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Felix Lerch arbeitete in einer geradezu fieberhaften Hast.
Schon der äußere Apparat für die Herstellung der serbischen Bahn war im höchsten Grade kompliziert. Die Geschäftsräume hatten erweitert werden müssen, um für die Kanzlei, die Registratur und die technischen Bureaus Platz zu schaffen.
Es war ein ewiges Kommen und Gehen von Advokaten, Ingenieuren, Fabrikanten, Geschäftsleuten, Geldmännern, Unternehmern. Mit allen mußte Felix persönlich verhandeln. Dazwischen wurden immer neue Kontrakte gemacht, und zu den bereits fertigen neue Klauseln hinzugefügt – kurz Felix wußte nicht, wo ihm der Kopf stand vor lauter Konferenzen.
Der Börsenbote brachte aus Pförtners Feder täglich neue sensationelle Nachrichten über die Fortschritte des gewaltigen Unternehmens, auch die übrige Presse wurde auf raffinierte Manier bearbeitet.
Felix hatte die Notwendigkeit eingesehen, für dieses Riesenunternehmen schon um des Lancierens der Aktien willen, mit einer nach außen hin angesehenen Bankfirma zu arbeiten. Die Offerten der ersten Häuser flogen ihm nur so zu. Er lehnte kühl ab. Er hatte nicht die mindeste Neigung, sich das Heft aus den Händen nehmen zu lassen. Da war ihm ein Mann wie der Kommerzienrat Bär schon lieber. Das war ein Pfiffikus – gewiß und trotz der Ehrenposten, die er inne hatte, und des über jeden Zweifel erhabenen Ansehens, das er in der ganzen Bank- und Börsenwelt genoß, ein geriebener Schelm durch und durch – Felix gab sich darüber keinen Illusionen hin – aber was verschlug das? Er war, wenn es darauf ankam, der größere Gauner. Er würde ihm zu begegnen wissen. Abgesehen von dieser Charaktereigentümlichkeit, mit der Felix rechnete, war der Mann unschätzbar. Er war kapitalkräftig, er hatte die unglaublichsten Beziehungen bis in's Handels- und Finanzministerium hinein, er gab der ganzen Sache das Dekorum nach außen. Vor allem, der Mann war nicht arrogant, verstand von technischen Dingen nichts, und erkannte schon deshalb Felix als spiritus rector an. Alle Abmachungen mit den Ingenieuren, mit den einzelnen Fabrikanten bezüglich der Schienen, der Schwellen, der Lokomotiven, der Waggons, des Brücken- und Eisenbahnmaterials usw. besorgte Felix ganz selbständig. Dagegen war ihm Bär in speziellen Bankangelegenheiten unentbehrlich. Hier war er ihm schlechtweg eine Autorität. Denn Bär gehörte dem Aufsichtsrat jener famosen, westpreußischen Bank an, deren Geschäfte unter der juridischen Assistenz Dörmanns und der Allianz einiger Bankinstitute ähnlichen Kalibers derartige waren, daß kein Staatsanwalt ihr etwas antun konnte. Dafür hatte Felix Lerch jederzeit aufrichtige Bewunderung gehabt. Wußte er doch wie jeder Eingeweihte, daß diese haute finance, die sich des höchsten Ansehens erfreute, den deutschen Nationalwohlstand durch alle nur möglichen und unmöglichen Emissionen um hunderte von Millionen gebracht hatte. Wie verstand es diese Gesellschaft, sich die Presse nutzbar zu machen! Von diesen intimeren Kenntnissen des Kommerzienrats versprach sich Felix das Höchste. Das Schönste an der Geschichte war, daß Bär ihm nachgelaufen war, ja, man konnte dreist sagen, sich die Hacken abgerannt hatte, um in Sachen der Serbischen Bahn Associé der Firma Lerch & Co. zu werden.
Felix hatte ihn eine Zeit lang zappeln lassen und sein besonderes Vergnügen daran gehabt, daß er von dem schoflen Herrn Wertheim, diesem bornierten Millionen-Schwiegervater Arthurs, sich brüsten konnte, was für Leute bei ihm antichambrieren müßten. Herr Wertheim hatte die schmalen Lippen zusammengekniffen – und geschwiegen. Den Triumph gab Felix nicht für Tausende her.
