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5. Kapitel.

Die erste Kostprobe orientalischer Gastfreundschaft. Derwischtanz. Der verhexte Rhythmus. »Abu hol –!« Ich backe Kuchen für ein Linsengericht. Wandervogel, Krüppel, Vagabonden und ein Tiroler.

 

An einem schmalbrüstigen Türchen klopfte er an. Dem öffnenden kleinen Mädchen ließ er beim Vorübergehen, ohne sie auch nur einmal anzusehen, einige Worte zufallen. Ein ganz verstohlener Blick der dunklen Augen in dem weichen, braunen Gesichtchen streifte mich, dann verneigte sie sich, berührte mit der Hand Augen, Mund und Brust und sagte leise »Saida Effendi«.

Er führte mich eine Steintreppe hinauf zum Dach. Es war mit sauberen Binsenmatten belegt, gegen Sonne und Nachttau waren Teppiche darüber gespannt. Etwas schien zu fehlen, er sah sich um und lief fort nach einem Stuhl für mich, aber ich tat, als wenn ich mein Leben lang nicht anders als mit untergeschlagenen Beinen auf Matten gesessen hätte und hockte mich nieder. Grimassen über die Knieschmerzen zu schneiden, die ich schon nach fünf Minuten verspürte, erlaubte ich mir nur innerlich.

Die nächste halbe Stunde unterhielten wir uns damit, Zigaretten zu rauchen, die er mit erstaunlicher Fixigkeit aus einem langgeschnittenen goldgelben Tabak drehte, dicken süßen Mokka zu trinken und honigfarbene frische Datteln von köstlichem Wohlgeschmack zu essen. Er erklärte mir, daß die von Verwandten aus Tunis mitgebracht worden wären, denn er und alle Bewohner dieses Dorfes wären beduinischer Abkunft, ihre Vorfahren vor etwa hundert Jahren von Algier hier eingewandert, und nur ihr Stamm hätte übrigens von der Regierung das Recht bekommen, Führerdienste auf dem Pyramidenfelde von Gizeh zu leisten. Er zeigte mir auch einen Brief seines Freundes, der denn auch ganz schlicht und deutsch Heinze hieß.

Da kam sein Vater, ein langbeiniger, graubärtiger Herr mit sehr munteren Augen, die meistens recht schalkhaft und verschlagen aus dem schwarzbraunen Gesicht blinzelten. Er fragte wohl ein dutzendmal nach meinem Befinden, und ich dankte ebenso viele Male würdevoll und erkundigte mich nach seinem eigenen Gesundheitszustande, nach seinen Geschäften, und – um ein Haar hätte ich fast auch nach dem Ergehen seiner Frau gefragt und damit einen schweren Verstoß gegen die Anschauungen des Orients begangen.

»Wollen Sie mir die große Ehre antun, an meinem armen Mahle teilzunehmen, Sir?« fragte er dann.

Ich verwies darauf, daß es schon spät wäre und ich gern noch den Sikr sehen möchte, bevor ich mich auf den dreistündigen Heimweg machte.

»Drei Stunden? Nein, Sie irren, Sir, denn ein Esel braucht nur zwei und ein Wagen nur eine Stunde bis zur Stadt.«

Darauf entwarf ich ihm in kurzen, aber deutlichen Strichen eine Skizze meiner Finanzlage und daß die drei Stunden zu Fuß gemeint wären. Das letzte aber erregte ein förmliches Entsetzen bei dem alten Beduinen.

»Zu Fuß!? Und Sie sind schon zu Fuß von Kairo gekommen!? Ja Salam, ja Rabuna!« (O Friede, o Schöpfer.)

Er war, wie er mir erklärte, in seinem Leben noch nicht eine halbe Meile weit zu Fuß gegangen und die Beine hätte Allah dem Menschen doch nur gegeben, um sie über ein Reittier zu hängen! ...

