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Erstes Kapitel.
In der Trinkstube der Domherren

Auf der Südwestseite des imposanten, mit sechs Türmen verzierten Mainzer Doms breitete sich ein viereckiger Platz aus, der Hof genannt, welcher ringsum durch Häuser, Mauern und zwei Thore begrenzt wurde. Das nach dem Speismarkt führende Thor hieß das Bischofsthor, während jenes der Johanneskirche zugewandte das obere Hofthor genannt wurde. Die Gebäude des Platzes gehörten fast ohne Ausnahme zum erzbischöflichen Hofstaat, und daher mochte denn auch die Benennung »Auf dem Hof« herstammen. Dicht bei der Domkirche erhob sich ein Gebäude, welches den Namen »Zum Tiergarten« führte. Dort pflegten die Erzbischöfe einzukehren, wenn sie von ihren Schlössern, wo sie sich gewöhnlich aufhielten, nach Mainz kamen.

Im Mittelalter herrschte überhaupt die Sitte, den Häusern eigene Namen zu geben, namentlich in den freien, am Rhein gelegenen Städten. Man verfolgte dabei den Zweck, jedes Haus auf eine leichte Art, ohne vorherige Beschreibung bezeichnen zu können. Der Name ward entweder auf der Giebelwand oder auf ein an derselben befestigtes Schild mit großen Buchstaben gemalt. Seitdem man die Gebäude einer Stadt mit Zahlen oder Buchstaben zu bezeichnen pflegt, sind jene Benennungen verschwunden und haben sich nur noch in den Namen der Gasthäuser bis auf unsere Zeit erhalten.

Unweit von dem Haus zum Tiergarten erhob sich das Gebäude des »weltlichen Gerichts« und dicht daneben befand sich die Trinkstube der Domherren. Sie bildeten das Kollegium des Domkapitels, welches aus einem Propst, dem Dechanten, Scholastikus, Kantor, Kustos und noch mehreren andern Domherren bestand, und den Rat des Erzbischofs bildete. In früherer Zeit hatten die Kanonici in strenger Klausur gelebt, gleich den Mönchen in den Klöstern; seitdem aber die jüngeren Söhne altadeliger Familien in das Domkapitel eintraten, entzogen sie sich dieser Verpflichtung und verzehrten ihre Präbenden (Pfründen) in besondern Amtswohnungen.

Die Trinkstube der Domherren heimelte den fremden Besucher nicht eben an. Am Tage vermochte das Licht nicht genug durch die schmalen, runden Fenster zu dringen, um den dunkelgetäfelten Raum zu erhellen, und am Abend erwies sich die spärliche Beleuchtung ebenso ohnmächtig, denn auf dem hölzernen, von der Decke in horizontaler Richtung herabhängenden Kreuze brannten nur fünf Lichter, deren Schein nicht einmal bis in die Ecken der Trinkstube drang. An der Rückwand befand sich eine mit einem Schieber versehene Oeffnung, hinter welcher ein Laienbruder hauste, der die Wünsche der vornehmen Gäste mit möglichster Eile ausführte. Hatte er Speise und Trank durch die Oeffnung gereicht, so ward von den vorsichtigen Domherren der Schieber wieder zugezogen, denn die Gespräche der Kanonici eigneten sich zumeist nicht für fremde Ohren. Dies galt ganz besonders jetzt, wo eine Mißstimmung gegen ihren Erzbischof Diether von Isenburg herrschte.

Derselbe war bis kurz zuvor der Kustos des Domkapitels gewesen und hatte mit seiner Ernennung zum Erzbischof eine unangenehme Verpflichtung übernommen, welche ihm sein Vorgänger auferlegt. Dieser hatte nämlich mit dem Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg einen festen Bund gegen den Kurfürsten Friedrich von der Pfalz geschlossen. Bei der Macht des Letzteren, der von seinen Freunden der Siegreiche, von seinen Feinden dagegen der »böse Fritz« genannt wurde, war es vorauszusehen, daß jenes von Diether aufrecht erhaltene Bündnis in nicht allzu ferner Zeit eine Fehde herbeiführen würde, welche für das Mainzer Domstift verderblich werden mußte.

Vergebens hatten die Domherren ihren Erzbischof bestürmt, dem unheilvollen Bunde zu entsagen. Diether pflichtete ihren Befürchtungen zwar bei, war aber ein zu großer Ehrenmann, um sein einmal verpfändetes Wort zu brechen. Dies gab den Grund zu einer Spannung zwischen ihm und seinen Domherrn, denen an ihrer behaglichen Ruhe viel gelegen war.

