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Erstes Kapitel. Die Iden des März

Es war eine halbe Stunde nach Mitternacht, als ich in den Albanyklub, die letzte Zufluchtsstätte, die mir meine Verzweiflung eingab, zurückkehrte. Der Schauplatz meines Verderbens war noch ziemlich in demselben Zustand, worin ich ihn verlassen hatte. Baccaratmarken lagen auf dem Tisch verstreut, und leere Gläser standen neben überfüllten Aschenschalen. Ein Fenster war geöffnet worden, um den Rauch abziehen zu lassen, aber dafür ließ es den Nebel herein. Raffles selbst hatte sich nur seines Fracks entledigt und statt dessen einen seiner unzähligen Hausröcke angezogen, und doch runzelte er die Stirn, als ob ich ihn aus dem Bette gerissen hätte.

»Etwas vergessen?« fragte er, als er mich erblickte.

»Nein,« antwortete ich, mich ohne Umstände an ihm vorbeidrängend und ihm mit einer Ungeniertheit in sein Zimmer vorausgehend, die mich selbst in Erstaunen setzte.

»Sie sind doch nicht etwa gekommen, um Revanche zu fordern? Denn die würde ich Ihnen beim besten Willen allein nicht geben können. Es tat mir selbst leid, daß die andern ...«

Wir standen uns an seinem Kamin gegenüber, als ich ihm ins Wort fiel.

»Raffles,« sagte ich, »Ihre Überraschung, daß ich so um diese Stunde zu Ihnen zurückkehre, begreife ich. Ich kenne Sie ja kaum und habe Ihr Zimmer bis heute abend noch nie betreten. Aber ich war Ihr Leibfuchs in der Schule, und Sie sagten, Sie erinnerten sich meiner. Das ist natürlich keine Entschuldigung; aber wollen Sie mich anhören – nur zwei Minuten?«

»Gewiß, mein Lieber, solange Sie wollen. Zünden Sie sich eine Sullivan an und nehmen Sie Platz,« entgegnete er, indem er mir seine silberne Zigarettendose anbot.

»Nein,« erwiderte ich kopfschüttelnd und mit fester Stimme, »ich werde weder rauchen noch Platz nehmen, und wenn Sie gehört haben, was ich Ihnen zu sagen habe, werden Sie Ihre Einladung schwerlich wiederholen.«

»Wirklich?« antwortete er, während er sich eine Zigarette anzündete und seine klaren blauen Augen auf mich richtete. »Wie können Sie das wissen?«

»Weil Sie mir natürlich die Tür weisen werden,« rief ich bitter, »und Sie würden vollkommen recht haben, wenn Sie das täten. Aber was kann es nützen, auf den Busch zu klopfen? Sie wissen, daß ich vorhin zweihundert Pfund verloren habe.«

Er nickte.

»Und daß ich nicht so viel Geld bei mir hatte.«

»Ja, ich entsinne mich.«

»Aber ich hatte mein Scheckbuch und schrieb für jeden von euch einen Scheck dort an jenem Pulte.«

»Nun?«

»Keiner davon ist das Papier wert, worauf er geschrieben ist, Raffles. Ich habe mein Guthaben bei der Bank überschritten.«

»Doch gewiß nur für den Augenblick?«

»Nein, es ist alles fort.«

»Aber irgend jemand hat mir doch gesagt, Sie seien in ganz guten Verhältnissen und hätten geerbt.«

»Das habe ich auch – vor drei Jahren – das war eben mein Fluch, und nun ist alles hin – bis auf den letzten Heller! Ja, ich bin ein Narr gewesen, wie es keinen zweiten auf der Welt gibt oder geben wird ... Genügt Ihnen das noch nicht? Warum werfen Sie mich denn nicht hinaus?«

Statt das zu tun, ging er mit sehr langem Gesicht auf und ab.

»Können denn Ihre Verwandten nichts für Sie tun?« fragte er endlich.

»Gott sei Dank!« rief ich, »Verwandte habe ich nicht. Ich war meiner Eltern einziges Kind und habe alles geerbt. Mein einziger Trost ist, daß sie dies nicht mehr erlebt haben und niemals erfahren werden.«

Bei diesen Worten warf ich mich auf einen Stuhl und verbarg mein Gesicht, während Raffles fortfuhr, auf dem reichen Teppich, der mit der ganzen Ausstattung seines Zimmers in Einklang stand, auf und ab zu gehen, ohne daß sich die Gleichmäßigkeit seiner leisen Schritte geändert hätte.

»Sie haben sich doch früher mit Literatur befaßt,« sagte er endlich. »Haben Sie nicht vor Ihrem Abgang das Schulmagazin herausgegeben? Jedenfalls entsinne ich mich, daß Sie mir als Fuchs meine Verse machen mußten, und diese Art von Literatur ist ja heutigestags in der Mode. Jeder Dummkopf kann sich sein Brot damit verdienen.«

»Kein Dummkopf könnte mir meine Schulden vom Halse schreiben,« antwortete ich kopfschüttelnd.

»Sie haben aber doch irgend eine Wohnung?« fuhr er fort.

»Ja, in Mount Street.«

»Wie steht's denn mit den Möbeln?«

In meinem Elend mußte ich laut auflachen.

»Nicht ein Fußbänkchen darunter, woran nicht schon seit Monaten die Pfändungsmarke des Gerichtsvollziehers klebte!«

Als er diese Worte hörte, blieb Raffles mit emporgezogenen Augenbrauen und einem strengen Blick stehen, dem ich jetzt, wo er das Schlimmste wußte, besser begegnen konnte. Dann nahm er achselzuckend seine Wanderung wieder auf, und einige Augenblicke sprach keiner von uns ein Wort, allein in seinem schönen, starren Antlitz las ich mein Schicksal und mein Todesurteil. Mit jedem Atemzuge verwünschte ich meine Torheit und daß ich so feige gewesen war, mich überhaupt an ihn zu wenden. Weil er in der Schule als Kapitän der Cricketspieler freundlich gegen mich und ich sein Leibfuchs gewesen war, hatte ich es gewagt, auch jetzt noch auf seine Güte zu zählen; weil ich zu Grunde gerichtet und er reich genug war, den ganzen Sommer Cricket zu spielen und während des Restes des Jahres nichts zu tun, hatte ich törichterweise auf seine Nachsicht, seine Teilnahme und seine Hilfe gerechnet! Ja, ich hatte mich im Herzen trotz meiner äußerlichen Schüchternheit und Demut auf ihn verlassen, und nun geschah mir ganz recht. In seinen aufgeblähten Nüstern, der starren Kinnlade, den kalten blauen Augen, die niemals nach mir hinsahen, kam ebensowenig Milde als Teilnahme zum Ausdruck. Ich griff nach meinem Hute, erhob mich schwankend und würde ohne ein weiteres Wort gegangen sein, wenn nicht Raffles zwischen mir und der Tür gestanden hätte.

»Wo wollen Sie hin?« fragte er.

»Das ist meine Sache,« erwiderte ich. »Wollen Sie mich vorbeilassen?«

»Nicht eher, als bis Sie mir gesagt haben, wohin Sie gehen und was Sie vorhaben.«

»Können Sie das nicht erraten?« rief ich, und dann blieben wir lange einander gegenüber stehen und sahen uns in die Augen.

»Haben Sie auch den Mut dazu?« fragte er endlich in einem so cynischen Tone, daß sich der Bann, der mich umfangen hielt, löste und der letzte Tropfen meines Blutes zu kochen begann.

