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Intimitäten aus dem Leben Fanny Reventlows mag, wer sich dafür interessiert, in ihren der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Briefen oder Tagebüchern suchen, wo sie, die mehr als andere den klar bewußten Mut zur eigenen Persönlichkeit besaß, über sich selbst Gerichtstag abgehalten und sich freigesprochen hat. Wer das aufrichtig und mit unbeschwerter Seele kann, besteht auch vor der höheren Instanz. In diesen Zeugnissen sachlicher Selbsterforschung liegt ihr Leben vor uns wie ein offenes Buch; nichts ist verheimlicht, was noch zu enthüllen bliebe. Und Klatschgeschichten über sie, die mir von anderen zugetragen wurden, aufzuwärmen, liegt mir fern. Ich könnte deren Wirklichkeitsgehalt auch nicht bestimmen; denn ich gehörte nie zum Kreis der schwabinger Meister und Adepten, unter denen sie, umworben und verlästert, als so eine Art von Bürgerschreck ihr amüsant verrücktes, aber ganz gewiß nicht leichtes Dasein führte. So habe ich mit ihr fast nur geschäftlich auf dem Büro des Langenschen Verlages verkehrt, sie aber dabei doch in mehr als zwanzig Jahren wahrscheinlich besser kennen lernen als mancher der Genossen ihrer Abenteuer.
Zum erstenmal begegnet bin ich Fanny Reventlow lange vor ihrer und vor meiner Münchner Zeit. Und das geschah in Lübeck, wo ich meine letzten beiden Gymnasiastenjahre hinter mich zu bringen hatte, und wo ich noch mit mehr als einem anderen jungen Menschen in Berührung trat, der, wie es sich nachher erweisen sollte, den Marschallstab oder doch wenigstens die Gefreitenknöpfe der deutschen Literatur im Schultornister trug.
In unserer lübecker Schülerpension nun gab es eine junge Hamburgerin, die ein privates Lehrerinnenseminar besuchte; und die erzählte uns einmal beim Mittagstisch:
«O Gott, nein, s-tellen Sie sich vor: heut is die Komteß mit einem schwarzen und mit einem gelben Schuh zum Unterricht gekommen.»
Auf nähere Erkundigung hörte man dann, es handle sich um eine Komtesse Reventlow, die überhaupt «fubba» exzentrisch sei. Ich, damals in meiner Maienblüte selbstverständlich von blasiertem Skeptizismus angefressen, dachte mir in meinem Sinn: Na ja, man kann es statt exzentrisch wohl auch schlampig nennen. Aufregend finde ich es weiter nicht.
Aufregend fand ich auch das blonde junge Mädchen nicht, das ein paar Tage später jene Hamburgerin besuchen kam, und dem dabei zufällig ich die Haustür öffnete. Es war ein zierlich gewachsenes, knapp mittelgroßes Ding mit einem feingeschnittenen Gesicht von, wie mir schien, nicht mehr als durchschnittlichem Reiz. Einzig die großen und gescheiten blauen Augen, in denen etwas Schwärmerisches brannte, ließen sich als schön bezeichnen. Gekleidet war sie wie ein norddeutsches Gutsbesitzerstöchterlein aus vornehmer Familie, in der man streng auf Striktheit der Gewandung sieht und jede Hervorhebung weiblichen Körperreizes als unpassend gilt. Nur sprach vielleicht aus der Zerzaustheit ihrer Löckchen, aus dem Schwung, den sie dem Rande ihres Huts gegeben hatte, und daraus, daß sie ohne Handschuhe daherkam, heimlicher Protest gegen die Grundsätze, die ihres Vaters Haus beherrschten.
Meine Pensionskollegin klärte mich nachher darüber auf, dies wäre jene Komteß Reventlow gewesen und fügte, höchst geschmeichelt durch den adligen Besuch, verzückten Tons hinzu: «Is sie nöch süß?!» Ich werde ihr vermutlich, borstig, wie ich damals war, erwidert haben, Süßigkeiten seien nicht mein Fall.
Nach dieser flüchtigen Begegnung habe ich in Lübeck Fanny Reventlow nicht mehr gesehen, noch von ihr gehört, welch letzteres mich heute wunder nimmt. Klatschmäuler waren nämlich dort nicht seltener als anderswo, und die – igitt, igitt! – schon damals durch Teilnahme an einem «Ibsenklub» und Stelldicheins mit Männern aus der Art geschlagene Komtesse mußte ja für solche Menschenfreunde das gefundene Fressen sein. Es war bestimmt nur Zufall, daß gerade mir von dem entrüsteten Getuschel nichts zu Ohren kam.