Zur heutigen Abendzeche hatten sie sich in ihrer Trinkstube vollzählig versammelt und saßen um den dunkelgebeizten Eichentisch, der inmitten des Zimmers unter dem herabhängenden Kreuze stand. Nur der Domdechant Otto von Rüdesheim fehlte noch. Als aber der Scholastikus Gerhard von Eppstein, ein ziemlich pedantisch aussehender Mann, dies tadelnd bemerkte, flüsterte ihm der Kantor einige Worte zu, welche den gestrengen Herrn sofort besänftigten. Er erhob sich und schritt nach der hintern Zimmerecke, woselbst er eine geheime Thür öffnete, durch welche er verschwand. Fünf Minuten später kehrte er in Begleitung eines ihn um Kopfeslänge überragenden Mannes zurück, der jedoch am Eingang stehen und bei dem herrschenden Halbdunkel des Raumes vollständig verborgen blieb.

Gleich nachher öffnete sich der Haupteingang, auf dessen Schwelle der Domdechant mit einem Gast erschien, dessen Eintritt in die Trinkstube eigentlich nicht gestattet war, da er ein weltliches Amt verwaltete.

Der Dechant begab sich daher sofort zu dem Propste, dem Grafen von Lichtenau, welcher den Vorsitz am Tische führte und, behaglich zurückgelehnt, auf einem breiten Lehnstuhle saß.

»Gestattet Ihr wohl,« begann der Dechant, »daß der Stadtsyndikus Doktor Humery an unserer Abendzeche teilnehmen darf?«

Der Propst faltete die Hände über dem runden Bäuchlein und blickte äußerst vergnügt zu dem des Bescheides harrenden Gaste hinüber.

»Ei,« rief er mit seiner tiefen Stimme, »das ist ja eine besondere Ehre, die der Stadtsyndikus uns durch seinen Besuch zuteil werden läßt! Was werden Eure lustigen Zechbrüder sagen, Meister Humery, wenn Ihr sie imstiche laßt?«

»Sie werden sich ohne mich behelfen,« lautete der Bescheid des fremden Gastes, »denn es wäre schlimm, wenn der Humor unserer Gesellschaft von mir allein ausginge.«

Der Stadtsyndikus war der Stifter einer fröhlichen Vereinigung von Gelehrten und Künstlern, welche sich zu heitern Zechgelagen zusammenfanden und eigene Spottnamen führten. Humery war der Präsident der Gesellschaft, die alljährlich zur Faschingszeit die Mainzer Einwohnerschaft durch einen originellen, öffentlichen Umzug erfreute.

»Eigentlich,« fuhr der Propst in gemütlichem Tone fort, »sollte ich Euch den Zutritt in unsere Gemeinschaft wehren, denn in Euren Adern fließt das Blut des Eulenspiegels, dessen lose Streiche ich erst dieser Tage in der Sachsenchronik gelesen. Wer steht mir dafür, daß Ihr beim nächsten Fasching uns harmlose Zecher auf der Weltbühne bringt? Ich sehe mich schon im Geiste in dem spottsüchtigen Zuge, mit meinem runden Korpus und meinem vollwangigen Gesicht.«

»Darüber könnt Ihr ruhig sein, hochwürdiger Herr,« erwiderte Humery, der noch immer am Eingang stand, »denn ohne Euere lieben, freundlichen Augen wäre eine Kopie von Eurer Person unmöglich; ich aber wüßte in unserer lustigen Gesellschaft niemand, der sich eines so herrlichen Schmuckes rühmen könnte.«

»Ei, seht doch,« lachte der Probst, »welch Honigseim in Euern Worten liegt. Ich erkenne den scharfen Doktor juris nicht wieder, welcher unserm Stift vor etlichen 20 Jahren, als es einen Rechtsstreit mit der Stadt Mainz führte, so entsetzlich zu schaffen gemacht hat.«

»Euere Rache war herber, als die Schneidigkeit meiner Worte,« versetzte Humery, »denn Ihr thatet mich mit dem gesammten Magistrat in den Kirchenbann.«

»Und trotzdem wollt Ihr jetzt an unserer Abendzeche Euch beteiligen?« fragte in scherzendem Tone der Propst, während er das rechte Auge zukniff und den vor ihm stehenden Weinkrug gegen den Stadtsyndikus schwenkte.

»Weil die Jahre die Meinungen der Menschen ändern,« entgegnete Humery, »und eine Zeit gekommen ist, wo unsere Interessen wieder friedlich zusammenlaufen.«

»Ja nun,« rief der Propst gutgelaunt, »so tretet ein und laßt Euch an unserem Tische nieder. Auch möge Euch,« fuhr er fort, die Hand des nähergekommenen Syndikus schüttelnd, »der Rebensaft wohl behagen, denn er stammt vom Rüdesheimer Berg und ist ein gar liebliches Geschenk unseres ehrwürdigen Domdechanten.«

Dabei nickte er dem zuletzt Genannten freundlich zu und leerte den Rest seines Kruges.

