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Der Kaiser der südöstlichen Inseln ist mit einer Feentochter vermählt, die er sich auf der Jagd gewonnen hat. Da sprang aus einer weißen Gazelle, die sein Pfeil am Halse verwundet hat, ein junges schönes Weib, die Tochter des Geisterkönigs, ihm entgegen. Seit sie vermählt ist, ist die zauberische Gabe, sich in ein Tier verwandeln zu können, ihr verloren, aber völlig zu den Menschen gehört sie auch noch nicht, denn sie wirft keinen Schatten, und sie fühlt sich nicht Mutter: dies ist ein und dasselbe, Zeichen und Bezeichnetes. Es freut sich die Amme, die ihr gefolgt ist und die das Menschliche dumpf haßt und auch den Kaiser. Der zürnende Geisterkönig schickt heimlich seine Boten, die sich mit der Amme unterreden; davon wissen der Kaiser und die Kaiserin nichts und verbringen selige Nächte miteinander. Tagsüber aber reitet der Kaiser auf die Jagd, und die Kaiserin ist allein mit der Amme.
So auch eines Morgens: da kreist ein Falk über dem einsamen Gartenpavillon, darin des Kaisers Frau haust, denn er hält sie den Menschen fern. Es ist der Lieblingsfalke des Kaisers, der verflogen war seit jener Jagd, da er hatte die weiße Gazelle erjagen helfen. jetzt naht er wie in höherem Auftrag: ein Talisman in seinen Klauen beglaubigt ihn. Sein drohender und klagender Ruf ist für der Kaiserin Ohr verständlich wie Menschenstimme: »Die Frist ist bald verstrichen, und doch wirft die Frau keinen Schatten – so muß der Kaiser zu Stein werden.« Der Kaiserin Herz versteht, wie dies zusammenhängt: sie ist aus dämonischem Kreis herausgetreten, doch hat die eifersüchtige genießende Liebe des Kaisers den Kreis des Menschlichen nicht um sie geschlossen. Sie steht zwischen zwei Welten, von der einen nicht entlassen, von der andern nicht aufgenommen: dafür trifft ihn, nicht sie, der Fluch, denn er hat es selbstsüchtig liebend verschuldet. Ihr ist es faßlich und entsetzlich, aber in ihr hebt sich Kraft und Mut, dem Drohenden zu begegnen: sie will den Schatten gewinnen, sei es durch welches Opfer immer. Die Amme ist ein Wesen mephistophelischer Art; sie kennt die Menschenwelt mit scharfer und liebloser Kenntnis. Sie weiß, es gibt Verstrickungen, aus denen der betrogene Mensch, sie es Mann oder Weib, sich nur loskauft um den Preis seines Schattens. So wäre ein Schatten zu erhandeln. Die Kaiserin heischt, die Amme gehorcht, beide machen sich auf zu den Menschen.