So vier, fünf Jahre gingen hin, bis ich als frischgebackener Redakteur des «Simplicissimus» der Gräfin Reventlow auf dem Büro des Langenschen Verlags zum erstenmal wieder begegnete. Sie hatte in der Zwischenzeit sehr viel erlebt: Heirat, um aus dem Elternhause fortzukommen, Scheidung, den väterlichen Fluch, ernste und flüchtigere Liebesabenteuer, Krankheit, Leid und Not, und sah von Angesicht trotzdem fast aus wie einst. Wer es nicht anders wußte, hätte sie auch jetzt noch für ein unschuldiges junges Mädchen aus norddeutschem guten Hause halten können, allerdings für eines, das, wie man hierzulande sagt, «unter die Malweiber gefallen» sei. Denn daran, wie sie sich trug, erkannte man sofort die «Schwabingerin». Man möge deshalb aber ja nicht glauben, daß sie etwa ihr Künstler- und Bohemetum durch Gewänder, die der Mode spotteten, zu plakatieren suchte – nein, es lag an allerhand von ihr schwerlich bewußt gewollten kleineren Nuancen und an der zu geringen Pflege, die sie ihrer Kleidung widmete, wenn sie einem schon auf den ersten Blick völlig unbürgerlich erschien. Es gibt wohl Freunde Fanny Reventlows, die hinterdrein behaupten wollen, sie hätte zeitweise durch die «gepflegte Vornehmheit» ihrer Erscheinung als Dame großen Stils gewirkt, doch dürfte es sich da um eine verklärende Gedächtnistäuschung handeln – ich habe nie etwas davon bemerkt. Das Damenhafte streite ich ihr, wie man noch sehen wird, durchaus nicht ab, nur wirkte es sich auf ganz anderen Gebieten bei ihr aus als dem der Eleganz. Um elegant zu sein, nahm sie Toilettenfragen viel zu wenig ernst. Und selbst wenn sie sich einmal etwas Mühe damit gab, kam nichts recht Überzeugendes dabei heraus.
Ich seh sie noch, als sei es gestern erst gewesen, auf einem Faschingsfest vor mir, von dem ihr Tagebuch berichtet, sie hätte sich an diesem Abend als «die Wildeste und Schönste» im ganzen Saal gefühlt. Den ersten dieser Superlative auf seine Berechtigung hin zu prüfen, bin ich nicht kompetent. Aber die Schönste? Lieber Gott, nicht nur nicht schön – geradezu bejammernswürdig sah sie aus. Sie prangte in einem, wie sie stolz betonte, «echten» türkischen Kostüm, das ihrer deutschen Blondheit auch nicht hätte zu Gesichte stehen können, wenn es für ihren Wuchs nicht viel zu weit und groß gewesen wäre, und wenn sie dies von ihr wahrscheinlich auf einem kleinasiatischen Trödelmarkt erstandene Gewand vor der Benutzung wenigstens erst hätte reinigen und bügeln lassen. Um ihren Kopf war, andeutungsweise turbanartig, ein blauer Fetzen Crêpe de Chine gewürgt, große in Halbmondform aus Messingblech gestanzte Scheußlichkeiten trug sie an Schlingen von schwarzem Zwirn über die Ohrmuscheln gehängt. Das Tollste aber war die Art, wie sie dem Übelstande abzuhelfen suchte, daß ihre goldgestickten türkischen Pantoffeln sich beim Tanz in einem fort selbständig machten und in alle Ecken des Lokales sausten: sie band sie einfach mit zwei Herrentaschentüchern, die sie sich von irgendwem entliehen hatte, an den Füßen fest. Als dieses auf die Dauer auch nichts nützte, tanzte sie für den Rest der Nacht vergnügt in Strümpfen weiter.
Nun konnte ich an Fanny Reventlow ja nie etwas von dem, wie man es heute nennen würde, «sex appeal» bemerken, der so viel andre Männer ohne Widerstand gefangen nahm. Ich hätte mich viel eher kameradschaftlich mit ihr befreunden als in sie verlieben können, weil der geistige Scharm bei ihr den leiblichen entschieden überwog, in meinen Augen wenigstens; doch mögen die vielleicht zu kurzsichtig oder – wer weiß! – zu scharf gewesen sein. Denn selbst an jenem Abend, wo sie mir in ihrem türkischen Kostüm beinah als eine Art Karikatur erscheinen wollte, flog so manch ein Männerherz ihr zu. Und eins davon gehörte einem meiner Freunde, der dazu auch mein Verlagskollege war.
