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Einer Sienesischen Chronik nacherzählt.
(1883)
…Um diese Zeit – der Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts ist gemeint – ereignete sich in unserer Stadt eine seltsame und herzbewegende Geschichte, die wohl verdient, unter den größeren öffentlichen Vorfällen und politischen Händeln an dieser Stelle erwähnt und der Vergessenheit entrissen zu werden, wie sie denn auch in ihren Tagen die Gemüther nicht weniger erregte und viele Monate lang beschäftigte, als denkwürdige Kriegsläufte und große allgemeine Calamitäten und Heimsuchungen. Denn die beiden Personen, welche dies traurige Ereigniß betraf, waren in der ganzen Stadt Siena nicht nur jede für sich bekannt und beliebt, sondern das feste und unerschütterliche Freundschaftsband, das sie vereinigte, von ihrer Knabenzeit bis zu ihrem frühen Tode, verlieh ihnen in den Augen der Mitlebenden einen eigenen Glanz und fast überirdischen Ruhm, gleichsam wie Menschen aus einer anderen Zeit, also daß die Leute sich etwas damit wußten, wie man im Alterthum von Damon und Pythias oder Orest und Pylades gesungen und gesagt hatte, unter ihren Mitbürgern ein Freundespaar zu besitzen, das jenen von den Dichtern gefeierten Helden an Hingebung des Einen für den Anderen nicht nachstand, ja durch ihr gemeinsames Ende sie noch übertraf.
Sie waren Nachbarskinder, aber in sehr verschiedenem Stande aufgewachsen. Antonino del Garbo hieß der Sohn eines der angesehensten und reichsten Bürger der Stadt, der sogar etliche Jahre das Amt eines Gonfaloniere bekleidet hatte, bis eine schwere, in den Fehden mit Florenz davongetragene Verwundung ihn zwang, allen öffentlichen Geschäften und Würden zu entsagen. Er lebte hinfort nur der Erziehung seines einzigen Sohnes, den er selbst in den Anfängen aller Wissenschaften unterrichtete, während er ihn zugleich in Leibesübungen und schönen Künsten durch die geschicktesten Lehrmeister unterweisen ließ. Da Nino nicht nur ein aufgeweckter und dabei ernsthafter Knabe war, sondern auch die Schönheit seiner Mutter, einer Calandrini, geerbt hatte und den Ehrgeiz fühlte, es in allen ritterlichen Künsten so weit zu bringen, wie man es seinem Vater nachrühmte, wuchs er zu einem vollendeten Musterbild eines Jünglings heran, von dem seine Vaterstadt sich dereinst der trefflichsten Dienste versehen durfte.
Nun wohnte in dem Hause nebenan, das freilich mit der Casa del Garbo sich weder in äußerem Schmuck noch innerem Reichthum messen konnte, ein kleiner Goldschmied, Meister Buonfigli genannt, dem seine früh verstorbene Frau zwei Kinder hinterlassen hatte, Tommaso oder Maso und Lisabetta. Das Mägdlein, das sehr anmuthig war, wuchs in der Hut und Pflege einer alten Verwandten, die im Hause Tante Brigida genannt wurde, heran, während der Sohn in der Werkstatt des Vaters schon früh mit zugreifen mußte und im Uebrigen seine Bildung, so gut er wußte und konnte, sich selbst zusammensuchen mochte. Es gelang ihm dies, da er von der Natur zwar keine Schönheit, aber ein Paar helle Augen und feine Ohren erhalten hatte, zum Verwundern gut, also daß ihm Niemand anmerkte, wie kurze Zeit nur er eine Schulbank gedrückt hatte. Theure Lehrmeister seinem Sohne zu halten, wie der vornehme Nachbar dem seinigen, gebrach es dem wackeren Goldschmied am Nöthigsten, auch wenn er den Knaben als Gehülfen am Schmelzofen und Ciseliertisch hätte missen mögen. Denn sein künstlerisches Gewerbe, obwohl er es aus dem Grunde verstand, trug ihm nur gerade so viel ein, daß er sein Haus auf ehrbarem Fuß erhalten und sich und die Seinigen anständig durchbringen konnte. Er hatte nämlich den Fehler, daß er ein allzu reizbares und ungenügsames Handwerksgewissen besaß und eine Arbeit nicht eher aus den Händen geben wollte, als bis sie vor der allerstrengsten Prüfung bestehen konnte, so daß selbst das geringste Versehen eines Gesellen ihn bewog, lieber das Ganze umzuschmelzen und von vorn zu beginnen. Hiermit kam er nun freilich auf keinen grünen Zweig. Doch weder ihn selbst bekümmerte das sonderlich, noch seinen Sohn, der zwar nicht die peinliche Gemüthsart des Vaters geerbt hatte, dafür aber einen glücklichen leichten Sinn, der ihn das Leben jeden Tag mit neuer Freude und neuer Hoffnung begrüßen ließ, so wenig auch von all seinen phantastischen Träumen in Erfüllung ging. Dazu half ihm vor Allem das Glück, das er in der leidenschaftlichen Liebe zu seinem Nachbarn, dem jungen Nino del Garbo, genoß. Es schien, als ob er Alles, was dieser Reichausgestattete besaß, im Stillen als seinen eigenen rechtmäßigen Besitz betrachtete, worin er durch die Erwiderung seiner Neigung von Seiten des ernsten und wortkargen Knaben bestärkt wurde. Denn es verging kein Tag, wo die Beiden, wenn die Lectionen vorbei und Feierabend gekommen war, sich nicht zusammenfanden, meist auf den Wällen, die um die Stadt liefen, oder in den schönen busch- und baumreichen Thälern vor den Thoren, wo es dann schien, als ob sie das Heil der Welt mit einander zu bereden hätten, da sie ihres Geplauders kein Ende fanden. Von den übrigen Knaben ihres Alters hielten sie sich fern. Die Väter aber ließen sie gewähren, da jeder den Sohn des anderen sich genau darauf angesehen hatte, ob er auch zum Gefährten des seinigen tauge, und diesen ausschließlichen Umgang minder gefährlich fand, als den Verkehr mit einer Rotte nichtsnutziger und händelsüchtiger Kameraden.
Als sie dann in die Jünglingsjahre kamen, weissagten die Spötter, die ihnen allerlei Spitznamen angehängt hatten als: »die beiden Tauber, das Liebespaar, die rechte und die linke Hand« –: nun werde es mit ihrer Unzertrennlichkeit die längste Zeit gedauert haben, da die Weiber sich ins Mittel legen würden, die bekanntlich von jeher den Apfel der Zwietracht zwischen die Männer geworfen haben, oder doch aller Sinne und Gedanken eines jungen Fants sich so ausschließend bemächtigen, daß kein Raum mehr bleibt für einen Dritten, und wär' es der neidloseste Gefährte und Herzensfreund.
Diese klugen Leute mußten aber zu ihrer großen Verwunderung erleben, daß ihre Prophezeiungen nicht eintrafen. Weder Nino noch Maso schienen es zu bemerken, daß sie von den jungen Frauen und Mädchen der Stadt auf die Liste Derer geschrieben worden waren, von denen man verliebte Huldigung oder gar ernsthaftere Bewerbung erwartete. Mehr noch als bei dem schönen Nino, der für einen jungen Philosophen und asketischen Sonderling galt, befremdete diese Kälte bei seinem leichtherzigen Freunde, dessen Blick den schönen Augen, die nach ihm zielten, keineswegs auswich, vielmehr Alles, was hold und reizend war in der Welt, mit einer unverhohlenen Freude in Augenschein nahm, freilich aber zwischen einem blitzenden Juwelenschmuck, einem blühenden Granatbaum und einem in Schönheit und Jugendfülle einherwandelnden Weibe keinen Unterschied zu machen schien. Sein Interesse an der Menschheit, als Etwas, das wichtiger und erquicklicher wäre, als alle anderen schönen Werke aus der Hand des Schöpfers, schien erst bei seinem Freunde zu beginnen und mit ihm zu enden, von dem zarten Geschlecht aber nur eine Einzige, das Lisabettlein, für ihn vorhanden zu sein, die er, da sie mehrere Jahre jünger war als er, fast mit mütterlicher Sorge und Eifersucht als seinen Augapfel behütete.
Nun geschah es, daß Nino's Vater es an der Zeit fand, den Sohn nach Bologna zu senden, um dort etliche Jahre die Rechtskunde an der Universität zu studiren. Diese erste Trennung der beiden Freunde brachte ihnen einen so großen Kummer, wie ihn sonst nur zwei Verliebte empfinden, die von einander scheiden müssen. Doch waren sie von zu stolzer Schamhaftigkeit, um irgend Jemand zum Zeugen ihres Schmerzes zu machen. Die Nacht vor Nino's Abreise verbrachten sie ohne Schlaf auf Maso's dürftiger Kammer. Als am frühen Morgen der junge Student unter dem Geleit seiner Familie und vieler Freunde zur Stadt hinausritt, war Maso nirgends unter den Abschied Zuwinkenden zu erblicken. Er saß in der Werkstatt und arbeitete eifrig an dem künstlich verzierten Griff eines Dolches, den er dem Freunde nachzusenden versprochen hatte.
