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Zwei Jahre waren vergangen und Jan war glücklich bei seiner Arbeit im Hospiz, weil er wußte, daß er seinen Vorfahren glich und ein nützliches Leben führte.
Wenn er die beschneiten Wege entlang ging, kam ihm oftmals das Land ohne Schnee in den Sinn, und er dachte an den warmen Sonnenschein, die duftenden Blumen und die schönen Bäume, die mit goldenem Obst beladen waren. Aber wonach er sich am meisten sehnte, waren die Liebkosungen einer runzeligen Hand, und die zärtliche Stimme des alten Kapitäns. Niemand hatte eine Ahnung von Jans Gedanken, denn er war stets bemüht, seine Arbeit möglichst gewissenhaft zu tun und die kleinen Hunde zu lehren, daß sie stolz sein dürften auf ihr Vorrecht, den Menschen zu helfen.
Bruder Anton hatte das Hospiz verlassen und das wärmere Klima des Rhonetales aufgesucht. Er hatte sein Werk selbstlos und tapfer vollbracht. Er war nicht von selber gegangen, sondern die anderen Mönche hatten gebeten, er möchte an einen Ort gesandt werden, wo Sonnenschein und mildere Luft ihn wieder zu Kräften bringen und sein Leben verlängern würden. Jan vermißte den treuen Freund sehr.
Es gab kalte Tage, an denen Jan morgens ganz steif war, denn er war nicht von Jugend auf an die Arbeit im Schnee gewöhnt worden wie Rollo und die andern Hunde. Die fünf Jahre im Lande ohne Schnee hatten Jans Muskeln schlaff gemacht, und er war empfindlicher gegen die kalte Witterung als die übrigen Bernhardiner. Außerdem erschwerte sein langes Haar die Arbeit, weil der Schnee an seinem Fell hängen blieb und beim Schmelzen ihn bis auf die Haut durchnäßte. Die Mönche gaben deshalb besonders auf ihn acht, daß er sich nicht erkälten sollte. Ein paarmal hatte er stark gehinkt, als er von der Arbeit heimkam, und da hatten sie ihn tüchtig gerieben und ihn in den großen Saal gebracht, wo ihm erlaubt wurde, sich vor den Kamin auszustrecken. Eine Zeitlang wurde er dann nicht auf die Suche ausgesandt.
Eines Tages im Sommer wurden die Hunde ins Freie gelassen, um sich Bewegung zu machen. Jan saß und schaute zu, wie die jungen Kameraden sich umhertummelten, und er dachte dabei an die Zeiten, wo er und Rollo auch so gespielt hatten und der alte Bruno ihnen zugesehen hatte. Da fing einer der Hunde an zu bellen, und die anderen stimmten bald mit ein; denn es galt, eine kleine Gesellschaft Reisender zu begrüßen, die am Eingang des Passes erschien, der nach Martigny führt. Jan bellte auch mit; seine tiefen, weichen Töne erklangen deutlich über den anderen. Er sah nicht, daß die Reisenden auf dem Pfad anhielten, und hörte auch nicht, wie ein alter Mann, der auf einem Maulesel ritt, ausrief: »Hört! Das ist Jan! Ich kenne seine Stimme!«
Ein jüngerer Mann und eine junge Frau, die auch auf Mauleseln ritten, lächelten vergnügt, obwohl die Augen der jungen Frau sich mit Tränen füllten, als sie den alten Mann so freudig sah. Sie kamen bald zu den Stufen, die ins Hospiz führen. Die Maulesel standen still, und die Hunde drängten sich heran, um zu zeigen, wie froh sie waren, Besuch zu bekommen.
Der Alte stieg vom Maulesel und wandte sich zu den Hunden. Er blickte rasch von einem zum andern, bis er denjenigen gefunden hatte, den er suchte. Prinz Jan blickte ihn starr an. Plötzlich leuchteten seine Augen, mit erhobenem Kopf brach er in ein Freudengeheul aus und sprang vor zu ihm.
»Jan! Jan! Du hast mich nicht vergessen, gelt?« rief der alte Kapitän, indem er niederkniete und seine Arme um den zottigen Nacken des Hundes schlang, während die rauhe Zunge des Hundes die runzelige Hand beleckte und ein leises Gewinsel Jans Freude bekundete.