»Ich bitte Sie, essen Sie bei uns, gehen Sie darauf mit meinem Sohne zu dem Sikr und ehren Sie dann mein Haus, indem Sie zur Nacht hier bleiben! Morgen früh müßte ich Ihnen dann als meinen Gast eigentlich ein Reittier geben, aber Gott hat mich gestraft, daß meine beiden Kamele wunde Hufe haben. So müssen Sie die Trambahn benützen und mir erlauben, daß ich Ihnen jenen Frank als Fahrgeld zurückgebe. Machen Sie mir die Freude zu bleiben, denn ›mit einem Gaste segnet Allah ein Haus‹, wie unser Sprichwort sagt.«

Ich schüttelte dem Alten zustimmend die Hand, und er verneigte sich, die Rechte auf der Brust, in nochmaligem feierlichen Willkommen. Dann klatschte er in die Hände, und in einigen Augenblicken stand eine Schüssel mit Brot, eine mit Reis und Rosinen und eine andere mit gebratenem Hammelfleisch auf der Matte. Ich erhielt Messer und Gabel, die beiden aßen mit den Händen, formten Kugeln aus dem Reis und schöpften Fleisch und Sauce mit einem zusammengebogenen Stück Brotfladen aus der Schüssel, alles in einer sehr anständigen und sauberen Weise. Zum Schluß gab es Weintrauben und Datteln, dann kamen kleine Messingschalen mit Wasser auf die Matte zum Mund- und Händewaschen, und nachher wieder Zigaretten und Mokka.

Dabei hub der Alte ein großes Fragen über meine Familien- und Besitzverhältnisse bis ins siebente Glied und die Zahl meiner Röcke und Stiefeln an, wollte wissen, wer mehr Frauen hätte, der Kaiser von Rußland oder der von Deutschland, schimpfte auf die Engländer wegen Ägypten und verfluchte die Italiener wegen Tripolis und sprach schließlich von den guten alten und den schlechten jetzigen Zeiten, so wie es alle bejahrten Leute tun auf der ganzen Welt.

Währenddem dröhnte draußen immerfort, monoton und gleichförmig wie das dumpfe Brausen eines Flusses in tiefer Schlucht der Rhythmus des Sikr durch die Nacht, eine unaufhörliche Wiederholung immer derselben Worte, sie klangen aus der Ferne wie »alalaillah ...«

Sein Sohn hatte, solange der Alte sprach, kaum ein Wort geredet und nur mehrmals stumm auf die Schwarzwälder Uhr gesehen, die ihm sein Freund Heinze geschenkt hatte. Als jetzt der Kuckuck die zehnte Stunde ausschrie, besann sich der Alte wieder auf den Sikr, stand plötzlich auf, wünschte mir auf englisch »Gute Nacht« und setzte murmelnd einige arabische Worte hinzu, wohl einen Segenswunsch. Dann schlurfte er müde hinaus, kam aber mit einem Kästchen unter dem Arme sogleich noch einmal zurück.

»Ich habe einen Erlaubnisschein, nach Altertümern zu graben und damit zu handeln. Nehmen Sie sich etwas hieraus als Andenken mit, ich habe das alles selbst aus dem Sande gegraben draußen auf dem Totenfeld von Sakkarah.«

In dem Kasten lagen kleine Mumienstatuetten aus Holz und Ton, Arm- und Fußringe, Bruchstücke von Götterfiguren und Halsketten und einige Skarabäen. Mir gefiel ein ganz kleiner aus blau emailliertem Ton besonders, der Alte sah mich an, lachte und sagte: »Sie haben nicht das Schlechteste gewählt, geben Sie ihn aber nicht einst für einen Strohhalm hin!« Damit schob er mir das Käferlein in die Tasche, wünschte mir noch dreimal eine glückliche Nacht und schlurfte endgültig hinaus.

