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Neuntes Kapitel.
Deutsche Hiebe

»An der Katzbach, an der Katzbach,
Hurra, gab's ein lustig Tanzen;
Wilde, wirre Wirbelwalzer
Tanztet ihr dort, salsche Franzen!
Und bei Leipzig, und bei Leipzig,
Hurra, da verbüßte schwer
Frankreichs Kaiser seine Sünden
Samt dem ganzen stolzen Heer.«

Tiefe Nacht deckte die Erde, der Regen goß in Strömen, und in sein plätscherndes Geräusch mischte sich ein wildes Brausen. Es rührte von den hochgehenden Wellen der Katzbach her, deren Bett durch die Gewitterregen der letzten Tage mächtig angeschwollen war.

Auf einem nicht weit von dem reißenden Flusse gelegenen Nachfelde hielten schlesische Husaren ihr Biwak. Obwohl es der Abend des denkwürdigen 26. August war, an dem der Heldengreis Blücher mit seiner Armee einen so gewaltigen Sieg über die Franzosen erfochten hatte, herrschte doch bei den Husaren üble Laune.

Wie das Vieh auf der Weide bei heftigen Regengüssen, so standen auch die Husaren, den Rücken dem Unwetter zugekehrt, in zusammengedrängten Haufen da. Der noch immer andauernde Regen hatte die Uniformen der Mannschaften durchweicht, und diese blickten zähneklappernd zum nächtlichen Himmel empor, dessen Schleusen sich noch immer nicht schließen wollten. Die Ärmsten beneideten jene Glücklichen, die den geschlagenen Feind hatten verfolgen dürfen. Zu dieser auserlesenen Schar gehörten Katte, Hirschfeld, Johannes und Wolf. Die Schwadron Hirschfelds hatte die flüchtenden Franzosen am ersten erreicht.

Johannes stand zwar heute nicht zum ersten Male dem Feinde gegenüber, da er in dem Reitergefecht von Haynau rühmlich gekämpft hatte, trotzdem konnte er noch nicht jene Ruhe über sich gewinnen, die den Freunden, vor allem aber dem Schnauzbart Wolf, eigen war.

»Nur nicht zu hitzig,« mahnte der an seiner Seite kämpfende Wachtmeister, »man gibt sich sonst gar zu leicht eine Blöße.« Aber Johannes hörte kaum auf ihn; in seiner Brust stieg immer höher und höher die vaterländische Begeisterung, mit Riesenkräften drängte er immer weiter vor, rechts und links markige Hiebe austeilend, bis er sich schließlich einem französischen Offizier gegenüber sah, der seiner Gewandtheit im Fechten gewachsen schien.

Welche Überraschung malte sich jedoch in den Zügen von Johannes, als er bei dem herrschenden Zwielichte seinen erbitterten Feind Raoul d'Haunaigue erkannte, dessen Falkenblick ihn aus der Menge herausgefunden zu haben schien, denn er sprengte sofort auf Johannes zu und wußte es durch ein geschicktes Manöver einzurichten, daß er mit ihm abseits zu kämpfen kam. Gleich Blitzen kreuzten sich die Hiebe, die sie mit äußerster Wucht gegeneinander führten, ohne daß jedoch einer dem andern etwas anzuhaben vermochte, so gut parierte ein jeder. Wer weiß, wie lange dieser Kampf gedauert haben würde, hätte Raoul d'Haunaigue nicht einige preußische Husaren nahen sehen. Er gab daher seinem Pferde die Sporen, rief aber beim Wegsprengen dem heißerglühenden Johannes noch drohend zu:

» A revoir, Monsieur Ratbod!«

Jetzt erst gewahrte unser Freund, daß er sich in seinem Kampfeseifer zu weit vorgewagt hatte, und es fiel Wolf schwer, den schon von den Franzosen umringten Johannes mit Hilfe einiger Husaren herauszuhauen.

Erst in später Nachtstunde trafen die Reiter auf dem Blachfelde wieder ein; das nasse Biwak brachte sie ebenfalls um ihren frohen Mut, und das unheimliche Tosen der wild dahinstürzenden Katzbach wirkte auch nicht besänftigend auf die ohnehin erregten Gemüter.

»Wahrlich, ich kann mich kaum mehr auf den Beinen erhalten,« klagte Wolf, »säß' ich auf meinem Gaul, dann wäre es etwas anderes. Ei was,« unterbrach er sich polternd, »ich lege mich platt auf die Erde.«

Den Worten folgte die Tat, und alsbald fand sein Beispiel vielfach Nachahmung.

Der rote Lehmboden, auf dem die müden Soldaten lagerten, war indes bald so aufgeweicht, daß die Ärmsten ihre Füße kaum noch bewegen konnten. Auch die Pferde sanken bei ihrem unruhigen Hin- und Herscharren bald in den weichen Boden ein, so daß sie bei dem Bemühen, die Beine daraus hervorzuziehen, zusammenstürzten.

Wolf war der erste, der seine allzuweiche Lagerstätte wieder verließ. Nachdem er seinem Zorne durch einige kräftige Worte Luft gemacht hatte, rief er den andern zu:

»Nein, hier bleibe ich nicht! Soviel ich mich erinnere, ist dicht hier herum ein Stoppelfeld. Laßt es uns aufsuchen!«

Das geschah zwar, jedoch die neue Lagerstätte mußte aus gleichen Gründen bald wieder verlassen werden. In dieser wahrhaft peinlichen Lage erwarteten die armen Husaren den anbrechenden Morgen, der – wie dies gewöhnlich bei einem solchen Grade von Ungeduld zu geschehen pflegt – ziemlich lange auf sich warten ließ.