Barak der Färber ist nicht mehr jung, aber fleißig wie keiner und stark wie ein Kamel. ER schafft für ein Weib, das jung und hübsch und unzufrieden ist, und für drei Brüder. Er wäre gesegnet, wenn er auch noch für einen Haufen Kinder schaffen dürfte. Aber auch diese Ehe ist noch unfruchtbar wie jene droben des Kaisers und der Geisterkönigstochter. In des Färbers Haus, in dies ärmliche Leben, treten die Kaiserin und die Amme, verkleidet beide, und der Feentochter strahlendes Gesicht verdeckt mit dunkler Farbe. Sie bieten sich der Färbersfrau zu Mägden an. Die Amme hat auf den ersten Blick herausgehabt, daß diese junge schlanke Verdrossene ein Weib ist, dem man seinen Schatten abgewinnen kann, daß diese um schöne Gewänder und Perlenschnüre und um Liebhaber, seufzend an der Hintertür, den Schatten hingibt und die ungeborenen Kinder dazu – denn diese beiden gehen immer zusammen, wie Zeichen und Bezeichnetes. Kupplerisch und zauberisch umspinnt die Alte das junge Weib mit Reden und Gebärden, mit zweideutigen Sprüchen und reizendem Hexenspuk. Sie deckt ihr den Tisch mit nie geschmeckter Speise, verspricht ihr ein Wohlleben ohnegleichen und haucht die Ahnung davon ihr zu, wie ein Fiebertraumbild. Sie schließt den Pakt, durch den die Frau zum voraus den Schatten dahingibt. Die Kaiserin steht stumm daneben: kaum versteht sie den schlimmen Handel, durch den sie doch gewinnen soll. Der Handel ist geschlossen, jäh sind die Gäste verschwunden, die Färberin ist wieder allein. Aber aus der Bratpfanne, in der sieben kleine Fischlein schmoren, hört sie die Stimme ihrer ungeborenen Kinder aus dem Dunkel klagen und weinen. Der Angstschweiß tritt ihr auf die Stirn, mit wankenden Knien schleppt sie sich in die Ecke auf ein Reisigbündel, dann ins Bett. Arglos tritt indessen der starke Färber ins Haus. Er findet sich allein, das eheliche Lager lieblos entzweigetrennt. So hält das Weib den Pakt, den sie mit der Hexe geschlossen hat. Von draußen tönen Stimmen herein; der nächtliche Wächterruf verherrlicht Ehe und Elternschaft:
Ihr Gatten, die ihr liebend euch in Armen liegt,
ihr seid die Brücke, überm Abgrund ausgespannt,
auf der die Toten wiederum ins Leben gehn!
Geheiliget sei eurer Liebe Werk.
Die beiden drin liegen jeder für sich stumm auf seinem Bett.
Die Prüfungen gehen an; denn es müssen alle vier gereinigt werden, der Färber und sein Weib, der Kaiser und die Feentochter, zu trübe irdisch das eine Paar, zu stolz und ferne der Erde das andere. Mit einer reizenden Spukgestalt, dem Phantom eines schmachtenden und begehrlichen Jüngling, lockt die Amme das junge Weib auf den bösen Weg. Ist der Färber aus dem Haus, so steht der Jüngling da. Die Färberin meint, ihren dumpfen, gutherzigen Mann zu hassen; ihr ist, es wäre nur ein Kleines, ihn zu betrügen, und doch begeht sie es nicht. Aber freilich, die Amme lockt sie Schritt vor Schritt. Barak der Färber weiß nicht, was im Haus, noch was in der Brust seiner Frau vorgeht. Aber sein dumpfes gutes Herz wird ihm schwerer und schwerer. Er fühlt, daß ihn etwas bedroht; es ist, als riefe etwas zu ihm um Hilfe. sind es – ihm unbewußt – die Stimmen seiner ungeborenen Kinder? Denn um sie geht da Spiel – um sie und den Schatten.
In dies böse Spiel ist die Kaiserin verknüpft, unschuldig schuldvoll. Zweideutig gehen ihr die Tage im Färberhaus. Zu Nacht – im Falknerpavillon – in ihren angstvollen Träumen, sieht sie den Gatten öden Wald durchstreifen, hochmütig einsam, verzehrt von selbstsüchtigem Argwohn, das Herz schon versteinert; sie sieht, wie ein Tempeltor den Verstörten aufnimmt, ein steinerner Ort, grabesähnlich – zu welchem Geschick? Die Angst ihres Innern gibt ihr Antwort, des Falken Ruf tönt in ihr nach: »Die Frau wirft keinen Schatten, der Kaiser muß versteinen.« Mit schweren Herzschlägen fährt sie auf aus so wissenden Träumen – aber ihre Tage sind noch gefährlicher als ihre Nächte:das Menschliche umspinnt sie. Es haust kein Geisterkind ungestraft unter den Menschen; sie ist nicht gefeit gegen Menschennähe, wie die niedrig dämonische Natur der Amme. In ihr gibt das Grauen der Fremdheit bald einem reineren Gefühle Raum; hingezogen zu den Menschen im Tiefsten, wird des Färbers stumpfes Auge ihr sprechend. Sein Wesen rührt sie. Bald weiß sie sich schuldig vor dem Arglosen, der ihr zu Gewinn um sein Lebensglück betrogen werden soll.