Bei dem Kerzenlicht, welches jetzt auf Humery fiel, trat dessen scharfgeschnittenes Profil lebhaft zutage. Das dunkle Haupthaar lief auf der Stirn in eine Schneppe aus, wodurch die eingefallenen Schläfen noch auffälliger erschienen; unter den sich von der Nasenwurzel aufwärtsziehenden Brauen ruhten zwei kleine grüne Augen wie im Hinterhalt. Die scharf abwärts gekrümmte Nase blickte auf einen bartlosen Mund, der sich beim Reden spöttisch verzog, und das längliche Gesicht erschien durch den spitzen Kinnbart noch gestreckter.

Nachdem der Syndikus von dem Wein genippt, der ihm durch den Dechanten kredenzt worden war, sah er sich mit einem vielsagenden Blick im Kreise um und sagte dann:

»Habt Ihr die Kunde schon vernommen von dem neuen Siege des bösen Fritz!«

»Nein,« riefen die Domherren, »was hat's denn gegeben?«

Der Stadtsyndikus blickte spöttisch in seinen Weinkrug, von diesem zu den brennenden Lichtern des Kreuzes empor und fuhr dann fort:

»Er hat die Lützelsteiner Grafen nicht nur besiegt, sondern ihr Land mit der Pfalz vereinigt.«

Ein allgemeiner Aufschrei erfolgte und der Propst fuhr mit der Hand über das kahle Haupt.

»Das ist jedoch noch nicht alles,« begann der Stadtsyndikus abermals. »Er hat auch den Herzog von Veldenz gedemütigt und mit Baden Frieden geschlossen.«

»Oh,« ächzte der Propst, »nun kann's mit Kurmainz losgehen. Mögen uns alle Heiligen schützen und der Herr der Heerscharen unserem Erzbischof vergeben, daß er uns durch den unheilvollen Bund in solche Gefahren bringt!«

Er nahm aus dem Kruge einen Schluck zur Stärkung und sprach dann kopfschüttelnd weiter:

»Geliebte Amtsbrüder, ich bin ein Freund des Friedens nach der Mahnung des Herrn, und es ist mir lieber, in den heiligen Schriften und in jenen großer Gelehrter zu forschen, als mich mit dem Schwert zu umgürten und den Tod in die Reihen unserer Feinde zu schleudern.«

Der Syndikus verzog spöttisch den Mund. Er sah im Geist den dicken Propst als Mäher auf dem Schlachtfeld, was ihm um so komischer däuchte, als er von seinem gutmütigen Charakter nur zu genau wußte, daß er nicht imstande sei, eine Fliege zu töten, geschweige den Rächer auf blutiger Wahlstatt zu spielen.

»Denken wir nicht gleich das Schlimmste,« begann der Kustos, ein hinter seinen Büchersammlungen ergrauter Mann, »unser Domkapitel hat ja dem Pfälzer Kurfürsten nichts zuleide gethan.«

»Dies wird aber geschehen,« widersprach der Scholastikus, »sobald es den Markgrafen von Brandenburg in einer Fehde gegen Friedrich unterstützt.«

»Eine solche steht aber nicht bevor,« äußerte der Kantor, eine ungemein hagere Gestalt, die in dem langen Leibrock, wie ihn die Domherren trugen, an einem riesigen, schwarzumwickelten Bleistift gemahnte.

»Wer giebt Euch die Gewähr?« ließ sich eine sonore Stimme vernehmen und alle blickten überrascht nach der dunklen Ecke, wo sich die geheime Thüre befand.

Aus derselben trat jetzt eine hohe, imposante Gestalt, bei deren Anblick die Domherren ausriefen:

»Bischof Adolph von Nassau

»Ja, meine Freunde,« erwiderte der Genannte, »ich verweile unter Euch, als der treueste Freund Eures Domkapitels, das sich in großer Gefahr befindet.«

Die Domherren waren aufgesprungen und der Propst bot, seine schwarze Kalotte (Käppchen), welche er der Bequemlichkeit halber vom Haupt genommen, rasch wieder aufsetzend, dem hochgelehrten Gaste seinen Lehnstuhl an.

