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Onkel Ludwig: (nachdrücklichst; befriedigt; auch diese Einzelheit ihm nicht schenkend) Genau so, wie damals . . . als ich an meinem braunen, zerschnitzten Schularbeitspult . . . noch den Robinson Crusoe las!
Dufroy: (ähnlich wie vorhin; nur jetzt bereits fast etwas ungeduldig) Alles ganz recht und schön . . . aber dann war das doch nur . . .
Onkel Ludwig: (eifrig; nickend; seinen Satz ihm, allerdings ganz anders gedreht, als dies natürlich sonst Dufroy selbst getan, fortsetzend und seine ganze, antiquiert-bunte Farbenskala, die ihm in diesem Zustand ganz besonders reichhaltig zur Verfügung steht, dabei funkeln und glitzern lassend) Zu dem ganzen . . . libidinös üppigen . . . lasziv unflätigen . . . jeder Scham baren, Höllen-, Zauber- und Hexensabbat, der mich . . . nachher und . . . hernachwärts . . . wie von rasenden, geierkralligen Erinnyen und Schlangenfurien verfolgt und gepeitscht . . . bis hier heruntertrieb . . . besagtermaßen, zuvörderst bloß und nur . . . die zart präludierende . . . eiapopeiande . . . perfid betümpelnde Einwiegungsintroduktion und . . . (burleske, wie empört abwehrende Geste nach der Kaminuhr, die in diesem Augenblick mit zwei Schlägen Halb anzeigt).
Dufroy: (der ebenfalls nach ihr hingesehen; wieder zu Onkel Ludwig) Es ist . . . vielleicht doch . . . wenigstens im Moment, für dich besser . . .
Onkel Ludwig: (mit neuer, jetzt noch erhöhter Verve, wieder einsetzend) Plötzlich . . . mit einem Ruck und mit einemmal . . . unter einer schrill ohrzerreißend aufgellenden, markerschütternd losrasselnden, alle Sinne wie taumelnd übertäubenden Pfeifen-, Zymbeln-, Tamtam-, Triangel- und Kesseltrommelmusik, die mir mit ihrer dumpfen, dunklen, wollüstig stimulierenden, orphischen Urmelodie durch alle Nerven und Adern rann . . .
Dufroy: (dem dies Feuer fast beängstigend vorkommt) Du solltest wirklich . . .
Onkel Ludwig: (als ob Dufroy ihn gar nicht unterbrochen) Während das geflügelte Kroopzeug gleichzeitig sich, wie toll, auf- und übereinander warf und das ganze Blattwerk, Rankengewirr und Gittergeflecht ringsum sich, wie mit einem Schlag, in ein einziges, sich zuchtlos paarendes und kopulierendes, schleimiges Basilisken-, Ottern- und Molchgewürm verwandelt hatte . . .
Dufroy: (Geste) Laß es nun . . .
Onkel Ludwig: (noch immer in seinem selben Satz; wie vorhin) Auf einem skandalös schwelgerischen, scheusälig und lasterhaft mit einer schandbar infamen Unmenge unerlaubt unziemlicher, verderbt zweideutiger, ärgerniserregender Pflanzen-, Früchte- und Blumenembleme bunt-scheckig in allen sieben Regenbogenfarben durchsprenkelten, odaliskischen Haremsteppich . . .
Dufroy: (nervös; mit einem gewissen Respekt vor dem, wie er fühlt, jetzt sicher Kommenden) Wo zu . . .
Onkel Ludwig: (noch gesteigert; aus seinem barocken, altväterischen Wortvorrat, der fast unerschöpflich scheint, immer spendabler) Faunisch-viehisch umkollert, umlüstert, umgrunzt, umquiekt und umbalzt von einem frivol unzüchtigen, obszön ausgelassnen, wüsten, zügellosen, wie behaarbeutelten Chorus unehrbarer, anstandswidriger, zudringlicher Schweinsaffen, Paviane und Mandrills, die sich in allerhand möglichen fleischlichen und schlüpfrigen Posituren und Stellungen . . .
Dufroy: (von dieser ganzen Höllenbreugheliade, gegen die er nicht ankann, als Sohn, Stiefbruder und Arzt gleichmäßig bedrückt) Du brauchst mir wahrhaftig . . .
Onkel Ludwig: (über seinen gequälten Einspruchsversuch, sturzbachartig, noch immer fast mit jeder Silbe sich steigernd, weiter) Den unerhört unzartesten, respektwidrig bachantischsten, handgreiflichsten Allotriis hingaben, diesen oblagen und sich ihrer erfreuten, Perlen, Opale, Topase, Türkise, Saphire, Mondsteine und Rubine im kostbar rundtoupierten, blauvioletten, goldbepuderten Haar, in langen, seidenschwarzen, mit herausfordernd phallischen Symbolen ausschweifend liederlich durchbrochnen Strümpfen und kleinen, pittoresk bernsteingelb gestöckelten, prächtig meergrün schillernden Atlasschühchen, bajaderisch sich windend, succubisch glühäugig lächelnd, lupanarisch nackt . . . (nach dem Portrait rechts zurück – Brustbild – das die Mutter, während den jugendlichen Stiefvater links der übliche festliche Bratenrock schmückt, etwas à la Lady Hamilton zeigt).
Dufroy: (der den fast außer sich Geratnen jetzt an der rechten Hand hält; sie ihm mit der linken streichelnd; erschüttert-mitleidig) Lieber Bruder! Lieber . . .
Onkel Ludwig: (auch jetzt noch in seinem selben Satz; in dessen anklagendem Haß ungebrochen) Unersättlicher als Messalina, entfesselter als Phryne, ekstatisch aufgelöster als Leda, Danae und Io, in brünstig zuckend ruchlosem Wollustkrampf, (nach dem kleinen Schrägsofa links) wie sie damals . . .
