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Dufroy: (sich nochmal, obgleich ihn diese Antwort ganz selbstverständlich nicht befriedigt hat, mit Rücksicht auf die Situation bezwingend und beschwichtigend; das Auto unmittelbar vorbei) Nun . . . ich bin neugierig! . . . (nach einer kleinen Pause; veränderter Tonfall; den Kopf grübelnd in die rechte Hand gestützt, deren tastende Fingerspitzen nervös-suchend vor der Stirn) Seit diesem Unglück mit Mariette ist Georg gegen mich von einer Feindseligkeit . . .
Marianne: (schnell; fast wie erstaunt-überrascht) Gegen dich? . . . (zerquält-bitter) Gegen alle und alles!
Dufroy: (ungeduldig) Mag sein! Aber gegen mich . . . (in plötzlich nachträglich in ihm aufsteigender Gekränktheit und Erbittrung) wenn du eben Ohren gehabt hast, zu hören . . . (noch einmal das Auto von vorhin; bereits wieder in der Ferne) in einer Zuspitzung . . .
Marianne: (die dies zu ihrem eignen, schmerzlichsten Bedauern nicht leugnen kann; mit dem Versuch, ihm und sich darüber hinwegzuhelfen) Ich . . . räume ein, ich kann dir da leider . . . nicht völlig widersprechen, aber . . .
Dufroy: (noch gesteigerter als vorhin) Als ob ich ihm mal irgendwie, ich weiß nicht recht . . . (jetzt zu ihr aufblickend; mit zurückerhobnem Haupt, den Ellenbogen noch gestützt, als hätte er das Gesuchte, wenn auch vorläufig nur erst im Prinzip, plötzlich aufgestöbert) das allerschwerste, persönliche Unrecht getan!
Marianne: (in dem instinktiven Bemühen, Georg, und sei dies auch nur bis zu einem gewissen Grade, vor ihm zu entlasten) Du mußt eben . . . Georg . . .
Dufroy: (von der unbedingten Richtigkeit der von ihm verfolgten Fährte jetzt bereits fest überzeugt; immer hartnäckiger) Und ich kann ihn verstehn! Ich begreife und billige sogar vollkommen seinen Gedankengang!
Marianne: (die diesen »Gedankengang« aus seinen Augen und seinem Mienenspiel vergeblich zu erraten versucht) Falls du . . . so gut sein willst . . .
Dufroy: Mariette hat ihre Tat . . . (auf eine gegen diese Auffassung und namentlich deren Bestimmtheit unwillkürlich protestierende Geste Mariannes; fast heftig) Jawohl, ihre Tat! Davon bist du überzeugt, wie Georg! . . . (erbittert weiter, während Marianne sich gegen diese der Wahrheit nur allzu entsprechende Feststellung nun nicht mehr aufzulehnen wagt) Mariette hat ihre Tat in hellem Wahnsinn begangen! . . . (auf eine jetzt plötzlich ganz naiv stutzende Bewegung Mariannes, die deutlich ihren Unglauben an diesen »Wahnsinn« verrät) In hellem Wahnsinn!! Und wer will ihm beweisen, durch nichts könnte man ihm jetzt doch schließlich ausreden, daß dieser (fast jede Silbe nachdrücklichst betont) Wahnsinn nicht bereits vorbedingt gelegen in der psycho-physischen Gesamtkonstitution ihrer Mutter?!
Marianne: (mit »großen Angen«; allereifrigst) Du irrst dich! Ich . . . glaube bestimmt . . .
Dufroy: (unwillig) Verlaß dich drauf! (von seiner Überzeugung immer durchdrungner) Er trägt es mir nach . . . und ich mache es mir ja jetzt schließlich selbst zum Vorwurf . . . daß ich vor fünfunddreißig Jahren . . .
Marianne: (die ihn erst jetzt ganz begreift) Du traust Georg . . . eine solche Ungerechtigkeit zu? . . . (mit größter Entschiedenheit) Nein! . . . Da bist du ganz . . .
Dufroy: (vor diesem Ton, durch ihre absolute Sicherheit irritiert, etwas einlenkend) Das sage ich mir ja allerdings . . . auf der andern Seite wieder auch! Nur . . .
Marianne: (noch bestimmter) Und dann und . . . vor allem! (sich nochmal vergewissernd; als verstünde sie gar nicht, wie er auf einen solchen Verdacht ernstlich überhaupt gekommen sein könnte) Mariette und . . . »wahnsinnig«? Im regulär üblichen Sinne zuletzt wahnsinnig? . . . Das ist doch von dir . . . bloß eine Annahme?!
Dufroy: (aus stärkster selbstquälerischster Überzeugtheit; fast verzweifelt) Es ist keine Annahme!! . . . Leiden Gottes! Nein!!
Marianne: (an ihrer Gegenüberzeugung festhaltend) Solange du mir nicht . . .
Dufroy: (unruhig-ausholend) Es fällt mir . . . etwas schwer, dir das anzudeuten, aber . . . durch einen mir beruflich befreundeten Gynäkologen, den deine Schwester noch keine vierundzwanzig Stunden vor jenem entsetzlichen Schreckensbegebnis konsultiert hatte, weiß ich mit aller Bestimmtheit . . . und zwar bereits seit Jahr und Tag . . . daß sie sonst in absehbarer Zeit . . . (da er jetzt merkt, daß er bereits verstanden wird; seinen Satz, schnell anders gedreht, endend) es hätte sich eben gerade . . . noch um sieben Monate gehandelt!
Marianne: (über diese Eröffnung fast fassungslos) Das? . . . Das hat dir der Mann . . .?
Dufroy: (hart nickend) Das!
Marianne: (noch ganz betroffen-entsetzt; als könne sie an das Gehörte noch immer nicht recht glauben; in diesem Augenblick ganz die »Tochter ihres Vaters«) Eine medizinische Kapazität . . . der notorisch angesehenste, berühmteste unsrer Berliner Frauenkliniker . . . denn in der betreffenden Annahme irre ich mich doch wohl nicht? . . . und von einer . . . derartigen Indiskretion?