»Das will ich Ihnen zeigen,« antwortete ich, indem ich einen Schritt zurücktrat und den Revolver aus der Tasche riß. »Wollen Sie mich vorbeilassen, oder soll ich es hier tun?«

Die Mündung berührte meine Schläfe und der Zeigefinger den Drücker. Wahnsinnig vor Aufregung, wie ich war, zu Grunde gerichtet, entehrt, und jetzt fest entschlossen, meinem elenden, verfehlten Dasein ein Ende zu machen, ist es mir noch heute unbegreiflich, daß ich die Tat nicht auf dem Fleck vollbrachte. Der Wunsch, die verächtliche Befriedigung zu haben, einen andern in meinen Untergang zu verwickeln, verstärkte mit seiner erbärmlichen Stimme die meiner niedrigen Selbstsucht, und noch jetzt überläuft mich ein Schauder bei dem Gedanken, daß mir die Erinnerung an einen Blick der Furcht oder des Schreckens eine hämische Genugtuung gewesen und ich glücklich gestorben sein würde, wenn sich im Angesicht meines Gefährten etwas Derartiges gezeigt hätte. Statt dessen erschien ein Ausdruck in seinen Zügen, der meine Hand lähmte. Weder Furcht noch Schreck lag darin, nur Überraschung, Bewunderung und ein solches Maß befriedigter Erwartung, daß ich meinen Revolver mit einem Fluche wieder in die Tasche steckte.

»Sie Teufel!« zischte ich. »Ich glaube, Sie wollten mich dazu bringen!«

»Da irren Sie sich,« antwortete er, leicht zusammenfahrend und mit einem Farbenwechsel, der nur etwas zu spät kam. »Um Ihnen jedoch die Wahrheit zu sagen, so glaubte ich halb und halb, Sie würden wirklich Ernst machen, und nie im Leben hat mich etwas so sehr angezogen. Daß Sie aus solchem Stoffe gemacht seien, Bunny, hätte ich mir nicht träumen lassen! Nein, ich will gehenkt werden, wenn ich Sie jetzt noch gehen lasse. Versuchen Sie aber den Scherz nicht noch einmal, denn ich würde zum zweiten Male nicht ruhig dabeistehen und zusehen. Wir müssen einen Ausweg aus der Klemme finden, aber geben Sie mir erst einmal Ihren Revolver.«

Bei diesen Worten legte er mir voll Güte eine Hand auf die Schulter, während die andre in meine Tasche glitt und sich, ohne daß ich mich widersetzt hätte, meiner Waffe bemächtigte. Das geschah nicht nur deshalb, weil Raffles, wenn er wollte, die bestrickende Gabe hatte, sich unwiderstehlich zu machen. Nie im Leben bin ich einem Menschen begegnet, der in Hinsicht auf Macht über andre den Vergleich mit ihm hätte aushalten können, aber meine Fügsamkeit entsprang doch noch andern Umständen als der bloßen Unterwerfung der schwächeren Natur unter die stärkere. Die geringe Hoffnung, die mich nach dem Albanyklub geführt hatte, war wie durch einen Zauberschlag in ein beinahe betäubendes Gefühl der Sicherheit verwandelt worden. Raffles wollte mir doch helfen! A. J. Raffles wollte mein Freund sein! Es war, als ob sich plötzlich die ganze Welt auf meine Seite gestellt habe, und weit entfernt, mich seinem Tun zu widersetzen, ergriff ich seine Hand und drückte sie mit einer Inbrunst, deren ich ebensowenig Herr war. als des vorangegangenen Wahnsinns.

»Gott segne Sie!« rief ich aus. »Verzeihen Sie mir alles, was ich gesagt habe. Ich will Ihnen die Wahrheit bekennen. Ich glaubte wirklich, Sie würden mir in meiner Not helfen, obgleich ich wohl wußte, daß ich keine Ansprüche an Sie hatte. Indessen um der alten Schulzeiten willen dachte ich, Sie würden mir vielleicht noch eine Chance bieten. Wenn nicht, dann wollte ich mir eine Kugel durch das Hirn jagen – und das werde ich auch jetzt noch tun, falls Sie andern Sinnes werden.«

Denn trotz seines gütigen Tones und des noch gütigeren Gebrauches meines alten Schulspitznamens fürchtete ich, daß sich eine solche Sinnesänderung vollziehe, da sein Ausdruck ein andrer wurde, während ich sprach. Seine nächsten Worte bewiesen mir jedoch, daß ich mich geirrt hatte.

»Voreilig mit Ihren Schlußfolgerungen wie ein Knabe! Ich habe meine Fehler, Bunny, aber in meinen Entschlüssen zu schwanken, gehört nicht dazu. Setzen Sie sich, mein Lieber, und zünden Sie sich eine Zigarette an; das beruhigt die Nerven. Ich bestehe darauf. – Whisky? Das Schlimmste, was Sie trinken können. Hier ist Kaffee, den ich gerade braute, als Sie kamen. Nun hören Sie mich an. Sie sprachen von ›noch einer Chance‹. Was meinen Sie damit? Noch eine Chance, Baccarat zu spielen? Mit meiner Zustimmung gewiß nicht. Sie glauben, das Glück müsse sich wenden. Aber nehmen wir einmal an, es wende sich nicht! Dann machten wir eine schlimme Lage nur noch schlimmer. Nein, lieber Freund, Sie haben genug über die Stränge geschlagen. Wollen Sie sich ganz in meine Hand geben, oder nicht? – Gut, dann wird nicht mehr gespielt, und ich verpflichte mich, meinen Scheck nicht einzukassieren. Aber unglücklicherweise haben noch andre Leute welche in Händen, und das Schlimmste ist, Bunny, daß ich im Augenblick ebenso tief darin stecke, als Sie.«

Jetzt kam an mich die Reihe, Raffles anzustarren. »Sie?« stieß ich hervor, »Sie stecken in der Klemme? Wie kann ich das glauben, wenn ich mich hier umsehe?«

»Habe ich Ihnen den Glauben verweigert?« erwiderte er lächelnd. »Und nehmen Sie angesichts Ihrer eigenen Erfahrung an, daß ein Mensch notwendigerweise ein Guthaben bei der Bank haben muß, weil er eine Wohnung in diesem Hause hat, zu ein paar Klubs gehört und ein bißchen Cricket spielt? Ich versichere Ihnen, mein Lieber, daß ich in diesem Augenblick in ebenso großer Geldverlegenheit bin, als Sie es jemals waren. Ich lebe nur von meiner Schlauheit – von weiter nichts. Für mich war es ebenso notwendig, heute abend ein paar Groschen zu gewinnen, als für Sie. Wir segeln in demselben Boot, Bunny; und es wäre ratsam, wenn wir zusammen ruderten.«

»Zusammen?« rief ich, mit beiden Händen zugreifend. »Ich will alles für Sie tun, Raffles, was Sie verlangen können,« sagte ich, »wenn es Ihr Ernst war, daß Sie mich nicht im Stiche lassen wollen. Schlagen Sie mir vor, was Sie wollen – ich werde es tun! Als ich hierher kam, war ich ein Verzweifelter, und das bin ich noch jetzt in demselben Maße. Was ich tue, ist mir einerlei, wenn ich mir nur ohne Skandal aus dieser Klemme helfen kann.«

Noch jetzt sehe ich ihn vor mir, wie er sich auf einem der prächtigen Stühle zurücklehnte, womit sein Zimmer ausgestattet war. Ich sehe seine lässige, athletische Gestalt, seine bleichen, scharfgeschnittenen, glattrasierten Züge, seine lockigen schwarzen Haare, seinen kräftigen, gewissenlosen Mund, und wieder fühle ich, wie der klare Strahl seiner wunderbaren Augen kalt und leuchtend gleich einem Sterne in mein Hirn dringt – und die geheimsten Geheimnisse meines Herzens ergründet.

