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XI.

Die Voßstraße, eine der vornehmsten Straßen Berlins, wird durch zwei Noten charakterisiert. Sie ist von fast feierlicher Stille, stößt dicht an den Tiergarten und dient nur als Privatstraße – andererseits ist sie von dem brausenden Leben der Großstadt, vom Potsdamerplatz, kaum fünf Minuten entfernt.

Vor dem Portal eines der Palais, die hier in souveräner Würde Posten gefaßt haben, stand Advokat Heller und zog an der Glocke. Die Tür sprang auf, ein Portier, seinem Aussehen nach eher ein Dandy, trat Heller entgegen. Der Advokat erwiderte flüchtig den Gruß und sprang die Marmorstufen hinauf, die mit schweren Smyrnateppichen belegt waren. An den Wänden des Treppenhauses, die mit Kreidezeichnungen à la Cornelius bemalt waren, standen Marmorgruppen aus Künstlerhand und kostbare Blattgewächse. Der ganze Aufgang atmete verschwenderischen Geschmack. Heller fühlte sich durch diesen Luxus stets bedrückt. Der Armleutegeruch aus früheren Tagen stieg ihm in die Nase. Er schellte etwas beklommen und fragte den Livreierten, ob die Herrschaften schon gespeist hätten.

»Wird heut erst um sechs diniert.«

»Störe ich die Herrschaften?«

»Der gnädige Herr sind in der Küche, gnädige Frau machen bereits Toilette,« erwiderte der Lakai.

»Wissen Sie,« meinte Heller, »führen Sie mich direkt in die Küche.«

Der Diener wollte etwas, entgegnen, aber der Advokat schnitt ihm das Wort ab. »Ich nehme die Folgen auf mich, hören Sie.«

Der Lakai verbeugte sich zeremoniell und schritt durch eine Flucht von Korridoren voran.

»Sie brauchen hier nur aufzuklinken,« sagte er, und war im Nu verschwunden. Heller klopfte entschlossen. Auf ein lautes, tönendes Herein Arthur Lerchs öffnete er die Tür. Da drangen ihm die feinsten Wohlgerüche entgegen, und er schwelgte einen Augenblick in diesem Bratensaucen- und Speisenaroma. Unwillkürlich schnalzte er mit der Zunge. Dann trat er ein paar Schritte näher und blickte in einen saalförmigen Raum mit tief gewölbter Decke. Der Fußboden war mit Linoleum bedeckt, während die Wände mit Porzellanfließ nach Meißener Art bekleidet waren. Kohlenherde und Gasmaschinen, Back- und Bratapparate standen in gehörigen Zwischenräumen aufgestellt. An den Seiten sah man große Tranchiertische mit Marmorplatten getäfelt. Wasserbecken und Leitungen der raffiniertesten Art vervollständigten diese Kücheneinrichtung, deren Geschirr durchweg aus blitzendem Nickel bestand. Drahtgitter schufen von allen Seiten Ventilation, und unzählige elektrische Krystallbirnen strömten leuchtende Helle aus.

In der Mitte des weiten Raumes, der das Aussehen eines Kirchenschiffes hatte, vor einem schmalen Tische stand wie ein König in glänzend weißem Kochkostüm, die Mütze etwas verwegen auf dem Kopfe, Arthur Lerch und kostete mit ernsthafter, beinah strenger Miene die fertigen Speisen ab. Neben ihm stand der Hauptkoch in ehrfurchtsvoller Haltung, während sich ringsherum der Unterkoch, die Küchenjungen und Küchenmädchen gruppierten, alle spannungsvoll, was der feierliche Moment wohl bringen könnte. Arthur Lerch liebte diese erhabene Theaterszenerie. Der kleinste Küchenjunge sollte, sobald er sein allerhöchstes Votum abgab, die Bedeutsamkeit des Augenblicks empfinden und von einer andächtigen Stimmung ergriffen werden, wenn die Speisedüfte ihm in die Nase stiegen. Es sollte ihm zumute sein wie in der Kirche, wenn der Weihrauch den weiten Raum füllte, und die heilige Messe begann.

Der Advokat blieb an der Tür stehen, und Arthur winkte flüchtig zu ihm hinüber, ohne sich jedoch im mindesten stören zu lassen.