Dufroy: (noch gesteigerter als vorhin; statt der rechten Hand ihm jetzt die rechte Schulter streichelnd) Lieber Ludwig! Lieber . . .
Onkel Ludwig: (dessen Stimme, die so lange durchgehalten, jetzt fast zu versagen droht) Wie sie damals . . . meine dreizehn Jahre . . .
Dufroy: (mit aller Kraft auf ihn einsprechend) Ein bizarr verzerrtes, outriert groteskes, beklagenswert bedauerliches Erinnrungs- und Einbildungsspiel deiner ja schon seit je und bereits rein an und für sich höchst regen, durch die vorausgegangen, übermenschlichen, kaum erst überstandnen Qualen und Schmerzen nun gar vollends noch anormal gesteigerten, überhitzten und bis ins letzte getriebnen, volublen Phantasie, das ich vollkommen verstehe und begreife, (mit einem wieder schmerzlichen, unwillkürlichen Blick nach der Ecke links zurück) nachdem es für mich vorhin . . . zur tieftraurigsten Gewißheit geworden . . .
Onkel Ludwig: (auf Dufroy kaum achtend, erst jetzt seine lange Riesenperiode damit schließend, erschöpft-verzweifeltst vor sich hin) Die . . . eigne Mutter!! Die . . . eigne . . .
Dufroy: (ausholend, warm, eindringlich) Was du unter deinem mir kaum faßbaren Schicksal . . .
Onkel Ludwig: (kläglichst; von neuem) Jeder Tagelöhner! Der ärmste Bettler!
Dufroy: (ihn unterbrechend; wie vorhin) Was du auch unter deinem Los gelitten!
Onkel Ludwig: (in seiner traurigen Litanei, noch jammervoller, weiter) Der Dieb im Zuchthaus, der verlausteste, verludertste, zerlumpteste Vagabund im Straßengraben! Ja, sogar selbst der zum schimpflichsten Tode verurteilte, seinem letzten, unabwendbaren, grausigen Gang aschfahl, zitternd und zähneklappernd entgegenschlotternde Mörder in seiner Zelle!
Dufroy: (in seiner begonnenen Linie parallel ebenso) Du wirst dich von deinem furchtbaren Alpdruck befreien und all das Entsetzliche in dir überwinden, wenn du dich jetzt endlich . . .
Onkel Ludwig: (wie vorhin; als ob er Dufroy gar nicht gehört hätte) Nicht einer, der seine Schmach, nicht einer, der seine Not, seine Angst, sein Elend und seinen Jammer, nicht wenigstens einmal in seinem trüben, verachteten, erbärmlichen Leben . . .
Dufroy: (ganz überrascht-bewegt; kaum fähig, schon zu sprechen) So tief . . . so furchtbar . . .
Onkel Ludwig: (wieder noch immer sich steigernd; letzte, durch sein ganzes, langes Leben erlittne, immer wieder aufs grausamste getäuschte, unerfüllt gebliebene Sehnsucht) Lippen, die locken, Augen, die strahlen, ein Leib, der atmet! Und ich . . . ich . . . ich . . .
Dufroy: (in seine brechende Stimme; erschüttert) So unbarmherzig mitleidslos hat dich dies eine . . . abscheuliche . . . (nochmal, wie bereits vorhin, nach der Ecke links zurück) zufällige . . . Schreckenserlebnis . . .
Onkel Ludwig: (dem dieser Blick und seine Bedeutung mit einem Male klar werden; ganz entsetzt- überrascht) Wo . . . ?
Dufroy: (durch seinen fragenden Laut kaum unterbrochen; noch immer in seinem Satz) Durchwühlt und durchschüttert, daß du in deinem ganzen . . . Dasein . . .
Onkel Ludwig: Wo- (mit seinem Blick jetzt ebenfalls wieder nach der Ecke links zurück) her . . . ?
Dufroy: (mit sich ringend; schwer; in peinvoll-schmerzlichster Rückerinnrung) Auch ich . . . Auch hinter mir . . . Auch auf meinem . . . langen Weg . . .
Onkel Ludwig: (noch stärker) Wo-her . . .??
Dufroy: (energisch; in seinem Bekenntnis weiter; mit beiden Fäusten den Rhythmus markierend) Aber durch Arbeit, Arbeit, Arbeit . . .
Onkel Ludwig: (von seiner Frage nicht ablassend; letzte, wuchtigste Steigrung; zuletzt, mit der erhobnen Rechten, noch mal nach der Ecke links zurück) Wo-her . . . weißt du . . . was sich hier in jener . . . (vor innerer Erregung, sein Morphiumdusel scheint völlig verflogen, abbrechend).
Dufroy: (dem der Schweiß fast auf der Stirn steht; sich unwillkürlich nach dieser greifend) In jener . . . schauerlichen . . . grauenerregend schreckensvollen . . .
Onkel Ludwig: (einfallend; noch machtvoll-nachdrücklicher) Gottverfluchten Sterbenacht . . .
Dufroy: (plötzlich, ganz erschreckt, wieder nach Marianne rüber, deren rechte Hand, die so lange lässig auf ihrem Schoß gelegen, bei den letzten Worten Onkel Ludwigs ein wenig sich erhoben hatte und dann lasch wieder zurückgefallen war) Jetzt . . . war mir doch selbst . . .
Onkel Ludwig: (fast atemlos; ebenso; die Hand hebt sich abermals und sinkt, vor den Augen beider, kraftlos über die Stuhllehne) Da! . . . Noch mal! . . . Die rechte Hand!
Dufroy: (näher getreten) Dem Himmel sei . . . (abbrechend; nach der Stelle, wo noch vor wenigen Minuten ihr Kopf gelegen) Jene vorhin immerhin . . . nur oberflächliche Konstatierung hier . . . konnte vielleicht . . . noch eine Selbsttäuschung gewesen sein! Aber diese wiederholten . . . willkürlichen Bewegungen jetzt . . .
