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Sie hatte schon einen großen Vorsprung gewonnen, als es unten in den Wirthschaftsgebäuden und Ställen lebendig zu werden anfing, und erst ein paar Stunden später pflegte der Graf aufzustehen. Ich war auch sonst immer die Erste im Hause auf und hatte hunderterlei zu schaffen und anzuordnen; jenen Tag aber konnte ich mich auf nichts besinnen mit meinem armseligen verwirrten Kopf und dachte an Nichts und Alles zugleich. Eine ganze Stunde brauchte ich, bis ich mein bischen Haar gestrählt hatte, und immer noch konnte ich mich nicht entschließen, aus der Thür zu gehen, denn ich meinte, der Erste, der mir begegnete, müsse der Graf sein, und wenn er mich fragte: Wo ist Mamsell Gabriele? würde ich zu stottern anfangen und am Ende die Wahrheit sagen. Zuletzt aber verlangte mich's gar zu heftig, nach meinem Ernst zu sehen, und ich ging auf den Zehen die Treppen hinauf, ganz langsam, denn meine Kniee zitterten, als wären sie über Nacht achtzig Jahr alt geworden. Droben lauschte ich an der Thür, es war aber still drin, und als ich sacht hereintrat, fand ich das Zimmer leer, das Bett unberührt. Er hatte aber doch die Nacht hier zugebracht, denn alle Kerzen waren herabgebrannt. Das sah so traurig aus, ich fing stille für mich an zu weinen, indem ich aufräumte und die Fenster nach dem Wald aufmachte, und sah dann eine gute Weile in die Baumwipfel hinein und dachte mein Theil. Ich weiß noch genau, daß ich einen ordentlichen Zorn faßte gegen den verschossenen grünen Hundejungen dort auf der Tapete, der so vergnügt den Mund aufreißt und die Zähne zeigt. Hier mag auch vorgehen was da will, sagte ich bei mir selbst, der Narr da muß dazu lachen. – So verstört hatte mich das Herzeleid, lieber Herr, daß ich dem gewirkten Bilde an der Wand was übel nahm.

Auf einmal höre ich unten auf dem Flügel spielen, es war ganz ungewöhnlich, denn wie gesagt, der Herr Graf stand sonst erst viel später auf. Die ganze Welt ist auf den Kopf gestellt! dacht' ich, machte mich wieder aus dem Zimmer fort und wollte, da ich jetzt sicher war, dem Grafen nicht zu begegnen, erst das ganze Schloß und dann den Wald durchsuchen nach meinem Ernst. Als ich an das Zimmer der seligen Gräfin kam, wo die Gabriele gewohnt hatte, zieht es mich da hinein trotz meinem Widerwillen. Es was mir so unheimlich, als sähe ich die Stätte, wo ein Mord geschehen, und doch hielt es mich fest, dem großen Spiegel gegenüber, und ich starre wie halbnärrisch eine ganze Zeitlang mein eigenes Bild in dem Glase an und spreche mit mir selbst. Und da wir ein schwaches und neugieriges Geschlecht sind seit unserer Aeltermutter Eva, kann ich auf einmal die Lust nicht bezwingen, an dem goldenen Spiegelrahmen herumzutasten, ob ich die Mechanik nicht wiederfände und selbst in den heimlichen Gang hineinschauen möchte. Nur auf einen Blick, dachte ich. Aber wie es mir gelang und die Spiegelthür sacht in ihren Angeln zu kreisen anfing, war schon der eine Fuß, eh ich mich's versah, über der Schwelle, und der andere wollte nicht dahinten bleiben. Also schritt ich mit verhaltenem Athem ein wenig hinein, und richtig, die Thür dreht sich von selbst hinter mir zu. Mir war gar nicht bange. Und wenn ich nie das Tageslicht wiedersähe, dacht' ich, was ist daran gelegen? Ist's denn so schön draußen in der Welt unter den Menschen, von denen einer des andern böser Engel ist? – Dann bemerkte ich auch einen schwachen Lichtstreifen, der durch einen Spalt in den verborgenen Gang fiel, und ging ohne mich zu bedenken vorwärts, fand auch das Treppchen und stieg ganz behutsam hinauf. Zu Häupten, aber sehr gedämpft, konnte ich das Klavierspiel hören, das immer lauter ward, je höher ich stieg. Mein Tage nicht werde ich das wunderliche Gefühl in der Finsterniß und dumpfen Gefangenschaft vergessen, wie die herrliche Musik immer gewaltiger über mich hereindrang. Es war mir, als wäre ich begraben, und tausend Vögel sangen oben über meinem Rasen, und ich könnte sie alle hören und verstehen. Als ich aber die letzte Stufe erstiegen hatte, blieb ich stehen, und es fiel mir nun aufs Herz, wo ich denn hin wollte, und ob ich auch den Ausgang finden würde. Ich wurde plötzlich eiskalt über den ganzen Leib, denn ich sah wohl, daß der Gang, in dem ich stand, gerade auf des Herrn Grafen Kabinet zuführte, wo der Flügel stand. Wenn ich da plötzlich hereinkäme, was sollte er denken? Ich bemerkte aber zugleich, daß ein Lichtstrahl aus dem Kabinet in den Gang hereinbrach, der lockte mich näher heranzuschleichen. Es war hinten in dem Spiegelglas eine schadhafte Stelle, die von außen wie ein schwarzer Fleck aussah und mich oft verdrossen hatte, wenn ich das Glas polirte. Das war, merkte ich jetzt, mit Absicht so angestellt, um von dem verborgenen Gang aus das Zimmer überblicken zu können, damit man wisse, ob es auch leer sei, ehe man die Mechanik in Bewegung setzte und wieder heraustrat. Ich drückte mich ganz geräuschlos an die Wand und spähte hindurch. Da saß Graf Heinrich in seinem kurzen sammetnen Morgenanzug vor dem Flügel, mit dem Rücken gegen die Spiegelthür, und spielte noch immer, und alle Fenster standen offen. Ich wollte mich gleich wieder wegstehlen, aber das Spiel that es mir förmlich an, daß ich nicht genug kriegen konnte und es mir zugleich in den Sinn kam, wie das erst einem jungen, einsamen Ding, wie die Gabriele war, das Herz hatte abstehlen müssen, da ein so alter Mensch, wie ich, noch so davon verzaubert wurde. Und das kam dem Grafen alles so zu im Spielen selbst, er hatte es von Natur, und es war, als ob er sich selbst mit den Stimmen, die in ihm waren, zur Ruhe spräche, wenn sein heftiger Geist über ihn kommen wollte. Dann hörte man es in der Musik ganz deutlich wie eine Zwiesprach verschiedener Wesen, die trotzig gegen einander eiferten und sich endlich wieder vertrugen.