Wir brachen sofort auf und gingen nach dem anderen Ende des Dorfes, dem immer lauter und deutlicher hallenden »La illaha ilallah – – –« entgegen. Hier standen um ein großes anscheinend unbewohntes Haus gedrängt, halbwüchsige Burschen und größere Kinder, Kopf an Kopf in der engen Gasse. Auf einen halblauten Zuruf des vor mir gehenden Ibrahim Soliman machten sie willig und schweigend einen Durchgang für uns frei, aber durch die in der Türe stehenden erwachsenen Männer zu kommen war für mich unmöglich; sie standen wie angewachsen, die Fäuste geballt, die Köpfe mit starren gebannten Augen der Mitte des großen Raumes zugereckt, und durch ihre Körper ging es wie ein leichtes, dem dröhnenden Rhythmus folgendes Wiegen und Schwingen. Ein schwarzbärtiger Mann, den ich um Durchlaß bittend immer dringlicher am Arm berührte, warf mit kurzem heftigen Ruck den Kopf nach mir herum, ein dunkelaufglühender Blick traf mich, und mit einer verächtlichen Bewegung des Ellenbogens schob er mich zurück. Da begriff ich, daß hier für mich kein Platz war und daß sich aus dieser Atmosphäre sehr leicht ein Blitzstrahl auf einen Andersgläubigen entladen konnte.

So drängte ich mich sachte wieder hinaus, faßte an einem offenen Fenster, inmitten von atemlos hineinstarrenden Jungen, Posto, und war eine Minute später von den seltsam faszinierenden Schauspiel in denselben unerklärlichen Bann, dieselbe sich stetig steigernde, mitreißende Erregung geschlagen.

Unter der Decke brannte ein großer hölzerner Kronleuchter und darunter im rötlich dunstigen Schein der Kerzen wand sich etwas wie der in ein Oval gekrümmte Leib einer Riesenschlange in rasendem Gewoge auf und nieder, ein Leib, der aus maschinenhaft vor- und rückwärts schnellenden Menschenkörpern gebildet war. »La illaha ilallah – la illaha ilallah!« rollte es in endloser Wiederholung aus weit geöffneten keuchenden Mündern, festgehalten von dem unermüdlichen, unbeirrbar eisernen Takt, mit dem zwei aufrecht in der Mitte stehende Derwische in die Hände klatschten. Losgelöste grüne Turbantücher und feuchtschwarze Haarmähnen flatterten wie windgeschüttelte Ranken über der auf- und abtauchenden Kette schweißnasser, im Kastanienglanze spiegelnder Oberkörper; wie springende weiße Marmorkugeln schimmerten verdrehte Augäpfel beim Emporwerfen der ekstatisch verzerrten Gesichter auf.

»La illaha ilallah – La illaha ilallah« (Es ist kein Gott außer dem einen) – In unablässiger Wiederholung dröhnte der Fundamental-Glaubenssatz des Islam durch den Raum, hämmerte der Takt der klatschenden Hände, flogen in rasender Bewegung die Körper vor- und rückwärts, auf und nieder. Murmelnd sang der festgekeilte Haufe der Zuschauer die heilige Formel mit, auf jedem Gesicht war die Anstrengung zu lesen, die es kostete, den Körper zurückzuhalten, der mit hineinspringen wollte in den zwingenden Takt dieses besessenen Schleuderns und Schwingens, mit hinabgleiten in das kreisende Drehen verströmender Ekstase. »Alla hu akbar!« (Gott ist groß) heulte einer auf, fiel vornüber aufs Gesicht und wälzte sich zuckend und schäumend auf dem Boden. Zwei, drei paar Hände aus der Menge der Zuschauer fuhren zu und rissen ihn aus dem Kreise, begierig, seinen Platz einnehmen und mitrasen zu können in gotterfüllter Verzückung.

Um mich herum wogte in leisem Gleiten die dichtgedrängte Menge junger Leiber hin und her, heißatmende Münder flüsterten das geistumklammernde »La illaha ilallah! –!« im Gleichklang mit. Und auf einmal wurde ich mir schreckerfüllt bewußt, daß sich auch mein Körper schon in jenem unwiderstehlichen Rhythmus mitwiegte, mein Mund bereits das schwingende Wortgefüge mitsprach, und mit aller zusammengerissenen Kraft richtete ich mich steil und steif auf, preßte Lippen und Fäuste zusammen, drängte mich rückwärts durch die Menge und ging langsam die mondweiße Dorfgasse hinunter.

Aber in meinem Blute schwang der Zauberreigen weiter, und mein Schritt wollte sich trotz allem Widerstande immer und immer wieder der Monotonie jenes Gesanges anpassen, der da hinten wie eine rhythmisch wehende Flamme aus der Glut religiösen Wahnsinns emporstieg.

