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2. Kapitel.

Das Morgenland fängt mit einer Keilerei und einer Hetzjagd an. Der geschwinde Agent des Khedivial-Hotels. Die Elektrische im Mehlwürmertopf. Viele fahren, aber wenige zahlen. Film von Alexandrien und Unterägypten. Zwei-, vier- und sechsbeinige Passagiere der dritten Klasse. Dörfer, Palmen, Büffel und Kamele, Fellachen, Händler und Heilige. Der Beter im Abendrot. »Gelobt sei Gott – Kairo!«

 

Das erste, was ich von diesem Leben sah, war eine wüste Rauferei, die sich gerade auf dem Kai abspielte, an dem der »Baron Call« heranmanövriert war. Die eine Partei bestand aus einem Schwarm von Arabern in bunten, mehr oder weniger schmierigen und zerfetzten Kaftans und roten Tarbuschen, die andere aus einer Gruppe von ägyptischen Polizisten, die mit Stöcken auf die wild durcheinander brüllende und gestikulierende Bande einhieb. Die Bordwand unseres Schiffes war noch zwei Meter von der Kaimauer entfernt, das Gangway senkte sich erst langsam nieder, da machte die Lumpengesellschaft da unten einen Sturmangriff, wie ihn eine Bande von Riffkabylen nicht wilder und hinreißender fertig gebracht hätte, rannte die Obrigkeit über den Haufen, sprang und kletterte am Schiff empor und brach über uns herein wie ein Hagelwetter.

Ein Maul in einem schweißüberströmten, dunklen Gesicht brüllte mir etwas zu, und eine braune Hand packte mein Köfferchen. »Hallo!« sagte ich, riß es ihm wieder weg und klemmte es zwischen die Beine. »Hotel, Sir? Station – Bannhoff, main Härr?« gröhlte es ringsum, aber ehe ich antworten konnte, hatte mir schon wieder ein anderer das Köfferchen von hinten weggezogen und wollte fort damit. Mit einem Fluch und einem Tritt brachte ich es wieder in meinen Besitz, ein Dutzend Kerle umkreisten mich, umbrüllten mich, hielten mich an Ärmeln und Rockknöpfen fest, stellten fünfzig Fragen in zehn verschiedenen Sprachen an mich, wollten mir ägyptisches Geld, Ansichtskarten, Zigaretten, Spazierstöcke, Droschkenfahrten, Hotelzimmer, Führerdienste und Frauen verkaufen und rissen sich gegenseitig mein unglückliches Köfferchen aus den Händen. Schließlich wurde ich wütend, drehte mich wie ein Kreisel herum und teilte ein paar Dutzend blitzschnelle Nasenstüber und Katzenköpfe aus. Sie prallten und flogen nach allen Richtungen auseinander, aber in den entstandenen luftleeren Raum schoß sofort ein kleiner, wachsgelber Kerl in blauer Livree herein, der mein Köfferchen unterdessen in seine Gewalt gebracht hatte.

»Sie wollen nach Kairo, Sir? Ich bin Agent des Khedivialhotels. Hier die Karte mit den Preisen, Sir. Sehr empfehlenswert! Ich werde Sie nach dem Bahnhof führen, es kostet Ihnen nichts, als die Straßenbahn.«

»Sie können mich begleiten, wenn Sie durchaus wollen. Aber ich zahle Ihnen wirklich nichts dafür, denn ich finde meinen weg auch allein!«

»Auf mein Ehrenwort, es kostet Sie keinen Penny, kommen Sie schnell!« rief er, stieß einem Konkurrenten das Köfferchen in den Bauch und polterte das Gangway hinab.

Verfolgt von einer Rotte unentwegter Mitbewerber gings im Laufschritt über den Kai, und auf einmal hatte ein Tor den Koffer und seinen Träger verschluckt. Wie ein Jagdhund sauste ich hinterher, fiel über verschiedene Menschen und Gegenstände weg, und wurde vor eine Tafel gewirbelt.

Ich schloß den Koffer auf, ein Zollbeamter griff hinein, erwischte den übrig gebliebenen Zipfel der Salami, klappte sofort wieder zu und machte eine Marke und einen Kreideschnörkel auf den Deckel; der Agent warf ein Kupferstück auf den Tisch, schrie mir über die Achsel zu, daß der Schnellzug nach Kairo in einer halben Stunde abginge, und sauste weiter.

