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Drittes Kapitel. Dilettanten und Leute von Beruf

Ob der alte Raffles ein hervorragender Verbrecher war oder nicht, mag dahingestellt bleiben, daß er aber als Cricketspieler einzig in seiner Art dastand, das kann ich beschwören, und es ist merkwürdig, daß er so unglaublich wenig Interesse für das Spiel im ganzen an den Tag legte, obgleich er anerkannt der gefährlichste Schläger und der beste Läufer seiner Zeit war. Ein Wettkampf, woran er nicht selbst teilnahm, war ihm vollkommen gleichgültig, allein das war keineswegs verächtlicher Egoismus von ihm. Er behauptete, jede Begeisterung für das Spiel verloren zu haben und sich nur noch aus den niedrigsten Beweggründen daran zu beteiligen.

»Cricket,« pflegte Raffles zu sagen, »ist wie alles andre so lange gut genug, bis man etwas Besseres entdeckt hat. Als eine Quelle der Aufregung läßt es sich nicht mit andern Dingen vergleichen, die du kennst, Bunny. Welche Befriedigung gewährt es denn, wenn man einem Manne ein Spiel abgewinnt, dessen silberne Löffel man haben möchte? Indessen ist es immerhin ganz nützlich, da es eine gewisse Art von niedriger Schlauheit nicht verrosten läßt, denn immer nach dem schwachen Punkt der Gegner zu suchen, ist gerade die Art von geistiger Gymnastik, die man braucht. Ja, vielleicht gibt es wirklich eine gewisse Verwandtschaft zwischen den beiden. Aber ich würde das Cricket morgen über Bord werfen, Bunny, wenn es nicht für einen Mann von meinen Neigungen ein so herrlicher Schutz wäre.«

»Inwiefern?« fragte ich. »Es lenkt die Aufmerksamkeit des Publikums auf dich, und ich sollte denken, in einem viel höheren Grade, als ratsam oder mit deiner Sicherheit verträglich ist.«

»Mein lieber Bunny, da bist du ganz und gar auf dem Holzweg. Wenn man Verbrechen begehen und leidliche Aussicht haben will, unentdeckt zu bleiben, so muß man einfach nebenher eine andre Beschäftigung, eine offenkundige Beschäftigung treiben – je mehr sie einen vor die Öffentlichkeit bringt, um so besser. Der Grundgedanke liegt auf der Hand. Mr. Peace, frommen Angedenkens, ging dem Verdacht dadurch aus dem Wege, daß er sich eine gewisse Berühmtheit als Violinspieler und Tierbändiger erwarb, und es ist meine feste Überzeugung, daß Jack, der Aufschlitzer, in Wahrheit eine hervorragende öffentliche Persönlichkeit war, deren Reden vielleicht in denselben Zeitungen standen, die seine Untaten berichteten. Spiele irgend eine auffallende Rolle, und du wirst nie in Verdacht geraten, daß dahinter noch eine zweite von ebensolcher Bedeutung steckt. Deshalb dringe ich so darauf, daß du den Journalismus kultivierst und deinen Namen unter deine Artikel setzt, und das ist der einzige Grund, weshalb ich meine Schlaghölzer noch nicht zum Heizen meines Zimmers verwandt habe.«

Trotzdem war keiner mehr bei der Sache oder eifriger darauf bedacht, seiner Partei zum Siege zu verhelfen, wenn er einmal spielte, so daß es ein wahres Vergnügen für mich war, ihn zu allen seinen Wettkämpfen zu begleiten, jeden Ball zu beobachten, den er machte, oder plaudernd neben ihm im Pavillon zu sitzen, wenn er ruhte. Dort hättet ihr uns auch am zweiten Montag des Juli während der ersten Partie der Liebhaber gegen die Berufsspieler nebeneinander können sitzen sehen. Wir waren sichtbar, aber nicht zu hören, denn Raffles hatte beim Auslosen der Plätze eine Niete gezogen und war für einen Teilnehmer, dem so wenig am Spiele lag, ungewöhnlich verdrießlich darüber. War er mir gegenüber nur schweigsam, so war er gegen solche Teilnehmer, die wissen wollten, wie es gekommen sei, oder die ihm etwa gar ihr Bedauern über sein Pech aussprachen, geradezu grob, während er mit tief ins Gesicht gezogenem Strohhut und einer Zigarette zwischen den Lippen, die sich bei jeder solchen Annäherung häßlich verzogen, neben mir saß. Deshalb war ich um so mehr überrascht, als sich ein junger Mensch vom Typus »Gigerl« zwischen uns zwängte und trotz der Freiheit, die er sich damit genommen hatte, vollkommen höflich empfangen wurde. Ich kannte ihn nicht einmal von Sehen, und Raffles stellte uns auch nicht vor, aber ihre Unterhaltung lieferte gleichzeitig den Beweis einer sehr oberflächlichen Bekanntschaft und einer Ungeniertheit des jungen Mannes, die mich verblüfften. Meine Betroffenheit erreichte aber ihren Höhepunkt, als Raffles bereitwillig dem jungen Manne folgte, der ihm mitteilte, sein Vater habe den Wunsch geäußert, Raffles kennen zu lernen.

»Er ist auf der Damentribüne. Wollen Sie jetzt gleich mitgehen?«

»Mit dem größten Vergnügen,« antwortete Raffles. »Hebe mir meinen Platz auf, Bunny.«

Und damit zogen sie ab.

»Das war der junge Crowley,« sagte eine Stimme hinter mir, »war voriges Jahr einer der Cricketspieler von Harrow.«

»Ja, ich entsinne mich seiner, der schlechteste von der ganzen Gesellschaft.«

»War aber scharf dahinter her. Sein Examen hat er erst gemacht, als er zwanzig Jahre alt war. Sein Alter bestand darauf.«

Das Spiel langweilte mich, denn ich war nur gekommen, um Raffles spielen zu sehen. Bald fing ich an, mich nach seiner Rückkehr zu sehnen, und endlich sah ich ihn, wie er mir von weitem zuwinkte.

»Ich möchte dich dem alten Amersteth vorstellen,« flüsterte er mir zu, als ich ihn erreicht hatte. »Nächsten Monat wird der junge Crowley mündig, und zur Feier dieses Ereignisses wollen sie eine Cricketwoche veranstalten. Auch wir sind eingeladen, am Spiele teilzunehmen.«

»Aber,« rief ich aus, »ich verstehe ja gar nichts davon.«

»Schweig stille,« antwortete Raffles. »Überlaß das mir. Ich habe das Blaue vom Himmel herunter gelogen,« fügte er hinzu, als wir am Fuße der Treppe angelangt waren, »und ich verlasse mich darauf, daß du mich nicht verrätst.«

In seinem Auge funkelte etwas, was ich bei andern Gelegenheiten schon häufig dort wahrgenommen hatte, was aber in dieser gesunden Umgebung dann zu finden mich überraschte, und ich folgte seiner bunten Jacke mit sehr bestimmten Besorgnissen und Vermutungen durch das große Blumenbeet von Hüten, das auf der Damentribüne blühte.