Ich ging und ging, in Qual bemüht, mich aus der Faszination zu lösen, weicher, feiner, saugender Sand, der meine Füße hemmte, kam mir zu Hilfe, und kühler Wind umfächelte mich. In seinem Wehen zerriß endlich der Takt jenes satanischen Liedes, und schließlich verklang auch der letzte Ton in tiefer feierlicher Stille.

Ein schwarzer Schatten fiel über meinen Weg, ich hob zum erstenmal wieder den Kopf und sah in das steinerne Gesicht der Sphinx, das hoch über mir im weißen Mondlicht schimmerte. Ganz unbewußt hatte ich die Richtung auf sie zu genommen.

Ich setzte mich auf denselben Fleck zu ihren Füßen nieder, wo ich heute abend schon einmal gesessen hatte und verlor mich aufs neue in der Betrachtung ihrer gewaltigen Züge. »Du Steintier, einmal werde ich dir in die Augen schauen!« hatte ich damals, als ich vor vielen Jahren durch den Suezkanal kam, in meiner kindisch-pathetischen Art vor mich hin gesagt, als Ausdruck einer alten Sehnsucht und als Entschluß, sie einst noch zu erfüllen. Nun hatte ich es wahrgemacht, hatte auch diesen Kindheitstraum verwirklicht, wie schon viele zuvor, und rückwärtsschauend ging ich hier in der tiefen Einsamkeit der Wüstennacht noch einmal allen den verworrenen wilden Wegen meines Lebens nach und suchte das, was mich auf ihnen entlang getrieben hatte und noch trieb, ihren Sinn und ihr letztes Ziel –

Ich saß und sann und schaute in die toten und doch so unheimlich lebendigen Augen da droben, als sollten sie mir antworten, und konnte das, was sie sagten, doch ebensowenig verstehen wie all die unzähligen anderen, die hier wohl schon im Laufe der Jahrtausende gesessen und in dem unfaßbaren Ausdruck dieses Antlitzes, das alles zu wissen schien, nach dem Sinn des Menschenlebens geforscht hatten.

Die Zeit verging, der Mond war schon unter die dunklen Spitzen der Pyramiden hinabgesunken, meine Hände und Ohren wurden kalt im Nachtwind der Wüste, mein Kopf war leer und müde, und meine Augen brannten. Ich schaute noch einmal hinauf zu dem in Nacht verschwindenden Gesicht, und wieder war es mir, als spielte ein Zug von eiskaltem, förmlich zermalmendem Hohn um den steinernen Mund.

Von fern her drang ein schwacher Ton durch die lautlose Stille, ich wendete das Ohr hin und lauschte, der Ruf wiederholte sich, zuletzt hörte ich meinen Namen heraus und gab Antwort. Es war mein Führer Ibrahim Soliman, der da über den schneeweißen glänzenden Sand der Düne herunterkam.

»Hier sind Sie, Sir! – ich dachte es mir –« sagte er und warf einen flüchtigen und recht seltsamen Blick zu dem dunkelbeschatteten Steingesicht hinauf. Er wischte sich ein paar Schweißtropfen von seinen braunen Wangen, ich sah, daß in seinen Augen etwas heiß Flackerndes, fast Irres war und seine Brust in kurzen heftigen Atemstößen ging. »Abu hol –!« sagte er, zur Seite gewandt, mit rauher Stimme vor sich hin, faßte mich bei der Hand und fuhr auf Englisch fort: »Kommen Sie, es ist kalt hier oben, Sie werden müde sein, und – es ist auch nicht gut, hier draußen zu sein bei Nacht, gerade hier –!«

»Warum gerade hier? Was sagten Sie vorhin auf arabisch, als Sie auf den Kopf der Sphinx sahen?«

»Oh, nichts, Sir, nur den Namen, den sie bei uns hat.«

»Abu hol – war's nicht so? Und was bedeutet er?«

»Vater des Schreckens! – Kommen Sie, es ist spät, und auch ich bin müde, ich habe bis jetzt beim Sikr mitgebetet.«

Abu hol –! warum diesen Namen? Empfanden die heutigen Bewohner des Niltals ausschließlich das Unheimliche im Ausdruck dieses ungeheuren Löwenkörpers mit dem Menschenantlitz –? Ich fragte ihn nichts mehr, stumm gingen wir nebeneinander her, nur kurz vorm Dorf blieb er auf einmal stehen und wendete mir sein Gesicht zu. Der rötliche Schein des untergehenden Mondes fiel hinein, es hatte einen eigenartigen, fast rührenden Ausdruck, die Augen darin waren groß und leuchteten in einem stillen reinen Feuer.