Als er aber nach einem Monat damit fertig geworden war, verschwand er eines Tages aus der Stadt; Niemand wußte, wo er geblieben war. Dem Vater hatte er einen Zettel hinterlassen, auf welchem stand, nach einer Woche werde er wieder zurück sein. Später erfuhr man, daß er zu Fuß den weiten Weg nach Bologna gemacht hatte, nur um einen einzigen Tag mit Nino zusammen zu verleben. Der Vater, der ihn über Alles liebte, machte ihm keine Vorwürfe; nur das Lisabettlein schmollte mit ihm, weil er ihr von Nino Nichts mitgebracht hatte als einen Gruß.
Die anderen schönen Kinder, die sich Hoffnung gemacht hatten, nunmehr die Erbschaft Nino's anzutreten und das unbeschäftigte Herz des jungen Einsamen sich zuzueignen, sahen sich getäuscht. In den Stunden, die er sonst mit dem Freunde getheilt, warf er sich mit Eifer auf das Lautenspiel, in welchem er es bald zu einer großen Meisterschaft brachte. Auch dichtete er selbst die schönsten Lieder und Rispetti, die man ihn in mancher warmen Nacht in dem Gärtlein hinterm Hause singen hören konnte, wie er denn auch die Schwester in dieser Kunst unterwies. Doch konnte sich keine unter den schönen Damen der Stadt, die es bei flüchtigem Begegnen auf der Gasse oder in der Kirche an aufmunternden Blicken nicht fehlen ließen, rühmen, daß er seine Kunst zu nächtlicher Zeit vor ihrem Fenster geübt hätte.
Bald auch kam er selbst in eine Lage, wo es ihm nicht mehr nach Spiel und Gesang zu Muthe war. Sein Vater, der alte Meister Buonfigli, starb eines plötzlichen Todes und überließ dem Sohn die Sorge für sein Haus und die junge Schwester, die erst im fünfzehnten Jahre stand. Nun verschwand das Lachen aus dem hellen, gutmüthigen Gesicht des verwais'ten Sohnes, und er ergriff mit einem Nachdruck, den man ihm kaum zugetraut hatte, die Zügel des Hausregiments. Bisher hatte er seine Kunst nur lässig, wenn auch nicht ohne Geschick betrieben. Jetzt begann er sich ihr mit Leib und Seele zu widmen, da er sich in den Kopf gesetzt hatte, der Lisabettuccia eine stattliche Mitgift zusammenzubringen, was dem Vater niemals Sorge gemacht hatte.
Da er nun solchergestalt von früh bis spät über seinen kunstreichen Arbeiten saß und oft noch hernach bis an die Mitternacht die Zeichnungen entwarf für seine Gesellen, deren er ein paar sehr geschickte geworben hatte, vermehrte sich zusehends sein Vermögen wie auch das Ansehen in seiner Zunft, und er behielt zudem nicht überflüssige Zeit, sich nach seinem Jugendfreunde umzuschauen, der inzwischen auch nicht gefeiert hatte und nach etlichen Jahren, mit dem Doctorhut geschmückt, in seine Vaterstadt zurückkehrte. Auch seine Eltern waren inzwischen gestorben, und man glaubte nicht anders, als daß der junge Herr Doctor, sobald er das Trauerjahr hinter sich hätte, aus einem der ersten Häuser der Stadt sich ein Weib freien und um die Ehrenämter in der Bürgerschaft sich bewerben würde. Denn die alte übermäßige Liebe und Vertraulichkeit mit dem Nachbarssohne hielt man für erloschen oder doch leidlich verkühlt, da die Jugendfreunde sich so lange ohne einander beholfen hatten.
Statt dessen erfuhr man bald, daß der junge Del Garbo sich zur Aufnahme in die Gilde der Advocaten gemeldet und am nämlichen Tage mit der Schwester seines Freundes verlobt hatte. Hierüber ward eine Zeitlang viel Spöttliches geredet, da die losen Zungen in Siena gleich denen in Florenz sich so bald nicht zur Ruhe geben können, wenn ihnen ein gutes Futter gereicht wird. Mit der Zeit aber, da die Treuverbundenen, nunmehr drei an der Zahl, oder vier mit Einschluß der Tante Brigida, nicht viel zum Vorschein kamen, sondern höchstens in dem stillen Gärtchen bei Mond- oder Sternenschein das Lautenspiel Maso's wieder erklang und die zarte Stimme der jungen Braut sich dazu vernehmen ließ, auch Nino in alter Wortkargheit seinen Geschäften nachging, wurde diese Neuigkeit wie jede andere alt und abgestanden, ja es fanden sich Viele, die behaupteten, sie hätten es von jeher gesagt, so und nicht anders werde es kommen, und so und nicht anders sei es auch in der Ordnung.
Die Hochzeit war auf ein halbes Jahr hinausgeschoben worden, da das Lisabettlein ihre Ausstattung selbst beschaffen mußte und Tag für Tag es mit Brigida sehr wichtig hatte. Dies wäre nun freilich für einen Bräutigam, den es tausend Jahre bedünkt hätte, bis er seine Liebste in sein wohlausgestattetes Haus führen konnte, kein ausreichender Grund zu einer so langen Zögerung gewesen. Nino aber, obwohl er zu erkennen gab, daß er das holdselige Ding für eine Perle ihres Geschlechtes hielt, legte nicht die mindeste Eile an den Tag, so daß es selbst dem guten Kinde auffiel und sie endlich in Thränen gegen ihre alte Pflegerin sich über die Kaltherzigkeit ihres Verlobten beklagte. Es dünkte sie, er würde sie nie erwählt haben, wenn sie nicht des Maso Schwester gewesen wäre, der doch eigentlich seine einzige Liebe sei. Hierauf suchte die Alte, obwohl auch ihr die Sache nicht geheuer schien, ihren Augapfel, so gut sie konnte, zu trösten, nahm sich auch heimlich vor, den kalten Liebhaber zur Rede zu stellen, ob er denn ein Fisch sei oder ein Salamander, der selbst im Feuer so zärtlicher junger Augen nicht warm werde. Kam er dann am Abend mit seiner stillen, träumerischen Heiterkeit und plauderte so freundlich, aber auch so gleichmüthig mit der Lisabettucia, wie mit einer eigenen Schwester, so hatte sie gleichwohl nicht den Muth, mit ihrer geheimen Erbostheit herauszurücken, und dachte, daß sich's eines Tages denn doch ändern würde, wenn die Flamme eines eigenen Herdes das Eis zu schmelzen anfinge.
Da begab es sich zur Zeit des Carnevals, daß Maso von einem vornehmen und sehr reichen Nobile nach Venedig berufen wurde, um über den Brautschmuck der Tochter des Hauses, die mit einem französischen Herzog verlobt worden war, seinen Rath zu vernehmen. Es sollten die Juwelen, welche in der Familie der Mutter seit Jahrhunderten von Haupt zu Haupt sich vererbt hatten, neu gefaßt und durch das Schönste, was aus der Levante herbeikam, vervollständigt werden. Maso hatte gerechnet, des ehrenvollen Auftrags binnen drei Wochen sich zu entledigen. Da man aber an seiner Person ebensoviel Gefallen fand, wie seine Kunst ihrem guten Ruf entsprach, wurde er von Woche zu Woche hingehalten, hatte alle Hände voll zu thun, um immer neue Zeichnungen zu machen und geringere Meister nach seinen Weisungen arbeiten zu lassen, und verwünschte mehr als hundertmal, daß er sich auf den ganzen Handel eingelassen.
Als dann der März zu Ende ging und immer noch kein Ende abzusehen war, schrieb er an seine Leute nach Hause, sie sollten in Gottes Namen die Hochzeit rüsten, das Aufgebot bestellen und ihm den bestimmten Tag des Festes zu wissen thun; er werde dann kommen, und wenn man ihn mit goldenen Ketten an den Campanile von San Marco festbinden wollte.
Auf diesen Brief erfolgte wohl vierzehn Tage lang keine Antwort, also daß der von Unruhe und Ungeduld Gepeinigte sich nicht anders zu helfen wußte, als indem er einen vertrauten Diener als Courier nach Siena sandte, mit der Weisung, unverzüglich, sobald er die Antwort erhalten, wieder nach Venedig zurückzukehren. Der aber konnte noch nicht über Florenz hinausgelangt sein, als der so sehnsüchtig erharrte Brief, an dem er vorbeigereis't, bei dem jungen Meister eintraf. Und zwar war derselbe weder von Nino's Hand, der in den letzten Monaten vor Uebermaß der Geschäfte, wie er vorgegeben, überhaupt sich nicht zum Schreiben abmüßigen können, noch auch trug das Blatt die zierlich gekritzelten Schriftzüge der Braut, sondern die alte Brigida selbst hatte mit einer stockenden Feder, aber in sichtbar überwallender Gemüthsbewegung folgende Zeilen geschrieben:
»Theuerster Neffe! Herzlich geliebter Maso! Seitdem du Nachrichten aus unserem Hause hast entbehren müssen, hat es gar trübselig darin ausgesehen, und wenn der gnädige Herrgott und die allerseligste Jungfrau Maria nicht noch Alles zum Besten kehren, wird Lust und Lachen darin für alle Zeit verstummen und die letzten Tage deiner alten Brigida in eitel Kummer und Grämen dahingehen. Weil ich aber weiß, wie der Urheber dieses elenden und betrübten Wesens dir theurer ist als das Licht deiner Augen, habe ich so lange gezögert, dir ein Wörtlein davon zu sagen, wohl wissend, lieber Maso, daß du zu deinem Werk in der Fremde einen freien Geist und frischen Muth bedarfst, um dir Ehre zu machen und deine Neider zu beschämen. Nun aber bin ich es einer anderen Person, die du nächst jener einen am herzlichsten liebst, schuldig, mein Schweigen zu brechen, damit du vielleicht, wenn du erfährst, in welcher Gefahr und Bekümmerniß sie lebt, etwas beschließen könntest, was das ärgste Uebel noch abwehren und uns Allen wieder zu Frieden und Glückseligkeit verhelfen mag.