Endlich verkündete ein heller Streifen im Osten den herannahenden Tag; näher und näher drang das junge Licht, bis es den Sammelplatz der übernächtigen Husaren erreicht hatte. Aber, o Himmel, welches Schauspiel brachte den Mannschaften die Tageshelle! Mit rotem Lehmboden über und über beklebte Gestalten, jämmerlich durchfroren und mit verschlafenen Augen, bewegten sich in wirrem Durcheinander über das morastartige Feld, und Freund Wolf suchte im Verein mit noch andern Leidensgefährten seine während der Nacht im Morast stecken gebliebenen Schuhe.

Glücklicherweise hatte der Regen nachgelassen, und ein sich erhebender Nordwind beförderte das Trocknen der gänzlich durchnäßten Bekleidung. Trotz alledem blieben die Mannschaften in ihrer mißmutigen Stimmung, bis plötzlich ein Vorfall eigener Art ihre Aufmerksamkeit fesselte und sie die traurige Lage schnell vergessen ließ.

Mehrere Reiter, deren Uniformen schon von fern hohe Offiziere verkündeten, kamen herangesprengt, und kaum hatte die Schwadron in dem vordersten den General Blücher erkannt, als sie auch in laute Jubelrufe ausbrach.

Blücher war nur zu dem Zweck gekommen, um der braven Mannschaft, die sich am vorhergegangenen Schlachttage besonders ausgezeichnet hatte, seinen Dank abzustatten. Er fing daher auch an:

»Kinder, ihr habt die Franzosen geschlagen!« Er wollte weiter fortfahren, als ihm das schmutzige Aussehen der Truppen auffiel, und sogleich an diesen Eindruck seine Worte anknüpfend, rief er in seiner Kraftsprache: »Alleine, ihr seht aus wie die Schweine! Das tut indessen nischte, denn wie gesagt, ihr habt die sakermentschen Franzosen geschlagen! Damit ist aber noch nicht genug. Putzt euch eure Uniformen ab, und dann: Feste auf die Weste, den Franzmännern keine Zeit gelassen – immer frisch drauf, Kinder!«

Diese echt Blüchersche Anrede verfehlte ihre Wirkung nicht. Ein donnerähnliches Hurra entrang sich den Husarenkehlen, während Vater Blücher den Sammelplatz andrer Braven aufsuchte, um auch sie anzufeuern.

Auf die Kampftage folgte eine den Kriegern sehr wohltuende Ruhepause. Sie war dadurch geboten, daß man erst Fühlung mit dem österreichischen Heerkörper haben mußte, ehe der weitere Vormarsch gewagt werden konnte. Blücher verlegte sein Hauptquartier nach Bautzen, während die Truppen in der nächsten Umgebung ein Lager bezogen und sich hier möglichst behaglich einrichteten.

Die Hütte, die Hirschfelds Schwadron für die Offiziere herstellte, sah ganz zierlich aus; sie war in einen Berg gegraben und bildete ein Wohnzimmer, woran sich eine viel niedrigere, aber deshalb wärmere Schlafkammer anschloß. Das Dach setzte sich aus Fichtenstangen zusammen, die nahe aneinander gelegt und dicht mit Rasen bedeckt waren. Außerdem hatte die Hütte nicht nur ein Fenster und eine Tür, sondern sogar einen Kamin aufzuweisen. – Beim Aufschlagen des Lagers lief alles wie Ameisen geschäftig durcheinander; eine Abteilung beeilte sich, Stangen und Sträucher herbeizuschaffen, eine andere wieder grub Kochlöcher usw. Bald standen freilich sehr niedrige und dem Meister Blasius genug Eingang gewährende, grüne Schutzwände von Strauchwerk in langen, regelmäßigen Reihen da, lustig flackerten die Koch- und Wachtfeuer und brodelten die Kessel.

Der gute Humor der Truppen hielt trotz der ungemütlichen, kalten Nächte stand und erreichte besonders am Morgen seinen Höhepunkt, wenn die allgemeine Toilette begann. Sie gab zu den spaßhaftesten Szenen Veranlassung. Wie konnte es auch anders sein, wenn man bedenkt, daß der Deckel des Kochgeschirres zugleich auch die Waschschüssel vorstellte, das Schnupftuch als Handtuch diente und eine alte Kleiderbürste zu dem Wichsen der Stiefel wie zum Striegeln der Haare benutzt wurde. Über dem Nützlichen vergaß man indessen auch das Angenehme nicht, wie eine Kegelbahn und ein größeres Zelt bewiesen, worin die Marketenderin die Gastwirtschaft besorgte. Aus der nahen Stadt sowie aus den umliegenden Dörfern kamen Verkäufer mit allerlei Waren, die rasch Absatz fanden.

Wahrhaft erhebend gestalteten sich die Stunden des Morgen- und des Abendgebets, das, nach Friedrich Wilhelms Bestimmung, in feierlichster Weise abgehalten wurde. Nach dem Zapfenstreich spielten die Hoboisten ein Abendlied, das von der Mehrzahl der Mannschaften mitgesungen wurde. Hierauf trat vor jede Kompagnie der betreffende Hauptmann und sprach ein kurzes Gebet; ein Trommelwirbel verkündete das Ende der Zeremonie, die letzten Befehle wurden gegeben, und ein jeder kehrte, gestärkt durch das Gebet, zu seinem Lager zurück, sich sorglos dem süßen Schlafe überlassend, der für gar manchen der tapfern Krieger bald ein ewiger werden sollte.

Gleich Blitzen kreuzten sich die Hiebe!