Ein Häuschen wurde passiert, ein roter Tarbusch und ein paar Brillengläser lugten aus einem Schalterfenster hervor, eine ringgeschmückte braune Hand winkte gelassen ab. »Der Arzt, all right«, rief mein Führer und schoß in einen dunklen Torweg hinein. Eine messingglänzende Uniform wurde im Dämmerlicht sichtbar und fragte: »Paßport?« Ich zeigte meinen Auslandspaß. »All right, one Piaster« sagte der Beamte und gab mir einen Zettel. Der Piaster (ungefähr zwanzig Pfennig) kam aus der Tasche des Agenten geflogen, und die wilde Jagd brauste weiter.

Es ging durch ein Gittertor, und ich wurde in einen Strom von brausendem Leben und bunten Farben gerissen – eine orientalische Straße. Flachdächige, hohe Häuser, Ruinen, Prunkbauten von Hotels, wüste Schutthaufen, in die sich Handwerker und Kaffeewirte eine Höhle als Geschäftslokal gebohrt hatten und auf deren grasbewachsenen Gipfeln Ziegen weideten, daneben wieder ein sechsstöckiges Geschäftshaus, dann eine weißschimmernde, unter Palmen träumende Moschee, anschließend ein paar Schuppen, Hütten, ein Bazar, wieder ein Prachthotel und wieder Schutthaufen, und auf und in und vor all diesen Behausungen ein ameisenhaft wimmelndes Durcheinander von Menschen, Gefährten und allerlei Getier. Zwischen Straßenbahnen und Autos wurden hundertköpfige, in Staubwolken gehüllte Schaf- und Ziegenherden durchgetrieben, neben langen schwankenden Reihen von schwerbeladenen Kamelen, eines immer mit dem Kopfe an den Schwanz des anderen gebunden, fuhren knatternde Motorräder, und trippelten glöckchenklingelnde Reitesel dahin, breitgehörnte, schwärzlichgraue Wasserbüffel drängten ihre mächtigen Körper quer durch den Strom von Reitern, Radfahrern und Equipagen hindurch und über halbnackte braune Kinder, Hunde, Katzen und Hühner hinweg, die im Straßenstaube durcheinanderkugelten, und zwischen alledem hatte noch immer eine Flut von atemlos beschäftigten, eilenden, handelnden, schreienden und gestikulierenden Menschen Platz.

Ich hatte das ganze Bild in einer zehntel Sekunde erfaßt, aber in diesem Zeitraum war mein Hotelmann schon auf einen Straßenbahnwagen auf- und wieder heruntergesprungen, rief und winkte mir mit Kopf und sämtlichen Gliedern Eile zu, stieß mich mit dem Koffer förmlich in den nächsten Wagen hinein, sprang nach, und unter unaufhörlichem gellenden Läuten ging es mit voller Fahrt in dieses brausende Gewühl hinein.

Ein guter Teil dieses Gewühls nahm seinen Weg durch unseren Wagen, ein sich ewig erneuender Strom von Bettlern, die ihre Gebrechen zeigten, von Händlern, die Zeitungen, Lotterielose, Früchte, Süßigkeiten, Zigaretten, Limonade und wer weiß was sonst noch anboten und von viertel- und halbwüchsigen Jungen, die mir als Fremden durchaus und immer wieder die Stiefeln putzen, die Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigen und mein nicht vorhandenes Gepäck tragen wollten. Sie waren ebensowenig loszuwerden wie die Schwärme von Fliegen, die einem unaufhörlich um die Ohren summten und fast in Mund und Nase krochen. Von der ganzen Gesellschaft bezahlte höchstens der zehnte Mann Fahrgeld, das Trittbrett war voll von blinden Passagieren, auf den Puffern hockten einige Dutzend Lausejungen und hinten ließen sich noch ein paar Radfahrer mitziehen. Wenn der Schaffner vorne drei herunterwarf, klettern hinten sechs wieder herauf. Ich dachte ein paarmal lebhaft an meine eigenen Praktiken auf den amerikanischen Eisenbahnen. –

Auf einmal war der Film zu Ende, mit einem verwegenen Schlenkrich gings um eine Ecke herum, durch ein Gittertor und auf einen sandigen Platz, und alles stürzte mit einem Gebrüll heraus, als ob eine Bombe im Wagen geplatzt wäre.

