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Zweites Kapitel.
An einem Sonntagnachmittag

Bis gegen Mitte des vierzehnten Jahrhunderts waren die Adelsgeschlechter die Häupter der Stadt Mainz gewesen, hatten das Regiment geführt und den Rat gebildet.

Sie befanden sich in äußerst glänzenden Vermögensverhältnissen, so daß sie benachbarten Städten namhafte Kapitalien vorschossen, Klöster stifteten und zur Erbauung von Kirchen beitrugen. Sie besaßen zu Mainz anererbte Vorrechte und waren darauf ebenso stolz, wie auf ihren Stammbaum.

Dadurch aber erregten sie den Neid und die Mißgunst der Zünftigen, und Zwist und Fehde, dieses traurige Geschwisterpaar des Mittelalters, begannen in Mainz ihr unheimliches Wesen zu treiben. Die Zünftigen waren an Zahl den Patriziern weit überlegen, deshalb mußten sich die Letztern auf andere Weise gegen die heftigen Angriffe zu schützen suchen. Der Reichtum lieferte ihnen die Mittel dazu. Sie folgten dem Beispiele ihrer Genossen auf dem Lande und errichteten feste, burgähnliche Wohnhäuser in der Stadt. Dieselben schützten sie gegen die feindlichen Ueberfälle der Zünftigen, denn die ganze Anlage dieser Gebäude ähnelte jener der zwischen Felsen eingeengten Ritterburgen. Fast alle diese Patrizierhäuser kehrten ihre Giebelseite der Straße zu. Die Mauer lief gewöhnlich nach obenzu in einen stumpfen Winkel aus und zeigte vom Anfang des Daches an stufenförmige Einschnitte. Um den Kranz des Daches liefen vier bis fünf Fuß hohe Brüstungen mit Zinnen. An den Ecken der Giebelwand befanden sich hervorspringende kleine Türme, die mit Schießscharten versehen waren und gleichzeitig das Treppenhaus bildeten. Die in einen Spitzbogen zulaufende Hausthüre bestand aus Eisen und konnte leicht verrammelt werden.

Es war schwer, ein solches burgähnliches Haus zu erstürmen. Die Zünftigen hatten, selbst wenn es ihnen gelang, den Eingang zu erzwingen, noch viel Mühe und Arbeit, ehe sie sich des Sieges freuen durften, denn nur langsam wich der sich verteidigende Patrizier mit seiner Familie und Dienerschaft aus einem Gemach in das andere zurück, wie es im Jahre 1332 bei einem Aufruhr der Patrizier Friele Gensfleisch that, ein Ahnherr Gutenbergs, der, im Kreise seiner Kinder und Freunde, von Kopf bis zu Fuß gewappnet, in dem großen Rittersaal seines Hauses stand und stolzen Mutes auf den Wappenschmuck blickte, welcher sich an den obern Gesimssteinen der Fenster befand.

Sie waren gar zäh, diese alten Patrizier, und opferten lieber Blut und Leben, als daß sie auf ihre Vorrechte verzichteten. Allein die Zünftigen standen ihnen an Ausdauer nicht nach, wie der große Städtekrieg bewiesen hat, der im vierzehnten Jahrhundert im deutschen Vaterlande entbrannte. An vielen Orten trugen die Bürger den Sieg davon, und auch in Mainz errangen sie sich das städtische Regiment. Viele Patrizierfamilien wanderten aus, und ihre burgähnlichen Häuser gelangten entweder in den Besitz begüterter Bürgerlicher oder sie wurden an Fremde vermietet.

Der Name des Hauses aber blieb bestehen und ging an den neuen Erwerber über, der ihm seinen Taufnamen hinzufügte. Im Laufe der Zeit ließ man wohl auch den letztern ganz weg, so daß die Benennung des Hauses zum Geschlechtsnamen wurde, was oft zu großen Verwirrungen Veranlassung gab.

Zu diesen festen Patrizierhäusern in Mainz gehörte auch der Bechtermüntzhof, welcher ein geräumiges Rechteck einnahm und, außer dem Hauptgebäude, noch verschiedene Nebenhäuser umfaßte.