»Ich möchte wissen, ob das alles Ernst ist,« sagte er endlich. »In Ihrer gegenwärtigen Stimmung gewiß, aber wer kann bis zum letzten Augenblick für seine Stimmung einstehen? Wenn jedoch ein Mensch diesen Ton anschlägt, darf man das Beste hoffen. Darüber fällt mir ein, daß Sie in der Schule ein ganz schneidiges Kerlchen waren und mir einmal einen großen Dienst geleistet haben. Wissen Sie noch, Bunny? Na, warten Sie mal, vielleicht kann ich Ihnen einen noch größeren erweisen. Lassen Sie mir nur Zeit, die Sache zu überlegen.«

Nach diesen Worten erhob er sich, zündete sich eine frische Zigarette an und begann wieder im Zimmer auf und ab zu gehen, aber mit langsameren und bedächtigeren Schritten und viel länger als vorher. Zweimal blieb er an meinem Stuhle stehen, als ob er im Begriffe sei, zu sprechen, allein jedesmal besann er sich anders und nahm seine Wanderung schweigend wieder auf. Einmal riß er das Fenster auf, das er vor einiger Zeit geschlossen hatte, und blieb, sich in den den Hof des Albanyklubs füllenden Nebel hinauslehnend, ein paar Augenblicke daran stehen. Inzwischen schlug eine auf dem Kaminsims stehende Uhr Eins, dann halb Zwei, und noch war kein Wort wieder zwischen uns gewechselt.

Trotzdem blieb ich geduldig auf meinem Stuhle sitzen, ja ich erlangte sogar einen gar nicht zu den Umständen passenden Gleichmut. Unbewußt hatte ich meine Bürde auf die breiten Schultern dieses herrlichen Freundes geladen, und meine Gedanken folgten meinen wandernden Augen, während die Zeit dahinging. Das geräumige Zimmer bildete ein Viereck und trug mit seinen Flügeltüren und dem marmornen Kaminsims den Stempel der dem Albanyklub eigentümlichen, etwas düsteren, altmodischen Vornehmheit. Es war allerliebst ausgestattet und eingerichtet, mit dem richtigen Maß von künstlicher Unregelmäßigkeit und gutem Geschmack. Was mir jedoch am meisten auffiel, das war das Fehlen der gewöhnlichen Merkmale, die meist die Wohnung eines Cricketspielers kennzeichnen. Statt des üblichen Gestells mit stark gebrauchten Schlaghölzern nahm ein wohlgefüllter Bücherschrank von geschnitztem Eichenholz den größeren Teil einer Wand ein, und wo ich Gruppenbilder von Cricketspielern zu finden erwartete, sah ich Darstellungen von »Liebe und Tod« und dergleichen in staubigen Rahmen. Der Bewohner hätte ein Dichterling statt eines Athleten vom reinsten Wasser sein können. Allein in Raffles' komplizierter Natur hatte der Sinn für Ästhetik stets eine hervorragende Rolle gespielt; einige von diesen Bildern hatte ich selbst in seinem Arbeitszimmer in der Schule abgestäubt, und sie erinnerten mich an eine andre Seite seines vielseitigen Wesens – und an den kleinen Vorfall, den er eben angedeutet hatte.

Jedermann weiß, wie sehr der Ton einer Schule von dem der Elf – der Cricketspieler – und ganz besonders vom Charakter des Cricketkapitäns bestimmt wird, und ich habe es niemals bestreiten hören, daß unser Ton zu A. J. Raffles' Zeit gut, oder daß der Einfluß, den auszuüben er sich die Mühe gab, ein günstiger gewesen sei. Trotzdem flüsterte man sich in der Schule zu, er durchstreife die Stadt bei Nacht in einem grellkarierten Anzug und mit einem falschen Barte. Man flüsterte sich das zu, aber man glaubte es nicht. Mir allein war es als Tatsache bekannt, denn Nacht für Nacht hatte ich das Seil hinter ihm in die Höhe gezogen, wenn der Rest des Schlafsaals in tiefem Schlummer lag, und war stundenlang wach geblieben, um es ihm auf ein gegebenes Zeichen wieder hinunterzulassen. Eines Abends war er tollkühn gewesen, so daß er um ein Haar in der Blütezeit seines Ruhmes schmählich aus der Schule gejagt worden wäre. Seine unglaubliche Kühnheit und außerordentliche Kaltblütigkeit, denen zweifellos meine Geistesgegenwart zu Hilfe kam, wandten indes diese unangenehmen Folgen ab, und der wenig ehrenvolle Zwischenfall konnte mit dem Mantel des Schweigens bedeckt werden. Aber ich kann nicht behaupten, daß ich ihn vergessen hätte, als ich mich in meiner Verzweiflung an das Mitleid dieses Mannes klammerte, und ich fragte mich gerade, inwieweit ich seine Nachsicht dem Umstand zu verdanken hätte, daß auch er sich seiner erinnerte, als er stehen blieb und sich wieder über meinen Stuhl neigte.

»Ich dachte eben an die Nacht, wo wir beide um ein Haar abgefaßt worden wären,« begann er. »Warum fahren Sie zusammen?«

»Weil ich in diesem Augenblick auch daran dachte.«

»Sie waren damals ein kleiner Racker von der rechten Sorte, Bunny,« fuhr er lächelnd fort, als ob er meine Gedanken gelesen hätte. »Sie hielten reinen Mund und waren kein Feigling; Sie stellten keine Fragen und schwatzten nicht aus der Schule. Ich möchte wohl wissen, ob Sie jetzt noch ebenso sind.«

»Das weiß ich nicht,« entgegnete ich, durch seinen Ton etwas verblüfft. »Ich habe meine eigenen Angelegenheiten so gründlich verpfuscht, daß ich mir ebensowenig traue, als andre Leute mir trauen werden. Aber trotzdem habe ich nie im Leben einen Freund im Stiche gelassen, das kann ich wohl sagen, sonst wäre ich heute abend vielleicht nicht in einer so verfluchten Klemme.«

»Sehr richtig,« sagte Raffles, vor sich hinnickend, als ob er einen geheimen Gedankengang bestätigt finde, »sehr richtig. So stehen Sie mir auch in der Erinnerung, und ich wette meinen Kopf, daß das heute noch ebenso wahr ist, als vor zehn Jahren. Wir ändern uns nicht, Bunny, wir entwickeln uns nur. Weder Sie noch ich sind wirklich anders geworden als damals, wo Sie mir das Seil herunterließen und ich hinaufkletterte. Für einen Kameraden würden Sie vor nichts zurückschrecken – nicht wahr?«

»Vor nichts in der Welt!« rief ich begeistert aus.

»Selbst nicht vor einem Verbrechen?« fragte Raffles lächelnd.

Nachdenklich zögerte ich; sein Ton war anders geworden, aber ich war sicher, daß er mich nur necken wollte. Und doch schien in seinen Augen so viel Ernst zu liegen, als immer, und ich war nicht in der Stimmung, Vorbehalte zu machen.

»Nein, selbst nicht davor,« erklärte ich. »Sagen Sie mir, um welches Verbrechen es sich handelt, und ich bin der Ihre.«

Einen Augenblick sah er mich erstaunt, dann zweifelnd an und schüttelte mit dem leisen cynischen Lachen, das ihm so eigentümlich war, den Kopf, als ob er die Sache von sich weisen wolle.

