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Ein Honigtropfen ...! Blutrache. Das Schicksal eines Beduinenstammes. Die lecke Girbe. Prost G'suffa! Der Weg zum Herzen eines Mudirs. Ich falle in die Meerlinsen und komme in schlechten Geruch.
Nach dem Abendessen war wieder viel Besuch im Zelt, und es wurde viel geredet und in den Ecken auch viel getuschelt, und immer wieder stand irgendeiner der Männer auf, nahm eine Handvoll grüne Kaffeebohnen aus dem Ledersack, röstete sie mit liebevoller Achtsamkeit in einer Tonscherbe über einer milden Glut von trockenem Kamelmist, stieß sie in einem Messingmörser zu feinem Pulver und braute dann in kupfernem Kännchen mit viel Zucker und wenig Wasser den köstlichen Trank des Propheten. Zwei winzige Schlückchen enthielt das Täßchen, gerade genug, um den Mund zum Weiterreden anzufeuchten und Appetit auf ein weiteres Täßchen zu erregen.
Ich hatte erst mit dem alten Marek ein langes Gespräch über den Islam, und mir schiens, als ob er und die Zuhörenden meine Kenntnisse seiner Lehren mit Erstaunen und Freude begrüßten. Als ich aber dabei eine Frage über ihre Sitte der Blutrache stellte, löste ich eine seltsame Wirkung aus. Mit einem Schlag schwiegen alle Gespräche, Abd er Rat, mein Gastgeber, zuckte förmlich zusammen, senkte den Kopf und raufte sich nervös den Bocksbart, und die Augen des alten Marek flackerten auf und huschten wie prüfend über mein Gesicht, als er fragte: »Was weißt du von unserer Blutrache – –?«
» Eurer?« fragte ich verdutzt, und dann fiel mir ein, daß ich versehentlich die arabische Endung »-kom« (euer, das Eurige) an das Wort »Blutrache«, statt »Sitte« gehangen und so der Frage eine andere Bedeutung gegeben hatte. Ich klärte den Irrtum auf und stellte meine Frage noch einmal, und da erzählte mir der Alte als Schulbeispiel eine lange Geschichte, eine voller Blut und Grauen – »Es war im Buche verzeichnet«, wie sie sagen, daß ich selbst in ihren Verlauf noch mit hineingezogen wurde.
Ihr Stamm hatte bis vor etwa zwanzig Jahren seine Weidegründe in der Nähe der tripolitanischen Grenze gehabt, in denen er wie alle anderen Stämme der Welad Ali nomadisierend herumgezogen war. Eines Tages nun war ein Mann vom tripolitanischen Stamme der Welad Sliman in ihren Duar gekommen und hatte Honig feilgeboten. Achmed ibn Sarduk, einer von Mareks Brüdern, wollte kaufen, und während sie noch im Zelte verhandelten, lief sein Kätzchen hinaus und leckte die Honigtropfen, die von der Kamellast herabrannen auf. Da fuhr der Hund des Honighändlers herzu und biß das Kätzchen tot. Achmed ibn Sarduk sah es, riß im Jähzorn die Flinte aus der Ecke und schoß den Hund nieder, und im selben Augenblick brach er, mit dem Messer des Welad Sliman im Herzen, zusammen. – Der Mörder flüchtete über die Gebietsgrenze und traf in einem Wadi auf zwei jagende Stammesgenossen, aber die Welad Ali waren ihm nachgesetzt, und als die beiden die Auslieferung des Mörders verweigerten, wurden sie alle drei von den Verfolgern umgebracht. Und nun spann die Blutrache ihr mörderisches Gewebe zwischen den beiden Völkern ...
Wenn von diesem Tage ab ein Mann des einen Stammes in die Hände von Angehörigen des anderen fiel, war er verloren. Es spielte dabei keine Rolle, ob das Opfer an jenem ersten Totschlage beteiligt gewesen oder auch nur ein Familienangehöriger der Betreffenden war, genug, wenn er zum Stamme gehörte. In der Nähe der Gebietsgrenze blieben die Kräuter, die nach dem Frühlingsregen auf jenen küstennahen Steppen aufschießen, für viele Jahre ungeweidet, keiner der verfeindeten Stämme wagte sich mit seinen Herden in die Nähe des anderen. Nur kleine, schwerbewaffnete und mit den schnellsten Hedjinen und Pferden berittene Trupps schlichen und lauerten in dem verödeten Lande herum und spähten mit mordgierigen Blicken nach einem neuen Opfer jenes alten blutigen Gesetzes, das in den Wüsten heute noch so gilt wie vor vielen tausend Jahren: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut!
