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Fünftes Kapitel.
Ein ränkevolles Spiel

In einem äußerst behaglich eingerichteten Zimmer des Hauses zum Humbrecht saß Fusts Tochter Dyna in angelegentlichem Gespräch mit einem ziemlich kleinen Mann, der in der Mitte der Dreißiger stehen mochte.

»Ich bin besorgt um den Vater,« begann das hübsche Mädchen, »denn die Pariser müssen ein gar rebellisches Volk sein.«

»Nicht mehr und weniger, als die Mainzer,« lautete die Antwort des gutmütig aussehenden Mannes, der aus dem kurmainzischen Städtchen Gernsheim stammte und einesteils dazu berufen war, die Tochter des Hauses zu unterrichten, während er in der Hauptsache den Posten eines Sekretärs bei dem reichen Fust versah.

»Ihr könnt allerdings darüber urteilen, Herr Peter Schöffer,« seufzte Dyna, »denn Ihr waret ja selbst in Paris, wie mir der Vater erzählte.«

»Allerdings,« bestätigte der Genannte, »und meine schönsten Erinnerungen knüpfen sich an die französische Hauptstadt.«

»Was habt Ihr eigentlich dort getrieben?« fragte die neugierige Dyna.

»Manuskripte abgeschrieben,« antwortete Schöffer lächelnd.

»Richtig,« nickte Dyna, »Ihr schreibt ja eine sehr schöne Hand, und ich könnte darin wohl von Euch lernen, denn der Vater sagt, meine Buchstaben sehen genau so verklext aus, wie jene auf den ersten Abdrücken, die der Gutenberg zuwege brachte.« Sie lachte, dann fuhr sie fort: »Allein das Schreiben ist so langweilig, und deshalb werde ich auch wohl nie einen schönen Buchstaben zu malen imstande sein. Habt Ihr denn immer nur abgeschrieben, Herr Kleriker?«

»Oh nein,« gab Schöffer zurück, »ehe ich nach Paris ging, trieb ich zu Heidelberg Rechtsstudien.«

»Hm,« versetzte Dyna naserümpfend, »das ist auch was rechtes. Wenn mir jemand von der Rechtsgelahrsamkeit spricht, so muß ich immer an unsern Stadtsyndikus denken. Mich will bedünken, als ob alle Rechtsgelahrten so häßlich sein müßten, wie er.«

Sie schwieg eine kleine Welle, dann sagte sie mit einem tiefen Atemzug:

»Ich bin so unruhig. Wenn nur dem Vater nichts geschehen ist. Wie er nur auf den Einfall gekommen sein mag, die weite Reise nach Paris zu unternehmen.«

»Daran war ich schuld,« erwiderte Schöffer, »ich beredete ihn dazu.«

»Ihr hättet auch etwas Besseres thun können,« rief Dyna zürnend. »Was will er denn eigentlich in Paris? Schon wiederholt habe ich die Mutter gefragt, ohne von ihr eine genügende Antwort zu erhalten. Ich bin doch wahrhaftig kein Kind mehr, daß man vor mir Geheimnisse birgt? Also Herr Kleriker, was thut der Vater in Paris?«

»Er verkauft einen Teil der Bibeln, die Johannes Gutenberg druckt,« lautete der Bescheid.

»Das konnte er aber auch hier in Deutschland thun,« wandte Dyna ein.

»Das geschieht auch,« versetzte Schöffer, »allein in Frankreich giebt es einen höheren Gewinn.«

»Ach, mein Himmel,« meinte Dyna kopfschüttelnd, »Ihr Männer sprecht immer von Gewinn, und der Vater ist doch so reich.«

»Der Druck und die Herstellung der Bibel hat viel Geld gekostet,« erklärte Schöffer. »Der Herr Vater hat gegen viertausend Gulden darauf verwandt.«

»Viertausend Gulden?« wiederholte Dyna erschrocken. »Das ist ja fürchterlich. Wie viele prächtige Kleider könnten die Mutter und ich dafür haben?«

Sie blickte eine Weile vor sich hin, dann sagte sie:

»Aber der Gutenberg ist doch ein kluger Kopf. Die schönen Abschriften von berühmten Büchern gefallen mir freilich besser, als seine Drucksachen, denn die Buchstaben sind da so eckig und unbeholfen, auch die Schwärze, womit er druckt, läßt viel zu wünschen übrig.«

»Wir wollen es schon besser machen,« erwiderte Schöffer lächelnd.