Ich muß dir nämlich offenbaren, liebster Sohn, daß das Herz deines Freundes sich von seiner Verlobten, deiner unschuldigen Schwester, abgewendet hat, also daß er bereits drei Wochen lang ihren Anblick gemieden, auch keine Botschaft an sie gesendet hat, sein Ausbleiben zu erklären. Denn wenige Zeit, nachdem du uns verlassen, ist eine fremde Frau, wie man sagt aus Empoli, in unsere Stadt gekommen, eine Wittwe von ganz jungen Jahren, Madonna Violante, die Schwägerin unseres Podestà, Messer Vitelli, dessen Bruder sie vor etlichen Jahren auf seinen Handelsfahrten kennen gelernt und dann geehelicht hatte. Da er nun bald darauf verstorben und, eines so frühen Ablebens sich nicht vermuthend, seinen letzten Willen nicht in völliger Ordnung hinterlassen, haben die hiesigen Verwandten die Wittwe, die nicht des besten Rufes genossen, mit einem geringen Gelde abfinden wollen. Hiergegen Einspruch zu thun und zumal das Landgut ihres seligen Gatten nahe bei der Stadt als ihr Wittwengut in Besitz zu nehmen, ist besagte Frau Violante nach Siena gereis't, und da die Sippe des Podestà einmüthig sie von ihrer Schwelle gewiesen, hat sie sich an das Gericht gewandt und den Beistand des gelehrtesten und angesehensten Advocaten nachgesucht, als welchen ihr die öffentliche Stimme deinen Nino bezeichnete. Der hat nun in der ersten Zeit der Sache mit aller Gewissenhaftigkeit sich angenommen und, da er noch täglich in unseren Garten kam, mit der Lisabettuccia ein Stündlein zu verplaudern, von dem ganzen Handel und der schönen Klägerin so unbefangen erzählt, als ob er Alles aus einem gedrucktem Buche abläse. Nach etlichen Wochen aber hat er dies Gespräch sichtlich gemieden, ist auch verwirrt und roth geworden, so oft das Kind scherzweis davon anfing, und da es endlich auf eifersüchtige Gedanken kam und ihm eines Tages mit Thränen um den Hals fiel, bittend, ihr zu Liebe möchte er diesen garstigen Prozeß einem seiner Freunde und Collegen übertragen, da er ihn um alle Heiterkeit, sie aber um seine Liebe zu bringen drohe, hat er sie heftig an sich gedrückt, in großer Bewegung ein paar verstörte Worte gestammelt, dann aber sich aus ihren Aermchen losgemacht und wie ein von bösen Geistern Gesagter sie verlassen.
Seit diesem Tage, lieber Maso, ist er nicht wieder unter unserm Dache erschienen, trotz der Nähe unserer Häuser und der bevorstehenden Hochzeit und obwohl ich ihm Botschaft über Botschaft gesendet habe. Als ich aber endlich selbst in seine Wohnung drang, um ihm ins Gesicht zu sagen, daß er mit dieser Entfremdung das junge Herz, so sich ihm ergeben, brechen und eine Todsünde auf sein Gewissen laden würde, bin ich von einem seiner Schreiber mit dem Bescheide abgefertigt worden, der Herr Doctor sei unpaß und könne Niemand empfangen.
Du magst denken, mein theurer Sohn, daß ich diese Ausflucht nicht für baare Münze nahm. Vielmehr in der Angst und Empörung meines alten Herzens, das nur noch euch beide geliebte Kinder auf Erden hat, legte ich mich auf die Lauer und ward noch desselbigen Abends inne, daß dein sauberer Freund sich, sobald alle ehrlichen Christenmenschen sich zur Ruhe gelegt, in seinen Mantel vermummt aus dem Hause schlich, was schlecht zu seiner Unpäßlichkeit stimmte, wenn diese in etwas Anderem bestand als in einem hitzigen Liebesfieber, dem keine Winternacht schädlich werden kann. Ich aber, obwohl ich vor Zorn und Frost mit den Zähnen klapperte, hielt dennoch an dem oberen Fenster tapfer aus und glaubte, ich müßte mit Augen sehen, wie dieser wortbrüchige Verräther meinem lieben Kinde ans Leben wollte. Als ich ihn endlich in der vierten Stunde nach Mitternacht wieder die Gasse daher und in sein Haus zurückschleichen sah, konnte ich kaum an mich halten, daß ich ihm nicht laut entgegenschrie, wofür ich ihn hielt, und daß ich hoffte, die himmlische Gerechtigkeit werde ihn zu finden wissen.
Ich preßte aber die Lippen zusammen, um nicht die Schande, die er uns angethan, selbst in der Nachbarschaft ruchtbar zu machen, zumal ich überlegte, daß es an dir sei und an keinem Anderen, für das Glück und die Ehre deiner Schwester einzustehen. Dem Kinde aber verschwieg ich, was ich zu Nacht gesehen, obwohl auch die folgenden Nächte das Spiel seinen Fortgang nahm und das arme Herzchen, wenn es begriffen, daß es sich an einen Unwürdigen gehängt, an dieser bitteren Erkenntniß vielleicht ein Mittel fände, von seinem Irrthum zu genesen. Hierin mag ich vielleicht, da ich alt bin und nicht mehr weiß, was junge Menschen bedürfen und vermögen, nicht das Rechte finden, weßhalb ich mich endlich entschlossen habe, theuerster Sohn, dir Alles getreulich zu beichten und dir anheimzustellen, was du zu thun für nöthig findest. Nun aber, ehe ich dich dem Schutze der heiligen Dreifaltigkeit und aller Heiligen empfehle, muß ich dir noch ans Herz legen, mit deinem Entschlusse nicht zu zaudern. Du wirst erschrecken, wie dies Herzeleid an unserem Liebling genagt und den Flor ihrer jungen Schönheit zerrüttet hat, also daß sie wie im Schatten des Todes umherwandelt und es die Fremdesten erbarmt, eine zuvor so fröhliche junge Braut ihr Haupt nunmehr wie eine welke Lilie zur Erde senken zu sehen.«
*
Dieser Brief, der sich unter den Papieren Maso's später noch gefunden hat, deutlich die Spuren einer Hand tragend, die ihn unter dem Lesen heftig zerknittert hatte, erreichte den jungen Meister auf der Piazza di San Marco, da er eben im Begriff stand, ein prachtvolles, reich mit Steinen und Masken verziertes Silbergefäß dem edlen Herrn, der es bestellt, ins Haus zu tragen. Er hatte das Blatt nicht so bald überflogen, als er seinem Diener befahl, den Gang allein zu machen, ihn aber zu entschuldigen, daß ein eiliges Geschäft ihn unverzüglich nach Hause abgerufen. In derselben Stunde noch, ohne seine übrigen Angelegenheiten zu ordnen, ließ er sich in einem Schiffchen nach der Terra ferma hinüberrudern, miethete dort ein Pferd und sprengte auf dem kürzesten Wege seiner Heimath zu, unterwegs sich nur so viel Rast gönnend, als er bedurfte, um noch im vollen Besitz seiner Sinne, wie es einem Richter und Rächer geziemt, zu Hause anzukommen.
In der letzten Nacht aber, bevor er sein Ziel erreichte, konnte er auf seinem Lager keinen Schlaf finden, und da er fürchtete, eine Krankheit möchte ihn überfallen und in dieser öden Herberge festhalten, stand er, ohne den Wirth zu wecken, auf, sattelte selbst sein Pferd, das nur nothdürftig ausgeruht hatte, und ritt durch die graue, frostige Februarnacht die Straße nach Siena dahin. Als er die schöne Stadt auf ihrer Höhe erblickte, rötheten sich soeben die Thürme und Zinnen der Paläste vom Strahl der Morgensonne. In seiner Seele aber blieb finstere Nacht. Das Pferd stellte er in einer kleinen Schenke hart am Thore ein; er selbst schlich zu Fuß durch die verborgensten Gassen seinem Hause zu. Denn er meinte, Niemand frei ins Gesicht blicken zu können, weil er das schändliche Betragen seines einzigen Freundes wie eine eigene Schuld und Schmach empfand, deren er sich vor dem Auge Gottes und der Welt zu schämen hätte.
Die alte Brigida öffnete gerade selbst die Pforte des Goldschmiedlädchens, als der Heimgekehrte ihr entgegentrat. Mit einem lauten Schrei wollte sie auf ihn zustürzen, er aber drückte ihr die Hand auf den Mund und befahl ihr zu schweigen. Sie gehorchte, an allen Gliedern bebend, da sie seine eingesunkenen Wangen und den gespenstigen Blick seiner überwachten Augen sah. Dann zog er sie in die Küche, die im Erdgeschoß neben dem Gärtchen lag, und nachdem er einen Becher Weins hinabgestürzt und einen Schwamm mit eiskaltem Wasser mehrmals über seine Stirn ausgedrückt hatte, ließ er sich von ihr berichten, wie es die letzten Tage gegangen sei.