Was an dem Morgen für ein Sturm in ihm los war, weiß ich nicht zu sagen. Vor Gabrielens Bruder war er unbesorgt, da er ja fest glaubte, sie selbst werde nie von ihm gehen. Auch Graf Ernst konnte ihm keine Sorge machen; denn was wußte er von dessen Gemüth? Aber es mochte wohl eine Ahnung in ihm sein, daß etwas Großes sich entscheiden würde, denn was er spielte, war ganz wunderlich, als hinge ein dickes Gewitter in der Luft, und von ferne hörte man schon den ersten Donner. Mir ward endlich so angst und bange, auch wegen der beklommenen Luft, die mich umgab, daß ich mich aufrichten und hinunterschleichen wollte. Da seh' ich, wie die Thür zu dem Vorsaal sich aufthut und herein tritt mein theurer junger Graf. Sein Vater sah sich im spielen nach ihm um, aber der Sohn machte eine Bewegung, als ob er sagen wollte, daß er sich nicht stören lassen möchte, und setzte sich dann auf einen Lehnsessel, so daß ich ihm gerade ins Gesicht sehen konnte. Es war so etwas Feierliches, Stilles und Großartiges über seinen Zügen verbreitet, niemals war er mir schöner vorgekommen. Keinen Blick that er nach der Spiegelthür, es schmerzte ihn offenbar, sie im Zimmer zu wissen. Er war sehr bleich und starrte mit einer seltsamen Heiterkeit, die mich zittern machte, vor sich nieder auf die parkettirten Muster des Fußbodens. Und während seine Augen unbeweglich blieben, sah ich doch, wie es immer feuchter darin wurde und jetzt zwei blinkende Thränen still unter den Wimpern hervorkamen, indeß der Mund noch ganz sanft und friedlich blieb. Ich merkt' es wohl, die Musik griff ihn hart an. Der Vater aber ahnte es nicht, sondern spielte noch eine Zeitlang fort, bis er endlich mit einem prachtvollen Zusammenklang aller Stimmen schloß und dann aufstand und einen Gang durchs Zimmer machte. Er sah den Sohn gar nicht an, was er überhaupt nicht häufig that, war aber sonst ganz freundlich aufgelegt und nahm ein neues Jagdgewehr vom Tisch, um es ihm zu zeigen.

Du kommst gerade recht, sagte er. Ich hatte eben nach dir schicken wollen, ob du mit mir in den Forst reiten magst. Pierre hat die Büchse gestern eingeschossen und behauptet, sie sei noch vorzüglicher als meine englische. Ist er etwa von selber schon bei dir gewesen?

Nein, lieber Vater, sagte der junge Graf, der nun auch aufgestanden war. Aber es thut mir leid, daß ich Sie nicht begleiten kann. Ich habe mich nun doch über Nacht entschlossen, nach Stockholm zu gehen. Sie haben Recht, es wäre viel zu früh, mich hier im Walde zu vergraben, da ich noch gar nicht erprobt habe, ob man mich draußen in der Welt zu etwas brauchen kann. Meine Koffer sind gepackt, und ich komme eigentlich, um Abschied von Ihnen zu nehmen, falls Ihnen mein Vorhaben noch so recht und erwünscht ist, wie Sie mir so oft versichert haben.

Sein Gesicht, als er das sagte, war ganz heiter und gelassen. Mir aber ward sehr weh zu Muthe, als ich ihn so reden hörte; ich verstand jede Silbe durch die Spiegelwand und hielt den Athem an, denn ich meinte, man könnte auch drinnen hören, wie mein Herz klopfte. Darum wagte ich nicht fortzugehen und mußte nun auch alles Andere mitanhören. So bald sollte ich ihn wieder verlieren, und wer weiß, ob ich ihn je wiedersah; denn weshalb er fort wollte, wußte ich ja nur zu gut, und kannte ihn genug, daß ich mir sagen mußte: Er will das Mädchen nie wiedersehen. Aber die war ja schon fortgegangen, und was sollte nun werden, wenn das an den Tag kam? Meine fünf Sinne waren wie betäubt, als ich mir das auszudenken versuchte. Dann horchte ich wieder, was sie drinnen miteinander sprachen. Ich kann es Ihnen nicht haarklein wiederholen, es war aber sehr schön, ihn zu hören, wie er dem Vater Alles auseinandersetzte, warum der Posten gerade jetzt wichtig sei und wie er die Staatshändel und was er dabei zu schaffen haben würde bis ins Kleinste übersah. Während dem ging der alte Graf ruhig auf und ab und sagte kein Wort. Endlich blieb er vor dem Sohn stehen, gab ihm die Hand und sagte: Es ist Alles, wie du sagst, und ich kann deinen Entschluß nur gutheißen. Du bringst jetzt meinen Wünschen ein Opfer, denn im Grunde bist du kein homme d'action, sondern hast etwas von einem deutschen Gelehrten. Aber die Verhältnisse werden dir den Schulstaub bald abschütteln, und dann wirst du mir Recht geben, daß es heilsam für dich war. Wann willst du reisen?

Noch in dieser Stunde, sagte der Sohn. Wenn es Ihnen recht ist, nehme ich Pierre bis zur Eisenbahn mit und reite die Fatme. Er bringt die Pferde dann am Abend zurück; meine Sachen können mir nachgeschickt werden.

