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Vielleicht hätte ich umkehren und gehen sollen; aber ich wußte ja immer noch nicht, wo der Magister Wunderlich wohnte; diese hier, als seine Hausgenossinnen, konnten mir bestimmt darüber Nachricht geben, also blieb ich; ich hätte auch keinen Schritt gehen können, ich zitterte vor Schreck oder vor Freude im Geheimsten meines Innern, als schüttle mich ein nie gekanntes Fieber. Diesmal irrte ich mich sicher nicht; es war gewiß Josephine, ich gesehen hatte; unter dem prachtvollen Spiegel standen die Sandalen von gestern; über der Stuhllehne hing der schwarzseidene, weiche Mantel, sammt den türkischen Shawls und Tüchern; auf dem Tischchen lag der verführerische, keine drei Loth wiegende Anzug der Psyche, und auf der Toilette prangten die niedlichen Flügel. Die Blumen im Fenster, die wohlriechenden Salben, Wasser und Oele im Nachttische, der Potpouri in der Onyx-Vase unter dem deckenhohen Spiegel, – alles duftete so lieblich, – ich stand wie angezaubert; kein Mensch hätte mich hier weggebracht.
Josephine war der unschuldvolle Engel, für den ich sie vom Anfange an gehalten hatte; weder der geflügelte Drache, noch Amor, noch Zephyr hatten ihr diesen Schmuck der Jugend geraubt; auch war Josephine – die verdammten Sandalen veranlaßten einzig und allein jene falsche Vermuthung, – nicht die, mit welcher der Herr Graf Gorm gestern nach Hause fuhr. Das alles folgerte ich mir aus dem einzigen kleinen Schrei. Ein Mädchen, das sich jedem Drachen, jedem Abendwinde und jedem Grafen Preis giebt, schreit nicht so auf, wenn es bei der Toilette von einem jungen Menschen überrascht wird, der just auch nicht dem Vogel Greif oder dem Boreas Bekanntlich bildeten die Griechen den größten Antagonisten des Zephyrs, den Nordwind, mit Schneeflocken auf dem Bart und den Flügeln ab. Statt der Füße gaben sie ihm Schlangen-Schwänze, und mit dem Schweife rührte er Schloßen und Hagel auf. ähnelte, oder wie ein Bettler aussah.
Das Kammermädchen kam nach einigen Minuten zurück, und bat mich, nur einen Augenblick zu verziehen, ihre Herrin werde gleich erscheinen; sie hätte zur nächsten Oper ein neues Kostüm bekommen und dies anprobiren wollen, als ich eben unvermuthet eingetreten wäre.
Mir war bei allen dem so wunderlich zu Muthe, daß ich meinen guten Magister Wunderlich, sammt seiner Stunde, rein vergaß, und dem Kammermädchen mit wirklich recht wunderlichem Behagen zusah, wie es alle die bunten, weichen, leichten, balsamisch duftenden Flitter- und Flattersachen wegräumte, mich auf der Ottomane Platz zu nehmen ersuchte, und auf das mit Lyren, Köchern und Pfeilen und Blumen geschmackvoll bronzirte Mahagony-Tischchen, ein Porzelain-Dejeuné setzte, dessen sich die allergnädigste Landesmutter nicht hätte schämen dürfen. Die Rinde des Mahagonyholzes von den caraibischen Inseln soll vorzüglich gegen Wechselfieber gut seyn. Ich hätte mir gleich an dem Tischchen meine Portion abschaben mögen, denn mein Zustand in dem traulichen Winkelchen der elastischen Ottomane war dem höchsten Paroxismus des Wechselfiebers gleich; mir ward bald warm bald kalt zu Sinne, und als das Mädchen jetzt die Dielen aus voller Hand mit köllnischem Wasser besprengte, von dem ich bisher nur immer bei zustoßenden Unpäßlichkeiten einige Tröpfchen auf Zucker nehmen sah, und mir die Prachtbände im Bücherschränkchen, die kostbaren Gemälde und Kupferstiche an den Wänden, und der herrliche Wiener Flügel in die Augen fielen, da erhielt ich von der Lebens-Glückseligkeit einer Solotänzerin und von Josephinens unermeßlichem Reichthum einen herzerhebenden Begriff.