Dufroy: (herb-bitter) Indiskretion! In einem solchen Fall und unter Kollegen! . . . (die ihm angetane Schmach und Marter sich nochmal, fast wie in seelischer Selbst-Vivisektion, zurückrufend) Der Mensch sah mich in meiner Trostlosigkeit und in meinem Schmerz, und es war ihm zweifellos ein Genuß, durch seine »vertrauliche Mitteilung« unter dem Siegel der »brüderlichen Amts-Verschwiegenheit« die Qualen, die ich litt, (Gelbspötter. »Grüß di Gott! Grüß di Gott!«) nun noch erst recht . . . (abbrechend; letzte, schmerzlichste Verachtung) »Kollegen!«
Marianne: (die sich in der Zwischenzeit wieder etwas gesammelt hat: auch jetzt noch nicht überzeugt) Auch der erfahrenste Fachmann . . .
Dufroy: (ihren Satz fort- und zu Ende führend) Kann sich mal ab und zu irren! Gewiß! Nur in diesem fraglichen Zustand . . . sind die Symptome so sichre, jede Möglichkeit einer trügerischen Diagnose meist von einer so apodiktischen Unwahrscheinlichkeit . . .
Marianne: (die bei ihrem Unglauben bleibt, noch gesteigert) Mariette und »Wahnsinn!« . . . Daran glaube ich nicht! Das halte ich für ganz und gar ausgeschlossen! Und wenn du mir dafür noch hundert . . .
Dufroy: (sie groß anblickend, fast gespannt-erwartungsvoll; die einzelnen Akzente scharf-nachdrücklich betont) Du kannst mir für Mariettes Grauentat . . . (wieder Wolkenschatten; etwas dunkler) irgendeinen andern . . . zureichenden Grund . . . (Auto: hoher, lang gezogner, doppelter Fanfarenlaut) nicht geben!
Marianne: (die heimliche Brücke, die er ihr damit gebaut, unwillkürlich betretend) Der noch einzig möglich andre . . .
Dufroy: (sie sofort von diesem Weg wieder zurückreißend) Ist für uns beide von einer solchen Indiskutierbarkeit . . . daß es mir, ehrlich gesagt, nicht recht verständlich ist, wie du überhaupt . . .
Marianne: (wieder zur Besinnung kommend) Du hast recht! . . . Wie durfte ich auch nur einen Augenblick . . .
Dufroy: (versteckt-mißtrauisch; von neuem) Oder hat dir . . . vielleicht Georg . . .?
Marianne: (erstaunt aufhorchend) Georg??
Dufroy: (sich fast wider seinen Willen noch einen Schritt weiter wagend) Es würde mir dadurch manches . . .
Marianne: (noch verwundert-befremdeter; leicht abweisend) Georg . . . hat sich zu mir . . . über derartiges nie . . .
Dufroy: (nicht recht mit sich im klaren, welche Taktik er jetzt in diesem Augenblick ihr gegenüber einschlagen soll; den Kopf hin und her) Hm . . . hm . . . hm . . . hmm!!
Marianne: (aus ihrer Zurückhaltung beinahe offensiv) Es scheint mir aber fast . . . (zankende Spatzen) als ob gradezu du . . .
Dufroy: (nun zu einer näheren Erläuterung und Erklärung seines wiederholten, vorsichtigen Fühlhörnerausstreckens so gut wie gezwungen) Etwas befremdend berührt und . . . eigentlich schon damals lebhaft beunruhigt . . . hatte mich allerdings eine Mitteilung . . . die mir bald nach jener fürchterlichen Entsetzensnacht . . . gleich, ob mit, oder ohne besondre Absicht, deine Großmutter gemacht hat!
Marianne: (ganz erstaunt) Großmutter?
Dufroy: (nicht ganz angenehm davon berührt, daß sie ihn durch ihre verwunderte Frage nun auch noch in diesem Punkt zu einer Art Kommentar drängt) Gelegentlich einer . . . ihrer damals ersten . . . religiösen, bedauerlich selbstquälerischen Gemütsdepressionen, die bei ihr seitdem . . .
Marianne: (in jetzt auf einmal plötzlicher Erinnrung an das erst vor so ganz kurzem nach dieser Richtung von Onkel Ludwig Gehörte ihm seinen Satz unwillkürlich schnell schließend) So erschreckend häufig geworden sind! Ich weiß! Ich weiß!
Dufroy: (immerhin froh, seinen gesuchten Anfang damit nun wenigstens glücklich gefunden zu haben) Wie unser alter Hauswart ihr damals nachträglich anvertraut hatte, muß Mariette . . . das genaue Datum ließ sich zu meinem Bedauern nicht mehr feststellen, jedenfalls aber bereits eine geraume Reihe Wochen vorher . . . fast eine ganze Nacht, und zwar ohne sich in der Begleitung Georgs oder einer andern, mir bekanntgewordnen, verläßlichen Person zu befinden, irgendwie außerhalb des Hauses verbracht haben!
Marianne: (die ihm aufmerksam zugehört) Diese bloße Tatsache allein . . .
Dufroy: (der sie nicht ausreden läßt; alle »Indizien« sorgfältigst unterstreichend) Sie wird auch dir vielleicht etwas sonderbar und eigentümlich vorkommen, wenn ich dir die Eröffnung mache, daß erstens deine Schwester damals das Haus nicht, wie sonst ausnahmslos, in ihrer Equipage verlassen haben konnte, da sie bei ihrer späten Heimkehr in einem ganz gewöhnlichen, üblichen Mietsauto vorgefahren kam, zweitens, daß der dadurch mitten aus seinem Schlaf Geschreckte, dem es bei seinem Gang mit ihr durch den Garten auffiel, daß sie als Kopfputz nur einen leichten Schleier um hatte . . . aus welchen Gründen weiß ich nicht, ich erwähne das nur . . . daß dieser Alte zu seiner weiteren Verwundrung die Haustür hier hinten dann sperrangelweit offen und das kleine Gartenpförtchen nach dem Kanal zu, das er selbst, Punkt zehn Uhr, ordnungsgemäß geschlossen hatte, nur leicht angelehnt fand . . .