Es war Alles beim Alten geblieben, nur daß man schon in der Stadt davon zu raunen anfing und neugierige Gevatterinnen sich bei der treuen Alten einfanden, zu horchen, ob das Gerücht Wahres verkünde. Sie habe tapfer geleugnet, betheuerte sie, und lieber eine Krankheit der Lisabettuccia vorgeschützt, was freilich nicht gar arg gelogen sei. Denn Mancher, deren letzte Stunde geschlagen, sei minder sterbensweh zu Muthe, als dieser armen Creatur.
Ob er sie sehen wolle? Sie liege oben in ihrer Kammer und sei hoffentlich, nachdem sie die Nacht vor Seufzen und Weinen wenig Ruhe gehabt, in einen leichten Morgenschlummer gefallen.
Maso schüttelte heftig den Kopf. Nicht eher habe er das Herz, dem Kinde wieder unter die Augen zu treten, bis er ihr sagen könne, daß er seine brüderliche Schuldigkeit an ihr gethan. Dazu wolle er jetzt unverzüglich schreiten.
O Maso, rief die Alte und schlug die Hände über ihrem grauen Haupte zusammen, gedenke an das Heil deiner Seele und thue nichts Gewaltsames! Vielleicht ist er unschuldiger, als wir denken, und hat nur einem höllischen Blendwerk erliegen müssen. Denn verschiedene Personen, die ich nach dieser Fremden befragt, haben mich versichert, sie sei gar kein Ausbund aller Schönheit und Anmuth, und wer weiß, ob Nino, wenn du ihn an Alles erinnerst, wie es früher zwischen euch war –
Genug! knirschte der Verdüsterte zwischen den Zähnen. Sieh, hier lege ich mein Schwert ab und meinen Dolch. Mit wehrlosen Händen will ich zu ihm gehen. Wenn das Wort auf meinen Lippen sich keinen Weg zu seinem Herzen öffnen kann, – dann wollen wir weiter sehen! Aber ich muß mich vor meiner eigenen Wuth schützen, daß ich nicht etwas thue, was mich reut. Ist er nicht Nino? Kann ich es selbst nach Allem, was er mir angethan, übers Herz bringen, in Waffen zu ihm zu gehen, wie zu einem Feinde?
Da sah er ein Kästchen aus Ebenholz mit Perlmutter eingelegt auf dem Tische, das Nino vor Jahren ihm geschenkt, und auf einmal brach seine mühsam aufrecht erhaltene Kraft, und ein Strom von Thränen stürzte ihm aus den Augen. Er bezwang sich aber sogleich wieder, erhob sich und gab der Alten die Hand. Es hat mich erleichtert, sagte er, und die Nebel von meinen Augen gewaschen. Du wirst sehen, es war Nichts, wir haben ihn Alle verkannt, es wird noch Alles gut. Rüste mir einen Imbiß, denn ich hoffe bald wieder zurück zu sein und gute Nachrichten zu bringen, und vielleicht ihn selbst.
So ging er aus der Thür mit festem Schritt bis an die Pforte der Casa del Garbo; als er aber den Klopfer erschallen ließ, bebte ihm das Herz. Er stieg die wohlbekannte Treppe hinauf, und da ihn als den Freund des Hausherrn Niemand aufzuhalten wagte, obwohl es noch nicht die Zeit der Besuche war, fand er rasch den Weg zu Nino's Gemach, pochte auf die zwischen ihnen verabredete Weise und trat, ohne das Herein! abzuwarten, über die Schwelle.
Nino fuhr vom Bette auf, in welchem er erst kurze Stunden geruht hatte. Er schien nicht sogleich den Eintretenden zu erkennen. Der aber, da er das bleiche Gesicht, das er so sehr geliebt, aus dem helldunklen Winkel sich entgegenstarren sah, vermochte von all den bitteren Worten, die zu sagen er sich vorgesetzt, keines über die Lippen zu bringen. Er schritt langsam mitten ins Zimmer vor, den Hut immer noch auf dem Kopf, und indem er an einem Sessel neben dem Bette stehen blieb und langsam die Handschuhe abzustreifen begann, nickte er dem Anderen so verloren zu, wie um ihn einzuladen, daß er sich nicht stören lassen sollte.
Guten Tag, Nino! sagte er endlich mit unsicherer Stimme. Ich komme früh. Ich gedenke aber nicht lange zu bleiben.
Bist du's wirklich, Maso! rief der nun erst völlig Ermunterte. O Maso, warum bist du nicht früher gekommen? Warum hat kein guter Geist dir eingegeben, was allein vielleicht uns hätte retten können? Und doch – daß du endlich da bist – daß ich dein Gesicht wiedersehe – es ist seltsam, Maso, ich habe mich lange davor gefürchtet, daß du so bei mir eintreten würdest, und jetzt, obwohl du nicht mit guten Gedanken kommen konntest, jetzt ist mir doch, als fiele ein Ambos von meiner Brust, auf welchem schadenfrohe Dämonen Tag und Nacht herumgehämmert. Ich danke dir, daß du gekommen bist!
Er streckte ihm beide Hände entgegen. Maso aber, obwohl es ihn wie mit Stricken zog, ihm an den Hals zu stürzen, sah von ihm weg, ließ sich in den Sessel sinken und bohrte seinen Blick in die Matte, die den Estrich bedeckte. Zu sprechen aber wagte er nicht, aus Furcht, es möchte dann um seine Standhaftigkeit geschehen sein.
Du hast Recht, sagte Nino, dessen Haupt auf das Kissen zurücksank. Du kannst meine Hand noch nicht wieder in der deinen halten, ehe du weißt, wie unselig Der ist, den du für den leichtsinnigen Feind deines Glückes und deiner Ehre ansehen mußt. Glaube mir, Maso hundertmal an jedem Tage habe ich mir ins Gesicht gesagt, daß ich ein Elender bin, strafbarer als ein Mörder und Kirchenräuber, daß es mich nur zwanzig Schritte kosten würde, meine große Schuld zu den Füßen des Engels, der mir sein Herz geschenkt, zu beichten und abzubüßen. Aber es giebt Dämonen, Maso, die sich an die Fersen eines bußfertigen Sünders hängen und ihn zurückhalten, daß er den Weg der Gnade nie betreten kann. Und so ist es gut, daß du gekommen bist. Dort auf dem Tische liegt der Dolch, den du mir selbst geschmiedet und nach Bologna gebracht hast. Nimm ihn und ende meine Qual und räche deine Schwester, und ich will mit meinem letzten Hauch bekennen, daß du an mir gethan nach Recht und Gerechtigkeit, und deinen Namen auf den Lippen zur Hölle fahren!
Hierauf ward eine große Stille in dem Gemach, nur unterbrochen durch das erstickte Stöhnen des Unglücklichen, der seinen Mund gegen den Pfühl des Bettes gedrückt hatte. Da fühlte er plötzlich die Hand des Freundes, die sich sanft und zitternd auf die seinige legte.
Nino, flüsterte der Tieferschütterte mit mühsamer Stimme, sage mir Alles. Ich hätt' es ja wissen müssen, daß du mir mit freiem Willen nicht wehe thun könntest.
Der Andere aber rührte sich nicht, sondern lag noch eine Weile wie abwesenden Geistes, nur daß sein Athem ruhiger wurde und der Schmerz in ihm durch die Berührung von Maso's Hand sich zu lindern schien. Dann stützte er sich plötzlich in den Kissen auf und sagte: Ich habe Messen lesen lassen im Dom für die Erlösung einer armen Seele aus dem Netz des Teufels, ich habe auf meinen Knieen zu meinem Heiligen gefleht, der doch mehr als Andere davon weiß, was Versuchung heißt, – Alles umsonst! Sie ist eine Teufelin, aber ich bin ihr verfallen mit Seel' und Leib. Vor drei Jahren, da ich zuerst auf die hohe Schule kam, hat eine Wahrsagerin mich gewarnt vor Weibern, die ein Maal an ihrem Leibe hätten. Ich lachte damals, da ich von einem Weibe überhaupt nie versucht worden war. Nun habe ich es erlebt, daß die Strega wahr geweissagt. Siehst du, Maso, in der ersten Zeit, da ich zu ihr ging in jenen Rechtsgeschäften, – wer mir da gesagt hätte, daß ich um diese Frau mein Heiligstes verscherzen, meinen liebsten Freund so tödtlich kränken und an dem unschuldigsten Herzen auf Erden mich versündigen würde, ich hätte ihn als einen Tollen schwatzen lassen und im Panzer meines guten Gewissens mich unverwundbar geglaubt. Und nun ist es doch so weit gekommen, daß ich dem Zauber verfallen bin, der meinen freien Willen knechtet, meinen Stolz entwaffnet, mich vor mir selbst als einen Wicht und Buben dastehen läßt, nicht werth der Gnade und des Mitleides, da er zu jämmerlich ist, das zu fliehen, was er verachtet, und die Hand zu ergreifen, die ihn aus der Verdammniß erretten möchte.