»Station, Sir! Second Claß to Cairo?« (Zweiter Klasse nach Kairo) fragte mein Führer, und hielt, im Trab auf den Bahnhof zustrebend, die Hand für das Fahrgeld auf. »Nein, Dritter!« sagte ich und holte mein Pfund hervor. Ein zweifelnder Blick traf mich, er bog scharf ab und schoß auf ein einzelstehendes, von einer durcheinanderquirlenden Menge umtobtes Bretterhäuschen los.

Das Goldstück flog blitzend einem ganz fremden, schmierigen Kerl zu, der bohrte und puffte sich in den Menschenhaufen hinein, sprang buchstäblich einem bündelbeladenen alten Mann auf den Rücken, ein Gewürge, Geschimpfe und Gedresche entstand in dem Knäuel, und plötzlich kam der Kerl wie aus einer Kanone geschossen wieder herausgeflogen. Aber er brachte wirklich eine Fahrkarte dritter Klasse und auch das Wechselgeld richtig an.

»Bakschisch!« Da war es wieder, das erste und das letzte Wort des Orients, das ich heute schon hundertmal gehört hatte und in vielen Jahren noch hunderttausende von Malen hören sollte, das Wort, das der Orientale niederen Standes mit fünf Lebensmonaten als erstes lallt und das bestimmt eins der allerletzten ist, die er noch auf dem Totenbette stöhnt.

Er verlangte zwei Piaster, bekam einen, bat, flehte, schimpfte und fluchte um mehr, bekam das Doppelte an Flüchen und Schimpfworten heraus – und legte dann ganz plötzlich die Hand an Mund und Stirne und verbeugte sich dankbar und zufrieden.

Eine Minute darauf preßte ich mich in einen Wagen des Schnellzuges nach Kairo hinein, und im gleichen Augenblicke ruckte die Lokomotive schon an. Der Agent sprang aufs Trittbrett, und ich gab ihm sein ausgelegtes Geld für Straßenbahn und Zollabfertigung, und auf sein Verlangen auch meinen Namen, noch durch das Fenster hinaus.

Häßliche Vorstädte mit verwahrlosten Häusern, Müllabladeplätzen, Fabriken, Gasanstalten glitten vorbei, hierauf ein weites Sumpfland, zwischen Ried und Binsen schillerte öliges Wasser, dann begann die Deltalandschaft.

Kanäle des Nils funkelten im Sonnenschein, Segelboote mit gekreuzten, spitzgekrümmten Segeln schwebten über ihnen dahin wie große weiße Schwalben. Aus der schlammigen Flut überschwemmter Felder lugten Reis und Mais mit grünen Zinken hervor, auf schon abgelaufenen stapften schwitzende Fellachen (Bauern) durch den tiefschwarzen Morast, die Hände an einem hölzernen Pflug von genau derselben Konstruktion, wie ich einmal einen in einem Museum gesehen hatte, der in einem viertausend Jahre alten Pharaonengrabe gefunden worden war. Noch erstaunlicher aber war die Bespannung, die ich immer wieder sah – neben Ochs oder Eselein die Ehefrau des Fellachen! Doch ist die Unmenschlichkeit nicht so groß, wie sie sich ansieht und -hört, denn der Schlamm, den Vater Nil bei seiner alljährlichen Überschwemmung ablagert, wird bei dieser Art von Pflügen gerade nur geritzt, dann sät der Fellache Reis, Bohnen oder Baumwolle hinein, jagt an Stelle von Walzen und Eggen seine Viehherde übers Feld, die den Samen hineintritt, und das Übrige besorgt die Sonne Allahs, die ewig über diesem Lande lacht. Und sie besorgt es gründlich, Ägypten ist ein Garten Gottes an Fruchtbarkeit.

