemand, der versucht hat, ehrlich zu leben, und dem es nicht gelungen ist. Da ich einmal dabei war, sagte ich ihm auch noch mehr und schilderte ihm beredt meinen hoffnungslosen Kampf und meine unvermeidliche Niederlage, denn hoffnungslos war jener, unvermeidlich diese für einen Menschen mit meiner Vergangenheit, obgleich die Chronik dieser Vergangenheit nur in meiner eigenen Seele geschrieben stand. Es war die alte, alte Geschichte des Diebes, der versucht, ein ehrlicher Mensch zu werden; es geht gegen die Natur, und damit ist alles gesagt.

Raffles war durchaus nicht mit mir einverstanden und schüttelte den Kopf über meine altmodischen Anschauungen. Die menschliche Natur sei ein Schachbrett, man müsse sich mit der Abwechslung zwischen schwarzen und weißen Feldern abfinden und dürfe nicht verlangen, sich entweder nur auf schwarzen, oder nur auf weißen zu bewegen, wie unsre Voreltern auf der Bühne oder in altmodischen Romanen. Ihm seinerseits gefalle es auf allen Feldern des Brettes gleich gut, aber der Schatten der schwarzen lasse die Helligkeit der weißen nur noch mehr hervortreten. Meinen Schluß erklärte er für abgeschmackt.

»Aber du befindest dich bei deinem Irrtum in guter Gesellschaft, Bunny, denn alle billigen Moralisten predigen denselben Unsinn, und der alte Virgil war der erste und schlimmste Sünder von euch allen. Ich wette darauf, daß ich jeden Tag, wo es mir gefällt, aus dem Avernus emporsteigen kann, und früher oder später werde ich das auch tun, um nicht wieder darin zu versinken. In eine Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht werde ich mich wohl nicht verwandeln können, aber ich kann mich zurückziehen, solide werden und ehrlich leben bis an mein seliges Ende. Ich weiß nicht, ob das nicht schon mittels dieser Perle allein ausführbar wäre.«

»Dann hältst du sie nicht mehr für zu auffällig, um sie zu verkaufen?«

»Wir könnten eine Perlenfischerei pachten und sie mit andrer geringwertiger Ware finden. Das müßte nach monatelangem erfolglosem Fischen geschehen, gerade wenn wir schon im Begriffe wären, das Geschäft als hoffnungslos aufzugeben und unsern Schoner wieder zu verkaufen. Bei Gott, das wird Lärm im Stillen Ozean machen!«

»Nun, jedenfalls müssen wir sie erst haben. Ist dieser Herr von Soundso ein gefährlicher Kunde?«

»Gefährlicher, als er aussieht, und frech ist er, wie der Satan.«

Noch während er sprach, flatterte ein weißes Damenkleid an der offenen Kabinentür vorbei, hinter dem ich einen Schimmer von einem »Es-ist-erreicht«-Schnurrbart erhaschte.

»Ist das der Mensch, mit dem wir es zu tun haben? Hat er die Perle nicht dem Zahlmeister zu sicherer Aufbewahrung übergeben?«

Raffles stand an der Tür und schaute mit gerunzelter Stirn über das Meer hinaus, wandte sich aber einen Augenblick, die Nase rümpfend, nach mir um.

»Mein lieber Freund, bildest du dir etwa ein, die ganze Schiffsgesellschaft wisse, daß sich ein solches Kleinod an Bord befindet? Du behauptetest, es sei hunderttausend Pfund wert; in X. wurde es für geradezu unschätzbar erklärt. Ich bezweifle sogar sehr, ob sogar der Kapitän weiß, daß Herr von H. es bei sich führt.«

»Ja, hat er es denn auch wirklich?«

»Er muß es haben.«

»Also haben wir es nur mit ihm zu tun?«

Seine Antwort bestand in einer stummen Gebärde, denn wieder flatterte etwas Weißes vorbei. Raffles trat hinaus und machte im Bunde der Spaziergänger den dritten.

* * *

Ein schöneres Dampfboot, als die »Sachsen« des Norddeutschen Lloyd, einen liebenswürdigeren Herrn, als ihren damaligen Kapitän, und bessere Reisegefährten, als seine Offiziere kann man nicht verlangen. Das zuzugeben, will ich wenigstens keinen Anstand nehmen. Im übrigen war mir diese Reise widerwärtig, aber daran war niemand schuld, der etwas mit dem Schiffe zu tun hatte, ebensowenig das Wetter, das fast einförmig ideal war. Selbst in meinem Herzen war der Grund nicht zu suchen, denn die Ehe zwischen meinem Gewissen und mir war längst getrennt, und dieser Urteilsspruch war unwiderruflich. Mit meinen Bedenklichkeiten war auch alle Furcht geflohen, und ich war vollkommen bereit, mit derselben leichtherzigen Hingabe im Genusse des strahlenden Himmels und der leuchtenden See zu schwelgen, als Raffles. Dieser selbst war es, der mir die Freude an der Reise verdarb, aber nicht er allein; Raffles und die Hexe aus den Kolonieen, die von der Pension nach Hause zurückkehrte, die beiden waren es.