Marianne: (ihn sehr ruhig unterbrechend) Daraus ginge doch bloß hervor . . .
Dufroy: (ihren Satz fortsetzend und beschließend; die sich auch für ihn als notwendig ergebende Schlußfolgerung wie die verwerflich-auffälligste Tatsache von der Welt betonend) Daß Georg auf seine Frau . . . wahrscheinlich . . . bereits stundenlang gewartet hatte!
Marianne: (scheinbar ganz verwundert) Nun ja, und?
Dufroy: (durch ihren seltsam passiven Widerstand fast gereizt) Um so befremdlicher, daß diese dann . . . (ein großer, ganz zweifellos schwarzer Hund irgendwo bellt) offenbar in der Absicht . . . ihren Mann zu vermeiden . . .
Marianne: (jetzt ebenfalls etwas nervös; ungeduldig) Kombination! Wie willst du wissen . . .
Dufroy: (wie ihre »oberflächliche Leichtfertigkeit« nicht begreifend) Kombination? Kombination, wo Mariette, drittens, und da unterbrachst du mich vorhin, dem Alten, für seine ja doch schließlich nur ganz selbstverständliche Pflichtleistung, gradezu eine Barsumme angeboten hatte, ein Schweigegeld, das er ehrlich genug gewesen war, abzulehnen?
Marianne: (in ihrer Verteidigung der durch ihn so Verdächtigten verharrend) Wir können trotzdem . . .
Dufroy: (beeilt; unwillkürlich) Gott sei Dank nicht! Gott sei Dank noch nicht!! (von neuem Sonne).
Marianne: (die feinen Brauen leicht zusammengezogen) Und doch . . . nimmst du . . . gradezu an . . .?
Dufroy: (heftig; sie mit ihrem anklagenden Vorwurf nicht erst ausreden lassend) Verbrechen oder nicht . . . Wahnsinn!! (der schwarze »Pluto« von vorhin noch intensiv-ungehaltner) In jedem Fall Wahnsinn!! Schon immer in ihr latent gewesner, konstitutionell-hereditärer, plötzlich, jähkatastrophal-eruptiv, nach außen hin durchgebrochner Wahnsinn!! Wie hätte sonst eine Frau, eine gebildete, feine Frau, die erzogen war, wie Mariette . . .
Marianne: (die an diese Annahme und Auslegung von ihm noch immer nicht glauben will) »Wahnsinn!« . . . »Wahnsinn!«
Dufroy: (noch gesteigert) Aber ganz ohne jede Frage!
Marianne: (wie vorhin) Ich . . . kann dir da . . .
Dufroy: (hartnäckig; fast eigensinnig) Laß dir das versichern! Von allen übrigen Beweisen, Symptomen und Anzeichen meinetwegen sogar mal einen Augenblick grundsätzlich abgesehn! Allein bereits jene sinnlose, krankhafte, mir stets unerklärbar gewesne Eifersucht auf dich, die, kaum daß Georg in unser aller Leben damals aufgetaucht war . . . ohne, daß er dich je, und zwar noch dazu auf deinen eignen, ausdrücklichen, persönlichen Wunsch, auch nur eine einzige, halbe Sekunde lang zu sehn bekommen . . . sofort eingesetzt hatte, die, obgleich du dann doch die ganzen, nächsten Jahre, bis zum unglücklichen Tode Mariettes, ununterbrochen abwesend warst, sich wahrhaft bis zur Unerträglichkeit steigerte, und die nicht eher geruht hatte, als bis . . . (Schleppdampfer vom Kanal her; Hamburger Hafenklangfarbe).
Marianne: (durch sein Wiederaufwühlen so vieler vergangener Dinge, wie sie glaubt, unnütz von ihm gequält) Nun ja, ja, ja, aber . . .
Dufroy: (in seiner Begründung weiter) Das allenfalls einzige, kärgliche, kümmerliche Bißchen und Stückchen Untergrund und Anlaß dafür, eure auffallende, irritierende, absolute Ähnlichkeit . . .
Marianne: (in seine plötzliche Pause; schwer vor sich hin) Ein Schicksalsgeschenk, für das wir Schwestern beide . . .
Dufroy: (fast unwirsch) Wenn jedes Schwesternpaar . . .
Marianne: (ganz erstaunt-überrascht) Du . . . nimmst das so leicht?
Dufroy: (ihren Vorwurf zurückweisend) Leicht! Leicht! (dem von ihr so plötzlich in den Vordergrund gerückten Problem nun nicht länger mehr ausweichend) Ich habe mir ja oft auch über dieses Faktum und Fatum, über diese launisch seltsame, merkwürdige Zufallsfügung, zum mindesten aber und namentlich in diesen letzten Jahren, die wiederholt bizarrst grüblerischsten, absonderlichsten Gedanken gemacht!
Marianne: (müde, resigniert-schmerzliche Geste) Was hilft jetzt alles nachträgliche . . . Spintisieren und Rückwärtsrechnen . . . wenn sich dadurch . . . (Pferdegetrappel).
Dufroy: (sich jetzt gewissermaßen selbst Rechenschaft ablegend; mit jedem neuen Detail immer interessierter) So amüsant reizend und drollig, als ihr noch Kinder wart, die immer wiederkehrende Verwechslungskomödie zwischen euch, die Großmutter und mich oft in die ratlos komischsten Situationen und Verwirrungen brachte, auch auf alle Welt wirkte, und natürlich und selbstverständlich am weitaus meisten und elementarsten auf uns selbst: bereits euer erster Eintritt in die Gesellschaft, als ihr in weißen Blütenkleidern, jede sie selbst und zugleich, durch ein seltenstes, erlesenstes, wunderlichstes Naturspiel, auch wieder die andre, Arm in Arm durch die sich überrascht und erstaunt vor uns öffnenden Reihen in den großen, festlich erleuchteten Saal der Philharmonie tratet, machte mich stutzen! . . . (ein sanft tirilierendes Rotschwänzchen) Und als dann auch auf den nächsten Bällen, so unbestreitbar eure junge, strahlende, fremdartige Schönheit auch überall den Mittelpunkt bildete, grade die ernsthafter in Frage kommenden jüngeren Herren Adoleszenten und allenfallsigen Aspiranten, nach deutlich sich auf ihren Gesichtern verratenden Seelenkämpfen, zu eurer innerlich nicht geringen Erheitrung, Belustigung und Ergötzung, immer wieder tapfer kehrtmachten, wurde auch Großmutter . . . nachdenksam!