Er durfte als ein Mensch von mustergültigen Manieren gelten; nur bisweilen, wenn ihm ein zu großes Quantum Sekt die Fesseln der Erziehung lockerte, wurde er plötzlich zu der ersten besten Dame, die ihm der Zufall in den Wurf geraten ließ, so feurig, daß es zum Erstaunen war. Bei jenem Feste nun entbrannte er auf diese Weise für die Gräfin Reventlow, die er ja vom Verlage her gut kannte, ohne daß ihr Anblick jemals seinen Puls beschleunigt hätte. Und sie, die sich aus ihm ganz sicher auch nichts machte, nahm seine stürmische Stegreifwerbung zwar nicht ernst, hätte es aber wohl für spießig angesehen, sich seine unerwünschten Zärtlichkeiten zu verbitten. So saß sie denn ein Stündchen lang, von seinem Arm umschlungen, Wange an Wange mit ihm geduldig da, trank Sekt aus seinem Glas und ließ sich sehr ausführlich von ihm küssen, bis sich ihr die Gelegenheit ergab, ihm unauffällig dahin zu entschlüpfen, wohin das Herz sie trieb.
Am nächsten Morgen litt mein Freund, wie stets nach solchen Abweichungen von dem Weg der Tadellosigkeit, an einem heftigen «Moralischen»; und als einige Tage später dann die Gräfin Reventlow bei uns auf dem Büro erschien, bat er sie de- und wehmütig, sein ganz unmögliches Benehmen auf jenem Faschingsfeste zu entschuldigen.
«Entschuldigen? Wieso?» Sie schaute ihn mit ihren blauen Augen groß und kindlich an. »Wo ich Ihnen dafür doch so von Herzen dankbar bin ...!«
Er wurde puterrot und starrte ihr verwirrt und hilflos ins Gesicht.
«Ja», fuhr sie fort, »es gab da nämlich einen Mann, der einmal eine große Liebe von mir war und sich das absolut nicht abgewöhnen wollte. Lästig – was? Dem hat zum Glück der kleine Flirt mit Ihnen meine abgrundtiefe Frivolität so klar bewiesen, daß er endgültig mit mir gebrochen hat. Und das vergeß ich Ihnen nie!«
Zeigt sich hier hinter der Bohemienne nicht die Dame in der Art, wie sie das Peinliche durch Bagatellisierung aufzuheben wußte! Und so war sie überhaupt. Ich wenigstens, zu dem sie doch so oft unter dem Drucke böser Schwierigkeiten kam, erinnere mich nicht, daß ich sie jemals ernsthaft hätte klagen hören. Von ihren Sorgen redete sie nur, als hätte sie mir einen Schwank aus ihrem Leben zu berichten; und dabei am Ende das Wort »Not« im Mund zu führen, das wäre ihr ganz einfach kitschig vorgekommen, schien es ihr doch beinah schon zu pathetisch angehaucht, wenn sie die trübe Lage ein »Schlamassel« hieß.
In einem meiner ersten münchener Jahre hatte sie sich, zum zweitenmal bereits, einer sehr ernsten Operation zu unterziehen und dann noch wochenlang im Krankenhaus zu liegen. Als sie nachher, entsetzlich blaß und klapperig, auf unserer Redaktion erschien und wir sie fragten, ob das denn nicht eine schauderhafte Zeit für sie gewesen sei, erklärte sie, sie hätte sich im ganzen so auf Urlaub von den Alltagssorgen wie im Paradies gefühlt, zu halben Leichen wäre alle Welt sehr nett, und die Gerichtsvollzieher hätten keinen Zutritt in dies Friedensland. Ein bißchen monoton sei allerdings die ewige Leibaufschneiderei und immer wieder das Zusammennähen. Sie habe deshalb ihren Arzt ersucht, die Wunde mit Druckknöpfen zu montieren, weil er sich dann beim nächsten Mal viel leichter täte.