»Hier in den Salat sollten Sie noch einen Teelöffel Bordeaux und einen vollen Löffel englisches Öl hineintun!« wandte er sich an den Oberkoch. Der Angeredete verneigte sich und notierte in einem kleinen Büchelchen die Weisung, indes sein Chef den Rundgang fortsetzte, hier wohlgefällig nickte, dort die Stirn nachdenklich in Falten zog und nach kurzem Besinnen seine Ordres gab.

Heller beobachtete mit einiger Ungeduld seinen Schwager, ohne sich der sonderbaren Stimmung dieses Milieus entziehen zu können. Auch ihm stieg der Dampf der Speisen in die Nase, auch die Sinnlichkeit seiner Geschmacksnerven wurde erregt. Ein Gefühl der Begierde und des Verlangens wurde in ihm wach. Er fühlte förmlich, wie all die guten Dinge auf seiner Zunge prickelnd zerglitten. Er konnte diesen Lockungen nicht länger widerstehen, er beschloß, sofort sich selbst zu Tische einzuladen, um an diesen lukullischen Genüssen teilzunehmen, für den Fall, daß der Schwager es nicht aus eigenem Antrieb täte.

Endlich war Arthur mit dem Abkosten der Gerichte fertig und wusch sich vor einem großen Marmorbecken die Hände, während ein Küchenjunge dienstfertig mit Damasthandtüchern daneben stand. Alsdann trat er mit einem strahlenden Siegerlächeln vor seinen Schwager.

»Lieber Heller,« sagte er, »Du mußt schon entschuldigen – aber erst die Pflicht!«

Heller erklärte, daß er ihn um keinen Preis der Welt gestört haben möchte, er hätte einen Riesenrespekt vor seiner Kunst bekommen. Arthur lächelte befriedigt.

»Vielleicht geduldest Du Dich noch ein paar Minuten,« bat er und verschwand in Begleitung eines Grooms in einem der Nebengemächer. Nach einer kleinen Weile schon erschien er in einen rotseidenen, bauschigen Schlafrock gehüllt, ein gesticktes Cerivis auf dem Kopf wieder vor seinem Schwager.

»So, lieber Heller, jetzt steh ich Dir vollkommen zur Verfügung, mußt mir allerdings in mein Toilettenzimmer folgen. Ich hab nur noch eine Stunde Zeit, um mich in Gala zu werfen. A propos,« unterbrach er sich, »wie wär's, wenn Du mit uns speisen würdest – nämlich, ich erwarte Felix.«

Heller sträubte sich ein wenig, aber Arthur nahm das nicht weiter ernst.

»Erwartet Dich Regine?« fragte er.

»Nein!«

»Dann, lieber Junge, mach keine Sperenzchen und komm.« Ohne weiteres nahm er ihn beim Arm und zog ihn in das Toilettenzimmer, das in dekadentem Stile hergerichtet war. Die Wände waren mit brauner Ledertapete bekleidet, links und rechts befanden sich mächtige Spiegel in schwerer Bronzefassung, daneben Schränke mit kostbarem Schnitzwerk. Quer im Zimmer waren seidene Puffs und ein Divan mit persischen Decken postiert. Ganz fin de siècle war die Toilette. Auf karrarischem Marmor ruhten Meißener Porzellanschüsseln, in der Höhe waren ganz kleine, silberne Zerstäuber angebracht, die die feinsten Pariser Odems bargen. Daneben waren Brausen und Douchen befestigt, die Wasser in jeder Temperatur enthielten. In der Mitte des Raumes stand ein viereckiger, venezianischer Tisch aus Mosaikarbeit, auf dem sich Essenzen, Pomaden, Pastas, kostbare Seifen, neben Spiegeln, Kämmen und Bürsten aus Schildpatt, Elfenbein und Silber befanden. Im Hintergrunde hing ein Kolossalgemälde von Mackart, ein Bild, das eine wilde Orgie darstellte und in seiner Farbenpracht dem Boudoir Arthurs noch einen besonderen Ton von Sinnenschwelgerei gab.

Als der Advokat und Arthur Lerch in das elektrisch erleuchtete Zimmer traten, erwartete sie der Kammerdiener in kerzengerader Haltung mit einem stummen, vorwurfsvollen Blick auf die hohe, bronzene Uhr.