Onkel Ludwig: (ganz verdutzt zu ihm rauf) Ja, hattest du denn . . . befürchtet und geglaubt . . . (Auto).
Dufroy: (ausweichend) Nicht »befürchtet« und »geglaubt«, aber . . .
Onkel Ludwig: (mißtrauisch) »Aber . . .?«
Dufroy: (erst jetzt damit Farbe bekennend) Aber bei der beängstigend unheimlichen, zitternd fieberhaften, pessimistisch, schwarzseherisch ansteckenden Übererregtheit Georgs, der hier wie ein Panther . . .
Onkel Ludwig: (für den Abwesenden eintretend) Du kannst ihm das schließlich . . .
Dufroy: (von neuem nach Marianne; sich immer zuversichtlicher stimmend) Hoffen wir jedenfalls, daß dieser jetzt gesunde, feste und ruhige Schlaf nun möglichst noch recht lange . . .
Onkel Ludwig: (der jetzt wieder »ganz vernünftig« scheint) So viel schwant mir ja auch! Hält sie s bis morgen durch . . .
Dufroy: (nervös-hastig, ganz aufgeregt, fast flackernd) Dann ist alles . . . Dann . . . soll nichts . . . Dann . . . will ich diesen Tag . . . Wie ich ja dann zuversichtlich erwarte und annehme, (noch mal nach Marianne) daß sich dann überhaupt . . .
Onkel Ludwig: (der die Perspektive, die Dufroy damit angedeutet, begriffen) Jaja, aber . . . (auf seine, ihm nun schon so oft unterbrochne Frage nieder zurückkommend) Willst du und . . . möchtest du mir nu nich endlich . . .
Dufroy: (wieder, unruhig, nach der Tür rechts rüber) Ich . . . begreife . . . und verstehe wirklich nicht . . .
Onkel Ludwig: (nachdrucksamst weiter) Konfidentialiter mitteilen, verraten und Aufschluß geben, woher . . .
Dufroy: (wie vorhin, nur noch verstärkt) Mir ist es gradezu . . . ganz unerklärlich . . . wieso und warum Georg . . .
Onkel Ludwig: (zäh) Ich hatte doch mein Lebtag bis jetzt gedacht, (wieder mit einem entsprechenden Blick nach der Ecke links zurück) daß mich die beiden . . .
Dufroy: (der sich inzwischen wieder zu ihm gesetzt; endlich auf ihn eingehend) Weder mein Vater, noch deine Mutter . . . das ist wahr und darin hast du dich nicht getäuscht . . .
Onkel Ludwig: (ihn um so weniger begreifend) Nu ja, also!
Dufroy: (beruhigende, ihn zu schweigen mahnende Geste) Hatten dich damals in ihrem vermessen tollkühnen, unbedacht selbstvergessen, rasenden Taumel und Paroxysmus, den ich in seiner grandiosen, grauenhaften, über alles hinwegtriumphierenden Welt- und Daseinsbejahung . . .
Onkel Ludwig: (entrüstet) »Welt- und . . .«
Dufroy: (noch unterstrichen-bestimmter) Welt- und Daseinsbejahung als ganz genau und ebenso ungeheuerlich empfinde, wie du . . .
Onkel Ludwig: (ihn, ganz empört, unterbrechend) Du wirst und willst mir doch hier nich gar etwa . . .
Dufroy: (mit dem vergeblichen Versuch, wieder zu Wort zu kommen) Aber es liegt mir ja völlig . . .
Onkel Ludwig: (immer zornig-erbitterter) So gewissermaßen nachträglich und retrospektiv . . .
Dufroy: (noch abwehrend-nervöser) Ich beabsichtige nicht im geringsten . . .
Onkel Ludwig: (dessen Grimm sich noch nicht ausgetobt hat) Dies sich entmenscht, korrupt und gewissenlos in seinem Sündenschlamm wälzende, adulterische Pack . . .
Dufroy: (einen kurzen Moment, so sehr er sich auch müht, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, jetzt fast gereizt-heftig) So hör doch! Du irrst, wenn du glaubst, daß die beiden, die nach jahrelang innerm, stummem, siegreich mit sich selbst bestandnem Kampf und Ringen . . .
Onkel Ludwig: (sich schon wieder auflehnend) Wie kannst du sagen . . .
Dufroy: (nachdrücklichst, in seinem selben Satz weiter) Von ihrer, mit zähster, angespanntester Willenskraft und Energie bis dahin mühsam zurück- und aufgestauten, jugendstark heißblütigen, alle seelisch künstlich errichteten Wehre, Deiche und Dämmungen plötzlich jäh zerreißenden, sprengenden und durchbrechenden Leidenschaft . . .
Onkel Ludwig: (der das alles doch bloß für »hypothetisch« hält) Wie darfst du behaupten . . .
Dufroy: (noch immer, fortwährend sich steigernd, in seinem selben Satz) Im letzten, gräßlich schauerlichsten, unseligsten Moment elementar überwältigt, zum erstenmal sich zusammenfanden . . .
Onkel Ludwig: (noch mal) Wie willst du mir beweisen . . .
Dufroy: (letzte, lauterste, überzeugteste Eindringlichkeit) Eine Mutter, die ihrem Sohn . . . von Reue und Gewissensqual gefoltert, gepeinigt und gequält, unter der Wucht und Last ihrer Selbstanklagen niedergebrochen, in Not und Verzweiflung . . . mit weißen Haaren . . . freiwillig und aus eigenstem, innerstem Antrieb die schwerste, größte, sie beinah zermalmende Schuld ihres Lebens beichtet, lügt nicht!
