Hans Hopfen
Der alte Praktikant
Hans Hopfen

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X.

»Was war's denn mit dem Testament gestern?« fragte der alte Notar am andern Tage seinen Konzipienten.

»Nichts war's! Es kam gar nicht zum Niederschreiben!« versetzte dieser.

»Und das nennen Sie eine Kommission?«

»Nennen Sie's einen Spaziergang.«

»Aber die Expensen, mein Herr, woher soll ich die Expensen nehmen?«

»Aus meiner Tasche!« sagte Eisenhut und lachte.

Der Alte sah Eisenhut lange staunend an, verschob in der Aufregung die Perrücke, ließ die herabhängenden Backen über der weißen Kravate tremoliren und faßte endlich seinen Unmuth in die geläufige Phrase zusammen: »Die Welt wird mit jedem Tag dümmer!« –

Während in der Notariatskanzlei zwei feindselige Federn grimmig drauflos kritzelten, ohne sich weiter aneinander zu kehren, verfaßten zwei andere Federn einen Bericht in ungetrübter Eintracht.

206 Dadurch geschah's, daß der Staatsrath von Rüdenhausen zwei Tage später von Allem, was sich im Salon der Villa Distelfeld zugetragen hatte, auf's Genaueste unterrichtet war. Von dem, was als Nachspiel im Garten vor sich gegangen, stand im Briefe nichts.

Trotzdem konnte der kluge Herr zwischen den Zeilen dieses mit zierlichen Fliegenfüßchen vollgekritzelten Manuskriptes wohl herauslesen, daß der Held dieser Familiengeschichte einer seiner beiden Töchter, wenn nicht gar allen beiden, ziemlich nah an's gute Herz getreten war.

Aber immerhin! Wenn er auch von dem Enthusiasmus der jungen Mädchen ein gut Theil abstrich, es blieb doch die Thatsache bestehen, durch die ihn der fremde Mann zu lebhaftem Dank verpflichtete.

Wie weit war es mit der Nervosität seiner guten Eleonore gekommen, wenn sie solche Extravaganzen ausbrütete! Derartige Wirkungen hatte er sich gerade von dieser Sommerfrische bei Mariatannerl nicht erwartet. Bigotte Velleitäten waren seiner Frau bisher noch immer fern geblieben. Und dabei hatte ihr leibliches Befinden in der Kur der Moosrainerin auch keine Besserung erfahren. Unter diesen Umständen däucht' es ihn an der Zeit, die Leidende heimzurufen, sobald die ersten Blätter sich verfärben würden, und mittlerweile so oft nur irgend möglich selbst in Distelfeld zu erscheinen, um das Auge des Gatten, Vaters und Herrn über den Seinen leuchten zu lassen.

In seinem Aerger sah er sogar noch etwas mehr als 207 wirklich war. Als Staatsmann, Diplomat und Parteigänger war er ja gewissermaßen zu mißtrauischer Vorsicht verpflichtet. Es wollte ihn dünken, als ob ultramontane Sendlinge, die in der Nähe des Wallfahrtsortes oder vielleicht unter dem Schutz der Wunderbäuerin ihr Wesen trieben, sich an seine Frau gemacht hätten, um heimlichen Einfluß in seiner Familie zu gewinnen und also seine öffentliche Stellung oder sein häusliches Glück zu untergraben.

Doch davon stand nichts in dem Briefe. Er las das kindliche Doppelschreiben noch einmal. Es ward ihm so wohl und heiter bei den Worten seiner lieben Mädchen. Er sagte sich selbst, daß er wohl zu viel gesehen und daß seine Frau im Stande wäre, solche Vorsätze auch aus eigener Laune ohne Anderer Zuthun auszuhecken.

Aber wie dem war, ein Mann, der die Launen seiner Frau so klug zu behandeln und ihre gefährliche Spitze mit so liebenswürdiger Vorsicht abzubrechen wußte, der war nicht nur seines Dankes, der war auch seiner vollen Achtung werth. Wenn ein Anderer, ein Leichtfertiger, ein Schelm oder ein Pfaffenknecht – wie's doch genug in jener Gegend gab – der Frau an die Hand gegangen wäre . . . Entschieden, der unbekannte Mann Namens Eisenhut hatte dem Staatsrath einen großen Dienst erwiesen.