»Das muß man Dir lassen,« meinte Heller, »Geschmack hast Du! Wie das bei Dir aussieht. Soll Dir mal einer nachmachen.«

»Hast recht!« entgegnete Arthur, während er sich von seinem Kammerdiener entkleiden ließ, »'s macht mir auch keiner nach. Ist für mich das Höchste: Essen ... Trinken ... Schlafen – so ein solennes Essenz darüber geht einfach nichts, übrigens, Ihr kommt doch Donnerstag?«

»Ich wollt Euch gerade unsere Zusage bringen.«

»Das freut mich. Ihr werdet was erleben, mehr sag ich nicht. Um auf das Kochen zurückzukommen, das ist ne Wissenschaft, wie jede andere. Lies Du nur mal Brillat Savarin! Die Augen wirst Du aufreißen. Hast Du Ahnung. Was wißt Ihr Stubenhocker überhaupt davon, kommt Euch noch komisch vor, wenn ein Vanderbilt seinem Küchenchef zwanzigtausend Dollar zahlt.«

»Na, erlaube mal, für so beschränkt brauchst Du uns Stubenhocker auch nicht zu halten.«

Lerch sah ihn mitleidig an.

»Hilft nichts, raffinierte Halunken seid Ihr, räume ich ein – aber geht's an den Magen, da kommt der Banause zum Vorschein. Die Geschmacksnerven, lieber Heller, das bleibt doch die Hauptsache! Und wer so ein bißchen Genie ist – hat die auch! Exempel ... Felix ... Exempel Dein Kollege Dörmann, ist ein heller Junge, sag ich Dir.«

»Wenn Du meinst,« warf Heller dazwischen, daß mir Artischoken nicht lieber sind, als Kohlrüben –«

Arthur lachte aus voller Kehle.

»Bist ausgezeichnet, Heller – ausgezeichnet – die reine Unschuld – das mit den Artischoken muß ich Felix erzählen – ist zu famos! Ja, wenn es so einfach wäre, lieber Freund. Auf die Nuance kommt es an. Das ist der Punkt. Dörmann, wie gesagt, hat die Nuance, und Du, Heller, hast sie eben nicht. Grünau hat sie und vor allem Felix. Wenn der ißt, kommen ihm die Ideen, nur so angeflogen. Ist Anlage, lieber Junge. Lernen läßt sich's nicht – nur ausbilden. Sagen Sie mal, Fritz,« wandte er sich unvermittelt an seinen Kammerdiener, »für meinen Schwager wird doch ein Gesellschaftsanzug aufzutreiben sein?«

Der Kammerdiener, der diskret in einer Ecke gestanden hatte, sprang herzu. Er überflog mit einem scharfen Blick die Gestalt des Advokaten.

»Gewiß, Herr Lerch, ganz gewiß, Herr Lerch, wenn der Herr Doktor mir folgen wollten!«

Sie traten in einen breiten, großen Raum, der nur mit Schränken und Truhen möbliert war.

Der Kammerdiener schloß einen von ihnen aus und musterte die darin befindlichen Gesellschaftsanzüge. Dann ging er mit dem Schlüsselbund gewichtig zu anderen Schränken.

»Die sind alle gefüllt?« fragte Heller einigermaßen perplex.

»Allerdings,« erwiderte der Lakai etwas von oben herab; »die anstoßenden Räume,« fügte er hinzu, »sind ebenfalls nur für die Garderobe des gnädigen Herrn.«

»Ja, wie viel Anzüge hat denn mein Schwager?« fragte Heller verdutzt.

Der Kammerdiener sah ihn bei dieser Frage mit einem gewissen dünkelhaften Stolze an. »Na,« meinte er, »an fünfzig werden es wohl sein. Sind alle gerade gemacht. Von einigen haben wir sogar den Stoff aufgekauft. Ist zu unangenehm, wenn einem alles nachgeäfft wird.«

»Habt Ihr,« fragte Heller etwas ironisch, »von dem anderen Zeug auch solche Magazine?«

Der Kammerdiener nickte.

»Da in den Truhen ist die Leibwäsche des Herrn, beziehen wir aus Brüssel. Und die Lackschuhe, der Herr trägt nur Lackschuhe, sind aus London. Wir besitzen,« er überlegte eine Sekunde, »zur Zeit etwa 23 Paare. Der gnädige Herr denkt jedoch in der nächsten Zeit seine ganze Garderobe zu ergänzen,« fügte er gleichsam entschuldigend hinzu.

»Foppt Dich der Kerl,« überlegte Heller blitzschnell. Dann sah er in das glattrasierte, ernste Lakaiengesicht und beruhigte sich.