Obgleich sie innerlich nicht frei von einem Hang zum Schwärmerischen war, hätte sich Fanny Reventlow eher die Zunge abgebissen, als einem ihr nicht auf das innigste Verbundenen ihr Gefühl und ihre Herzenswärme offenbart. Man weiß, mit welcher Seligkeit trotz Not und Sorgen sie ihrem Kind entgegensah und was für eine gute Mutter sie dann ihrem Sohne war. Sie meldete ihn auf dem Standesamte mit dem Familiennamen ihres geschiedenen Mannes an und fand es kleinlich und nicht hübsch von diesem, daß er sich das verbat. Als sie mir dies erzählte, fragte ich beiläufig, wer eigentlich der Vater sei, da zuckte sie die Achseln: »Lieber Gott, ein fremder Herr – so wie ich heute zu ihm stehe. Den geht der Bub nicht das geringste an. Ich würde es mir schön verbitten, wenn er sich um ihn bekümmern wollte.» Mit ein paar Wochen schon im Kinderwagen brachte sie den Jungen zu mir aufs Büro und kam von da ab jahrelang kaum jemals ohne ihn. Der kleine Rolf wuchs frisch und munter auf, er wurde sechs, er wurde sieben Jahre alt und hätte eigentlich längst in die Schule müssen. Da ich jedoch darüber gar nichts hörte, erkundigte ich mich gelegentlich bei seiner Mutter, wie es damit stünde, und sie antwortete, sie hätte ihn auf ihren Antrag freibekommen, weil sie ihn als geprüfte Lehrerin fürs erste selbst zu unterrichten in der Lage sei.
«Ja, tun Sie das denn auch?» fragte ich, etwas philiströs vielleicht.
«Denk ja nicht dran», gab sie zurück. «Muß er denn ein Gelehrter werden? Die sind doch meistens furchtbar blöd.»
«Gelehrter – nein. Nur: Lesen, Schreiben, Rechnen mindestens braucht einer doch», gab ich, recht schwerfällig noch immer, zu bedenken. «Denn was sollte er sonst später einmal werden?»
«Nun, warum nicht Liftboy?» Und die Gräfin sah mich ernst aus großen Unschuldsaugen an. «Ich stell mir das ganz lustig vor.»
Ich wußte damals schon, daß sie das nicht so zynisch meinte, wie es klang. Aus ihren Tagebüchern aber geht hervor, mit welcher warmen Freudigkeit sie ihren Buben zwar nicht systematisch, aber ungemein anregend unterrichtet und ihm schon früh und gleichsam wie im Spiel den eigenen Besitz an Bildung überliefert hat.
Ganz Dame und, hier darf man's sagen, große Dame war Fanny Reventlow darin, wie sie zum Gelde stand. Ob auch die Not sie zwang, ununterbrochen auf der Jagd darnach zu sein, bewahrte sie ihm gegenüber stets die innere Überlegenheit. Meine Erfahrung als Verleger hat es mich gelehrt, daß man von keinem Menschen sagen soll, man kenne ihn, bevor man weiß, wie er sich bei Geschäften zu benehmen pflegt. Die Gräfin habe ich nach dieser Richtung wahrhaft gründlich kennen lernen und stelle ihr hierin das beste Zeugnis aus. Nicht einmal ihre Vorschußwünsche gingen einem auf die Nerven, und man tat bereitwillig sein möglichstes, sie zu erfüllen. Es gibt ganz unausstehliche und es gibt wirklich nette Pumpgenies – die Gräfin war nicht mehr als ein bescheidenes Pump talent von großer Liebenswürdigkeit. Im Schuldigbleiben durfte sie wohl eher ein Genie geheißen werden.
Es ist durch über zwei Jahrzehnte nur ein einziges Mal passiert, daß wir im Geldpunkt miteinander «böse waren» – wenigstens sie mit mir. Und das kam so: sie, die bis dahin neben Übersetzungen nur kürzere Skizzen für den «Simplicissimus» und andre Zeitschriften geschrieben hatte, kam eines Tages zu uns aufs Büro und sagte mir, sie arbeite zur Zeit an einem dickleibigen Roman, der ihre eigene Jugend schildern solle. Hier in dem münchener Trubel komme sie aber nicht vom Fleck damit. Sie müsse sich also wohl oder übel, um ihn zu vollenden, für ein paar Monate auf der kleinasiatischen Insel Samos niederlassen. Der Knabe Rolf ginge natürlich mit. – Nur der? dachte ich still bei mir und war mir klar, daß hinter dieser sonderbaren Wahl des Reisezieles unbedingt noch ein erwachseneres Mannsbild stecken müsse. Aber was kümmerte das mich! – Kurzum, sie brauchte einen größeren Vorschuß zur Verwirklichung des Planes, und Albert Langen, als ich ihm die Sache unterbreitete, sagte ihr den auch zu, nachdem sie sich verpflichtet hatte, den Roman bei ihrer Heimkehr nach, wenn ich mich recht erinnere, einem halben Jahre fertig abzuliefern. Ende Mai 1900 begab sie sich auf ihre Fahrt. Dann hörten wir recht lange kaum etwas von ihr, wenn sie nicht eben einen kleinen Nachschuß zu dem größeren Vorschuß brauchte. Erst ein paar Tage vor Weihnachten erschien sie überraschend bei mir im Büro:
«Da bin ich wieder.»