Die dritte Nacht ist da: zur Erfüllung des Paktes treibt die Amme mit dämonischem Willen. Es ist, als gehorche ihr Himmel und Erde, so schwere Finsternis lastet über allem. Aus des Färbers Brüdern bricht ein Stöhnen der Angst heraus, wie aus Tieren vor dem Erdbeben, aus dem Munde der Färberin eine ungezügelte wilde Rede. Sie bezichtigt sich dessen, was sie in der Tat nicht begangen hat,wohl aber in frech vorwegnehmendem Willen, kündigt dem Gatten die eheliche Treue und wirft ihm in die Zähne; sie habe den Schatten verkauft, die ungeborenen Kinder zum voraus abgetan. Die Brüder auf Baraks Wink zünden ein Feuer an; aufschreiend bestätigt Barak, aufschreiend bekräftigen sie: hexenhaft, ohne Schatten vor aller Augen steht das junge Weib vor dem Feuer. Die Amme jubelt auf: so ist durch Wort und Willen der Pakt erfüllt. Die eine gab den Schatten hin, die andre darf ihn an sich raffen. Barak indessen ist mächtig emporgewachsen im fürchterlichen entscheidungsvollen Augenblick, sein Mund, der vordem kein hartes Wort gekannt, verhängt den Tod. Von oben fällt ihm ein Richtschwert blitzend in die Hand, haben es die Ungeborenen herabgeworfen, ihrem Vater die Hand zu bewehren gegen die böse Mutter, die ihnen die Lebenstür verriegeln will? Nicht mehr geheuer ists bei solchen Zeichen der Amme. Höhere Mächte, das fühlt sie, sind im Spiel, denen ihre Dämonenschlauheit nicht gewachsen ist. Anstatt nach dem Schatten reckt zu den Sternen die Kaiserin die Arme, rein zu bleiben von Menschenblut; zu Baraks Füßen aber fällt das Weib und demütigt sich und erhöht den Richter maßlos über sich. Verschlungene Geschicke, furchtbar sich kreuzende Stimmen löst eine Zaubergewalt auseinander. Die Erde tut sich auf und verschlingt den Mann und sein Weib, das Färberhaus bricht zusammen, das heulen der Brüder erfüllt die Finsternis, ein schönes Wasser dringt herein, und in ihren Mantel die Feentochter einhüllend, legt die Amme sie in einen Kahn, der zauberisch zur Stelle ist.