Die andern Hunde drängten sich in großer Aufregung herbei und wunderten sich, was das alles zu bedeuten habe; die Führer, die Dame und der Herr standen neben dem alten Manne, sprachen zusammen und streichelten den Hund. Aber Jan kümmerte sich nicht um sie; sein einziger Gedanke war, dicht bei seinem alten Herrn zu bleiben, dessen Hand auf seinem Kopf ruhte und in dessen matten, blauen Augen Tränen der Freude glänzten. Auch Jans Augen verrieten sein Glück und seine Liebe.
Im großen Saal empfingen die Mönche den alten Kapitän, den sie nicht vergessen hatten. Nachdem die ersten Begrüßungen vorbei waren, ließen sie sich von der Sehnsucht des Alten nach Prinz Jan erzählen. Die Dame, welche des Kapitäns Tochter war, fügte hinzu, daß sie die Minen in dem entfernten Alaska verkauft, und daß sie sich ein Heim im südlichen Kalifornien gebaut hätten, wo der Kapitän bei ihnen lebe. Sie hatten bald bemerkt, wie sehr ihr Vater sich sehnte, Prinz Jan noch einmal zu sehen, und deshalb hatte die Familie die Reise nach Jans Heimat in den Alpen unternommen.
An jenem Abend war Prinz Jan ungemein glücklich, als er, vor dem Kamin ausgestreckt, zu Füßen des Kapitäns liegen durfte. Er schlief aber nicht, denn seine Augen waren liebevoll auf das Gesicht des alten Mannes gerichtet, und wenn derselbe sich niederbeugte, um ihn zu streicheln, bewegte Jan vor Freude seinen Schwanz hin und her.
Die Mönche unterhielten sich mit dem Schwiegersohn und der Tochter des Kapitäns und lächelten dabei Prinz Jan zu. Er verstand nichts von dem, was sie sagten, aber er war glücklich, weil er fühlte, daß auch sie es waren.
Der Gegenstand ihres Gesprächs war ein Plan, der den Hund betraf. Prinz Jan war jetzt acht Jahre alt und deshalb bald nicht mehr imstande, seine schwere Arbeit zu verrichten. Er hatte sein redlich Teil an der Arbeit der Bernhardiner beigetragen, mit Ehren für sie und sich selbst, und nun, meinten die Mönche, sei er berechtigt, seine letzten Lebensjahre behaglich und zufrieden bei seinem alten Freunde, dem Kapitän Smith, zu verleben.
So wurde also am folgenden Morgen Prinz Jan zum Eingang des Hospizes gebracht, wo er, wie schon früher einmal, Kapitän Smith auf seinem Maulesel sitzen sah. Die Tochter des Kapitäns und ihr Mann saßen ebenfalls auf Mauleseln, und der Führer stand bei ihnen.
Jan sah die Mönche an, die auf den Stufen standen, und blickte dann zum Kapitän hinüber. Die Maulesel fingen an, langsam den Weg hinabzugehen, und Jan stieß einen kurzen, klagenden Laut aus, als sie sich weiter und weiter entfernten. Dann hörte er, wie der Mönch, der die Hunde versorgte, sagte: »Geh mit, Jan!«
Der Hund machte einige Schritte, blieb dann aber stehen. Die Mönche lächelten und deuteten auf den Weg, der nach Martigny führte. Jan wandte sich und beobachtete die Reisenden, die den Pfad hinabritten. Sie erreichten die Spalte zwischen den Felsen und hielten an, wie um auf ihn zu warten.
Jan bebte am ganzen Körper und in seinen Augen lag ein Ausdruck von Schmerz und Sehnsucht. Da hörte er die Stimme, die er liebte, laut und deutlich rufen:
»Komm mit, Jan! Wir gehen in unsere Heimat!«
»Wau, wau!« kam die Antwort, die als Echo von den Bergen widerhallte. Die Hunde des Hospizes stimmten in den Ruf ihres Stammes ein, und Jan jagte jetzt mit Hast den Pfad hinunter, bis er die kleine Gruppe erreicht hatte. Dort sprang er an dem Alten in die Höhe, beleckte die runzelige Hand, und beschritt dann mit erhobenem Kopf zum letztenmal den Weg seiner Väter. Er wußte nicht, wohin die Reise ging, aber er sorgte sich nicht darum, denn sein Herr und Freund sah auf ihn nieder und lächelte ihm zu, und das war ihm genug.