Was er an ihr fand – allein das ist eine müßige Frage. Natürlich fand er nicht mehr an ihr als ich, aber sei es nun, daß er mich ärgern oder für meine lange Treulosigkeit strafen wollte; genug, er ließ mich von Southampton bis ins Mittelländische Meer ganz links liegen, um sich diesem Backfisch zu widmen. Es war wirklich zu abgeschmackt, wie sie immer zusammenhockten. Schon beim Frühstück fing es an, und bis elf oder zwölf Uhr Nachts gab es nicht eine Stunde, wo man nicht Miß Werners näselndes Lachen und Raffles' leise Stimme hörte, womit er ihr allerhand Unsinn ins Ohr schwatzte. Unsinn war es selbstverständlich; denn ist es annehmbar, daß ein Mann wie Raffles, mit seiner Weltkenntnis und seinen Erfahrungen über die Frauen (eine Seite seines Wesens, die ich absichtlich unberührt gelassen habe, da sie einen besonderen Band verdient), ist es glaublich, frage ich, daß solch ein Mann tagelang etwas andres als Unsinn mit einem grünen Schulmädel schwatzen konnte? Daß die junge Dame in mancher Hinsicht anziehend war, habe ich, wie ich glaube, schon zugegeben. Ihre Augen mögen wirklich schön gewesen sein, und die Form ihres kleinen braunen Gesichtchens war ganz reizend, soweit bloße Äußerlichkeiten reizend sein können. Allein ihr Auftreten war freier, als mir gefiel, und dabei war sie von einer beneidenswerten Gesundheit, und voll Feuer und Lebenslust. Vielleicht habe ich keine Gelegenheit, Äußerungen der jungen Dame aufzuzeichnen (sie würden das auch kaum vertragen), und deshalb bestrebe ich mich um so mehr, nicht ungerecht gegen sie zu sein. Daß ich ein Vorurteil gegen sie hatte, gebe ich zu. Ich ärgerte mich über ihren Erfolg bei Raffles, von dem ich infolgedessen jeden Tag weniger und weniger zu sehen bekam. Das eingestehen zu müssen, ist freilich peinlich, aber in mir nagte etwas, was eine verzweifelte Ähnlichkeit mit Eifersucht hatte.

Auch noch anderswo herrschte Eifersucht – nackte, ungezügelte, würdelose Eifersucht. Hauptmann von H. drehte seinen Schnurrbart wie die Zwillingstürme des Kölner Doms empor, zerrte seine weißen Manschetten über seine Ringe und starrte mich unverschämt durch sein randloses Monokel an. Eigentlich hätten wir einander trösten sollen, aber wir wechselten nie ein Wort. Der Hauptmann hatte eine mörderische Narbe auf einer Wange, eine Universitätserinnerung, und ich mußte immer denken, welche Genugtuung es für ihn gewesen wäre, wenn er Raffles hätte ähnlich zeichnen können. Nicht als ob Herr von H. nicht auch dann und wann seine Chance bei der jungen Dame gehabt hätte. Raffles ließ ihm mehrmals täglich den Vortritt, um nachher das boshafte Vergnügen zu haben, ihn verabschieden zu lassen, gerade wenn er anfing, »warm zu werden«. Das waren Raffles' Worte, als ich ihm heuchlerische Vorwürfe über sein anstößiges Betragen gegen den Offizier machte.

»Du wirst unbeliebt an Bord werden.«

»Nur bei Herrn von H.«

»Aber ist das klug, wenn er der Mann ist, dem wir blauen Dunst vormachen müssen?«

»Das klügste, was ich jemals getan habe. Mich mit ihm anzufreunden, wäre das allertörichtste – das gewöhnliche Verfahren.«

Das tröstete und ermutigte mich, so daß ich fast zufrieden war, denn ich hatte gefürchtet, daß Raffles die Hauptsache vernachlässige, und ich konnte mich nicht enthalten, ihm das zu sagen. Schon waren wir nahe bei Gibraltar, und noch war, seit wir den Solent verlassen hatten, kein Wort über seine Lippen gekommen.

»Zeit die Hülle und Fülle, Bunny,« sagte er, lächelnd den Kopf schüttelnd. »Ehe wir Genua erreichen, können wir nichts tun, und dort werden wir erst Sonntag abend eintreffen. Die Reise ist noch jung, und wir gleichfalls, also laß uns genießen, solange wir können.«

Während dieser Unterredung, die nach dem Diner auf dem Promenadedeck stattfand, sah sich Raffles aufmerksam um, und als er die letzten Worte gesprochen hatte, verließ er mich in einer Weise, die auf eine bestimmte Absicht schließen ließ. Dagegen zog ich mich in den Rauchsalon zurück, um in einer Ecke zu rauchen, zu lesen und H. zu beobachten, der sehr bald erschien, sich verdrießlich in eine andre setzte und Bier trank.

Im Hochsommer hat das Rote Meer wenig Verlockendes für Reisende, so daß die »Sachsen« sehr schwach besetzt war, allein auf dem Promenadedeck lagen nur wenige Kabinen, und das hatten wir benutzt, um meinen Wunsch, Raffles' Kammer zu teilen, glaubhaft erscheinen zu lassen. Unten hätte ich eine für mich allein bekommen können, aber ich mußte oben sein. Raffles hatte darauf bestanden, daß ich das verlangen solle. Auf diese Weise kamen wir zusammen, ohne Verdacht zu erregen, wie ich glaube, allein auch ohne für mich erkennbaren Zweck.

Am Sonntag nachmittag lag ich schlafend in meiner Koje, der unteren, als Raffles, der in Hemdärmeln auf dem Sofa saß, die Vorhänge schüttelte.

»Grollt Achilles in seinem Zelt?«

»Was soll ich denn sonst tun?« fragte ich gähnend und mich streckend, aber ich bemerkte die gute Laune in seinem Tone und bemühte mich, sie zu fördern.

»Ich habe etwas andres zu tun gefunden.«

»O, das kann ich mir wohl denken.«

»Du mißverstehst mich. Der Knirps schneidet seine Pfeifen heute nachmittag, weil er im Rohre sitzt; ich habe andre Fische zu braten.«

Als er dies sagte, schwang ich meine Beine über den Rand des Lagers und richtete mich erwartungsvoll auf. Die innere Tür, eine Gittertür, war geschlossen, verriegelt, und mit einem Vorhang bedeckt, wie das Fensterchen.