Johannes verlebte mit Katte und Hirschfeld ganz köstliche Stunden, und so manche Erinnerung wurde wieder wach, wenn die Freunde abends beim Wachtfeuer nebeneinander saßen. Obwohl Johannes, seit er ins Feld gerückt war, sich immer in Gesellschaft der beiden Freunde befunden, hatte er doch erst jetzt ein Anrecht darauf, denselben Lagerplatz mit ihnen zu teilen. Durch seine in dem Reitergefecht von Haynau und am Schlachttage an der Katzbach bewiesene Tapferkeit war er zum Fähnrich befördert worden. Er fand immer mehr Gefallen an dem militärischen Berufe und nahm sich jetzt schon im stillen vor, dem Kriegsgott treu zu bleiben.

Kurz ehe der Befehl zum Abbruch des Lagers erfolgte, traf ein Nachschub der Landwehr bei Bautzen ein. Katte hielt es vor Johannes geheim, bis er sich überzeugt hatte, daß sich der Vater seines jungen Freundes mit unter den Neuanlangenden befand. Er erwirkte dem alten Herrn Urlaub und nahm den Doktor mit sich in das behagliche Biwak. Die Freude und Überraschung von Vater und Sohn war groß, und eine innige Rührung bemächtigte sich Johannes', als er beim Scheine des Wachtfeuers die Briefe las, die der Vater aus der Heimat erhalten hatte. Mutter und Schwester befanden sich wohl und wußten dem alten Hauptmann Götze für sein ritterliches, aufopferndes Wesen nicht genug Lob zu spenden.

Man stand nach den im Lager umlaufenden Gerüchten vor großen Ereignissen. Katte und andere Offiziere hatten Nachrichten empfangen, die den Abfall mehrerer Rheinbündler von Napoleon meldeten; außerdem stellte es sich immer klarer heraus, daß die drei Heersäulen der Verbündeten das gleiche Marschziel verfolgten, nämlich die weite Ebene von Leipzig, um dort Napoleon zu einer entscheidenden Schlacht herauszufordern.

Es pfiffen dies sozusagen die Spatzen auf den Dächern, nur die guten Leipziger wollten an diese drohende Kriegsgefahr nicht recht glauben. Ruhig hatte man die Buden zur Michaelismesse aufgeschlagen, die denn auch in der Tat ihren Anfang genommen hatte, als die armen Leipziger plötzlich zu ihrem Schrecken inne wurden, daß sich das Schicksal des Feldzugs in ihrer unmittelbaren Nähe entscheiden sollte.

Ein französischer Heerkörper nach dem andern hielt seinen Einzug in die Stadt, und am 14. Oktober kam der welterschütternde kleine Mann mit dem grauen Überrock und dem dreieckigen Hütchen in Begleitung des Königs von Sachsen an.

Während zu allen Toren Leipzigs der wilde Kriegslärm hereintönte und am dämmernden Abend ein feuriger Kranz von Wachtfeuern rings um die Stadt aufflammte, saß zu Halle im hellerleuchteten Ratskeller eine stattliche Anzahl alter Burschen beisammen, um bei Gesang und Schwertergeklirr einen originellen Kommers zu feiern. Frisch und fröhlich ertönten die Klänge des Landesvaters, und doch gehörten die Sänger nicht mehr zu der fidelen Altersklasse der Studenten, denn statt der Cereviskappe und des Verbindungsbandes, statt des kecken Schnurrbärtchens und der rosigen Wangen der Jugend sah man blitzende Uniformen, grauweiße Haare und tief gefurchte Gesichter.

Es waren lauter Landwehrmänner, die sich in dem Halleschen Ratskeller zusammengefunden hatten und in der Erinnerung an ihre fröhliche Studienzeit sich wieder jung und kräftig fühlten, bereit zu dem großen Kampfe, der in den nächsten Tagen entbrennen sollte. Auch Doktor Ratbod befand sich unter dieser Schar weißlockiger Jünglinge, und er genoß die hohe Freude, unter den tapfern Landwehrmännern mehrere ehemalige Studiengenossen gefunden zu haben.

Begeisterte Reden wurden gehalten, und auch unser alter Freund erhob sich, um auf das Wohl des Vaterlandes sein Glas zu leeren. Alles erstaunte über seine Rednergabe, doch wies er bescheiden die Lobeserhebungen mit den Worten zurück:

» Pectus disertum facit, das Herz macht beredt.«

Die großen Strapazen, welche die letzte Zeit über ihn gebracht hatte, sah man dem Vater Ratbod nicht an, vielmehr hatte er eine frische, blühende Gesichtsfarbe; aber obwohl er sich von früh bis spät auf den Beinen befand, blieb ihm sein rundes Bäuchlein treu.

Immer höher stieg im Ratskeller zu Halle die Begeisterung; vaterländische Lieder ertönten, und ein Toast folgte dem andern. Da gab es keinen Helden, dessen nicht rühmend gedacht worden wäre; Vater Blücher aber stand obenan. Und wie konnte es auch anders sein? Gab er, der Siebzigjährige, den greisen Landwehrmännern ja doch durch seinen Mut und seine Taten ein leuchtendes Beispiel! In ihm fühlten sich alle wieder jung, und darum ging auch heute sein Name von Mund zu Mund, und immer von neuem ertönte es wieder:

»Der Lebrecht Blücher, er lebe hoch!«

Am nächsten Tage erfolgte der weitere Vormarsch des Dorkschen Korps, wozu jetzt auch der Doktor Ratbod gehörte, und am 16. Oktober stieß man bei Möckern auf den Feind. Der französische General Marmont hatte das Dorf mit 17 000 Mann besetzt und benutzte die festungsartige Anlage der Ortschaft zu einem hartnäckigen Widerstande.