»So ... so!« und er gab sich den Anschein, als wenn ihn diese Angaben nicht weiter überraschten. Er würde sich doch nicht von so einem Menschen imponieren lassen! Das fehlte noch!

»Die Moden überleben sich in letzter Zeit auffallend schnell,« nahm der Lakai noch einmal das Wort; »wir sind infolgedessen etwas zurückgekommen!«

»Ach so, Sie sind zurückgekommen!« Der Advokat barst vor Lachen.

»Worüber amüsierst Du Dich denn so?« rief Arthur durch die Tür.

»Du bist einfach ein Original!« antwortete Heller zurück. »Wenn ich das nicht mit eigenen Augen sähe, glaubt ich's nicht.«

»Macht mir Spaß!« schrie Arthur wieder. »Mußt Du mir erzählen.«

Heller einigte sich sehr schnell mit dem Kammerdiener, dann lehrten sie beide zu Arthur zurück, der sehr dekouviert auf dem Divan ausgestreckt lag und den Dampf einer russischen Zigarette von sich blies.

Der Lakai und Arthur Lerch waren bald derartig in Anspruch genommen, daß sie von dem Advokaten so gut wie keine Notiz nahmen.

Heller zog sich nachdenklich an. Im Grunde seiner Seele imponierte ihm Arthur gewaltig. In seiner Art ist der doch ein Kerl, dachte er, hat Pli, der Onkel, sávoir vivre!

Noch einen prüfenden Blick warf der Kammerdiener auf seinen Herrn. Dann sprengte er ihm eine Idee White-Rose auf die Weste, eine ganz neue Mischung, die man soeben in London präpariert hatte, half ihm in den Frack und verbeugte sich würdevoll. Arthur Lerch sah chic aus. Die Kleider saßen wie angegossen, Schnurrbart und Coteletts waren gerichtet, das dünne Haar in einen überaus kunstvollen Scheitel gelegt. Er betrachtete sich prüfend im Spiegel, der im selben Augenblicke von wogendem Licht umflutet war.

»Bin zufrieden, Fritz,« sagte er gönnerhaft. »Sind ein geschickter Mensch.«

Der Lakai verbeugte sich wiederum lautlos.

»Bist Du soweit?« fragte Heller, der längst fix und fertig dastand.

Lerch musterte flüchtig seinen Schwager, und um seine Mundwinkel zuckte es in gutmütigem Spott. Laut aber sagte er: »Ganz passabel!«

Der Diener öffnete die Tür. Gerade als sie in den Salon traten, der ganz im Rococcostil gehalten war, erschien auch Frau Lerch in voller Balltoilette auf der Schwelle. Sie war ein schmächtiges, dürftiges Persönchen, die einzige Tochter eines der reichsten Männer des Berliner Geldadels. Mit ihrer dünnen, etwas gebogenen Nase, den blutlosen Lippen, der eingefallenen Brust und den kleinen, trüben Augen, forderte sie trotz der funkelnden Steine und der Pracht ihrer grauen, schwerseidenen Empirerobe unwillkürlich zum Mitleid heraus.

Arthur Lerch behandelte sie mit außerordentlichem Respekt. Er vergaß nie, wie sehr er durch diese Heirat in den Augen seines brüderlichen Abgottes gestiegen war. Felix hatte nicht entfernt so reich geheiratet. Er erklärte später mit zynischer Ironie, er sei das Opfer falscher Nachrichten geworden. Deine Verbindung, hatte er öfter zu Arthur gesagt, eröffnet uns den weitesten Spielraum. Dein Schwiegervater ist ein Filz, aber er mag sich sträuben, wie er will, in den Augen der Öffentlichkeit ist er die Säule, an der wir schlimmstenfalls Halt haben – und das ist für unser Renommée einfach unbezahlbar.

Heller begrüßte die Schwägerin. Sie lächelte matt und drückte ihre Freude aus, ihn bei ihrem einfachen Souper so unerwartet zu Gast zu haben. Dann suchte sie aus Arthurs Miene zu erraten, ob ihr Kostüm seinen Beifall gefunden. Herr und Frau Lerch gingen stets in Balltoilette zu Tisch, ganz gleichgiltig, ob sie Gäste erwarteten oder nicht. Er nickte ihr freundlich zu. Und nun wandte er sich wieder an den Advokaten.

»Was macht denn Regine? Man sieht sie ja gar nicht mehr.«

Er antwortete: »Mir geht's gerade so!« und merkte erst bei Arthurs Lachen, daß er wider seinen Willen witzig gewesen.