»Verhüte es Gott, daß ich Euch Euer behagliches Plätzchen raube,« erwiderte der Bischof freundlich ablehnend, »giebt es doch in Eurer Trinkstube Stühle genug. Laßt uns eng zusammenrücken und mit einander als Freunde plaudern und uns beraten. Ich bin hierher in aller Heimlichkeit gekommen und mein Studienfreund, der Dechant, hat mir drüben im Tiergarten ein Stübchen eingeräumt. Nur er und der Kantor wußten um meine Anwesenheit. Ich aber unternahm die Reise, um Euch zu warnen, denn mein Herz hängt an Eurem Domkapitel und an Eurer Stadt, der ehrwürdigen Moguntio, wo der Apostel der Deutschen, unser Vater Bonifaz, mit seinem Bischofsstab regierte.«

»Die Rede Ew. Reverenz birgt viel Unheimliches,« seufzte der Propst, mit einer gewissen Wehmut den Weinkrug zum Munde führend.

»Ich sollte meinen,« ergriff der Kustos das Wort, »daß der Pfälzer Kurfürst sich an seinen Siegen genügen lassen könnte.«

»Sicherlich nicht, wenn sie ihm der Brandenburger Markgraf verkürzen will,« widersprach Adolph von Nassau.

»Hat er das vor?« barmte der Propst, und als der Bischof dies bejahte, erhob er die Hände und jammerte: »dann sei uns Gott gnädig!«

»Und meinen herrlichen Büchersammlungen dazu,« barmte der Kustos.

»Ei was,« versetzte der Propst unwirsch, »diese können höchstens verbrennen –«

»Mehr kann uns auch nicht geschehen,« unterbrach der Kustos.

»Ei, seht doch,« begehrte der Propst in komischem Zorne auf, »nehmen bei Euch Bücher und Menschen die gleiche Stufe ein? Was fühlt denn so eine Schrift, wenn ein gefräßiges Element sie in Asche verwandelt, während der Mensch – oh, es ist schrecklich, nur so etwas zu denken –«

»Ihr seht gewiß im Geiste schon die züngelnden Flammen zu Euch emporlecken,« lächelte der Stadtsyndikus, während der Propst sich ächzend in seinen Lehnstuhl zurückwarf, der darob in allen Fugen krachte.

»Wollen Ew. Reverenz nicht weiter erzählen?« bat der Domdechant.

Adolph von Nassau nahm den abgerissenen Faden wieder auf, indem er sagte: »Es sind mir mehrfache Meldungen zugegangen, welche auf eine bevorstehende Fehde zwischen dem Brandenburger und Pfälzer schließen lassen.«

»In diesem Falle,« rief der Scholastikus, »müssen wir den Erzbischof bestürmen, sich um den Streit in keinerlei Weise zu kümmern. Indessen werden wir gut thun, dies auszuführen, noch ehe Diether von Isenburg von dem drohenden Unwetter Kenntniß erhält.«

»Das dürfte zu spät sein,« äußerte der Bischof, »denn gestern bereits langte ein Bote des Brandenburgers in seinem Schloß an, und schon nach wenigen Tagen wird das Signal der Lärmtrompete die Krieger Diethers zusammenrufen.«

Das Staunen der Zuhörer war groß, und der Propst fühlte sich von einer solchen körperlichen Schwäche erfaßt, daß er den Weinkrug rasch von einem gefälligen Domherrn wieder füllen ließ.

»So will also unsere Eminenz den friedlichen Pfad mit jenem des Kriegs vertauschen?« fragte er, vor Schrecken lallend.

»Dann ist's mit meiner Weihnachtskantate nichts,« äußerte der Kantor verstimmt.

»Könnten Ew. Reverenzen nicht auf den Erzbischof wirken?« hub der Scholastikus an, dessen Frage seitens der übrigen Domherren lebhafte Unterstützung fand.

Adolph von Nassau zuckte die Achseln. »Die Eminenz besitzt einen eigensinnigen Kopf,« äußerte er, »und könnte meine unberechtigte Einmischung übel bemerken. Ich vermag in der That nichts, als Euch zu warnen, wennschon ich nicht weiß, wie das drohende Unwetter abzuwehren ist.«

»Was würde Ew. Reverenz thun,« fragte der Propst, »wenn Ihr Erzbischof von Mainz wäret?«

»Ich würde an das Wohl meiner Domherrn denken,« erwiderte Adolph von Nassau lebhaft, »und an die ehrwürdige Stadt, deren Bürgerschaft durch einen Krieg gleichfalls sehr geschädigt wird.«

»Oh,« ertönte es aus dem Munde mehrerer Domherren, »wäret Ihr doch der geistliche Kurfürst von Mainz!«

»Was nicht ist, kann ja noch werden,« ergriff Humery das Wort, mit einem nur wenig versteckten spöttischen Lächeln, »denn Sr. Reverenz steht in großer Gunst bei Papst Pius, meinem früheren Berufsgenossen.«