Dyna blickte ihn fragend an.

»Ihr wißt ja doch,« fuhr er fort, »daß Gutenberg die Lettern nach geschriebenen Buchstaben bilden läßt. Allein der alten Mönchsschrift fehlt jede gefällige Form und macht das Lesen beschwerlich. Man sagt mir nach, daß meine Hand nur schöne Buchstaben bildet. Ich habe bereits mehrere Alphabete zur Auswahl geschrieben und ich glaube, daß Euer Vater danach die Lettern wird anfertigen lassen. Der zweite Druck wird Euch also hoffentlich besser gefallen. Auch hinsichtlich der Druckschwärze habe ich nachgesonnen und gefunden, daß sie viel schöner ausfallen wird, wenn man Kienruß und Oel dazu nimmt. Diese Mischung haftet fest auf Pergament und Papier und bröckelt nicht ab.«

»Das ist ja alles ganz schön und gut,« meinte Dyna, »wenn wir nur erst Nachricht vom Vater hätten –«

»Er ist da! Er ist da!« ließ sich im Treppenhaus die Stimme von Frau Margareth vernehmen.

Dyna schrie freudig auf und eilte aus dem Zimmer. Wenige Sekunden später hielt sie der Vater umschlungen, welcher mit der Gattin und seinem Sohne Johann, der zu Erfurt Licentiat des geistlichen Rechts war und gegenwärtig im elterlichen Hause zum Besuch verweilte, die Treppe herauf stieg.

»Dem Himmel sei Dank, daß Ihr wieder da seid,« äußerte Peter Schösser, welcher Dyna gefolgt war und die Hand des Hausherrn drückte, »Eure Tochter würde sonst vor Angst vergangen sein.«

»Sie hätte wahrhaftig dazu Ursache gehabt,« versetzte Fust, »denn mir ist es zu Paris nicht sonderlich ergangen.«

Die Familienmitglieder erschraken, Schöffer dagegen stieß die Frage hervor:

»So habt Ihr Euren Zweck nicht erreicht?«

»Ich bringe keine einzige Bibel zurück,« antwortete Fust, »alle sind verkauft und in meiner Ledertasche klimperts recht lustig.«

»Nun also?« fragte Schöffer überrascht.

»Laßt mich erst zur Ruhe kommen,« erwiderte der Hausherr, »und Du, Dyna, hole mir einen Krug Rheinwein aus dem Keller; ich habe den vaterländischen Rebensaft lange genug entbehrt.«

Alles beeiferte sich, den Wünschen des zurückgekehrten Hausherrn zuvorzukommen und ihm den Aufenthalt in dem traulichen Wohngemach recht behaglich zu gestalten.

Bald nachher saß er in seinem weichen Lehnstuhl, und nachdem er einen Imbiß zu sich genommen und von dem kühlen Rheinwein geschlürft, sagte er:

»Ja, Kinder, mir ist's zu Paris schlecht ergangen. Viel hätte nicht gefehlt, so wäre ich dem Tod auf dem Scheiterhaufen erlegen.«

Die Zuhörer schrieen entsetzt auf und die weinende Dyna klammerte sich an den Vater.

»Nun, nun,« beruhigte dieser, »meine Anwesenheit beweist Euch ja, daß ich der Gefahr noch glücklich entronnen bin. Also hört zu: Ich war mit meinen Bibelvorräten kaum in Paris angelangt, als ich auch schon einen großen Teil davon an den Mann gebracht hatte, und zwar ein jedes Stück zu fünfzig und auch zu sechzig Kronen. Der ungeheuer geringe Preis verschaffte mir schnell Käufer in Menge, denn die Manuskriptschreiber zu Paris fordern für jede Abschrift der Bibel fünfhundert Kronen. Daß mir unter solchen Verhältnissen viele Neider und Feinde entstanden, könnet Ihr Euch denken. Sie paßten mir gewaltig auf, und der Umstand, daß ich der übergroßen Nachfrage nach Bibeln stets Rechnung tragen und neue Exemplare zu schaffen vermochte, erregte ihr Mißtrauen. Nur zu bald fanden sie heraus, daß alle von mir verkauften Bibeln vollständig gleich seien und die Buchstaben einander ähnelten, wie ein Ei dem andern. Meine Gegner beuteten diese Entdeckung aus und bald hieß es in Paris: die von mir verkauften Exemplare seien nicht geschrieben, sondern auf eine Art gefertigt, welche weniger Zeit, Mühe und Kosten erfordere. Die Käufer glaubten sich von mir betrogen, während der übrige Teil der Bevölkerung die Ueberzeugung hegte, daß das alles nicht mit rechten Dingen zugehe und ich unbedingt ein Zauberer sein müsse.«

