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Ich will, und nicht etwa, weil mich anständigerweise Reue plagt, sondern ganz einfach, weil es mich so freut, hiermit vor Gott und aller Welt bekennen, daß ich einmal sehr stark an einer zum Glück inzwischen längst verjährten Dokumentenfälschung beteiligt war. Und das kam so:
Im Spätherbst 1898 hatte das leipziger Gericht, wie ja der Leser dieses Buches weiß, dem Zeichner Th. Th. Heine wegen Majestätsbeleidigung sechs Monate Gefängnis zuerkannt.
Man legte es dem Künstler nah, er solle um Begnadigung bitten. Er lehnte dieses ab, und wir, die Redakteure des «Simplicissimus», gaben ihm darin recht, empfanden es aber als unsere Pflicht, alles dafür zu tun, daß diese übertrieben harte Strafe wenigstens zu Festungshaft gemildert werde. Das beste Mittel zu dem Zweck erblickten wir in einem Gnadengesuch, das von recht vielen und nach Möglichkeit berühmten Malerkollegen Heines unterzeichnet werden müsse. Ungesäumt entwarfen wir den Text dazu und ließen ihn auf einem Büttenbogen von dem vorgeschriebenen Kanzleiformat sehr schön ins reine schreiben. Und weil es der Beherrscher aller Sachsen war, der das Begnadigungsrecht zu üben hatte, schien es uns vorteilhaft, dafür zunächst ein paar Kapazitäten zu gewinnen, die ihre Kunst im Schatten seines Zepters übten. So fuhr ich denn nach Leipzig und trug dort mein Anliegen Max Klinger vor. Der marmorstaubige Meister sagte mir höchst schmeichelhafte Dinge über Th. Th. Heine und den «Simplicissimus» und gab mir seine Unterschrift bereitwilligst, erklärte aber, als ich mich nach weiteren Künstlern von Bedeutung hier in Leipzig oder auch in Dresden erkundigte, im schönsten Sächsisch:
«Nee, da gibt es keenen außer mir. Fahren Se ruhig wieder heeme! Sind bei Ihnen unten ja genug.»
Was blieb mir übrig, als dem Rat zu folgen!
Hier in München nun schien es uns richtiger, nicht selber zu den, wie man an der Isar sagt, Großkopfeten der Kunst zu gehen, sondern den königlichen Hofschauspieler Alois Wohlmuth damit zu betrauen. Gehörte er doch der volkreichen Zunft der «Skizzenmarder» an und war in dieser Eigenschaft auf allen Ateliers bekannt und in so manchem beinah wie daheim. Vielleicht sprach bei uns auch die Hoffnung mit, der oder jener Maler würde schon aus froher Überraschung unterschreiben, wenn er merkte, daß der tüchtige Besucher dieses Mal kein «kleines, kleines Schkizzerl» von ihm wollte. Wohlmuth selbst war schon aus ehrlicher Begeisterung für die Sache zu der Rundreise bereit und hoffte außerdem im stillen wohl, es möchte nebenher auch hier und dort ein hübsches Stück für seine Sammlung dingfest zu machen sein, auf alle Fälle aber könnte Heine selbst sich schwerlich darum drücken, ihm für seine saure Arbeit mit der Tat zu danken.
Als ersten suchte Wohlmuth Lenbach auf, einmal, weil der ja doch am meisten von sich reden machte, dann aber auch, weil er ein ganzer Kerl war und zu viele Majestäten schon persönlich hatte kennen lernen, um noch vor Thronen untertänigst zu ersterben. Er malte seinen Namen ohne Zögern neben den von Klinger hin, und damit war die Sache schon geschafft. Denn hinter seinem breiten Rücken fühlten sich auch weniger mutige Naturen gut gedeckt, ja, wagten seinem Beispiel gegenüber gar nicht Nein zu sagen. So hatte Wohlmuth denn die ihm gestellte Aufgabe bereits am zweiten Tage seiner Wanderung glücklich erfüllt, das heißt: glücklich bis auf ein recht fatales Pech, das ihm begegnete, als er dem königlichen Akademieprofessor Wilhelm von Diez als letztem in der Reihe auf die Bude stieg.