»Sie sind ein netter Kerl, Bunny! Ein richtiger verzweifelter Charakter – he! Im einen Augenblick Selbstmord, im nächsten jedes beliebige Verbrechen, das ich vorschlage. Was Ihnen fehlt, mein Junge, ist ein Hemmschuh, und Sie haben wohl daran getan, sich an einen anständigen, die Gesetze achtenden Bürger zu wenden, der einen guten Ruf zu verlieren hat. Aber trotzdem müssen wir das Geld diese Nacht haben – es mag biegen oder brechen.«

»Diese Nacht, Raffles?«

»Je früher, desto besser. Jede Stunde nach zehn Uhr Morgens ist gefährlich. Wenn einer von Ihren Schecks bis zu Ihrer Bank gelangt, wird die Zahlung verweigert, und Sie sind entehrt. Nein, wir müssen uns das Geld diese Nacht verschaffen und morgen vormittag, so bald als möglich, ein neues Konto für Sie eröffnen lassen. Und ich glaube zu wissen, wo wir das Zeug bekommen können.«

»Um zwei Uhr Nachts.«

»Ja.«

»Aber wie – wo – zu dieser Stunde?«

»Bei einem meiner Freunde hier in Bond Street.«

»Das muß ein sehr intimer Freund sein.«

»Intim ist nicht das rechte Wort, aber ich kann bei ihm ein und aus gehen und habe einen eigenen Schlüssel zu seiner Wohnung.«

»Und Sie wollen ihn mitten in der Nacht heraustrommeln?«

»Wenn er zu Bett liegt, ja.«

»Ist es nötig, daß ich Sie begleite?«

»Unbedingt.«

»Dann kann's nichts helfen, aber ich muß gestehen, daß mir der Gedanke sehr wenig gefällt, Raffles.«

»Ziehen Sie die andre Alternative vor?« fragte mein Genosse mit einem höhnischen Grinsen. »Nein, zum Henker, das war unrecht,« rief er reuig in demselben Atemzuge. »Ich begreife Sie sehr wohl, denn ich weiß, daß es eine furchtbare Probe ist; allein daß Sie draußen stehen bleiben, ist ganz unmöglich. – Ich will Ihnen etwas sagen, Sie sollen eine kleine Aufmunterung haben – aber nur eine. Hier ist der Whisky und da ein Siphon. Ich will einen Mantel umnehmen, während Sie sich ein Glas zurechtmachen.«

Das tat ich denn auch, und zwar war ich nicht allzu bescheiden dabei, denn dieser Plan war mir darum nicht weniger widerwärtig, daß ihm, wie es schien, nicht aus dem Wege zu gehen war. Indessen muß ich einräumen, daß er, noch ehe mein Glas leer war, viel von seinem Schrecken verloren hatte. Inzwischen trat Raffles wieder ein. Ein Mantel verhüllte seine bunte Flanelljacke und ein weicher Filzhut war nachlässig auf seinen Lockenkopf gestülpt, den er lächelnd schüttelte, als ich ihm die Flasche reichte.

»Wenn wir wieder hier sind,« sagte er. »Erst die Arbeit und dann das Vergnügen. Sehen Sie wohl, welches Datum wir haben?« fügte er hinzu, indem er ein Blatt von seinem Wandkalender abriß, während ich mein Glas leerte. »Der 15. März. ›Des Märzen Iden, des Märzen Iden!‹ Vergessen Sie das nicht. He, Bunny, mein Junge, die werden Sie nicht vergessen, wie?«

Lachend warf er eine Schaufel Kohlen aufs Feuer, bevor er wie ein sorglicher Hausvater das Gas klein drehte, und so verließen wir das Zimmer, als die Uhr auf dem Kaminsims Zwei schlug.

* * *

Piccadilly lag wie ein mit kaltem weißem Nebel gefüllter, vom verschwommenen Schein der Laternen eingefaßter und mit einer dünnen Schicht klebrigen Schmutzes bedeckter Graben vor uns. Wir begegneten keiner Menschenseele auf dem verlassenen Bürgersteig und wurden von dem Schutzmann, der den Dienst im Stadtviertel hatte, mit einem sehr scharfen Blick beehrt, aber auch durch eine Berührung des Helmes begrüßt, als er meinen Begleiter erkannte.

»Die Polizei kennt mich, wie Sie sehen,« bemerkte Raffles lachend, als wir weitergingen. »Arme Teufel! In einer Nacht wie diese heißt's aufpassen! Für Sie und mich mag ein Nebel eine Unannehmlichkeit sein, Bunny, aber er ist eine wahre Gottesgabe für die Verbrecher, besonders so spät im Jahre. Aber hier sind wir an Ort und Stelle – und ich will mich hängen lassen, wenn der Mensch nicht doch im Bett liegt und schläft!«

Wir waren in Bond Street eingebogen und standen jetzt auf der rechten Seite ein paar Schritte von der Ecke am Randstein des Bürgersteigs. Raffles schaute nach einigen Fenstern auf der andern Seite der Straße empor, Fenster, die durch den Nebel kaum zu erkennen waren, denn nicht der geringste Lichtschimmer hob sie aus ihrer Umgebung hervor. Sie lagen über einem Juwelierladen, wie ich an dem Guckloch in der Tür und dem dahinter brennenden hellen Licht sah, aber der ganze obere Teil nebst der neben dem Laden gelegenen Haustür war so schwarz als der Himmel selbst.

»Wollen wir's nicht für diese Nacht aufgeben?« drängte ich. »Morgen früh haben wir noch Zeit genug.«

»Keineswegs,« entgegnete Raffles. »Ich habe seinen Schlüssel, und wir wollen ihn überraschen. Vorwärts!«

Bei diesen Worten ergriff er mich am rechten Arm, zog mich eilig über die Straße und öffnete die Tür mit seinem Drücker, um sie im nächsten Augenblick rasch, aber geräuschlos hinter uns zu schließen. Nun standen wir zusammen im Dunkeln. Draußen näherten sich gemessene Schritte, die wir schon beim Überschreiten der Straße durch den Nebel gehört hatten. Jetzt, wo sie deutlicher wurden, umklammerten Raffles' Finger meinen Arm fester.

»Vielleicht ist er es selbst,« flüsterte er. »Er ist ein Satan von einem Nachtvogel. Keinen Laut, Bunny! Wir wollen ihn zu Tode erschrecken. – Ah!«

Die taktmäßigen Schritte waren vorübergegangen, ohne anzuhalten. Raffles holte tief Atem, und seine Finger, die meinen Arm so seltsam umspannt hatten, lösten sich.

»Aber trotzdem keinen Laut!« fuhr er in demselben Flüstertone fort. »Wir wollen ihn regelrecht überraschen, wo er auch sein mag. Ziehen Sie Ihre Schuhe aus und folgen Sie mir.«

Der Leser wird sich wundern, daß ich tat, wie mir geheißen wurde, aber er kennt eben A. J. Raffles nicht. Die Hälfte seiner Macht lag in der verbindlichen Art, in der er den Gebieter hinter dem Führer zurücktreten ließ, und es war geradezu unmöglich, einem Manne nicht zu folgen, der mit solchem Feuer führte. Als ich hörte, wie er seine Schuhe abstreifte, tat ich dasselbe und stieg hinter ihm die Treppe empor, noch ehe ich mir klar gemacht hatte, welch ein ungewöhnliches Vorgehen es sei, mitten in der Nacht jemand zu besuchen, von dem man Geld erbitten wollte. Augenscheinlich aber stand Raffles auf außerordentlich vertrautem Fuße mit ihm, und ich konnte gar nicht anders als annehmen, daß solche Schabernacke zwischen ihnen gang und gäbe seien.