Bei der furchtbaren Strenge, mit welcher die peinlichen Gerichte der damaligen Zeit gegen derartige verdächtige Personen vorgingen, läßt sich der Schreck ermessen, in welchen die Familie bei dieser Mitteilung des Vaters geriet.

Derselbe fuhr fort:

»Meine Wohnung ward durchsucht und ich vor das Parlament geladen, um mich gegen die erhobene Anklage zu verantworten. Nachdem ich die Zusicherung erhalten, daß die Mitteilungen über meine geheime Kunst der Oeffentlichkeit entzogen bleiben sollte, sobald die Richter sich von meiner Unschuld überzeugt, teilte ich denselben das Druckverfahren mit und entging dadurch dem gewissen Feuertod.«

»Hoffentlich hält das französische Parlament sein Wort und wird nicht zum Verräter,« meinte Schöffer.

»Ich halte die Richter für Ehrenmänner,« erwiderte Fust, und ging nunmehr auf geschäftliche Dinge über, welche die Druckerei und Gutenberg betrafen.

Schöffer verfehlte dabei nicht, die Aufmerksamkeit des Hausherrn auf sich zu lenken. Er legte ihm die angefertigten Alphabete vor, deren kalligraphische Schönheit Fusts Bewunderung erregten. Der letztere erteilte schon am nächsten Tage den in der Druckerei angestellten Formschneidern den Auftrag, neue Lettern nach den Vorlagen Peter Schöffers anzufertigen.

Obgleich Fust es nicht für nötig gehalten hatte, zuvor Gutenbergs Meinung einzuholen, so zeigte sich dieser doch sehr erfreut über Schöffers Idee. Auch der verbesserten Druckschwärze desselben zollte er seinen Beifall und in seiner Uneigennützigkeit äußerte er zu Fust:

»Den talentvollen Kleriker sollten wir als Teilhaber in unser Geschäft aufnehmen.«

»Das habe ich auch vor,« erwiderte Fust, aber in einem Tone, der nur zu deutlich durchblicken ließ, daß er sein Vorhaben auch ohne Gutenbergs Einwilligung ausgeführt haben würde.

Vielleicht hätte Fust dem Schönschreiber sein Wohlwollen nicht in dem Maße zugewandt, wäre nicht Dyna seine Lobrednerin gewesen. –

Das Mädchen gehörte zu jenen verzogenen Kindern, wie sie bei reichen Leuten vorzukommen pflegen. Die Eltern erfüllten Dyna jeden Wunsch, denn sie war das Nesthäkchen und das einzige Kind, welches stetig im väterlichen Hause verweilte. Der Sohn kam nur selten und harmonierte durch die Richtung, welche sein geistiges Leben infolge der theologischen Studien erhalten, nicht besonders mit den Eltern. Er dachte und fühlte edler als sie, er urteilte absprechend über das Glück, reich zu sein. Die Jüngerschaft Christi galt ihm mehr, als alle Schätze der Welt; wer aber dem Heiland in Wahrheit folgen will, muß sein Kreuz aufnehmen und sich aller irdischen Güter entäußern. Der Umstand, daß Johann auf das elterliche Haus verzichtete, ärgerte den Vater derart, daß er fortan kühler gegen den Sohn ward und seine Liebe ausschließlich auf Dyna übertrug. Sie zeigte sich dankbarer, als Johann, sie freute sich wie ein Kind, wenn der Vater ihr ein Geschenk überbrachte oder eine Ueberraschung bereitete. Fust ging nichts über das heitere Lachen seiner Tochter, und damit er es recht oft zu hören bekam, überhäufte er sie mit Geschenken. Sie brauchte einen Wunsch nur auszusprechen, und er ward erfüllt. So vermochte sie mit der Zeit alles bei ihm zu erreichen, und nur in einem Punkte zeigte sich der Vater streng: nämlich was das Lernen betraf.