Onkel Ludwig: (von dieser Eröffnung, auf die er nicht gefaßt gewesen war, ganz zerknickt-erschüttert) Das . . . das hat dir die . . . alte Frau . . . ?
Dufroy: (nickend; den betreffenden Sachverhalt ihm bestätigend) Nach dem Tode Mariettes . . .
Onkel Ludwig: (dem die Stimme fast versagt) »Nach dem . . . ?«
Dufroy: (noch stärker) Nach dem Tode Mariettes, an der ihr Herz . . . ganz besonders gehangen hatte . . . und den sie in ihrer damals . . . fast geistigen Verwirrung . . . ähnlich, wie nachträglich auch das unter so tragischen Umständen erfolgte Hinscheiden meines verhältnismäßig schon so früh, jedenfalls aber vorzeitig und noch in der vollsten Kraft seiner Jahre verblichnen Vaters . . . als »Strafgericht Gottes« empfand!
Onkel Ludwig: (noch immer bei seiner »Eröffnung«; die Worte wollen ihm kaum durch die Kehle) Ihrem . . . Sohn?? . . . Ihrem eignen . . . leiblichen . . .
Dufroy: (wieder nickend; von neuem sich steigernd) Ihrem eignen . . . leiblichen Sohn . . . dessen ganzes Herz . . . dessen erschrecktes Innre . . . dessen letztes, menschliches Mitgefühl und Empfinden . . .
Onkel Ludwig: (Geste; kläglich) Du . . . darfst . . .
Dufroy: (noch verstärkt; weiter) Sich weh und krampfhaft zusammenzog . . . als er in jenem Augenblick so . . . und auf diese Weise . . . endlich . . . den wahren, bittern, geheimen Grund erfuhr . . .
Onkel Ludwig: (abwehrend-stehend) Du . . . sollst nicht . . .
Dufroy: (wie vorhin; auch jetzt noch in seinem Satz; seines endlichen, großen, elementaren Seelensiegs über ihn sicher) Der vor so vielen . . . vielen, langen Jahren . . . seinen armen . . . längst verschollnen Bruder . . .
Onkel Ludwig: (zuerst, wenn auch bereits etwas schwächer, noch wie vorhin, dann umschlagend und mit plötzlich stürzenden Tränen) Du . . . du . . . du-du-du . . .
Dufroy: (ergriffen; ihm mit beiden Händen Kopf und Schultern streichelnd) Lieber . . . Ludwig! Lieber . . . Bruder! Lieber . . .
Onkel Ludwig: (dessen ganzer Körper noch zuckt) Und dich, dich hab ich damals . . . als du mich in deiner so grenzenlos teilnahmsvollen, hochherzigen Benevolenz und Güte . . .
Dufroy: (mild-ernst; mit dem Bestreben, alles »Vergangene« nun »vergeben und vergessen« sein zu lassen) So schmerzlich, so tief schmerzlich mich jene Abweisung von dir damals auch traf, ich habe sie dir nicht . . . (aus den untern Räumen des Hauses plötzlich kurzes, schrilles Geklingel; Dufroy aufhorchend) Das Telephon!
Onkel Ludwig: (wie vorhin; nur noch gesteigert) Du so groß! Du so voll Liebe! Du so gerecht!
Dufroy: (bitter, fast schmerzlich) »Gerecht!«
Onkel Ludwig: (wieder beinahe schluchzend) Und . . . ich . . .
Dufroy: (das Geklingel noch stärker; auch Onkel Ludwig horcht diesmal auf) Schon wieder!
Onkel Ludwig: (noch nach der Tür rechts) Was die nur jetzt . . . nachts . . .?
Dufroy: (sich, leis unmutig, zusammenraffend) Nun! Wir werden ja . . . jetzt bald von Georg . . .
Onkel Ludwig: (auf sein durch Dufroy auch jetzt noch nicht erledigtes Thema wieder zurück) Du hast mir doch aber eben . . .
Dufroy: (mit seinen Gedanken noch bei dem merkwürdigen Geklingel) Hm? . . . Ja?
Onkel Ludwig: (noch mal entsprechende Geste nach der Ecke links zurück) Du hattest mir doch aber eben . . . selbst gesagt . . . daß mich die Beiden . . .
Dufroy: (in seinem Satz, da Onkel Ludwig jetzt einen Moment stockt, unwillkürlich weiter) In ihrem trunknen . . . achtlos unklug überstürzten . . . zeit-, erd- und weltentrückten . . .
Onkel Ludwig: (allernachdrücklichst, Dufroys von ihm so lange bestrittner Auffassung nicht mehr entgegentretend) Seelen- und Sinnenrausch . . .
Dufroy: (eifrig) Gewiß! Freilich! Allerdings! Aber kaum . . . (wieder entsprechender Blick nach der Ecke links zurück) kaum, daß die aus ihrem mehr als . . .Wahnsinn . . . wieder in die Wirklichkeit und zu sich Gekommnen mit schauderndem Grauen und Entsetzen, während jedem das Herz bis an den Hals schlug, während keiner sich von seinem Platz und von seiner Stelle wagte, und durch die offne Tür . . . (immer mit den entsprechenden Gesten) der matte, gräßliche . . . gedämpfte Lichtschein fiel . . . kaum, daß sie hier von dem einsam und verlassen nebenan Sterbenden den letzten, schwindenden Seufzer vernommen hatten, und alles . . . auf einmal still geworden war . . . als sie auch bereits beide . . . ohne, daß einer dem andern das kleinste, geringste Wort gesagt, ohne, daß sie auch nur einen Blick gewechselt, ohne daß sie sich innerlich Rechenschaft ablegen konnten, weshalb, warum, wieso und woher . . . als sie auch bereits beide . . . mit lähmender Gewißheit . . . mit absoluter, intuitiver Sicherheit und Bestimmtheit fühlten und wußten: sie waren die letzten . . . fünf Minuten . . . in diesem Raum . . . nicht allein gewesen!