Er schlug die Hände vors Gesicht, und wieder schwiegen sie eine geraume Zeit. Maso war aufgestanden und durchmaß das Zimmer mit starken Schritten. Endlich blieb er dicht am Bette stehen.
Willst du sie zu deinem Weibe machen? brach es aus seiner gepreßten Brust.
Die Madonna und alle Heiligen schützen mich vor solchem Wahnsinn! rief der Unglückliche. Ich sage dir, Maso, dieses Weib hat keine Seele, und wer sich ihr ergiebt, dem ist die zeitliche und ewige Verdammniß gewiß. Auch liebt sie mich nicht, obwohl sie es mich dann und wann glauben macht. Sie liebt Nichts unter der Sonne als ihre Macht über arme Thoren, und ich weiß, daß ich zu ihren Füßen mich in Todesnöthen winden könnte, ohne daß eine Fiber ihres Herzens zuckte. Dies Alles sage ich mir und gebe ihr, wenn ich fern von ihr bin, die wildesten, bösesten, schimpflichsten Namen. Und wenn der Tag sich neigt und es still wird um mich her, höre ich ganz deutlich vor meinem Ohr ihre lockende Stimme, sanft wie das Schmeicheln eines kleinen Kindes, und alsbald ist es um meinen Trotz, meine Mannheit, meinen Grimm geschehen, ich muß hin zu ihr und Tod und Leben aus ihren Blicken saugen!
Der Andere erwiderte nichts. Er blickte lange unverwandt auf die hohe weiße Stirn seines Freundes, über die das zerwühlte Haar in schwarzen Büscheln herabhing. Dann bückte er sich plötzlich zu ihm nieder, drückte einen raschen Kuß auf das Haupt des Freundes und stürmte mit abgewandtem Gesicht aus dem Gemach.
*
Erst als er unten im Hausflur angelangt war, besann, er sich, daß er etwas zu fragen vergessen hatte. Einer der Schreiber aber, der eben ins Haus trat, um an die Arbeit zu gehen, konnte ihm auf sein Forschen, wo Madonna Violante wohne, Bescheid geben. Doch schärfte er dem jungen Menschen ein, dem Herrn nicht mitzutheilen, daß er diese Frage gethan.
Er schlug den nächsten Weg nach dem bezeichneten Hause ein, das in einem der geringeren Stadttheile lag. Doch war es ein ansehnliches Gebäude, ehemals von einer der reicheren Familien bewohnt, die dann ausgestorben war. Die Erben, die dort nicht wohnen mochten, vermietheten es, wie sich Gelegenheit bot. Als Maso seiner ansichtig wurde, stockte plötzlich sein Fuß. Ob eine böse Ahnung in ihm aufstieg oder er seine Gedanken erst sammeln wollte zu der Begegnung, die über ihrer Aller Loos entscheiden sollte, wußte er selber nicht. So stand er eine Weile mitten in der Gasse, von den Vorübergehenden mit Staunen angegafft, deren die Meisten ihn erkannten. Sein Gesicht war aber so wunderlich seine sonst helle und offene Miene so verwandelt, daß ihn Niemand anzureden wagte. Endlich schien er mit sich selbst ins Reine gekommen zu sein und näherte sich herzhaft dem Unglückshause.
Eine Dienerin zog auf sein Klopfen die Schnur und kam ihm auf der halben Stiege entgegen, mit der Frage, was er zu so früher Stunde hier für ein Gewerbe habe. Ihre Herrin sei kaum aufgestanden und pflege unbekannten Besuch nicht zu empfangen. Die schlauen, spürenden Augen des Mädchens, das noch jung und nicht häßlich war, mißfielen ihm höchlich. Doch drückte er ihr eine Zechine in die Hand und sagte kurz, daß er Frau Violante in einer Sache zu sprechen habe, die keinen Aufschub leide. Die Magd, nachdem sie ihn eine kurze Zeit allein gelassen, kehrte zurück und fragte, wie er heiße. Als er ihr seinen Namen genannt, schien sie einen Augenblick zu stutzen. Dann aber winkte sie ihm mit den Augen, ihr zu folgen, und führte ihn in ein großes, ödes Zimmer, wo sie ihn mit seinen brütenden Gedanken allein ließ.
In einem großen Kamin brannte ein Feuer von Olivenholz, an welchem noch etliche Zweige mit den Blättern und verdorrten Früchten hingen. Der Schein drang aber nicht weit umher, also daß die Gestalten auf den gewirkten Tapeten, mit denen die Wände bedeckt waren, nur dann und wann hell hervortraten, so oft ein Windstoß, durch den Schlot hereinfahrend, die Flammen aufjagte. Zwei Sessel standen einander gegenüber vor der Glut; auf den einen ließ Maso seinen übermüdeten Leib niedersinken und wartete. Wenn er gedachte, wie manche Nacht auf diesem Platz Nino gesessen haben mochte, den Reden lauschend, die ihn um seine Seele betrogen, zog ihm ein jäher Krampf das Herz zusammen.
Da ging am anderen Ende des langen Saales eine Thür auf, und eine dunkle Frauengestalt trat herein. Sie näherte sich mit ruhigen Schritten dem Kamin, an welchem Maso sich erhoben hatte; doch erst als sie ganz nahe war, konnte er sie erkennen. Auf den ersten Blick erstaunte auch er, daß es kein schöneres Geschöpf war, dem seine junge Schwester geopfert worden. Die Frau war von mittlerer Größe, die Gestalt durch ein schwarzes Sammetkleid, mit einem feinen grauen Pelz verbrämt, eher versteckt als zu ihrem Vortheil entfaltet, zumal sie um Hals und Schultern ein langes Schleiertuch gewickelt hatte, ein dichtes, zartes Gewebe von Spinnewebfarbe, mit leichten Goldfäden durchzogen, in das sie sich fröstelnd einhüllte, also daß auch ihre Arme und Hände darunter verborgen waren. Aus dieser dichten Hülle erhob sich ihr Kopf ganz strack und unbeweglich; nur die Augen, die einen bläulichen Glanz hatten, bewegten sich unstät unter den dichten Brauen. Ihr reiches Haar, von schöner kastanienbrauner Farbe, hing ihr, in einen nachlässigen Knoten geschlungen, in den Nacken herab, die Farbe ihres Gesichtes war fahl, und nur wenn sie die Lippe ein wenig zurückzog, was sie that, da sie ihren Besuch mit kaum merklichem Neigen des Hauptes begrüßte, sah Maso ihre kleinen weißen Zähne blitzen, ohne daß dieses sonderbare Lächeln ihr Gesicht in seinen Augen verschönerte.
Wahrlich, sagte er bei sich selbst, ich fange an zu glauben, daß Nino Recht hat, wenn er sagt, ihm sei ein Zauber angethan. Wie könnte dies sehr alltägliche Wesen eine solche Macht über ihn gewonnen haben, wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre!
Die Frau hatte sich, ohne ein Wort zu sprechen, auf den leeren Stuhl ihm gegenüber gesetzt und mit einer Geberde ihm angedeutet, daß er seinen Platz wieder einnehmen möge. Sie ergriff einen eisernen Schürhaken, der im Winkel des Kamins lehnte, und begann die Flamme aufzustören und ein frisches Scheit in die Glut zu werfen. Dabei kam ihre Hand zum Vorschein, die nicht klein, aber sehr weiß und von der schönsten Schlankheit war. An ihrem Mittelfinger trug sie einen Ring mit einem blutrothen Stein.
Signora Violante, sagte er endlich, indem er einen schweren Seufzer unterdrückte, ich weiß nicht, ob mein Name Euch schon bekannt war, ob Ihr wißt, daß ihn der Bruder jenes jungen Mädchens trägt, welche in wenig Wochen, wenn es Gottes Wille ist, die Gattin meines Freundes Nino del Garbo werden soll. Es wäre unnütz, mit hinterhältigen Worten und Winkelzügen die Zeit zu verderben. Nachdem ich Euch so viel gesagt, werdet Ihr wissen, was mich hiehergeführt. Ihr habt das Herz des Verlobten seiner Braut abtrünnig gemacht und jungen Augen bitterliche Thränen entlockt. Es ist nicht meine Absicht, Euch deßhalb Vorwürfe zu machen, mögt Ihr nun viel oder wenig hiervon gewußt haben. Denn Geschehenes ist nicht zu ändern. Dem aber, was ferner geschehen soll, kann menschliche Klugheit, Entschlossenheit und guter Wille noch eine andere Bahn weisen, und deßhalb habe ich Euch aufgesucht, um Euch zu fragen, ob und unter welchen Bedingungen Ihr einwilligt, Nino wieder freizugeben.
Er harrte eine Weile ihrer Erwiderung. Sie aber saß, als ginge diese ganze Rede sie nicht das Mindeste an, mit vorgeneigtem Kopf ihm gegenüber, beständig mit den glühenden Scheitern spielend, die sie mit dem Eisen bald auseinanderzerrte, bald übereinanderschichtete.