Die gegenwärtigen Inhaber waren zwei Brüder, welche die Nachkommen der altadeligen Mainzer Patrizierfamilie der Bechtermüntz bildeten. Fehde und Krieg machten nicht mehr das Dasein der städtischen Adeligen aus. Sie überließen die rohe Sinnesart zumeist ihren Genossen auf dem Lande, die noch immer in und bei ihren Raubburgen lagen und auf Beute fahndeten. Der Adel der Städte nahm Teil an dem allgemeinen geistigen Aufschwung der deutschen Nation und war redlich bestrebt, seinem Leben einen edleren Gehalt zu geben. Der Adelige des fünfzehnten Jahrhunderts erkannte die Wichtigkeit des Handels, der zu einer mächtigen Quelle des Reichtums wurde. Die patrizischen Kaufmannsfirmen von Nürnberg und Augsburg fanden vielfältige Nachahmung, und auch Heinrich und Niklas zu Bechtermüntz hatten ihre Stammburg in ein Handelshaus umgewandelt, dessen Name in der Kaufmannswelt sich bereits eines guten Klanges erfreute.

In dem geräumigen Hausflur standen jetzt Ballen und Kisten, Frachtfuhrwerke rasselten in dem weit ausgedehnten Hof, und hinter den vergitterten Fenstern des Erdgeschosses raschelten die Gänsekiele der emsig schreibenden Kaufmannsknappen.

Heinrich Bechtermüntz war die Haupttriebfeder des Geschäfts. Unter seiner Hauskappe lugte bereits graues Haar, was bei dem jüngeren Bruder noch nicht der Fall war. Der Kaufherr zeigte jene freundliche Milde, welche rasch die Herzen anderer gewinnt, wennschon er, was geschäftliche Dinge anlangte, eigensinnig bei seinen Grundsätzen beharrte und keine Macht der Erde ihn davon abzubringen vermochte.

Er führte ein höchst glückliches Familienleben und blickte, im Verein mit seiner Frau Grete, mit freudigem Stolz auf seine beiden Kinder Johann und Else. Der Erstere war ein Gelehrter, welcher seine Studien zu Köln, Erfurt und Mainz gemacht und sich gänzlich der Erforschung der alten Sprachen gewidmet hatte. Die Schwester Else erschien bedeutend jünger als er, denn sie zählte kaum sechzehn Jahre. Sie war ein frisches, munteres Mädchen, welches das Leben leicht nahm und Thränen nur dem Namen nach kannte. Ihr heiteres, mutwilliges Lachen ertönte von früh bis spät, und die lustigen Töne waren so herzgewinnend, daß sie selbst dem Vater ein Lächeln abzwangen, wenn er, von den Geschäftssorgen ermüdet, am Abend in den Kreis der Familie trat.

In dem Letztern pflegte zum öftern ein junger Fremder zu verweilen, der wegen seines sonderbaren Namens der spottlustigen Else viel Anlaß zu Witzeleien bot. Er hieß nämlich Jakob Sorgenloch und gehörte zu den Kaufmannsknappen des Bechtermüntzischen Handelshauses. Der Kaufherr Heinrich beobachtete, trotzdem er seinen Untergebenen ein sehr freundlicher und wohlwollender Prinzipal war, mit einer geradezu peinlichen Genauigkeit die gesellschaftliche Schranke, welche zwischen ihm, dem Patrizier, und seinen bürgerlichen Knappen bestand. Mit Jakob machte er jedoch Ausnahme. Es kam dies weniger daher, daß der Jüngling als eine Waise allein in der Welt dastand und nur einen Verwandten, den Johannes Gensfleisch zum Gutenberg in der Stadt besaß, – der Kaufherr nahm sich Jakobs vielmehr darum an, weil derselbe gleichfalls aus einem ehemals hochberühmten Patriziergeschlecht stammte.