Onkel Ludwig: (der aufmerksamst und mit steigender Genugtuung ihm zugehört) Ich verstehe dann . . . aber doch noch immer nicht . . .
Dufroy: (noch nachdrücklichst-überzeugender) Daß grade du . . . daß unglücklicherweise, beklagenswert ausgerechnet grade du . . . daß grade dich der Zufall, ein rächendes Schicksal, oder, wenn du dies heute so willst, dein Verhängnis . . . in jenem für mich jeder Benennung und Bezeichnung spottenden Entsetzensaugenblick in dies damals so gut wie dreiviertel dunkle Zimmer gelenkt und geleitet hatte . . . diese Möglichkeit . . . diese schaurige Ahnung, Annahme und Vermutung, war zwar allen beiden, blitzartig, schon sofort und gleich aufgetaucht, aber erst, als dann dein völlig verändertes Wesen . . .
Onkel Ludwig: (sich verteidigend, in seine Atempause) Ich konnte doch nicht mehr die Beiden . . .
Dufroy: (noch immer in seinem selben Satz, jeden Iktus schärfst betont) Und zwar bereits am nächsten Tag . . .
Onkel Ludwig: (noch bestimmt-stärker) Ich konnte doch nicht mehr deinen Vater . . . den ich vom ersten Moment ab, wo er in seiner jungen, unbekümmerten, alle Herzen für sich einnehmenden und bezaubernden, geistigen, körperlichen und seelischen Frische in unser vorsintflutlich altbacknes, quietistisch quäkerhaft pietistisch angesauertes, griesgrämiges Hauswesen und Familienheim trat . . . ich kann s ja jetzt sagen, aber auch justament und auf der Stelle geliebt hatte . . .
Dufroy: (eingreifend, Geste) Auch mein Vater . . .
Onkel Ludwig: (über seine Unterbrechung hinweg; in seiner Erinnrung an den Verblichnen mehr und mehr aufgehend) Unter dessen pädagogisch verständnisvoller Anleitung und Unterweisung ich, von Lektion zu Lektion fortschreitend, mit immer größrer Ehrfurcht, Lernfreude und Erkenntnisbegier, immer tiefer in die erhabne Welt des Wissens und der Diszipline drang . . .
Dufroy: (leis wiegende, etwas ungeduldige, die drei Hebungen unterstreichende Kopfbewegung) Gewiß! Freilich! Ich weiß!
Onkel Ludwig: (wie vorhin; nur noch gesteigert) Im Winter die reichen, pietätvoll unten aufgespeicherten, unerschöpflichen Bücherschätze durchstöbernd und durchwühlend, die mein alter, bigotter, amusischer Vater am liebsten hätte einstampfen und verbrennen lassen, im Sommer ambulando hier am Schafgraben, im Schöneberger Busch und auf den Moabiter Judenwiesen die Wunder Gottes und der Natur bestaunend, und zu dem ich bis dahin und unterweilen empor- und aufgeschaut hatte, wie zu einem Gott . . .
Dufroy: (in seine kurze Ergriffenheits- und Atempause; von neuem) Auch mein Vater, sei überzeugt . . .
Onkel Ludwig: (der ihn nicht ausreden läßt; ihm seinen Satz schließend) Hatte meinen naiven, treuherzgen, rührenden Jungensenthusiasmus von seiner Seite zunächst und zuvörderst nicht ohne einge Erwidrung gelassen!
Dufroy: (der aus diesem Zugeständnis im Moment nur die Bitterkeit und die Ironie hört) Du kannst nicht nachträglich leugnen . . .
Onkel Ludwig: (abwinkend, lebhaft) Gewiß! Stimmt! Was dann aber weder ihn, noch meine liebe Mutter auch nur im geringsten behinderte . . .
Dufroy: (beruhigende, ihn wie beschwörende Geste) Du sollst sofort . . .
Onkel Ludwig: (wieder, wie vorhin, noch in seinem selben Satz hartnäckig weiter) Mich schon, kaum, daß auf dem damals eben erst frisch angelegten Dreifaltigkeitskirchhof, dritte Reihe links, vor dem knappemang grade fertig gewordnen, strahlend und goldprotzig mit dem dreieckig allwissenden Auge Gottes bemeißelten, großartig funkelnden Grabstein eines gewissen . . .
Dufroy: (unterdrückt-ungehalten) Ja, wenn du nicht . . .
Onkel Ludwig: (noch gesteigert) Hermann, Louis, Ferdinand Brodersen die ersten blauen Astern blühten, seinen bockbeingen, störrischen, widerspenstgen Sohn, mit dem hier zu Hause nichts mehr anzufangen und anzustellen war, kurzerhand, wie den ersten, besten, nichtsnutzgen, mißratnen, unverbesserlichen Tunichtgut und Taugenichts . . .
Dufroy: (mit bereits leicht gekrauster Stirn) Aber so hör doch!
Onkel Ludwig: (der sich seinen »Faden« nicht abreißen läßt; seinen Satz mit empört sich beschwerendem Nachdruck schließend) Ins Internat des Grauen Klosters zu sperren! Und noch dazu, ohne dem so hyänen- und tigerherzig Ausgestoßnen zu gestatten, über die ihm nach allem menschlichen und göttlichem Recht doch eigentlich gar nicht zu verwehrende, angestammte, väterliche Schwelle auch nur noch ein einzges Mal seine verfemten Füße zu setzen! (drei Schläge der Kaminuhr).
Dufroy: (der kurz nach ihr hingeblickt; die etwas stark subjektive Darstellung des wieder ganz erregt Gewordnen berichtigend) Dein Exil, bitte, war ein unfreiwilliges . . . doch wohl schließlich höchstens nur . . . etwa bis zu deiner Primanerzeit!