Lord Amersteth war ein schöner alter Herr mit einem kurzen Schnurrbart und Doppelkinn. Er empfing mich mit trockner Höflichkeit, der man indessen sehr deutlich anmerkte, daß ich nur als das unvermeidliche Anhängsel des unschätzbaren Raffles, auf den ich sehr ärgerlich war, als ich meine Verbeugung machte, mit in den Kauf genommen wurde.

»Ich habe mir die Freiheit genommen,« hob Lord Amersteth an, »einen der ersten Herrenspieler von England zu einem ländlichen Cricket zu uns zu bitten. Er war so freundlich, mir zu antworten, daß er meine Einladung sehr gern annehmen würde, wenn er nicht mit Ihnen einen kleinen Ausflug zum Fischen verabredet hätte, Mr. ... Mr. ...« und endlich gelang es Lord Amersteth, sich meines Namens zu entsinnen.

Das war natürlich das erste Wort, das ich von diesem Ausflug zum Fischen hörte, allein ich beeilte mich, zu erwidern, daß dieser leicht aufgeschoben werden könne, worauf mir Raffles einen billigenden Blick durch seine Augenwimpern zuwarf, während sich Lord Amersteth achselzuckend verbeugte.

»Sehr liebenswürdig von Ihnen,« sagte er dabei, »aber wie ich höre, spielen Sie ebenfalls Cricket.«

»Ja, als er auf der Schule war, hat er gespielt,« fiel Raffles mit niederträchtiger Raschheit ein.

»Ein regelrechter Cricketspieler war ich eigentlich nicht,« stammelte ich.

»Gehörten Sie zu den Elf?« fragte Lord Amersteth.

»Nein, das nicht,« antwortete ich.

»Aber es fehlte nicht viel daran, so wäre er aufgenommen worden,« erklärte Raffles zu meinem Schrecken.

»Nun ja, es kann ja auch nicht jeder ein regelrechter Spieler sein,« entgegnete Lord Amersteth mit einem schlauen Blinzeln. »Mein Sohn Crowley hat sich auch nur noch so eben in die Elf von Harrow hineingeschmuggelt, und er will auch spielen. Wenn Not an Mann geht, nehme ich selbst noch ein Schlagholz in die Hand. Sie werden also nicht der einzige Stümper sein, und es würde mich sehr freuen, wenn Sie kommen und uns helfen wollten. Vor dem Frühstück und nach dem Diner finden Sie auch Gelegenheit zum Fischen, wenn Ihnen das Vergnügen macht.«

»Sehr schmeichelhaft,« begann ich als Einleitung zu einer entschlossenen Absage, allein Raffles sah mich mit großen Augen an, so daß ich schwächlich zögerte und natürlich verloren war.

»Das wäre also abgemacht,« antwortete Lord Amersteth mit einem Anflug von Verdruß. »Es soll ein kleines Fest zur Feier der Mündigkeitserklärung meines Sohnes geben, wissen Sie. Wir spielen gegen den ›Freien Waldklub‹, die ›Dorsetshire-Gentlemen‹ und wahrscheinlich noch gegen den einen oder andern örtlichen Verein. Aber Mr. Raffles kann Ihnen alles Nähere mitteilen, und mein Sohn wird an Sie schreiben. Da – schon wieder ein Wicket! Nun sind Sie alle heraus! Also ich rechne auf Sie beide.« Mit einem leichten Nicken erhob sich Lord Amersteth und verließ die Tribüne.

Auch Raffles stand auf, aber ich hielt ihn am Ärmel fest.

»Was hast du denn eigentlich vor?« flüsterte ich wütend. »Ich bin nie und nirgends bei den Elfen gewesen und habe keinen Schimmer von Cricket. Ich werde absagen.«

»Das wirst du gefälligst bleiben lassen,« erwiderte er. »Zu spielen brauchst du nicht, aber mitkommen mußt du. Wenn du mich nach halb Sieben erwarten willst, werde ich dir die Gründe auseinandersetzen.«

Diese Gründe zu erraten, wurde mir jedoch nicht schwer, und zu meiner Beschämung muß ich gestehen, daß sie mich weit weniger empörten als die Aussicht, daß ich mich auf dem Cricketfeld öffentlich lächerlich machen sollte. Bei diesem Gedanken schnürte sich mir die Kehle zusammen, was bei der Vorstellung, daß es sich um ein Verbrechen handle, nicht mehr der Fall war, und ich schlenderte in nichts weniger als ruhiger Stimmung auf dem Platz umher, während Raffles im Pavillon verschwand. Mein Ärger verminderte sich auch nicht, als ich ein Zusammentreffen zwischen dem jungen Crowley und seinem Vater beobachtete, der achselzuckend stehen blieb und sich herabbeugte, um dem jungen Mann eine Mitteilung zu machen, die diesen augenscheinlich sehr verblüffte und verstimmte. Mag sein, daß es nur verletztes Selbstbewußtsein war, aber ich hätte darauf schwören mögen, daß der Verdruß lediglich dadurch hervorgerufen wurde, daß es unmöglich war, den großen Raffles zum Kommen zu bewegen, ohne seinen unbedeutenden Freund mit in den Kauf zu nehmen.

Gleich darauf wurde geläutet, und ich kletterte auf den Pavillon, um Raffles spielen zu sehen. Von dort konnte man alle Feinheiten genau erkennen, und wenn jemals ein Spieler ganz bei der Sache war, so war es A. J. Raffles an diesem Tage, dessen sich die Cricketwelt noch sehr wohl entsinnt. Man brauchte nicht selbst Cricketspieler zu sein, um die haarscharfe Genauigkeit, womit er dem Spieler den Ball »einschenkte«, die prachtvolle Leichtigkeit jeder Bewegung und die endlose Abwechslung in der Art seines Angriffs zu bewundern. Man empfand nicht bloß die Befriedigung über eine Schaustellung athletischer Gewandtheit, sondern es war ein geistiger Genuß, und zwar einer, der in meinen Augen eine besondere Bedeutung hatte. Ich erkannte »die Verwandtschaft zwischen den beiden Dingen«, erkannte sie in dieses Nachmittags unermüdlichem Kampfe gegen die Blüte der berufsmäßigen Cricketspieler. Was ich aber am meisten bewunderte und wessen ich mich am lebhaftesten entsinne, das war die Verbindung von Geschicklichkeit und Schlauheit, von Geduld und raschem Entschluß, von Kopfarbeit und Handarbeit, die das Ganze zu einer vollendeten Kunstleistung machten. Das war alles so charakteristisch für den andern Raffles, den ich ebenfalls kannte.

