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Wir sind früh in den Palazzo Pitti gekommen, in den Sälen ist kaum noch ein Me<nsch. Gleich schiebe ich mir einen Sessel vor Giorgiones Konzert, während mein Reisegefährte in ziellosem Umherschlendern seinen Genuß zu erjagen versucht.
Ich bin noch gar nicht recht ins Schauen hineingeraten, da kommt er schon, ganz rasch, auf Fußspitzen, durch alle Türen zu mir zurück; er ist weiß wie Linnen, über dem linken Auge hat er den roten Fleck auf der Stirn – so bleibt er vor mir stehen, etwas hat ihm die Rede verschlagen! Es wird Jahr um Jahr unerquicklicher, mit ihm zu reisen. Jetzt geht er zu seinem Kölnischen Wasser heim, und es vergeht ein Tag, es vergehen zwei, eh' ich ihn wieder zu Gesichte bekomme. »Drüben ... vor dem Kardinal von van Dyck steht ein Mensch ... geh und sieh: Ob du es glaubst oder nicht... es ist Oskar Wilde!«
Ich sehe ihn an. Der rote Fleck hat sich ausgebreitet, hat die Schläfe gewonnen. »Oskar Wilde,« bemerke ich ruhevoll, »geboren 1850 zu Dublin, liegt seit dem Herbst 1900 in Bagneux begraben, einem kleinen Vorort von Paris ... übrigens, da du hier bist gerade, willst du, bitte, den Jüngling mit dem Federhut hier im Bilde in Augenschein nehmen? Dieses leere Gespenst! Wenn ich an die Jünglinge von Giorgione denke, den Berliner, den Braunschweiger, den aus Hampton Court: auf Treu und Glauben, dieser hier nie und nimmer!« – »Ich bin, wie du weißt, Wilde wiederholt begegnet, vor seinem Prozeß in Oxford, nachher in Sizilien, in Assisi ...« – »Verzeih: das Konzert – eine alte Freundschaft, die in die Brüche geht, ist wohl eine wert, die man erneuern möchte? Wenn Ihr Euch begegnet seid, wird der Mann dort drin dich wohl wieder erkennen. Hat er dich wieder erkannt?« – »Selbstverständlich: nein. Ich stand neben ihm und er sah mich. Nichts dergleichen.« Sein Gesicht zieht sich vor Leiden zusammen: »Versprich mir, daß du das nicht auf sich beruhen läßt! Denn ich habe ja leider genug für heute!« – »Ärmster!« Schon ist er fort.
Allmählich gleitet alles aus dem Bereich der Aufmerksamkeit hinweg, der Jüngling, der Ordensbruder, die inbrünstige Mittelfigur, ich rücke den Sessel an die Wand zurück und gehe durch die Säle. Vor van Dycks Kardinal steht ein Mann.
– Ein einziges Mal habe ich Oskar Wilde gesehen, einige Wochen vor seinem Tode, im Pavillon Rodin auf der Pariser Weltausstellung. Er war mit einem jungen Franzosen da und sah ruiniert aus. Ich fühlte Trauer in mir wie einen körperlichen Schmerz, als ich ihn so vor mir stehen sah und erkannte. Aber da blickte er zu den Statuen auf und mir wurde im Nu frei und warm zu Sinne. Ich habe den wundervoll beschwingten Blick, mit dem der zerstörte Mensch die Geschöpfe der Kunst grüßte, lebendig in mir erhalten wie eine Lehre. Ich sah dem Mann vor dem van Dyck ins Gesicht. Er hatte sogar den Blick. –
Am Nachmittag lief der Portier des kleinen Palazzo Sibillini am Arno mit ehrerbietigem Rücken durch den Flur vor mir her, die Treppe hinauf und schellte an der alten Eichenpforte, auf der das Wahrzeichen der ausgestorbenen Familie der Sibillini als Türklopfer zu sehen war: eine geharnischte Frau mit offenem Buch in den erhobenen Händen. Außerdem war ein kleines silbernes Sicherheitsschloß in die Eichentür eingelassen und ein Metallschild mit den Worten: »Mr. Howard Curle«.