Onkel Ludwig: (ergrimmt auffahrend) »Nur?!«
Dufroy: (sehr bestimmt; in seiner »Berichtigung« weiter) Dann weigertest du dich selbst, dieses Haus noch mal zu betreten, und nicht die ernsthaftesten Vorstellungen meines Vaters, nicht die wiederholt flehendlichsten Bittbriefe deiner Mutter . . .
Onkel Ludwig: (erbittert; wieder dabei, wie nun schon so oft, nach der Ecke links zurück) Wo mich das edle Paar . . .
Dufroy: (der seinem Blick gefolgt war; ihn unterbrechend; stutzig) Hast du dir nie . . .
Onkel Ludwig: (wie vorhin; nur noch entrüsteter) Wo mich die beiden von mir in flagranti Ertappten . . .
Dufroy: (ganz erstaunt-überrascht) Ich muß gestehn, es nimmt mich fast Wunder . . .
Onkel Ludwig: (seinem, wie er glaubt, gerechten, nachträglichen Groll immer mehr die Zügel schießen lassend) Erst, wie einen Auswürfling, oder räudigen Hund . . .
Dufroy: (stark, nachdrücklichst; erst jetzt fähig, seine Gegenfrage, die sich ihm schon vorhin sofort auf die Zunge gedrängt hatte, über die Lippen zu bringen) Ist dir nicht wenigstens einmal in deinem Leben der Gedanke, Verdacht, oder Argwohn aufgestiegen . . .
Onkel Ludwig: (ganz perplexverdattert) »Gedanke?« . . . »Verdacht?« . . . »Argwohn?«
Dufroy: (noch verstärkt) Daß weder mein Vater. . . und nun gar schon noch viel weniger deine Mutter . . . daß alle beide . . . grade in ihrem Schuldbewußtsein . . . sich damals wahrscheinlich unter keinen Umständen von dir getrennt haben würden, wenn nicht der Grund dazu . . . aber auch der denkbar allerzwingendste gewesen wäre?
Onkel Ludwig: (ihn noch immer anstarrend) Schlag mich dot, aber ich verstehe von dem allen . . .
Dufroy: (aufgestanden) Hm! . . . (einige Schritte, nachdenklich, nach rechts, dann nieder nach ihm zurückgedreht) Dir ist es also wirklich . . . nie aufgefallen . . . du hast dir niemals darüber den Kopf zerbrochen . . . du hast es immer für das Selbstverständlichste von der Welt gehalten und es als solches hingenommen . . . daß ich nicht, wie du . . . hier in Berlin . . . sondern in einem ganz abenteuerlichen kulturfern versteckten . . . seit zwei oder drei Dezennien eigentlich erst nur durch mich hie und da mal ephemer vorübergehend in das Bewußtsein einiger, vereinzelter, sich in ihrer Neugierde oder aus Güte persönlich für mich interessierender Zeitgenossen gerückten, obskuren, ich möchte fast sagen, gradezu unmöglichen Nest in den damals für das weitaus übrige Europa kaum bereits existierenden und auch heute noch so gut wie auf dem Mond gelegnen Pyrenäen meinen, wie ich das beruhigende, tröstliche Gefühl habe, jetzt glücklich auch von dir nicht mehr als gar zu besonders beneidenswert abgeschätzten Lebenslauf angetreten habe?
Onkel Ludwig: (»naiv«) Ja, wenn ihr doch aber alle drei damals grade zufällig . . . (Pferdegetrappel).
Dufroy: (ihn unterbrechend; wieder ähnlich, wie bereits vorhin, auf und ab) Du hast mich . . . zu meinem Leidwesen . . . noch immer nicht . . .
Onkel Ludwig: (ihm nachblickend, treuherzig) Ich kann mir, beim besten Willen, nicht vorwerfen, daß ich sonst . . .
Dufroy: (Geste, wie ihn »tröstend«) Nun . . . nimm s weiter nicht tragisch, und . . . (abbrechend und sofort wieder weiter) Auch ich hatte mich über diese Tatsache und dieses Faktum . . . irgendwelchen Reflexionen und meditativen Betrachtungen nie hingegeben . . . bis mir dann . . . erst vor so relativ ganz kurzem . . .
Onkel Ludwig: (der ihn beim besten Willen nicht kapiert; da Dufroy jetzt einen Moment stockt) »Erst vor . . .?«
Dufroy: (sich zusammenraffend) Also damit du endlich alles . . . (wieder stehngeblieben, ganz rechts, und zu ihm rüber) Sofort, nachdem du damals in dein Internat getan warst . . . (mit einem schnellen Blick nach den Porträts) hatten sich die beiden . . .
Onkel Ludwig: (unwillkürlich in seine Atempause; gespannt) »Die . . . beiden?«
Dufroy: (nickend; in seiner Aufklärung weiter) Nach Italien, Spanien und Südfrankreich, auf eine mehrjährige Reise begeben . . .
Onkel Ludwig: (dem das Wort der Verwundrung in der Kehle stecken bleibt) »Auf . . .?«
Dufroy: (noch energisch-bestimmter; jede weitre Zwischenfrage damit abschneidend) Auf eine mehrjährige Reise, und ich bin nicht, wie dies in allen Lexicis, meinen Personalakten, sowie sämtlichen, mich betreffenden Zivilstandspapieren steht, und, wie ich das, völlig ahnungslos, fast mein ganzes Leben lang, natürlich ebenso auch selbst angenommen und geglaubt habe, »im großen Revolutionsjahr achtzehnhundertundachtundvierzig geboren«, sondern . . .
Onkel Ludwig: (ganz verblüfft) »Sondern?«
Dufroy: Sondern bereits . . . (abbrechend und von neuem) Es kann dir ja jetzt keine Mühe mehr machen, dir das Exempel . . .