Bald begann in den Gassen des Dorfes ein entsetzlicher Kampf. Die Franzosen hatten jedes Haus zu einer kleinen Festung eingerichtet, und aus allen Fenstern, die Dachluken nicht ausgenommen, eröffneten sie ein wohlunterhaltenes Feuer auf die anstürmenden Preußen. Aber auch diese gaben nicht nach; vor Begierde brennend, nahe an den Feind zu kommen, und sich wohl bewußt, daß Deutschlands Schicksal sich heute entscheiden müsse, stürmten sie immer wieder von neuem über die Leichen ihrer Brüder auf den Feind. Das Toben und Schreien der Soldaten, das Tönen des Geschütz- und Gewehrfeuers, das Einschlagen und Platzen der Granaten, das Gewinsel und die Rufe der Verwundeten sowie das Geheul der Fliehenden war grausig; dazu kam noch, daß der Pulverdampf sowie der aufsteigende Rauch von brennenden Häusern den Horizont dergestalt verdunkelte, daß niemand mehr wußte, in welcher Tageszeit er lebte.

Unsere Freunde trafen gerade am Orte des Schreckens ein, als neue Feuersbrünste aufgingen.

Johannes eilte einem russischen Infanteristen zu Hilfe, der sich von drei Franzosen zugleich angegriffen sah. Seine Pistole gegen den einen mit Erfolg abfeuernd, hieb unser junger Husar wütend auf die beiden andern ein, so daß sie sich schleunigst zurückzogen. In diesem Augenblick sprengte jedoch ein französischer Offizier gegen Johannes heran, ihm ein kurzes: » Bon jour, Monsieur Ratbod!« zurufend.

Unser junger Freund musterte seinen Gegner und erkannte in ihm wiederum Raoul d'Haunaigue, mit dem er schon am Tage nach der Schlacht an der Katzbach einen heftigen Zweikampf bestanden hatte. Johannes erwiderte den Gruß, worauf sich beide hoch in den Bügeln aufstellten und ihre Klingen kreuzten.

Es regnete eine Menge von Hieben, ohne daß sie indes einen der Fechter kampfunfähig gemacht hätten. Endlich hieb Johannes eine Quart, die der Gegner nur unvollständig parierte; die Folge davon war, daß Raoul eine Epaulette von seiner Schulter verlor. Dadurch gereizt, focht er immer erbitterter, und alsbald sauste ein Hieb durch den Dolman unseres Freundes. Nunmehr wuchs auch dessen Zorn, und die gegenseitigen Schläge erfolgten so rasch, daß man die Säbelklingen nicht mehr zu unterscheiden vermochte, und es vielmehr aussah, als ob zwischen beiden Reitern so und so viele Blitze züngelten. Da gab sich Johannes ganz unverhofft eine Blöße, und schon wollte sein Gegner den tödlichen Hieb nach ihm führen, als sein Pferd vor einem in der unmittelbaren Nähe stürzenden brennenden Balken zurückscheute. Ein Sprühregen von Funken brachte auch das Pferd von Johannes zum Bäumen, und so wurde das kämpfende Paar voneinander getrennt. Im Davonsprengen rief indessen der Kolonel unserm Johannes zu:

» Adieu, Monsieur Ratbod, à revoir!«

Da der Feind aus dem Dorfe nicht weichen wollte, so ließ York immer neue Batterien nachrücken, und endlich erscholl auch für die Landwehr das Signal zum Vorwärtsgehen.

Kampfbegeistert passierten die graubärtigen Krieger den Eingang des Dorfes, dessen Häuser zum großen Teil nach wie vor von dem Feinde besetzt waren.

Der Doktor war einer der ersten, der die schmale Dorfgasse betrat.

»Wo sind die Schock-Schwerenot-Element-Franzosen?« stürmte er, das Gewehr schußbereit haltend, vorwärts, auf den warnenden Zuruf der Kameraden nicht achtend. Die Begeisterung hatte ihn poetisch verklärt, und so hörte man ihn mit weithinschallender Stimme nach kurzer Pause wieder rufen: »Der Rächer naht, und deine letzte Stunde, Erbfeind, hat geschlagen!«

Piff! paff! puff! surrte es um des Doktors Ohr. Er hielt in seinem Laufe inne und richtete seine Blicke auf ein Haus, aus dessen Fenster die Kugeln offenbar entsandt worden waren. »Hurra!« rief er, »sie haben sich verraten, in jenem Hause dort steckt die Schar! Laß Kanonen vorfahren, drauf und dran!«

Eben richtete er sein Gewehr auf einen Franzosen, dessen Kopf in einem Parterrefenster sichtbar wurde, als er gewahrte, daß er vergessen hatte, Pulver auf die Pfanne zu schütten, weshalb er rasch ungeachtet der fortwährend ihn umsausenden Kugeln das Versäumte nachzuholen gedachte. »Nur Geduld,« rief er, Blicke des Zornes nach dem Hause hinüber sendend, »laßt mich nur erst geladen haben, volente Deo hat euer Stündlein jetzt geschlagen.«

Indessen wer weiß, ob nicht das des guten Doktors würde geschlagen haben, wenn nicht die nacheilenden Kameraden dem Gegner vollauf zu tun gegeben hätten.