So langsam tasteten wir uns die Treppe hinan, daß ich Zeit hatte, mancherlei zu beobachten, bevor wir oben anlangten. Auf der Treppe lag kein Läufer, die ausgespreizten Finger meiner rechten Hand fühlten nichts auf der feuchten Wand, während die meiner linken mir verrieten, daß dicker Staub auf der Handleiste des Geländers lag. Eine unheimliche Empfindung hatte sich meiner bemächtigt, seit wir in dem Hause waren, und diese verstärkte sich mit jeder Stufe, die wir erstiegen. Was für ein Einsiedler war das, den wir in seiner Zelle erschrecken wollten?

Jetzt kamen wir an einen Absatz. Das Geländer wandte sich nach links und abermals nach links. Noch vier Stufen, dann standen wir wieder auf einem neuen, längeren Absatz, und plötzlich flammte ein Streichholz in der schwarzen Finsternis auf. Von seinem Anreiben hatte ich nicht das Geringste gehört. Der Schein war blendend; als sich meine Augen jedoch daran gewöhnt hatten, sah ich Raffles, das Streichholz mit einer Hand hoch haltend und mit der andern beschattend, zwischen kahlen Bretterwänden und den offenen Türen leerer Zimmer stehen.

»Wohin haben Sie mich geführt?« rief ich. »Das Haus ist ja nicht bewohnt.«

»Bst! Warten Sie!« flüsterte er, indem er mir in eins der leeren Zimmer vorausging. Sein Streichholz erlosch, als wir die Schwelle überschritten, und er strich ohne das geringste Geräusch ein andres an. Nun kehrte er mir den Rücken und machte sich mit etwas zu schaffen, das ich nicht sehen konnte; allein als er das zweite Streichholz wegwarf, leuchtete statt dessen ein andres Licht und ein schwacher Ölgeruch machte sich bemerkbar. Ich trat vor, um einen Blick über seine Schulter zu werfen; aber ehe ich das tun konnte, drehte er sich um und ließ den Schein einer winzigen Laterne auf mein Gesicht fallen.

»Was ist das?« stammelte ich mit stockendem Atem. »Was für einen faulen Streich führen Sie im Schilde?«

»Er ist schon gespielt,« antwortete er mit einem ruhigen Lachen.

»Gegen mich?«

»Ich fürchte, ja, Bunny!«

»Es ist also niemand im Hause?«

»Niemand außer uns beiden.«

»Was Sie von einem Freund in Bond Street sagten, der uns das Geld geben würde, war also weiter nichts als Schwindel?«

»Doch nicht ganz. Es ist vollkommen wahr, daß Danby mein Freund ist.«

»Danby?«

»Der Juwelier unten.«

»Was meinen Sie?« flüsterte ich zitternd wie Espenlaub, als die Erkenntnis seiner wahren Absicht in mir empordämmerte. »Werden wir das Geld von dem Juwelier erhalten.«

»Nun, das nicht gerade.«

»Was denn?«

»Geldeswert – aus seinem Laden.«

Weitere Fragen waren überflüssig, denn mir war alles klar, ausgenommen meine eigene Blindheit. Ein Dutzend Anspielungen hatte er gemacht, und ich hatte keine durchschaut. Und nun stand ich in dem leeren Zimmer vor ihm und starrte ihn an, und er stand mit seiner Blendlaterne mir gegenüber und lachte mich aus.

»Ein Einbrecher!« keuchte ich. »Sie – Sie?«

»Ich sagte Ihnen ja, daß ich von meiner Schlauheit lebe.«

»Warum haben Sie mir Ihre Absicht nicht mitgeteilt? Weshalb haben Sie mir nicht getraut? Warum war es nötig, mich zu belügen?« fragte ich, denn trotz meines Abscheus fühlte ich mich empfindlich verletzt.

»Ich wollte es Ihnen eigentlich sagen,« antwortete er, »und war mehr als einmal drauf und dran, es zu tun. Sie entsinnen sich doch, wie ich wegen eines Verbrechens bei Ihnen auf den Busch klopfte, obgleich Sie wahrscheinlich vergessen haben, was Sie darauf antworteten. Ich glaubte auch nicht, daß es Ihr Ernst war, allein ich gedachte Sie auf die Probe zu stellen. Jetzt sehe ich, daß ich recht hatte, aber ich verdenke Ihnen das nicht. Mich allein trifft die Schuld. Machen Sie sich aus dem Staub, mein lieber Junge, so rasch Sie können, und überlassen Sie die Sache mir. Verraten werden Sie mich doch wohl nicht, was Sie auch sonst tun mögen!«

O, seine Schlauheit, seine satanische Schlauheit! Hätte er Drohungen, Zwang und Hohn angewandt, wäre vielleicht alles anders gekommen, aber er stellte es mir anheim, ihn im Stiche zu lassen. Selbst zur Verschwiegenheit suchte er mich nicht zu verpflichten; er traute mir einfach. Meine schwachen, wie meine starken Seiten kannte er ganz genau und mit Meisterhand wußte er sich ihrer zu bedienen.

»Nicht so hitzig,« sagte ich. »Habe ich Sie auf diesen Gedanken gebracht, oder würden Sie es auf jeden Fall getan haben?«

»Nicht auf jeden Fall,« antwortete Raffles. »Den Schlüssel habe ich allerdings seit einigen Tagen, allein als ich heute abend gewann, gedachte ich die Sache aufzugeben, denn, um die Wahrheit zu sagen, es ist ein Unternehmen, zu dessen Ausführung mehr als einer gehört.«

»Das entscheidet die Frage – ich bin der Ihre.«

»Im Ernst?«

»Ja – für diese Nacht.«

»Guter alter Bunny!« murmelte er, mir die Laterne einen Augenblick vors Gesicht haltend. Darauf setzte er mir seinen Plan auseinander, und ich nickte, als ob wir unser ganzes Leben lang Einbrüche miteinander begangen hätten.

»Ich kenne den Laden, denn ich habe ein paar Sachen dort gekauft,« flüsterte er, »und ich kenne auch den oberen Teil des Hauses. Er ist seit einem Monat zu vermieten, und ich habe mir eine Anweisung zur Besichtigung der Wohnung verschafft und einen Abdruck des Schlüssels genommen, ehe ich davon Gebrauch machte. Das einzige, was ich noch nicht weiß, ist, wie man von oben in den Laden gelangt; gegenwärtig besteht keine Verbindung. Vielleicht könnten wir sie von hier aus herstellen, aber ich würde dem Kellergeschoß den Vorzug geben. Wenn Sie einen Augenblick warten wollen, kann ich mich bestimmt aussprechen.«

Bei diesen Worten stellte er die Laterne auf den Fußboden und schlich an eins der Hinterfenster, das er fast geräuschlos öffnete, aber nur um kopfschüttelnd zurückzukehren, nachdem er es mit derselben Vorsicht geschlossen hatte.

»Das war unsre einzige Möglichkeit,« sagte er. »Hinterfenster über Hinterfenster, aber es ist so dunkel, daß man nichts sehen kann, und draußen Licht zu zeigen, dürfen wir nicht wagen. Folgen Sie mir nach dem Kellergeschoß und vergessen Sie nicht, daß wir so wenig Geräusch als möglich machen dürfen, obgleich keine Menschenseele im Hause ist. Da – da – hören Sie wohl?«

Es war derselbe taktmäßige Schritt, den wir vorhin auf den Platten des Bürgersteigs vernommen hatten. Raffles verdunkelte seine Laterne, und wieder blieben wir regungslos stehen, bis der Schritt vorbei war.