Onkel Ludwig: (von seinem Erstaunen wieder zu sich kommend) Dann . . . war das doch aber . . . (Marianne in diesem Augenblick, wie von etwas gequält und bedrückt, tiefst aufatmend).
Dufroy: (ganz verstört nach ihr hin) Hast du . . . gehört?
Onkel Ludwig: (ähnlich) Das klang ja . . .
Dufroy: (noch immer, wie angewurzelt, auf seinem Platz) Wie der schwerste Seufzer!
Onkel Ludwig: (noch überrascht-verwunderter) Als ob sie . . . (von ihr zu Dufroy rüber) deine inkriminierende . . .
Dufroy: (erst jetzt auf sie zu; die Rechte gegen die Rücklehne, die Linke auf die Armlehne gestützt; besorgt-forschend gedämpft) Marianne!
Onkel Ludwig: (der beide beobachtet) Sie . . . schläft!
Dufroy: (sich aufrichtend; zu Onkel Ludwig rüber; von dem konstatierten Befund wieder wie vollständig beruhigt) Sie schläft ganz fest! (Auto).
Onkel Ludwig: (das unterbrochene Thema wieder aufnehmend; bedenklich) Dann . . . war das doch aber damals . . . gewissermaßen, wie gesagt . . .
Dufroy: (der sich wieder gesetzt hat; die Rechte, wie besänftigend, auf Onkel Ludwigs Knie) Nachdem die erste, unmittelbare Folgeerscheinung aus jener unheilvollen Entsetzensnacht . . . sich sehr bald darauf . . . (einen kleinen Moment unwillkürlich zaudernd, dann um so rückhaltslos-deutlicher) unmißverständlich bemerkbar gemacht hatte, war ein derartiges Arrangement . . .
Onkel Ludwig: (dem jetzt endlich ein »Talglicht« aufgeht; mit dem rechten Mittelfinger sich vor die Stirn tippend) Ach so, nu . . .
Dufroy: (bestätigende, zustimmende Kopfbewegung; unterstrichen) Das Einzige, was meinen Eltern, auch schon allein mit in deinem Interesse, übrig geblieben war!
Onkel Ludwig: (ähnlich wie vorhin) Nu und allmählich . . .
Dufroy: (zurückdämmende, einschränkende Geste; von neuem) Nur glaube nicht . . .
Onkel Ludwig: (noch immer bei seinem »Talglicht«) Also darum . . .
Dufroy: (noch verstärkt, in seinem selben Satz weiter) Daß dann diese Ehe . . . dieser Bund nicht bloß zweier Menschen . . . sondern auch zweier Herzen . . .
Onkel Ludwig: (dem jetzt allmählich wieder die Worte kommen) Und von all diesen Kabalen . . .
Dufroy: (wie vorhin; immer nachdrücklicher) Den letzte Liebe und Leidenschaft geschlossen . . .
Onkel Ludwig: (noch gekränkt-entrüsteter; in seiner Parallellinie) Von all diesen Umtrieben . . . hab ich bis zu diesem Momang . . .
Dufroy: (über seine Unterbrechungsversuche hinweg; den ganzen betreffenden Vergangenheitsausschnitt, wie er sich tatsächlich damals geformt und gestaltet hatte, mehr und mehr aufrollend) Es war, als ob zwischen die beiden . . . die sich in aller Herrlichkeit, Schönheit und Wunderpracht des Südens, der sie umgab, wie zwei Geächtete und Verstoßne vorkamen . . . durch den unglücklichen Doppelzufall (wieder mit einem entsprechenden Blick nach der Ecke links zurück) jener Nacht . . . deren unaussprechbar namenlose Schauer, Schauder und Schrecken sich unverwischlich, immer tiefer, auch in ihre Seelen gegraben hatten . . .
Onkel Ludwig: (der ihm fast »mit offnem Mund« zuhört; ganz ungläubig-überrascht) »Auch in . . . ?«
Dufroy: (noch stärker) Auch in ihre Seelen . . . ein schwerer, dunkler, rächender, sie mehr und mehr voneinander trennender, unheimlich drohender Schatten gefallen war!
Onkel Ludwig: (von all diesem ihm »Neuen« noch ganz überrumpelt) Und ich . . . hatte . . . gedacht . . .
Dufroy: (in seiner Aufrollung weiter) So wenig sich aus diese Weise die beiden dort unten wahrscheinlich auch nur die kleinste Sekunde lang heimisch und wohl gefühlt hatten . . . ich glaube dennoch, sie würden sich zu dem Entschluß, hierher und in dieses Haus wieder zurückzukehren, trotzdem nie durchgerungen haben, wenn nicht damals meines Vaters mit grundlegende Arbeit für die neuere Geologie »Über den Aufbau der iberischen Alpen«, die ihm so schnell einen bedeutenden Ruf verschafft hatte . . .
Onkel Ludwig: (unwillkürlich anerkennend) Das muß man ja . . .
Dufroy: (dem dieser Respekt vor seinem Vater, als für ihn nur ganz natürlich und selbstverständlich, nicht weiter auffällt; erst jetzt seinen Satz schließend) Noch im selben Jahr ihres Erscheinens seine hiesige Nomination veranlaßt hätte!
Onkel Ludwig: (alles, was er über diesen »Hohlkopf« zu Marianne bisher gepoltert, damit, wenn auch nur vor sich selbst, »redressierend und zurücknehmend«) Ich habe ihn schon immer . . . zum mindesten . . .
Dufroy: (ihn nicht erst ausreden lassend; in seiner Aufrollung mit jedem neuen Detail immer interessierter und lebhafter) Es kam, wie sie es beide vorausgeahnt hatten! Der starrsinnige Trotz, die gradezu offen herausfordernde Art, mit der du meinem Vater . . . Mutter traute sich schon erst gar nicht mehr, dir gegenüberzutreten . . .