»Auch mein jüngerer Bruder, Bu Said, der Vater der Omm el Cherik, starb bei el Zara. Allah hat seine tapfere Seele zu sich ins siebente Paradies genommen, und sein Körper, der so schnell und stark war wie die Stute unseres Herrn, des Propheten, fiel weich auf die Leiber von vieren unserer Feinde, die zu seinen Füßen lagen. Er war der stärkste und berühmteste Krieger der Welad Ali, keiner kam ihm gleich beim Reiten und Springen und beim Schleudern der Hebl (Keule) vom Nil bis nach Marrakesch (Marokko)! –
Ich selbst war schon damals so unnütz wie ein lahmer Hund; eines Tages war ich ausgeritten, um nach meinen Kamelen zu sehen, gar nicht weit fort, und da war mir ein stinkender Fellah begegnet, ein Mann, den wir unter uns duldeten, weil er uns Waren verkaufte, trotzdem der Finger Gottes seine Augen nach der Seite verdreht hatte, so daß sie schielten. Er hatte mich angesehen, aber mein Gehirn war verfinstert durch den Tod meines Bruders, so daß ich nicht auf dies schlechte Zeichen achtete und weiter ritt und darum meine Strafe erleiden mußte. – Sie lagen hinter Steinen, drei von ihnen, und schossen auf mich, ehe ich sie sah. Ein Schuß zerschmetterte meine Hüfte, dann liefen sie herzu und zerhackten meinen Körper mit ihren Saifat (Schwertern), und ich konnte nur meine Tabanga (Pistole) noch auf sie abschießen, ehe es dunkel wurde vor meinen Augen. – Sie ließen mich für tot liegen und nahmen alles mit, meine Waffen, mein Pferd und meine Kamele. Aber Gott war mir gnädig, mein Schwager Abd er Rat fand mich und brachte mich heim, ehe ich verblutet und verdurstet war, und ich lag lange krank und blieb ein Krüppel, dem heute sein Weib in den Bart speien und sein Esel Trotz bieten kann.
So ritt mein jüngster und letzter Bruder, Abd el Kalam, fort, um Bu Said den Helden zu rächen. Er war der Liebling und der Trost meiner Mutter, sein Gesicht war schön wie die Morgenröte. – Nur der Allwissende kennt den Ort, wo seine Gebeine zu Staub zerfallen sind – er kam nie wieder, und unsere Mutter weinte, Tage und Nächte, bis ihr Herz still stand und ihre Seele sich aufgemacht hatte, den verlorenen zu suchen. Der alte Ma'ad mit dem weißen Barte, der Vater Abd er Rats, und Buk Bekr und Sidi Nam wurden erschlagen, einer nach dem anderen von unseren Vätern und Brüdern wurde erschlagen, und alle unsere Söhne zogen fort und kamen nicht zurück. Die Welad Sliman sind viele, und sie helfen einander; die Stämme der Welad Ali sind uneinig, und wir hatten keine Hilfe. Vielemale hintereinander wurde in jenen Zeiten der Mond rund und wieder schmal und wieder rund, und keine Stunde schwieg die Totenklage der Weiber in den Zelten unseres Stammes. Wir konnten keine Botschaft zu den Welad Sliman schicken, eine Mad (Verhandlung) zu halten, um Sühnegeld mit unseren Herden zu bezahlen, denn die Herden waren schon alle gestohlen von unseren Feinden und auch von unseren Freunden, weil wir keine Männer mehr hatten, die sie bewachten. – So mußten wir, um nicht alle zu verderben, das Land unserer Väter verlassen und uns unter die Hand Effendinas (der Vizekönig von Ägypten) flüchten. Sie lastet schwer auf uns: Wir als freigeborene Beduinen dürfen unsere Zelte nicht mehr aufstellen, wo wir wollen, und müssen Steuern zahlen und Soldaten sein, wie niedere Fellachim! Aber jene Hand schützt uns wenigstens vor der Vernichtung – Gott hat es so gewollt, er allein weiß warum, sein Name sei gelobt!« Der Alte schwieg und deckte die Hand über die Augen in bitterem Leid.
»Sein Name sei gelobt!« wiederholten murmelnd die anderen, dann saßen alle schweigend im Kreise, die dunklen Augen mit verlorenem Blick auf die verlöschende Glut des Feuers gerichtet.