»Vor Sonnenuntergang werden wir Genua erreichen,« fuhr Raffles fort, »und das ist der Ort, wo die Tat ausgeführt werden soll.«

»Also hast du doch noch immer die Absicht?«

»Habe ich jemals gesagt, ich hätte sie aufgegeben?«

»Du hast überhaupt nicht viel gesagt, weder nach der einen, noch nach der andern Richtung.«

»Mit Absicht, mein guter Bunny. Warum soll ich mir eine Vergnügungsreise durch unnötige Gespräche über Geschäfte verderben? Aber jetzt ist die Zeit gekommen. In Genua muß es geschehen, oder es muß ganz unterbleiben.«

»An Land?«

»Nein, an Bord, und zwar morgen nacht. Auch diese Nacht wäre es ausführbar, aber für den Fall eines Mißgeschicks ist die morgige Nacht vorzuziehen. Wenn wir gezwungen würden, Gewalt zu gebrauchen, könnten wir mit dem ersten Zug verduften, und an Bord würde man erst Lunte riechen, wenn das Schiff wieder unterwegs wäre und H. tot oder betäubt aufgefunden würde.«

»Doch nicht tot!« rief ich aus.

»Selbstverständlich nicht,« stimmte Raffles zu, »sonst würden wir nicht in die Notwendigkeit geraten, auszureißen,« setzte er seine durch meinen Ausruf unterbrochene Rede fort. »Sollten wir aber ausreißen müssen, dann ist Dienstag morgen der günstigste Augenblick, da das Schiff abgehen muß, es mag vorfallen, was da will. Gewalt ist das Eingeständnis einer schrecklichen Unfähigkeit. Wie viele Schläge habe ich, deines Wissens, in allen diesen Jahren geführt? Nicht einen einzigen, glaube ich, aber trotzdem war ich immer vollkommen darauf gefaßt, mein Opfer umzubringen, wenn das Schlimmste zum Schlimmsten gekommen wäre.«

Hierauf fragte ich ihn, auf welche Weise er unbemerkt in Herrn von H.s Kabine zu gelangen gedenke, und selbst in dem gedämpften Lichte der unsern konnte ich sehen, wie sein Gesicht aufflammte.

»Klettere in mein Bett, Bunny; dann wirst du es sehen.«

Das tat ich denn, konnte aber nichts entdecken. Raffles reichte über mich hinweg und klopfte an den Ventilator, eine Art Falltür in der Wand über dem Bett, etwa achtzehn Zoll lang und halb so hoch. Er öffnete sich nach außen in den Ventilationsschacht.

»Das ist die Pforte, die uns zum Reichtum führen soll,« sagte er. »Öffne sie, wenn du willst; viel wirst du nicht sehen, denn sie dreht sich nicht weit genug, aber das Ausziehen einiger Schrauben hilft dem ab. Der Schacht ist, wie du bemerken wirst, mehr oder weniger bodenlos. Du gehst auf dem Wege nach deinem Bade darunter hinweg, und oben ist er durch ein Oberlicht auf der Brücke geschlossen. Das ist der Grund, weshalb wir die Sache während unsres Aufenthalts in Genua ausführen müssen, weil im Hafen keine Wache auf der Kommandobrücke steht. Der gegenüberliegende Ventilator ist der von H.s Kabine. Auch da ist nur das Lösen einiger Schrauben erforderlich, und ein Balken, worauf man stehen kann, erleichtert die Arbeit.«

»Wenn nun aber gerade jemand von unten in die Höhe blickt?«

»Daß unten jemand auf den Beinen sein sollte, ist äußerst unwahrscheinlich, so unwahrscheinlich, daß wir es darauf ankommen lassen können. – Nein, du darfst nicht da unten Posten stehen, um es zu verhindern. Die Hauptsache ist, daß keiner von uns beiden wieder draußen gesehen wird, nachdem wir uns für die Nacht zurückgezogen haben. Ein paar Schiffsjungen halten auf dem Verdeck Wache, und die sollen unsre Zeugen sein, so daß der Vorgang das größte Rätsel sein wird, das es je gegeben hat.«

»Wenn H. keinen Widerstand leistet.«

»Widerstand! Dazu wird er gar keine Gelegenheit haben. Er trinkt so viel Bier, daß er jedenfalls sehr fest schläft, und nichts ist leichter, als einen Menschen zu chloroformieren, der in tiefem Schlafe liegt; du hast es ja selbst bei einer Veranlassung getan, woran dich zu erinnern vielleicht nicht sehr hübsch von mir ist. H. wird fast in demselben Augenblick das Bewußtsein verlieren, wo ich meine Hand durch den Ventilator stecke. Ich werde über seinen Leib hinwegkriechen, Bunny.«

»Und ich?«

»Du reichst mir, was ich brauche, verteidigst das Fort im Falle eines Unfalls und leihst mir die moralische Unterstützung, woran du mich gewöhnt hast. Sie ist zwar ein Luxus, Bunny, aber ich habe es schwierig gefunden, ohne sie auszukommen, als du fromm geworden warst.«

H., sagte er, werde jedenfalls bei verriegelter Tür schlafen, die er – Raffles – natürlich unverriegelt zurücklassen müsse, und er sprach auch noch von andern Mitteln, die er beim Durchsuchen der Kabine anwenden wolle, um die Leute auf eine falsche Spur zu bringen. Nicht daß Raffles auf ein langwieriges Suchen gerechnet hätte. H. trug die Perle auf dem Leibe, und Raffles wußte sogar ganz genau, wo und worin er sie verborgen hatte. Natürlich fragte ich ihn, auf welche Weise er das ermittelt habe, und seine Antwort führte zu einer kleinen Mißhelligkeit.

»Das ist eine sehr alte Geschichte, Bunny. In welchem Buche sie vorkommt, habe ich vergessen, ich weiß nur, daß sie im Alten Testament steht. Simson war der unglückliche Held und eine gewisse Delila die Heldin.«

Dabei sah er mich so bedeutungsvoll an, daß ich über seine Meinung auch nicht einen Augenblick im Zweifel sein konnte.

»Also hat die schöne Australierin die Delila gespielt?« sagte ich.