Der Bischof warf einen unsichern Blick auf den Sprecher, welcher in seinen jüngern Jahren, auf einer Reise in Italien, den spätern Papst Pius II. kennen gelernt hatte. Derselbe führte damals den Namen Aeneas Sylvius de Piccolomini und genoß als Rechtsgelehrter einen großen Ruf. Er war ein Mann von hohen Talenten und Kaiser Friedrich hatte ihn ausgezeichnet, indem er ihn mit dem Lorbeerkranze als Dichter krönte, denn auch in der Poesie vermochte Sylvius namhafte Erfolge zu verzeichnen. Humery hatte sich an den aufgehenden Stern eng angeschlossen, zumal dieser den Weg für die reformatorischen Bestrebungen anzubahnen willens war, welche sich namentlich auf der großen Kirchenversammlung zu Basel kund gaben. Allein Aeneas Sylvius gewahrte bald, daß Kaiser Friedrich kein Freund des Konzils sei und daß ihm jedes Reformationswerk als ein Werk der Revolution erschien, so daß ihm die kirchlichen Bestrebungen auf dem Konzil zu Basel ebenso widerwärtig waren, als die Hussische Bewegung in Böhmen. Der geschmeidige Italiener hatte dies kaum entdeckt, als er, der geistreiche Verteidiger der Reformation, der gefährlichste Feind derselben wurde. Er fand dafür reichen Lohn, denn nachdem er in den Priesterstand getreten, sah er sich rasch befördert. In wenigen Jahren stieg er bis zum Kardinal empor, um zuletzt, unter dem Namen Pius II., den päpstlichen Stuhl zu besteigen.

Die Begeisterung des Mainzer Stadtsyndikus für den feurigen Italiener war geschwunden, und er selbst hatte den Briefwechsel mit Aeneas Sylvius abgebrochen. Mochte Humery auch als ein wenig liebenswürdiger Mann erscheinen, so besaß er doch ehrenwerte Grundsätze, und wenn er sich jetzt unter den Domherren gegen den Erzbischof Diether verband, so geschah es nur, um die Stadt Mainz vor Schaden zu bewahren.

Adolph von Nassau hatte aus Humerys Worten nur zu gut herausgefunden, daß derselbe in seiner Seele gelesen habe. Zeit und Umstände gestatteten ihm jedoch nicht, sich noch genauer darüber zu vergewissern, und deshalb beachtete er den Einwurf des Stadtsyndikus nicht, sondern sagte nach kurzem Stillschweigen:

»Der Macht gehört das Recht, und da Erzbischof Diether in seiner Würde als geistlicher Kurfürst der Beherrscher von Mainz ist, so vermag das Domkapitel ihn nicht zu bestimmen, der drohenden Fehde auszuweichen.«

»Aber die Bürgerschaft von Mainz kann es,« rief der Stadtsyndikus, »denn das Patrizierregiment ist geschwunden, und jeder Bürger, jeder Zunftgenosse darf seine Stimme zum allgemeinen Rate geben.«

Von einer derartigen Auflehnung des Volkes gegen das geistliche Oberhaupt wollte Adolph von Nassau nichts hören, und viel zu denken gab Humery die Gegenrede des Bischofs, als dieser jetzt äußerte:

»Es ist nicht gut, wenn eine Stadt zu viel der Freiheiten genießt. Sie erhebt sich dann nur zu gern, und darum wird es nötig, daß eine neue Zeit anbreche.«

»Eine neue Zeit?« wiederholte der Stadtsyndikus. »Meint Ihr damit die alte, überwundene, wo der menschliche Geist in den Fesseln der Finsternis lag, wo unter dem Barbarismus der unstet umherwandernden Völker der Sinn für alles Edle verschwand, und mit ihm alle Künste und Wissenschaften der römischen Weltherrschaft? Ein halbes Jahrtausend mußte vergehen, ehe die Menschheit wieder an die Bildung des Geistes denken durfte. Mühselig haben sich unsere Städte ihre Freiheiten errungen und Ihr wollt ihnen dieselbe schmälern, Herr Graf von Nassau?«

»Wie vermöchte ich das,« erwiderte der Angegriffene, seinen Aerger unterdrückend, »bei der geringen Macht, die ich als Bischof besitze?«

»Ihr könnt in Eurer Würde steigen,« entgegnete Humery, »und die Reverenz kann sich mit der Zeit in eine Eminenz verwandeln.«

»Wenn es Gottes Wille ist,« versetzte Adolph von Nassau demütig. »Ich habe nur das Beste der Völker im Sinne und an dem Kurstift Mainz hängt meine ganze Seele.«

»Es fällt auch in dem Rate der Fürsten mächtig in die Wagschale,« meinte lächelnd der Stadtsyndikus, dann fügte er abbrechend hinzu: »Nichts für ungut, Ew. Reverenz, es ist immerhin von Nutzen, seine Meinungen auszutauschen.«

Adolph von Nassau war inzwischen an eines der runden Fenster getreten, durch welches er auf den Hof blickte.