»Entweder ein Schutzmann,« murmelte er, »oder ein Privatwächter, den sich diese Juweliere zusammen halten. Der Wächter ist der Mann, den wir beobachten müssen, denn er wird dafür bezahlt, solche Unternehmungen zu verhindern.«

Leise schlichen wir die Treppe hinab, die trotz aller Vorsicht etwas knarrte. Nachdem wir im Flur unsre Schuhe aufgenommen hatten, stiegen wir einige schmale Stufen hinunter, an deren Fuß Raffles seine Laterne öffnete, seine Schuhe wieder anzog und mich aufforderte, dasselbe zu tun, wobei er lauter sprach, als er es sich oben gestattet hatte. Wir waren jetzt ziemlich tief unter dem Niveau der Straße in einem kleinen Raume, der ebenso viele Türen als Wände hatte. Drei von diesen klafften, und wir sahen durch sie in leere Keller, allein die vierte war verschlossen und verriegelt. Durch diese gelangten wir sehr bald auf den Boden eines tiefen viereckigen mit Nebel gefüllten Schachtes.

Eine ähnliche Tür lag in der entgegengesetzten Wand des kleinen Höfchens vor uns. Raffles hielt die Laterne, sie mit seinem Körper beschattend, dicht daran, und dann brachte ein kurzes plötzliches Krachen meinen Herzschlag zum Stocken. Im nächsten Augenblick stand die Tür weit offen, und Raffles winkte mir mit einem Brecheisen.

»Tür Nummer Eins,« flüsterte er. »Der Teufel weiß, wie viele es noch sein mögen, aber mindestens zwei sind mir bekannt. Viel Lärm wird's dabei auch nicht geben, und hier unten hat das weniger zu bedeuten.«

Jetzt standen wir am Fuße einer schmalen Steintreppe, dem genauen Gegenstück derjenigen, welche wir eben herabgekommen waren. Das Höfchen oder der Schacht bildete das Bindeglied zwischen den Wohn- und den Geschäftsräumen; allein diese Treppe führte nicht in einen offenen Gang, sondern wir sahen uns auf der obersten Stufe einer sehr starken Mahagonitür gegenüber.

»Das dachte ich mir,« murmelte Raffles, mir die Laterne reichend und einen Ring mit Dietrichen in die Tasche steckend, nachdem er sie eine Weile am Schlosse versucht hatte. »Hier durchzukommen, wird uns eine Stunde Arbeit kosten.«

Es kostete uns aber nur siebenundvierzig Minuten nach meiner Uhr, oder vielmehr, es kostete Raffles so viel, und nie im Leben habe ich etwas mit mehr Überlegung tun sehen. Meine Teilnahme beschränkte sich darauf, mit der Blendlaterne in der einen und einem kleinen Fläschchen mit Petroleum in der andern Hand dabeizustehen. Raffles hatte ein gesticktes Etui hervorgezogen, das dem Anschein nach für seine Rasiermesser bestimmt, in Wahrheit aber mit den Werkzeugen seines geheimen Handwerks, wozu auch Petroleum gehörte, gefüllt war. Diesem Etui entnahm er einen Zentrumbohrer, der ein Loch von einem Zoll Durchmesser herstellte, und befestigte ihn in einer kleinen, aber sehr starken Bohrwinde. Hierauf entledigte er sich seines Überrocks und seiner bunten Hausjacke, breitete sie sauber auf der obersten Stufe aus, kniete darauf, schlug seine Manschetten zurück und begann seine Arbeit mit dem Bohrer in der Nähe des Schlüssellochs. Um jedoch so wenig als möglich Geräusch zu machen, ölte er den Bohrer, und das wiederholte er unabänderlich jedesmal, wenn er ein neues Loch in Angriff nahm, ja häufig auch noch in der Zwischenzeit.

Als das erste kreisförmige Loch fertig war, steckte Raffles, wie ich bemerkte, einen Zeigefinger hindurch, und als aus dem Kreise allmählich ein langgezogenes, schmales Oval geworden war, schob er die Hand bis zum Daumen hinein, und ich hörte, wie er leise fluchte.

»Das befürchtete ich!«

»Was gibt's denn?«

»Eine eiserne Tür dahinter.«

»Wie in aller Welt sollen wir aber durch die hindurchkommen?« fragte ich erschreckt.

»Wir müssen das Schloß mit dem Dietrich aufsperren. Vielleicht hat sie aber zwei Schlösser. In diesem Falle wird eins oben, das andre unten angebracht sein, und wir müssen zwei frische Löcher machen, da die Tür nach innen schlägt. Sie läßt sich keine zwei Zoll öffnen.«

Angesichts des Umstandes, daß ein Schloß schon unsre Mühe zu Schanden gemacht hatte, muß ich gestehen, daß ich keine große Hoffnung auf das Öffnen mit dem Dietrich setzte, und meine Enttäuschung und Ungeduld würden mir einen seltsamen Seelenzustand offenbart haben, wenn ich mir die Zeit genommen hätte, nachzudenken, denn ich war jetzt unwillkürlich mit einem Eifer bei unserm verbrecherischen Unternehmen, von dem mir im Augenblick nicht das Geringste zum Bewußtsein kam. Die Romantik und Gefahr des ganzen Vorgangs hielten mich mit ihrem Zauber gefangen und versetzten mich in eine Art von Rausch. Mein sittliches Bewußtsein und der Trieb der Selbsterhaltung waren wie gelähmt. Da stand ich und hielt mit einem lebendigeren Interesse, als ich es jemals einer ehrenhaften Beschäftigung entgegengebracht hatte, das Licht und das Fläschchen mit Petroleum, und vor mir kniete Raffles mit seinem wirren schwarzen Haar und demselben entschlossenen, wachsamen, ruhigen Lächeln, womit ich ihn bei so manchem Cricketmatch habe spielen sehen.

Endlich war die Reihe der Löcher fertig, das Schloß herausgebrochen, und ein prachtvoller nackter Arm fuhr bis zur Schulter durch die Öffnung und die Stangen der dahinter befindlichen eisernen Gittertür.

»Falls nur ein einziges Schloß vorhanden ist,« murmelte Raffles, »so ist es in der Mitte. Hurra! Hier ist es! Wenn ich das erst aufgebrochen habe, sind wir durch.«

Bei diesen Worten zog er die Hand zurück, suchte einen Dietrich aus, und wieder fuhr sein Arm bis zur Schulter durch die Öffnung. Uns beiden stockte der Atem, ich hörte den Herzschlag in meiner Brust, das Ticken der Uhr in meiner Tasche und dann und wann das leise Knirschen des Dietrichs. Da – endlich – erfolgte ein unverkennbares Knacken; im nächsten Augenblick gähnten Mahagonitür und Gitter hinter uns, und Raffles saß auf einem Kontortisch, sich das Gesicht abwischend, während die Laterne neben ihm einen ruhigen Lichtstreifen aussandte.

Wir waren in einem kahlen, geräumigen Zimmer hinter dem Laden, aber von diesem durch eine eiserne Rolljalousie getrennt, deren Anblick genügte, mein Herz mit Verzweiflung zu erfüllen. Raffles schien jedoch durchaus nicht entmutigt zu sein, sondern hing ganz gelassen Hut und Mantel an die Wand, ehe er sich mit seiner Laterne an die Untersuchung des eisernen Rollladens machte.