Im Vorzimmer stand ein livrierter italienischer Antinous, dessen Zügen die verheerende Wirkung der Lektüre von englischen Detektivgeschichten anzusehen war; er stand da und hatte den strengen Auftrag, keinen Unbekannten zu seinem Herrn zu lassen. Ich schrieb auf meine Karte: es handelt sich um einen gemeinsamen Freund. Ich dachte mir: er wird mir doch nicht durch seinen Diener sagen lassen, daß er mit niemandem gemeinsame Freunde besitze! Über meinen Kopf weg führte der Portier mit dem Antinous die augenzwinkernde Geheimsprache der Trinkgeldempfänger. – Der Herr ließ bitten.
Mr. Curle saß in einem prächtigen grünen Damastzimmer zwischen alten Boulemöbeln, hinter deren Scheiben man Porzellan, Bronzemünzen und Pergamentbände erblickte. Er ließ mich in einem Lehnstuhl gegen das Licht niedersitzen, die Junisonne vom Arno her floß glorreich und blendend über sein Gesicht, seine Hände, über die ganze weichliche und ein wenig gedunsene Gestalt mir gegenüber. Ich begann gleich mit der Erklärung: ich komme aus Deutschland, in den Zeitungen steht alle drei, vier Monate einmal die Nachricht, Oskar Wilde sei hier und dort gesehen worden; ich selber habe Wilde ein einziges Mal gesehen, in Paris, auch habe ich über Wildes Sterben und Begräbnis glaubwürdige Mitteilungen empfangen durch einen Freund, der zugegen gewesen ist, einen der wenigen, die die tristen Tage vor dem Tode, die beschämend dürftigen Veranstaltungen nach dem Tode Wildes miterlebt haben.
Herr Howard Curle: »Ihr Freund ist der Maler van 'sGravenhage.«
Ich: »... ja, jawohl, Sir, Sie scheinen unterrichtet zu sein?«
»Ich bin über alles unterrichtet, was sich von Wildes Tode bis zu seiner Beerdigung zugetragen hat.«
»Das genügt mir, ich danke Ihnen, Mr. Curle. Denn nun weiß ich's ja, daß Sie nicht Oskar Wilde sind.«
»Vorausgesetzt... Nun, ich war ja nicht zugegen und habe auch nur meine, ebenfalls recht glaubwürdigen Informationen, die allerdings woanders herkommen als die Ihren!«
»Wie meinen Sie denn das: vorausgesetzt, Mr. Curle?«
»Ich meine damit: ebensowenig der Vater eines Menschen mit Sicherheit zu bestimmen ist, ebensowenig kann man es mit Sicherheit behaupten, daß ein Mensch gestorben ist und begraben wurde.«
»Van 'sGravenhage war dabei, als man den Sarg zugeschlossen und vernietet hat.«
»Sie sprechen ein passables Englisch, Sir, Sie sprechen das Londoner Englisch, ich nehme an, Sie haben sich eine Zeitlang in London aufgehalten. Haben Sie sich da nicht in einer müßigen Stunde die sogenannten »ägyptischen Mysterien« von Maskelyne und Devant angesehen? Zu meiner Zeit war diese Zauberbühne in der Nähe von Piccadilly. Da konnte man und kann man ohne Zweifel heut noch einen lebenden Menschen in Adamsgröße vor den Augen des Publikums verschwinden, einfach in Nichts sich auflösen und verschwinden sehn! Diese Illusion wird durch eine Kombination von geschickt aufgestellten Spiegeln erreicht. Wollen Sie sich nur einen Sarg auf einer Bahre vorstellen, das heißt: einen ziegelförmigen Holzkasten, der auf einem mit schwarzen Tüchern verhängten, im übrigen vollständig hohlen Brettergerüst ruht?«
»Ja, ja, ich sehe das. Wir haben im Deutschen einen trefflichen Ausdruck für dergleichen: wir nennen es Spiegelfechterei. Das gute englische Wort Humbug sagt aber vielleicht dasselbe.«
»Ich kenne die Sitten Deutschlands wenig, Sir, bei uns in England wählt man für den Fall, man hätte jemand Unhöflichkeiten zu sagen, einen neutralen Ort, das Bureau eines Rechtsanwalts, seltener den Klub, niemals die Behausung dessen, den zu beleidigen man vorhat.«