»Wenn der Mensch nichts weiß,« pflegte er zu äußern, »so ist er auch nichts und kann auf die Achtung seiner Nebenmenschen keinen Anspruch erheben. Darum muß man in der Jugend fleißig lernen, und jedes Kind soll Gott danken, wenn es Eltern besitzt, welche die Mittel haben, ihm eine wissenschaftliche Ausbildung zuteil werden zu lassen.«

Um den Vater nicht zu erzürnen, mußte sich Dyna seinem Gebot fügen und lernen. Das kam ihr aber sauer genug an, zumal sie der entgegengesetzten Ansicht huldigte, daß die Tochter reicher Eltern von dem »gelehrten Zeuge« nichts zu wissen brauche und die Zeit für ihre Toilette besser benützen könne.

Das Fustische Haus hatte schon verschiedene Lehrer gesehen, welche der Vater für seine Tochter verschrieben; doch keiner hielt lange aus, teils aus Aerger über die dem Lernen abgeneigte Dyna, teils aus Verdruß über die zahlreichen Vorwürfe, mit welchen Fust stets bei der Hand war, wenn er merkte, daß seine Tochter nichts lernte. Er schob natürlich den Lehrern alle Schuld in die Schuhe, und so kam es, daß sich Dyna oft halbe Jahre lang ohne Präzeptor befand, denn die Lehramtspraktikanten fürchteten sich vor einer Stellung im Fustischen Hause.

Da führte dem Letzteren ein Zufall den Peter Schöffer zu. Was bisher keinem seiner Vorgänger möglich gewesen, gelang ihm, nämlich das Interesse seiner Schülerin für verschiedene Lehrgegenstände zu erregen. Dies kam daher, daß er es verstand, dem ungeduldigen Mädchen auf eine spielende Art das Wissensnötige beizubringen. Er unterrichtete Dyna plaudernd, und sie errang sich Kenntnisse, ohne daß sie es merkte. Sie hörte – wie sie gegen die Eltern äußerte – den Kleriker so gern erzählen. Dabei lernte sie ihn schätzen und achten, und als sich jetzt sogar herausstellte, daß Schössers Talente sich auch auf das technische Gebiet erstreckten, wie seine angebahnten Verbesserungen des Bibeldrucks bewiesen, da blickte Dyna mit wirklicher Begeisterung auf den äußerlich so unscheinbaren Mann und ward nicht müde, sein Lob zu verkündigen.

Diese Anerkennung seitens der Tochter genügte Fust, dem Kleriker sein Wohlwollen zuzuwenden. Peter Schöffer bot seinerseits alles auf, sich desselben würdig zu zeigen, und da er jetzt alltäglich die Druckerei besuchte, so fand sein scharfer Blick alsbald diese und jene Mängel heraus, welche dringend der Abhilfe bedurften.

Zunächst erkannte er, daß das von Gutenberg bei dem Gießen der Buchstaben beobachtete Verfahren mehr Zeit und Kosten erforderte, als nötig war, und die Ränder der Lettern nicht so glatt erscheinen ließ, als es ein sauberer Druck erforderte. Den von Gutenberg gebrauchten Werkzeugen hafteten gleichfalls große Unvollkommenheiten an. Das Material der Matrizen, wie jene viereckigen Metallstücke genannt wurden, in welche, mittelst des Stahlstempels (Patrize), ein Buchstabe vertieft eingeschlagen wird, erschien Peter Schöffer zu weich. Daher wählte er, statt des Bleis, das um vieles festere Kupfer. Auch eine zweckmäßigere Mischung für den Guß der Lettern stellte er her, wodurch dieselben eine derartige Härte erhielten, daß sie beim Gebrauch der Abnützung länger widerstanden, als bisher.

Es waren dies gewiß alles namhafte Verbesserungen und niemand wird das Verdienst Peter Schöffers bestreiten wollen. Trotzdem würde Gutenberg auch ohne ihn zur Vollendung seiner weltbewegenden Erfindung gelangt sein, wie denn überhaupt Verbessern leichter, als Erfinden ist. Zu dem letzteren gehört ein wirklich genialer Kopf, während für das erstere der Verstand eines praktischen Menschen genügt.