Es war dies jenes der Gensfleisch. Jener alte Ritter Friele, der in seinem Rittersaal mannhaft den Ansturm der Zünftigen erwartet, hinterließ sein Erbe und Gut zwei Söhnen. Der ältere, Petermann, setzte die Hauptlinie fort, aus welcher Johannes Gutenberg stammte, während der jüngere, Klaus, eine neue Linie gründete, von welcher die Abkömmlinge in der vierten Generation den Namen Sorgenloch ihrem Familiennamen Gensfleisch vorsetzten. Daran war wiederum ein Haus in Mainz schuld, welches diesen eigentümlichen Namen führte, ursprünglich aber zum Selgeneck hieß. Den Hof desselben mit den daraufstehenden Gebäuden erwarb der Großvater Jakobs, und von dieser Zeit an schrieb sich die Familie: von Sorgenloch, genannt Gensfleisch.

Jakob war die adelige Abstammung in seinem ganzen Wesen anzumerken. Trotz seiner Bescheidenheit hatte er vornehme Manieren, die von jenen seiner bürgerlichen Berufsgenossen lebhaft abstachen. Er besaß ein mutiges Herz, das in Augenblicken der Gefahr nicht verzagte und das ihn auch die rechten Worte finden ließ, wenn es galt, eine gerechte Sache auszufechten.

Er befand sich bereits seit länger als vier Jahren in dem Bechtermüntzischen Hause und wohnte in einer Kammer des obersten Stockwerks. Dieselbe war ursprünglich sehr einfach gewesen, und außer dem Bette hatte sich nur noch ein Tisch und ein Stuhl darin befunden. Mit der Zeit jedoch vermehrte sich die Einrichtung und die verschiedensten Luxusgegenstände putzten das kleine Zimmer auf. Selten verging ein Monat, ohne daß Jakob, wenn er des Abends aus der Schreibstube kam, eine neue Ueberraschung vorfand. Er kannte recht gut die freundliche Spenderin, doch diese wollte es nicht wahrhaben, vielmehr beteuerte sie ernsthaft, daß es sicher die Wichtelmännchen gewesen wären, welche Jakob die Ueberraschung bereitet hätten. Gleich nachher aber mußte Else laut auflachen und tanzte davon, ohne daß es Jakob zu hindern vermochte.

Das muntere Mädchen neckte gar zu gerne den dunkeläugigen Jüngling mit dem üppigen braunen Haar, so daß der Bruder Johann eines Tages zu ihr scherzhaft äußerte:

»Du, du, am Ende wirst du gar eine gnädige Frau von Sorgenloch.«

Da aber ward Else böse und schalt den Bruder tüchtig aus. Allmählich ward sie wieder ruhiger und sagte:

»Der Jakob ist gewiß ein braver Junge und der Vater rühmt seinen Fleiß und sein Geschick. Aber wenn ich ihn noch so gern hätte, und wenn er über alle Schätze der Welt geböte, zum Altar folgte ich ihm doch nicht.«

»Wegen seines Namens?« lachte der Bruder. »Er könnte sich dann ja Gensfleisch nennen.«

»Ich weiß wirklich nicht,« versetzte Else schnippisch, »welcher von beiden Namen der lächerlichste ist. – ›Edle Frau von Sorgenloch‹, begann sie nach kurzer Pause in komisch gravitätischem Tone und sich verneigend, um dann, unter einem noch tieferen Knix hinzuzusetzen: ›Allerhochedle von Gensfleisch!‹«

Hierauf lachte sie hell auf und warf sich der eintretenden Mutter mit den Worten an die Brust:

»Nein, was so hochgelehrte Männer, zu denen unser Johann doch gehört, gar oft für dummes Zeug schwatzen!«

Es war Sonntagnachmittag.

Heinrich Bechtermüntz kehrte mit seinem Bruder, seiner Familie und Jakob aus der benachbarten St. Christophspfarrkirche zurück, zu deren Patronen der Kaufherr gehörte, da er daselbst den St. Niklasaltar gestiftet hatte. Die Predigt des greisen Pfarrers Günther war von großem Eindruck auf die Gemüter gewesen, denn der geistliche Herr hatte über das Wort des Evangelisten gesprochen: »Ihr werdet hören von Kriegen und werdet vernehmen Kriegsgeschrei; sehet zu und erschrecket nicht.«

Die ganze Gemeinde wußte, daß diese Mahnung den Bewohnern der Stadt Mainz galt, denn die Kriegsvorbereitungen, welche Erzbischof Diether insgeheim getroffen, ließen sich nicht mehr verbergen.