»Auf eine sehr harmlose und unschuldige Art.«

»Sie hat ihm das Geheimnis seiner Sendung abgelockt?«

»Ja, ich habe ihn gezwungen, sich aller Mittel zu bedienen, worüber er verfügte, um einen Eindruck auf die junge Dame zu machen, und dies war sein letzter großer Schlag, wie ich sicher gehofft hatte. Er hat Amy die Perle sogar gezeigt.«

»Also Amy! Und sie hatte nichts Eiligeres zu tun, als dir alles wiederzuerzählen?«

»Keineswegs! Wie kommst du auf den Gedanken? Es hat mich die größte Mühe gekostet, es herauszubringen.«

Sein Ton hätte mich warnen sollen, allein ich hatte nicht Takt genug, darauf zu achten. Nun sah ich endlich, was hinter seiner wütenden Courmacherei steckte, schüttelte den Kopf und drohte ihm mit dem Finger, durch das Licht, das mir aufgegangen war, blind für seine gerunzelte Stirn.

»Schlauer Wurm!« sagte ich. »Jetzt durchschaue ich alles! Wie dumm bin ich gewesen!«

»Weißt du auch gewiß, ob du es nicht noch immer bist?«

»Nein, jetzt sehe ich, was mir die ganze Woche ein unlösliches Rätsel war. Was du an der kleinen Person finden konntest, war mir einfach unbegreiflich, und ich dachte nicht im Traume daran, daß dieser Flirt ein Teil des Planes sei.«

»Also das glaubst du und weiter nichts?«

»O du Pfiffikus! Natürlich glaube ich das!«

»Du wußtest nicht, daß sie die Tochter eines reichen Squatters ist?«

»Es gibt Dutzende von reichen Frauen, die dich morgen vom Fleck weg heiraten würden.«

»Und kommt es dir gar nicht in den Sinn, daß ich einen Strich unter mein bisheriges Leben machen, ein neues, reines Dasein beginnen und bis an mein Ende glücklich leben möchte – im Busche?«

»Mit der näselnden Stimme immer im Ohre? – Ganz gewiß nicht!«

»Bunny!« rief er so wütend, daß ich mich auf einen Schlag gefaßt machte, aber es erfolgte nichts weiter.

»Glaubst du, daß du glücklich werden könntest?« war ich zu fragen kühn genug.

»Das weiß Gott!« antwortete er, und damit verließ er mich, während ich zurückblieb und Zeit hatte, über seinen Blick, seinen Ton und mehr als je über die unzulängliche Ursache dieser Aufregung nachzudenken.

* * *

Von allen verbrecherischen Taten, die ich Raffles habe ausführen sehen, war diejenige, welche er am Dienstag zwischen ein und zwei Uhr Morgens an Bord des Norddeutschen Lloyddampfers »Sachsen« vollbrachte, während dieser im Hafen von Genua vor Anker lag, gleichzeitig die feinste und die schwerste.

Nicht der geringste Zwischenfall kam dabei vor, an alles war im voraus gedacht worden, und alles verlief so, wie er mir versichert hatte, daß es verlaufen müsse. Unten war niemand im Wege, auf Deck hielten sich nur die Schiffsjungen auf, und auf der Kommandobrücke war kein Mensch. Es war fünfundzwanzig Minuten nach eins, als Raffles splitterfasennackt, ein mit Watte verstopftes Glasfläschchen zwischen den Zähnen und einen kleinen Schraubenzieher hinter dem Ohre mit den Füßen voran durch den Ventilator über seinem Bett kletterte, und es war neunzehn Minuten vor zwei, als er zurückkehrte. Der Kopf erschien zuerst, das Glasfläschchen hielt er noch zwischen den Zähnen, aber die Watte war jetzt fest eingedrückt, um das Klappern der Perle zu verhindern, die wie eine große graue Bohne darin lag. Er hatte Schrauben ausgezogen und wieder eingedreht, er hatte H.s Ventilator losgemacht und wieder so befestigt, wie er ihn gefunden hatte und wie er den seinen sofort ebenfalls wieder befestigte. Zu H.s Betäubung hatte es genügt, ihm die getränkte Watte zunächst auf den Schnurrbart zu legen und dann zwischen die geöffneten Lippen zu drücken, und hierauf war ihm der Eindringling zweimal über die Beine gestiegen, ohne dem Bewußtlosen einen Ton zu entlocken.

Nun hatten wir den Preis – eine Perle so groß als eine Haselnuß mit einem blassen rosa Schimmer, wie der Fingernagel einer Dame, ein Beutestück aus den Zeiten der Flibustier, jetzt das Geschenk eines europäischen Monarchen für den König eines Kannibaleneilandes. Als alles wieder in Ordnung war, schwelgten wir in ihrer Schönheit und tranken uns in Whisky und Sodawasser zu, welchen Labetrunk wir uns für diese große Stunde vorher besorgt hatten. Aber der Augenblick war größer, reicher an Triumph, als wir ihn uns in unsern ausschweifendsten Träumen vorgestellt hatten. Alles, was wir jetzt noch zu tun hatten, war, das Kleinod zu verbergen (Raffles hatte es aus der Fassung gebrochen und diese an Ort und Stelle zurückgelassen), so daß wir die sorgfältigste Durchsuchung nicht zu fürchten brauchten und es doch in Neapel mit an Land nehmen konnten, und damit war Raffles beschäftigt, als ich mich zu Bett legte. Ich hätte am liebsten sofort noch in Genua das Schiff verlassen, um mit der Beute zu entfliehen, aber Raffles wollte davon nichts hören und wußte eine Menge triftiger Gründe für seine Weigerung vorzubringen.