Die Franzosen, die keine Reserven hatten, waren schon ermüdet und den frisch nachrückenden Streitmassen nicht mehr gewachsen. Dennoch waren sie nur schwer aus ihren Verstecken herauszujagen. Jetzt erst gewahrte der Doktor, daß nicht nur eins, sondern alle Häuser vom Gegner besetzt gewesen waren, mit dem man jetzt ins Handgemenge geriet. Auch unser alter Herr sah sich einem blutjungen Franzosen gegenüber, der heftig mit dem Säbel auf ihn eindrang.

»Was, Bürschlein,« rief er ihm zu, »du wagst es, mir so zu kommen – einem Manne, der dein Vater, ja sogar dein Großvater sein könnte, der dich hätte mensa deklinieren und amare konjugieren lassen können?«

Auf alle diese Einwürfe antwortete der junge Franzose indessen nur mit dem Säbel, dessen tödlichen Streichen auszuweichen der Doktor außerordentlich bemüht war. Triefend von Schweiß, beschrieb er mit dem Bajonett seines Gewehres ein unaufhörliches Zickzack. Er hätte gar zu gern seinen Gegner gebeten, ihm wenigstens einen Augenblick Ruhe zu gönnen, bis er von Wange und Stirn seinen Schweiß abgewischt habe, aber mit dem Kerl war nun einmal nichts anzufangen. In hohem Grade ärgerlich, sprang er ein paar Schritte zurück, hob die Büchse empor und rief dem Gegner zu: » Semel pro semper, ein für allemal, weiche zurück, oder ich schieße.« Die Worte aber verhallten lautlos in der Luft; sich vor dem erneuten Angriffe des Gegners abermals verteidigend, legte er das Gewehr mit den Worten an: »Gott vergib mir meine Missetat, allein ich kann nicht anders«, und drückte los.

Selbst wenn in dem nämlichen Augenblicke unserm alten Herrn von zwei andern Franzosen, die ihrem Kameraden zu Hilfe eilten, das Gewehr nicht aus der Hand geschlagen worden wäre, würde es trotz alledem keinen Schaden angerichtet haben, da der Doktor, während er schoß, die Augen zugedrückt hatte, um ja nicht Zeuge des blutigen Schauspiels zu werden; als er sie jetzt wieder öffnete, sah er sich von Feinden umringt, allein glücklicherweise nur einen Augenblick, denn in dem nächsten schon sauste eine Abteilung preußischer Husaren daher, alle Feinde unbarmherzig niederreitend.

»Hurra!« rief jetzt die kräftige Stimme Wolfs, der zugleich die Angreifer unseres alten Herrn in die Flucht jagte. »Ei, zum Kuckuck, Herr Doktor, Sie sind es?« setzte der Wachtmeister hinzu, was den gelehrten Herrn bewog, nach seinem Retter aufzuschauen.

»Grüß' Euch Gott!« rief Ratbod erschöpft und zog sein Taschentuch hervor, um sich den Schweiß zu trocknen. »Das war ein hartes Stück Arbeit! Allein was tut's? Haben wir uns doch den Lorbeer errungen. Jetzt sagt mir nur, Freund, wo mein Johannes weilt.«

Aber der Wachtmeister blieb die Antwort schuldig, denn der Augenblick war nicht geeignet zu gemütlichen Gesprächen.

Ein fürchterlicher Knall erschütterte die Luft; von preußischen Granaten getroffen, flogen einige Pulverwagen des hart zurückgedrängten Feindes in die Luft. Die dadurch entstehende Verwirrung wurde vom General York sofort benutzt, indem er mit der Reiterei gewaltsam in die Reihen des Gegners brach, während das Fußvolk nachdrängte.

Bei dieser Gelegenheit sah sich Johannes noch einmal seinem erbitterten Feinde Raoul d'Haunaigue gegenüber. Auch dieses Mal bot das Paar alles auf, sich gegenseitig kampfunfähig zu machen, ohne daß es indessen gelang. Zudem sahen sich beide durch heranziehende Truppen getrennt, und Raoul ließ abermals sein an Johannes gerichtetes » A revoir, Monsieur Ratbod!« vernehmen. Er folgte seinen fliehenden Landsleuten nach, denn schon war der Kampf entschieden, und die Franzosen, überall geworfen, zogen sich eilig und in Unordnung zurück.

*

Tiefer Friede herrschte jetzt in den Dorfgassen, wo noch kurz vorher der erbittertste Kampf gewütet hatte. Ein tödlich getroffener hessischer Soldat ruhte mit seinem Kopfe auf dem Schoß unseres Wachtmeisters Wolf, von dem er kurz zuvor die unheilbare Wunde empfangen hatte.

»Bruder,« rief der gutmütige Husar schmerzlich bewegt aus, »stirb nicht, kehre zum Leben zurück!«

Wehmütig lächelnd schüttelte der arme Blessierte das Haupt. »Da sitzt der Tod,« lispelte er, auf das Herz deutend, »ich sterbe gern, sind deutsche Brüder ja nun doch wieder vereint. Und, nicht wahr,« fügte er, seine letzte Kraft zusammenfassend, hinzu, »Deutschland wird siegen?«

»Es wird!« entgegnete der preußische Husar. »Vernimmst du nicht das Jubelgeschrei, das donnernde Hurra, das von allen Seiten zu uns herüberdringt?«

»Kommt's nicht vom Himmel?« entgegnete mit verklärtem Antlitz der Sterbende. »Ist's nicht Sphärenmusik?«

»Nein, Bruder, es ist das deutsche Hurra, der Siegesruf der Unsrigen.«

»Dann sterbe ich gern«, versetzte der hessische Soldat. Noch einmal leuchteten die matten Augen auf, noch einmal richtete er sich schwach empor, freudig rufend: »Gott mit Deutschland!« dann hauchte er seine Seele aus, während Wolf sich tränenden Auges auf die irdische Hülle hinabbeugte.