»Bös droht die Zukunft uns entgegen,« äußerte Heinrich Bechtermüntz, als ein paar Stunden der greise Pfarrherr in dem geräumigen Familienzimmer saß und die Rede auf den Inhalt seiner Predigt kam. »Ueberall im Rheingau beginnt es sich kriegerisch zu regen, aller Orten werden Fähnlein aufgeboten und zur Nachtzeit herrscht ein geschäftiges Treiben hinter den Mauern des Kastells. Es ist nur zu gewiß, daß die alte Römerveste in Verteidigungszustand gesetzt werden sollte.«

»Ich weiß noch mehr, Bruder,« ergriff Niklas das Wort, »der Stadtsyndikus erzählte mir, daß der Kurfürst bereits die Viertelmeister ernannt hat. Sie schaffen zur Nachtzeit Pulver und Geschütze herbei und treffen Vorkehrungen, etwaige Brände in der Stadt zu löschen.«

»So fürchtet der Erzbischof also eine Belagerung?« schalt der Pfarrherr ein.

»Wir werden ihr nicht lange standzuhalten vermögen,« meinte Heinrich Bechtermüntz, »denn Unfriede herrscht in der Stadt, deren Bewohner sich in viele Parteien spalten. Wenn die Unruhen noch lange dauern, müssen wir vorsichtige Hausväter an Auswanderung denken!«

»Du siehst zu schwarz, Väterchen,« äußerte Frau Grete, die neben dem Gatten saß und ihren Arm jetzt um seinen Nacken schlang.

»Was nützt alle Mühe und Arbeit,« erwiderte der Kaufherr verstimmt, »wenn der Geist des Unfriedens sie zerstört? Dauert der jetzige Zustand fort, so wird der Handel bald daniederliegen.«

»Der Vater spricht, als ob unser ganzes Glück von dem Handel abhinge,« lachte Else, »und in seinem und des Onkels Arbeitszimmer steht doch eine so hübsche Anzahl wohlgefüllter Geldtruhen, daß der bevorstehende Krieg hundert Jahre dauern könnte, ohne daß die Silber- und Goldbarren zu Ende gingen.«

»Du sprichst nach Kinderart, mein Töchterchen,« versetzte der Hausvater, »und vergißt, daß es in unserer Stadt viele hunderte von Menschen giebt, die ausschließlich vom Handel leben. Bedenke nur, wie viel brave Leute schon brotlos werden würden, wenn wir unser Geschäft schließen müßten.«

»Das geschieht ja noch nicht, Väterchen,« lachte Else von neuem, »und wird voraussichtlich nie geschehen.«

»Trotz alledem vermag ich mich der Sorge für die Zukunft nicht zu erwehren,« erwiderte Heinrich Bechtermüntz ernst.

»Wirf sie auf den da,« rief das mutwillige Mädchen, indem sie auf Jakob deutete, »er nimmt alle auf sich.«

Jakob errötete.

»Hahaha,« lachte Else, »jetzt bekommt er die Farbe des Gänsefleisches, wenn es in der Pfanne schmort.«

»Aber Mädchen,« rief die Mutter verweisend, »kannst du denn deinen Mutwillen gar nicht bannen?«

»Frage mich darnach, wenn ich zwanzig Jahre älter bin, Herzensmütterchen,« erwiderte Else, auf die Tadlerin rasch zueilend und einen Kuß auf ihre Lippen drückend. »Dann will ich ganz manierlich sein,« fügte sie hinzu, die nachfolgenden Worte mit einem entsprechenden Mienenspiel begleitend, »und so ernst aussehen, wie der Vater es jetzt thut, und nicht ein einzigesmal mehr lachen, sondern ein griesgrämiges Gesicht schneiden, wie der Himmel, wenn er einen Platzregen zur Erde schickt. Dann will ich auch nur Choräle singen und von früh bis spät am Spinnrad sitzen. Jetzt aber heißt es noch bei mir: Munter, mit leichtem Sinn, hüpf ich durch's Leben hin!«

Damit lachte sie herzlich auf und rannte zum Zimmer hinaus. Die Andern blickten ihr nicht eben zürnend nach, ja, in Jakobs Augen leuchtete es sogar recht freundlich auf und er wäre dem mutwilligen Kinde am liebsten nachgeeilt.