»Heute war ich in der Stimmung zum Schlagen,« sagte er mir später in der Droschke. »Mit einem tüchtigen Einschank hätte ich Großartiges leisten können, aber es ging auch so nicht übel. Ich war giftig, denn nichts ärgert mich mehr, als meines Cricketspieles wegen eingeladen zu werden, wie wenn ich selbst ein Berufsspieler wäre.«

»Aber warum in aller Welt hast du denn die Einladung angenommen?«

»Um sie zu bestrafen, und – es wird uns höllisch knapp gehen, Bunny, noch ehe die Saison vorüber ist.«

»Aha!« antwortete ich. »Ich dachte mir, daß es das sei!«

»Natürlich ist es das! Wie es scheint, haben sie für die Woche ganz Großartiges vor – Bälle, Diners, eine vornehme Gesellschaft im Hause mit allerhand Lustbarkeiten – und offenbar wird das Haus ganz voll Diamanten sein. Im allgemeinen würde mich nichts dazu bringen, die Gastfreundschaft zu mißbrauchen; das habe ich noch nie getan, Bunny! Aber in diesem Falle sind wir angenommen worden wie Lohnbediente oder Musikanten und, beim Himmel, wir wollen unsern Zoll erheben! – Laß uns irgendwo ruhig dinieren und die Sache besprechen.«

»Mir kommt es doch wie ein recht gemeiner Diebstahl vor,« konnte ich zu erwidern nicht unterlassen, und diesem, meinem einzigen Einwand stimmte Raffles sofort zu.

»Ist es auch, Bunny, ist es auch,« sagte er, »aber das kann ich nicht ändern. Wir geraten wieder ganz erbärmlich in die Klemme, und das macht allen Bedenken ein Ende. Außerdem verdienen es diese Leute, auch können sie es ertragen. Und bilde dir ja nicht ein, daß es eine einfache Geschichte werden wird. Nichts wird leichter sein, als irgend etwas in die Finger zu kriegen, aber nichts schwieriger, als jeden Verdacht abzulenken, und den müssen wir doch unbedingt vermeiden. Vielleicht erreichen wir zunächst weiter nichts, als daß wir eine genaue Kenntnis der Ortsgelegenheit mit fortnehmen. Wer weiß? Jedenfalls haben wir noch Wochen vor uns, während deren wir die Sache überlegen können.«

Mit diesen Wochen will ich den Leser nicht weiter langweilen, vielmehr mich auf die Bemerkung beschränken, daß das »Überlegen« ganz allein von Raffles besorgt wurde, der es nicht immer für der Mühe wert hielt, mir seine Gedanken anzuvertrauen, allein diese Zurückhaltung ärgerte mich jetzt nicht mehr, denn ich fing an, sie als eine notwendige Bedingung dieser kleinen Unternehmungen anzusehen. Nach unserm letzten Abenteuer dieser Art, insbesondere nach seiner schließlichen Lösung, war mein Vertrauen in Raffles zu fest, als daß es durch einen kleinen Mangel an Offenheit seinerseits, die ich noch immer mehr dem Instinkt des Verbrechers als überlegter Absicht des Mannes zuzuschreiben geneigt bin, hätte erschüttert werden können.

Montag, den 10. August, wurden wir in Milchester Abbey erwartet, doch vom Anfang des Monats an durchstreiften wir tatsächlich die Umgegend mit Angelruten in der Hand. Dabei gingen wir von der Ansicht aus, daß es uns förderlich sein könne, wenn wir als harmlose Fischer dort herum bekannt würden und uns gleichzeitig im Hinblick auf spätere und reiflicher durchdachte Unternehmungen einige Kenntnis der Gegend aneigneten. Einen zweiten Hintergedanken behielt Raffles für sich, bis wir an Ort und Stelle angelangt waren. Dann brachte er eines Tages einen Cricketball zum Vorschein, und von da an verwendete er manche Stunde darauf, mir die Anfangsgründe des Spieles beizubringen. Wenn ich auch niemals ein Cricketspieler war, so war ich am Ende dieser Woche näher daran, einer zu werden, als jemals sonst in meinem Leben.

Gleich am Montag hatten wir ein Erlebnis. Wir waren an einer trostlosen kleinen Eisenbahnstation ein paar Meilen von Milchester ausgestiegen und hatten in einem Fuhrmannswirtshaus vor einem plötzlich ausgebrochenen Gewitter Schutz gesucht.

Ein mit übertriebener Eleganz gekleideter Mann von rötlicher Gesichtsfarbe saß trinkend in der Stube, und ich hätte schwören mögen, daß sein Anblick Raffles veranlaßte, auf der Schwelle kehrt zu machen und trotz des Regens darauf zu bestehen, wieder nach dem Bahnhof zu gehen, allein er versicherte mir, es sei nur der Geruch nach abgestandenem Bier gewesen, was ihn in die Flucht getrieben habe, doch das erklärte seine nachdenkliche, niedergeschlagene Stimmung und seine umwölkte Stirn nicht.

Milchester Abbey ist ein großes, viereckiges, von einem reichbewaldeten Gelände umgebenes Gebäude, worin drei Reihen altmodischer Fenster glänzten, die sämtlich erleuchtet zu sein schienen, als wir gerade zur rechten Zeit anlangten, um uns noch zum Diner ankleiden zu können. Der Wagen war unter, ich weiß nicht mehr, wie viel Triumphbogen, die noch im Bau begriffen waren, hindurch, und an Zelten, Flaggenmasten und einem feucht aussehenden Cricketfeld vorbeigerasselt, auf dem Raffles für seinen Ruhm kämpfen sollte. Aber die hauptsächlichsten Zeichen, daß ein Fest gefeiert werde, waren im Hause zu bemerken, wo wir eine große Gesellschaft fanden, zu der mehr reiche, vornehme und angesehene Leute gehörten, als ich jemals in einem Zimmer versammelt gesehen hatte. Ich gestehe, daß ich mich ganz überwältigt fühlte. Unser Vorhaben und die falsche Rolle, die ich selbst spielen sollte, vereinigten sich, mich der gesellschaftlichen Gewandtheit zu berauben, worauf ich manchmal stolz gewesen war, und ich habe noch eine beschämende Erinnerung an die Erleichterung, die ich empfand, als endlich das Diner gemeldet wurde.