In diesem Augenblicke meldete der Diener: Herr und Frau Felix Lerch.

Felix begrüßte die Verwandten in seiner jovialen Manier. »Kinder,« sagte er, »wenn wir gleich essen könnten, wär mir sehr lieb!«

Arthur gab das Zeichen, und eine Minute später wurde serviert. Bei dem Essen sprachen die Brüder so gut wie gar nicht. Nur zuweilen blinzelten sie sich zu. Sie aßen nachdenklich mit feierlicher Hingabe an den jeweiligen Gang. Ein einziges dazwischen geworfenes Wort genügte ihnen zur Verständigung. Als das Diner seinem Ende zuging, sagte Felix zu seinem Bruder: »Du, bevor ich fortgehe, muß ich Dir noch was Kostbares erzählen.«

»'N neuen Witz?«

»'N Witz ist es. Wird Dir Spaß machen, muß aber unter uns bleiben.«

»Mußt Du früher fort?« fragte Arthurs Frau.

»Er hat jedenfalls eine geschäftliche Sitzung – oder muß in irgendeinen Aufsichtsrat – er hat Tag und Nacht geschäftlich zu tun,« entgegnete Felixens Frau statt seiner und lächelte seltsam.

Diese kleine, untersetzte Person mit ihrer häßlichen, überstarken Figur und den nichts weniger als schönen Zügen hatte doch etwas Anziehendes durch eine gewisse melancholische Art, Esprit zu zeigen.

»So ist es, mein Kind: Ich bin eben ein geplagtes Tier,« entgegnete Felix.

Arthur« sah ostentativ auf seinen Teller. Er wollte harmlos tun und verzog dabei sein Gesicht zu einer sinnlich schlauen Grimasse.

»Sagt mal,« lenkte Heller zu seinem Interesse über, »wie steht denn die Geschichte mit Darz? Wird Aktiengesellschaft hör ich.«

»Ist es bereits!« entgegnete Felix.

»Schon ein Aufsichtsrat gebildet?

Ich rechne stark –«

»Kommste zu spät, lieber Junge,« schnitt ihm Felix das Wort ab.

Heller wurde bleich vor Ärger.

»Aufrichtig gesprochen,« meinte er gereizt, »hättet Ihr mich nicht übergehen dürfen.«

Arthur machte ein verlegenes Gesicht. Aber Felix suchte den Schwager zu trösten.

»Wellblech wird auch Aktiengesellschaft, die Sache ist in den nächsten Tagen fix und zehnmal lukrativer. Da kommst Du hinein! Ich hab's der Mutter schon versprochen. Man kann Dich doch nicht überall hinsetzen. Das würde zu stark nach Clique riechen.«

Heller wurde durch diese Aussicht etwas getröstet.

»Wen habt Ihr denn bei Darz als Juristen hinzugenommen?«

»Dörmann.«

Heller zuckte empor.

»Wißt Ihr, daß Ihr diesen Dörmann ein bißchen überschätzt,« sagte er geärgert. »Ist ja in Strafsachen ein anschlägiger Kopf! Aber wenn Ihr glaubt, daß seine Reden auf die Richter großen Eindruck machen – dann irrt Ihr. Das bildet sich Kollege Dörmann selbst nicht ein. Die hält er, um dem Publikum Sand in die Augen zu streuen.«

Felix sah seinen Schwager mit hochmütiger Ironie an. »Will Dir mal was sagen, mein Lieber, die schönen Worte machen's allerdings nicht. Der Junge hat aber außerdem noch Grips – der Junge ist helle, der kommt mit Zahlen und versteht das Gesetz zu interpretieren. Is immer so; wenn einer was leistet, schreien die anderen: Hat der ein unerhörtes Schwein! Unsinn! Steckt immer was dahinter. Ihr andern habt gewiß ebensoviel, oder noch mehr geochst wie Dörmann – geb ich zu – aber der Schlingel hat 'n Funken, der ist elektrisch!«

»Elektrisch ist er,« gurgelte Arthur nach und wollte sich vor Lachen schütteln. »Das ist kostbar, Felix.«

»Ist übrigens ein toller Kerl,« meinte Felix, »kommt trotz seines Rieseneinkommens aus den Schwulitäten nicht heraus. Ist mir 'n Rätsel, wo er das Geld hinbringt. Vor sechs Wochen hab ich ihm 100 000 auf den Tisch gelegt – und das Messer sitzt ihm schon wieder an der Kehle.«

»So einen Spieler sollte man überhaupt nicht halten,« entrüstete sich Heller.