Es war daher unnötig, daß Frau Grete zu ihm äußerte, er möge der ›Jungfer Mutwille‹ vergeben.

»Sie hat mich durch die Erwähnung des Gensfleisches an Euern Freund erinnert, Hochwürden,« begann Heinrich Bechtermüntz. »Wie geht es dem Gutenberg und was treibt er?«

»Wer vermag dies zu sagen,« antwortete der Pfarrherr, »er ist ein gar wunderlicher Gesell, an dem alles Geheimnis ist.«

»Ich sollte meinen,« erwiderte der Hausherr, »daß Ihr hinter sein geheimnisvolles Treiben kommen müßtet, da Euer Pfarrhaus da neben dem Hof zum Gutenberg liegt.«

»Was soll ich da sehen?« versetzte Günther achselzuckend. »Während des Tages ist mein Freund Johannes nur selten daheim, sondern in dem Geschäftslokal seines Genossen Fust. Zur Nachtzeit aber verhüllt er die Fenster und man sieht nur den schwachen Schein einer brennenden Lampe.«

»Die Leute hier,« ergriff Niklas das Wort, »sprechen so viel von geheimen Künsten, die er treibe. Sie halten ihn für einen halben Zauberer.«

»Die Menschheit muß immer etwas zu fabeln haben,« lächelte der Pfarrherr. »Würde ich wohl mit Johannes Gutenberg befreundet sein, wenn ich nicht von seinem tiefen Gottesglauben überzeugt wäre? Daß er sein armes Hirn mit irgend einer Erfindung abmartert, dessen bin ich gewiß, und daß diese nutzbringend sein muß, davon bin ich gleichfalls fest überzeugt, denn sonst würde der vorsichtige Fust ihm schwerlich achthundert Silbergulden vorgestreckt haben. Die Zeit bringt indessen alles an den Tag und so wird auch die Stunde schlagen, wo mein Freund gerechtfertigt vor der mißtrauischen Welt dasteht. Weiß denn Jakob nichts von seinem Ohm?«

»Ich traue mich nicht recht zu ihm hin,« erwiderte der Gefragte ziemlich verlegen. »In dem großen Haus, das er mit seinem alten Diener Lorenz allein bewohnt, ist's so unheimlich. Jeder Tritt hallt dort mächtig wieder. Die Treppe knarrt und in den dunkeln Ecken vermeint man eine Menge von Gespenstern zu sehen.«

»Oh, du heilige Einfalt,« lachte der Pfarrherr. »Ja, ja, es wird Zeit, daß der Geist meines Freundes Johann Licht in die Finsternis bringt.«

»Geht dort nicht Dyna, Fusts Tochter?« fragte die Hausfrau, welche ans Fenster getreten war und auf die Straße hinabschaute. »Wer aber ist der junge Mann, der sie begleitet?«

Die Männer hatten sich erhoben und blickten gleichfalls durch die kleinen Fensterscheiben.

»Ich kenne den jungen Mann nicht,« erklärte der Hausherr. »Er muß fremd in Mainz sein.«

»Ich habe ihn vor einigen Tagen in dem Geschäftslokal meines Freundes gesehen,« äußerte der Pfarrherr. »Wenn mich nicht alles trügt, so ist er Lehrer im Hause des Fust, der ihn gleichzeitig zum ordnen und abschreiben von Manuskripten braucht. Er soll aus Paris gekommen sein.«

»Vielleicht gar ein Magister,« versetzte Johann schnell, der sich für jeden interessierte, von dem er annehmen konnte, daß er sich mit geistigen Dingen beschäftigte.

»Zum Grad eines Magisters ist er denn doch noch zu jung,« lächelte der Pfarrherr. »Ich glaube eher, daß er ein Kleriker ist.«

Mit diesem Namen bezeichnet man zu jener Zeit jeden Schönschreiber und Kopisten. Daher sank denn auch Johannes Interesse für den Fremden ziemlich rasch und er wandte sich vom Fenster ab.

Ein rasch sich nähernder Lärm, der von der Straße herauftönte, führte indessen den Gelehrten wieder zum Fenster zurück.