Marianne: (apathisch ablehnend) Das ist ja alles . . .
Dufroy: (noch immer lebhaft bei seinem »Problem«) Die Tragödie begann erst . . .
Marianne: (durch diese Wendung, mit der er in seinem immer farbig-spezifischer gewordnen Memorial fortfahren will, plötzlich ergriffen; unwillkürlich in seinem Satz weiter) Als in meiner Abwesenheit Georg . . .
Dufroy: (eifrig nickend; Ton noch verstärkt) Als in deiner Abwesenheit Georg . . .
Marianne: (ausbrechend; aus seinem langen Exkurs jetzt das für sie resultierende Fazit ziehend) Mariette . . . hätte sich nie das Leben genommen . . . und ich selbst käme mir nicht rein dadurch, daß ich existiere und existierte . . . jetzt fast wie halb schuldbeladen vor . . . wenn ein mitleidigeres Geschick . . .
Dufroy: (wie vorhin; ihren Satz schließend; fast bedauernd-feierlich) Eure Körper so verschieden wie eure Seelen geformt hätte!
Marianne: (in ihrem Resümee von neuem) Dieser böse Fluch . . .
Dufroy: (noch verstärkt) Diese Danaergabe in Verbindung und im Verein mit ihrer unglücklich ererbten, seelisch morbiden, traurigen Veranlagung und Prädisposition . . . scheint in der Tat deine arme Schwester, wie ich zugeben muß, mit der Zeit und auf die Dauer. . . speziell gegen dich . . . ich will und möchte ja nicht geradezu sagen und behaupten, auf erotomanischer Grundlage, aber . . . (»explodierendes« Auto) jedenfalls mit einem Zorn, einer Abneigung und einem Haß erfüllt zu haben, (nach dieser eleganten Kurve auf seine unterbrochne Beweisführung wieder zurückkommend; fast jede Silbe steigend betont) der die auch nur entfernteste Möglichkeit irgendeiner psychologisch hinlänglichen Andersausdeutung für jeden Sachkenner und Fachmann von vorne herein und a priori ausschließt!
Marianne: (in ihrem Widerstand einen Augenblick nun doch fast wankend) Ich fand allerdings . . . nach ihrem Tode hier Aufzeichnungen vor . . . die für deine Ansicht . . .
Dufroy: (aufhorchend-neugierig) Aufzeichnungen? Was für . . . ?
Marianne: (der ihre kleine »Indiskretion« offenbar schon halb wieder leid tut) Ausbrüche, Klagen und Anklagen, die ich dir nicht vorenthalten hätte, wenn sie mich nicht in ihrer erbitterten, (plötzlich, ganz gegen ihren Willen die denkbar stärksten Worte wählend und so ihre Position, die sie so lange mühsam aufrechterhalten, einen Moment fast preisgebend) bösartigen, ich muß gestehn, fast monströsen Vehemenz . . . (Radfahrer).
Dufroy: (einfallend; triumphierend-heftig; alles übrige ihr damit abschneidend) Das genügt! . . . Das genügt mir! . . . Das genügt für mich und mein Urteil . . . vollkommen!!
Marianne: (achselzuckend; noch immer, trotzdem, nicht überzeugt) Für . . . mich und . . .
Dufroy: (über ihre Worte hinweg ; aus tiefster, innerster Selbstqual; sich schnell und bis zum Schluß steigernd) So . . . hat sich jetzt jene Handlungsweise, die ich damals für die altruistischste meines Lebens hielt, daß ich von deiner Mutter nicht ließ, daß ich ihr, allen vernünftigen Gegengründen zum Trotz, die ich sämtlich sah, die sich mir einer nach dem andern aufdrängten und von denen jeder für mich infallibel war, zu einem Bunde die Hand reichte, der in diametralem, unüberbrückbarem Widerspruch mit meinem letzten, innersten Wissen und Gewissen als Mensch und als Forscher stand . . . so hat sich das nun . . . gerächt! . . .
Marianne: (zart, weich, aus überquellendstem Mitleid; ihren eignen Kummer fast vergessend) Du mißt dir eine Schuld bei . . . wo du doch grade . . .
Dufroy: (in seiner Selbstanklage nun noch erbitterter) Ein Arzt, ein durch unsre ganze, neuzeitliche Schulung gegangner Physiologe, der gläubigste, glühendste Propagandist und Apostel für die praktische Notwendigkeit einer absolut lückenlosen Vererbungsmathematik . . . und in seinem eigenen Tun und Nichtlassen . . . (abbrechend und sofort nieder von neuem) Das mußte ja . . . zu irgendeiner Wiederwettmachung . . . und Vergeltung führen! Diese gerechte Strafe . . . (die Stimme versagt ihm fast) habe ich doch auch bloß . . . verdient!!
Marianne: (sich jetzt immer mehr und mehr auf seine Seite stellend) Da du, grade als Arzt . . . damals genau wußtest . . . daß diese Heirat für Mutter . . . die so schwärmerisch zu dir aufblickte . . . die so exaltiert an dir hing . . .
Dufroy: (einlenkend-zugebend) Das ist ja wahr! Ich stand vor der Alternative, ein Wesen, das ich liebte und das mich . . . armen Menschen selbst . . . gradezu vergötterte . . . in schneller Frist rettungslos . . . entweder vor mir hinsterben zu sehn oder . . . mich eben zu entschließen . . .
Marianne: (ihm schnell zur Hilfe kommend; jetzt ganz auf seiner Seite) Und du entschloßt dich so selbstlos, daß ich mir eine noch selbstlosere Handlungsweise überhaupt gar nicht vorstellen kann!