»Sie sind vorhin bei unserem Sikr gewesen und haben gehört, daß wir dabei immer dieselben Worte singen, und haben gesehen, wie Menschen dabei hinfallen und schreien und die Sinne verlieren, und ich glaube, Sie werden es nicht verstehen. Aber ich kann Ihnen sagen, daß es keine Worte für das Glück gibt, was ich jetzt in meinem Kopfe und sogar in meinem ganzen Körper empfinde. Dieses Glück kann nicht zu Ihnen kommen, weil Sie einen anderen Glauben haben – und nicht den wahren! Ich bin traurig darüber, denn Sie sind unser Gast und mein Freund – Entschuldigen Sie meine Worte!«

Er hatte recht, verstanden hatte ich nichts von dem, was ich vorhin gesehen und miterlebt hatte. Für mich war es nichts als eine sinnlose, verstiegene Raserei, ein Wegwerfen und Unter-die-Füße-treten gerade des Würdigsten und Wertvollsten im Menschen, der sich selbst Weg und Ziel gebenden Vernunft gewesen. Aber was er empfand und mir da sagte, war unbedingt ehrlich, und demnach war dies hier nur eine der vielen Erscheinungen des Lebens mehr, die man als solche anerkennen muß, ohne sie begreifen zu können.

So schüttelte ich ihm nur wortlos die Hand, wir bogen zwischen die ersten Häuser ein, und staunend stellte ich hier fest, daß aus jenem Hause am anderen Ende des Ortes noch immer der dröhnende Rhythmus des Derwischtanzes scholl –

Ich habe selten eine so über alle Beschreibung gehende Müdigkeit gefühlt, wie sie mich bei den letzten paar Schritt bis zu seinem Hause überfiel. Ich schwankte hin und her, als wäre ich betrunken, alles in mir war wie tot, und als ich am anderen Morgen spät erwachte, hätte ich um den Preis meines Lebens nicht sagen können, wie ich in dies kleine kahle Zimmer und auf das weiche gute Teppichlager gekommen war.

Es gab dann fette Büffelmilch, frischgebackene, ein wenig nach Rauch und Asche schmeckende Brotfladen und weißen säuerlichen Käse dazu, und dann wieder Datteln, Kaffee und Zigaretten, drei Dinge von so köstlichem Wohlgeschmack, daß ich überzeugt war, sie allein könnten mich hier im Orient mein ganzes Leben lang festhalten.

Aus dem gottseligen, heilig leuchtenden Gesicht des jungen Beduinen von gestern Nacht war heute wieder das eines gewöhnlichen, bedingungslos auf Erwerb bedachten Fremdenführers geworden; er brachte geschäftig Feder und Papier herbei, daß ich ihm ein Empfehlungsschreiben für deutsche Touristen schreiben konnte, und legte Wert auf mein Versprechen, nur seine Dienste als Führer in Anspruch zu nehmen, wenn ich einmal »planty money« hätte. Der Alte war schon frühzeitig ausgegangen, so konnte ich an der Endstation der Tramway nur Ibrahim Soliman Dank und Abschied sagen, aber in wiederkehrender aufrichtiger Herzlichkeit rief er, neben dem schon fahrenden Wagen herlaufend, nochmals herein: »Vergessen Sie nicht wiederzukommen, auch wenn Sie arm sind; die Türe von meines Vaters Haus steht für Sie immer offen!«

Meine englische Wachtmeisterin machte ein sehr wenig menschenfreundliches Gesicht, als ich ein wenig angestaubt, denn Waschwasser war draußen im Beduinenhause anscheinend als nicht zu den Erfordernissen der Gastfreundschaft gehörig betrachtet worden, im »Heim der menschenfreundlichen Gesellschaft« angeschlendert kam. Sie putzte gleich den Klemmer neu, hieb ihn mit Kraft auf die Nase, um mich besser besehen zu können, und holte schon zu einer eingehenden Vernehmung über meine nächtliche Abwesenheit aus, als sie an's Telephon gerufen wurde.