»Ferne liegt es mir, Sie für einen Charlatan erklären zu wollen, Mr. Curle, ich bitte Sie, dies zu glauben. Nach den ersten Minuten unserer Unterhaltung erblicke ich in Ihnen vielmehr einen Mann, der seine Bestimmung unter den Menschen nicht zu finden vermocht hat und sich, begünstigt durch einen außerordentlichen Zufall, mit plötzlichem Entschluß eine wenn auch beschwerliche, so doch unbedingt lohnende Pose angeeignet hat, die es ihm ermöglicht, nun endlich Einer zu sein, Einen vorzustellen. Wenn dieser Eine auch ganz und gar und deutlich und ausgesprochen ein Anderer ist als er selbst!«
Herr Curle sah mich eine Zeitlang nachdenklich an und sprach darauf: »In dieser Lage befindet sich vielleicht jeder Gestorbene? Ein rechtschaffener Toter ist ja gewiß ein schauderhafter Poseur, aber nicht dies ist's, was ich meine.«
Ich nickte: »Ich verstehe Sie vollkommen, Mr. Curle. Jawohl, an eine Art von Totsein habe ich dabei selber gedacht.«
»Wollen Sie die Liebenswürdigkeit haben, mir diese Art ein wenig zu verdeutlichen, Sir?«
»Gewiß, ich will's versuchen. Ich meine: wie viele von denen, die in Wahrheit leben, erleben den Augenblick ihres physischen Todes? Wie viele solcher Götterlieblinge gibt's unter denen, die wirklich gelebt haben? Der Tod, den ich meine, tritt den lebenden, das heißt den tätigen Menschen in dem Augenblicke an, in dem er zu sich spricht: ich muß meine Taktik ändern. Es ist der Augenblick, in dem der Sieger reaktionär wird und sich bemüht, den Nachstrebenden die Möglichkeiten, die ihm selber zum Sieg verholfen haben, abzuschneiden, und es ist der Augenblick, in dem der Untergekriegte sich mit seinem Schicksal versöhnt und die Spuren seines Kampfes vernichtet, sozusagen die Namen der Götter, die auf seinem Wege standen, an die er geglaubt, an denen er gezweifelt hat, aus seinem Herzen stößt, zerbläst wie, wie schlechte Gase ... Es ist aber auch der Augenblick, in dem Einer die totale Selbstvernichtung begehen wird, weil in ihm der Glaube lebt: Drüben erst werde er sein menschenwürdiges Los finden. Tod ist's auf alle Fälle ... so ungefähr dachte ich mir's. Nur scheint es schwer zu sein, mit Anstand und ohne Aufhebens stille zu liegen; wie oft, wenn mir die Ohren gellen, sage ich vor mich hin: schreit doch nicht so, was schreit Ihr denn, wir wissen ja, daß Ihr nur die Stimme überschreien wollt, die in Euch spricht: tot, tot, tot!«
»Nachdem Sie mir auf diese Weise die Art meiner Selbstvernichtung verdeutlicht haben, möchten Sie mir nun nicht sagen, wann in Wildes Leben jener Augenblick eingetreten ist?«
»Der Spötter und Weltmann Wilde wird wohl, als er im Gefängnis seine hohe und reine Zuchthausballade entstehen fühlte, in die Nähe des Augenblicks geraten sein. Vielleicht hat er ihn früher schon gestreift, zur Zeit, da er jene Abhandlung über den Sozialismus und die Menschenseele niedergeschrieben hat – er hat den Augenblick, in dem sein Leben sich hätte verklären können, wohl in einer Distanz empfunden –, gestreift vielleicht, er wurde nicht berührt von ihm, und er ist als ein Lebender gestorben, vermute ich. Denn ich kann mir den Augenblick jenes Todes, von dem wir sprechen, nicht anders vorstellen als einen Blitz, der ein Leben jählings in ein Vorher und ein Nachher auseinander spaltet, auf dem Feld stehen Bäume, schwarz, aufrecht, ohne Laub ... nein, das ist's nicht, was ich sagen will, ich drücke mich schlecht aus, verzeihen Sie ...«