»Was mag es da geben?« fragte Frau Grete zaghaft. »Man lebt jetzt in einer beständigen Unruhe. Wie friedlich war es bisher in unserm Mainz.«

»Zeit und Menschen ändern sich,« antwortete der Gatte, »und die Zünftigen sind jetzt die Herren der Stadt. Da sieh,« fuhr er fort, auf einen Volkshaufen deutend, welcher unter wüstem Geschrei die Straße heraufzog, »das sind lauter unzufriedene Handwerker. Natürlich führt Meister Spirer sie an.«

»Er ist jetzt Hahn im Korbe,« bemerkte Niklas lachend.

»Aber seht doch,« rief Johann, »führen sie nicht Jemanden in ihrer Mitte gewaltsam mit sich fort?«

»Mein Himmel,« sagte nach kurzer Pause der Pfarrherr Günther, »es ist der Graf von Lichtenau, unser ehrwürdiger Dompropst. Man sollte ihm hilfreich beistehen und ihn aus der schlimmen Gesellschaft befreien.«

»Das wollen wir thun!« rief der Hausherr.

»Begieb Dich nicht in Gefahr,« bat Frau Grete.

»Sei unbesorgt,« tönte es von den Lippen des Gatten zurück, »noch sind nicht alle Bande des Rechts und der Sitte in unserer Vaterstadt gelöst. Kommt!« rief er dem Bruder, Johann und Jakob zu, worauf die vier Männer schnell das Gemach verließen.

Der Pfarrherr Günther wollte gleichfalls folgen, sah sich aber von der Hausfrau zurückgehalten, welche sehr ängstlich war und nicht allein bleiben wollte. Glücklicherweise erschien gleich nachher Else, deren unverwüstliche Munterkeit die Mutter wieder ruhiger stimmte.

Inzwischen hatte Heinrich Bechtermütz mit seinen Begleitern die tumultuierende Menge erreicht.

Der Dompropst war seiner kaum ansichtig geworden, als er auch schon ausrief:

»Euch sendet der Himmel, Herr Bechtermüntz. Ich bitte Euch, steht mir bei, damit ich von diesen Jerobeams erlöst werde.«

Mit kräftigen Armen bahnte sich der Handelsherr einen Weg durch die Volksmenge, die durch sein unverzagtes Auftreten und seinen gebieterischen Blick sichtbar eingeschüchtert wurde. Niklas folgte mit den beiden jungen Männern dem Bruder, und der Dompropst atmete, sich den Schweiß von der Stirne wischend, erleichtert auf, als die vier Männer ihn umringten.

»Was verlangt das Volk von Euch, hochwürdiger Herr?« fragte Heinrich Bechtermüntz.

Der Propst wollte antworten, doch der Meister Spirer kam ihm zuvor, indem er sagte:

»Er trägt ein wichtiges Schreiben bei sich, das ihm ein Sendbote Adolphs von Nassau überbrachte. Wir wollen den Inhalt wissen.«

Heinrich Bechtermüntz trat dem sofort zurückweichenden Schreier mit den Worten entgegen:

»Hat das viele Trinken Euern Verstand schon so umnebelt, daß Ihr es wagt, von einem hochachtbaren Mann der Kirche, einem der ersten Beamten des Kurfürsten, zu verlangen, daß er Euch die Briefe lesen lasse, die nur für ihn bestimmt sind? Wißt Ihr nicht, daß Ihr wegen solch gewaltsamer Erpressung gehängt werden könnt?«

Schon schickte sich der Schneider zu einer unziemlichen Antwort an, als der Bäcker Brehm ihm zornig zurief: »Halt Dein Mundwerk, Ziegenbock!«

Hierauf trat er ehrerbietig an den Handelsherrn heran und sagte: »Nichts für ungut, Herr Bechtermüntz, allein wir sind, was unsere Forderung betrifft, nicht eben im Unrecht, Ihr wißt ja selbst, wie traurig die Aussichten für unsere Stadt sind. Allerlei verdächtiges Gesindel taucht auf, wahrscheinlich um einen schwachen Punkt in der Befestigungslinie unserer Stadt auszuspähen, damit dann der pfälzer Kurfürst bei einer Belagerung leichteres Spiel habe. Als wir daher heute bei einem Spaziergang außerhalb der Stadtmauern einen fremden Mann bemerkten, der sich mit auffälliger Scheu vor uns zurückzog, machten wir Jagd auf ihn. Allein er hatte flinke Beine und gewann, in einem weiten Bogen, den Eingang der Stadt. Erst am Dompropsteiplatz erwischten wir ihn –«

»Das heißt, ich war der erste, der ihn faßte,« prahlte der Schneider.