Das sah aber Johann Fust nicht ein oder wollte es vielmehr nicht einsehen. Ueber die durch Schöffers Verbesserungen erzielten mustergültigen Probeabdrücke vergaß er die großen Verdienste Gutenbergs, und in recht geringschätzender Rede erging er sich über den ersten Bibeldruck, indem er, die letzte Seite der zwei Foliobände aufschlagend, äußerte:

»Ich bin nur froh, daß der Name der Drucker nicht genannt ist. Ich würde mich sonst wahrhaft schämen.«

Die Bücher erschienen nämlich damals noch ohne Titelblatt. Der Titel ward erst am Ende eines jeden Werkes mit dem Namen der Druckerei genannt.

Gutenberg erwiderte nichts auf die lieblose Rede seines Genossen. Still und bescheiden ging er seinen Geschäften nach, war unermüdlich in der Beaufsichtigung der Druckerei und sorgte selbst dafür, daß die durch Schöffer bewirkten Verbesserungen in der Praxis möglichst bald angewandt werden konnten.

Während der Abwesenheit von Fust hatte sich der Stadtsyndikus öfters in der Druckwerkstätte eingefunden, um mit Gutenberg zu plaudern. Er fühlte sich mehr und mehr zu dem bescheidenen und doch so genialen Manne hingezogen, der mit ihm in vielen Dingen sympathisierte. Nur in einem Punkte gingen ihre Meinungen auseinander. Humery war nämlich ein so glühender Verehrer der Freiheit, daß er in seiner Begeisterung womöglich alle Schranken niederriß, während Gutenberg sich demütig den bestehenden Gesetzen beugte. Sie hatten wiederholt darüber disputiert, ohne eine Einigung zu erzielen. Ihr Streit hatte auch das mißliche Verhältnis berührt, welches zwischen dem Erzbischof und den Mitgliedern des Domkapitels bestand. Gutenberg verteidigte die Charakterfestigkeit Diethers, der sein einmal gegebenes Wort nicht brechen wollte, bis die Macht der Verhältnisse ihn zu dem Bund mit Friedrich von der Pfalz nötigte. Humery stand auf der Seite der Domherren, schalt Diether einen Pedanten, der keine Ahnung von der Freiheit des Geistes besitze und sich jedem Joche willig beuge. Der friedliebende Gutenberg hatte den Syndikus gebeten, die Streitfrage fallen zu lassen, weil eine Einigung ja doch nicht möglich sei.

Da Humery seitdem nicht wieder in der Druckerei erschienen war, so fürchtete Gutenberg, ihn durch seine Bitte verletzt zu haben. Indessen irrte er sich, denn der Syndikus suchte ihn an dem heutigen Tage auf, welchen Fust zu einer Reise nach Worms benützt hatte.

»Ihr werdet Euch über mein längeres Ausbleiben gewundert haben,« redete Humery den erfreuten Gutenberg an, »aber ich kam nicht, weil ich die Gesellschaft Eures Genossen Fust nicht liebe. Gestern Abend erfuhr ich, daß er heute abwesend sein wird, und diese Gelegenheit benütze ich gern, um Euch zu besuchen.«

»Ich habe Euch wiederholt abends in meiner Wohnung erwartet,« erwiderte Gutenberg.

»Ich habe meine Abende nicht frei,« gestand der Syndikus ein, »sie gehören meinen lustigen Zechbrüdern. Kommt einmal mit in unsere fröhliche Gesellschaft; ich bin gewiß, es wird Euch dort gefallen.«

»Ich passe nicht für so heitere Kreise,« sagte Gutenberg ausweichend, »sondern fühle mich, wenn der Abend kommt, am glücklichsten daheim.«

»Ihr seid ein wunderlicher Geselle,« lachte Humery. »Was aber den Diether anlangt, so habt Ihr doch recht gehabt. Das ist ein Mann, vor dem ich jetzt tief mein Barett ziehe.«

»Eure Sinneswandlung freut mich,« sagte Gutenberg lebhaft, »wennschon ich sie mir nicht zu deuten vermag.«

»So habt Ihr keine Kenntnis von dem mutigen Schritt, d« Diether gethan hat?« rief der Syndikus.

Gutenberg verneinte.

In diesem Augenblick trat Peter Schöffer durch einen Bretterverschlag, welcher den großen Druckraum in zwei Teile schied. Der Kleriker grüßte zuvorkommend und machte sich an dem Arbeitstisch Johann Fusts zu schaffen.