Ich weiß, fuhr Maso nach einigem Schweigen fort, daß ich Euch eine unliebsame Zumuthung mache. Ihr seid in unsere Stadt gekommen Eures Prozesses wegen und sähet es als eine große Thorheit an, mit dem Liebhaber, der Euch anbetet, zugleich den Sachwalter fahren zu lassen, der Euch zu Eurem Recht verhelfen soll. Und doch erblicke ich keinen anderen Ausweg aus diesem traurigen Wirrsal, als daß Ihr die Stadt so schleunig als möglich verlaßt und darauf verzichtet. Euren Advocaten jemals wiederzusehen.
Ein rascher Blitz aus den gesenkten Augen der Frau schoß zu dem Sprechenden hinüber, und wieder rümpfte sich die Lippe verächtlich. Auch war ihr eine leichte Röthe in die Wangen gestiegen, die sie plötzlich jugendlicher erscheinen ließ. Es war, als ob sie etwas entgegnen wollte. Doch zuckte sie nur mit den Achseln, wickelte sich fester in das graue Tuch und fuhr fort in die Glut hineinzustochern.
Ich danke Euch, daß Ihr mich ruhig anhört, redete Maso weiter. Das Opfer, das ich Euch zumuthe, scheint unerschwinglich, und ich könnte es Euch nicht verdenken, wenn Ihr mich wie einen Irrsinnigen abgefertigt hättet. Doch hört, was ich Euch zum Ersatz zu bieten habe. Wenn Ihr die Stadt zu verlassen einwilligt, will ich Nino bewegen, Eure Sache zweien seiner rechtskundigsten und einflußreichsten Collegen zu übertragen, die fernerhin schriftlich mit Euch verhandeln sollen. Zugleich will ich Euch eine Urkunde ausstellen, daß ich, falls Ihr dennoch den Prozeß verlieren solltet, mit meinem ganzen Vermögen Euch für jeden Schaden haften und, dafern es noch nicht reichte, so lange als eine Art leibeigener Sclave nur zu Eurem Vortheil mein Gewerbe treiben will, bis Alles, worauf Ihr jetzt Anspruch erhebt, auf Heller und Pfennig Euch zu Theil geworden ist. Somit lauft Ihr keinerlei Gefahr, durch Eure Entfernung am Vermögen geschädigt zu werden. Wenn es Euch ein Verlust dünkt, einen Liebhaber aufzugeben, nun, so seid Ihr jung und schön genug, statt Eines so viele zu gewinnen, wie Euch beliebt, ohne darum einer Anderen zu nehmen, was, durch heilige Gelübde bekräftigt, ihr Eigenthum war.
Darauf entstand eine Stille zwischen ihnen, während Maso mit ängstlicher Seele in dem verschlossenen Gesicht zu lesen suchte, welchen Eindruck seine dringenden Worte gemacht hatten. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn, und er mußte gewaltsam die Hand aufs Herz pressen, um dessen Pochen zu bändigen. Denn es ward ihm je länger je unheimlicher in ihrer Nähe, ja er fand bereits die etwas stumpfe Nase der Frau, deren Nüstern leise zuckten, und die kleinen Ohren und das weiche Kinn mit dem Grübchen darin reizender als zu Anfang, so daß ihm Nino's Sünde und Thorheit nicht mehr als der helle Wahnsinn erschienen. Da öffnete sie zum erstenmal die Lippen, und er hörte jetzt die schmeichelnde Kinderstimme, die Nino jeden Tag, wenn die Dämmerung kam, von fern zu vernehmen glaubte.
Ihr redet wie ein verständiger Mann und warmer Freund Eures Freundes, Signor Buonfigli, sagte sie ruhig, ohne ihn dabei anzusehen. Was aber soll ich machen? Wenn ich die Stadt verlasse und Euer Freund wirklich so heftig, wie Ihr sagt, in mich verliebt ist, wird er seine Braut nun plötzlich wieder anzubeten im Stande sein wie vorher? wird, wie er meinen Prozeß ohne Bedenken Anderen überläßt, auch geduldig darein willigen, meine Person, wie Ihr es so gütig voraussetzt, in andere Hände übergehen zu sehen? Geht, Ihr seid ein zu kluger Mann, um das zu glauben, und wenn Ihr kein besseres Mittel wißt, Eurer Schwester ihren Verlobten zu erhalten, steht es schlimm um das gute Kind, das ich herzlich bedaure, obwohl ich es nicht kenne und das erste Wort über jenes Verhältniß zu dem Doctor Del Garbo von Euch vernommen habe.
Maso war aufgestanden; der Ton ihrer Stimme und die Wahrheit dessen, was sie sagte, ließen ihn nicht auf seinem Sitz ihr gegenüber verharren. Er durchschritt den langen dunklen Saal und ließ seine Augen an den Wänden umherschweifen, als ob die Figuren der Arazzi ihm einen Rath geben sollten, wie er zu reden und zu handeln hätte. Plötzlich stand er wieder bei seinem Sessel still und sagte mit dumpfer Stimme:
Ihr werdet begreifen, Madonna, daß ich nicht von hinnen gehen kann, ehe ich diese Sache zu einem günstigen Ende gebracht, die Ehre meines Freundes und das Glück meiner Schwester aus Euren Händen gerissen habe. Der Allwissende ist mein Zeuge: wenn ich glaubte, daß Nino in Eurem Besitze glücklicher sein würde, als an der Seite meiner Schwester, würde ich den Kummer zu verwinden suchen und seinem Glück nicht im Wege stehen. Dies aber glaube weder ich – noch er selbst.
Ein flammender Blick aus ihren Augen traf ihn bis ins Herz. Er nahm aber seine ganze Sündhaftigkeit zusammen und fuhr fort:
Nein, Madonna, er glaubt es nicht, er hat es mir selbst mit den höchsten Schwüren betheuert, daß er weder an Eure Liebe glaubt, noch sein Gefühl für Euch als ein beseligendes und für ein ganzes Leben dauerhaftes empfindet. Vielmehr ist er festiglich überzeugt, daß Ihr ihn mit magischen Künsten bethört, ihm einen Zauber angethan habt, der nicht vom Himmel stammt, sondern – von der Hölle.
Er verstummte, da ihm dies Wort entfahren, das jetzt, zu seinem eigenen Schrecken, in der weiten Halle schauerlich nachklang. Die Frau am Kamm jedoch schien davon gänzlich ungerührt. Sie bückte sich nur ein wenig tiefer, um ein Scheit, das aus der Glut herausgerollt war, wieder hineinzustoßen. In diesem Augenblick aber geschah etwas Gefährliches. Das eine Ende ihres grauen Flortuches, das über ihre Kniee herabhing, gerieth der aufzüngelnden Flamme zu nahe. Im Nu leckte diese daran empor, und da das Gewebe von äußerster Dünne war, loderte plötzlich das ganze lange Gespinst wie eine feurige Schlange um die dunkle Gestalt, die ein paar Secunden lang in einer rothen Lohe stand und hülflos verloren schien. Mit einem Aufschrei stürzte Maso auf sie zu. Sie aber, als wäre sie gegen die Flamme gefeit und ihre Hände von Asbest, riß mit Blitzesschnelle die feurigen Fetzen, die sie umzüngelten, von Hals und Schultern ab, ehe der Brand ihr Kleid ergreifen konnte, und stand, während die glimmenden Falten in rothen Flocken ihr zu Füßen sanken, auf einmal mit entblößten Schultern vor dem Tiefbetroffenen, ohne auch nur eine Miene zu verziehen oder mit der geringsten Geberde eines schwachen Weibes zu verrathen, daß die Gefahr sie erschreckt habe.
Maso aber, der keinen Laut vor Herzklopfen hervorzubringen vermochte, starrte sie unverwandt an. Der Anblick des schönsten Nackens und tadellos geformter Schultern schien ihn versteinert zu haben. Doch war es noch ein Anderes, was ihm fast die Besinnung raubte.
Auf ihrer linken Brust, deren Weiße durch das schwarze Sammetgewand noch leuchtender erschien und von der Glut des Kamins warm angestrahlt wurde, sah er ein seltsames dunkelblaues Zeichen, ähnlich der Spur, die die Klaue eines kleinen Vogels in festgefrorenem Schnee zurückläßt. Dieser zarte Abdruck auf der weichen Haut schien zu leben, da er sich mit jedem Athemzuge hob und senkte, und es war unmöglich, den Blick davon wegzuwenden, wenn man ihn einmal dahin verloren hatte. Doch dauerte dies Alles nur wenige Minuten. Denn plötzlich ihr Haar, das bei der raschen Bewegung aufgegangen war, um ihre Schultern schlagend, also daß auch jenes Maal verschwand, wandte sich die Frau mit einem kalten, triumphirenden Lächeln, das Maso vollends vernichtete, und ohne ein weiteres Wort an ihn zu wenden, den Kopf in den Nacken geworfen und die Arme über der Brust gekreuzt, verließ sie langsamen Schrittes, wie sie gekommen war, das Gemach.
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Als nach einiger Zeit die junge Magd wieder hereintrat, fand sie den fremden Besucher noch unverrückt auf derselben Stelle stehend, die Augen nach der Thür gerichtet, durch welche ihre Herrin verschwunden war. Erst das Geräusch ihrer Tritte weckte ihn auf, er raffte hastig Hut und Mantel vom Boden auf, wohin sie ihm entglitten waren, und stürzte, ohne das schadenfrohe Kichern des Mädchens zu beachten, aus dem Hause.