Im ganzen glaube ich nicht, daß etwas entdeckt oder geargwöhnt wurde, bevor wir die Anker lichteten, aber sicher bin ich dessen nicht. Daß ein Mensch, der im Schlafe chloroformiert worden war, hinterher keine verräterische Nachwirkung verspürt oder keinen verdächtigen Geruch wahrgenommen haben sollte, ist schwer zu glauben. Aber trotzdem erschien H. mit der Mütze über den Augen und hochaufgedrehtem Schnurrbart, als ob ihm nichts zugestoßen sei. Um zehn Uhr waren wir in Genua fertig, der letzte italienische Zollbeamte hatte unser Deck verlassen, der letzte Obstverkäufer war mit Eimern voll Wasser vertrieben worden und ruderte fluchend in seinem Boot von dannen, und der letzte Reisende war an Bord gekommen, ein umständlicher Graubart, der das große Schiff warten ließ, während er mit seinem Bootsmann um eine halbe Lira feilschte. Aber endlich setzten wir uns in Bewegung, der kleine Schleppdampfer wurde entlassen und wir passierten den Leuchtturm, während Raffles und ich unser Spiegelbild in dem blaugrünen, flüssigen, geaderten Marmor betrachteten, der die Seiten des Schiffes wieder bespülte.

Herr von H. war bei Miß Werner wieder an der Reihe, denn es gehörte zu unserm Plane, daß er den ganzen Tag bei ihr bleiben sollte, damit die unvermeidliche Stunde so weit als möglich hinausgeschoben werde, und obgleich die junge Dame gelangweilt aussah und unaufhörlich nach uns hinschielte, schien der deutsche Offizier doch gewillt, seine Gelegenheit gründlich auszunützen. Aber Raffles war verstimmt und beunruhigt, so daß er gar nicht das Aussehen eines Mannes hatte, dem eben ein großartiges Unternehmen geglückt ist, und ich konnte mir das nur dadurch erklären, daß ich annahm, die bevorstehende Trennung in Neapel bedrücke sein Gemüt. Auch sprechen wollte er nicht mit mir, aber ebensowenig mich gehen lassen.

»Bleib, wo du bist, Bunny. Ich muß dir einige Mitteilungen machen. Kannst du schwimmen?«

»Ein wenig.«

»Zehn Meilen?«

»Zehn?« antwortete ich, laut auflachend. »Noch nicht eine. Aber warum fragst du?«

»Wir werden während des größten Teils des Tages nicht weiter als zehn Meilen von der Küste sein.«

»Was in aller Welt willst du denn damit sagen?«

»O nichts, aber ich werde es mit dem Schwimmen versuchen, wenn das Schlimmste zum Schlimmen kommt. Unter Wasser kannst du wohl gar nicht schwimmen?«

Diese Frage ließ ich unbeantwortet; ich hörte sie kaum, aber kalter Schweiß brach mir aus allen Poren.

»Warum soll denn das Schlimmste zum Schlimmen kommen?« flüsterte ich. »Wir sind doch nicht ertappt, wie?«

»Nein!«

»Warum redest du denn so, als ob wir's seien?«

»Weil wir vielleicht ertappt werden; ein alter Feind von uns ist an Bord.«

»Ein alter Feind?«

»Mackenzie!«

»Was?«

»Der Mann mit dem Bart, der zuletzt an Bord kam.«

»Bist du deiner Sache sicher?«

»Vollkommen sicher! Es war mir unbegreiflich, daß du ihn nicht auch erkanntest.«

Jetzt mußte ich mir sagen, daß mir die Haltung des alten Herrn einigermaßen bekannt und etwas zu jugendlich für sein scheinbares Alter vorgekommen war, und als ich mir seinen Bart im Lichte dieser fürchterlichen Enthüllung wieder vorstellte, erschien er mir unecht. Ich schaute mich auf dem Verdeck um, aber der alte Mann war nicht zu erblicken.

»Das ist ja gerade das Schlimmste,« sagte Raffles. »Ich sah ihn schon vor zwanzig Minuten in die Kajüte des Kapitäns gehen.«

»Aber was mag ihn hierhergeführt haben?« rief ich kläglich. »Könnte es nicht ein zufälliges Zusammentreffen sein – daß er hinter andern her wäre?«

»Diesmal schwerlich,« antwortete Raffles kopfschüttelnd.

»Du glaubst also, daß er hinter dir her sei?«

»Das fürchte ich schon seit ein paar Wochen.«

»Und doch stehst du hier?«

»Was soll ich denn tun? Schwimmen möchte ich nicht eher, als bis es unbedingt nötig ist, aber ich fange an, zu wünschen, ich hätte deinen Rat befolgt, Bunny, und das Schiff in Genua verlassen, obgleich ich nicht im geringsten bezweifelte, daß der Fuchs Hafen und Bahnhof bis zum letzten Augenblick scharf bewacht hat. Das ist auch der Grund, weshalb er das Schiff nur mit knapper Not noch erreichte.«

Dabei nahm er sich eine Zigarette und bot mir die Dose an, aber ich schüttelte ärgerlich den Kopf.

»Ich verstehe es noch immer nicht,« sagte ich. »Warum sollte er hinter dir her sein? Wegen eines Kleinods, das, soweit er wußte, vollkommen in Sicherheit war, kann er doch diese weite Reise nicht gemacht haben. Wie erklärst du dir die Sache?«

»Einfach so, daß er mir schon seit längerer Zeit auf der Spur ist, wahrscheinlich seit ihm im vorigen November Freund Crawshay durch die Finger geschlüpft ist. Auch an andern Anzeichen fehlt es nicht, so daß mir dieses in Wahrheit nicht unerwartet kommt. Allein es kann sich möglicherweise lediglich um Verdacht handeln. Ich werde darauf bestehen, daß er mir irgend etwas beweist und daß er die Perle bei mir findet! Wie ich mir die Sache erkläre, Bunny? Ich weiß so genau, wie er hierhergekommen ist, als ob ich selbst in seiner schottischen Haut steckte, und ich weiß auch, was er zunächst tun wird. Er hat ermittelt, daß ich ins Ausland gereist war, und hat sich nach einem Beweggrund umgesehen. Sodann hat er etwas von Herrn von H. und seiner Sendung gehört, und da hatte er seinen Beweggrund fix und fertig. Ein riesiger Dusel, mich bei einem frischen Unternehmen abzufassen. Aber es wird ihm nicht gelingen, Bunny, er wird das ganze Schiff und uns alle durchsuchen, wenn der Verlust bekannt wird, aber er wird nichts finden. Da winkt der Kapitän den Knirps in seine Kajüte; jetzt wird gleich die Butter im Feuer liegen.«