Die Geisterwelt hat sich aufgetan und umschließt die Geprüften: aber die letzte, höchste Prüfung steht noch bevor. Vor dem Tempeleingang, ins Berginnere führend, landet der Kahn, darin die Kaiserin schlummert, die Amme ihr zu Füßen. Posaunen rufen, als wäre es zu Gericht. Die Kaiserin hebt sich aus dem Schlaf, betritt die Tempelstufen. Sie weiß: an sie ergeht die Ladung. Tiefer unten im nämlichen Bereich liegen in einem Kerker, aber durch eine Mauer getrennt, der Färber und die Färberin, voneinander nicht wissend. Eine Geisterstimme, sanft gebietend, ruft ihn und sie nach oben. Sie betreten die obere Region, jedes des anderen unbewußt, aber jedes mit Sehnsucht des anderen denkend: verzeihend er und schon wiederliebend, demütig und zum erstenmal liebend sie. Wo sie heraustreten, jedes für sich von dem Gedanken erfüllt, den anderen zu suchen, da finden sie die Amme vor der verschlossenen Tempeltür. Der Geisterbote wehrt ihr den Eingang. In ohnmächtigem Grimm verzehrt sie sich; die beiden Menschen, die ihr nun doppelt verhaßter Anblick sind, verwirrt sie und hetzt jeden mit Trugworten den falschen Weg,daß sie links und rechts im Bereich des Tempels umherirrend einander erst recht nicht finden. Kläglich schicken sie die Stimmen einer nach dem anderen aus, ihr sehnliches Rufen dringt ins Innerste des Tempels, dorthin wo die Kaiserin steht und des Gerichtes harrt. Aber wer ist es, der zu Gericht sitzt? Ist es der Geisterkönig, ihr strenger Vater? Ein Vorhang verbirgt die Gestalt. Der Kaiserin mutige Anrede bleibt unerwidert, nur die Stimmen der einander suchenden Gatten tönen herein, nur ein goldenes Wasser hebt sich lieblich rauschend, das Wasser des Lebens. »Trink«, ruft eine Stimme von oben, »trink und der Schatten des Weibes wird dein sein.« Angstvoll kreuzen sich von draußen die Stimmen der Getrennten. Die Kaiserin hört sie wohl und tritt zurück, ohne ihre Lippen zu dem goldenen Wasser zu neigen. Aber sie begehrt ihn zu sehen, der zu Gericht sitzt über ihr; sie begehrt ihr Gericht: sie will ihre Buße, sie will ihren Platz in der Menschenwelt. Das Wasser sinkt zusammen, durchsichtig wird der Vorhang. Auf steinernem Thron sitzt der Kaiser da, starr und steinern, nur sein Auge scheint zu leben; angstvoll haftet der Blick auf ihr. Dumpf drohend wie aus Abgründen wiederholen unirdische Stimmen den Schicksalsspruch: »Die Frau wirft keinen Schatten, der Kaiser muß versteinen.« Dunkel wird die Statue wie Blei. Vor ihren Füßen springt wieder das Wasser des Lebens. Schmeichelnd ruft es von oben: »Sprich aus: Ich will – und jenes Weibes Schatten wird dein – und dieser hier steht auf und wird lebendig und geht mit dir.« In verzweifelter Qual tönen die Stimmen der Getrennten herein: »Nirgend Hilfe!« – »Wehe, sterben!« – Die Kaiserin steht im furchtbaren Kampf, ein kaum hörbares: »Ich will nicht!« ringt sich endlich von ihren Lippen. Damit hat sie gesiegt, wie jenes Weib vor Salomonis Richterstuhl, als sie, sich überwindend, der andren das lebendige Kind zusprach. Sie hat gesiegt für sich, für ihn, der ohne ihre Selbstüberwindung um ihretwillen steinern geblieben wäre, und für jene beiden Menschen, die durch Leid aus trüber Schwere emporgeläutert werden mußten. Ein scharfer Schatten fällt quer über den Tempelboden, der Versteinerte steht auf und schickt sich an, die Stufen hinabzusteigen. Jubelnd tönen von oben die Stimmen der ungeborenen Kinder. In Freude verschränken sich alle Stimmen, das eine Paar singt seinen Jubel nach unten, der irdischen Welt entgegen, das andere, vereinigt aufwärtssteigend, singt ihn nach oben, brüderlich tönt ein unsichtbarer Chor darein, der Tempel klingend löst sich auf und wird goldstrahlende Landschaft, ins Irdische hinüberleitend – Schleier ziehen sich vor und geisterhaft tönen die letzten Strophen der ungeborenen Kinder, die bange Gegenwart des Dramas aufhebend:
Vater, dir drohet nichts,
Siehe, es schwindet schon,
Mutter, das Ängstliche,
Das euch beirrte!
Wäre denn je ein Fest,
Wären nicht insgeheim
Wir die Geladenen,
Wir auch die Wirte?