Dieser, der eben am Verspeisen seiner Frühstückssemmel war, nahm gleich die Feder in die Hand und unterschrieb; doch da nun Wohlmuth, der einfach nicht anders konnte, ihn sofort darnach mit dem charakterspielerischen Händereiben und dem höchst verdächtigen Grinsen, das er sich für seine Rollen auf der Bühne angeeignet hatte, um eine «so, so winzige, klitzekleine Bleistiftzeichnung» bat, fiel dem erschrocknen Diez die Semmel aus der Hand und selbstverständlich mit der Butterseite auf das Bittgesuch.
Man kann sich also vorstellen, in welchem Zustand sich das Ding befand, als Wohlmuth es uns strahlend übergab. Ihm selber schien die Sache nicht so schlimm, er sagte kühn, der Fettfleck würde überhaupt kaum noch zu sehen sein, wenn wir nur das Papier mit einem heißen Eisen zwischen zwei Löschblättern bügelten. Aber das war umsonst: das Unglück wurde dadurch eher sichtbarer. Nein, so ließ sich das Gesuch nicht an das kleinste Amtsgericht, geschweige denn an einen König senden. Was war da zu tun!
Noch einmal zu Max Klinger fahren und hernach den braven Wohlmuth noch einmal durch alle Ateliers von München laufen lassen, um zuschlimmerletzt das neue Dokument auch wieder butterfleckig in die Hand zu kriegen? Dafür war erstens schon die Zeit zu knapp; und wußte man es ferner so genau, ob nicht inzwischen dem oder jenem Kunstprofessor seine eigne Tapferkeit höchst unheimlich geworden sei, so daß er sich jetzt lieber unter irgendeinem Vorwand drückte! Nein, so ging das nicht.
Es gab nur einen Weg: wir ließen uns von dem Klischeur des «Simplicissimus» den besten Lithographen schicken, den er hatte, und trugen ihm die Sache vor. Der Mann verstand uns gleich, packte das Dokument in seine Mappe und verschwand. Am zweiten Tag darnach kam er und gab es uns verdoppelt wieder, in zwei Exemplaren, deren ganzer sichtbarer Unterschied nur in dem Fettfleck lag, der eins von ihnen schändete. Berechnet wurden uns für diese Hilfe nur der übliche Stundenlohn, ein Büttenbogen im Kanzleiformat, sowie fünf Fläschchen Tinte in den Farben hellblau, dunkelblau, rötlich, grün und violett. Das Dokument war nämlich nicht nur strichgetreu, sondern auch völlig farbentreu kopiert; das Duplikat schlug in bezug auf Echtheit fast das Original.
Auf die Gefahr hin, daß nun mancher Ehrenmann vielleicht nicht mehr mit mir verkehren wird, bekenne ich: wir machten uns nicht einmal ein Gewissen daraus, dem Landesvater Th. Th. Heines diese Fälschung zuzuschicken, nein, im Gegenteil, wir freuten uns wie Lausbuben und fragten uns in unserm Übermut, ob man denn nun nicht noch ein halbes Dutzend große Namen widerrechtlich für die gute Sache kapern solle.
«Nehmen wir doch einfach Dürer, Holbein, Raffael und Michelangelo!» schlug ich, der damals jung und frech war, vor. «Die Sachsen droben werden höchstens sagen: ‹Na nu nee, mir hätten doch geschwor'n, die sin schon ä baar Jahre dot.›»
Wir sahen bei genauerer Besinnung aber doch von solchen Bocksprüngen ab; und dieser Rest von Schamgefühl wurde denn auch belohnt: das falsche Dokument erfüllte seinen Zweck, und Heine kam statt in das leipziger Gefängnis auf den Königstein.
Die Autographensammler aber sind gewarnt!