Meine Tischdame war viel weniger großartig, als es hätte der Fall sein können, so daß ich bald mein Glück in dieser Hinsicht zu preisen begann. Miß Melhuish war nämlich nur das Pfarrerstöchterlein, das nur eingeladen worden war, um die Zahl der Tischgäste zu einer geraden abzurunden. Von beiden Tatsachen setzte sie mich in Kenntnis, noch ehe uns die Suppe erreicht hatte, und ihre weitere Unterhaltung zeichnete sich durch dieselbe Offenherzigkeit aus. Sie verriet eine fast an Manie grenzende Neigung, mich über meine Umgebung aufzuklären, so daß ich weiter nichts zu tun hatte, als zuzuhören, zu nicken und dankbar zu sein. Als ich gestand, daß ich wenige der Anwesenden auch nur von Ansehen kenne, begann meine gesprächige Nachbarin, sie mir zu nennen, wobei sie an meiner Linken anfing und mir gewissenhaft die ganze Tafelrunde bis zu dem rechts von ihr sitzenden Herrn vorstellte. Das dauerte geraume Zeit und interessierte mich wirklich, allein von dem, was dann weiter kam, war mir vieles gleichgültig, bis mich Miß Melhuish, augenscheinlich um meine Aufmerksamkeit wieder zu erregen, plötzlich in gespanntem Flüstertone fragte, ob ich ein Geheimnis bewahren könne.

»Das sei wohl möglich,« entgegnete ich, worauf eine zweite Frage in noch leiserem, aufregenderem Flüstertone folgte: »Fürchten Sie sich vor Einbrechern?«

Einbrechern! Das hatte mich endlich aufgerüttelt! Das Wort war mir wie ein Dolch durch die Seele gedrungen, und ich wiederholte es voll Entsetzen.

»Also habe ich doch endlich etwas gefunden, was Sie interessiert!« sagte Miß Melhuish in naivem Triumph. »Ja, Einbrecher! Aber sprechen Sie nicht so laut, denn es soll als tiefes Geheimnis behandelt werden. Ich dürfte es Ihnen eigentlich gar nicht erzählen.«

»Aber was gibt's denn zu erzählen?« flüsterte ich in einer Ungeduld, die meine Nachbarin befriedigen mußte.

»Wollen Sie mir versprechen, nicht davon zu reden?«

»Selbstverständlich.«

»Na also hören Sie: Es sind Einbrecher in der Gegend.«

»Haben sie schon Diebstähle begangen?«

»Noch nicht.«

»Woher wissen Sie es denn?«

»Sie sind gesehen worden – im Bezirk – zwei wohlbekannte Londoner Diebe.«

Zwei! Meine Blicke suchten Raffles auf. Das hatten sie schon mehrfach im Laufe des Abends getan, und ich hatte ihn um seine vortreffliche Laune, seine eisernen Nerven, seinen schlagfertigen Witz, seine vollkommene Ungezwungenheit und sein sicheres Auftreten beneidet. Jetzt aber bemitleidete ich ihn trotz meines eigenen Schrecks und meiner Bestürzung; ich bemitleidete ihn, als ich ihn essend und trinkend, plaudernd und lachend, ohne einen Schatten von Furcht oder Verlegenheit in seinem schönen, einnehmenden Gesicht dasitzen sah. Ich ergriff meinen Champagnerkelch und leerte ihn.

»Wer hat sie denn gesehen?« fragte ich darauf ruhig.

»Ein Detektiv, der vor ein paar Tagen ihrer Spur von London aus gefolgt ist. Man nimmt an, sie hätten Absichten auf Milchester Abbey.«

»Aber warum bringt man sie denn nicht hinter Schloß und Riegel?«

»Sehen Sie, genau dasselbe habe ich Papa heute abend auf dem Wege hierher gefragt. Er sagte, es liege gegenwärtig kein Haftbefehl gegen sie vor, und deshalb könne man weiter nichts tun, als sie sorgfältig beobachten lassen.«

»O, also werden sie überwacht?«

»Ja, von einem Detektiv, der besonders deswegen hierhergekommen ist. Und ich habe gehört, wie Lord Amersteth meinem Papa sagte, sie seien diesen Nachmittag auf dem Bahnhof von Warbeck gesehen worden.«

Gerade der Ort, wo Raffles und ich vom Gewitter überrascht worden waren! Jetzt war unsre Flucht aus dem Wirtshause erklärt; anderseits aber konnte mich nichts mehr wundern, was meine Nachbarin etwa noch erzählen mochte, und es gelang mir, ihr lächelnd ins Gesicht zu sehen.

»Das ist wirklich höchst aufregend, Miß Melhuish,« sagte ich. »Darf ich mir die Frage erlauben, wie Sie das alles erfahren haben?«

»Von Papa,« antwortete sie vertraulich. »Lord Amersteth hat ihn zu Rate gezogen und Papa mich. Aber lassen Sie's ums Himmels willen nicht bekannt werden! Ich weiß gar nicht, wie ich dazu gekommen bin, es Ihnen zu sagen!«

»Sie dürfen mir vertrauen, Miß Melhuish. Aber – haben Sie denn keine Angst?«

Miß Melhuish lächelte.

»Nicht die geringste! Ins Pfarrhaus werden sie jedenfalls nicht kommen, weil da nichts für sie zu holen ist. Aber schauen Sie sich doch einmal am Tische um. Sehen Sie nur diese Unmasse von Diamanten! Lady Melroses Halsband allein ist der Mühe wert!«

Die Marquise von Melrose war eine von den wenigen Personen, auf die mich aufmerksam zu machen nicht nötig gewesen war. Diese wegen ihrer Lebenslustigkeit weit und breit bekannte Dame saß, ihr Höhrrohr schwenkend, zur Rechten Lord Amersteths und trank mit gewohnter Unbescheidenheit ein Glas Champagner ums andre. Sie trug ein Halsband von Diamanten und Saphiren, das auf ihrem umfangreichen Busen auf und nieder wogte.

»Die Leute behaupten, es sei mindestens fünftausend Pfund wert,« fuhr meine Tischnachbarin fort. »Lady Margaret hat es mir noch heute morgen versichert (Lady Margaret ist die Dame, die neben Ihrem Mr. Raffles sitzt, wissen Sie), und die liebe alte Dame besteht darauf, es jeden Abend zu tragen. Denken Sie nur mal, was für ein Fang das wäre! Nein, im Pfarrhause haben wir schwerlich etwas zu befürchten.«

Als sich die Damen erhoben, verpflichtete mich Miß Melhuish noch einmal zum tiefsten Schweigen und verließ mich, wie ich glaube, mit einiger Reue über ihre Schwatzhaftigkeit, aber doch zugleich befriedigt darüber, daß sie sich in meinen Augen so wichtig gemacht hatte. Diese Ansicht mag etwas nach Eitelkeit schmecken, aber in Wirklichkeit ist das menschliche Verlangen, den Zuhörer zu fesseln, doch die eigentliche Quelle jeder Unterhaltung. Miß Melhuishs Eigenheit lag darin, daß sie um jeden Preis fesseln wollte, und das war ihr jedenfalls gelungen.