Aber es gab keine Aufregung, keine Unruhe, keine Durchsuchung der Reisenden: kein Flüstern über das, was vorgefallen war, ging von Mund zu Mund. Statt allgemeiner Erregung herrschte ein schwüler Friede, und ich sah deutlich, daß Raffles durch diese Nichterfüllung seiner Voraussage im höchsten Grade beunruhigt war. In dem Schweigen nach einem solchen Verlust lag etwas Unheimliches, Drohendes, und dieses Schweigen dauerte stundenlang, während dessen Mackenzie nicht wieder zum Vorschein kam. Aber zur Frühstückszeit hatte er sein Versteck verlassen – er war in unsrer Kabine gewesen! Ich hatte mein Buch auf Raffles' Bett liegen lassen, und als ich es mir nach dem Frühstück holte, berührte ich die Decke. Sie war warm, als ob vor kurzem Fleisch und Blut darauf geruht hätten. Instinktiv sprang ich nach dem Ventilator, öffnete ihn und sah, daß der gegenüberliegende rasch zugeklappt wurde.

»Alles in Ordnung,« sagte Raffles, den ich ausgesucht hatte. »Er mag die Perle finden, wenn er kann.«

»Hast du sie über Bord geworfen?«

»Das ist eine Frage, die zu beantworten ich mich nicht herablassen werde.«

Bei diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um, und später sah ich wiederholt, wie er seinen letzten Nachmittag mit der unvermeidlichen Miß Werner nach Kräften auszunutzen bemüht war. Ich entsinne mich, daß sie in einem einfachen braunen Kattunkleid, das ihren Teint sehr hübsch hervorhob und das sehr geschmackvoll mit Rot ausgeputzt war, sehr adrett aussah. An diesem Nachmittag bewunderte ich sie wirklich, denn ihre Augen waren in der Tat schön, ebenso ihre weißen Zähne, und sie hatte vorher niemals in gleichem Grade Wohlgefallen erregt. Wieder und wieder ging ich an ihnen vorbei, weil ich Raffles sagen wollte, ich wisse, daß Gefahr im Anzuge sei, aber er schenkte mir keinen Blick, so daß ich es schließlich aufgab. Erst in der Kajüte des Kapitäns sah ich ihn wieder.

Ihn hatten sie zuerst dorthin gerufen. Lächelnd war er dem Rufe gefolgt und lächelnd fand ich ihn, als auch ich herbeigeholt wurde. Die Kajüte war geräumig, wie sich das für eine Kapitänskajüte schickt. Mackenzie saß auf dem Sofa, sein falscher Bart lag vor ihm auf dem glänzend polierten Mahagonitisch, aber der Kapitän hatte einen Revolver vor sich liegen, und als ich eintrat, schloß der erste Offizier, der mich gerufen harte, die Tür und stellte sich mit dem Rücken dagegen. Der schnurrbartdrehende Herr von H. machte die Gesellschaft vollständig.

Raffles begrüßte mich.

»Der Spaß ist wirklich zu gut!« rief er. »Du entsinnst dich doch der Perle, von der du so begeistert warst, Bunny, des Geschenks eines Monarchen, der Perle, für die kein Preis hoch genug ist? Wie es scheint, war sie unserm kleinen Freund hier anvertraut worden. Er sollte sie dem Empfänger bringen, und der arme kleine Kerl hat sie verloren. Wir sind Engländer, ergo haben wir sie genommen.«

»Aber ich weiß, daß Sie sie haben,« warf Mackenzie ein, seinem Barte zunickend.

»Diese loyale und patriotische Stimme wirst du wohl kennen,« sagte Raffles. »Mann, das ist unser alter Freund Mackenzie von Scotland Yard,« schloß er, Mackenzies Sprechweise ausgezeichnet nachahmend.

»Genug!« rief der Kapitän. »Wollen Sie sich freiwillig einer Durchsuchung unterwerfen, oder soll ich Gewalt anwenden?«

»Tun Sie, was Ihnen beliebt,« erwiderte Raffles, »aber es wird Ihnen nichts schaden, wenn Sie uns zunächst gestatten, uns auszusprechen. Sie klagen uns an, wir seien heute in den ersten Morgenstunden in Hauptmann von H.s Kabine eingebrochen und hätten diese verwünschte Perle daraus entwendet. Ich kann Ihnen aber beweisen, daß ich die ganze Nacht in meiner Koje gewesen bin, und ich zweifle nicht daran, daß mein Freund das ebenfalls beweisen kann.«

»Ganz entschieden kann ich das,« antwortete ich entrüstet. »Das können die Schiffsjungen bezeugen!«

Mackenzie lachte und betrachtete kopfschüttelnd sein Spiegelbild in der glänzenden Mahagonitischplatte.

»Sehr fein ausgedacht,« sagte er, »und es würde Ihnen wahrscheinlich durchgeholfen haben, wenn ich nicht an Bord gekommen wäre. Allein ich habe mir eben die Ventilatoren etwas näher angesehen, und ich glaube zu wissen, wie Sie die Sache angestellt haben. Jedenfalls, Herr Kapitän, kommt gar nichts darauf an, und ich will diesen Bürschchen rasch ein paar Armbänder anlegen ...«

»Mit welchem Recht?« rief Raffles laut und bestimmt, und nie habe ich sein Gesicht in solchem Feuer gesehen. »Durchsuchen Sie uns, wenn Sie wollen, durchsuchen Sie alles, was wir besitzen, aber unterstehen Sie sich ja nicht, uns ohne Haftbefehl auch nur mit einem Finger anzurühren!«

»Das würde ich auch nicht wagen,« entgegnete Mackenzie ernst, indem er in seiner Brusttasche zu suchen begann, aber auch Raffles griff in die seine. »Haltet ihn fest!« schrie der Schotte, und der große Revolver, der uns so manche Nacht begleitet, den ich aber noch nie hatte knallen hören, fiel klirrend auf den Tisch und wurde vom Kapitän in Beschlag genommen.