Dufroy: (abwehrend; schmerzlichst) Wäre ich damals selbstlos gewesen . . . ich würde mir heute . . . vielleicht keinen Vorwurf machen! Daß ich von deiner Mutter nicht ließ, daß ich auf diese kurze, glücks- und schmerzensreiche Vereinigung mit ihr nicht verzichtete, einfach nicht verzichten konnte, daß ich dazu nicht die Kraft besaß . . . (seinen Satz unterbrechend; erläuternd) ich hatte damals extra, um mir selbst zu entfliehn, kaum drei Monate nach dem so überraschend plötzlich erfolgten Hinscheiden meines Vaters, meine große, langjährige, südostasiatische Reise unternommen . . .
Marianne: (nickend) Ich weiß!
Dufroy: (verstärkt; noch in seiner selben Erläutrung) Vergeblich . . . (erst jetzt seinen Satz schließend) grade das war die höchste, denkbar ausgesprochenste, raffinierteste Form meines Egoismus gewesen!
Marianne: (vor so viel Selbstbezichtigung ganz starr) Ja, aber . . . auf diese Art . . . und in dieser Weise . . .
Dufroy: (einfallend; eifrig) Läßt sich sogar auch die heroischste Selbstverleugnung . . . (ausbrechend; fast verzweifelt) Es gibt keinen »Altruismus!« Es gibt für uns nur Entscheidungen unsres Verstands oder unsrer Gefühle! Und es scheint . . . (letzte, tragischste Erkenntnis, als ob er sich jedes Wort blutend aus seiner Seele risse) als führte . . . durch die oft unsagbare Schmerzlichkeit dieses Lebens . . . nur die kälteste, grausamste Berechnung zum Ziel!
Marianne: (bis in ihr Innerstes erschüttert) Und zu dieser Anschauung . . . zu dieser trostlosen Anschauung . . .
Dufroy: (der sich mit Gewalt wieder gefaßt hat; nach einem schnellen Blick rechtsrum auf die Tür, hinter der Georg vorhin verschwunden war) Es ist mir eine wahre Beruhigung, daß wenigstens du . . . bei dem steten, unveränderlichen Gleichmaß deines Naturells . . . bei deiner ganzen . . . Gemütsart und Charakterveranlagung . . .
Marianne: (die seinen Blick wahrgenommen; zögernd; unsicher) Ich . . . weiß nicht . . . ob du mich da nicht . . . (Pferdegetrappel).
Dufroy: (nach einem nochmaligen, hastigen Blick auf dieselbe Tür; veränderte, etwas beschleunigtere Sprechweise) Georg . . . muß leider jeden Augenblick eintreten. Ich würde dieses Thema sonst nicht berühren! Ich berühre es auch nicht meinetwegen, liebe Tochter! Deine Anwesenheit in diesem Hause hat, soweit ich darüber informiert bin, längst aufgehört, einen beliebten Gesprächsstoff unsrer gesellschaftlich sogenannt besseren Kreise zu bilden! Aber du weißt, oder wirst doch wenigstens bereits bemerkt haben . . .
Marianne: (die schon fast nach seinen ersten Worten unruhig zurückgestutzt war; ihn unterbrechend; abkehrender, beinahe harter Tonfall) Du kommst . . . auf Wunsch . . . um nicht zu sagen, im direkten Auftrag von Großmutter?
Dufroy: (der sie groß anblickt; ganz unwillig-überrascht) Es muß . . . zwischen dir und Georg . . . doch mal endlich . . . (Wildenten).
Marianne: (aufgestanden; ihm gegenüber; ihren Hut, den sie vom Tisch genommen, in der starrkrampfhaft herabhängenden Rechten) Wenn du willst . . . verlasse ich dies Haus . . . mit dir schon jetzt . . . (Blick nach der Tür ihr gegenüber) und noch ehe . . .
Dufroy: (der sich sofort, halb mechanisch, ebenfalls erhoben hatte und nun ihrem Blick gefolgt war; besorgt-angstvoll) Ihr seid euch in diesen Jahren . . . nicht einen Schritt näher gekommen?
Marianne: (ihre innere Erregung mit aller Kraft zu verbergen trachtend; ihn nicht anblickend; nur langsam den Kopf schüttelnd) . . .
Dufroy: (unwillkürlich; durch seinen Ausruf klingt es jetzt fast wie Schrecken) Marianne!
Marianne: (an ihm vorbei wie ins Leere blickend) Wir haben in diesen ganzen Jahren Dinge, die uns angingen, noch nie auch nur mit einem einzigen Wort berührt!
Georg: (bevor Dufroy, von dem ihm Eröffneten, noch ganz starr, Marianne etwas darauf erwidern kann, zurück durch die Tür links; in der Rechten ein ziemlich starkes Foliomanuskript in dunkelbuntem Lederumschlag) Ich habe dir gleich den ganzen Schwamm . . . (einen kurzen Moment stutzend und die Situation überblickend) Eine kleine Aussprache?
Dufroy: (sich zusammenraffend und, etwas nach Marianne zu, hinter den Tisch getreten) Oh . . . nur ganz harmlos und nebenbei! . . . (nach dem Manuskript hin, mit dem Georg jetzt näher gekommen) Das corpus delicti?
Georg: (durch diesen Ton, den er nicht recht vertragen kann, bereits wieder heimlich irritiert) Jawohl! . . . (seinen Packen wuchtig auf den Tisch legend) Der neue » codex argenteus!«
Dufroy: (seiner seelischen Erregtheit noch nicht ganz Herr geworden; maskiert ironisch) In einem flexiblen Umschlag . . .
Georg: (den Satz ihm abnehmend und ihn in seinem Tonfall noch überbietend) Aus echtem, kokett krokodilnem, pfauenbunt irisierendem Japanleder! (von neuem, diesmal nach links, wieder auf und ab) Wenn du dich seines dürftigen Inhalts erbarmen willst?