Unter Dattelpalmen, die wie Steinsäulen aufragten und mit leuchtend roten Früchten behängen waren, lag ein Dorf, grau, niedrig und halb verfallen. Es sah aus, wie ein einziger flacher und riesengroßer Backofen mit vielen Feuerlöchern. Die Häuser sind aus Ziegeln von Nilschlamm, die nicht gebrannt, sondern nur an der Sonne gedörrt werden. Der Fellah wohnt darin auch ganz gut und schön kühl – aber nur solange, wie es nicht regnet. Geschieht das einmal ausgiebig – und in diesem regenlosen, nur vom Nil bewässerten Lande soll es der Sage nach wirklich alle sieben Jahre einmal vorkommen –, so verwandelt sich das ganze Dorf in etwas, was einem riesengroßen Haufen von gut eingekochtem Pflaumenmus erstaunlich ähnlich sieht. Die Fellachen sitzen dann laut weinend und wehklagend ringsum, raufen sich die Bärte und schlagen sich die Brust. Und sobald Allah dann seine Sonne wieder scheinen läßt, backen sie aufs neue Nilschlammziegel und bauen daraus ihre Behausungen wieder auf. Zu gebrannten Ziegeln reicht es nicht; denn obgleich diese ägyptischen Bauern mit die fleißigsten und genügsamsten Menschen der Erde sind, sind sie auch mit die allerärmsten. Und das, trotzdem diese Fluren, die draußen an dem Zuge vorbeihuschten, zwei und drei Ernten im Jahre geben!

Auf jedem Stücklein Feld mühten sie sich, pflügten, säten, bauten Dämme und drehten knarrende Schöpfräder, und ihre Frauen und Kinder krochen auf allen Vieren im Schlamm und betreuten jedes einzelne Pflänzchen mit Sorgfalt und Liebe. Auf den hochgeschütteten Dämmen der Straßen zogen Karawanen von Kamelen und Eseln, Gruppen von Frauen mit einem Wasserkruge auf dem Kopfe und einem Säugling im Reitsitz auf der Hüfte, und langsam wandelnde graubärtige Pilger dahin; auf den grasbewachsenen Böschungen weideten Ziegen und Schafe, und im Schlamm der Gräben standen mächtige graublaue Wasserbüffel, von schneeweißen Reihern und Ibissen umflattert, und glotzten aus großen hellblauen Augen auf den Zug. Neben einem Kanal ragte ein morsches hölzernes Schöpfrad auf, das dazugehörige Göpelwerk wurde von zwei Ochsen in Bewegung gesetzt, und die wurden von einem splitternackten dreikäsehohen Bürschlein angetrieben, und direkt angrenzend breitete sich ein ungeheures Baumwollfeld aus, über dessen weite Flächen zwei Dampfpflüge dahinwackelten und fauchten, wohl die Besitzung einer europäischen Pflanzungsgesellschaft, ein Symbol des modernen, fortschrittlichen Ägyptens.

Aus einer heißen Staub- und Dunstwolke traten die Moscheekuppeln und Minarehs einer Stadt heraus, der Zug bremste und lief in einen Bahnhof ein. Mit beträchtlichem Geschrei und aufgeregtem Gebaren strömten Passagiere, Händler und Bettler aus den Wagen und wieder neue herein, und durch die Fenster kamen Körbe, Koffer und Bündel geflogen, wurden tiefvermummte Frauen und rotznäsige Kinder mit wahren Klumpen von Fliegen auf Lippen und Augen hereingesteckt.

»Egyptian Gazette! Jussuf Effendi (Mandarinen) Lebben! (Milch), Achowa! (Kaffee), Moja! (Wasser)« heulten heisere Händlerstimmen am Zug entlang.

Ich kaufte für zwei Milliem (vier Pfennig) eine der porösen, mit destilliertem, kühlen Nilwasser gefüllten Tonflaschen, aber als ich einem Fruchtverkäufer zwei Piaster gegeben und auf die großen schweren Trauben in seinem Korbe gezeigt hatte, mußte ich den Rucksack aus dem Köfferchen holen, um den Segen zu bergen. Ein flacher Brotfladen für einen Milliem und ein Täßchen dicksüßen Mokka, den ein fliegender Kaffeewirt auf einem kupfernen Holzkohlenöfchen im Wagen bereitete, vervollständigten meine Mahlzeit. Ein kleiner brauner Kerl in einem gerade drei Zentimeter zu kurzen Hemdchen nahm daran teil. Seine Mutter hatte ihn mir zutraulich auf die Knie gesetzt, weil sie damit beschäftigt war, dem noch kleineren Brüderchen die Brust zu geben.