Der Graf nickte, und dann schwiegen sie beide eine Weile. Ich sah es meinem Ernst am Gesicht an, er hatte noch etwas Schweres auf dem Herzen. Endlich sagte er:

Und Sie, lieber Vater? Was haben Sie über die nächste Zeit beschlossen? Denken Sie auch den kommenden Winter hier im Schloß zuzubringen?

Ich habe es halb und halb vor, sagte der Graf. Ich meine, ich hätte mich nun ausgestürmt, und die Ruhe im Hafen wäre mir zur Abwechslung zu gönnen.

Es ist doch gar einsam hier, sagte der Sohn darauf; und unsere Nachbarn können Ihnen wenig Unterhaltung bieten. Lachen Sie mich nicht aus, wenn ich mir eine wunderliche Frage erlaube: Haben Sie niemals daran gedacht, sich wieder zu verheirathen?

Ich hörte den Grafen hell auflachen. Nun wahrhaftig, sagte er, du thust seltsame Gewissensfragen. Du möchtest wohl gar ein gutes Werk stiften, eh du gehst, und mich versorgen? Gieb es auf, mein Sohn! Eine zweite Ehe ist eine zweite Thorheit und wenn Alter nicht vor Thorheit schützt, sollte wenigstens Jugend nicht den Versucher machen.

Sie scherzen, mein Vater, erwiederte Graf Ernst. Ich habe Sie jünger wiedergefunden, als ich Sie vor Jahren verließ. Wenn Sie wirklich entschlossen sind, hier zu bleiben, denken Sie nur, wie gut dem alten Schloß eine junge Herrin anstünde, die Sie davor bewahrte, vor der Zeit alt zu werden, und wenn die Jahre endlich doch Ernst machten, Ihnen die Ruhe im Hafen verschönerte. Ich weiß Sie freilich für alle Fälle in den besten Händen, sagte er; unsere Flor ist die Treue in Person. Aber Sie bedürfen doch noch etwas Anderes, und da ich kaum weiß, wann ich Sie wiedersehen werde –

Da stockte er, und ich sah wohl, es wurde ihm schwer, seine Bewegung zu verbergen. Der Graf aber blickte ihn plötzlich forschend an und sagte nach einer Pause trocken: Lassen wir das! Es ist nun einmal, wie es ist. Wenn ich mir auch die Langeweile auf andere Art vertreibe, als du thun würdest, so ganz verwahrlosen werde ich hier nicht. Es ist noch mancher Fuchs zu schießen, bis meine Hand zu schwach ist, einen Büchsenhahn zu spannen, und am Ende aller Enden setze ich mich hin und schreibe meine Memoiren, zum Exempel für das heutige wohlerzogene Geschlecht, wie man es nicht zu machen habe.

Er erwartete offenbar, daß der Sohn sich nun verabschieden würde. Mein Ernst aber stand unbeweglich und hatte die Augen still auf den Vater gerichtet. Den schien der Blick zu beunruhigen, und er fragte in einem halb spöttischen, halb unmutigen Ton: Nun? Ist dir diese Perspective nicht tröstlich genug? Ich glaube wahrhaftig, du hast irgend eine Partie für mich fix und fertig und willst mir an meiner eigenen Person beweisen, daß du größere Anlagen zur Diplomatie besitzest, als ich dir bisher zugetraut. Wer ist denn die junge Dame, die du mir ausgesucht hast? Ich fange wahrhaftig an neugierig zu werden. Ist es die junge F* mit ihrer reichen Mitgift an Sommersprossen und den Madonnen-Augen, oder die Comtesse C* mit ihrem freiwilligen Hinken und dem gezwungenen Lachen, mit dem sie Gott und der Welt, die es doch besser wissen, einreden will, sie sei immer noch sechszehn Jahr, oder gar – –

Und so fuhr er fort, alle Fräuleins aus der Nachbarschaft der Reihe nach mit ein paar lächerlichen Strichen abzukonterfeien, ohne daß der Sohn seine ernsthafte Miene veränderte. Erst als der Vater fertig war, sagte er: Sie sind auf falscher Fährte, lieber Vater. Von keiner Weltdame ist die Rede, und keine von unsern Nachbarinnen möchte ich hier als Herrin einziehen sehn. Das Glück, das ich Ihnen wünsche, liegt viel näher. Haben Sie es denn gar nicht bemerkt, daß das junge Fräulein, das hier im Schloß der alten Flor in ihrem Hausregiment an die Hand geht, mit einer Leidenschaft an Ihnen hängt, die sie wohl kaum mehr vor sich selbst verbergen kann.

Der Graf blieb plötzlich wie eingewurzelt stehen, und ich sah, wie seine Stirn sich finster zusammenzog. Aber er wußte sich gut zu beherrschen und nach einer kurzen Weile schlug er eine Lache auf, die ihm nicht von Herzen kam, und erwiederte: Mamsell Gabriele? Mort de ma vie, mein Sohn, das wäre in der That ein Triumph der neuen Schule über die alte, wenn du in drei Wochen mehr gesehen hättest, als ich in zwei Jahren.

Wenn ich ehrlich sein soll, sagte Graf Ernst, und seine Stimme war bewegt, so hab' ich die Entdeckung erst gestern gemacht oder doch erst gestern Gewißheit erhalten. Ich habe den Kampf mitangesehn, den das arme Mädchen mit sich selber zu kämpfen hatte, als der Bruder darauf drang, daß sie mit ihm fortgehn solle. Es würde ihr ans Leben gehn, sich von Ihnen zu trennen.

Thorheit! unterbrach ihn der Vater und warf sich mit einer künstlichen Gleichgültigkeit in einen Sessel. Der Bruder ist ein starrköpfiger Narr. Daß er so hitzig hier hergestürmt kam, als stünde wunder was auf dem Spiel, das hat sie erschreckt und außer sich gebracht. Du täuschest dich gewaltig. Uebrigens wer spricht davon, daß sie gehen soll? Sie ist mündig und wird thun, was ihr beliebt, und ich werde sie in ihrer Freiheit zu schützen wissen.