»Der Gesell konnte auch wegbleiben,« brummte Humery ärgerlich, fügte aber, auf eine bittende Geberde Gutenbergs, sofort laut hinzu:

»Ich habe gehört, daß Ihr, Herr Kleriker, eine Zeit lang rechtswissenschaftliche Studien getrieben. Was haltet Ihr denn vom juristischen Standpunkt aus von den reformatorischen Bestrebungen, die schon seit Anfang unseres Jahrhunderts im Gange sind?«

Er spielte damit auf den Satz an, welcher auf den Konzilien zu Pisa und Konstanz zu Recht erhoben worden war: daß die allgemeine Kirchenversammlung die höchste Autorität des kirchlichen Lebens sein solle, unter welche auch der Papst sich beugen müsse. Diesem Grundsatz gemäß faßte das vom Jahre 1431 bis 1443 dauernde Konzil zu Basel seine Beschlüsse, von denen namentlich jener eine weittragende Bedeutung gewann, welcher eine Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern anstrebte. Indessen blieb es bei dem Beschluß, denn Kaiser Friedrich III. sorgte dafür, daß derselbe nicht zur Ausführung kam.

»Nach dem Gesetz ist jeder strafbar, der sich dem Gebot seiner Obrigkeit widersetzt,« erwiderte Peter Schöffer nach kurzer Pause. »Vom rein menschlichen Standpunkte aus kann man dagegen jeden Fortschritt, der wirklich Gutes anstrebt, willkommen heißen.«

»So haltet Ihr es also auch mit den Beschlüssen des Baseler Konzils?« fragte um vieles freundlicher der Syndikus.

»Ganz gewiß,« lautete Schöffers Antwort, »gehöre ich ja doch zu den Anhängern Gregors von Heimburg.«

Die Erwähnung dieses geistigen Freiheitshelden, der ein Vorkämpfer Luthers und Ulrichs von Hutten war und lieber seine einträgliche Stelle als Sekretär bei Aeneas Sylvius, dem nachmaligen Papste Pius II, niedergelegt hatte, als daß er mit seinen Ansichten über die päpstliche Gewaltherrschaft zurückhielt, – diese Erwähnung Gregors von Heimburg machte auf Humery und Gutenberg einen verschiedenen Eindruck.

Der schlichte Meister wollte nichts von Ueberhebungen gegen die Obrigkeit wissen, während der Syndikus für jeden Mann schwärmte, der eine Lanze für Recht und Freiheit brach.

»Das lobe ich mir an Euch,« rief er, Peter Schöffer die Hand drückend. »Es wird Euch daher auch doppelt freuen, zu erfahren, daß Diether von Isenburg in die Fußtapfen Gregors getreten ist und einen Fürstentag nach Nürnberg berufen hat, um ein neues Konzil zustande zu bringen, auf welchem eine allgemein gültige Verordnung für die deutsche Kirche, sowie eine Reichsreform beraten und vom Kaiser gefordert werden soll.«

»Das ist recht von dem Erzbischof,« versetzte Peter Schöffer, »und beweist seinen Mut.«

»Ich habe dem Manne seither so schweres Unrecht angethan,« fuhr der Syndikus fort, »indem ich ihn unter die große Menge warf, die ihrem Herrn immer knechtischen Gehorsam entgegenbringt.«

»Wir sollen unterthan sein der Obrigkeit, die Gewalt über uns hat,« widersprach Gutenberg, »so gebietet es die heilige Schrift, unser erstes Druckwerk.«

»Alle Achtung vor Eurer Erfindung und den Weisheitslehren der Bibel,« versetzte Humery, »allein Gott hat uns als freie Menschen das Licht der Welt erblicken lassen.«

»Wer Amt und Würden übernimmt,« entgegnete Gutenberg, »ist nicht mehr frei, denn er hat heilige Pflichten zu erfüllen.«

»In diesem Falle würden wir nie einen Kämpfer für Freiheit und Recht gehabt haben,« rief der Syndikus ungehalten. »Ihr scheint ein Freund von Ketten und Banden zu sein.«

»Ihr irrt,« lautete Gutenbergs ruhige Gegenrede, »ich liebe die Freiheit wie Ihr.«

»Nun also,« eiferte Humery, »wie vermögt Ihr dann so sonderbare Behauptungen aufzustellen?«

»Wer der Freiheit eine Gasse bahnen will,« erklärte Gutenberg, »muß ohne die Fesseln sein, welche die Pflicht jedem auferlegt, der sich in irgend einem Amt befindet. Wäre Diether von Isenburg als Erzbischof dem Papste nicht Gehorsam schuldig, so würde ich sein Vorhaben nicht tadeln, doch so –«

Der Syndikus ließ ihn nicht ausreden. Humery geriet selten in Hitze, wenn es aber einmal geschah, dann kannte er keine Rücksicht. Seine zornige Rede, die er jetzt gegen Gutenberg schleuderte, enthielt für diesen viel Beleidigendes, daß er als ein friedliebender Mann sich genötigt sah, den Raum zu verlassen und sich in den anstoßenden Drucksaal zu begeben.