»Der Mann ist aber nebenbei ein Genie, mein Lieber, übrigens Prosit meine Herrschaften, Prosit,« rief Felix und nickte seinem Schwager in verbindlicher Malice zu. »Scherz beiseite,« fügte er hinzu, »aber so einen Menschen darf man nicht fallen lassen, man kann nie wissen ...« Er brach plötzlich ab, sah in den Rest seines Weines, trank ihn schnell aus – und goß sich von neuem ein. Das volle Glas stürzte er mit einem Zuge hinunter.

Das Diner ging seinem Ende zu. Duftender Mokka wurde serviert und die Herren steckten sich schwere Havannas an.

Felix räusperte sich. »Kinder,« sagte er, »Darz wird großartig. Ihr werdet was erleben. Wird 'ne Sache. Ihr sollt sehn, wir machen Ostende tot. Ich hab meine Pläne. Es läßt sich mit dem Ding was machen – ist der schönste Flecken an der Ostsee – Wald, so was gibt's gar nicht mehr, wird ein Schmuckkasten – was sag ich, ein Feenreich. Sommerbälle werden wir arrangieren ...! Du wirst was beweisen können, mein Junge,« wandte er sich direkt an Arthur.

Er war allmählich enthusiastisch geworden und hatte auch den anderen seine Erregung übertragen. Arthur geriet ganz außer sich.

»Du bist 'n Hauptkerl, Felix, so was Originelles, Darz zu kaufen. Nächstens wirst Du noch Kanäle bauen. Spaß, kann das großartig werden! Was sagst Du dazu, Flora?« fragte er seine Frau.

»Ich bin neugierig, wie Papa sich dazu ...«

»Ach Gott, Papa,« unterbrach sie Arthur ärgerlich. »Für solche Ideen hat der nicht das nötige Verständnis. Nimm mir's nicht übel, mein Kind, aber es ist so!«

»Unter Umständen kann es sogar eine Riesenspekulation werden,« nahm Felix wieder das Wort. »Notabene, habt Ihr denn zu nächstem Donnerstag gehörig Presse und Schriftsteller geladen? Die Gesellschaft kann man dazu brauchen!«

»Kannst unbesorgt sein,« erklärte Arthur. »Übrigens, für jede Absage wird noch ein Preßbub nachgeladen.«

»Und jetzt noch eine große Neuigkeit, meine Herrschaften.« Felix erhob sich. »Ja, eine große Neuigkeit!« wiederholte er. »Die Firma Gebrüder Lerch wird in Serbien eine Bahn legen. Es kommt sicher dazu. Die Firma Lerch wird universal – sie soll leben.«

Arthur war paff. Dann aber stieß er ein unartikuliertes Triumphgeheul aus.

»Stroußberg ist nichts gegen Dich,« beteuerte er enthusiastisch. »So 'n Kopf!«

Felix tat, als wenn er diese Äußerung überhörte. Er zog seine Uhr. »Meine Herrschaften, es ist ein halb zehn, für mich die höchste Zeit, sonst treffe ich die Herren im Aufsichtsrate nicht mehr.«

Er empfahl sich schleunigst. Im Herausgehen bat er Heller, seine Frau nach Hause zu bringen.

Arthur begleitete ihn in den Korridor.

»Du wolltest mir doch noch was erzählen,« meinte er zwinkernd.

»Ach richtig, was sagst Du dazu, meine Frau ... meine Frau hat mit dem serbischen Gesandten angebandelt! Ich kriege Respekt vor ihr. Und wie raffiniert sie das angestellt hat. Du glaubst gar nicht.«

Er lachte voll Vergnügen in sich hinein. Die Bahn in Serbien ist jetzt garantiert. Doch das erzähl ich Dir ein andermal. Ich hab jetzt wirklich keine Minute mehr übrig.«

»Wohin fährst Du denn?«

»Ich hol die Fabri aus dem Theater, Kanaille sag ich Dir, die hat's in sich. Macht mir aber Spaß ... reizt mich!«

»Is 'n Frauenzimmer!« bestätigte Arthur. »Na, viel Vergnügen!«

Er drückte Felix voll bewundernder Herzlichkeit die Hand und kehrte zu seinen Gästen zurück.


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