»Gut,« sagte Raffles wütend zum ersten Offizier, »Sie können mich jetzt loslassen; ich werde es nicht noch einmal versuchen. Aber, Mackenzie, zeigen Sie mal Ihren Haftbefehl.«

»Wollen Sie ihn auch nicht zerreißen?«

»Was könnte mir das helfen? Lassen Sie mal sehen,« fuhr Raffles gebieterisch fort, worauf der Detektiv gehorchte. Mit gerunzelter Stirn las Raffles das Schriftstück durch, allein die harten Linien, die sich um seinen Mund gelegt hatten, verschwanden wieder, als er das Papier lächelnd und achselzuckend zurückgab.

»Genügt Ihnen das?« fragte Mackenzie.

»Wohl möglich. Ich gratuliere Ihnen, Mackenzie, Sie haben sich jedenfalls für gute Karten gesorgt. Zwei Einbrüche und Lady Melroses Halsband, Bunny!« sagte er, indem er sich mit einem traurigen Lächeln mir zuwandte.

»Und alles leicht zu beweisen,« entgegnete der Schotte, während er den Haftbefehl wieder in die Tasche steckte. »Auch für Sie habe ich ein solches Papierchen,« fuhr er, mir zunickend, fort, »nur nicht ganz so lang.«

»Unerhört!« fiel hier der Kapitän in vorwurfsvollem Tone ein. »Mein Schiff zu einer Räuberhöhle zu machen! Eine höchst peinliche Geschichte! Ich werde Sie wohl in Eisen legen müssen, bis wir nach Neapel kommen.«

»Nein, nein,« rief Raffles. »Mackenzie, sprechen Sie mit ihm! Lassen Sie Ihre Landsleute nicht vor aller Welt bloßstellen. Herr Kapitän, Flucht ist ja unmöglich; Sie können die Sache doch wohl für eine Nacht verheimlichen. Sehen Sie da, Hier ist alles, was ich in den Taschen trage. Leere auch die deinen, Bunny! Und Sie mögen uns nackt ausziehen, wenn Sie glauben, wir hätten noch irgendwo Waffen versteckt. Ich bitte nur um eins: lassen Sie uns ohne Fesseln von hier abführen!«

»Waffen mögen Sie nicht mehr haben,« antwortete der Kapitän. »Aber wie steht's denn mit der Perle, die Sie gestohlen haben?«

»Die will ich Ihnen auch geben!« rief Raffles. »Sie sollen sie sofort haben, wenn Sie mir versprechen, daß uns an Bord keine öffentliche Beschimpfung widerfährt.«

»Dafür werde ich sorgen,« sagte Mackenzie, »solange Sie fügsam bleiben. Also wo ist sie?«

»Auf dem Tische vor Ihrer Nase.«

Wie die aller andern Anwesenden, richteten sich auch meine Augen auf den Tisch, aber nur der Inhalt unsrer Taschen – Uhren, Taschenbücher, Bleistifte, Messer, Zigarettendosen – lag außer den schon erwähnten Revolvern auf der glänzenden Platte.

»Sie wollen sich wohl über uns lustig machen?« fragte Mackenzie. »Wozu das?«

»Fällt mir gar nicht ein,« antwortete Raffles lachend. »Ich stelle Sie nur auf die Probe; das kann doch nichts schaden?«

»Spaß beiseite; ist sie hier?«

»Auf dem Tische, so wahr ein Gott lebt!«

Mackenzie öffnete die Zigarettendosen und untersuchte jede einzelne Zigarette, worauf Raffles um die Erlaubnis bat, eine zu rauchen, und als dieser Brite willfahrt worden war, erklärte er, die Perle liege schon länger auf dem Tisch, als die Zigaretten. Sofort ergriff Mackenzie den Revolver und öffnete das kleine Behältnis im Kolben.

»Nicht da, nicht da,« sagte Raffles, »aber Sie werden warm. Versuchen Sie es einmal mit den Patronen.«

Mackenzie entlud die Kammern und schüttelte jede einzelne Patrone vor dem Ohre, jedoch ohne Erfolg.

»Ach, geben Sie sie einmal mir!«

In einem Augenblick hatte Raffles die richtige gefunden und das Geschoß mit den Zähnen herausgezogen, worauf er die Perle mit einem theatralischen Schwunge mitten auf den Tisch legte.

»Nunmehr werden Sie mir vielleicht so viel Rücksicht widerfahren lassen, als in Ihrer Macht liegt, Herr Kapitän! Ich bin ein Schurke gewesen, wie Sie sehen, und als solcher bin ich willens und bereit, die ganze Nacht in Eisen zu liegen, wenn Sie das im Interesse der Sicherheit des Schiffes für erforderlich halten. Nur um eine Vergünstigung bitte ich noch.«

»Das kommt darauf an, was für eine Vergünstigung Sie verlangen.«

»Herr Kapitän, ich habe an Bord Ihres Schiffes etwas Schlimmeres begangen, als Sie alle ahnen. Ich habe mich verlobt und bitte um die Erlaubnis, Abschied zu nehmen.«

Unser aller Überraschung war gleich groß, aber der einzige, der ihr Ausdruck lieh, war Herr von H., dessen entrüsteter deutscher Fluch beinahe sein erster Beitrag zur Unterhaltung war. Er ließ ihm sofort einen entschiedenen Einspruch gegen das erbetene Abschiednehmen folgen, drang aber damit nicht durch, und der eigensinnige Gefangene hatte seinen Willen. Es wurde ihm eine fünf Minuten lange Unterredung mit der jungen Dame zugestanden, während deren der Kapitän und Mackenzie mit auf den Rücken gehaltenen Revolvern in der Nähe, aber nicht in Hörweite stehen bleiben wollten. Als wir alle zusammen die Kajüte verließen, beugte sich Raffles zu mir herab und ergriff meine Hand.