»Das ist gar nichts,« sagte er nach einer kurzen Besichtigung. »Der wird uns keinen Augenblick aufhalten, aber dahinter ist eine Tür, die uns vielleicht einigen Schweiß kosten wird.«

»Noch eine Tür!« stöhnte ich. »Wie wollen Sie dann aber mit diesem Ding da fertig werden?«

»Ich werde sie mit dem Gelenkbrecheisen in die Höhe heben. Die schwache Seite dieser eisernen Rollläden ist die, daß sie der Hebelkraft unten einen guten Angriffspunkt bieten. Aber ohne Lärm geht es nicht ab, und nun kommt Ihre Aufgabe, Bunny, denn damit kann ich nicht ohne Sie zu stande kommen. Sie müssen oben Schmiere stehen und klopfen, wenn die Luft rein ist. Ich will Ihnen hinaufleuchten.«

Wie wenig mir die Aussicht auf meine einsame Wache gefiel, kann man sich vorstellen, und doch lag etwas ungemein Prickelndes in der gewaltigen Verantwortlichkeit, die damit verbunden war. Bis jetzt war ich nur ein einfacher Zuschauer gewesen; nun sollte ich tätigen Anteil an dem Spiele nehmen, und die neue Aufregung stumpfte mich vollends ab gegen die Sprache meines Gewissens und die Rücksicht auf meine Sicherheit.

So bezog ich denn ohne Murren meinen Posten im Vorderzimmer über dem Laden. Manche Zubehörstücke waren zur Verfügung des zukünftigen Mieters in der Wohnung geblieben, und dazu gehörten zu unserm Glück auch Jalousieen, die schon herabgelassen waren. Zwischen deren Latten hindurch die Straße zu beobachten, zweimal mit dem Fuße anzuklopfen, wenn sich jemand näherte, und einmal, wenn wieder alles sicher war, das war die einfachste Aufgabe von der Welt. Mit Ausnahme eines einmaligen Krachs ganz im Anfang waren die Geräusche, die bis zu mir drangen, ganz unglaublich schwach, aber auch sie verstummten bei jedem doppelten Aufklopfen meiner Fußspitze. Während der Stunde, die ich an dem Fenster verblieb, ging ein Schutzmann gewiß ein halbes Dutzend Mal unter meinen Augen vorüber, und der Mann, den ich für den Wächter der Juweliere hielt, noch häufiger. Einmal stockte mir freilich der Herzschlag, aber nur einmal. Das war, als der Wächter stehen blieb und durch das Guckloch in den erleuchteten Laden sah. Ich wartete auf den Ton seiner Pfeife – ich war schon auf Galgen oder Gefängnis gefaßt! Allein meine Zeichen waren gewissenhaft befolgt worden, und der Mann ging in ungestörter Gemütsruhe weiter. Endlich erhielt auch ich ein Zeichen und ging beim Lichte angezündeter Streichhölzer erst die breite, dann die schmale Treppe hinab und über das Höfchen in das hinter dem Laden gelegene Zimmer, wo mich Raffles mit ausgestreckter Hand empfing.

»Brav gemacht, mein Junge!« sagte er. »Sie sind ein guter Freund in der Not und sollen Ihren Lohn haben. Für mindestens tausend Pfund stecken in meinen Taschen, und hier ist etwas, das ich in diesem Schranke entdeckt habe, sehr anständiger Portwein und ein paar Zigarren, die für des armen Danby Geschäftsfreunde bestimmt sind. Trinken Sie einen herzhaften Schluck, und nachher können Sie sich eine anzünden. Auch einen Waschraum habe ich gefunden, denn wir müssen uns etwas waschen und in Ordnung bringen, ehe wir gehen; ich bin so schwarz als Ihre Stiefel.«

Der eiserne Rollladen war herabgelassen, aber Raffles bestand darauf, ihn noch einmal so weit in die Höhe zu heben, daß ich durch die Glastür an der andern Seite sehen und das Werk seiner Hände im Laden bewundern konnte. Hier brannten die ganze Nacht über zwei elektrische Lampen, und bei ihrem kalten weißen Schein bemerkte ich zuerst nichts Verdächtiges. Ich übersah den sauberen Raum zwischen einigen mit Silberwaren gefüllten großen Glasschränken, die Raffles nicht angerührt hatte, und dem mit leeren Glaskästen bedeckten Ladentisch. Gerade vor mir war die Ladentür, worin sich das Guckloch als schwarzgrauer runder Fleck abzeichnete. Die auf dem Ladentisch stehenden Glaskästen waren nicht von Raffles geleert worden; ihr Inhalt steckte vielmehr in einem feuerfesten Schrank, allein die Unmöglichkeit, diesen zu erbrechen, war ihm beim ersten Blick klar geworden, ebensowenig hatte er das Silber seiner Beachtung gewürdigt, abgesehen von einer Zigarettendose für mich, die ihm des Mitnehmens wert erschienen war. Seine Tätigkeit hatte sich ausschließlich aufs Schaufenster beschränkt. Dieses war in drei Abteilungen geteilt, die bei Nacht durch abnehmbare eiserne Läden, jeder mit besonderem Schloß, gesichert wurden. Raffles hatte diese Läden ein paar Stunden früher abgenommen, als dies gewöhnlich zu geschehen pflegte, und jetzt schien das elektrische Licht auf die kahle Rückseite der Wellblechjalousie wie auf die Rippen eines leeren Skeletts. Von der einzigen Stelle, die man von dem kleinen Guckloche in der Ladentüre nicht übersehen konnte, waren sämtliche Wertgegenstände verschwunden, überall sonst befand sich alles in dem Zustande, worin es am Abend vorher gelassen worden war, und, abgesehen von einer Reihe von beschädigten Türen hinter dem eisernen Rollladen, einer Flasche Wein und einem Kistchen Zigarren, die von unbefugten Händen berührt worden waren, einem sehr schwarzen Handtuch im Waschraume, hier und da einem halbverbrannten Streichholz und unseren Fingerspuren auf dem staubigen Treppengeländer, ließen wir kein Zeichen unsres Besuches zurück. –

»Ob ich mich schon lange mit diesem Plane beschäftigt habe?« sagte Raffles, als wir beim ersten Morgengrauen wie zwei von einem Balle Heimkehrende durch die Straßen schlenderten. »Nein, Bunny; ich habe nie daran gedacht, bis ich vor etwa einem Monat sah, daß der obere Teil des Hauses leerstand, was mich veranlaßte, einige Kleinigkeiten im Laden zu kaufen und die Ortsgelegenheit auszubaldowern. Darüber fällt mir ein, daß ich die Sachen noch nicht bezahlt habe, aber, bei Gott, das werde ich morgen tun, und wenn das nicht Spitzbubengerechtigkeit ist, so möchte ich wissen, ob es überhaupt welche gibt. Mein erster Besuch zeigte mir, daß etwas zu machen sei, aber bei meinem zweiten überzeugte ich mich, daß es ohne Helfershelfer nicht gehen würde. Deshalb hatte ich den Gedanken eigentlich schon wieder aufgegeben, als Sie mir gerade am rechten Abend und in der rechten Stimmung in den Weg liefen! Aber hier sind wir am Albany! Hoffentlich brennt das Feuer noch, denn – wie Ihnen zu Mute ist, Bunny, weiß ich nicht – ich friere wie ein Schneider.«

Nachdem er eben ein Verbrechen begangen hatte, sehnte sich dieser Mensch nach einem behaglichen Stündchen an seinem Kaminfeuer, wie ein gewöhnlicher Sterblicher! In mir aber tobte eine Flut von Empfindungen, und wenn ich unserm Abenteuer seinen richtigen nüchternen Namen gab, hatte ich das Gefühl, als ob ich mit einem Strome eiskalten Wassers übergossen würde. Raffles war ein Einbrecher, und ich hatte ihm geholfen, ein Verbrechen auszuführen, folglich war auch ich ein Einbrecher. Und doch konnte ich es über mich gewinnen, an seinem Feuer zu stehen, mich zu wärmen und zuzusehen, wie er seine Taschen leerte, als ob wir nichts Außergewöhnliches und Sündhaftes begangen hätten.