Ewald von Rüdenhausen war von Haus aus kein reicher Herr. In seiner Familie galt von jeher der Brauch, die alte Herkunft und gute Stellung mit jenem äußern Behagen zu umgeben, die den Leuten schon von ferne deutlich 208 anzeigt, mit wem sie es zu thun haben. Der Staatsrath selbst war gerade kein Verschwender, aber die Sparsamkeit gehörte eben auch nicht zu den Erbtugenden Derer von Rüdenhausen. Unter diesen Umständen war das, was er den Rest seines väterlichen Erbes nannte, kein sehr dehnbarer Begriff. Er nahm ein stattliches Gehalt ein. Das Vermögen seiner Frau bot nicht Reichthum, aber Wohlhabenheit. Nicht nur das eigene Behagen der Eltern, die Zukunft ihrer Töchter verlangte, daß in dieß Vermögen keine leichtfertige Bresche gelegt wurde. Ewald war ein gewissenhafter Verwalter und kluger Mehrer dieses Vermögens. Aber es würde seinem Stolz widerstrebt haben, einem ausgesprochenen Wunsche seiner Frau seine Zustimmung zu verweigern, der einen Theil dieses Vermögens aus seinen Händen gegeben hätte, und wär's auch gewesen, um denselben zu verschleudern . . . Ein braver Mann, dieser Eisenhut . . . ein Mann der Vorsehung!

Aber . . . Ewald von Rüdenhausen las den Brief seiner Töchter zum dritten Mal und die Eifersucht des väterlichen Herzens las dießmal mit. Vielleicht war der fremde Mensch nur so klug gewesen aus Eigennutz? Der Schwiegersohn des berühmten, hochgestellten, einflußreichen Rüdenhausen zu werden, das war für einen Mann auf der untersten Stufe der richterlichen Leiter keine schlechte Spekulation. Wer war überhaupt der Herr? Ein Notariatskonzipist. Aller Wahrscheinlichkeit nach ein Mensch kurz über die Staatsprüfung hinaus, ein junger Mensch, kaum vier, fünf Jahre älter als 209 seine Töchter. Er hatte zu so jungen Menschen kein rechtes Vertrauen. Er war auch einmal jung gewesen. – Und welche Familie, welche Gewohnheiten, welche Vergangenheit hatte der hinterwäldlerische Notariatskonzipient? Er wird es ja bald selbst sehen. Aber er konnte sich derweilen Fälle genug denken, wo er lieber hunderttausend Mark verloren, die er brauchte, als einen Schwiegersohn gewonnen hätte, der ihm mißfiel.

Doch das waren Vermuthungen! Eins blieb gewiß, daß er dem Menschen zu Danke verpflichtet war. Und es ging gegen Ewald's Religion, sich einen merklichen, geschweige gar einen großen Dienst erzeigen zu lassen, ohne seine Dankbarkeit werkthätig zu beweisen und wo möglich Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

Mit jedem Tag, mit jeder Woche wuchs seine Ungeduld, Kinder und Gattin wiederzusehen. Und trotzdem fuhr er, sobald ihm einige Urlaubstage gesichert waren, nicht geraden Wegs nach Mariatannerl, sondern erst nach der diesem Wallfahrtsorte so nahe gelegenen Hauptstadt.

Obwohl der Diener eines andern, freilich weit mächtigeren Gemeinwesens, war der vielvermögende Mann auch in dem benachbarten Staate nicht ohne Einfluß und mit den wichtigsten Persönlichkeiten durch Freundschaft oder gegenseitig erwiesene Dienste auf's Angenehmste verbunden.

Beim Minister der Justiz gemüthlich am Familientische speisend, ließ Ewald von Rüdenhausen mitten im Gespräch die Frage fallen:

210 »Sagen Sie doch, Excellenz: Sie haben da unter Ihren jungen Leuten einen recht fähigen Menschen, Eisenhut, ich glaube Max . . . Ja wohl, Max Eisenhut mit Namen. Ein sonderbarer Zufall hat mich mit einer Arbeit dieses Herrn bekannt gemacht, vor der ich allen Respekt empfinde. Persönlich blieb er mir fremd. Was ist das für ein Menschenkind?«

»Eisenhut, Eisenhut? . . .« brummte der Minister, ohne sich im Kauen stören zu lassen. »Mir gänzlich unbekannt. Also wohl nichts Ausgezeichnetes.«

»Welcher Chef ist allwissend und wer kann jedes Verdienst auszeichnen! Wenn Sie nichts auf den Mann halten, ich wäre sehr geneigt, denselben in unsern Staatsdienst herüberzuziehen.«

»Oho!« rief die Excellenz lachend, die Gabel niederlegend. »In unserer manchesternen Zeit, wo die Kapazitäten im Staatsdienst immer weniger werden?!«

Wieder die Eßhülfsmittel ergreifend, brummelte er verneinend, ließ aber beim nächsten Gang brevissima manu den Befehl in die Registratur laufen, zum Kaffee in den Salon die Personalakten des Herrn Max Eisenhut »herabgelangen zu lassen«.