»Tiefe Dämmerung herrscht draußen,« äußerte er, »so daß ich unerkannt aus der Stadt kommen kann. Ich will das Gewand eines Klosterbruders wieder anlegen und mein Freund Otto von Rüdesheim giebt mir wohl das Geleit bis zur Schmiedpforte, damit dort die Wache mich passieren läßt. Vorerst aber will ich ein paar Stündchen ruhen. Lebt wohl, meine Freunde,« wandte er sich an die Domherren, ihnen der Reihe nach die Hände schüttelnd, »stehet einmütig zusammen, Ihr sollt bald wieder von mir hören. Ihr aber, Herr Stadtsyndikus,« äußerte er zu Humery, »wollet nicht übel von mir denken, weil ich in etwas anderer Meinung bin, als Ihr. Es thäte mir dies leid, denn ich schätze Euch.«

Der Rechtsgelehrte verneigte sich stumm, worauf der Bischof mit dem Dechanten und Kantor, dessen Wohnhaus gleichfalls auf dem Hofe gelegen war, sich durch die geheime Thüre entfernte.

Der Propst wartete mit einigen andern Domherren die Rückkehr des Dechanten ab, da dessen Wohnung seinem Amtshaus am Domprobsteiplatz gegenüber lag.

Der Kustos entfernte sich in der Gesellschaft Humerys, während der Scholastikus den Nachhauseweg allein antrat, nachdem er zuvor sein Haupt mit dem Aelmutium bedeckt, das aus einer Mütze aus Schaffell bestand, die Kopf, Hals und Schultern verhüllte und auf den schwarzen, kragenlosen Mantel herabfiel, welchen der Scholastikus umgeworfen hatte.

Es war ein ziemlich weiter Weg, den er zurückgelegt hatte, denn die Domscholasterei befand sich im Weihergarten, unweit des heiligen Grabes, welchen Namen ein in der gleichlautenden Gasse gelegenes Haus führte, das mehreren Chorherren des Ordens vom heiligen Grabe zum Aufenthalt diente.

Laternen brannten zu jener Zeit auf den Straßen noch nicht, und so mußte sich denn der Scholastikus bei der herrschenden Dunkelheit ziemlich vorwärts tasten. Indessen vergaß er alle Beschwerlichkeit, da sich sein gelehrter Geist mit einer neuen Frage der Forschung beschäftigte, welche die Vollkommenheiten des Satans vor seinem Falle betraf. Kurz zuvor hatte er einer ernsthaften Untersuchung über die Eigenschaften und die Zahl der Engel und Erzengel obgelegen. Die Geschmacklosigkeit, welche sich in dieser sonderbaren Art von Forschungen kundgab, zeigte so recht das verkehrte Schulwesen der damaligen Zeit. Obwohl schon seit Karl dem Großen die Verordnung bestand, daß jedes Stift und jedes Kloster seine Schule haben solle, war die Entfaltung der Wissenschaften doch mönchisch beschränkt. Freilich schärfte sich der Verstand durch die angedeuteten Grübeleien, mochten dieselben auch noch so widersinnig sein, und so konnte man jene Epoche des aufstrebenden Geistes mit dem Alter der Jugend und allen ihren Thorheiten vergleichen.

Freilich gab es seit dem elften Jahrhundert schon eine größere Anzahl von Klöstern, welche die Pflegestätten der Wissenschaften wurden. Die Benediktinermönche gingen darin allen andern mit gutem Beispiel voran, denn ihr Reichtum machte sie unabhängig und gewährte ihnen Zeit und Muße zu wissenschaftlichen Studien. Sie errangen sich durch ihre Gelehrsamkeit ebenso große Beachtung als Bewunderung, und die Mönche anderer Orden wurden auf sie eifersüchtig. Auf diese Weise entbrannte in den stillen Klosterzellen ein Feuereifer für Wissenschaft und Kunst; jeder Orden suchte den andern an geistigem Wissen zu überflügeln und überall wurden Studienanstalten ins Leben gerufen. In den Klöstern bewegten sich gelehrte Magister, von denen so mancher auf der hohen Schule zu Paris promoviert worden war. Von der Klausur aus teilte sich das Streben nach wissenschaftlicher Bildung rasch den übrigen Gesellschaftsschichten mit, und die Mönche waren bestrebt, dasselbe zu unterhalten, weil sich ihnen durch das Abschreiben von Büchern eine neue Nahrungsquelle eröffnete.