»Nehmen Sie an, Sir, die Legende wäre Wahrheit und Wildes Körper erfüllte noch heute die vorgeschriebenen Bedingungen der Existenz im Fleische. In diesem Falle würde sich die Umkehr ganz gegen Ihre Annahme in Wilde vollzogen haben, und der Augenblick seines angeblichen Todes und Beerdigtwerdens gäbe für Sie und mich das Signal ab dafür, daß der Verschwundene seine Umkehr in die Tat umgesetzt hat. Ist es nicht so? Sie haben indes sicherlich gehört, daß Wilde kurz vor seinem Tode katholisch geworden ist. Diese Prozedur war wohl nichts weiter als das Bemühen eines schlauen Komödianten, seinen gut vorbereiteten Abgang von der Bühne möglichst wirkungsvoll einzuleiten?«
»Nein, ich glaube in Wildes Katholizismus den Beweis dafür zu haben, daß er weiterzuleben gedachte. Ich kenne einige Künstler in England und weiß, wie sie unter ihrem Protestantismus seufzen. Vielleicht wollte Wilde nur sein Erdenleben in einer erhobenen, frei gesteigerten Form weiterführen, sich als Phantasiemensch nicht mehr mit den Wahrheiten des kleinen Einmaleins herumschlagen und wurde katholisch aus dem Grunde, aus dem ein aufgeklärter katholischer Priester, den ich in Rom kannte, es ein für allemal ablehnte, über das Dogma der unbefleckten Empfängnis, der Unfehlbarkeit und so weiter zu debattieren – aus Bequemlichkeit, sagte er, in Wahrheit, weil die Flügel an seinen Schultern schon anfingen, etwas lahm zu werden.«
»Vielleicht ist Wilde katholisch geworden, ganz einfach um seinen Selbstmord, den die Kirche ja verbietet, zu verheimlichen.«
»Oh, Selbstmord, Mr. Curle?!«
»Nun, ebensowenig es sich mit Sicherheit feststellen läßt, ob einer richtig begraben wurde oder nicht, ebensowenig genau kann man nachweisen, ob einer des geruhsamen oder des schlimmen Todes gestorben ist, wenn's der Verstorbene nur einigermaßen geschickt angefaßt hat. Wilde hatte alle Ursache, seinen Selbstmord zu vertuschen; er hat ihn als die schmachvollste Art der Kapitulation des Einzelnen vor der Gesellschaft verworfen!«
Ich sah Herrn Curle an; vielleicht wurde ich jetzt erst seiner ganz verblüffenden Ähnlichkeit mit Wilde gewahr.
»Wie, glauben Sie, Mr. Curle, hätte Wilde denn weitergelebt, wäre er hinter dem Rücken der Menschen von den Toten auferstanden?«
Herr Curle sah mich mit lustigem Zwinkern an, führte eine italienische Handbewegung aus und sprach: »Schwer zu sagen, Sir! Es gibt nur einen Präzedenzfall, und den haben die Theologen verpfuscht. Auf jeden Fall ist das Ableben ein Erlebnis solch schwerwiegender Art, daß es dem, der's aushält, gestattet sein muß, sich auf die ihm eigenste Weise aus der Affäre zu ziehen. Ich denke, ein höflicher und geistvoller Mann wird nach seinem Tode nicht ruhen, ehe er eine Dankesschuld von sich gewälzt hat, die er bei Lebzeiten nicht abtragen konnte. Ich meine: Wilde wird vor allem beim Lord Queensbery vorgesprochen haben, der seinen Prozeß, die späteren Ereignisse und somit auch Wildes Erlösung von der Mitwelt in die Wege geleitet hat. Es ist aber gar nicht unmöglich, daß er den zu Reading hingerichteten Reiter in der Kgl. Leibgarde, C.T.W., dem die Zuchthausballade gewidmet ist, aufgesucht hat ...«
»Man hat Wilde kurz nach seinem Tode in Amerika gesehn!«