Endlich kam die Holdselige selbst. Ein sehr eleganter, schneeweißer Morgenanzug umschloß züchtig die anmuthige Gestalt; der Kopf war mit Blumen und Flechten geschmückt; sie grüßte mich wie einen alten Bekannten; sprach über ihre ersten Tanzstunden bei Hrn. Viktorieux, wo sie mich kennen gelernt hätte; erwähnte lachend der lustigen Geschichte mit dem Juden und dem Rosenstocke, hatte mich gestern beim Einsteigen in den Wagen am Opernhause bemerkt und fragte: was ihr das Vergnügen meines Besuchs verschaffe?
Auf die letzte Frage blieb ich ihr die Antwort schuldig, denn mir stand der Verstand stille.
Da war ja das ganze Räthsel gelöst, und der Graf auf einmal entlarvt. Das liebliche Mädchen, ich konnte gar nicht von ihm wegsehen, seit jener Tanzstunde war sie stärker, voller geworden, das Haar hatte mehr gedunkelt, und das veilchenblaue Auge mehr Feuer, mehr Sprache bekommen; vom kleinen Fuß bis zur üppigen Achsel war in diesem schönen Körper Lust und Leben, Ebenmaß und Grazie, Kraft und Frische, und mehr, denn das alles, war die Gutmüthigkeit werth die dem Mädchen aus dem Herzen sprach, und alles, alles das – ich sah es jetzt klar und deutlich, – durfte der gräfliche Taugenichts sein nennen.
Auf meine Frage, wie sie gestern und früher, bei der Geschichte des Rosenstocks, zu dem Gormischen Wagen gekommen? entgegnete sie ganz unbefangen, daß der junge Graf ihr Freund sey. An jenem Morgen, als ich ihr mit dem Juden so viel zu lachen gemacht, sey dessen Großmutter, die alte Gräfin, nicht in der Stadt gewesen; sie habe daher bei dem Enkel gefrühstückt und er sie zu Hause fahren lassen; und Abends, wenn sie im Theater zu thun habe, sey es in der Regel, daß er sie nach Hause bringe, und dann die Großmutter abhole; diese wisse natürlich davon nichts, auch müsse es vor der ahnenstolzen, aufgeblasenen Frau verheimlicht werden, die den Sohn wie einen Unmündigen behandle.
Ahnenstolz! entgegnete ich, durch ihre vertrauliche Geschwätzigkeit wieder zu Odem gekommen: Sie nennen die Alte ahnenstolz; glauben Sie denn, mein Himmelskind, daß eine andere Großmutter dies Verhältniß billigen würde? Glauben Sie denn, daß der Graf selbst seine Ahnen vergessen möchte und vergessen dürfte, wenn Sie verlangten, daß er das Band, das er für den Augenblick geknüpft hat, für die Dauer schürzen solle?
Komisch genug, antwortete sie, und senkte das erröthete Gesicht auf den Busen nieder: sehr komisch, daß Sie mich das fragen, und daß ich Ihnen, den Steinfremden, darauf antworten soll; aber es ist mir, als spräche ich mit einem alten Jugendbekannten, wenn ich Sie sehe, und daß Sie es gut mit mir meinen, höre ich aus Ihrer Frage. Sie scheinen, fuhr sie verlegen lächelnd fort, und schenkte mir eine Tasse Kaffee ein: mit dem Theaterleben noch nicht bekannt zu seyn. Ein junges Mädchen, das ganz allein steht, kann ohne Freund sich nicht halten; sie kommt sonst in tausend Unannehmlichkeiten, und bei der Schlechtigkeit der Männer, die einer Schauspielerin, und vornehmlich einer Tänzerin, alle mögliche Erbärmlichkeiten zumuthen, hat sie fast täglich Anträge zu befürchten, die nur den Verworfensten unsers Geschlechts annehmbar seyn können. Schämte ich mich nicht vor mir selber, ich könnte Ihnen in allen lebenden Sprachen von Männern der ersten Stände, allerlei Glaubens und Alters, Billetts zeigen, in denen ich zu Verbindungen aufgemuntert werde, die ein schamhaftes Mädchen verabscheut. Meine Gestalt, die Blüthe der Jugend regt die Wüstlinge zu einer Dreistigkeit an, die keine Rücksicht auf den sichern Verlust meiner Achtung und des Vertrauens nimmt, das sie mir abverlangen. Am zudringlichsten sind die, welche durch Alter, Rang und Ansehen das meiste im Volke gelten, und, um diese Gültigkeit zu behaupten, ihren Ruf mit der strengsten Aufmerksamkeit bewahren sollten. Gebe ich ihren ehrlosen Anträgen kein Gehör, so ist das nicht Tugend, nicht Unschuld von mir, denn eine züchtige Mime ist in den Augen dieses vornehmen Abschaums ein Unding; blos wegen anderer Verbindungen ähnlicher Art weise ich, ihrem Wahne nach, das angebotene Glück von der Hand, und kann der, mit dem sie mich verbunden glauben, ihnen, nach ihren flachen Ansichten, nicht durch gleichen Rang und durch gleiches Vermögen die Spitze bieten, so bleibt nichts unversucht, ihn durch die niedrigsten Kabalen zu verdrängen. Wie manche Ehrenfrau, wie manches unbescholtene Mädchen ist für das unbedeutendste Versehen auf der Bühne, oft selbst auch ohne alle Veranlassung dieser Art, blos weil sie solchem sündhaften Pöbel der höheren Stände auswich, von diesen und seinen Söldlingen öffentlich verhöhnt, ausgepocht, mit faulen Aepfeln beworfen, mit Phosphorus bespritzt und auf Bubenart beschimpft worden. Entschuldigen Sie mich nun, wenn ich, der Taube am rundumwölkten Himmel gleich, nach Schutz und Hülfe trachtete.