Das reizte Humery nur noch mehr und er eiferte noch eine ganze Weile fort, ehe er sein Barett auf das Haupt setzte und zornig davon stürmte.

Als am nächsten Tage Johann Fust zurückkehrte, bat ihn Peter Schöffer um eine Unterredung unter vier Augen.

Zeigte sich schon darüber der Hausherr etwas erstaunt, so nahm seine Verwunderung noch mehr zu, als der Kleriker ihn um die Hand seiner Tochter ansprach und seine Werbung mit den Worten schloß:

»Willigt Ihr nicht ein, Herr Fust, so zwingt Ihr mir den Wanderstab in die Hand.«

»Oho, – warum?« rief der Hausherr unwirsch.

»Weil ich als ein vermögensloser Mann danach trachten muß, mir eine Stellung zu erringen, die mir ein sorgenloses Alter sichert,« lautete Schöffers Bescheid.

Diese Fürsorglichkeit gefiel Fust.

»Ei nun,« versetzte er in wieder gutgelauntem Tone, »ich habe vor, Euch als Geschäftsteilhaber aufzunehmen.«

»Das ist sehr schön von Euch,« meinte Schöffer, »dennoch zweifle ich, daß das Druckgeschäft vorerst soviel Gewinn abwerfen wird, daß sich drei Gesellschafter davon ernähren können.«

Fust warf dem Sprecher einen vielsagenden Blick zu, den er mit den Worten begleitete:

»Gewinnbringender würde es freilich sein, wenn wir nur unserer zwei wären. Gäbe ich Euch die Dyna zur Frau, so hättet Ihr dann noch mehr Sorgen.«

»Wir würden die Sorgen teilen, Väterchen,« ließ sich jetzt die Stimme des lauschenden Mädchens vernehmen, dessen hübscher Kopf in dem Spalt der leise geöffneten Thür auftauchte.

Der Vater lachte. Sie umschlang liebkosend seinen Hals und fuhr fort:

»Ein jeder gute Vater giebt seinem Töchterchen eine hübsche Aussteuer mit, namentlich wenn er so reich ist, wie Du; dann aber gerät der Peter in keinerlei Sorgen.«

»Das glaube ich Dir gern,« rief Fust unter neuem Lachen. »Wir wollen uns die Sache überlegen.«

Damit endete vorläufig das Gespräch, ward aber noch am Abend desselben Tages eifrig weiter fortgesetzt und die Angelegenheit zu einem endgültigen Beschluß gebracht. Derselbe schien alle zu befriedigen, denn sowohl Fust, als seine Tochter und Peter Schöffer befanden sich in äußerst fröhlicher Stimmung.

Am nächsten Morgen dagegen trat Fust um so verstimmter in das Geschäftslokal.

Gutenberg achtete nicht auf seine üble Laune, die ihm schon längst nichts Neues war, und ging in seiner stillen Weise ein und aus.

»Hört einmal,« rief ihm Fust plötzlich zu, »ich habe zu meiner großen Verwunderung vernommen, daß Euch der Stadtsyndikus in meiner Abwesenheit besucht; das verbitte ich mir.«

Gutenberg blickte hochverwundert von einer Matrize auf, die er eben in der Hand hielt und prüfend betrachtete. Er hatte zwar schon mehrfache Beweise von der großen Rücksichtslosigkeit seines Geschäftsgenossen erhalten, sein heutiges Auftreten überbot jedoch alle seine bisherigen Anmaßungen.

»Ihr vergeßt wohl,« fragte Gutenberg mit ruhiger, aber vor innerer Erregung doch zitternder Stimme, »daß wir in unsern Rechten einander gleich sind und daß ich nicht zu Euren Untergebenen gehöre, denen Ihr bezüglich ihres Umgangs vielleicht Vorschriften machen könntet.«

»Es kümmert mich wenig, mit wem Ihr umgeht,« erwiderte Fust protzig, »meinetwegen könnt Ihr Humery vor lauter Freundschaft aufessen, aber hierher darf er nicht wieder kommen.«

»Ein solches Verbot steht Euch nicht zu,« versetzte Gutenberg noch immer ruhig.