Das Blut erstarrte in meinen Adern, mir wurde übel, und alles ging mir wie ein Mühlrad im Kopfe herum. Wie gern hatte ich diesen Schurken gehabt, wie hatte ich ihn bewundert! Jetzt mußte sich jedoch meine Neigung und Bewunderung in Abscheu und Verachtung verwandeln. Ich wartete auf diesen Umschwung meiner Empfindungen, ich sehnte mich danach, ihn im Herzen zu fühlen, aber – ich wartete und sehnte mich vergebens.

So sah ich zu, wie er seine Taschen leerte und wie sich der Tisch mit ihrem funkelnden und glitzernden Inhalt bedeckte: Ringe zu Dutzenden, Diamanten mandelweise, Armbänder, Anhänger, Aigretten, Halsbänder, Perlen, Rubine, Amethyste, Saphire und Diamanten, immer wieder Diamanten, blitzende Lichtstrahlen, die mich blendeten, verwirrten. Als letzten Gegenstand zog er kein Kleinod, sondern meinen eignen Revolver aus einer innern Tasche hervor, und sein Anblick machte einen wunderlichen Eindruck auf mich. Ich glaube, ich sagte etwas, während meine Hand hastig danach griff, und noch jetzt steht Raffles vor mir, wie er mich mit seinen klaren Augen anschaute, über denen seine Brauen in hochgeschwungenen Bogen emporgezogen waren, und ich sehe noch, wie er mit seinem ruhigen, cynischen Lächeln die Patronen aus den Kammern entfernte, ehe er mir die Waffe zurückgab.

»Vielleicht glauben Sie mir nicht, Bunny, aber ich habe noch nie einen geladenen Revolver bei mir getragen,« sagte er, »jedoch will ich nicht bestreiten, daß es einem eine gewisse Zuversicht verleihen mag; indessen wäre es doch sehr eklig, wenn etwas schief ginge. Man könnte sich am Ende verleiten lassen, ihn zu gebrauchen, und das liegt gar nicht in meiner Absicht, obgleich mir häufig der Gedanke gekommen ist, daß ein Mörder nach vollbrachter Tat Großartiges empfinden muß. Machen Sie nicht ein so unglückliches Gesicht, lieber Junge; ich habe diese Empfindungen noch nie gehabt und glaube auch nicht, daß ich sie jemals haben werde.«

»Aber das da haben Sie doch schon einmal getan?« fragte ich mit heiserer Stimme.

»Schon einmal? Mein lieber Bunny, Sie beleidigen mich! Sah das wie Anfängerarbeit aus? Natürlich habe ich das schon getan.«

»Häufig?«

»Hm – nein! Jedenfalls nicht häufig genug, der Sache ihren Reiz zu nehmen, und tatsächlich nie, wenn mich nicht die Not dazu trieb. Haben Sie mal etwas von den Thimblebydiamanten gehört? Das war das letzte Mal – und ein armseliger Haufen falscher Steine war mein Lohn. Dann habe ich das kleine Geschäft auf Dormers Hausboot bei Henley im vorigen Jahre gemacht, wobei auch nicht viel herauskam. Einen wirklich großen Zug habe ich noch nicht getan, und sobald mir einer gelingt, stecke ich das Geschäft auf.«

Ja, dieser beiden Fälle entsann ich mich, aber zu denken, daß Raffles der Täter war ... das war unglaublich, empörend und unfaßbar! Dann fielen meine Blicke wieder auf den an hundert Stellen glitzernden und funkelnden Tisch, und mein Unglaube war zu Ende.

»Wie sind Sie zuerst dazu gekommen?« fragte ich, als Neugier die Oberhand über mein Staunen gewann und sich das Fesselnde, das der Lebenslauf dieses Mannes für mich hatte, allmählich mit der Anziehungskraft verwob, die er als Mensch auf mich ausübte.

»Ach, das ist eine lange Geschichte,« antwortete Raffles. »Das war in den Kolonieen, als ich draußen war, um Cricket zu spielen. Die Geschichte ist zu lang, als daß ich sie Ihnen jetzt erzählen könnte, aber ich war so ziemlich in derselben Klemme wie Sie heute abend, und es war mein einziger Ausweg. Mehr als das eine Unternehmen beabsichtigte ich damals nicht, allein ich hatte Blut geleckt, und es war vorbei mit mir. Warum sollte ich denn arbeiten, wenn ich stehlen konnte? Warum ein langweiliges, mir nicht zusagendes Geschäft anfangen, wenn mir Aufregung, Romantik, Gefahr und Wohlleben gleichzeitig geboten wurden? Natürlich ist es ja furchtbar unrecht, aber wir können nicht alle Musterknaben sein, und die Art, wie die Güter verteilt sind, ist von vornherein sehr ungerecht. Außerdem beschäftigt man sich doch auch nicht unausgesetzt damit, und ich bin nur neugierig, ob Ihnen diese Art Leben ebenso gefallen wird als mir.«

»Ob's mir gefallen wird?« rief ich aus. »Nein, nein, das ist kein Leben für mich. Einmal und nicht wieder!«

»Sie würden mir also nicht noch einmal helfen?«

»Verlangen Sie es nicht, Raffles, um Gottes willen verlangen Sie es nicht!«

»Und doch sagten Sie vorhin, Sie würden alles für mich tun; Sie forderten mich auf, mein Verbrechen zu nennen! Allein ich wußte gleich, daß es nicht Ihr Ernst war. Diese Nacht haben Sie mich freilich nicht im Stiche gelassen, und das sollte mich wahrhaftig zufriedenstellen. Ich bin undankbar und unvernünftig, wenn ich mehr verlange, und es wäre am besten, heute einen Strich darunter zu machen, aber, sehen Sie, Bunny, Sie sind der richtige Mann für mich, der – richtige – Mann! Denken Sie nur einmal darüber nach, wie glatt diese Nacht alles gegangen ist! Nicht die geringste Schwierigkeit! Etwas Furchtbares ist es also nicht und wird es nie sein, wenn wir beide zusammenarbeiten.«

Während er dies sprach, stand er vor mir und hatte mir die Hände auf die Schultern gelegt, und dabei lächelte er, wie nur er zu lächeln wußte. Ich drehte mich auf dem Absatz um, stemmte die Ellbogen auf den Kamin und verbarg meinen brennenden Kopf in den Händen. Im nächsten Augenblick legte sich seine Hand noch nachdrücklicher auf meinen Rücken.

»Schon gut, mein Junge; Sie haben ganz recht, und ich mehr als unrecht. Ich werde es nie wieder verlangen. Gehen Sie, wenn Sie wollen, und kommen Sie gegen Mittag wieder, um das Geld in Empfang zu nehmen. Abgemacht haben wir ja freilich nichts, aber ich werde Ihnen natürlich aus der Klemme helfen – besonders nachdem Sie mir diese Nacht so getreulich beigestanden haben.«

Jetzt fuhr ich herum, und das Blut kochte in meinen Adern.

»Ich bin bereit, wieder mitzutun,« zischte ich zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor.

»Nein, das sind Sie nicht,« antwortete er, mit einem schalkhaften Lächeln über meine wahnwitzige Begeisterung den Kopf schüttelnd.

»Doch, ich will!« schrie ich mit einem Fluch. »Ich will Ihnen helfen, so oft Sie es verlangen! Was kommt denn jetzt noch darauf an? Einmal habe ich dabei geholfen und ich werde es wieder tun. Der Teufel hat mich nun einmal in den Klauen: ich kann nicht mehr zurück, selbst wenn ich wollte, doch ich will gar nicht. Wenn Sie mich nötig haben, bin ich Ihr Mann!«

So verbanden sich Raffles und ich in den Iden des März zu verbrecherischem Tun.


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