»Sir – das halte ich für durchaus unwahrscheinlich. Wer Oskars Briefe aus Amerika und die Abneigung, die er gegen die Staaten hegte, kennt, wird es einem Manne von Geist nicht zumuten, daß er sich gerade dort versteckt, um alle Zweifel an seinem irdischen Tode verstummen zu machen. Man hat ihn, soviel ich weiß, in Avignon, in Turin, in Rom, in Tanger gesehen, all dies beweist natürlich nicht das geringste.«
»Nein, in der Tat, nicht das geringste. Denn ich habe ihn ja heute im Palazzo Pitti gesehen und sogar besucht.«
»Teilen Sie das einer Ihrer deutschen Zeitungen mit, und man wird Sie für einen nicht ernst zu nehmenden Menschen erklären, wahrscheinlich für einen Narren, den man binden sollte.«
»Ich kann's auch einer französischen Zeitung mitteilen!«
»Man wird den Verstorbenen für einen sacré farceur erklären und sich weiter nicht aufregen!«
»Teilte ich's einer englischen Zeitung mit – –«
»Es würden nur ein paar Tische in Bloomsbury und Pimlico, deren Beruf das Sichdrehen ist, in Bewegung geraten und sonst niemand.«
»Übrigens unterschätzen Sie die mögliche Wirkung auf die Gemüter in Deutschland. Man ist dort sehr hinter solchen Sensationen her! Theater, eine Schar, würde Wildes Schauspiele wieder aufs Repertoire setzen!«
»Bitte, mein Herr, sprechen Sie mir um Gottes willen nur nicht von Wildes Theaterstücken!«
»Wilde ist nämlich nach seinem Tode in Deutschland populär geworden.«
Herr Curle, mit allen Zeichen tiefsten Abscheus: »Er hatte also nicht nur recht, sich beizeiten davonzumachen, er hat auch guten Grund, nicht körperlich aufzuerstehen. Die Popularität – ha! – ich will nicht sagen: die Popularität in Deutschland, ich will im allgemeinen sagen: die Popularität! Sir, ich will Ihnen etwas Heiliges aus einem Narrenleben verraten: Die Tragik in Wildes Leben ist nicht in den gewiß furchtbaren Begebenheiten während seines Prozesses und in den nachfolgenden zu suchen, das Tragische in Wildes Leben hat sich während seiner Glanzzeit begeben. Er hat zu viele weltliche Vorteile, zu viel Eitelkeitsnutzen aus seinen Fähigkeiten gezogen; als er dies einsah, kam das Grauenhafte über ihn: er fing die Welt, in der er lebte, er fing sich und vor allem seine Werke um ihrer Wirkung willen zu verachten an. Er beschloß, diese Welt, die ihm sein eitles Bild entgegenwarf, wie einen Spiegel mit einem Schlag des Spazierstockes zu zertrümmern; er beschloß, ins Fegefeuer hinabzusteigen, um später geläutert die Werke aus den Träumen seiner Jugend schaffen zu können – aber o weh! Er stieg verbrannt aus dem Feuer und nicht geläutert, starrte in den Spiegel und entsetzte sich, als er sein Bild darin nicht mehr erblickte. Die Sucht, zu glänzen, Mittelpunkt und ein Erreger des Neides zu sein, saß zu tief drin im Blut seiner Pulse; um sein Selbstbewußtsein bis zu dem Grade zu erhitzen, bei dem seine Dichterkraft zu quellen, zu brausen anfing, benötigte er bitter den flitternden Beifall und das lächelnde Staunen um sich herum. So wurde Wilde ein Schönsprecher, Witzbold und Anekdotenborn der Estaminets und der Kaffeehäuser, vor Leuten, die sich mit dem Gesicht gegen die Wand setzten, um nicht von sich sagen zu hören: ei, sieh da, ich hab den ja neulich mit Wilde gesehn! Und die Werke, die hellen Werke alle blieben ungeschrieben. Da sagte sich eines Tages dieser gewitzigte Geist: So billig hält Gott eben die Buße nicht feil – das ist es. Für Jene, die ihre Person zu weit in den Vordergrund gedrängt haben, bis an den Platz, wo nur das Werk, aber nicht sein Schöpfer stehen darf, für sie gibt's nur eine Sühne, nur ein Zurücktreten: Den Tod, das radikale Verschwinden.«
