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In einem alten Notizbuch finde ich die folgende Eintragung des ersten Einfalles unterm 26. Februar 1911.
»Die Frau ohne Schatten, ein phantastisches Schauspiel. Die Kaiserin, einer Fee Tochter, ist kinderlos. man verschafft ihr das fremde Kind. Schließlich gibt sie es der rechten Mutter zurück. (›Wer sich überwindet. –‹) Das zweite Paar (zu Kaiser und Kaiserin) sind Arlekin und Smeraldine. Sie will schön bleiben. Er täppisch und gut. Sie gibt ihr Kind her, einer als Fischhändlerin verkleideten bösen Fee; der Schatten als Zugabe.«
Dies ist der eigentliche Kern des Stoffes. Für Arlekin und Smeraldine traten bald in meine Phantasie zwei Wiener Volksfiguren. ich wollte das Ganze als Volksstück, mit bescheidener begleitender Musik, machen, zwei Welten gegeneinanderstehend, die Figuren der unteren Sphäre im Dialekt.
Nachdem sich das Ganze etwas ausgeformt hatte, erzählte ich es einigen Freunden, darunter auch Strauss. Ich fragte ihn, ob er sich diese Handlung als Oper denken könne, oder er selber, scheint mir, faßte sie gleich als Opernhandlung auf. Das Musikalische des Prüfungs- und Läuterungsmotives, die Verwandtschaft mit dem Grundmotiv der »Zauberflöte« fiel uns beiden auf. Damit war es entschieden, daß beide Figurengruppen im gleichen Stil, in höherer Sprache zu behandeln wären: an Stelle von Arlekin und Smeraldine, oder dem Wiener Flickschneider und seiner schönen unzufriedenen Frau, waren der Färber und die Färberin getreten. 1913 schrieb ich dann den ersten und zweiten Akt und Strauss fing gleich zu komponieren an. Im Juli 1914, wenige Tage vor der Mobilisierung, hatte ich den dritten beendet. 1915 war die Komposition fertig, dann lag die Oper vier Jahre in Strauss' Schreibtisch. Wir konnten uns nicht entschließen, sie während des Krieges spielen zu lassen.
Zu einer Gestaltung des gleichen Stoffes in erzählerischer Form, die demnächst erscheint, habe ich die Feder erst angesetzt, nachdem die dramatische, das heißt die Opernform fertig vorlag.
Nicht das leuchtende durch Furcht verdunkeln, nicht dem wunderbaren Vogel die Flügel binden!
Mut ist das innere Licht in jedem Märchen, darum ist die Kaiserin so leuchtend und mutig – und wirft sich, wo ihr schaudert, mit erhobenen Flügeln, wie ein Schwan, dem Fremden und Geheimnisvollen entgegen.
Fremd und geheimnisvoll sind solche Nächte, wie alle Geschenke des Himmels, aber darum sind sie heilig, und sie durchleben ist ein heiliger Dienst – in dem darf man nicht zittern. Das Erschütternde ist da, der dunkle schauerlich süße Abgrund ist da – aber du darfst nicht hineinstürzen – seine Nähe ist nur eine Heiligung mehr.
Alles ist heilig und schön – jede Sekunde: küsse die Augen und heilige sie und dann laß sie alles in sich trinken, das Oben und das unten und die wunderbare Mitte, die süßen bewegten Arme und die süßen ruhenden Brüste, die Lippen und das Haar.
Verbirg nichts – wo das Verbergen ist, da ist die Hast und die Glut der Jagd, da ist der Kaiser und der tödliche Pfeil und die Gazelle; wo alles sich darbringt, da ist die nächtliche Feier, der Tempel und die Sterne.
Gib dich sanft und festlich, du Süße, und erschüttere den, der selig wird durch dich, mit deinen zarten Händen – wie du eine Harfe erschütterst –, dann ist die Erschütterung von dir genommen, und was du empfängst, ist die Musik. – Zittere nicht, denn was wird aus dem Tempel, wenn die Priesterin zittert! Wirf dich in den Abgrund, aber nur weil unten die goldene Treppe ist, die zu den Sternen führt.
Sei die süße Herrin und nicht das scheue Mädchen, – gieß dich aus in Augen, Hände und Mund, behalte nichts von dir in dir, dann wirst du leicht sein und schweben, Zauberin auf ihrem Zauberbette – Verwandlerin, selber verwandelt, unfindbar allen außer dem einen, den du verzauberst.
den 27. X. 19