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Es war zu Anfang Juni 1814. Die Verbündeten hatten ihren Einzug in Paris gehalten. Napoleon war entthront und befand sich auf Elba, während die Bourbonen wieder zu ihren alten Ehren gelangten und Ludwig XVIII. als König proklamiert worden war.
In einem der eleganten Salons des Palais Bruneville war eine kleine Gesellschaft, die – außer der aufmerksamen Wirtin – nur aus deutschen Kriegern bestand. Katte und Hirschfeld sowie der Doktor und Johannes hatten die freundliche Einladung der Gräfin Lübbenau nicht vergessen und sich an dem sonnigen Tage in dem alten Palais zusammengefunden. Die eigenartige französische Einrichtung der Prunkgemächer erhöhte ihr Interesse, während Edelbecks Augen feucht erglänzten und öfter auf den schwellenden Polstern eines Sofas sowie auf einem mit einer Stutzuhr beschwerten Gueridon ruhten.
Niemand ahnte die schmerzlichen Erinnerungen, die der Anblick dieser Gegenstände in seinem Herzen hervorrief, mit Ausnahme der Gräfin Lübbenau, die ihn verstand und an jenen längst entschwundenen Abend dachte, wo ein kleines süßes Mädchen sich von seiner Mama hatte trennen müssen. Das arme, kleine Mädchen war jetzt zu einer glücklichen, reichen Erbin geworden, denn mächtige Freunde hatten sie, mit Hilfe der in ihrem Besitz befindlichen Familienpapiere, in ihre Rechte wieder eingesetzt. Sie wurden selbst durch das spätere, kurze Wiederauftauchen Napoleons in keiner Weise beeinträchtigt, und die vornehme Welt nahm bald von der Tatsache Notiz, daß die Gräfin Lübbenau den Winter über in ihrem Palais zu Paris verweile, im Sommer dagegen in einem reizend gelegenen Schlosse bei Wien residiere, das der liebende Gatte ihr hatte erbauen lassen.
Die kleine Gesellschaft, die sich im Brachmonat des Jahres 1814 in dem Palais Bruneville zusammengefunden, verlebte ebenso köstliche wie genußreiche Stunden, denn ein jedes konnte sich mit Recht der Gegenwart freuen. Katte und Hirschfeld hatten sich auf dem Felde der Ehre neue Lorbeeren erworben und durften mit Stolz auf das Kreuz von Eisen blicken, das ihre Brust zierte. Edelbeck erkannte in dem großen Unterschiede, der zwischen dem bescheidenen Bildschnitzer und dem in den Adelstand erhobenen Offizier bestand, die gnädige Führung Gottes an, und Vater Ratbod und Johannes hatten wahrlich auch Grund genug, zu dem guten Geiste über den Wolken emporzublicken; waren sie ja doch durch Auffindung des Testaments den ärmlichen Verhältnissen entrückt, unter denen fort und fort die Ratbods hatten seufzen müssen.
So nahmen denn die Freunde, als sie Paris wieder verließen, einen fröhlichen Abschied voneinander, und einer rief dem andern aus frohem Herzen zu: Auf ein baldiges, glückliches Wiedersehen! ...
Doktor Ratbod hatte nicht nötig, gegen die unrechtmäßigen Erben seines Ahnherrn gerichtlich vorgehen zu müssen, da mit dem Tode Raouls, der seiner Wunde erlag, die eigentliche Feindschaft gebrochen war. Die trüben Erfahrungen, die der alte Graf im Laufe seines vielbewegten Lebens gemacht hatte, wirkten läuternd auf sein Herz; wahrscheinlich hatte aber auch der greise, würdige Geistliche, der in der Familie d'Haunaigue lebte, zu dieser christlichen Sinnesart beigetragen. Der Leser wird sich noch des unerschrockenen Predigers Treufels erinnern, der während der Schreckensherrschaft der Jakobiner und Propagandisten furchtlos aufgetreten war. Als sich Graf d'Haunaigue in sein Besitztum wieder eingesetzt sah, kehrte auch Treufels in das Ahnenschloß zurück, um der Familie ein treuer Seelsorger und Ratgeber zu werden. Alle beherzigten seine Lehre, nur Raoul nicht, in dessen Charakter so recht der Trotz und Hochmut der frühem Grafen Hohenheg zum Ausdruck kam. Mit seinem Tode hörte auch die alte Feindschaft der beiden Familien d'Haunaigue und Ratbod auf, ja der herrliche Gottesfunke, der oft in den Herzen der Menschen glimmt, die Liebe, ließ die holden Blumen der Freundschaft sprießen, und sie setzten sich bald zu einem unverwelklichen Kranze zusammen, denn nach dem Frieden von 1815 fand in der Hauskapelle des Ahnenschlosses durch den greisen Treufels die Trauung Viktors und Doras statt. Der Leser sieht, daß der junge Franzose seine traute Pflegerin nicht vergessen hatte.
Vorüber war die Begeisterung von 1813, ausgeklungen die Lieder des Vaterlandes und der Freiheit, gar mancher deutsche Heldensohn schlief in Frankreichs Erde – Straßburg und Elsaß aber, das geraubte deutsche Land, war noch immer im Besitze der Welschen. Doch der Tag, wo das geraubte Kind der trauernden Germania zurückgebracht wurde, brach endlich an. Siebenundfünfzig Jahre später erschienen im Elsaß wiederum deutsche Krieger, die dieses Mal aber nicht eher ruhten, als bis hoch oben am Münsterturme die weiße Fahne wehte und den Siegern verkündete, daß die uralte Reichsstadt sich ihnen ergeben habe.
In der nämlichen Stunde aber, wo ein tausendstimmiges Hurra vor der Festung ertönte, entfaltete sich auf dem Turme des Schlosses bei Wasselheim die schwarz-weiß-rote Fahne. Dora hatte den Tag des Sieges nicht mehr gesehen. Sie schlummerte schon mit Viktor in der Ahnengruft; aber der Geist und das Herz der echt deutschen Frau lebten fort in ihren Kindern, die den verwelschten Namen d'Haunaigue für alle Zeiten ablegten, um sich fortan wieder Hohenheg zu nennen. Mit Jauchzen empfing die glückliche Familie mehrere Tage nach der Kapitulation von Straßburg einen rotwangigen preußischen Krieger, der zu den siegreichen Kämpfern gehörte, welche die geraubte Wasgauperle der Krone Germanias wieder einverleibt hatten.
Es war ein Enkel von Johannes.
Um die Namen Hohenheg und Ratbod schlingt sich der Kranz reiner Liebe, und die Erinnerung an den ehemaligen Haß und Hader ist zu einer Art bösen Traums geworden, dessen man nicht gern gedenkt.
Im Ahnenschlosse hausen deutsche Menschen, und der sehnsüchtige Wunsch, womit Dora aus dem Leben schied, ist erfüllt, denn:
»Fortan soll Erwins Wunderbau
Auf deutscher Erde wieder stehen.
Ja, deutsches Land sei Elsaß wieder,
Und nur von der Vogesen Höh'n
Soll man beim Klange deutscher Lieder
Auf Frankreichs Boden niedersehn.«
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