Noch hielt die gesamte preußische Streitmacht auf dem Schlachtfelds, als plötzlich ein weithin schallendes Hurra ertönte, und unser Johannes dicht an den Feldherrn York heransprengte, die Worte hervorkeuchend:

»Herr General, da bringe ich einen Vogel!«

Es war ein erbeuteter französischer Adler.

Ein donnerndes Hurra der Kameraden war die schönste Belohnung, die sich Johannes erringen konnte, obschon er auch eine innige Freude empfand, als York zu ihm sagte:

»Werde es dem Obergeneral mitteilen. Der Vogel dürfte für Sie, mein Sohn, sich in ein Kreuz verwandeln.«

Johannes mußte seinen Namen sagen, worauf zum Appell geblasen wurde.

Die Mehrzahl der Sieger biwakierte heute auf dem Schlachtfelde, da alle Dörfer der Nachbarschaft mit Verwundeten und Sterbenden angefüllt waren.

Die Landwehr-Kompagnie des Doktors hatte ihren Lagerplatz neben jenem der Schwadron Hirschfelds. Vater Ratbod suchte daher die Freunde in der Dunkelheit auf, denn es war verboten, in der Nähe des Feindes Wachtfeuer anzuzünden. Man kann sich denken, daß die vielfältigen Abenteuer des vergangenen Tages aufs genaueste besprochen wurden. Katte und Hirschfeld rühmten einstimmig die Tapferkeit von Johannes, dessen seltsames Begegnis mit dem Feinde seiner Familie das allgemeine Interesse noch erhöhte. Auch Katte und Hirschfeld hatten während des heißen Kampfes dem Tode ins Angesicht geschaut, waren aber ebenfalls vor den feindlichen Kugeln bewahrt geblieben.

Die naßkalte Witterung machte das Biwak des 16. Oktobers sehr ungemütlich. Die Mannschaften klagten über Hunger und Frost, und so manche Kameraden zogen aufs Furagieren aus. Auch Johannes konnte, trotz der gehobenen Stimmung, das Gefühl nagenden Hungers nicht unterdrücken, und der Vater und Wolf stimmten seiner Klage bei.

»Wenn der Herr Major uns erlauben wollten, nach Möckern gehen zu dürfen,« äußerte der Wachtmeister zu Katte, »so könnten wir vielleicht mit ein paar guten Bissen wieder heimkehren. Die Franzosen hatten sich's im Dorfe bequem gemacht und werden bei ihrer Flucht so manchen Furagewagen zurückgelassen haben.«

»Hirschfeld und ich werden Euch für Eure Bemühungen nur dankbar sein«, lautete die Antwort Kattes, und so machten sich Wolf, Johannes mit dem Doktor und einigen Kameraden auf den Weg. Um nicht mit Feldwachen zusammenzutreffen, umgingen sie das Dorf, ohne indessen, am Ziele angelangt, ihre Hoffnungen erfüllt zu sehen.

Traurig traten sie den Rückweg an, als plötzlich einer der Husaren gegen die Deichsel eines französischen Fourgons stieß; ohne Aufschub bestieg er den Wagen, während die andern begierig auf den Erfolg seiner Untersuchungen warteten. Es stellte sich aber leider heraus, daß der Wagen nur Akten enthielt. Der Husar wühlte sie ingrimmig durcheinander, und es schien, als ob dennoch seine Mühe belohnt werden sollte, denn plötzlich fühlte seine Hand eine Flasche, die er jubelnd hervorzog.

»Meiner Seel', eine Rumflasche!« rief er entzückt aus. Die Mannschaften stimmten in den Jubel mit ein und langten begehrlich nach der Flasche, die der Finder jedoch sofort mit den Worten zurückzog:

»Einer nach dem andern. Ich habe die Flasche entdeckt, mir gebührt der erste Schluck.« Damit setzte er die Flasche an; der Inhalt konnte indes kaum an die Kehle gelangt sein, als er heftig zu sprudeln und zu spucken begann und in Zwischenpausen ausrief: »Pfui, verwünschte Franzosen – pfui – der Teufel soll sie lotweise holen – pfui – es ist ja Tinte, die sie hier haben stehen lassen, pfui!«

Wolf hatte inzwischen Feuer geschlagen und leuchtete mit einem angebrannten Baumaste in den Wagen hinein.

»Noch stehen mehrere Flaschen da drinnen!« meinte er.

»Es ist aber alles Tinte!« sprudelte noch immer der arme Husar.

Bei dem Feuerscheine des brennenden Astes wurde man gewahr, daß Johannes fehlte. Man rief nach ihm, allein ohne Erfolg.

Er war auf eigene Faust rekognoszierend vorgegangen. Er war jedoch noch nicht sehr weit gekommen, als ein Baschkir heransprengte und ihm das von den Kosaken erlernte fürchterliche »Stoy!« zurief.

Ein Baschkir, der in der Nacht auf einem Schlachtfelds umherirrt, hat keine andre Absicht, als die Toten und Verwundeten zu plündern, und zudem war es diesen Leuten sehr gleichgültig, ob sie einen Franzosen oder Preußen in die andere Welt beförderten, wenn sie nur zu ihrer Beute gelangen konnten.

Johannes kannte schon den Charakter dieser wilden Naturen, und so wurde es ihm bei diesem Zusammentreffen nicht sehr wohl zumute. Dennoch faßte er sich und rief dreist und gebieterisch:

»Preußischer Offizier – Offizier pruski.«

»Ah,« versetzte der Baschkir, »Kamerad! Schnaps?«

»Nix Schnaps!« entgegnete Johannes.