»Und dennoch – Howard Curle?«
Herr Curle lachte leise in sich hinein, und ziemlich lange. Endlich sprach er: »Wie war das doch, was Sie am Anfang unseres Gesprächs von dem Mann sagten, der seine Bestimmung ... wie war das doch?«
»Ich meinte den, der seinen Platz im Leben nicht zu finden vermocht hat und eine Pose auf sich nimmt, um endlich als Einer dazustehen, ungefähr ...«
»Ich wollte sagen, das ist nicht übel gedacht, wenn auch etwas schwunglos ausgedrückt. Was würden Sie zu einem sagen, der sich die amüsante und lohnende, immerhin etwas unbehagliche Aufgabe gestellt hätte: Den Menschen eine Lehre zu erteilen, indem er sie mystifiziert, weil er weiß, daß das Geheimnisvolle eine ungleich stärkere Suggestion ausübt, als die bestgefügten Worte es je könnten?« Mr. Curle warf sich in die Brust und sprach: »Ja, jawohl, beim Jupiter, Ausdauer, Verschlagenheit gehören schon dazu, um eine derartige Gegenwart aufrechtzuerhalten. Und noch etwas, gewiß, noch etwas mehr ...«
»Sie wollen doch nicht sagen, Sir, daß Sie von Gründen der Menschenliebe, von erzieherischen Gründen sich bestimmen ließen, als ein posthumer Oskar Wilde herumzugehen?«
»Wir vergeuden den wunderhellen Junitag, mein Herr, wir vergeuden ihn. Lassen Sie mich nur kurz sein: die Methode des Lebens, die ich Ihnen da expliziert habe, ist eine Methode, die sich ein ganz phantasiearmer Kopf zurechtgelegt hat und gewiß nicht des Mannes würdig, der von sich sagt:
»he who lives more lives than one,
more deaths than one must die.«
Dies müssen Sie als untrüglichen Beweis dafür gelten lassen, daß ich der Mann bin, dessen Namen Sie auf dem Schild vor meiner Tür gelesen haben, und niemand anders. Nur werden Sie jetzt vielleicht etwas besser von mir denken als vor einer Viertelstunde, und das also wäre gewonnen. Denn ich habe Ihnen klargemacht, wie hier einer seine Pose nicht eigentlich um seines eigenen Nimbus willen auf sich genommen hat, sondern um diesen Nimbus einem Andern zu verleihen, der nicht mehr fähig ist, ihn sich selber zu erwerben. Dies ist übrigens der einzige mir bekannt gewordene Fall, in dem aus einem Dandy ein Heiliger geworden ist. Eine Figur, die der arme Oskar hätte verewigen sollen!«
»Sie werden mir aber zugeben, daß Sie gefallen sind, ins Unheilige, sehr Menschliche, Unterdandyhafte, soeben: da Sie mir gestanden, nicht Wilde zu sein. Wenn es die höchste, unverbrüchliche Pflicht des Dandy ist, in seiner Rolle zu bleiben, so steigert sich diese Pflicht mit ihm ins Heilige empor. Ich brauche jetzt bloß hinzugehen und einem Freunde, der im Hotel auf mich wartet, mitzuteilen, daß ich dem Wilde aus Avignon, Tunis und Turin persönlich begegnet bin und daß es niemand anders ist als ein Herr Howard Curle, begabt mit einer erstaunlichen Ähnlichkeit mit Wilde, und der es im übrigen selber willig zugibt, Herr Howard Curle zu sein – – die Legende ist weggeblasen, und Sie sind der letzte und infamste, entlarvte Snob und ein Spott der Welt!«
»Sie haben unrecht. Sagen Sie es getrost, beweisen Sie es unwiderleglich, daß ich Howard Curle bin und nicht der Andere – die Menschen werden erst recht an die Legende glauben.« Er hatte sich erhoben und geleitete mich zur Tür.
Ich: »Es ist furchtbar, was Sie da von den Menschen sagen!«
Herr Curle: »Man muß gestorben sein, um das von den Menschen zu wissen.«
Ich: »Und wer das von den Menschen weiß, kann gar nichts Klügeres tun als sterben.«
Herr Curle: »In der Tat, Sir, in der Tat. Guten Tag.«