Mit dem, was ich während der nächsten zwei Stunden empfand, will ich den Leser verschonen. Ich versuchte mein Möglichstes, ein paar Worte mit Raffles zu sprechen, allein es gelang mir nicht. Im Speisesaal zündeten er und Crowley sich ihre Zigaretten an demselben Streichholz an und steckten während der ganzen Zeit die Köpfe zusammen. Im Salon hatte ich den Verdruß, ihn fortwährend Unsinn in Lady Melroses Hörrohr reden zu sehen, in deren Hause er in London verkehrte, und im Billardzimmer nahm er an einer endlosen Partie teil, während ich in der Ecke saß und mich in der Gesellschaft eines sehr ernsten Schotten, der nach dem Diner angekommen war und von nichts sprach, als von den neuesten Verbesserungen der Momentphotographie, vor Ungeduld verzehrte. Wie er mir anvertraute, wollte er nicht an den Wettkämpfen teilnehmen, aber er hoffte, eine Reihe von Cricketaufnahmen für Lord Amersteth zu machen, ob als Liebhaberphotograph oder als berufsmäßiger, konnte ich nicht feststellen. Jedoch entsinne ich mich noch, daß ich versuchte, mich dadurch zu zerstreuen, daß ich mich zwang, dem Redefluß dieses langweiligen Gesellen zu folgen. Schließlich aber nahm auch diese lange Qual ein Ende, die Gläser wurden geleert, die Herren wünschten sich gute Nacht, und ich folgte Raffles in sein Zimmer.

»Es ist alles vorbei!« stöhnte ich, als er das Gas andrehte und ich die Tür schloß. »Wir werden beobachtet, und die Leute sind uns schon von London aus auf der Spur. Ein Detektiv ist sogar hier im Hause.«

»Woher weißt du denn das?« fragte Raffles, sich scharf, aber ohne einen Schatten von Erschrecken nach mir umwendend. Und ich erzählte ihm, wie ich es erfahren hatte.

»Natürlich war es der Mensch, den wir heute nachmittag im Wirtshaus gesehen haben,« schloß ich.

»Der Detektiv?« fragte Raffles. »Willst du etwa behaupten, du erkennest einen Detektiv vom bloßen Ansehen, Bunny?«

»Wenn er das nicht war, wer war es denn?«

Raffles schüttelte den Kopf.

»Und du hast eine ganze Stunde lang im Billardzimmer mit ihm gesprochen und nicht gemerkt, was er ist?«

»Der schottische Photograph ...«

Entsetzt hielt ich inne.

»Ein Schotte ist er allerdings, und Photograph mag er auch sein, aber jedenfalls ist er Inspektor Mackenzie vom Polizeiamt in Scotland Yard – derselbe, den ich im April nach Rosenthalls Hause rufen ließ. Und du hast ihn während einer ganzen Stunde lang nicht durchschaut? O, Bunny, Bunny, du bist nicht zum Verbrecher geboren!«

»Aber,« fragte ich, »wenn das Mackenzie ist, wer war denn der Kerl, vor dem du in Warbeck auskniffst?«

»Der Mann, den er beobachtet.«

»Aber er beobachtet ja uns.«

Raffles sah mich mit einem mitleidigen Blick an und schüttelte wieder den Kopf, bevor er mir seine offene Zigarettendose anbot.

»Ich weiß zwar nicht, ob das Rauchen in den Schlafzimmern gestattet ist, aber stecke dir lieber eine an und nimm dich zusammen, Bunny, denn ich bin im Begriffe, etwas Beleidigendes zu sagen.«

Lachend griff ich zu.

»Wenn wir beide es wirklich nicht sind, hinter denen Mackenzie her ist, magst du sagen, was du willst, mein Lieber.«

»Nun denn, wir sind es nicht und können es nicht sein, und niemand als ein geborener Bunny hätte auch nur einen Augenblick etwas Derartiges angenommen. Glaubst du wirklich, er würde herkommen und zusehen, wie sein Mann ihm vor der Nase Billard spielt? Mackenzie wäre freilich so etwas zuzutrauen, denn er ist frech genug dazu, aber ich bin nicht frech genug, unter solchen Umständen ein Spiel zu gewinnen – ich glaube wenigstens nicht, daß ich es bin, und es wäre ganz interessant, die Probe zu machen. Die Lage war so wie so nicht ganz frei von einer gewissen Spannung, obgleich ich wußte, daß er es nicht auf uns abgesehen hatte. Crowley hat mir nach dem Diner die ganze Geschichte anvertraut, und außerdem hatte ich selbst heute nachmittag einen von ihnen gesehen. Du glaubtest also, es sei ein Detektiv gewesen, vor dem ich im Wirtshaus Reißaus nahm? Warum ich dir nicht gleich reinen Wein eingeschenkt habe, weiß ich wirklich nicht, aber es war gerade das Gegenteil. Das auffallende Vieh mit dem roten Gesicht ist einer der gewandtesten Diebe von London, und ich habe einmal mit ihm und unserm gemeinschaftlichen Schärfer getrunken. Bei der Gelegenheit war ich freilich von Kopf zu Füßen ein Whitechapeler, allein ich setze mich nicht gern unnötigerweise der Gefahr aus, von einem solchen Vieh erkannt zu werden.«

»Er soll nicht allein sein, wie ich höre.«

»Nein, es ist noch mindestens einer bei ihm, und außerdem liegen Anzeichen vor, daß er einen Spießgesellen im Hause hat.«

»Weißt du das auch von Lord Crowley?«

»Der Champagner hat Lord Crowley die Zunge gelöst. Natürlich sagte er mir alles im Vertrauen, gerade wie deine junge Dame, aber selbst im Vertrauen hat er nichts von Mackenzie verraten. Er sagte nur, ein Detektiv halte sich im Hintergrunde, das war alles. Daß sie ihn als Gast eingeführt haben, ist augenscheinlich ihr großes Geheimnis, das die andern Gäste nicht erfahren sollen, weil es sie verletzen könnte, wovon aber vor allem die Dienstboten nichts merken dürfen, da er gerade sie beobachten soll. Das ist meine Auffassung der Sachlage, Bunny, und du wirst mir zugeben, daß sie unendlich viel interessanter ist, als wir uns in unfern kühnsten Erwartungen vorstellen konnten.«

»Aber auch unendlich viel schwieriger für uns,« antwortete ich mit einer kleinmütigen Erleichterung. »Für diese Woche sind uns jedenfalls die Hände gebunden.«