Wo er die nächsten Stunden zugebracht, hat er sich selbst nicht mehr zu erinnern gewußt. Es scheint, daß er besinnungslos in der Umgegend der Stadt umhergeschweift ist, die Augen immer vor sich hin gekehrt und die Seele nur mit ihren inneren Bildern und Gesichten erfüllt. Bauern, die nach der Stadt zogen, wollten einen Menschen, der an Wuchs und Kleidung ihm geglichen, eine Stunde weit von der Stadt auf freiem Felde gesehen haben, mit den Armen seltsam durch die Luft fechtend, wie um das Andringen eines bösen Geistes abzuwehren, dann wieder sich niederwerfend und die Augen gegen die harte Scholle drückend, wie ein Unglücklicher, der die Mutter Erde anfleht, ihren Schooß zu öffnen und den verzweifelnden Sohn wieder darin aufzunehmen.
Zur Zeit der Dämmerung aber trat er in die Osterie, wo er am Morgen sein Pferd gelassen, verlangte zu essen und trank in hastigen Zügen von dem Wein, den der Wirth ihm vorsetzte. Er habe ganz fahl und aschefarb ausgesehen, erzählte später der Mann, und zuweilen halblaut mit sich selbst geredet, auch dazwischen einmal aufgelacht, aber kein fröhliches Lachen, wie man es sonst von Meister Maso – denn er hatte ihn wohl erkannt – zu hören gewohnt gewesen, sondern wie wenn ein fremder Geist aus einem armen Besessenen herauslacht. Darauf habe er geheischt, in eine Kammer geführt zu werden, wo er sich sogleich in den Kleidern auf das Bett geworfen und in einen festen Schlaf gefallen sei.
Da er die vorige Nacht kein Auge geschlossen, lag er in dem stillen Hause mehrere Stunden lang in tiefem, todähnlichem Schlaf, den keinerlei Träume beunruhigten. Als aber ein Kärrner, der sich verspätet hatte, mit schellenklirrendem Gespann in den Hof der Schenke einfuhr und den Wirth sammt allem Gesinde aus dem ersten Schlaf aufstörte, fuhr auch er aus seiner Betäubung auf. Das Erste, was vor seine erwachenden Sinne trat, war das Gespenst mit den weißen Schultern, das ihn über Tag verfolgt und an seinem Blute gesogen hatte. Er taumelte die Treppe hinab, und einen Augenblick fuhr es ihm durch den Sinn, daß er sein Pferd satteln und bis ans Ende der Welt reiten sollte. Dann seufzte er tief auf und wandte sich nach der Stadt.
Die Thorwache ließ ihn ein, da sie ihn als einen angesessenen Bürger erkannte. Durch die menschenleeren Gassen ging er langsam dahin, immer wie einem übermächtigen Zwange gehorchend, doch mit widerstrebendem Gemüth. Was er dort wollte, wohin es ihn zog, gestand er sich selbst nicht ein. Unwillkürlich machte er mit der Rechten mehrmals das Zeichen des Kreuzes in die Luft und murmelte Stoßgebete. Aber in seinem Kopfe war es wüst und öde, wie wenn er sich im Wein übernommen hätte.
Da sah er endlich das Haus der Frau Violante und aus einem der oberen Fenster einen schmalen Lichtstreifen hervorblinzeln, an dem er erkannte, daß sie noch auf war. Er dachte nun erst, ob man ihn wohl einlassen und Wen er dort finden würde, und ein jäher Schmerz durchfuhr ihn, daß er stille stehen und seine Lebensgeister sammeln mußte. Indem er aber eben bei sich zu Rathe gehen wollte, was er beginnen sollte, hörte er von der anderen Seite der engen Gasse einen hastigen, leisen Schritt, der sich gleichfalls dem Hause näherte. Er wußte, wer da kam. Aber nicht wie sonst machte es ihn froh, diesem Wanderer unverhofft zu begegnen. Wie man einem Tiefverhaßten entgegengeht, mit dem man einen Handel auf Leben und Tod auszumachen hat, so raffte er sich auf, daß Jener ihm auf dem Wege nach dem Unglückshause nicht zuvorkäme.
Dicht vor den Stufen, die zu der kleinen Pforte hinaufführten, trafen sie zusammen.
Du bist's, Maso!
Ich und kein Anderer, Nino!
Ich habe dich über Tag vergebens erwartet, Maso. Jetzt ist die Zeit nicht, uns zu unterreden. Komm morgen zu mir. Jetzt – erwartet man mich hier.
Dieses sagend, wollte er an Maso vorbei und streckte schon die Hand nach dem Klopfer aus. Da fühlte er seinen Arm heftig zurückgerissen und hörte die rauh hervorgestoßenen Worte:
Man wird dich heute und alle künftigen Tage hier umsonst erwarten. Nie wirst du diese Schwelle wieder überschreiten, so wahr mir Christ genade und seine heiligste Mutter!
Einen Augenblick verstummte der so heftig Zurückgewiesene, dann sagte er mit trauriger, aber gelassener Stimme: O Maso, warum hast du mich heute früh nicht im ersten Zorn getödtet, wie es dein gutes Recht und mein Wunsch war! So müßten wir uns hier nicht so gegenüberstehen! Doch nun kann ich dir nicht weichen. Wenn ich auch wollte, – der Zauber ist wieder mächtig, und der ist stärker als dein Arm, der mich zurückhalten will, und die alte Freundschaft, die sich wie ein Bleigewicht an meine Füße hängt. Läge mir eine bodenlose Kluft zu Füßen und drüben stände und winkte dieses Weib, ich würde ihr entgegenstürmen, und Niemand sollte sich erkühnen dürfen, mich retten zu wollen. Wenn dir dies Wahnsinn scheint, so mag's drum sein. Leb wohl und überlaß den Tollen seinem Schicksal!
Halt! rief der Andere mit mühsam gedämpfter Stimme. Noch ein Wort zuvor, ehe es zum Aergsten kommt. Wisse, daß ich sie gesehen habe und von demselben Wahnsinn ergriffen bin. Ich habe diesen langen Tag vergebens mich in dem Netz gewunden, das die Teufelin mir übers Haupt geworfen. Nun bin ich hier, ihren Besitz jedem Muttersohn streitig zu machen, und wär' es der, den ich über alle anderen Menschen geliebt habe. Wer zwischen mich und dieses Weib zu treten wagt, ist mein Todfeind, den ich hasse, nach dessen Blut ich dürste, den ich mit diesen meinen Händen –
Er ergriff plötzlich Nino an beiden Schultern und schob ihn mit solcher Gewalt von der Stufe hinweg, daß er wankend gegen die Mauer zurückgedrängt wurde. Im nächsten Augenblick hatte der Angegriffene, der nur einen dumpfen Laut der Wuth und Empörung ausstieß, den Gegner umfaßt, und es begann auf den Stufen ein blindes, wüthendes Ringen, wie wenn zwei Scheiternde, die auf einem allzu schwachen Brett dahintreiben, einander in die Tiefe hinabzustoßen suchen. Nur ein leiser kläglicher Seufzer, wie aus wundem Innersten, klang hin und wieder dazwischen; auf einmal aber hatten sie in ihrem jammervollen Umschlingen, von dem Keiner ablassen zu wollen schien, bis er den Gegner erwürgt hätte, einander so dicht umklammert, daß ihre glühenden Wangen sich berührten. In demselben Augenblick fiel der Dolch, den Nino im Gürtel trug, von der heftigen Bewegung gelös't, mit Klirren zu Boden. Da war es, als geschähe ein Schlag durch Beider Leib und Seele hindurch, der plötzlich die alte, so unselig niedergekämpfte Liebe und Treue in ihnen aus ihrer Erstarrung weckte. Nino! stöhnte der Eine; – Maso! stammelte der Andere, – und ehe sie wußten, wie es geschah, hatte sich die feindselige Umstrickung in ein stürmisches Umfangen vier zärtlich verbundener Arme verwandelt, und während Thränen aus ihren Augen stürzten, preßten sich die Lippen so dicht aufeinander, daß alle Worte der Anklage und Entschuldigung erstickt wurden.