Wieder eine Pause. Darauf sagte der Sohn: Wenn nur nicht gerade dieser Schutz ihr so gefährlich wäre! Ich will es nur gestehn, ich bin gestern noch spät drüben in der Stadt gewesen und habe den Bruder aufgesucht. Er hat mir erzählt, wie ritterlich Sie sich seiner Schwester gegen einen Zudringlichen angenommen haben und was darüber gesprochen worden ist. Wenn Sie nicht wünschen, daß Ihr Schützling seinen unbescholtenen Namen für immer aufopfern soll, so ist es freilich die höchste Zeit, das Mädchen aus Ihrem Schutz zu entlassen, oder ihr einen anderen Namen zu geben, der sie in Wahrheit vor jeder Anklage sichert. Theuerster Vater, fuhr er fort, da der Graf vor sich hin sah und die Lippe nagte, zürnen Sie mir nicht, daß ich unberufen mich in Ihre Entschlüsse und Pläne eindränge. Es liegt mir am Herzen, Ihnen das beste Glück zu sichern, das schon so lange, ohne daß Sie es ergreifen wollten, neben Ihnen stand. Ich weiß nicht, wie Sie über das Fräulein denken, ob es Ihnen gleichgültig wäre, wenn sie mit ihrem heimlichen Kummer und dem heißen Gefühl für Sie fortginge in die ungewisse Welt. Aber wenn Sie nur einen Funken von Neigung zu ihr fühlen sollten, halten Sie das schöne, liebenswürdige Wesen für immer hier fest, Sie werden sicherlich diesen Entschluß, den Sie so plötzlich fassen, keine Stunde zu bereuen haben.

Ich hing während dieser Worte an seinem Gesicht und sah, wie es sich immer dunkler röthete und ihm die Augen feucht schimmerten. Er war vor den Vater hingetreten und faßte eine von dessen Händen, die auf den Armlehnen des Fauteuils ruhten. Wundersamer Mensch, sagte der Vater, ich glaube gar, du willst mich überrumpeln, ich soll die Augen zudrücken und mit gleichen Füßen in das Abenteuer hineinspringen, wie ich wohl sonst meine Thorheiten beging. Was hast du nur an dem Mädchen, daß du ihr so lebhaft das Wort redest? Wenn ich es mir recht überlege, so ist dein Vorschlag nicht so kurzweg zu verachten. Ich brauche mir nur vorzustellen, wie sich meine hochgeborenen Nachbarn ärgern werden, wenn es heißt, Graf Heinrich hat seine Haushälterin geheiratet, um gleich Anstalten zur Verlobung zu machen. Aber ich muß mir den Spaß dennoch versagen. Nicht daß ich Einwendungen gegen deinen Geschmack zu machen hätte. Sie ist überdies aus einer guten Familie und hat einen Takt, um den manche Gräfin sie beneiden könnte. Und dennoch ist es nichts damit, laß es genug sein, Ernst! Ja doch, ich will mit dem Bruder reden, es wird sich Alles nach Wunsch machen lassen, laß mich nur eine Stunde allein! – Nun? fuhr er fort, als der Sohn seine Hand noch immer nicht los ließ. Bist du noch nicht zufrieden gestellt, daß ich deinen Projecten so viel Ehre erwies, sie einen Augenblick ganz annehmlich zu finden? Noch einmal, laß es genug sein! Ich erkenne aus dem allen dein gutes Herz, das mir alles Gute gönnt. Aber das Herz ist ein leichtsinniger Narr und kommt immer erst zur Besinnung, wenn es zu spät ist.

Und so Reden führte er noch mehr, sah aber dabei den Sohn nicht an, stand auf, trat an den Flügel, schlug ein paar Accorde an und ging dann an das Fenster, das er rasch zumachte. Sie verschweigen mir etwas, sagte der Sohn, Sie sind bewegt; es ist meiner Bitte etwas im Wege, das Sie mir nicht vertrauen mögen. Ich weiß, wie Sie von Standesunterschieden denken. Das also kann es nicht sein. Und was ist es sonst? Denn daß Ihnen das Fräulein nicht gleichgültig ist, hat Ihre Bewegung mir verrathen.

Er wartete vergebens auf eine Antwort. Ich weiß es, sagte er endlich mit einer tiefen Traurigkeit, ich habe den Weg zu Ihrem Vertrauen nie gefunden, so ernstlich ich ihn gesucht habe. Es hat mich nie mehr geschmerzt, als heut. Aber ich vergesse: dieses ganze Gespräch dauert Ihnen schon zu lange. Sie finden es lächerlich, daß der Sohn sich eine Herzensangelegenheit daraus macht, seinen Vater glücklich zu sehen. Ich habe um Verzeihung zu bitten, und zugleich Ihnen Lebewohl zu sagen.

Da wandte sich der Graf am Fenster um, maß seinen Sohn von oben bis unten mit einem durchdringenden Blick und sagte: Gehe in die Welt, mein Sohn, und laß dir die scharfe Luft auf den sogenannten Höhen der Menschheit um die Brust wehen, so wird sich mit anderen überspannten Vorurtheilen auch diese Wallung deines wunderlichen Herzens abkühlen. Und dann wirst du es mir Dank wissen, daß ich heute nicht einwillige, dir noch eine junge Stiefmutter und vielleicht Geschwister zu geben. Wir sind nicht so reich, daß du dich in der Gesellschaft, wo dein Platz ist, frei bewegen und eine ansehnliche Figur spielen könntest, wenn du mit der Wittwe deines Vaters und vollends etwa mit Stiefgeschwistern dein Erbe theilen müßtest, oder nur auf dein mütterliches Vermögen angewiesen wärst. Die ich aber zur Gräfin gemacht hätte, die würde ich, wenn ich die Augen schlösse, nicht als eine Bettlerin zurücklassen. Habe ich mich nun deutlich gemacht, und verstehen wir uns jetzt?