»Nicht unbedingt, mein lieber Bunny, obgleich ich einräume, daß es wahrscheinlich mit unfern Aussichten schlecht steht, jedoch halte ich auch das keineswegs für sicher. Bei diesen dreiseitigen Kombinationen ergeben sich manchmal ganz unerwartete Gelegenheiten. Beauftrage A, B zu beobachten, dann hat er keine Augen mehr für C. Das ist die am Tage liegende Theorie, aber Mackenzie ist ein sehr großes A. Mir würde es sehr peinlich sein, gestohlenes Gut bei mir zu haben, wenn der Mann im Hause ist. Und doch wäre es ganz großartig, sich zwischen A und B einzuklemmen und beiden eine Nase zu drehen. Das wäre schon ein bißchen Gefahr wert, Bunny, und für den Spaß, so geriebene Jungen als B und seinen Spießgesellen bei ihrem eigenen Spiel hineinzulegen, könnte man schon etwas wagen. He, Bunny? Das wäre ein Wettkampf! Liebhaber und Berufsspieler derselben Partie!«

Seine Augen funkelten heller, als ich sie seit langer Zeit gesehen hatte. Eine Begeisterung leuchtete in ihnen, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre und die nur der Gedanke an einen neuen kühnen Streich darin hervorzubringen vermochte. Er entledigte sich seiner Schuhe und begann rasch, aber geräuschlos im Zimmer auf und ab zu gehen. Seit er mir von dem zu Ehren Rosenthalls gegebenen Diner erzählt, hatte Raffles in meiner Gegenwart keine solche Aufregung gezeigt, und es war mir gar nicht unangenehm, in diesem Augenblick an das Fiasko erinnert zu werden, dessen Ausgangspunkt dieses Bankett gewesen war.

»Mein lieber A. J.,« sagte ich, seinen Ton ausgezeichnet nachahmend, »du hast eine viel zu große Vorliebe für ungewöhnlich schwere Aufgaben, und du wirst schließlich ein Opfer dieser Neigung werden. Laß dir unser letztes Entrinnen zur Lehre dienen und sei vorsichtiger, wenn dir unser Fell etwas wert ist. Sieh dir das Haus so genau an, als du willst, aber – stecke deinen Kopf nicht freiwillig in Mackenzies Rachen.«

Meine blühenden Vergleiche brachten ihn mit der Zigarette zwischen den Fingern und einem Grinsen unter seinen funkelnden Augen zum Stillstand.

»Du hast ganz recht, Bunny, ich will's auch unterlassen, wirklich. Aber – du hast doch der alten Lady Melrose Halsband gesehen? Schon seit Jahren verlange ich danach, allein ich werde mich nicht zum Narren machen, auf Ehre! Und doch – und doch – zum Donnerwetter, die Gewerbsmäßigen und Mackenzie zusammen zu überlisten ...! Das wäre ein großartiger Streich, Bunny, ganz großartig!«

»Gewiß, aber du darfst ihn diese Woche nicht versuchen.«

»Nein, nein, ich will's ja auch nicht tun, aber ich möchte wohl wissen, wie die Gewerbsmäßigen die Sache anstellen wollen. Das reizt meine Neugier. Und ob sie wohl wirklich einen Spießgesellen im Hause haben? O, ich gäbe viel darum, ihren Plan zu kennen. Aber sei nur ruhig, Bunny, du brauchst nicht eifersüchtig zu sein, und ich werde tun, was du wünschst.«

Durch diese Versicherung beruhigt, begab ich mich in mein eigenes Schlafzimmer und legte mich unglaublich leichten Herzens zu Bett. Es steckte doch noch genug Ehrlichkeit in mir, daß ich den Aufschub unsres verbrecherischen Unternehmens mit Freuden begrüßte, seine Ausführung fürchtete und seine Notwendigkeit beklagte, was nur eine andre Art ist, die nur zu klar am Tage liegende Tatsache festzustellen, daß ich unvergleichlich viel schwächer, aber genau ebenso schlecht war als Raffles. Eins aber gereichte mir zum großen Vorteil: ich hatte die Gabe, peinliche Gedanken, soweit sie nicht mit dem vorübergehenden Augenblick in engster Verbindung standen, vollkommen aus meinem Geiste zu verbannen, und dank dieser Gabe hatte ich in der letzten Zeit mein frivoles Leben in der Stadt auf dieselbe unedle Art genossen wie vor einem Jahre, und auch hier in Milchester amüsierte ich mich während der lange vorher gefürchteten Cricketwoche ganz ausgezeichnet.

Allerdings trugen auch noch andre Umstände zu dieser angenehmen Enttäuschung bei. Zunächst waren mirabile dictu einige noch größere Stümper im Cricketfeld als ich. Ganz im Anfang der Woche, wo es von der größten Wichtigkeit für mich war, erwarb ich mir sogar durch einen glücklichen Fang beträchtlichen Ruhm: ein Ball, den ich nur hatte sausen hören, blieb mir sozusagen, in der Hand hängen, die Lord Amersteth hierauf ergriff, um mir öffentlich seine Glückwünsche auszusprechen. Die Wirkung dieses glücklichen Zufalls konnte selbst ich nicht wieder verderben, und da nichts so anfeuert als der Erfolg, und da die beständige Ermutigung des größten Cricketspielers ein ungeheurer Sporn war, gelangen mir beim nächsten Spiel wirklich einige gute Läufe. Am Abend auf dem zu Ehren der Großjährigkeit des Viscounts Crowley gegebenen Ball sagte mir Miß Melhuish einige hübsche Schmeicheleien, auch erzählte sie mir, das sei die Nacht, wo die Räuber ganz gewiß ihr Verbrechen ausführen würden, und als wir draußen im Garten waren, spielte sie die Furchtsame in der neckischsten Weise, obgleich alles ringsum während der ganzen Nacht taghell erleuchtet war. Inzwischen machte der ruhige Schotte bei Tage zahllose Aufnahmen, die er bei Nacht in einem in der Nähe der Dienstbotenstuben sehr günstig gelegenen Dunkelzimmer entwickelte, und ich bin fest überzeugt, daß von sämtlichen Gästen nur zwei wußten, daß Mr. Clephane von Dundee in Wahrheit Inspektor Mackenzie von Scotland Yard war.

Die Woche sollte Samstag mit einem letzten kleinen Wettkampf enden, den einige von uns frühzeitig aufzugeben beabsichtigten, um Abends nach London zurückzukehren; allein dieser Wettkampf sollte niemals ausgefochten werden, denn in den frühen Morgenstunden des Samstag fand in Milchester Abbey ein Trauerspiel statt.