«Na, wie war's auf Lesbos?» fragte ich.
«Nein, Samos», widersprach sie. «Ich bin überhaupt mit einem Mann gereist.»
«Sollt man es glauben!» staunte ich. «Na, und wie steht's mit dem Roman? Ich seh kein Manuskript.»
«Ja, damit ist mir etwas Schreckliches passiert. Es steckt in meinem großen Koffer, und der liegt noch in Venedig auf dem Zoll, und ich bekomm ihn nicht heraus. Wir hatten nämlich da auch einen geladenen Revolver mit hineingepackt, der offenbar nicht gut gesichert war. Denn, stellen Sie sich vor: gerade wie ihn die Facchini vor die Zöllner niedersetzen, geht ein Schuß drin los. Na! Haben Sie schon Italiener kreischen hören? Selbstverständlich fiel es uns nicht ein, uns zu dem Unglücksmöbel zu bekennen. Sie wissen doch, wie rigoros Italien in bezug auf Waffen ist. Man hätte uns ganz sicher ein paar Jahre eingesperrt. Und wie ich nun zu meinen Sachen und zu meinem Manuskripte kommen soll, ist mir vollständig schleierhaft.»
«Ja aber, liebe Gräfin», sagte ich, belustigt halb und halb verstimmt, «wäre die Mühe denn so groß, sich wenigstens etwas um eine Kleinigkeit Wahrscheinlicheres auszudenken?»
«Sie glauben mir das nicht?» Und ihre Augen sprühten hellen Zorn.
«Bedaure, nein. Ich hab zu wenig Phantasie.»
«Nun ja, dann, dann ... Ich wollte eigentlich ... – Das hat jetzt keinen Zweck! Adieu!» Sie neigte, ohne mir die Hand zu geben, kühl die Stirn und ging.
Na, die beruhigt sich sehr bald! lächelte ich in mich herein. – Das, was sie «eigentlich gewollt» hat, führt sie morgen oder übermorgen wieder her.
Doch darin sollte ich mich diesmal täuschen: es vergingen Monate, bis das geschah. Inzwischen hatte sie, dem Rat von Freunden folgend und in der Erwägung, daß sich bei uns nun weitere Anzahlungen auf den Roman wohl schwerlich würden holen lassen, über ihn mit einem kleineren Verleger abgeschlossen. Als sie uns das dann zaghaft beichtete, drehten wir ihr aus unsern älteren Rechten keinen Strick. So kam ihr Erstling «Ellen Olestjerne» erst viel später in den Langenschen Verlag.
Das Schönste aber ist, daß sich jene phantastische Geschichte mit dem zur Unzeit krachenden Revolver in Wirklichkeit so zugetragen hat, wie es mir von der Gräfin berichtet worden war. Dies konnte allerdings nur ihr passieren, in deren Leben Zufallsspuk von solcher Art merkwürdig oft sein Wesen trieb. Und gar zu schweres Unrecht hatte ich ihr mit der Bezweiflung ihrer Wahrheitsliebe auch nicht angetan: ihr Tagebuch erweist es klar, daß damals höchstens ein ganz winziges Stück von «Ellen Olestjerne» in dem verhängnisvollen Koffer stak. In dieser Hinsicht also war ihr der Revolver sehr gelegen losgegangen.