Aber sie war gerade beim Kuchenbacken gewesen, und da mich die Natur mit ungewöhnlichem Verständnis für den Wohlgeschmack von gutem Kuchen und mein abwechslungsreiches Leben auch mit der Fähigkeit, ihn zu backen, ausgestattet hat, machte ich mich sogleich an die sachgemäße Fortführung des Werkes und hatte damit instinktiv den richtigen Weg durch die kühle Außenatmosphäre dieses britischen Herzens gefunden. Der hellblaue Blick hinter den Kneifergläsern verlor sofort die Hälfte von seiner inquisitorischen Schärfe, als sie mit strengem Schritt die Küche wieder betrat, und während ich mit selbstverständlicher Gelassenheit weiter Butter schaumig rührte und Eier zu Schnee schlug, erzählte ich ihr, was ich letzte Nacht gesehen und erlebt hatte. Sie schien auch eine Ausnahme machen und einmal einem Menschen ohne dokumentarische Unterlagen etwas glauben zu wollen, nur bestand sie darauf, daß ich sogleich ein Bad nähme und meine Kleider einer eingehenden Nachforschung unterzöge, denn in den Häusern dieser »Nigger« könnte man das Ungeziefer auf Schaufeln kehren. –

Es fiel wieder ein kostenloses Mittagbrot ab, ein sehr gezwiebeltes Linsengericht. Das nahm ich in einem engen schluchtartigen Hofe an einem langen Tische ein, und was sich da nach und nach zur Tafel einfand und gegen Bezahlung eines halben Piasters von einem arabischen Hausburschen mit einem Stück Brot und demselben Linsengericht versehen wurde, war einer Betrachtung wert.

Erst kam ein kleiner alter Mann angetrippelt, an dem war alles grau; der zerschlissene Anzug, der verblichene Fes oder Tarbusch, wie er in Ägypten heißt, die aus einem Schaffell offenbar eigenhändig geschusterten ulkigen Babuschen, der vollgestopfte alte Kartoffelsack, der ihm an zwei Stricken über die Schulter hing, der mottenzerfressene Bart und das verschrumpfte winzige Gesicht – alles wirkte in seiner grauen Einheitfarbe wie ein Stück Mimikry der Landstraße. Er geriet sofort in eine Auseinandersetzung mit dem Hausdiener, und dabei hatte ich den Eindruck, als spräche dieser Europäer, der er wenigstens einstmals gewesen war, die Landessprache noch besser, zum mindesten aber geschwinder als der Araber selber. Sein dünnes Sümmchen gellte zwischen den Mauern wie eine blecherne Türschelle. Ihr Zetern lockte die Dame des Hauses herbei, und erstaunt konstatierte ich, daß das Männlein auch ebenso unheimlich geschwind auf englisch schimpfen konnte. Allerdings grammatikalisch nicht ganz einwandfrei. Noch verblüffter aber war ich, als Miß Norman nach einem Röntgenblick auf eine Kupfermünze in deutscher Sprache entschied, daß das Geldstück falsch und durch ein anderes zu ersetzen wäre. Das graue Männchen protestierte noch eine Weile und immer noch auf englisch weiter, brachte aber schließlich eine andere Münze zum Vorschein und machte sich dann, noch leise knurrend, über seine Linsen her.

Dann kam ein blinder Bettler, von einem Jungen geführt, nach ihm ein ganz anständig gekleideter junger Mann, anscheinend ein arabischer Student, denn er las beim Essen, dann eine alte Negerin mit kohlschwarzem blatternarbigen Gesicht, die erst einmal meine nur halbaufgegessenen Linsen hinunterschlang, dann ein ägyptischer Kavalier mit Spazierstock und einem Dutzend messingenen Fingerringen, der der Haltung wegen im Stehen aß und auf alles mit überlegenen Blicken heruntersah, und dann zwei Lumpensammler mit großen Säcken, die aber aus unbegreiflichen Gründen und unter wilden Flüchen sofort wieder hinausgeworfen wurden. Darauf schob sich mit beträchtlichem Hallo ein spitzer breitkrempiger Räuberhut, darunter eine qualmende Tabakspfeife und noch weiter unten eine zusammengeklappte Staffelei, zur Tür herein und hinterher kam dieselbe Erscheinung in kleinerem Formate noch einmal, dänische Maler, die bemerkbar nach altem Samos rochen, mit viel Gelächter jeder zwei Linsenschüsseln ausleerten und dann gleich das giftig knurrende Graumännlein skizzierten.