Onkel Ludwig: (empört) »Traute?«
Dufroy: (sich unterbrechend; auf den Protest des mit einmal wieder ganz Erbitterten nicht ohne eine gewisse, vorwurfsvolle Verwundrung, eingehend) Oder kannst du dir ihren damaligen Seelenzustand, diesen aus Furcht, Scham, Scheu, Angst und letzter, zitterndster, mütterlichster Liebe zu dir . . .
Onkel Ludwig: (noch ergrimmter) »Liebe?« Wo sie dann in ihrem falschen, verletzten, eitlen Hochmut und Stolz . . .
Dufroy: (noch verwundert-vorwurfsvoller) Nachdem du alle ihre Annäherungsversuche bis dahin, ihre reichen Gaben und Geschenke, regelmäßig . . .
Onkel Ludwig: (hartnäckigst; von seinem auch jetzt noch unversöhnlichen Groll kein Jota zurücknehmend) Sie hätte doch . . . Sie hätte zu ihrem armen, gefährdeten, schon so frühzeitig durch sie und ihre eigne Schuld aus all seinen Kindheitshimmeln gerissnen, verbissnen und verbiesterten Jungen . . . Sie hätte . . .
Dufroy: (Geste; ihn wieder beruhigend) Ich kann und will . . . über meine Mutter nachträglich nicht rechten! Ich klage dich absolut nicht an! Aber der erbitterte Abscheu, der einfach beleidigende, verächtliche Haß, mit dem du dich durch deine beharrliche Weigrung, deine »verfemten Füße«, wie du dies eben nanntest . . .
Onkel Ludwig: (erst jetzt, zum erstenmal, etwas benaut und mit einer kleinen, bedauernden Nüance ins Weiche) Ich seh das ja heut . . .
Dufroy: (anklagend, fast schmerzlich) Je wieder . . .
Onkel Ludwig: (da Dufroy, von seinem eignen Ton gepackt, sich jetzt einen kurzen Moment wieder unterbricht; reumütig) Ich hab mir das schon oft . . .
Dufroy: (in seinem selben Satz, nur noch verstärkt, weiter) Mit deinen siebzehn Jahren . . . unverhohlen, unumwunden und unverstellt, auf immer von beiden lossagtest . . . traf meinen Vater . . . dessen vordem so sonniger Frohmut längst . . . einem gewissen, tiefen, innern Ernst . . . und einer . . . bei seinem ja damals . . . noch gradezu fast jugendlichen Alter, doppelt auffälligen, seltsam resignierten, melancholischen Herbheit und Strenge gewichen . . . (kleine instinktive Effektpause; langsam) bis ins Herz . . .
Onkel Ludwig: (fast zurückgeprallt; ganz betroffen) »Bis ins . . .«
Dufroy: (noch immer sich steigernd; die Wirkung, die seine Worte auf den, wie er jetzt sieht, allmählich empfänglich Gewordnen machen, fortwährend und mit Absicht vertiefend) Bis ins Herz . . . und mir scheint . . . als hätte ausschließlich hierin . . . als hätte lediglich in den Folgen dieser . . . ihn bei seiner für alle Eindrücke, positive wie negative, gleich offnen und empfänglichen . . . mimosenhaft zartsinnigen Feinfühligkeit und Empfindlichkeit . . . notwendig auf das Schwerste und Nachhaltigste kränkenden Demütigung und Herabsetzung vor sich selbst . . . als hätte allein . . . oder doch wenigstens mit abschließend in diesem einen Erlebnis, dessen lähmend niederdrückende Nachwirkungen er nie mehr in sich verwand . . . der eigentliche Grund und die letzte, ausschlaggebende Veranlassung und Ursache gelegen, daß allen Bemühungen deiner Mutter zum Trotz, ihn seiner ursprünglichen Lebenszuversicht und seinen früher so hochgespannten Zukunftshoffnungen wieder zurückzugeben, auch seine rein wissenschaftliche Laufbahn, die so glänzend verheißungsvoll begonnen hatte, plötzlich jäh stockte, und wesentlich Neues . . .
Onkel Ludwig: (wehmütig nickend; ihm seinen Satz, da Dufroy einen Moment wieder stockt, unwillkürlich beendend) Nicht mehr seiner Feder entfloß!
Dufroy: (in seiner Erinnrung an den Verblichenen von der plötzlichen Wehmut Onkel Ludwigs fast wider Willen etwas angesteckt) Sein gelehrtes Ansehn war zwar das gleiche geblieben, die allgemeine Beliebtheit, deren er sich erfreute, namentlich auch in seinem engeren Wirkungs- und Kollegenkreise, womöglich noch gewachsen . . . (Geste, Achselzucken) und doch . . . (Auto).
Onkel Ludwig: (immer zerknirscht-reuiger und weicher) Grade dies Versagen, dies auf einmal fast völlige Versanden und Versiegen eines lebendig sprudelndsten Quells, aus dessen aganippisch hippokrenischem Gewässer ich schon von meinem neunten Lebensjahr ab . . .
Dufroy: (einfallend und in seinem Satz weiter) Hatte dich dann später . . . bedauerlicherweise, wie ich glaube . . . bewogen, deine Habilitierung . . . oder doch wenigstens den Versuch dazu . . .
Onkel Ludwig: (durch diese Vorhaltungen »ganz unglücklich«; noch kläglicher) Ich räums ja ein, ich konzediere! Ich hätte mein dummes »Gelöstes Welträtsel, oder der durchhaune Gordische Knoten«, dies verunglückte, siebzehnbeinige Monstrum, an das ich schon damals nicht recht glaubte . . . nicht expreh und expreß . . . bloß, weil es mich tickte, mit meinem bunten Aberwitz vor deinem Vater zu paradieren . . .