Dufroy: (das Manuskript aufs Geratewohl halb aufklappend und interessiert in ihm blätternd; ganz verblüfft) Acht- oder neunhundert Folioseiten auf dünnstem Übersee, ohne jede Durchstreichung und Rasur, in deiner haarschmalen, steilscharfen, (Spatzen) fast mikroskopisch kleinen Schrift . . .
Georg: (in seinen Satz schnell einfallend; noch schärfer als vorhin) Aus geschliffnen, vergifteten Dolchspitzen! Jawohl!
Dufroy: (mit leicht zusammengezogenen Brauen nach ihm aufblickend) Du solltest nicht . . . von dir selbst . . .
Georg: (Achselzucken; durch den so prompt zurückerhaltnen Hieb noch nervös-gereizter) Nicht eben jeder kann, seiner großzügigen, breitbasigen, edleren Charakterveranlagung entsprechend . . . (unwillkürlich stockend).
Dufroy: (kühl; abwartend) »Entsprechend . . .«
Georg: (mit seinem ganzen, angesammelten Ärger jetzt rausplatzend) Gutmütig parfümierte Löwenklauen aufs Papier setzen!
Dufroy: (ruhig; überlegen) Gewiß nicht! . . . (wie um jedes etwa obwaltende Mißverständnis zu beseitigen; sofort nochmal und etwas schneller) Übrigens lag es mir durchaus fern . . .
Georg: (sarkastisch; ihn nicht ausreden lassend) Aber ganz selbstverständlich! . . . (grob nachhinkend; hinterdrein) Mir gleichfalls! . . .
Dufroy: (nach einer kurzen Pause; irgendwo Kinder; in seinem Innern durch die ganze, aus lauter Widerhaken bestehende Art Georgs nun doch leis pikiert; die Rechte wieder auf dem Manuskript) Darf ich mal in das Fazit . . . deiner anerkennenswerten, fleißigen Ameisentätigkeit . . .
Georg: (schnell; stehngeblieben) Einen flüchtigen, provisorischen Einblick nehmen? Nein!
Dufroy: (unwillkürlich einen halben Schritt, unmutig, zurück) Du dekretierst und . . . befiehlst . . .?
Georg: (nach dem Zuschauerraum zu hinter dem Sessel links; veränderter Tonfall; dabei ab und zu mißtrauisch nach Marianne rüber, die, seine Blicke vermeidend, die Augen meist auf den Vater, etwas nach dem Hintergrund zu, hinter dem Sessel rechts steht) Im Gegenteil! Du tätest mir einen besondern Gefallen, und ich bitte dich darum, Wort für Wort, Satz für Satz und Zeile für Zeile zu lesen! Mit dem Anfang zu beginnen und erst mit dem Schluß, soweit von einem solchen bereits die Rede sein kann, aufzuhören!
Dufroy: (mit gesteigerter Verwunderung; noch wie vorhin) Du verlangst . . .
Georg: (der sich jetzt ganz gesammelt hat; die Linke neben sich auf der Lehne seines Sessels; unwillkürlich sich etwas höher richtend) Ja! Denn diese Blätter, so gering und so im letzten Grund trotz allem mich nicht überhebend ich schließlich auch von mir denke, dienen einem Problem oder wollen ihm doch wenigstens dienen, von dessen endgültiger Lösung für mich das Wohl und Wehe . . . und zwar nicht bloß intellektuell, sondern überhaupt . . . das Wohl und Wehe unsrer ganzen, gesamten, kultur-stolzen, modern zivilisierten, weltherrschenden Rasse abhängt!
Dufroy: (als hätte er ihm eine Rede in Volapük gehalten) »Unsrer . . . ganzen . . .«?
Georg: (seine letzten Worte wiederholend und mit noch erhöhterem Nachdruck weiter) Unsrer ganzen, gesamten, kulturstolzen, modern zivilisierten, weltherrschenden Rasse, die trotz aller ihrer äußeren, riesenhaften, gewaltigen Fortschritte, Erfolge und Errungenschaften bereits längst einem innern, tiefen, stetig weiter um sich greifenden Verfall entgegengeht!
Dufroy: (vor dem hohen, getragnen, gradezu fast priesterlichen Ernst seiner Worte stutzend) So . . . feierlich?
Georg: (noch immer sich steigernd, jetzt hinter den Sessel getreten, dessen Lehne er, ähnlich wie in der Szene vorhin, gepackt hält) Ja! Denn es gilt den feierlichsten, folgenschwersten Gerichts- und Wahrspruch, zu dessen Verkündigung man . . . das Wort, nebenbei, stammt nicht von mir, aber ich reiße es aus seiner schon halben Vergessenheit und werfe es weiter . . . (mit unwillkürlich noch erhobnerer Stimme) zu dessen Verkündigung man die Wissenschaft . . . je aufgefordert hat!
Dufroy: (mild abgeklärt-bitter) Die Wissenschaft, mein lieber Sohn, hat schon viele »Wahrsprüche« verkündigt! Und noch alle haben sich bis jetzt . . . als falsch erwiesen!
Georg: (herb; hart) Um so schlimmer . . . für diese »Wahrsprüche«!
Dufroy: (fast mitleidig auf das Manuskript hin) Und mit diesem halben Arm voll Papier glaubst du jetzt endlich den richtigen zu verkündigen!
Georg: (noch immer wachsend) Als Letzter . . . und wenn ihrer auch noch nicht wert und würdig . . . als Letzter einer Reihe der erlauchtesten und selbstlosesten Geister! Ja! (den Sessel lassend und beiden den Rücken drehend; wieder nach links).
Dufroy: (unwillkürlich sein ergrautes Haupt schüttelnd) Beneidenswerte Zuversicht!
Georg: (sofort, höhnisch, mit einem Ruck nach ihm zurückgedreht; aggressiv-feindselig; fast verächtlich) Beneidenswerter jedenfalls, als die »männliche Entsagung«, mit der du dich aus unserm alten, ehrwürdigen, unleugbaren »Ignoramus«, »Wir wissen es nicht«, bis zu diesem neuen, an- und vorgeblich noch selbstbescheidneren, in Wahrheit und Wirklichkeit aber blasphemischen, hoffärtigen, hochmütigen »Ignorabimus«, »Wir werden es nie wissen«, aufgeschwungen hast . . .