Doch möge man hieraus nicht schließen, daß sie sonst ihrem Verlag mit übertriebnen Vorschußwünschen lästig gefallen wäre und Unmögliches von ihm gefordert hätte. Bitten und Betteln widerstand dem Aristokratischen in ihr; bevor sie sich dazu entschloß, versuchte sie erst alles andere, darunter die erstaunlichsten Spekulationen. Daß man sich seinen Unterhalt am Ende auch durch ausdauernde Arbeit sichern könne, leuchtete ihr nicht ein. Nach ihrer Überzeugung brauchte es verschmitzte Winkelzüge, um das Geld, diese ihr feindlich abgeneigte heimtückische Bestie, zu bändigen und es sich Untertan zu machen. Gelungen ist ihr dieses freilich nie, denn Geld läßt sich zur Liebe nicht vergewaltigen – nein, lieben muß man es, damit es einen wiederliebt. Und das lag Fanny Reventlow sehr fern. Wenn sie, bei allen ihren Schulden, einmal zwei Hunderter im Beutel hatte, gab sie den einen leichter Hand an einen noch bedrängteren armen Teufel weg und brachte dann den Rest vielleicht großzügig durch. Sie hatte keine Achtung vor dem Geld, das sie gelegentlich besaß; und wenn die Not sie zwang, mit Angst und Gier nach neuen Mitteln auszuspähen, kam ihr das fast wie eine psychische Erkrankung vor: sie sprach von ihrem «Geldkomplex». Wer so veranlagt ist, wird gewiß nicht reich.
Halbwegs bezahlt gemacht hat sich für sie nie etwas andres als das Schreiben und das Übersetzen. Gerade aber diesem Schaffen mit der Feder, wozu sie eigentlich geboren war, stand sie mit Widerwillen gegenüber. Die meisten ihrer Bücher hat wohl nur die Not ihr abgedrängt, sie warf sie unter Stöhnen ob der Frönerarbeit aufs Papier, wenn sonst kein Weg zum Geldverdienen offen schien; und man begreift es kaum, daß hieraus so Vollendetes entspringen konnte wie etwa «Von Paul zu Pedro», dies anmutige Meisterwerk von freiester Überlegenheit. Weit eher glaubte sie, daß sie es in der Malerei oder Schauspielerei zu etwas Großem bringen könne, und hat deswegen diese beiden Künste jahrelang mit an ihr ungewohnter Ausdauer umworben und sich darin unterrichten lassen; doch da sie nach den Früchten solchen Eifers, die ich sehen durfte, für diese Dinge nicht die Spur Talent besaß, kam nichts dabei heraus.
Ihre Versuche, sich durch Unternehmungen «geschäftlicher» Natur auf einen grünen Zweig zu bringen, waren Legion. Sie alle aufzuzählen, fehlt es mir an Kenntnis und Raum. Erwähnen aber muß ich als besonders lustig und naiv die Pachtung eines Milchladens durch sie. Weil sie die Ware, die sie dafür brauchte, und die Pacht, wenn ich mich recht erinnere, immer erst am nächsten Monatsanfang zu bezahlen hatte, erschien ihr das als ungemein bequemer, sicherer Brotberuf; sie wunderte sich nur, weshalb sich denn nicht jeder in Verlegenheit Geratene auf diese leichte Art rangiere. Und es war wohl ihr besonderes Pech, daß sie am dritten Tage schon beinah in unverkauft gebliebener Milch ertrank und bald darauf der ganze schöne Traum zerplatzte und nur neue Schulden übrig ließ. Alle aufopfernden Bemühungen ihres Bekanntenkreises, den überschüssigen Segen in Gestalt von Milchpunsch aus der Welt zu schaffen, hatten diese Katastrophe nicht verhindern können.
Auch die einige Jahre später durch sie ins Werk gesetzte Fälschung von bemalten alten Gläsern machte sie nicht reich. Ob, was sie lieferte, zu wenig täuschend wirkte, oder ob es an andern Gründen lag – der Antiquar, mit dem sie diesen pfiffigen Plan geschmiedet hatte, nahm ihr die Ware schließlich doch nicht ab; und so blieb ihr, damit sie sich in ihrer Wohnung wieder rühren könne, nichts übrig, als die ganze Kollektion, an der die emsige Arbeit vieler Wochen hing, bei Starnberg in den Würmsee zu versenken. Daß sie auf diesen kuriosen Ausweg kam, entsprang zum Teil gewiß dem Wunsch, die Zeugnisse einer sie hinterdrein blamabel dünkenden Verirrung auf Nimmerwiedersehen loszuwerden. Blamabel aber schien ihr nicht etwa das immerhin ans Kriminelle streifende Unternehmen selbst, sondern allein ihr Mißerfolg dabei. Sie hat in ihrem Leben ja noch öfter allerhand getan, was eine Dame sonst «nicht tut», aber ich möchte meine Hand dafür ins Feuer legen, daß sie nie etwas gegen ihr Gewissen tat. Weil sie sich, ohne auf dies Prädikat je den geringsten Wert zu legen, ganz als Dame fühlte, stand sie für ihr Empfinden über dem Gesetz, das Bürger und Philister bindet, und konnte trocknen Fußes selbst durch Sumpf und Pfützen gehen, ohne auch nur ihren Kleidsaum zu beschmutzen. Der Richter, dem uns zu verdammen oder freizusprechen Macht gegeben ist, wohnt ja nicht auf den Zungen fremder Leute, sondern in der eignen Brust.