»Da ihr aber keinen Mad gemacht habt, so ist Euer Barufa (Kampf, Streit) mit den Welad Sliman bis heute noch nicht zu Ende?« fragte ich.
»La! Allahu a lam! (Nein, bei Gott nicht.) Er ist nicht zu Ende!« fuhr da mein Gastgeber hoch, und zum erstenmale sah ich seine sonst immer halbgeschlossenen Augen voll auf mich gerichtet, und ein kaltes Gefühl überkam mich vor der hemmungslosen wilden Leidenschaftlichkeit dieses Blickes. »Und er soll nicht zu Ende sein, ehe nicht die Knochen unseres letzten Mannes draußen im Bustan el Allah (Allahs Garten = die Wüste) oder im Karakol des Mudirato (Provinzialgefängnis) vermodert sind! Mag dieser Sohn eines Fellachen mich einsperren und mein letztes Schaf nehmen! Gott verfluche seinen Vater!«
»Warum will dich der Mudir einsperren? Sollst du eine Strafe bezahlen?« fuhr es mir heraus, und im selben Augenblick kamen mir auch schon Bedenken über meine Frage. Aber auch Abd er Rat schien mehr gesagt zu haben, als er eigentlich wollte, er strich sich den Bart und sah eine Weile finster vor sich hin. Dann aber ging ein Zucken über sein Gesicht, als ob ihm ein Gedanke gekommen wäre, und ein schneller, unangenehm lauernder Seitenblick traf mich, ehe er mit gesenkten Augen und manchmal stockenden, vorsichtig abwägenden Worten eine seltsame Sache berichtete.
Vor einiger Zeit war ein Enkel oder Neffe von ihm in demselben Wadi, das ich heute früh besucht hatte, von ein paar verwegenen Welad Sliman, die sich bis hierher gewagt hatten, getötet worden, und Abd er Rat war hingegangen und hatte auf dem Mudirat gemeldet, daß sein Verwandter durch einen Sturz vom Pferde tödlich verunglückt wäre. – Nachher hatte aber die Behörde auf irgendeine Weise von dem wahren Sachverhalt Wind bekommen, und der Sünder sollte sich am nächsten Jom es sabt (Sonnabend) vor dem Mudir einfinden und wegen der Falschmeldung verdonnert werden. Er fürchtete, daß die Geldstrafe so hoch sein würde, daß sie weder von ihm allein, noch von seinem ganzen verarmten Stamme bezahlt werden könnte und er deshalb ins Gefängnis gesperrt werden würde – ein Schicksal, das für einen Beduinen allerdings fast gleichbedeutend mit Todesstrafe war.
»Wieviel denkst du, daß du bezahlen mußt, oh Schech?« fragte ich, und prompt antwortete er: »vielleicht zwanzig, vielleicht auch fünfzig Pfund, – Rabun araf (Gott weiß es), denn der Mudir ist wie eine Girbe, die Maghreb gesehen hat!« (Ein Wassersack aus Ziegenhaut, der im Westen, also schon auf weiten Reisen war, und undicht geworden ist.)
Ich wußte, daß er meine Hilfe beim Füllen der lecken Girbe erwartete und trennte mich in Gedanken, zugegeben mit einer innerlichen Zähre der Wehmut, bereits vom größten Teile meines kleinen Bankguthabens. Aber vorher gedachte ich die Girbe immerhin erst einmal persönlich zu befühlen, denn die Nacht stand vor der Türe, wieder eine Nacht, in der ich entweder die Kälte oder die Flöhe über mich ergehen lassen mußte, und das sollte die letzte dieser Art sein, ich mußte also ohnehin in die Stadt, um mir Decken und eine Zeltplane zu kaufen.
»Nimm deine Zuflucht zum Allerbarmer, o Schech, er kann von seinem Erbarmen auch dem Herzen deines Mudir abgeben! – Sage, willst du mir morgen deinen Falben leihen! Ich will noch vor dem Subh (Morgengebet) nach Sanuris reiten, um mir etwas zu kaufen.«
»Alan o salan! (Gern) Das Pferd wird bereit sein, wann du es wünschst, o Herr.«
Ich war diesen Abend so schwer müde, daß ich mich unter der Erklärung, ich müßte frische Luft haben, draußen vorm Zelte hinwarf und sofort einschlief, wurde allerdings gleich wieder wach, weil irgendetwas an mir herumzerrte, und konstatierte in stiller Verzweiflung, daß mir Musa einen kleinen Teppich überdeckte, der natürlich wiederum hoffnungslos verflöht war. Der Junge war kaum wieder im Zelt, da war ich unter dem Teppich vor, schob einen alten Korb als Strohmann darunter und bettete mein müdes Gebein wieder in eine andere Sandkuhle. Erst die Eistemperatur des nahenden Morgens weckte mich aus meinem Totenschlaf, ich nahm ein Bad im See, spülte einen von den greulichen Brotfladen, an die ich mich ebensowenig gewöhnen konnte wie an die Flöhe, mit einem Täßchen Mokka hinunter und stieg mit einem »Allah jisalimak!« (Gott schütze dich) an meinen Zeltwirt zu Pferde.