Übrigens sollte er auch bald Gelegenheit haben, Bärs Geschicklichkeit kennen zu lernen. Wie sein neuer Associé mit den Zeitungsleuten, die ein Börsenmann vereinigte Blutigel getauft hatte, umzuspringen verstand, war wirklich drollig. Sie tanzten bereits in aller Frühe in den Geschäftsräumen der Firma Lerch an. Der Kommerzienrat nahm Felix gemütlich unter den Arm, und nun spazierte man in ein besonderes Privat-Kontor, wo er ihnen zwischen Caviar und Madeira – so ein nettes, kleines Frühstück war schnell arrangiert – seine Notizen diktierte. Hinterher offerierte er diesen Schreiberseelen noch von der neuesten Havanna-Auslese – das Kistchen zu 3000 und entließ sie mit einem gnädigen Kopfnicken. »Sehn Sie, lieber Felix, mit Speck fängt man Mäuse.«
Als Felix ihn fragte, wie teuer die Presse kommen würde, um sie jeder Zeit zur Verfügung zu haben, begriff er ihn erst gar nicht und sah ihn eine ganze Weile verständnislos an. Dann fingierte er eine Art von Lachkrampf.
»Ne, Felix, sind Sie ein Kind ... sind Sie naiv ... hätt ich nicht gedacht! Sie trotz Ihres Börsenboten! Die Leute hat man, wenn man ihrer Zeitung die Inserate gibt! Na, und die paar Handelsredakteure beteiligt man mit einer Bagatelle. Wo denken Sie hin, die sind billig. – Spaß, das wär noch schöner – übrigens,« fügte er nachdenklich hinzu, »ein paar Blätter kriegt man nicht – da kann man höchstens hin und wieder was hineinlancieren – muß geschickt gedeichselt werden – genügt aber dann!«
Der Kommerzienrat hatte Recht. Dieser Schlag von Journalisten, eine Art von modernen Raubrittern ohne Knochen und Muskeln, stand in ziemlich niedrigem Kurs und war für die tollsten Manöver, die alle auf die Dummheit des Publikums zielten, verwendbar.
Der Kommerzienrat verstand Felix zu nehmen: er schmeichelte ihm, er stachelte ihn, und wußte unter der Hand seinen Kontrakt mit Felix derartig zu fixieren, daß er sich erst im Notfall engagierte, dagegen am Gewinn partizipierte – als Entgelt dafür, daß seine Firma neben der von Felix die Emission der serbischen Aktien übernahm.
Felix biß in den sauren Apfel. Er mußte gedeckt sein! Vor allen Dingen, der Kommerzienrat verpflichtete sich, aus den höchsten Kreisen die Mit-Konzessionäre zu verschaffen, denen die serbische Regierung auf Jahrzehnte hinaus die Bahn verpfändete.
»Was besorgen Sie überhaupt?« und damit überwand er Felixens letzte Bedenken, »Verlegenheiten können nicht entstehen, nachdem sich die Regierung verpflichtet hat, sobald die erste Strecke in Betrieb gesetzt ist, die Zinsen für das Grundkapital zu zahlen. Es kommt nur darauf an, mit dem Bau sofort zu beginnen, um die Aktien so schnell wie möglich herausbringen zu können, und dann rasch zu bauen, um wenig Zinsen zu bezahlen. Stimmt das?«
Diese Logik leuchtete Felix ein.
»Sie sollen mal sehn, was ich für 'ne gewiegte Hebamme bin: wir werden das Kind schon auf die Beine bringen!«
»Ich verlasse mich auf Ihre Geschicklichkeit!« entgegnete Felix, »wäre mir nicht lieb, wenn ich an dem ...«
»Sie können unbesorgt sein. Natürlich, die Wehen kann ich Ihnen nicht ersparen, die hat jede Mutter!«
Felix wiegte sich in den Hüften. »'Ne gewisse Erfahrung haben Sie ja!«
»Und ob!«
»Is doch komisch,« sagte Felix, »daß Sie 'ne Eisenbahn bauen helfen, der Sie vor ...«
Des Kommerzienrats Züge verdüsterten sich.
»Ich hör ja schon auf!« beruhigte ihn Felix.
Es war nämlich eine stadtbekannte Sache, daß Bär sich niemals aus Berlin fortrührte. Selbst im heißesten Sommer blieb er dort. Er hatte eine unheimliche Angst vor Eisenbahnen. »Was einem da nicht alles passieren kann,« war seine stete Antwort, wenn auf diese sonderbare Gewöhnung die Rede kam.
Der Vermittlung des Kommerzienrats gelang es in der Tat, ein paar kleine Fürsten, deren Regierungssorgen ihnen Zeit zu industriellen Unternehmungen ließen, als Konzessionäre zu gewinnen. So wurde denn diese Bahn unter den gesegnetsten Auspizien in die Welt gesetzt, und Felix wußte sich in Dankesbezeugungen gegen den serbischen Gesandten kaum zu erschöpfen. Niemals war er gegen seine Frau zuvorkommender und galanter gewesen, als in diesen Tagen des Gründungstrubels; denn sie war ja, wie er zu Arthur im Vertrauen äußerte, die eigentliche Schöpferin der Bahn. Er strich ihr gegenüber mit fast aufdringlicher Beredsamkeit die Vorzüge des Gesandten heraus, den er einen seltenen Mann nannte. Er betrachtete, so versicherte er beständig, die Freundschaft, die der Gesandte ihr entgegenbrächte, geradezu als eine Ehrung für sein Haus.