Ja, mein Vater, sagte der junge Graf mit langsamer, bebender Stimme. Er stand einen Augenblick wie abwesend, dann trat er ruhig an den Tisch, wo neben anderen Dingen auch ein Schreibzeug stand, nahm einen Bogen Briefpapier aus der Mappe des Vaters und schrieb stehend einige Zeilen. Er schien eben fertig zu sein, als der alte Graf zu ihm herantrat. Was in aller Welt kommt dir plötzlich in den Sinn? rief der Vater. Ich glaube gar, du führst eine Komödienscene auf. Ich will nicht hoffen –

Lieber Vater, sagte der Sohn, indem er das fertige Blatt mitten auf den Tisch schob, thun Sie nichts Hastiges. Lesen Sie, was ich da geschrieben habe, und wenn Sie mir eine große Freude mit auf den Weg geben wollen, so setzen Sie Ihren Namen zur Bekräftigung unter den meinigen. Ich habe mir manchmal eingebildet, ich stände Ihnen fern wie ein Fremder, unsere Denkart geht so vielfach auseinander, in den Jahren, wo Söhne ihren Vätern zu Freunden heranwachsen, habe ich schwer empfunden, wie wenig ich Ihnen sein konnte. Sie haben mir eben einen großen Beweis Ihrer väterlichen Liebe gegeben. Wenn Sie diese Wohlthat wieder vernichten und mir sagen wollen, daß ich so wenig verstehe, was zu Ihrem Glücke dient, wie meine theure Mutter es verstanden hat, so zerreißen Sie dieses Blatt!

Der Graf nahm es vom Tisch, ich sah, wie es in seiner Hand zitterte. Ernst, sagte er, das ist unmöglich. Ein Verzicht auf dein väterliches Schloß zu Gunsten meiner zweiten Gemahlin und ihrer Erben – nimmermehr!

Das Blatt fiel auf den Tisch, die Beiden standen neben einander, ein paar Minuten lang regte sich kein Stäubchen in dem sonnigen Zimmer. Auf einmal kamen Schritte durch den Vorsaal heran, Pierre, der Kammerdiener, trat eilig herein.

Monsieur le Comte, sagte er, wissen Ew. Gnaden bereits, daß Mamsell Gabriele vermißt wird, daß sie der Forstgehülfe heute vor Tag auf dem Wege nach der Stadt getroffen hat, daß auch Mamsell Flor im ganzen Schloß vergebens gesucht wird?

Die Kalesche anspannen, sogleich! befahl der Graf und machte eine heftige Bewegung nach seinem Hut, der auf einem Sessel lag. Halt! rief er dem Diener nach, der schon wieder in der Thür war, auch mein Pferd satteln und vorführen, allons!

Wenn es Ihnen recht ist Vater, begleite ich Sie, sagte Graf Ernst. Sie wissen, daß ich ohnehin reisefertig war.

Er wollte dem Diener nacheilen, da hielt ihn der Vater zurück, sah ihm lange stillschweigend ins Gesicht, dann zog er ihn plötzlich in seine Arme, und sie standen eine geraume Zeit Brust an Brust. Ich aber sah nichts mehr von ihnen, die Augen gingen mir so gewaltig über, daß Alles davor verschwamm, und als ich sie mühsam wieder getrocknet hatte, war das Cabinet leer, und nur das Blatt auf dem Tisch konnt ich sehen, das mir sagte, das alles sei kein Traum gewesen.

Mit welchem Herzen ich das dunkle Wendeltreppchen wieder hinuntertappte, können Sie sich vorstellen, lieber Herr. Als ich dann mit meinen bebenden Händen glücklich wieder die Thür unten geöffnet hatte und ans Tageslicht heraustrat, war mir, wie wenn ich in eine ganz neue Welt käme. Ich hörte Hufschlag unten im Hof und sah vom Fenster aus Vater und Sohn über die Schloßbrücke sprengen, und der leichte Wagen, der unsere Gabriele zurückbringen sollte, fuhr lustig in der schönen Morgensonne hinterdrein.

Ach, lieber Herr, es war wohl hübsch anzusehen, wie das arme Kind, das vor Tage mutterseelenallein zum Grabenpförtchen hinausgeflohen war, nun am hellen Mittag über die große Schloßbrücke zurückkam, bequem zu Wagen und der Graf ritt auf dem stolzen Thiere nebenher und schwang sich dann aus dem Sattel, um ihr selbst den Wagenschlag aufzumachen und ihr den Arm zu reichen. Und es war noch viel schöner acht Tage darauf, als oben im Saal die Trauung war und dann das Hochzeitsmahl unten in der Halle, und am Herrentisch saß Graf Heinrich und seine schöne junge Gräfin mit ihrem Bruder, und wir Andern alle an bekränzten Tischen bei einer Unzahl Fackeln speisten mit, und auf der Galerie bliesen die Musiker aus der Stadt, und hernach gab es Tanz bis lange nach Mitternacht, und die junge Gräfin tanzte mit Jedem, vom Verwalter bis zum Forstgehülfen, daß man noch lange davon sprach in der ganzen Nachbarschaft. Mir aber fehlte bei Allem das Beste, und ich ward keine Minute so recht von Herzen froh. Denn mein theurer Ernst war an jenem Mittag nicht mit zurückgekommen, ich hatte nicht einmal Abschied von ihm nehmen können, und während der Hochzeitsmusik mußt' ich immer daran denken, daß er jetzt wohl auf dem Schiffe sitze, nach Schweden zu, und in der kalten Nacht nur das salzige Wasser um den Kiel rauschen und den Wind sausen höre.