»Wirklich nicht?« rief Fust höhnisch. »Wer hat denn dieses Haus hier gemietet und wer bezahlt denn den Zins, he, ich oder Ihr?«

»Das werdet Ihr wohl selbst am besten wissen,« gab Gutenberg zurück.

»Nun also,« polterte Fust, »ich bezahle ihn. Mithin habe ich auch das Recht, fremden Personen, die mir unangenehm sind, den Eingang zu verwehren. Wer bürgt mir überhaupt dafür, daß dieser Humery nicht in der Absicht hierher kommt, um unsere Geheimnisse zu erforschen?«

»Ihr wißt recht gut, daß der Stadtsyndikus in seiner bevorzugten Stellung nach anderen Geschäften nicht auszuschauen braucht,« widersprach Gutenberg in seiner gelassenen Weise. »Auch würde es ihm wahrhaftig schwer fallen, etwas zu erforschen, da er den jenseitigen Raum der Druckerei nie betritt.«

»Das ist mir gleich,« rief Fust, »ich verbitte mir seine Besuche, denn ich bin der Herr des Raumes.«

»Seid doch nicht ungerecht,« erwiderte Gutenberg, alle zornigen Gefühle unterdrückend. »Wie würde es denn Euch vorkommen, wenn ich plötzlich dem Peter Schöffer wehren wollte, irgend ein Werkzeug, das sich in diesem Raum befindet, in die Hand zu nehmen? Ich hätte aber doch ein Recht dazu, da mir das gesamte Druckzeug gehört.«

Daß Gutenberg einen derartigen Vergleich aufzustellen wagte, erhöhte die zornige Stimmung von Fust.

»Gehört Euch wirklich das Druckzeug?« rief er, während sich sein Antlitz dunkelrot färbte. »Ich denke vielmehr, daß ich darauf Anspruch zu machen habe, denn es ist mein Unterpfand für die wiederholten Darlehen, die ich Euch bewilligte, von denen ich aber noch keinen Pfennig zurückerhalten habe.«

»Häuft nicht Unrecht auf Unrecht,« gab Gutenberg zu bedenken. »Ihr wißt recht gut, daß unser Geschäft noch neu ist und wir erst allmählich auf einen größeren Nutzen rechnen dürfen. Die Neuanschaffungen haben viel Geld verschlungen.«

»Daran braucht Ihr mich just nicht zu erinnern,« polterte Fust, der offenbar bestrebt schien, sich in immer größeren Zorn hineinzureden. »Die Euch vorgestreckten sechszehnhundert Gulden sind nicht das einzige Opfer, was ich gebracht habe. Was hat allein der Druck der Bibel für Summen verschlungen!«

»Ihr sagtet mir doch,« wandte Gutenberg ein, »daß Ihr mit dem Geschäft in Paris zufrieden gewesen wäret.«

»Deshalb bin ich noch lange nicht zu meinen Kosten gekommen,« rief der zornige Mann. »Ich aber brauche mein Geld, denn ich muß demnächst meiner Tochter eine würdige Aussteuer geben, deshalb ersuche ich Euch ernstlich, dafür sorgen zu wollen, daß ich binnen jetzt und vierzehn Tagen meine Darlehen zurückerhalte.«

Gutenberg sah den Sprecher hochüberrascht an.

»Ist das Euer Ernst oder scherzt Ihr nur?« fragte er mit tonloser Stimme.

Fust lachte laut auf und rief:

»Der Ausdruck meiner Mienen spart Euch diese müßige Frage.«

»Nun wohlan,« hub Gutenberg nach kurzer Pause an, »so sage ich Euch, daß ich außer stande bin, Eure Forderung zu erfüllen.«

»Gut,« schrie Fust, »so schließe ich das Geschäft und rufe den Richter an.«

»Ich vermag es Euch nicht zu wehren,« versetzte Meister Johannes, »aber ich bleibe trotzdem ruhig, da ich weiß, daß Ihr Euch im Unrecht befindet.«

»Hahaha, das wollen wir abwarten!« rief Fust, stülpte seine Pelzmütze auf und verließ, die Thüre heftig hinter sich zuschlagend, das Lokal.


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