»Ruhe!« schrie die Menge. »Der Brehm soll sprechen.«

»Da schrie der Fremde nach dem Dompropst,« fuhr der Bäcker fort, »und atemlos stürzte dieser aus seiner Amtswohnung. Er schien den Sendboten vom Fenster aus erkannt zu haben, denn er rief ihm sofort zu: »Gieb mir das Schreiben!« – Ehe wir es zu hindern vermochten, warf unser Gefangener dem Domherrn ein zusammengefaltetes, mit dem großen nassauischen Wappen versehenes Papier zu und der Propst verbarg schleunigst das Schriftstück. Vergebens forderten wir von ihm, uns Aufschluß zu geben, und da der verdächtige Bote eine Gelegenheit benutzte und entwischte, so blieb uns nichts übrig, als den Propst aufzufordern, uns nach dem Rathaus zu folgen. Dort sollte der Stadtschultheiß den Streit entscheiden.«

»Ihr befindet Euch im Unrecht,« versetzte Heinrich Bechtermüntz, »denn noch besteht kein Gebot, daß die Bewohner unserer Stadt nicht Briefe von auswärts empfangen dürfen, mögen dieselben nun gebracht werden von wem sie wollen.«

Die Menge begann zu murren.

»Hehehe,« meckerte der Schneider, »jener fremde Mann war uns verdächtig und, hätten wir ihn früher als am Dompropsteiplatz erwischt, so würden wir ihm das Schreiben abgenommen haben –«

»Niemand konnte uns das verwehren!« riefen mehrere. »Jeder Einwohner muß jetzt über das Wohl der Stadt wachen!«

»Da es sich aber ergab,« widersprach der Handelsherr mit erhobener Stimme, »daß das Schreiben an den hochwürdigen Propst gerichtet war und derselbe dem Boten es eigenhändig abnahm, so schwand euer Recht.«

Wieder murrte die Menge.

»Allen Respekt vor dem Herrn Propst,« begann Bäcker Brehm von neuem, »aber er gehört zum Domkapitel, über welches der Erzbischof herrscht. Mit dem kurfürstlichen Herrn sind wir aber nicht zufrieden, weil er unsere Stadt in große Gefahr bringt. Wir sind nicht so einfältig, daß wir nicht wüßten, welche Kriegsvorbereitungen in der Stille getroffen werden –«

»Nein,« rief der Schneider, »wir sind nicht so dumm, wie wir aussehen!«

Brehm warf ihm einen zornigen Blick zu und sprach weiter: »Wir Bürger werden gar nicht gefragt, ob wir in die Fehde gegen den pfälzer Kurfürsten willigen oder nicht. Das verstößt aber gegen unsere Ordnung, gegen unser Gesetz –«

» Wir sind die Herren der Stadt!« schrie die Menge.

»Verletzt also der Kurfürst mit seinen Dienern unser Recht, so können wir es ebenfalls thun. Wir haben den fremden Boten abgefaßt und wollen wissen, was in dem Schreiben steht.«

In Heinrich Bechtermüntz regte sich das Blut des Patriziers, der es noch immer nicht verwinden konnte, daß dem Adel die Herrschaft des Stadtregiments entrissen worden war. Er antwortete heftig, und die Gegenreden der Volksmenge waren nicht sanfterer Art.

Rasches Handeln schien hier geboten. Heinrich Bechtermüntz gab seinen Begleitern einen heimlichen Wink, und ehe es sich die Tumultuanten versahen, war der Propst ihrem Kreis entrissen und nach dem Hause des Kaufherrn verbracht. Die eiserne Thüre schloß sich, schwere Riegel wurden vorgeschoben, und die tobende Menge hatte das Nachsehen.


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