Uebrigens blieb nach der Hochzeit so ziemlich Alles im Schloß wie vorher, nur daß wir »gnädige Gräfin« sagten, statt »Mamsell Gabriele«, und daß das gräfliche Paar täglich mit einander spazieren ritt, und wir auch manche Stunde lang den Grafen spielen hörten, während seine schöne Frau dazu sang. Besuch aus der Nachbarschaft kam nicht, denn die Visiten, welche unsere Herrschaft auf den Gütern in der Umgegend machte, blieben unerwiedert. Dazu lachte unser Graf nur, und es schien überhaupt, als ob ihm sein Humor gar nicht mehr zu verderben sei. Kam etwas vor unter der Dienerschaft, oder es wurde in den Ställen etwas versehen, wo man sich sonst kaum getraut hatte, es ihm zu melden, so brauchte man es jetzt nur der Gräfin zu sagen, die verstand Alles auszugleichen und hatte Gewalt über seine Zorngeister. Nur Einmal hab' ich es erlebt, daß all ihre Bitten vergebens waren. Das war, als bald nach Neujahr – wir hatten hohen Schnee und viele Tage saßen wir wie eingemauert im Walde – eine Einladung kam an den Grafen zum Hofball des Herrn Herzogs, auf dem immer der ganze Adel erschien und auch unser Graf im vorigen Winter nicht gefehlt hatte, obwohl er schlecht in Gnaden stand. Es war ein reitender Lakai gekommen und hatte die schriftliche Einladung überbracht. Die Herrschaft saß gerade unten bei Tisch, und ich sehe noch, wie der Graf den Teller wegschiebt und aufsteht. Der Affront! sagt er, als ihn seine Frau besorgt zurückhalten will. Sie haben dich nicht mit eingeladen. Aber du sollst ihnen dennoch die Ehre erweisen! – Und damit läßt er, trotz alles Abredens und Bittens der Gräfin den Lakaien hereinkommen, und trägt ihm auf zu melden, daß er sowohl wie seine Gemahlin der Einladung folgen würden. – Hernach war er ganz besonders gut aufgeräumt, ließ die Gräfin stehen und bitten so viel sie wollte, und sagte unter Anderm, indem er sie auf die Stirn küßte: Fürchte nichts, Kind. Es ist nur das eine Mal, daß ich Gnade vor Recht ergehen lasse, um ihnen fühlbar zu machen, wie wenig sie dir ebenbürtig sind. Du darfst mir diese Freude nicht verderben. Und so kam es denn richtig dazu, daß ich meine Gabriele, – die gnädige Gräfin, sollt' ich sagen, – zum Hofball anziehen half. Sie trug eine Robe von weißem Moirée und einen Kranz von rothen Rosen mit goldenen Blättern im Haar und sah aus wie eine Königin. Comme une reine, sagte Monsieur Pierre, der zu Pferde mit einer Windlaterne dem Schlitten vorantrabte. Und welch eine Anmuth hatte sie, als sie mir aus ihrem Pelz und Schleier heraus noch zum Abschied zunickte, während der Herr Graf, der selbst kutschierte, schon die Peitsche knallen ließ. Ich war selber ganz verliebt in sie und saß die langen Nachtstunden wach am Kamin, nur um sie zu empfangen, wenn sie vom Ball zurückkäme. Was mir da alles durch den Kopf ging, lieber Herr, damit will ich Sie nicht langweilen. Ich schlief auch selber darüber ein, und erst das Schellengeläut des Schlittengespanns weckte mich gegen den frühen Morgen. Als ich an die Treppe gelaufen kam, führte der Graf seine Gemahlin eben herauf, sie sahen Beide gar nicht müde aus, sondern glänzend und glücklich und wie wenn etwas ganz Besonderes vorgefallen wäre. Als er ihr Gutenacht sagte, schloß er sie, ohne auf mich und die Dienerschaft zu achten, herzlich in die Arme und hielt sie so einen Augenblick, als hätte er die ganze Welt umher vergessen. Ich sah, wie sehr sie bewegt war, und folgte ihr ganz nachdenklich in ihre Zimmer, um sie zu Bett zu bringen. Kaum waren wir allein, so fiel sie mir mit Tränen um den Hals, denn sie war noch immer zu mir, wie zu einer Mutter, und da erfuhr ich Alles. Es habe ein großes Aufsehen gemacht, als sie später als die Anderen auf dem Ball erschienen, und die Herzogin, die eine sehr hochgeborene Nase hatte, habe, da der Graf ihr seine Frau vorstellte, kein Wort zu ihr gesprochen. Der junge Herzog sei aber desto charmanter gewesen, habe den Ball mit ihr eröffnet und sie beständig vor allen anderen Damen ausgezeichnet. Sie selbst sei auch bald ganz unbefangen geworden, und ich konnte aus ihren wenigen Worten wohl merken, daß sie die Königin des Balls gewesen war. Plötzlich aber habe sie jenen englischen Lord an einem der Spieltische erkannt und einen heftigen Schrecken gehabt. Aber wie sie ihren Gemahl so heiter und ruhig gesehen, sei ihr die Besonnenheit wiedergekommen. Der Graf habe sie nach dem Tanz in ein Nebenzimmer geführt, um sich zu erfrischen, und diesen und jenen Herrn ihr vorgestellt. Unversehens sei der Engländer mit einigen Damen auch in das Zimmer getreten, habe sie durch seine Lorgnette scharf betrachtet und dann ganz laut gesagt: Für ein Kammermädchen hat sie ziemlich viel Tournüre. Darauf sei es ganz still geworden, der Graf habe die Farbe gewechselt, aber gleich darauf mit gelassenem Ton zu ihr gesagt: Sieh einmal, Gabriele, findest du nicht auch eine auffallende Aehnlichkeit zwischen dem Herrn, der da eben hereingetreten, und jenem ungeschliffenen Menschen, der sich damals so ungezogen gegen dich betrug, und dafür mit meiner Reitpeitsche und hernach mit meinen Pistolen Bekanntschaft machte? Es wäre an der Peitsche genug gewesen; denn wie Alle wissen, die ihn näher kennen, war er keinen Schuß Pulver werth. – Sie können denken, wie der armen Gräfin bei diesen Worten zu Muthe war. Es blieb aber vorläufig dabei, denn in demselben Augenblick kam der Herzog seiner Tänzerin in das Nebenzimmer nach und war die Liebenswürdigkeit selbst zu ihr. Da mag manches hochadlige Fräuleinsgesicht gelb vor Neid geworden sein. Als aber das Fest zu Ende war und unsere Herrschaften sich verabschiedet hatten, um die Heimfahrt anzutreten, sei der englische Lord unverschämt auf der Treppe ihnen nachgegangen, und habe dem Grafen leise ein Wort ins Ohr gesagt. Da stand der Graf still und erwiederte so laut, daß es Viele von den Lakaien und auch einige Herren vom Hofe hören konnten: Suchen Sie einen andern Partner zu einem solchen Spiel, mon cher. Ich habe inzwischen einen Schatz gefunden, den ich nicht auf eine Karte setzen mag, selbst wenn ich genau wüßte, daß man mich nicht mit falschen Karten bedient, wie es im Sportsclub zu London gewissen Leuten nachgesagt wird. Wenn Sie damit nicht zufrieden sein sollten – so steht meine Reitpeitsche nach wie vor zu Diensten. – Damit habe er den Menschen stehen lassen und Gabrielen im Nachhausefahren gesagt: Das ist hoffentlich das Letzte von meiner Vergangenheit, was mir mein Glück einen Augenblick stören wollte. Nun bist du allein meine Gegenwart und Zukunft. Und mehr so herzliche Sachen, die sie mitten im Schneegestöber und Winternacht wärmer hielten, als all ihr Pelzwerk. Von da an lebten sie ganz für sich, schlugen auch alle Einladungen zu Hofe regelmäßig ab, und nur dann und wann machten sie kleine Reisen; es war aber leicht zu merken, daß ihnen nirgends wohler war, als in unserm einsamen Wald. Die Gräfin blieb sich immer gleich zu mir und sagte mir Alles. Nur daß wir nie ein Wort mehr über unser Gespräch an jenem bangen Morgen, als sie fort wollte, mit einander tauschten. Ich habe auch nicht von ihr erfahren, ob sie dem Grafen den wahren Grund gestanden hat. Aber wahrscheinlich ist es mir doch; denn sie hatte keine Geheimnisse vor ihm, und der Graf hatte jetzt auch einen ganz eigen herzlichen Ausdruck, so oft er von seinem Sohne sprach. Und das geschah häufig, und jedesmal so oft ein Brief aus Schweden gekommen war. Dann wurde ich zum Grafen hinaufgerufen, und er erzählte mir von meinem theuren Liebling und bestellte die Grüße an mich. Ein paar Mal im Jahr schrieb mein Ernst mir selbst, so gut und zutraulich wie immer, aber keine Silbe von dem, was mir das Wichtigste war, wie es in seinem Gemüth aussah. Und endlich nach zwei Jahren zeigte er dem Vater an, daß er sich mit einer vornehmen jungen Dame aus Stockholm zu vermählen gedenke, und bat um des Vaters Einwilligung. Mir aber schrieb er, ich würde ihm meinen mütterlichen Segen wohl auch nicht versagen, seine Braut sei gerade, als hätte ich sie eigens für ihn ausgesucht, und schickte mir später ihr Bild, ein wahres Engelsgesicht an Unschuld und Güte. Eh' ich das Bild sah, konnte ich den Gedanken nicht los werden, er habe sich zu dieser Verbindung nur entschlossen, um den letzten Strich unter sein Schicksal zu machen und den Vater vollends zu beruhigen. Aber diese großen, strahlenden Kinderaugen mußten wohl den Weg zu seinem Herzen gefunden haben. Und dann die Berichte von der Hochzeit und einer schönen Reise ins Hochland, und denken Sie nur, die junge Gräfin hatte Zeit und Gedanken übrig, selbst an die alte Flor zu schreiben und mir zu danken, daß ich ihren lieben Gemahl so treulich von Kind an gepflegt hätte. Von einem Besuch in Deutschland war leider keine Rede, vollends nicht, als im Jahr darauf Zwillinge zur Welt kamen, worüber hier im Schloß bei den Großeltern große Freude war. Nun sprach der Graf selbst davon, daß sie nach Schweden reisen und mich mitnehmen wollten, und Sie können denken, wie mir mein alter Kindskopf schwindelte, als ich von Reisen reden hörte, und von solch einem Wiedersehen.