Dufroy: (mit jetzt »schnellender Zornader«; in seinem Satz, den er ihm unwillig unterbrochen hat, sich schnell steigernd, weiter) Und das, trotz deiner, wie mir ernstlich vorkommen will, im Moment noch ungleich hoffärtigeren Gemütsverfassung, ganz sicher und gewiß auch du nochmal . . . (ganz nahes, schnell und mehrfach scheußlichst aufschnarrendes Auto).
Georg: (ausbrechend-wuchtigst) Lieber krepieren und ein verfaulender Hund sein . . .
Marianne: (fast angstvoll) Georg!
Georg: (von ihrem erschreckten Ausruf kaum unterbrochen) Als von dieser feigsten, waschlappigsten und ruchlos oberflächlichsten . . .
Dufroy: (vor seinem fanatischen »Radikalismus« gradezu wie entsetzt) »Ru . . .«
Georg: (verbissen sofort zurückhakend und in letzter, wütendster Steigrung) Ruchlos oberflächlichsten aller sogenannten »Weltanschauungen« je wieder auch nur das kärglichste, verschimmeltste Stückchen Ideen- oder Gedankenbrot beziehn!
Dufroy: (sich bezwingend und seinen ganzen Grimm, als wäre ihm dieser in die Kehle geraten, in sich runterschluckend) Hmhm!
Georg: (mit nochmaligem Paukenschlag; wie ein Tier im Käfig wieder auf und ab) Beziehn . . . oder beziehn müssen!
Dufroy: (der sich mit aller Kraft und Gewalt wieder gefaßt hat; dasselbe Auto; bereits fern) Dann wünsche ich dir . . . und zwar von Herzen . . .
Georg: (kurz; brüsk; ohne sich nach ihm auch nur umzudrehn) Danke! . . .
Dufroy: (nach einer kleinen Pause; zögernd vor sich hin) Hm! . . . Ja! Und . . . e . . . (zu Marianne rüber; veränderter Tonfall) was ich dir noch sagen wollte! Ich habe Onkel Ludwig . . . (zwar noch etwas stockend, aber doch mehr und mehr wieder »Herr der Situation«) in letzter Zeit wiederholt . . . und auch erst heute morgen wieder . . . aus meinem Gartenfenster gesehn! Er scheint mir doch kränker, als er es euch in seinem Eigensinn . . . (leise, wehmütige Vogellaute).
Marianne: (in seine jetzt unwillkürlich wie etwas abwartende Atempause; ganz seiner »Diagnose«) Die böse Befürchtung . . .
Georg: (ohne sich in seiner Promenade dadurch aufhalten zu lassen) Galle! Beginnender schwerster Ikterus! Lebenslänglicher Ärger, der nach innen geschlagen!
Dufroy: (zu Marianne; ohne auf ihn, scheinbar, zu achten) Sein Vater . . . starb mit neunundsechzig an Leberkrebs! Könntest du ihn nicht bewegen, daß er sich mal schließlich . . . von mir untersuchen ließe?
Marianne: (ganz erstaunt; als hätte sie eine solche Frage von ihm überhaupt gar nicht für möglich gehalten) Onkel . . . Ludwig?
Georg: (einen Augenblick stehngeblieben; zu Dufroy rüber; durch die von diesem in die Luft gemalte Perspektive fast wie grimmig belustigt) Dieser durchtriebene alte Satan, der dich damals in seinem Hospiz . . .?
Dufroy: (durch seinen »gelaunten Sarkasmus« nicht gerade angenehm berührt) Nachdem Großmutter doch nun damals gewünscht hatte, daß ich nach seinem derzeitigen Aufenthaltsort amtlich diskrete Ermittlungen und Erkundigungen anstellen ließ, und die Rückkunft meines Bruders, zu meiner eignen, außerordentlichen Überraschung, mir dann bekannt geworden war, war es doch wohl nur selbstverständlich . . .
Georg: (»grausam- unbarmherzig«; wieder auf und ab) Diese obskure, christliche Herberge in der Naunynstraße und der Wirkliche Herr Geheime Oberregierungsrat, Exzellenz, de- und wehmütigst Audienz nachsuchend, um von seiner Zerlumptheit, dem heimgekehrten Dulder Odysseus, Herrn Doktor Ludwig Adrian Brodersen . . . (kleine, »wohlgezielte« Kunstpause) nicht vorgelassen und empfangen zu werden! Tableau!!
Dufroy: (dem alle diese Worte, wie ebenso viele Dolche, »mitten durch die Seele« gegangen waren) Es war mir ja gewiß . . . schmerzlich und . . . schließlich auch allerdings etwas peinlich, aber . . . (abbrechend; zu Marianne; vorsichtig tastend) Hat er sich mal . . . über seine Motive geäußert? (da er aus ihrer unsicher ausweichenden Haltung unbedingt den Schluß ziehen muß, daß Onkel Ludwig dies irgendwie getan) Über den Grund seines Grolls? . . . (jetzt mit einem halben Blick auch noch nach Georg rüber) Es muß euch doch auffallen, daß er noch nach so viel Jahren . . .
Georg: (der, ohne nach ihm hinzusehn, schon rein aus seinem etwas zögernd-veränderten Tonfall, diesen Blick »gefühlt« hat; versteckt-spitz) Meinst du?
Dufroy: (zu Marianne; irritiert-indezis fragender Nasallaut) N?
Marianne: (die nicht recht weiß, wie sie, namentlich in Gegenwart Georgs, in diesem Moment sich aus der Affäre ziehn soll) Seine Anspielungen . . . sind so merkwürdig, seine Andeutungen . . . so dunkel, daß ich . . .
Georg: (der sofort »die Ohren gespitzt« hat; stehngeblieben; zu Marianne rüber) »Daß du . . .?
Dufroy: (zu Marianne) Nun, es . . . (beruhigende, ablenkende Geste) wird sich ja vielleicht . . . schon noch alles . . .