Der Leser muß mir gestatten, den Vorfall so zu erzählen, wie ich ihn mit angesehen und angehört habe. Mein Zimmer ging auf den Mittelgang, lag aber mit dem Raffles' – und, wie ich glaube, auch mit denen der andern Herren – nicht einmal auf demselben Flur. Ich war tatsächlich in dem zu einer größeren Zimmerflucht gehörigen Ankleidekabinett untergebracht worden. Meine nächsten Nachbarn waren die alte Lady Melrose und Lord und Lady Amersteth. Freitag abend hatten die eigentlichen großen Festlichkeiten ihren Abschluß gefunden, und zum ersten Male in der ganzen Woche war ich schon um Mitternacht fest eingeschlafen, als ich jäh erweckt wurde und mit stockendem Herzschlag in die Höhe fuhr. Ein schwerer, dumpfer Schlag dröhnte gegen meine Tür, und dann hörte ich keuchenden Atem und das Stampfen von Füßen, die nur mit leichten Schuhen oder Strümpfen bekleidet waren.

»Jetzt hab' ich dich,« murmelte eine Stimme. »Gib nach, wehren hilft nichts mehr.«

Es war die Stimme des schottischen Detektivs, und ein eiskalter Schauer überlief mich, denn eine neue Angst stieg in mir auf. Eine Antwort hörte ich nicht, aber das Keuchen wurde heftiger, und die Füße schienen rascher zu stampfen. In plötzlicher Angst sprang ich aus dem Bett und riß die Tür auf. An der Treppe brannte eine trübe Lampe, und bei ihrem Lichte erkannte ich Mackenzie, der in schweigendem Ringen mit einem kräftigen Gegner hin und her schwankte.

»Fassen Sie ihn!« rief er, als ich erschien. »Vorwärts! Drauf auf diesen Halunken!«

Allein ich war wie vor den Kopf geschlagen, bis sie mich fast umgerannt hatten. Da stürzte ich mich freilich mit einem tiefen Atemzuge auf den Kerl, denn ich hatte endlich ein Gesicht gesehen. Es war einer von den Bedienten, die bei Tische aufgewartet hatten. Kaum hatte ich ihn mit den Armen umklammert, als ihn der Detektiv losließ.

»Halten Sie ihn fest!« rief er. »Unten sind noch ein paar.«

Nach diesen Worten sprang er die Treppe hinunter, während sich andre Türen öffneten und Lord Amersteth nebst seinem Sohne in ihren Schlafröcken erschienen. Nun gab mein Gefangener den Widerstand auf, aber ich hielt ihn noch fest, als Crowley das Gas hochdrehte.

»Was, zum Teufel, ist denn los?« fragte Lord Amersteth blinzelnd. »Wer lief eben die Treppe hinab?«

»Mac – Clephane!« antwortete ich rasch.

»Aha!« sagte Lord Amersteth, sich dem Bedienten zuwendend. »Sie sind also der Spitzbube? Gut gemacht, gut gemacht! Wo ist er denn erwischt worden?«

Davon hatte ich keine Ahnung.

»Lady Melroses Tür steht offen,« fiel Crowley ein. »Lady Melrose! Lady Melrose!«

»Du vergißt, daß sie taub ist,« erinnerte ihn sein Vater. »Aha, das wird ihre Jungfer sein.«

Eine innere Tür hatte sich geöffnet, im nächsten Augenblick ertönte ein leiser Aufschrei, und eine weiße Gestalt erschien lebhaft gestikulierend auf der Schwelle.

» Où donc est l'écrin de Madame la Marquise? La fenêtre est ouverte. Il a disparu!«

»Fenster offen und Schmuckkasten zum Teufel!« rief Lord Amersteth aus. » Mais comment est Madame la Marquise? Elle est bien?«

» Oui, Mylord. Elle dort.«

»Die ganze Geschichte verschlafen!« sagte Mylord. »Jedenfalls die einzige im Hause.«

»Aber weshalb ist denn Mackenzie – Clephane fortgerannt?« fragte mich der junge Crowley.

»Er sagte, es seien unten auch noch ein paar.«

»Warum, zum Teufel, haben Sie uns denn das nicht gleich mitgeteilt?« rief er, worauf er ebenfalls die Treppe hinabstürzte.

Ihm folgten fast alle Cricketspieler, die jetzt gleichzeitig auf dem Schauplatze erschienen, aber nur, um ihn sofort wieder zu verlassen und sich der Jagd anzuschließen. Raffles war ebenfalls darunter, und auch ich würde mich gern beteiligt haben, wenn der Bediente nicht diesen Augenblick gewählt hätte, mir einen Stoß zu versetzen und in der Richtung, aus der die andern gekommen waren, fortzulaufen. Lord Amersteth hielt ihn jedoch gleich fest, allein der Mensch wehrte sich so verzweifelt, daß wir beide alle unsre Kräfte nötig hatten, ihn die Treppe hinabzuzerren, wo uns erschreckte Gesichter aus halb geöffneten Türen anstarrten. Schließlich übergaben wir ihn zwei andern Bedienten, und Lord Amersteth war so freundlich, mir seine Anerkennung auszusprechen, als er mir voraus ins Freie ging.

»Ich meine, ich hätte eben einen Schuß gehört,« fügte er hinzu. »Sie nicht auch?«

»Mir kam es so vor, als ob es drei wären.«

Noch jetzt entsinne ich mich, wie mir der Kies an meinen bloßen Füßen weh tat und wie sie in dem feuchten Gras erstarrten, als wir dem Klange der Stimme folgten, die wir von einem Rasenplatze her hörten. So finster war die Nacht, daß wir mitten zwischen den Cricketspielern standen, ehe wir einen Schimmer ihrer bunten Hausjacken gewahrten, und nun stolperte Lord Amersteth über Mackenzie, der im taufeuchten Grase ausgestreckt lag.

»Wer ist das?« rief der Lord. »Was ist vorgefallen?«

»Es ist Clephane,« antwortete ein Herr, der neben der liegenden Gestalt kniete. »Er ist angeschossen worden.«

»Lebt er noch?«

»Kaum.«

»Allmächtiger Gott! Wo ist Crowley?«

»Hier bin ich,« rief eine atemlose Stimme. »Alles vergebens, meine Herren. Es ist unmöglich, zu erkennen, in welcher Richtung sie entflohen sind. Hier kommt Raffles; er hat's auch aufgegeben,« schloß er, als ein paar Herren keuchend ankamen.