Aber wir sind nicht Herr über unsere Tage. Mancher unnütze Invalide muß noch für den lieben Gott Schildwache stehen und ruhig warten, bis er abgelöst wird, und Andere, an denen das Glück von Vielen hängt, kommen um sich, sie wissen nicht, wie. Eines Tages wurde Graf Heinrich auf einer Bahre ins Schloß gebracht, ohnmächtig und schon für todt. Er war mit dem Pferde gestürzt und hatte sich eine innerliche Verletzung zugezogen, aus der kein Arzt klug werden konnte. Er kam auch wieder zu sich, aber es dämmerte nur noch so ein Funken von Verstand und Erinnerung in ihm. Die Gräfin erkannte er und mich, sonst Niemand. Der Pierre durfte ihm nicht nahe kommen; den hielt er für eine Ratte und rief immer: Stellt eine Falle ans Bett, sie zernagt mir sonst mein Galakleid. Seht das Loch, das sie schon hineingebissen hat! – dann rief er nach seinem Sohn, und so beweglich, daß ich es nicht ohne zu Weinen hören konnte. Die Gräfin hatte sogleich an ihn geschrieben, wie es um den Vater stehe, und ich hatte nur eine Angst, daß er zu spät kommen würde. Lassen Sie mich schweigen von den Tagen und Nächten, die wir damals überstanden, und von dem herzbewegenden Anblick der Gräfin, die keine Klage hören ließ und uns alle aufrecht hielt. Und am zwölften Tage kam der junge Graf. Wir hatten ihn kaum so bald erwartet, und erschraken fast, da er ins Krankenzimmer eintrat. Der Graf aber erwachte aus seiner Starrsucht, als er die Thür gehen hörte, richtete sich auf und schrie mit einer Stimme, die ich ewig hören werde: Ernst! mein Sohn! – Dann brach er in Thränen aus, daß es war, als wolle sein Geist sich völlig auflösen durch die Augen, und darauf wurde er ganz wunderbar heiter und still und verständig und hielt immer die Hand seines Sohnes und fing zusammenhängend an zu sprechen, daß wir einen Augenblick dachten, das Schwerste sei vorbei und die Krisis zur Besserung eingetreten. Das dauerte aber keine zehn Minuten, da wurden seine Augen wie überflort. Er sah nur noch die Gräfin an und sagte: Ernst wird für dich sorgen! – Dann wollte er auch dem Sohn noch etwas sagen, aber er sank zurück und war hinüber.