Georg: (sarkastisch-bitter) Eine rührende Gutgläubigkeit und ein Optimismus . . .
Dufroy: (einen kurzen Moment sich gegen ihn zur Wehr setzend und sich verteidigend) Mit dem ich in meinem Leben . . . (vor seinem höhnischen Blick abbrechend; stockend) Übrigens . . . ehe ich . . . jetzt deine »gastliche Schwelle« . . .
Georg: (kurz) Bitte?
Dufroy: (Ton jetzt fest) Eine kleine Anfrage! . . . (Stimmfall noch verstärkt) Eine offne, ehrliche Anfrage!
Georg: (scheinbar ganz erstaunt-überrascht) Eine . . . »Anfrage?«
Dufroy: (so schwer, ja so fast bitter diese Frage ihm in diesem Augenblick auch fällt) Was hast du gegen mich . . . persönlich?
Georg: (ausweichend; als verstünde er ihn gar nicht) Ich?
Dufroy: (noch gesteigerter als vorhin; jeder Iktus betont) Eine Animosität, die ich mir durch dein . . . du verzeihst . . . durch dein Unglück allein . . . nicht erklären kann!
Georg: (dem dieses direkte »Gestelltsein«, namentlich aber und vor allem auch in Gegenwart Mariannes, nun denn doch etwas unbehaglich und peinlich zu werden beginnt) Lieber Schwiegervater . . .
Marianne: (ihm sofort wieder entgegenkommend; Geste) Wenn du wünschst . . .
Georg: (der sich dadurch nur noch mehr und erst recht »in die Ecke gedrückt« vorkommt; scharf) Ich wünsche gar nichts, sondern ziehe vor . . . (unwillkürlich, wie für seine Worte nach einer Rechtfertigung und Stütze suchend, die Augen einen Moment lang nach seinem Manuskript hin) diese Interpellation, auf die ich im Augenblick nicht recht gefaßt war . . . (abbrechend; Pferdegetrappel).
Dufroy: (achselzuckend; eine kleine Pieke sich nun ebenfalls nicht versagen könnend) Sollte es dir lieber sein, sie mir erst nach Genuß . . . deines unsterblichen Meisterwerks zu beantworten, so . . .
Georg: (ironisch-dankbar; als hätte er ihm damit einen allergrößten Gefallen erwiesen; aber dabei doch, unwillkürlich, etwas aufatmend) Du nimmst mir einen »Stein vom Herzen«!
Dufroy: (das Manuskript jetzt an sich nehmend, tadellos »höflich«) Was mir stets . . . (sich unterbrechend und zu Marianne rüber; heimlicher Beziehungsfaden zum Schluß der voraufgegangenen Szene zurück) Also, liebes Kind . . . du läßt dich mal bald wieder . . .
Georg: (hellhörig-bissig; ihm seinen Satz vollendend; wieder auf und ab) Bei deiner Großmutter sehn!
Marianne: (zu ihrem Vater; Georg gar nicht mehr anblickend) Gewiß!
Dufroy: (beeilt-schnell) Ja! Darum möchte ich dich doch . . . (nochmal der diesmal noch stärker geknüpfte »Beziehungsfaden«) recht sehr bitten!
Georg: (noch unterdrückt heftiger als vorhin; für das von ihm aufgefangne seelische Marconitelegramm mit einem ebensolchen eignen quittierend, von dem er um so befriedigter ist, als er ganz genau fühlt und weiß, daß es von den beiden bis ins letzte unmöglich dechiffriert werden kann; wieder ohne sich in seinem Gang dadurch aufhalten zu lassen) Ich werde mich bemühn, dafür Sorge zu tragen, daß sies nicht vergißt! (Dufroy aufhorchend).
Marianne: (ihrem Gefühl plötzlich wieder folgend und ihm den Mund zum Kusse bietend) Adieu, Papa!
Dufroy: (nachdem er ihr nur leicht die Stirn geküßt) Adieu, Liebling ! . . . (bereits zurückgewandt; wie nur so leicht nebenbei) Über die andere Sache sprechen wir dann noch!
Marianne: (nickend) . . .
Dufroy: (zu Georg rüber; »versöhnlich«) Nicht wahr? Auf morgen!
Georg: (stehngeblieben; finster; ohne sich von seinem Platz zu rühren) Auf morgen!
Dufroy: (noch einen kurzen Moment, bevor er geht, zögernd, dann, wie in der Absicht, sich und die beiden möglichst zu beruhigen) Es . . . wird ja schon so schlimm nicht sein! (durch die Mitteltür in den Garten ab; in diesem angelangt, sich nochmals halb umdrehend und beiden mit der erhobnen Linken freundlich-liebenswürdig zurückwinkend; dann, hinterm Springbrunnen, zwischen dem hohen Taxushalbrund verschwindend).
Georg: (der so lange gewartet hat; nachdem er inzwischen zu Marianne, die ihrem Vater wortlos nachgesehn, einigemal nervös-argwöhnisch rübergeblickt hat) Diese überströmenden, überflüssigen Zärtlichkeiten . . . ?! . . . (da Marianne ihm nicht antwortet, sondern sich nur auf die Unterlippe beißt, sie jetzt direkt, sehr bestimmt und energisch fragend) Was war das für eine »andere Sache«, über die er dann . . . noch mit dir »sprechen« wollte?
Marianne: (ausweichend; mit der Linken die Lehne des Sessels glättend) Es ist für dich wirklich . . . von keinem Belang.
Georg: (mit unterdrückt steigender Heftigkeit) Ist er besorgt für deine Zukunft gewesen? Paßt es ihm nicht, daß du hier den Haushalt führst? Oder wünscht er vielleicht am Ende gar . . . daß du dich nach drei Jahren »glücklicher Muße« . . . alte Herren sind oft ab und zu wunderlich . . . jetzt unter seinem väterlichen Patronat als erste Berliner Privatdozentin etablierst?
Marianne: (nervös-gequält; von ihm abgewandt) Frag mich nichts . . .