Im Jahre 1909 verließ die Gräfin München – es war eine Flucht vor ihren Gläubigern – und siedelte sich in Ascona an, wo sie dann während der sechs letzten Jahre ihres Lebens alle ihre Bücher, außer «Ellen Olestjerne», schrieb. Schon diese an ihr ungewohnte schriftstellerische Fruchtbarkeit zeugt davon, daß es ihr auch dort im Geldpunkt meistens schlecht gegangen ist. Vom Herbste 1910 bis in das Frühjahr 1914 aber erhellte ihr die Not ein Hoffnungsstern, der ihr ein sorgenfreies Alter zu versprechen schien. Sie hatte aus spekulativen Gründen eine Scheinehe mit einem alkoholverseuchten und etwas verdrehten baltischen Baron von Rechenberg geschlossen, der sich durch solche «standesgemäße» Heirat vor seiner wohlhabenden Familie rehabilitieren und auf diese Art sein volles väterliches Erbe sichern wollte. Die Hälfte des Vermögens aber sollte nach dem Tode des bald achtzigjährigen, schon sehr hinfälligen Vaters Rechenberg als Lohn für ihren «guten Dienst» der Gräfin zufallen. Das war vertraglich festgelegt und ihrer Ansicht nach ein sicheres Geschäft. Doch ging es aus gleich allen ihren Unternehmungen ähnlichen Stils. Erst mußte sie ermüdend lange warten, denn der Schwiegervater zog es vor, nicht ganz so schnell zu sterben, wie sie sich's berechnet hatte; und als er es dann endlich tat, erwies es sich aus seinem Testament, daß ihm der tiefere Sinn der Heirat seines Sohnes für die Dauer nicht verborgen geblieben und der ungeratne Sprößling durch ihn auf den Pflichtteil gesetzt worden war. Der Gräfin fiel also nicht das erhoffte stattliche Vermögen, aber immerhin eine für ihre Begriffe märchenhafte Summe zu. Das Unglück wollte nur, daß sie sie niemals in die Hand bekam. Und wieder trug ein Zufallsspuk die Schuld, nur war es diesmal kein Revolver, der da krachte, sondern eine Bank, und zwar gerade die, auf die sie sich den ganzen schönen Mammon hatte überweisen lassen. So blieb ihr statt des erhofften Glanzes der Wohlhabenheit nur die sehr ungewohnte und dadurch pikante Genugtuung, einmal in ihrem Leben Gläubigerin zu sein, wenn auch nur gegenüber einer Konkursmasse. Und frischen Mutes und mit zwingendem Humor ging sie daran, dies ganze Abenteuer in ihrem witzigen Roman «Der Geldkomplex» zu schildern. Ein Autorhonorar sah also wenigstens dabei heraus.
Dann brach der Weltkrieg los, und Fanny Reventlow litt seelisch schwer an ihm, besonders seit er ihren jungen Sohn auch in den Schützengraben zwang. Ich habe sie in jenen Jahren nur ein paarmal flüchtig begrüßt, wenn sie nach München kam, eins ihrer Bücher beim Verlage einzureichen. Ich kann daher über die letzten Jahre ihres Lebens auch nicht mehr berichten, als man aus ihren Briefen weiß.
Am 27.Juli 1918 raffte sie der Tod hinweg, und man wird sagen dürfen, daß er es ihr freundlich meinte. Sie war nicht die Frau, die in gelassenem Verzicht und ruhiger Abgeklärtheit hätte altern können, und es stand eine Zeit bevor, zu ernst und streng für ihre Art, das Leben anzupacken. So ging sie wohl im rechten Augenblick dahin, und die Boheme ist ihr ins Grab gefolgt.