Der Baschkir wies nunmehr auf die Korbflasche, die am Gurte unseres Freundes befestigt war, und wiederholte, jedoch in einem sehr freundlichen Tone:

»Kamerad, Schnaps!«

»Nun meinetwegen,« entgegnete Johannes, »wenn du noch einen Tropfen darin findest, so labe dich daran.« Mit diesen Worten reichte er dem andern die Flasche hin. Der Baschkir setzte sie an den Mund, schüttelte aber sofort bedauernd sein bärtiges Haupt, als er sie leer fand.

»Nix Schnaps, armer Kamerad,« rief er aus, »doch Schnaps kriegen.« Während er dies sprach, holte er aus seiner Satteltasche eine mit Branntwein gefüllte Korbflasche und begann jene unseres Freundes zu füllen, bis in der Dunkelheit ihn die über seine Finger rinnende Flüssigkeit endlich merken ließ, daß die Flasche voll sei, dann gab er sie an Johannes zurück, brummte viel unverständliches Zeug, wandte sein Pferd und jagte davon.

Johannes sah dem wilden Tatarensohn nicht ohne Rührung nach, war ja doch seine milde Gabe in der kalten, nassen Oktobernacht von unschätzbarem Wert. Er öffnete eben seine Lippen, um dem Davonsprengenden seinen Dank nachzurufen, als Stimmen an sein Ohr schlugen und gleich darauf der Vater und die Kameraden an seiner Seite waren.

»Das ist ja unser Deserteur!« lachte Wolf, während die andern Johannes bestürmten, ob er nicht was entdeckt habe, das ihnen Hunger und Durst stillen oder den Frost vertreiben könne.

Johannes reichte den vor Kälte sich schüttelnden Kriegern die gefüllte Flasche, und nachdem sie von dem erwärmenden Tranke genossen hatten, segneten sie im stillen den Baschkir.

Der Doktor behielt, als er den unersättlichen Durst der Husaren bemerkte, die Flasche zuletzt bei sich, denn er gedachte Kattes und Hirschfelds, denen ein Schluck Branntwein ebenfalls gute Dienste leisten würde.

»Kameraden,« redete Wolf die Husaren an, »es wird Zeit, daß wir unser Biwak aufsuchen; zu essen und zu trinken bekommen wir ja doch nichts mehr, der glühende Durst ist gelöscht und der Frost verjagt. Hallo,« unterbrach er sich, »was ist das hier?«

Mehrere dunkle Gegenstände versperrten den Weg, die sofortige Untersuchung ergab, daß es Wagen mit Lebensmitteln waren.

»Bei der Finsternis ist nichts ordentlich zu erkennen,« erklärte Wolf, »darum rate ich, die Wagen hinter die Linie des Schlachtfeldes zu bringen, denn dort ist es uns erlaubt, Wachtfeuer anzuzünden.«

»Gut so,« stimmte Johannes bei, »vorerst geht aber eine Ordonnanz an unsern Major und den Rittmeister ab, um ihnen unsern Fund zu melden und sie zugleich zur Teilnahme an unserm Abendbrot einzuladen. Jenseit des Schlachtfeldes ist ein Gehölz, das wir gestern auf unserm Vormarsch passierten, dort erwarten wir die verehrten Vorgesetzten.«

Die Ordonnanz eilte davon. Mehrere der Husaren spannten sich vor die Wagen und zogen sie so schnell wie möglich über die Ebene dahin.

Nach Verlauf von einer guten halben Stunde hatten sie das Schlachtfeld hinter sich und waren in das Gehölz eingebogen, das sie fremden Blicken vollständig entzog. Alsbald prasselte ein Wachtfeuer lustig aus, worauf es an das Auspacken der Wagen ging.

Es zeigte sich gar bald, daß unsere Freunde einen reichen Fang getan hatten; der erste Wagen enthielt Schiffszwieback, Mehl, Reis, Essig und Branntwein, der zweite jedoch noch weit mehr, denn es war, wie sich herausstellte, der Küchenwagen des französischen Marschalls Marmont, der bei der wilden Flucht von den Knechten zurückgelassen worden war. In ihm fand sich alles, was sich nur Herz und Magen unserer Freunde wünschen konnten, denn der Herr Marschall hatte sich trefflich versorgt.

Wolf war auf den Wagen geklettert und reichte die einzelnen Gegenstände unter jedesmaligem Triumphgeschrei den Kameraden zu, während der Doktor mit Johannes bemüht war, die bunte Menge von Waren regelmäßig aufzustellen.

»Eine Batterie von Flaschen!« verkündete Wolf mit Stentorstimme, »dieses Mal aber nicht mit Tinte gefüllt – eine Schneckenpastete – noch einmal eine Batterie Weinflaschen – kikiriki! ein gebratener Hahn – eingemachte Früchte – ein Dutzend Mosjöhs mit silbernen Zipfelmützen, auf deutsch Champagner genannt – kleine Kuchen, Brot, Butter, Zitronen, Kaffee, Zucker – zwei Dutzend blecherne Teller, und anderes Tischgerät – das Silberzeug fehlt, ist wahrscheinlich von den unredlichen Bedienten mitgenommen worden.«

Die Vorräte waren so ausgesucht und reichlich, daß unsere Freunde damit eine ansehnliche Gesellschaft hätten bewirten können. Es wurde nunmehr gekocht und gebraten, während der Doktor eigenhändig auf dem grünen Rasen eine förmliche Tafel deckte.