Gerhard von Eppstein näherte sich soeben dem Löweneck, welchen Namen ein von den Zünftlern gern besuchtes Wirtshaus führte, das an der Ecke zweier Gassen stand. Die letztern waren äußerst schmal, und daher vermochte der Domscholastikus einer aus dem Wirtshaus kommenden Gesellschaft nicht rechtzeitig auszuweichen, welche sich in äußerst weinseliger, dabei aber händelsüchtiger Stimmung befand.

Bei dem Schein des aus den Parterrefenstern des Löwenecks fallenden Lichts erkannte Gerhard, daß die ihm den Weg Versperrenden lauter Handwerker waren, deren Wortführer zu der Zunft der Schneider gehörte und als Meister Spirer in ganz Mainz wohl bekannt war. Er galt für einen sehr geschickten Arbeiter, der nur den einzigen Fehler besaß, an übergroßem Durst zu leiden. Sein reichlicher Verdienst gestattete ihm, dieser Schwäche nachzugeben, zum Leidwesen seiner ehrsamen Hausfrau Kunigunde, welche sich häufig genötigt sah, die von dem trinklustigen Gatten angefangenen Kleidungsstücke zu vollenden, um die Kundschaft nicht einzubüßen.

»Halloho,« rief jetzt der Schneider, »Ihr kommt mir gerade gelegen, Herr Domscholastikus! Wißt Ihr wohl,« fuhr er unter meckerndem Gelächter fort, während er verdächtig hin und her schwankte, »daß ich für Eure Domschule keinen Pfefferling gebe?«

Die Genossen brachen in Beifallsrufe aus, was den Mut des Schneiders erhöhte. Er warf sich in Positur, was sich bei seiner kleinen, schwächlichen Gestalt komisch genug ausnahm.

»Oh ja,« fuhr er näselnd fort, mit dem Zeigefinger seiner Rechten vergeblich nach der Nasenspitze suchend, »Ihr lehrt hochgelahrte Sachen, und Ihr forscht über Dinge nach, bei denen unser einem ganz schwach zumute wird. Erst neulich,« wandte er sich rückwärts an seine Genossen, »hat er seinen Schülern die Aufgabe gestellt, darüber nachzudenken, wie groß wohl die Schleuder und wie schwer der Stein gewesen sei, den der kleine David auf den Riesen Goliath geworfen hat. Das ist ja alles Zeugs, von dem wir nichts verstehen. Aber – hehehe – das thut auch nichts, wir trinken deshalb doch unsern Wein.«

»Ja wahrlich, das thun wir!« schrieen die Genossen, an denen gleichfalls sehr verdächtige Schwankungen zu bemerken waren, »und niemand solls uns wehren!«

»Selbst Ihr nicht, Herr Domscholastikus,« meckerte der Schneider.

»Das ganze Domkapitel nicht!« brüllte der Chor.

»Ich verstehe Euch nicht, gute Leute,« antwortete Gerhard von Eppstein in ruhigem Tone, obgleich ihm eben nicht wohl zumute war. »Was verlangt Ihr eigentlich von mir?«

»Was wir verlangen?« wiederholte Spirer. »Oh, stellt Euch nur nicht so, Ihr wißt es recht gut.«

»Wenn ich Euch sage, daß dem nicht so ist,« widersprach der Domherr.

»Ha,« versetzte Spirer, indem er plötzlich die Lust zeigte, auf einem Bein zu stehen, »wir haben ja den ganzen Abend davon gesprochen.«

»Das mag schon sein,« erwiderte der Scholastikus, »allein ich befand mich nicht in Eurer Gesellschaft.«

»Halloh,« rief ein dicker Bäcker, »jetzt hat er recht! du bist eine einfältige Schneiderseele!« Dabei stieß er Spirer an, infolge dessen derselbe zu Falle kam, was einen allgemeinen Jubel hervorrief.

Der Schneider machte gute Miene zum bösen Spiel, nahm sich aber insgeheim vor, seinen Ingrimm an dem gleichfalls lächelnden Domherrn auszulassen.

»Was wir von Euch wollen?« rief er ihm zu. »Wenn Ihr wirklich so gescheit wäret, so hättet Ihr es schon längst erraten. Aber ich will's Euch jetzt sagen – hehehe, Ihr gebt Euch den Anschein, als ob Ihr das Volk bilden wolltet, aber es ist doch nicht so.«

»Wirklich nicht?« versetzte Gerhard mit äußerster Ruhe.