Der Falbe Sar (Vogel) sprang fast aus dem Stande im Galopp an, und in herrlichem ruhigen Wiegen flog ich durch die klare kalte Morgenluft dahin. Die einsame Tamariske, die genau zwischen den kleinen steifen Ohren des Tieres in der Glut des Morgenrots stand, wurde größer und deutlicher, als würde sie auf mich zugetragen, der grüne Saum des Kulturlandes glitt heran, Palmen, Hütten und Brunnen, Bauern, Kühe und Kamele blieben hinter dem beschwingten Spiel der zierlichen Hufe zurück, die großen feuchten Augen des Falben glänzten in der Lust der Bewegung, und so mühelos war der windschnelle Lauf des wundervollen Tieres, daß es einen in der Ferne weilenden Kameraden mit lautem klingenden Wiehern begrüßte.
Am Stamme eines Feigenbaumes, der den kleinen weißen Kuppelbau eines Heiligengrabes beschattete, stand ein Tongefäß mit Wasser, eine fromme Stiftung für durstige Wanderer; daneben hockte ein alter Mann, der Datteln, kleine Kuchen und andere Süßigkeiten feilbot. Ich stieg ab, nahm einen Trunk und kaufte Datteln für Sar und mich. Er schnob zufrieden, während ich rastend eine Zigarette rauchte und sein graugelbes Samtfell graulte. Im goldgesprenkelten Schatten des Baumes gurrte ein Turteltauber in sehnsuchtsvoller Inbrunst, das langgezogene knarrende Singen der Sakkijen schwang über die sonnenüberglänzte Flur, blau blitzte der Himmel zwischen den windumspielten Blättern des Feigenbaums herab, und in überströmendem Empfinden der Schönheit dieser Welt wiederholte ich die Anrufung des alten Mannes, der auf seinem Gebetsteppich vorm Grabmal niedergekniet war: »Allah hu akbar!«
Die Gläubigen des betriebssamen Städtchens Sanuris sahen den Chowaga, der vor einigen Tagen mit einem Sack auf dem Rücken armselig zu Fuß durch ihren Ort gekommen war, heute auf stolzem Rosse durch die Gassen traben und draußen in gestrecktem Galopp neben dem Eisenbahndamme hin auf Medinet el Faijoume zujagen.
Dort machte ich als erstes vor einem Barbierladen halt, und als der vor Fett und Dreck glänzende Grieche schon das Messer schwang, fuhr ich in einem plötzlichen Gedanken hoch, wischte mir den Seifenschaum von Kinn und Oberlippe und bedeutete ihm, das, was darauf wuchs, als Saatbeet für einen Männerbart zu verschonen.
Dann ritt ich auf das Mudirat. Ein Kawaß (Ordonnanz) empfing die Zügel Sars und meinen Auslandspaß mit dem gemessenen Befehl, ihn sofort zu Effendi zu tragen.
Ich saß kaum eine Minute auf dem Diwan im Vorzimmer, als die Tür aufging und ein flinker kleiner Herr, mit Tarbusch, goldner Brille und europäischem Anzug angetan, herein- und auf mich zutrat, die Hacken zusammenschlug, rechtwinklig vornüberklappte und rasselnd die Worte von sich gab: »Jussuf Ali Bey – Härr Heye? Es freut mich sähr, Sie kennen zu lernen, bitte treten Sie ein!«
Ich war baff.