Nach und nach füllte sich der ganze Hof mit einem bunten Maskenball von hungrigem Straßenvolk. Elende Bettler und furchtbare Krüppel kamen und Händler, die mit diesen Ärmsten der Armen noch Geschäfte machen wollten und auch machten. Ein starkknochiger Fellah drängte mit fünf kleinen Kindern herein und stopfte allen erst eine halbe Stunde lang mit rührender Geduld die schmutzigen Mäulchen voll Linsen, ehe er selbst etwas aß; ein paar weitere Handwerksburschen irgendwelcher europäischen Abkunft tauchten zwischen Lastträgern, Eseljungen, Karrenführern und anderen orientalischen Großstadtproletariern aller möglichen Hautschattierungen auf, und dann erschienen auf einmal zwei Gestalten, deren Anblick mir ein perplexes: »Nanu!« entlockte, – zwei unverkennbare deutsche Wandervögel mit Kniehosen, Schillerkragen und Rucksäcken, und auf einen war tatsächlich eine Klampfe aufgeschnallt!

An diese beiden schlich ich mich heran und erfuhr, daß sie wahrhaftig den ganzen Balkan, die Türkei, Syrien und Palästina durchlaufen und nur die kurze Strecke von Haifa nach Alexandrien auf dem Schiff zurückgelegt hatten.

»Haben Sie für diese Tour gespart, oder wie machen Sie Ihr Leben unterwegs?«

»Jespart? Ach Jott, unsere paar Klamotten waren schon alle, bis wir die nötigen Plünten zusammenjekooft hatten. Unser Leben machen wir hiermit!« antwortete lachend der Ältere, dem die südliche Sonne den langsträhnigen Schopf ganz strohgelb gebleicht hatte, holte eine Mundharmonika aus der Tasche und klopfte auf die Klampfe. »Und wir denken, daß wir es auch hier in Ägypten machen können, von hier aus bis Assuan hinauf und wieder runter, kieken Sie mal dort den Kleenen an, der aussieht wie'n Klabautermann, der tut seit sage und schreibe vierzig Jahren nischt anderes als den Nil uff'n linken Ufer hinaufzutippeln und uff'n rechten wieder runter – und unser Herrjott ernährt ihm doch! Er is ooch 'n Deitscher, 'n Sachse, aber er kann seine eigene Muttersprache nicht mehr! – Ah, juten Tag, Herr Bundesgenosse!« rief er einem grünen Hütchen zu, das alles Volk überragte, »hier Franzl Kirchleitner, von Beruf Tiroler!« stellte er vor.

Unter dem grünen Hütchen steckte ein interessantes Gesicht. Es war lederbraun, saß auf einem langen dürren Halse und hatte über einem sehr entschlossenen Mund eine mächtige scharfe Hakennase und darüber zwei blitzende runde Raubvogelaugen, die mich flüchtig, aber impertinent musterten und sich nach einem knarrend gesprochenen kurzen: »Grüß Gott!« einer extra großen Linsenschüssel zuwendeten.

Dieser Mann sollte trotz der kühlen Temperatur, die bei unserem ersten Zusammentreffen zwischen uns herrschte, die Veranlassung geben, daß ich in den nächsten Jahren meines Lebens wieder einmal ziemlich abgelegene Wege ging –

Vorläufig beantwortete ich seinen frostigen Blick und Gruß noch um ein paar Grad kaltschnäuziger und machte mich, nachdem ich von Miß Norman ein ziemliches Stück Sandtorte als Wegzehrung in Empfang genommen hatte, wieder auf Arbeits- und ehrlich gesagt, auch Abenteuersuche.


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