Sie müssen mir verzeihen, wenn ich Ihnen Alles so umständlich erzähle, ich will auch nur ganz kurz sagen, wie es zu Ende ging; leider kam das Ende ja auch so bald. Denn am Tag nach dem Begräbniß reiste der junge Graf wieder ab, nachdem er die Gräfin, die nirgends anders als hier zu leben wünschte, als die Besitzerin von Schloß und Wald noch einmal durch Urkunde und Schenkung bestätigt hatte, weil ein Testament sich nicht vorfand. Graf Heinrich wußte wohl, daß er nur zu sagen brauchte: Ernst wird für dich sorgen! und dann ruhig die Augen schließen konnte. – Sobald Sie meiner bedürfen, Frau Mutter, sagte mein theurer Ernst, verfügen Sie über mich in jeder Weise. Und wenn es Ihnen zu einsam in dieser Umgebung wird – so wissen Sie, daß meine Frau Sie mit offnen Armen erwartet.

Sie reichte ihm mit einem stillen, herzlichen Gesicht die Hand, die er ehrfurchtsvoll ergriff. Sie sind wohl aufgehoben, sagte er mit leiserer Stimme. Ich lasse Ihnen meine treue Flor; ich bitte nur, daß Sie sie uns mitbringen, wenn Sie selber kommen.

Das konnte ich nicht mit trockenen Augen aushalten, zog die Schürze vors Gesicht und lief hinaus. Aber da hielt er mich draußen auf dem Corridor fest, umarmte mich ganz stürmisch, und ich fühlte, wie sein Herz schluchzte und die heißen Tropfen, die er weinte, mir meine grauen Haare netzten.

Mein Kind, mein Ernst, mein theuerster Graf! sagte ich zu ihm, Gott segne Sie, daß Sie gekommen sind! Ja, er hat Ihnen Ihre Treue und Kindesliebe schon gelohnt, er hat Ihren Vater nicht eher zu sich genommen, als bis sie aus seinem sterbenden Munde hören konnten, daß er wußte, was für einen Sohn er zurückließ. Gehen Sie mit Gott, und grüßen Sie die Frau Gräfin und die herzigen Kinder von der alten Flor, die nur den Einen Wunsch hat, alle Welt möchte Ihr Herz kennen, wie sie es kennt. Dann würde alle Welt Ihnen die Hände unter die Füße legen.

Dann machte er sich von mir los und bestellte sich die Pferde auf die Höhe des Wegs droben im Wald. Er selbst ging zu Fuß voran, und ich habe von unsern Leuten gehört, daß er lange durch den Forst gewandert ist zu allen Stellen, die er lieb hatte und nun zum letzten Mal sehen wollte. Denn wohl schon damals hatte er bei sich beschlossen, niemals wiederzukehren; hier konnte er doch einmal nicht mehr froh sein. Und so wußte ich, ich hatte den letzten Abschied von ihm genommen, und hätte mich noch heftiger darüber gehärmt, wenn ich nicht von dem Tage an genug zu thun gehabt hätte mit meiner Gräfin. Die schwand mir nur so sichtbar dahin, blaß und ruhig und ohne Klage; aber es zog sie ordentlich mit Händen ihrem Gemahl nach, so stark beherrschte sie der stolze Mann noch im Grabe. Als ich meinem Ernst die traurige Nachricht schrieb – es ist noch kein Jahr seitdem vergangen – antwortete er sogleich, daß ich nun auf jeden Fall zu ihnen kommen müsse, und die junge Gräfin bat mich, wie man nur bitten kann, in einem schönen langen Brief. Mein Ernst hatte den Abschied von der Gesandtschaft genommen, und sie leben auf einem prachtvollen Gut nah an Gebirg und Meer, wo es gar schön sein mag. Ich würde selbst kommen, dich zu holen, schrieb er mir, aber ich bin ein zu gewissenhafter Landwirth und Hausvater, um mitten in der Erntezeit wegzugehn. – Den wahren Grund verschwieg er. Und ich, von dem allen ganz weich gemacht, packe auch wirklich mein bischen Habe zusammen, übergebe das Schloß, wie es Ernst gewünscht hatte, dem Verwalter – denn der Bruder der Gräfin Gabriele hatte das Erbe seiner Schwester nicht antreten wollen, er hatte auch seinen Stolz für sich – und so will ich eines schönen Morgens wirklich wegfahren. Aber als ich oben im Hohlweg an die Stelle komme, wo man noch eben die Schornsteine über den Bäumen im Grunde auftauchen sieht, wird mir angst und bange ums Herz, ich springe aus dem Wagen und renne wie vom bösen Feind gejagt ohne anzuhalten den Weg wieder zurück, und es war mir, als ich wieder in den Hof kam, als wäre ich hundert Jahre weg gewesen.

Ach, lieber Herr, ein so morscher alter Baum soll sich nicht in andere Erde versetzen lassen, sondern stille halten, bis die Axt auch an ihn kommt. Und wenn ich auch den Rest meines Lebens gern darum gäbe, die holden Kleinen, die Kinder meines Ernst, nur Einmal auf den Arm nehmen und herzen zu können, – ich schleppte mich nicht hin. Sie müßten mich am Ende mitten auf der See über Bord werfen, und da weiß ich gewiß, daß meine arme Seele keine Ruhe hätte, sondern spuken ginge über die wilden Wellen. Wie schön steht dagegen hier der Wald über den Gräbern meines Grafen und seiner Gemahlin, die Vögel singen in den Zweigen rings umher, das Wild äst friedlich um die beiden Steine mit den Inschriften, und wenn die alte Flor auch erst die Augen schließt und den Platz nicht mehr sauber halten kann, wächst Moos und Gestrüpp darüber hin, und hier, wo sie im Verborgenen glücklich waren, ruhen sie im Verborgenen aus von ihrem Glück. Da will ich auch einmal meine Ruhe finden.


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