So hielten sie sich wohl drei Minuten lang, während deren Keiner etwas Anderes zu sagen vermochte als: O Nino, war es denn möglich! – O Maso, hat es dahin kommen können! – Als aber ihre erste furchtbare Verwirrung sich ein wenig gelegt hatte, ihre Augen einander nicht mehr durch Thränen anblickten und sie zur Besinnung über ihre Lage gekommen waren, faßte Maso die Hand seines Freundes und sagte: Ich gelobe es hier mit diesem Händedruck, daß ich keiner anderen Liebe je Macht über mich verstatten will, als der zu meinem Nino! – und Nino sagte: Ein Gleiches gelobe ich meinem Maso, so wahr mir Gott helfe! – Amen! fügte Maso hinzu. Dann trocknete er sich Stirn und Augen mit der Hand, warf einen Blick nach dem Lichtschein im Fenster empor und sagte: Wenn es uns Ernst ist mit unserem Schwur, bleibt nur eine Rettung: die Zauberin, die sich zwischen uns hat drängen wollen, darf nicht leben! – Du sagst die Wahrheit, erwiderte Nino. Wenn man mit Gedanken tödten könnte, wäre sie jetzt entseelt. – Ein Arm muß sich hinter dem Gedanken erheben und eine Waffe ihm dienstbar sein, sagte Maso. Wer von uns soll das Gericht an ihr vollstrecken? – Darauf verstummten sie Beide, Nino aber faßte sich zuerst. Ich bin der Schuldigere, sagte er, und der Gequältere; Gott wird mir eher verzeihen, wenn ich mich gegen die Verdammniß aufgebäumt und die Teufelin vom Erdboden weggetilgt habe. – Damit bückte er sich, den Dolch von den Steinen aufzuheben. Maso aber hielt ihn zurück. Wir wollen loosen, sagte er hastig. Wen es dann trifft, der soll dennoch nur den halben Theil der Blutthat zu vertreten haben, vorm ewigen Richter wie vor der irdischen Gerechtigkeit. Wir wollen Beide zugleich nach der Waffe greifen, die so im Dunklen liegt, daß wir sie nicht genau zu erkennen vermögen. Wer die Scheide faßt, soll nicht zur That bestimmt sein. Wer den Griff findet, der sei's, der gehe zu ihr hinauf und räche uns Beide an dieser verdammten Seele, ehe sie von neuem uns zu Feinden macht! – –
Man hat nie erfahren, wer die Scheide und wer die Klinge ergriff, wer dann allein, nachdem die Thür auf das verabredete Zeichen geöffnet war, auf der Schwelle zurückblieb und mit pochendem Herzen ins Haus hinaufhorchte, ob Nichts ihm verkünde, wann die grausige That vollbracht sei. Es blieb aber Alles so still, als begegneten sich droben nur zwei zärtlich Liebende, die ihr Plaudern und Kosen heimlich zu halten bemüht seien. Nicht gar lange aber, so kamen verstohlene Schritte die Stiege wieder herab. Der, der das blutige Loos gezogen, erschien mit todesbleichem Gesicht auf der Schwelle, wo er einen Augenblick in die Kniee zusammenbrach. Es ist geschehen! hauchte er. Gott vergebe uns und ihr! Eine Secunde länger, und ich hätte die Kraft nicht mehr gehabt. Und noch im Tode wirkte der Zauber. Ich war schwach genug, das Blut von ihrem Busen wegzuküssen!
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Am anderen Morgen lief schon in aller Frühe das Gerücht durch die Stadt, Madonna Violante sei ermordet in ihrem Hause gefunden worden. Daraufhin nahm der Bargello (der Beamte, der der Stadtpolizei vorstand) acht bis zehn seiner Leute mit sich und verfügte sich in großer Eile nach der Stätte des Verbrechens. Er konnte sich nur mit Mühe und Gewalt durch das dichtgeschaarte Volk durchdrängen, das die enge Gasse und die dunkle Stiege des Hauses selbst Kopf an Kopf erfüllte. Droben fand man die Getödtete vor dem erloschenen Kamin in die zerstampfte Asche am Boden hingesunken, den Oberleib gegen den einen Sessel zurückgelehnt, auf welchem das regungslose Haupt mit den weit zerstreuten Haaren ruhte. Ihre Schultern waren entblößt; oben in der linken Brust, senkrecht hinabgestoßen, so daß er das Herz erreicht hatte, stak der Dolch mit dem kunstreich verzierten Griff, so gewaltsam in das zarte Fleisch hineingetaucht, das es nur schwer gelang, ihn aus der Wunde herauszuziehen. Das Muttermaal aber war verschwunden; der dreischneidige Stahl hatte genau den Umriß jener verhängnißvollen Vogelklaue ausgefüllt.
Da Jedermann wußte, wer die Waffe gefertigt und wer sie getragen hatte, auch der einzige vertraute Gast in diesem Hause durch die junge Magd, die sich schreiend über ihre todte Herrin warf, laut der Blutthat bezichtigt wurde, säumte der Bargello nicht, mit seinem Geleit, dem ein dichter Menschenstrom nachwogte, sich in die Casa del Garbo zu begeben, so wunderlich es ihm und Allen erschien, daß ein Mann wie Nino, von untadeligem Ruf und selbst der Themis zugeschworen, den nächtlichen Greuel verübt haben sollte, zumal auch verschmähte Liebe ihn nicht zu solchem Aeußersten verleiten konnte. Als sie aber bei Nino eintraten, fanden sie diesen und seinen Freund ruhig beieinander sitzend, einen Krug mit Wein und ein einziges Glas auf dem Tische, aus welchem Beide getrunken zu haben schienen, ferner eine Abschrift vom Purgatorio des großen Dante Allaghiero, daraus Nino seinem Freunde mit volltönender Stimme vorlas, während dieser auf einer Laute, die er auf den Knieen hielt, von Zeit zu Zeit einige leise Accorde griff. Befragt, ob dieser Dolch ihm gehöre und ob er wisse, auf welche Art die fremde Wittwe, Madonna Violante, damit vom Leben zum Tode gebracht sei, erwiderte der Doctor, ohne sich zu besinnen: die Waffe gehöre ihm, und den Tod dieser Frau hätten sie Beide beschlossen und vollführt, da sie eine Zauberin und, so lange sie geathmet, kein Entrinnen vor ihr gewesen sei.
Hierbei blieben sie fest, auch als sie vor den Richter geführt und dringend aufgefordert wurden, die Wahrheit zu gestehen, da es undenkbar sei, daß der eine tödtliche Stoß von zwei verbündeten Mördern geführt worden sei. Denn es war den Vätern der Stadt ein betrübender Gedanke, durch die Sühne dieser schreckenvollen That, die freilich nicht zu umgehen war, die Stadt zur gleichen Zeit zweier so trefflicher und bisher unbescholtener Bürger zu berauben. Sie aber weigerten jede weitere Auskunft, wie sie denn auch, aufgefordert, über die magischen Künste der Getödteten sich näher zu erklären, nur ein hartnäckiges Stillschweigen beobachteten. Der einzigen Brigida, als sie ihren unglücklichen Neffen und Liebling im Gefängniß besuchte, öffnete dieser sein Herz und enthüllte ihr, wie Alles gekommen sei. Wer aber den Todesstoß geführt, hat er auch ihr nicht gestehen wollen. Er trug ihr einen Gruß an seine arme junge Schwester auf, die zu Hause in einem hitzigen Fieber lag und seit der ersten Kunde von dem Entsetzlichen noch nicht wieder zur Besinnung gekommen war. Sie möge, bat er, zunächst in einem Kloster Zuflucht suchen, bis die Zeit diesen Schlag ausgeheilt hätte. Nino aber kniete vor der Alten nieder, stumm, doch mit so demüthiger Geberde, daß sie trotz ihres Zornes und Jammers sich nicht entbrechen konnte, dem Urheber so großen Herzeleids die Hände aufs Haupt zu legen und mit strömenden Thränen ihn der himmlischen Barmherzigkeit zu empfehlen.
Am achten Tage nach der That führte man die beiden Verurtheilten zur Stätte, wo sie ihre Strafe erleiden sollten. Sie gingen in ihrer Büßerkleidung, nicht trotzig, doch auch ohne jegliche Zerknirschung den sauren Weg Hand in Hand und grüßten ernst mit leichtem Neigen Diesen oder Jenen unter der Menge, der ihnen ein Lebewohl zuwinkte. Als sie das schwarzbehangene Gerüst betreten hatten, fielen sie einander noch einmal in die Arme und hielten sich so fest umschlungen, daß kein Auge unter dem zuschauenden Volke trocken blieb. Dann kniete, was sich Maso als eine Gunst von ihm erbeten hatte, Nino zuerst nieder und empfing, nachdem er mit lauter Stimme für seine und des Freundes Seele gebetet hatte, ohne jedes Zeichen der Schwäche den Todesstreich. Da riß Maso das Gewand an seinem Halse auf, und indem er seinen Nacken dem Schwerte darbot, rief er: Ich folge dir, du getreueste und geliebteste Seele, sei es zur Gnade oder zur Verdammniß; denn ohne dich würde mir selbst das Paradies eine Hölle sein! – Ein paar Augenblicke darauf rollte auch sein Haupt auf die blutige Bühne nieder, und man erzählte sich, daß die beiden Häupter selbst im Tode noch sich mit den Augen gesucht und gegrüßt hätten.
Das Lisabettlein hat das Kloster, in welches ihre treue Pflegerin sich mit ihr flüchtete, nie mehr verlassen. Der Schreiber dieser Geschichte erinnert sich noch gar wohl, da er ein zwölfjähriger Knabe war, beim Feste der Patronin eine zarte schlanke Gestalt gesehen zu haben, die man ihm als die Äbtissin bezeichnete, zugleich jene wundersame Geschichte erzählend, die sie aus der Welt in die heilige Abgeschiedenheit getrieben. Noch damals, obwohl sie eine Greisin mit wachsbleichen Zügen war, erschien sie von so hoher, schier überirdischer Anmuth, daß der Knabe nicht glauben wollte, man habe ihr in ihrer Jugend ein anderes Weib, das nicht einmal für schön gegolten, vorziehen mögen. Späterhin hat er selbst von den Zauberkünsten, deren die Weiber mächtig sind, genug erfahren, um die buchstäbliche Wahrheit dessen, was hier berichtet worden ist, nicht länger in Zweifel zu ziehen.
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Buchdruckerei von Gustav Schade (Otto Francke) in Berlin.