Die kleine, rundliche Frau Lerch, diese auffallend häßliche Person mit den impertinent großen, schwarzen Augen, dem krausen Niggerhaar, warf bei solchen Reden die Lippen verächtlich auf. Was lag ihr an der serbischen Bahn? Ihr war der Gesandte das Ein und Alles eines verfehlten Lebens. Sie war ein Mensch von nicht geringen geistigen Anlagen; mit einem außerordentlich feinen Sinn für Musik und Malerei verband sie eine ungewöhnliche Bildung. Sie plauderte elegant in allen Sprachen, war fabelhaft belesen und last, not least, sie besaß einen Geistreichtum, der in den originellsten Wendungen hervorbrach. Das alles hatte in ihren Kreisen niemals das mindeste Verständnis gefunden, war im Gegenteil des öfteren als Überspanntheit und Marotte mit diesem giftigen, frechen Hohn überschüttet worden, der vielen Finanzleuten angeboren ist.
In einer Zeit, wo sie an diesen Verhältnissen zu Grunde zu gehen meinte, hatte sie den Serben kennen gelernt. Sie war trotz ihrer Häßlichkeit und ihres Wissens von sinnlicher Lebenslust – und der Gesandte war ein reifer, bereits ergrauender Mann von jenen eleganten Formen, jenem chevaleresken Wesen, das in ihren Kreisen gewiß nicht zu Hause war. Der Gesandte war damals, als sie sich das erste Mal gegenübertraten, von einem schweren Schicksalsschlag heimgesucht worden. Er hatte zwei erwachsene, blühende Söhne durch die Cholera verloren und nach diesem herben Schlag sein Land, wo er einen hohen Posten inne hatte, verlassen, um der Erinnerung zu fliehen. Seine Frau, mit der er schlecht lebte, war nicht mit ihm gegangen.
Das alles erfuhr sie allmählich. Mit seinem Takte hatte sie es verstanden, ihm in dieser Zeit zu begegnen. So waren sie anfangs Kameraden geworden, um sich schließlich sehr nahe zu treten. Seit einiger Zeit fuhr sie täglich zu ihm und half ihm bei seinen Arbeiten.
Den überschwenglichen Dank von Felix wies der Serbe kühl zurück. Er klopfte ihm leicht auf die Schulter und sagte blinzelnd: »Das ist alles sehr schön ... nur ... nur seien Sie recht vorsichtig ... bei uns im Lande gibt es Strömungen ...« Er brach nervös ab, als hätte er bereits zu viel geäußert und verabschiedete Felix rasch, wichtige Arbeiten vorschützend.
Als der Bankier, der die letzte Äußerung nicht allzu ernst nahm – er war viel zu sehr Optimist – die Tür hinter sich geschlossen hatte, trat Frau Lerch aus dem Nebenzimmer.
Der Gesandte ging ihr mit einem pfiffigen Lächeln entgegen. Er nahm das blaue Glas ab und rieb sich die müden Augen, die ihm zu erblinden drohten.
»Wissen Sie, daß ich sehr müde bin und alt werde, meine Teuerste, ich fange sogar an, sentimental zu werden und aus der Diplomatie zu plaudern!«
»Casanova oder Boccacio?« fragte sie kokett.
»Casanova!« entschied er, während er sich erschöpft auf einem Divan niederließ.
Sie nahm das Buch und las. Sie las den Casanova mit jener schelmischen Nüance, in der etwa eine kleine Pariserin ein nicht ganz unanstößiges Couplet vortragen würde. Der Gesandte war außerordentlich befriedigt. Als sie geendet, erhob er sich und arbeitete mit ihr etwa anderthalb Stunden. Sie schrieb nach seinem Diktat und beantwortete mehrere Briefe. Nach Erledigung dieses Pensums fuhren sie in halb geschlossenem Wagen, die Bankiersfrau tief verschleiert, durch den Tiergarten, um schließlich den Abend mit einem kleinen Souper in der Wohnung des Gesandten zu beschließen.
Sie waren sehr ausgelassen und erzählten sich allerhand verwegene Geschichten, durch die sie immer aufgeräumter wurden. Sie fanden, daß die Welt eigentlich ganz amüsant sei und trennten sich recht vergnügt.
»Übrigens die serbische Bahn,« sagte der Gesandte lachend, als er ihr zum Abschied die Hand küßte.
»Ja, die serbische Bahn,« sagte auch Frau Lerch und blickte ihm frei und freudig ins Auge.
Der Serbe verbeugte sich sehr tief.