Er machte ein bedenkliches Gesicht beim Kaffee. In der einen Hand seine Cigarre, in der andern den Akt, sprach er langsam, als thät' es ihm leid, den fremden Staatsmann in seinem Günstling zu kränken:

»Ihr Herr Eisenhut ist auf den Punkt vierzig Jahr alt . . . 211 nichtsdestoweniger seines Zeichens noch immer nicht mehr als unbesoldeter Rechtspraktikant und nebenbei auf eigene Faust Hülfsarbeiter eines Notars . . . Nichts für ungut! Der alte Knabe muß eine nichtswürdige Note im Staatsexamen erhalten haben.«

»Seltsam! Findet sich die Note nicht im Akt?«

»Ja! Hier ist sie! . . . Hm! Die Note ist nicht viel besser, aber auch nicht schlechter, als die der meisten Kandidaten. Die landläufige Durchschnittsnote. Sie hat mich nicht gehindert, Minister zu werden! Hm, hm! . . . Der Mann wird politisch kompromittirt sein. Sozialdemokrat vielleicht oder . . .?«

»Und das sollten Sie nicht wissen, Excellenz?«

»Steht auch nichts davon im Akte!«

»Quod non in actis, non in mundo!«

»Verdammt! . . . Entschuldigen Sie, Herr Geheimrath! Ich wollte sagen, daß ich Ihnen für Hinweis auf das im Verborgenen blühende Verdienst sehr dankbar bin.«

»Ich dachte mir's nicht anders!«

Der Minister schlug mit der flachen Hand recht ärgerlich auf die Klingel neben dem Rauchapparat. Ein Diener erschien.

»Ministerialsekretär Schnauzenberg noch im Hause?«

»Werde gleich fragen lassen!«

»Soll sich hier melden!«

Der Diener verschwand und die Excellenz sagte zu Rüdenhausen:

212 »Wenn hier wirklich ein Versehen vorliegt, so sind wir dem Mann eklatante Genugthuung schuldig. Sie soll ihm werden! Noch einmal meinen Dank!«

Dann rauchten Beide schweigend fort, bis nach wenigen Minuten das Faktotum des Ministers eintrat.

»Schnauzenberg, kennen Sie einen alten Rechtspraktikanten Namens Eisenhut?«

»Ja wohl, Excellenz, wir haben zusammen studirt!« sagte der kleine, rundliche Mann mit glattgebürsteten, fettglänzenden Haaren, einer der unnützen Freunde des in Rede Stehenden.

»Was liegt gegen den Betreffenden vor?«

»Durchaus nichts . . .« (Der gute Freund besann sich, da ihn des Ministers finsterer Blick traf, und um diesen falsch verstandenen Blick nicht zu verdienen, fügte er hinzu:) »So viel mir bekannt: nichts!«

»Nu, mir ist auch nichts bekannt . . . Und warum ist der Mann nicht schon lange angestellt?«

Der Gefragte zögerte, dann sagte er:

»Er hat die Assessorsstelle, die ihm seiner Zeit angeboten worden, ausgeschlagen.«

»Warum?«

»Verzeihung, Excellenz! Ich glaube, aus keinem andern Grund, als weil ihm das Bier in dem Landgerichtsbezirke, wo er als Praktikant diente, besser schmeckte als in dem, wo er als Assessor angestellt werden sollte.«

»Also ein Original . . . hm, hm! Und hat er sich seitdem nicht wieder gemeldet?«

213 »Ach ja, ich glaube sogar in jüngster Zeit . . .«

»Wurde mir Vortrag gemacht?«

»Ich glaube nicht. Der Belästigungen sind so viele . . . und man meinte . . .«

»Man? . . wer ist man? . . . Ich verstehe, wir wollen keine Namen nennen. Gut! Waschen wir unsere schmutzige Wäsche, wenn wir allein sind. Meine Empfehlung, Herr Ministerialsekretär! Guten Nachmittag!«

Auch der Staatsrath Rüdenhausen hielt es für gerathen, gleich jetzt aufzubrechen und nicht länger Zeuge zu sein, wie sich die Verlegenheit oder der Aerger des Ministers Luft machen werde. Er diente dem alten Praktikanten jedenfalls in dieser diskreten Weise mehr. Auch machte ihm sein Schützling allerlei Gedanken, die er lieber allein bebrütete.