Nachdem sich etwa fünfzig Händler mit Feigen, Datteln, Bananen, Zuckermelonen und Zuckerrohr, Zigaretten, Pfeifen, Pantoffeln, Fliegenwedeln, Rosenkränzen, Seidenstoffen und Teppichen, und hundert mehr oder weniger verkrüppelte Bettler durch den Wagen hindurchgedrängt, gebrüllt und gewinselt hatten und sich zuletzt noch eine schwitzende sechsköpfige Fellahfamilie mit Hühner- und Taubenkäfigen und vier Ziegenlämmern beladen, in die Fülle hereingequetscht hatte, rollte der Zug weiter.

Alle Sitzplätze waren längst vergeben, so ließen sich die Neuhinzugestiegenen mit gekreuzten Beinen auf ihren Gepäckstücken nieder, schliefen, schwatzten, rauchten, kauten Zuckerrohr, spielten Domino oder lasen ihre arabischen Zeitungen, hinter mir war ein würdiger alter Graubart beschäftigt, sich sorgfältig abzulausen, sein Nebenmann, der in eine braune Kutte gehüllt war, augenscheinlich ein Derwisch (Mönch), betete in unaufhörlichem, eintönigem Murmeln seinen Rosenkranz herunter, sein Gegenüber blies ebenso unaufhörlich und ebenso andächtig schon seit zwei Stunden auf einer Mundharmonika immer dieselbe Melodie.

So unmöglich es aussah, wurde es doch noch immer voller, je näher wir Kairo kamen. Auf jeder Station flogen ganze arabische Haushaltungen durch Fenster und Türen herein und kletterten die dazugehörigen vielköpfigen Hausstände mit Kindern und Katzen nach. Zuletzt hatte ich auf jedem Knie ein feuchtnäsiges braunes Kindlein sitzen, zwei weitere zwischen den Knien, und ungezählte andere wimmelten noch unter den Bänken herum. Und dazu waren schätzungsweise 35° Celsius in diesem Mehlwürmertopf von Eisenbahnwagen. –

Der Tag ging zu Ende, in feierlicher Ruhe rollte der dunkelglühende Sonnenball in die unermeßlichen Abgründe der lybischen Wüste hinab, und aus dem glasgrünen Widerscheine des östlichen Himmels trat voll und rund die Kupferscheibe eines riesengroßen Mondes heraus. Am Grabmal eines Heiligen, das einsam unter einer Tamariske schlief, kniete ein Feldwächter auf seinem kleinen Gebetsteppich und senkte, das Gesicht nach Mekka gewandt, in stummer feierlicher Verbeugung die Stirn zu Boden. Es war das erstemal, daß ich einen Mohammedaner beten sah, und da schon, wie noch beim letzten von vielen, vielen Malen, ergriff mich die unendlich ruhevolle Ergebenheit, die über diesem stummen feierlichen Sichverneigen liegt.

Rasch versank dann das Land in den schwarzblauen Schatten der Nacht, hier und da flammte auf den Dämmen ein Feuer auf und warf die langen Schatten weißgekleideter Gestalten auf das mondglitzernde Wasser der überfluteten Felder.

Lichter tauchten auf, die Bremsen schrillten, die letzte Station vor Kairo war erreicht. Mit dem üblichen Geheul und Getümmel quollen die Menschen durch Fenster und Türen hinaus und herein; auf einmal erhob sich ein wildes Fluchen und Schimpfen, es gab eine kurze, aber intensive Keilerei, bei der in der herrschenden Enge die Unbeteiligten das meiste abbekamen, und ein Kerl mit einem Gesicht wie eine eingetretene Konservenbüchse wurde hinausgepufft und geschleppt und unter den gleichzeitig herabprasselnden Aussagen von ein paar Dutzend Zeugen einem Bahnbeamten übergeben. Dann ging es weiter. Was eigentlich losgewesen war, konnte ich nicht herausbekommen.

Ich hatte keinen trockenen Faden mehr am Leibe und schnappte nach Luft wie ein Karpfen auf dem Küchentisch, als endlich der Graubart die letzte Laus gefangen hatte, und mit dem Finger auf ein auffunkelndes Gewirr von Lichtern zeigend, ermunternd und eindringlich zu mir sagte: »Al hamd ul illah!« (Gelobt sei Gott!) »Schuf, Masr, ja Chowaga!« (Sieh da, Kairo, o Herr!)


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