»Darf ich bitten!«
Da hatte ich mich soweit erholt, daß ich wieder gehen konnte, und drin kam dann auch mir meine Muttersprache zurück –
»Ja, ich habe in Deutschland studiert, in München, drei Semester«, sagte er auf meine Frage hin, »und ich bin so froh, wieder einmal Deutsch sprechen zu können, es kommt so selten hier auf meinem weggelegenen Posten. – Sie haben doch ein wenig Zeit, und Sie trinken einen Kaffee mit, nicht wahr?«
Er klatschte in die Hände, der weißgekleidete Nubier verbeugte sich feierlich und kam schon nach fünf Minuten mit einem göttlichen Mokka an, aber mittlerweile hatte mir sein hoher Herr bereits so viel von Salamandern, Bierjungen, vor- und nachgekommenen Halben und Ganzen, Schmissen und Verschissen erzählt, daß ich ihm nur das Kompliment machen konnte, er spräche entschieden besser Deutsch als ich, denn alle diese Worte hätte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört. Nach und nach kam auch ich auf den Zweck meines Besuches, aber ich mußte ihn dabei sozusagen an beiden Beinen festhalten, sonst sprang er sofort wieder vom Kurun-See nach München ins Spatenbräu.
»Sie leben unter den Welad Ali?! – O, diese Söhne des Teufels!« rief er und war vor Wut gleich ins Arabische zurückgefallen. »Mir sind achtzigtausend Untertanen anvertraut, aber sie alle zusammen machen mein Herz nicht so schwarz, wie diese vierzig oder fünfzig Hyänen der Wüste da draußen! Allah lasse ihnen Steine wachsen im Bauch!«
Ich hielt es für ratsam, das Gespräch erst noch einmal auf die Münchner Bierverhältnisse zurückzuführen, aber noch mehr als diese schienen doch dem Bey seine Hyänen der Wüste auf der Seele zu liegen, und so unterbrach ich ihn nicht mehr bei der Porträtierung meiner Gastgeber. Er warf ihnen Haschisch- und Waffenschmuggel, Steuerhinterziehung, Wild- und Vieh- und sonstige Diebereien vor, und zuletzt kam er auch auf den Fall Abd er Rat zu sprechen. Ich sagte ihm, daß ich deswegen zu ihm gekommen wäre, und daß ich aber noch immer nicht begriffe, warum der Schech eigentlich jene unwahren Angaben gemacht hatte.
Der Bey lächelte überlegen. »Nun, ich weiß es! Er hat mich angelogen, damit ich nicht durch meine Askar (Soldaten) den Mörder gefangen nehme und so ihrer eignen Rache entziehen konnte! Ihre barbarischen Sitten und der Blutdurst ihrer unbändigen Herzen erkennen keine gesetzmäßige Ordnung an – es sind Hyänen, wie ich Ihnen sagte, und sonst nichts!«
»Sie gehörten als Student einer schlagenden Verbindung an, Bey, nicht wahr? – Gut. – Gesetzt nun den Fall, ein anderer Student hätte Sie damals beleidigt – wären Sie dann aufs Amtsgericht gegangen und hätten ihn verklagt?«
»Aber nein, das konnte ich doch nicht, ich mußte ihn natürlich fordern!«
»Ganz recht, die Sitten der Studenten erlaubten das nicht. – Nun Bey, der Vergleich mit dem Falle dieser Beduinen drängt sich auf, Allah hat ihnen als Wohnplatz die harte erbarmungslose Wüste gegeben, und die hat auch ihre Herzen hart, erbarmungslos und unbändig gemacht, sie können nichts dafür. Im Vertrauen auf Ihr Gerechtigkeitsgefühl bitte ich Sie deshalb in diesem Falle einmal Milde walten zu lassen und den Mann nicht zu hart zu bestrafen. Diese Menschen sind mir bis jetzt nur gut und gastfrei entgegengekommen und ich betrachte es als Pflicht der Dankbarkeit, für sie zu bitten. Sie sagten mir vorhin, daß Sie die Deutschen schätzen und lieben, schlagen Sie also die Bitte eines Deutschen für einen Ihrer Untertanen nicht ab!«
Er trommelte auf die Messingplatte des Tisches, dann lachte er und streckte mir die Hand hin: »Nun, Ihnen zuliebe, nicht dem alten Halunken! Ich werde ihm also nicht die Ohren abreißen. Aber glauben Sie mir: Dank werden Sie von diesen wilden Tieren nicht ernten! Nun aber habe ich eine Bitte: Trinken Sie mit mir eine Flasche Bier oder zwei, ja?«
Als ich nach einer guten Stunde ging, war ich praktisch und theoretisch im kommentmäßigen Suff ausgebildet, und der Mudir in so menschenfreundlicher Stimmung, daß er zusagte, mir übermorgen durch Abd er Rat eine deutsch geschriebene Benachrichtigung über die Höhe der Geldstrafe zukommen zu lassen.