Die Vorbereitungen zur Mahlzeit waren schon beendet, als zur allgemeinen Freude Katte und Hirschfeld mit der Ordonnanz anlangten und angesichts der leckern Speisen und des funkelnden Weins einem namenlosen Erstaunen Ausdruck verliehen. Fröhlich und wohlgemut ließ sich die kleine Gesellschaft auf dem Rasen in der Nähe des Wachtfeuers nieder, und so kreiste fröhlich der Becher, und zahllose Toaste wurden dem Könige, allen Generalen sowie dem preußischen Heere ausgebracht.

» Amici mei,« begann der Doktor, bei dem sehr bald der schwere französische Rotwein seine Wirkung tat, »wir haben das Leben aus einer blutigen Schlacht geborgen, wir haben einen herrlichen Sieg erfochten, und nun winkt uns nach der Anstrengung des Tages ein Siegesmahl, wie es wohl wenigen nach einer gewonnenen Schlacht zuteil geworden ist. Darum laßt uns diesen Becher dem guten Geiste darbringen, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt, der die Lilien auf dem Felde kleidet und uns heute so reichlich bedacht hat.«

Ernst und feierlich klangen die Becher aneinander, einige Augenblicke herrschte tiefes Schweigen, dann aber brach der Jubel von neuem wieder los. Der Lärm lockte alsbald ein Dutzend halbverhungerter und verwundeter Franzosen an den fröhlichen Kreis heran, die kläglich um Hilfe flehten; und nunmehr zeigte sich das deutsche Herz in seiner besten Weise. Von den Planen der erbeuteten Wagen wurden schnell Zelte gemacht, das Stroh, in das die gefundenen Schätze eingepackt gewesen waren, hineingebracht, die Verwundeten darauf gelegt und ihnen dann Suppe, Wein und Brot gereicht.

»Es ist doch etwas Schönes um eine gute Mahlzeit und einen edeln Schluck Wein!« rief der Doktor seelenvergnügt aus, als man wieder an das Wachtfeuer zurückgekehrt war und eine neue Batterie Flaschen aufgestellt wurde. »Wäre unseren Vorfahren, lieber Johannes, das Schicksal günstiger gewesen, so könnten wir uns dieser schönen Gottesgabe tagtäglich erfreuen.«

»Sie sprechen ja, als ob Ihre Voreltern ein großes Vermögen gehabt hätten?« ergriff Katte lächelnd das Wort.

»Ist auch so gewesen«, nickte der Doktor und kam nunmehr auf das Familienzerwürfnis zu sprechen, das die Nachkommen der Ratbod und der Hohenheg – jetzige d'Haunaigue – zu Todfeinden gemacht habe; auch eines unterschlagenen Testaments erwähnte er, nach dem von seinen Vorfahren vergebens gefahndet worden war.

»Vielleicht hat es gar nicht existiert«, bemerkte Hirschfeld, dem Erzähler zutrinkend.

»Oh, da muß ich bitten,« fiel der Doktor gewichtig ein, »ist ja doch im Besitze meiner Familie ein Dokument des Vorfahren, der durch die Unterschlagung des Testaments um sein väterliches Erbe kam. Das Papier enthält sehr wichtige Enthüllungen, beschuldigt den Grafen direkt der Unterschlagung und überträgt die Rechte der Familie Ratbod auf deren sämtliche Nachkommen.«

»Dann gratuliere ich Ihnen,« äußerte der zum Sarkasmus geneigte Katte, »namentlich wenn es unserm Heere gelingt, in Frankreich einzudringen, dann können Sie auch im Elsaß den Herrn spielen, verehrter Freund, und wer weiß, ob es Ihrem archäologischen Scharfblick nicht gelingt, das Dunkel, welches das geheimnisvolle Versteck des unterschlagenen Testaments umgibt, zu durchdringen.«

Der gute Doktor lächelte sehr bescheiden; er hatte allerdings so manchen für die Wissenschaft seltenen Fund aus Staub und Asche zutage befördert; an einen derartigen Glücksfall aber, wie ihn der Major anführte, wagte er nicht zu glauben, denn er gehörte zu der Klasse von Sterblichen, die unter dem Namen Pechvögel bekannt sind.

In tiefe Gedanken versunken, trat er mit den andern den Rückweg zum Lagerplatze an, wurde aber bald aus seinem Sinnen aufgeschreckt.

Wolf hatte nämlich mit noch einigen Husaren einen französischen Artilleriekarren entdeckt und wandte sich mit den Worten an seine Vorgesetzten:

»Wir sollen zwar kein Feuer anzünden, aber ich habe doch Lust, es zu tun. Ich möchte den vermaledeiten Franzosen gar zu gern eine höfliche gute Nacht wünschen.«

Katte und Hirschfeld waren gespannt, was der Wachtmeister tun werde, und willigten daher ein. Wolf entnahm dem Wagen eine Anzahl Windlichter, mit deren Hilfe bei Regenwetter die Geschütze abgefeuert wurden, steckte sie in einem Kreise in die Erde, zündete sie an, blies auf der hohlen Hand die Retraite und begann dann zu singen:

»Franzosen, habet ihr's vernommen?
Die Preußen haben die Schlacht gewonnen.
Hurra! Hurra! Hurra!«

Die also Angerufenen blieben die Antwort nicht lange schuldig, und alsbald sauste eine Granate durch die Luft, die glücklicherweise zu kurz geschossen war.

Die Freunde hatten jetzt nichts Eiligeres zu tun, als die Illumination des Wachtmeisters schleunigst auszulöschen und sich gemeinsam aus dem Staube zu machen.


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