»So habe ich dich also zu guter Letzt doch noch ins Unglück gebracht, Bunny! Wenn du wüßtest, wie leid mir das tut ... aber du wirst mit einer leichten Strafe davonkommen; ja, ich sehe nicht ein, warum du überhaupt gestraft werden solltest. Kannst du mir verzeihen? Vielleicht trennen wir uns in diesem Augenblick auf Jahre, vielleicht auf ewig! Du bist mir stets ein treuer Gefährte gewesen, wenn Not an Mann ging, und vielleicht bedauerst du nicht, dich daran zu erinnern, daß du mir das bis zum letzten Augenblick gewesen bist.«

In seinen Augen lag ein Ausdruck, den ich verstand; ich biß die Zähne aufeinander, und meine Nerven waren bis zum Äußersten angespannt, als ich die kräftige und geschickte Hand zum letztenmal im Leben drückte.

Wie lebhaft steht mir dieser Auftritt vor Augen, und wie lebendig werde ich ihn bis zu meinem Tode vor mir sehen! Jede Einzelheit, jeder Schatten auf dem sonnigen Deck ist mir gegenwärtig! Wir befanden uns zwischen den Inseln, die den Kurs von Genua nach Neapel umsäumen. Dort über Steuerbordachtern jener Purpurfleck, hinter dem die Sonne bald versinken sollte, das war Elba. Die Kapitänskajüte öffnete sich nach Steuerbord, und an dieser Seite war das im Sonnenschein gebadete und von Schatten durchzogene Promenadedeck verlassen, bis auf die Gruppe, zu der ich gehörte, und die bleiche, schlanke, braune Gestalt, die in einiger Entfernung bei Raffles stand. Verlobt? Ich konnte es nicht glauben, und kann es noch heute nicht. Und doch standen sie dort beisammen, aber wir hörten kein Wort. Scharf zeichneten sich die Umrisse ihrer Gestalten an dem sonnendurchglühten Himmel und dem blendenden Streifen des glitzernden Meeres ab, der sich von Elba bis an die Seite der »Sachsen« zog, und ihre Schatten reichten beinahe bis vor unsre Füße.

Plötzlich – ein Augenblick – und die Tat war vollbracht – eine Tat, von der ich nie gewußt habe, ob ich sie bewundern oder verabscheuen sollte. Raffles schloß Miß Werner in die Arme, küßte sie vor unser aller Augen – und dann stieß er sie von sich, so daß sie fast hinfiel. Das war die Tat, die die folgende verkündigte. Der erste Offizier sprang aus ihn zu und ich tat dasselbe hinter dem ersten Offizier her.

Raffles stand auf der Brüstung, aber nur einen Augenblick.

»Halt ihn, Bunny,« rief er, »halt in fest!«

Während ich diesen letzten Befehl mit aller Kraft ausführte, ohne einem andern Gedanken Raum zu geben, als daß er es verlangt hatte, sah ich, wie seine Hände in die Luft flogen, sein Kopf sich vornüberneigte und sein geschmeidiger, schlanker Leib so gedrungen und scharf durch die Sonnenstrahlen schoß, als ob er zum Vergnügen aus einem Taucherboote spränge.

* * *

Von dem, was darauf an Deck vorging, kann ich nichts erzählen, denn ich war nicht dabei; ebensowenig kann den Leser meine schließliche Bestrafung, meine lange Gefangenschaft und meine ewige Schande weiter interessieren, als insofern, daß meine Taten endlich ihren verdienten Lohn fanden. Aber eins muß ich noch aufzeichnen, mag es glauben, wer da kann, und dann bin ich fertig.

Man hatte mich sofort in einer Kabine zweiter Klasse in Eisen gelegt und die Tür hinter mir geschlossen, als ob ich ein zweiter Raffles sei. Inzwischen war ein Boot zu Wasser gelassen und die See vergeblich nach allen Richtungen abgesucht worden, aber entweder muß die untergehende, über die Wogen blitzende Sonne alle Augen geblendet haben, oder die meinen waren das Opfer einer seltsamen Täuschung.

Denn als das Boot zurück war, die Schraube wieder rauschte, schaute der Gefangene durch das kleine Fensterchen über die Wellen, die sich, wie er glaubte, eben über dem Kopfe seines Gefährten geschlossen hatten. Plötzlich versank das Tagesgestirn hinter der Insel Elba, die vom tanzenden Sonnenlicht gezeichnete Straße erlosch augenblicklich und verschwand in der pfadlosen Wasserwüste. Täuschten mich meine Augen, oder war es Wahrheit, was ich sah? Dort, im Mittelgrunde, schon Meilen hinter unserm Stern, hüpfte ein schwarzer Punkt auf der grauen Fläche. Das Horn hatte zum Diner gerufen, und es war wohl möglich, daß alle andern außer mir ihre Augen nicht mehr anstrengten. Jetzt verlor ich das, was ich gesehen hatte, dann erschien es wieder, um abermals zu versinken, und schließlich gab ich es auf. Aber dann und wann erhob es sich, ein tanzendes Staubkörnchen in der unklaren grauen Ferne, und kam dem purpurnen Eiland, das dort unter dem bleichen, mit mattem Gold und kirschrot gestreiften westlichen Himmel lag, immer näher. Und die Nacht sank herab bevor ich wußte, ob es ein Menschenkopf war oder nicht.

 

Ende.


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