»Nun, einen von ihnen haben wir wenigstens,« murmelte Lord Amersteth, »aber vor allem müssen wir diesen armen Menschen ins Haus schaffen. Ein paar fassen ihn an der Schulter – so – nun in der Mitte – reicht euch die Hände unter ihm – jetzt alle zugleich! So ist's recht! Armer Kerl, armer Kerl! Er heißt gar nicht Clephane; es ist ein Detektiv, der gerade wegen dieser Spitzbuben hierher gekommen ist.«

Raffles war der erste, der seiner Überraschung Ausdruck lieh, aber er war auch der erste gewesen, der sich mit dem Verwundeten zu schaffen gemacht hatte, und keiner bewies während des traurigen Zuges nach dem Hause mehr Kraft und mehr zarte Sorgfalt. Binnen kurzem hatten wir den Bewußtlosen auf ein Sofa in der Bibliothek gebettet, und dort öffnete er unter der Wirkung des auf seine Wunde gelegten Eises und des ihm eingeflößten Kognaks die Augen und bewegte die Lippen.

Lord Amersteth beugte sich über ihn, um die Worte des Verwundeten zu verstehen.

»Ja, ja,« sagte er dabei, »einen von ihnen haben wir dingfest gemacht, den Kerl, den Sie oben im Hause am Kragen gefaßt hatten.« Lord Amersteth beugte sich noch tiefer hinab. »Was? Er hat das Schmuckkästchen zum Fenster hinausgelassen? Und sie sind damit entwischt? Hm, hm. Ich will nur hoffen, daß wir diesen braven Mann durchbringen. Da – nun ist er wieder in Ohnmacht gefallen!«

Eine Stunde verging; die Sonne stieg empor.

Sie beschien ein Dutzend junge Leute, die in ihren Hausjacken und Überröcken im Billardzimmer saßen, Whisky und Sodawasser tranken und alle gleichzeitig sprachen. Dabei ging ein Fahrplan von Hand zu Hand, während der Arzt noch in der Bibliothek war. Endlich öffnete sich die Tür, und Lord Amersteths Kopf wurde sichtbar.

»Der Fall ist nicht hoffnungslos, aber immerhin schlimm genug,« sagte er. »Cricket wird heute nicht gespielt werden.«

Nach einer weiteren Stunde waren die meisten von uns auf dem Wege nach dem Bahnhofe, um den Frühzug zu erreichen. Wir füllten ein Coupé fast zum Ersticken und sprachen noch immer von den Ereignissen der Nacht, und immer noch war ich in meiner Art ein kleiner Held, weil ich den einzigen Spitzbuben, der gefangen worden war, festgehalten hatte. Darüber empfand ich die innigste Befriedigung, womit es freilich eine eigene Bewandtnis hatte, von der die andern nichts ahnten.

Raffles beobachtete mich unter seinen gesenkten Augenlidern hervor. Noch keine Silbe hatten wir zusammen gesprochen, und wir wechselten auch kein Wort, bis wir die andern am Paddington-Bahnhofe verlassen hatten und in einer Droschke auf geräuschlosen Gummirädern und mit klingenden Schellen durch die Straßen fuhren.

»Na, Bunny,« sagte Raffles, »die Gewerbsmäßigen haben gewonnen, wie?«

»Ja,« antwortete ich, »und ich bin von Herzen froh darüber.«

»Daß der arme Mackenzie eine Kugel in der Brust hat?«

»Nein, daß du und ich diesmal auf der Seite der Ehrlichkeit gestanden haben.«

»Du bist unverbesserlich, Bunny, ganz unverbesserlich! Aber wenn die Beute uns zugefallen wäre, würdest du deinen Anteil schwerlich verschmäht haben. Trotzdem macht es dir geradezu Spaß, daß wir bei diesem Wettrennen geschlagen worden sind – und zwar schon zum zweiten Male. Allein ich gestehe, daß mich das Vorgehen der Gewerbsmäßigen sehr interessiert hat. Ich zum wenigsten habe an Erfahrung so viel gewonnen, als ich in andrer Hinsicht verloren habe. Das Hinunterlassen des Schmuckkästchens aus dem Fenster war ein sehr einfaches Auskunftsmittel. Zwei von der Bande hatten schon stundenlang unten gewartet.«

»Woher weißt du denn das?« fragte ich.

»Ich habe sie von meinem eigenen Fenster aus gesehen, das genau über dem der lieben alten Dame lag. Als ich am letzten Abend hinaufging, um mich zu Bett zu legen, quälte mich die Sehnsucht nach dem Halsband in ganz besonderem Maße. Um ehrlich zu sein, will ich gestehen, daß ich mich überzeugen wollte, ob das Fenster unter dem meinen geöffnet sei und ob nicht eine entfernte Möglichkeit vorliege, das Wunder unter Benutzung meines Betttuches als Seil zu vollbringen. Natürlich war ich so vorsichtig, mein Licht vorher auszulöschen, und das war ein Glück! Ich konnte unten zwei Gewerbsmäßige sehen, aber sie bemerkten nicht das Geringste von mir. Einmal gewahrte ich auch auf ganz kurze Zeit eine winzige leuchtende Scheibe und bald darauf noch einmal. Was das war, wußte ich natürlich, denn ich habe das Zifferblatt meiner Uhr auch mit Leuchtfarbe bemalen lassen; das ersetzt in gewissem Maße eine Laterne, wenn man keine andre anwenden kann. Aber diese Leute gebrauchten ihre Uhren nicht als Laternen. Sie standen unter dem Fenster der alten Dame und paßten die Zeit ab. Die ganze Geschichte war mit dem Helfershelfer im Hause abgekartet. Der beste Diebsfänger ist ein Dieb; und so war es auch hier, denn ich durchschaute sofort den ganzen Plan.«

»Und du griffst nicht ein?« rief ich aus.

»Im Gegenteil – ich ging hinunter und geradeswegs in Lady Melroses Zimmer ...«

»Was?«

»Ohne mich einen Augenblick zu besinnen. Um ihre Juwelen zu retten. Nötigenfalls wollte ich ihr so laut ins Hörrohr schreien, daß das ganze Haus erwacht wäre, aber die alte Dame ist zu taub und ißt zu gern etwas Gutes, als daß sie so leicht zu erwecken wäre.«

»Nun – weiter?«

»Sie rührte sich nicht.«

»Und doch hast du zugelassen, daß die Gewerbsmäßigen, wie du sie nennst, Juwelen, Kästchen und alles stahlen.«

»Alles, außer diesem hier,« antwortete Raffles, indem er mir seine geschlossene Hand auf den Schoß legte. »Ich hätte es dir schon früher gezeigt, aber wirklich, alter Kerl, das Gesicht, das du den ganzen Tag schnittest, war ein Vermögen für unsre Firma wert.«

Bei diesen Worten öffnete er seine Faust, um sie sofort wieder über dem Häuflein von Diamanten und Perlen zu schließen, das ich zuletzt am Halse der Lady Melrose gesehen hatte.


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