Vierzig Jahre . . . ein Original . . . ein Bierliebhaber . . . ein verbauerter Aktenkrämer . . . das schien ihm wenig gefährlich für seine Mädchen! Er hatte wohl zu viel zwischen den Zeilen gelesen oder die lieben Kinder langweilten sich eben auf dem Land und vertrieben sich die Zeit mit sentimentalen Neckereien ohne Bedeutung.

Er hatte noch die Genugthuung, daß er am andern Morgen ein Handbillet des Ministers erhielt, worin ihm dieser nach wiederholtem Dankesausdruck die Mittheilung machte, daß man für den allzu lang übersehenen und in der That aller Berücksichtigung zu empfehlenden Praktikanten Eisenhut eines der einträglichsten Notariate im Königreich 214 in's Auge gefaßt habe, dessen Erledigung in nächster Zeit bevorstünde.

Damit war die erwiesene Gefälligkeit ausgeglichen und Rüdenhausen jenem Unbekannten nichts mehr schuldig. –

Sobald der sehr ehrenwerthe Ministerialsekretär Schnauzenberg gemerkt, daß höheren Orts für Eisenhut ein gar günstiger Wind wehte, hatte er seinen freundschaftlichen Gefühlen für den alten Kumpan aber auch nicht den geringsten Zügel mehr auferlegt. Offenbar hatte sich auch der fremde Staatsmann mit dem vornehmen Gesicht für den vergessenen Praktikanten interessirt. Da war was im Werke! Solche Zeichen und Wunder durfte ein für sein Fortkommen bedachter Streber, der Frau und Kinder hat, nicht übersehen. Und so erhielt der Minister noch am selben Abend, bald nachdem Rüdenhausen ihn verlassen, aus Schnauzenberg's Hand und Mund einen Bericht, der wie für den Günstling, so auch für den Gönner gemacht war. Was nur irgend sich zu Eisenhut's Gunsten sagen ließ, erschien in's hellste Licht gesetzt. Auch Züge privater Erfahrung waren mit jenem uneigennützigen Freimuth, der untergebenen Beamten ihrem allmächtigen Chef gegenüber so wohl ansteht – wenn dieser solche Freiheiten durch seine Erwartung im Voraus genehmigt – sehr geschickt angebracht.

Um nach solchen Vorbereitungen keinerlei unangenehme Verlegenheit im Gemüthe des Ministers andauern zu lassen, war auch gleich von dem fündigen Schnauzenberg eine und andere zur Vakanz gemeldete Stelle angedeutet, die für den 215 alten Praktikanten wie gemacht schien und durch ihre Einträglichkeit und sonstige Beschaffenheit langes Warten vergüten konnte.

Der Minister prüfte die Sache eingehend, entschied endlich genau so, wie der kleine Schnauzenberg ihm die Entscheidung präparirt hatte, und meldete noch am späten Abend dem Manne, der den ersten Anstoß zu dieser Entscheidung gegeben hatte, den erfreulichen Beschluß.

So greift in einem geordneten Staatswesen ein Rad in's andere zum erfreulichen Zweck.

Und so war's auch nur zur Hälfte geflunkert, wenn gleichzeitig, als der Minister an Ewald von Rüdenhausen sein Briefchen schrieb, folgende Epistel an den alten Praktikanten gedrechselt wurde:

»Lieber Korpsbruder!

»Alte Freundschaft rostet nicht; selbst dann nicht, wenn man, wie Du gethan, sie unter das alte Eisen geworfen hat. Eine der nächsten Wochen dürfte Dir den Beweis bringen, daß, wenn ich auch nicht die Gewohnheit habe, mit tönenden Versprechungen um mich zu schleudern, ich doch im richtigen Augenblick die Versprechungen, die ich mir selber stillschweigend gegeben, treu zu halten verstehe und daß das bescheidene Wort Deines unscheinbaren Freundes doch ein Bischen was gilt bei den Mächtigen dieser Welt. Mehr darf ich Dir vorderhand nicht sagen, ohne das Amtsgeheimniß zu verletzen. Sage Du vorderhand gar nichts davon, aber bereite Dich im Stillen auf eine eingreifende 216 und glückliche Veränderung Deiner Lage vor. Einstweilen wünsche ich Dir alles Glück und meine liebe Frau thut deßgleichen, obwohl sie eigentlich auf Dich böse sein sollte, nachdem Du Dich so lange nicht mehr hast blicken lassen. Bessere Dich und thue Buße und vergiß im Glück nicht

Deinen getreuen

Schnauzenberg.« 217

 


 


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