Ich spürte, daß es in meinem Kopfe von des Mudir Kulmbacher Export ein bißchen neblig war, so aß ich mich in einem griechischen Speisehaus erst einmal an Tomatenreis, in Öl gebratenen Gurken, Hühnergoulasch und gutem weißen Brote voll. Dann ging ich in den Bazar und kaufte ein. Zwei Decken, ein Stück Segeltuch, ein kleines Kopfkissen, Zigaretten und andere Kleinigkeiten, und ich wollte aus dem schummrigen Schatten des überdachten Gäßchens schon wieder heraus auf die grellbesonnte Straße treten, da sah ich in einem Gewölbe einen Beduinen stehen, der sich einen Haram (mantelartiges Übergewand) kaufte, und einem plötzlichen Einfall folgend, erstand ich zwei kleinere für meinen Gastgeber und Marek, und außerdem einen größeren samt Kopf- und Gesichtstuch und Unterzeug für mich selbst. Das ganze gab einen ziemlichen Packen; bis zum Mudirat trug ihn mir ein kleiner Junge nach, aber mir kamen Bedenken, wie ich ihn beim Reiten verstauen sollte.
Es war schon spät, als ich aus Medinet herauskam und Sars kleine Ohren versteiften sich ganz erstaunt, als ich ihm trotz seines langen Galopps immer noch anfeuernd zuschnalzte. Dann aber zeigte er mir den Unterschied, der zwischen einem Bronco der Prärie und einem arabischen Vollblutpferde immerhin noch besteht –!
Bis kurz vor Sanuris ging es auch, trotz immer noch nicht ganz aufgeklarten Biernebels und des verwünschten Kleiderballens leidlich gut, da aber kam in der Zeitdauer eines Blitzschlages eine blamable Katastrophe. Im Schatten eines Lehbachbaumes sprang plötzlich dröhnend ein Automotor an, und ein weißes Blendlicht flammte auf, der arme unzivilisierte Sar machte einen entsetzten Sprung auf- und seitwärts, und in hohem Bogen flogen ein Gewandballen und ein daranhängender Sanatoriumsdirektor durch die Luft und mit einem kräftigen Matsch in die Meerlinsenbrühe des Jussuff-Kanals hinein –
»Did you hurt yourself? – I'm very sorry indeed!« (Haben Sie sich verletzt, mir tut es wirklich sehr leid), war das erste, was ich vernahm, als mein schlammbedecktes Haupt wieder auftauchte.
Ich spuckte und sprudelte erst die teuflische Sauce und dann, leider, die nicht sehr höfliche Antwort aus: »O hang yourself!« (Hängen Sie sich auf) und schoß mit einem Hechtsprung gleich noch einmal in die Meerlinsen hinunter, um meine Einkäufe herauszufischen.
Aus meinem stolzen weißen Haram war ein schmutziggraues Büßergewand geworden, und auch die Schönheit der Gastgeschenke hatte merkbar gelitten. Nach langem Fluchen und kurzem Nachdenken rang ich den Mantel aus und zog ihn zum trocknen einfach an, die anderen beiden hing ich rechts und links an den Sattelknopf, sprang mit dem übrigen Bündel auf den bekümmert danebenstehenden Sar und schoß, ohne in meiner inneren Wut die Engländer noch eines Wortes oder Blickes zu würdigen, in das Abendrot hinein.
Ich war auf dem ganzen Heimwege damit beschäftigt, mir immer noch ein paar Meerlinsen aus Schopf und Bart und Hosentaschen herauszulesen. Mein Hut aber lag im Jussuffkanal, und dort modert er heute noch.
Im Zelte Abd er Rats herrschte Freude über die beiden Harams, trotzdem der eine einen Kragen und der andere einen Saum von Meerlinsen hatte. Und im ganzen Duar brüllendes Gelächter, das bis in die späte Nacht hinein immer wieder aufflackerte, als ich erzählt hatte, wie meine Gastgeschenke zu diesen seltsamen Verzierungen gekommen waren.
Das eine Gute aber hatte die Episode, daß sie mir einen Vorwand gab, mein eigenes Hema (Zelt) zwanzig Schritt vom letzten Nachbar und damit außer Sprungweite auch des behendesten Flohes aufzuschlagen – »Denn siehe, o Schech«, sagte ich zu ihm, »meine Kleider stinken von dem schlechten Wasser des Bahr Jussuff wie sieben verfaulte Schakale, und der Geruch würde nachts deine und deiner Söhne Nasen beleidigen und euch schlimme Träume machen!« Vom Mudir aber sagte ich ihm kein Wort.