»Nein,« schrie der Schneider. »Ich für meinen Theil brauche Eure Schule nicht, denn ich bilde mich selbst.«

»Das hört man Euch an,« lächelte der Scholastikus.

»Freut mich,« nickte Spirer. »Ich will aber nicht allein gebildet sein, unser ganzes Volk soll es sein, vor allem aber unsere Söhne!«

»So viel ich weiß,« wandte Gerhard von Eppstein ein, »seid Ihr kinderlos!«

»Das thut nichts,« eiferte der Schneider, »ich könnte doch einen Sohn haben und dann wäre es gerade so. Ihm würdet Ihr ebenfalls den Eintritt in Eure Schule verweigern.«

»Wenn er nicht in unsern Orden einzutreten willens wäre, allerdings,« gab der Domherr zu.

»Seht Ihr wohl, daß ich recht habe?« meckerte der Schneider triumphierend. »Ihr hüllt Euch in einen geheimnisvollen Dunst, wie es der Johannes Gensfleisch thut, der sich, nachdem er von Straßburg wieder zurück ist, Gutenberg nennen läßt. Unsere Söhne sollen gebildet werden. Wir können nicht alle geistlich sein, darum öffnet Eure Schulen allen und jeglichen.«

»Ja wohl,« rief der Chor, »allen und jeglichen! So soll es sein.«

»Je nun, Ihr guten Leute,« versetzte der Scholastikus nach kurzem Nachdenken, »warum sollte ich Euch den Gefallen nicht thun? Meinetwegen könnten alle Eure Söhne die Domschule besuchen. Von mir hängt es jedoch nicht ab, die Erlaubnis dazu kann nur Se. Eminenz, unser hochwürdiger Erzbischof erteilen. Wendet Euch an ihn.«

»Das wollen wir auch!« rief die Mehrzahl, und ein Weber, dessen Zunft sich zu jener Zeit eines großen Verdienstes erfreute, fügte, auf seine Taschen schlagend, hinzu:

»Wir haben Geld wie Heu und unsere Jungen sollen studieren und gelehrte Männer werden. Wir sind dann gerade so viel wert, als Ihr!«

»Gerade so viel wert,« meckerte der Schneider. »Sobald der Erzbischof wieder in die Stadt kommt, ziehen wir vor sein Haus.«

»Ich wünsche Euch guten Erfolg,« entgegnete Gerhard, sich vergeblich bemühend, den Weg frei zu bekommen.

Doch der Bäcker hielt ihn auf, indem er sagte:

»Glaubt Ihr denn, Herr Scholastikus, daß der Erzbischof unserer gerechten Bitte nachgeben wird?«

Gerhard schüttelte das Haupt.

»Da haben wir's,« rief der Bäcker zornig, »aber ich habe es immer gesagt, die Eminenz sieht uns Bürgerliche über die Achseln an. Sie meint es nicht gut mit dem Volk!«

»Die Domherren sind viel freundlicher!« ertönte eine Stimme.

»Ja, so ist's,« schrie der Chor.

»Wie freundlich hat sich jetzt der Herr Scholastikus mit uns unterhalten,« äußerte der Bäcker, »wenn es von ihm abhinge, so würde er auch unsern Söhnen den Einlaß in die Domschule gewähren –«

»Ja wohl, das hat er gesagt!« riefen mehrere. »Der Herr Scholastikus soll hoch leben!«

»Hoch!« brauste es durch die Nacht.

Damit gaben sie dem aufatmenden Gerhard den Weg frei, und der Domherr schritt rasch von dannen.

»Mit dem Erzbischof aber wollen wir ein Wörtchen reden, hehehe,« rief Spirer, indem er mit beiden Händen gewaltig in der Luft herumfuchtelte.

»Wir wollen es ihm zeigen!« schrieen Andere und die Mutigsten setzten hinzu: »Wir sind Männer und haben kräftige Fäuste!«

»Oh, es wird ganz herrlich werden,« meckerte Spirer, voll Freude einen Sprung vollführend.

»Krieg dem Erzbischof!« brüllte eine Stimme.

»Krieg! Krieg!« tönte es nach.

»Macht Euch von dannen,« ließ sich jetzt die Stimme des Wirts vernehmen, welcher der Scene beigewohnt hatte, »die Scharwache kommt!«

Wie toll und rasend stob der Schwarm auseinander. Der Schneider lief am geschwindesten. Er hielt nicht eher an, als bis er die Gasse erreichte, in welcher sein kleines Haus stand. Nach Atem ringend, öffnete er die Thüre. »Daran ist nur der Diether schuld,« ächzte er. »Aber wir wollen es ihm schon zeigen! Wir sind Männer! He!«

Damit verschwand er in dem dunkeln Hausflur.


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