Ich ergriff die Lilienhand der Holden und küßte sie schweigend, als wolle ich das Weh vergüten, das ich ihr vorhin mit der unzeitigen Frage gethan; aber es fielen aus der veilchenblauen Tiefe ihres seelenvollen Auges, auf den weißumhüllten jungfräulichen Busen, zwei große Thränen, die ich auch gern weggeküßt hätte.
Wohl konnte ich mir in den weichen Polstern der Ottomane, an der Seite dieses süßen Solomädchens, recht lebhaft denken, mit welcher Anwendung sich hier Cicero de amicitia lesen lassen müsse; allein von dem eigentlichen Verhältnisse zwischen der Freundin und dem Freunde hatte ich doch noch keinen ganz klaren Begriff; nur so viel meinte ich im verworrenen Dunkel meiner vorläufigen Ansichten, daß man auch ohne beides im Stande seyn könne, ihr schützender Freund zu werden. Ein Paar kräftige Arme, glaubte ich, sollten Gold und Rang aufwiegen, und jeden in Respekt halten, der sich der Unbescholtenen in unziemlicher Absicht nähere.
Wohl darf man dem Grafen Gorm vertrauen! fing ich an, um etwas Näheres über ihn zu erfahren, dann ihr zu erzählen, wie abscheulich er sie verläugnet, und endlich, wenn ich ihn so in den Hintergrund geschoben, mich an seinen neidenswerthen, von ihm nicht verdienten Platz zu stellen. –
Der Graf Gorm, fiel sie mir in das Wort: ist ein sehr edler Mann; ohne ihn stände ich ganz allein in der Welt; ich darf ihn, im reinsten Sinne des Worts, meinen Freund nennen. Nicht weil er Graf ist, – das bleibt selbst in seinem Auge Zufall, – nicht, weil er mit seiner verschwenderischen Freigebigkeit jedem, auch dem entferntesten meiner Wünsche begegnet, und nur in meinem Glücke das seinige findet, achte und ehre ich ihn; sondern weil er für die tausend Gefälligkeiten, durch die er täglich sich mir verpflichtet, auch noch nicht eine von mir verlangt hat, die das schuldlose Mädchen dem schuldlosen Manne nicht gewähren könnte. In seiner Seele ist kein unzarter Gedanke, in seinem Herzen kein unkeusches Gefühl; – doch, setzte sie, sich selbst belächelnd, sanft hinzu, und stand auf: ich schreite über die Grenze des Schicklichen, wenn ich, Ihnen fremd, im Lobe dessen zu warm werde, der mir das Liebste auf dieser Erde ist. Nehmen Sie das, was ich über ihn sprach, für nichts als für die lauterste Dankbarkeit. Diese soll ja eine Tugend seyn; – nein, das ist sie nicht; danken und denken, – es ist ja fast ein Laut; ich müßte nicht Mensch seyn, ich müßte nicht denken können, wenn ich nicht erkenntlich wäre. Er ist mir alles; mein Beschützer, mein Lehrer, mein Rathgeber, mein Bruder, mein Freund! – Ich höre ihn eben kommen!
Die Außenthüre rauschte auf.
Mir war wie einer Maus, welcher die Katze über den Hals kommt, und die das Schlupfloch nicht zu finden weiß. Traf der Graf mich hier, so – Gustchen hatte mir ja alles geweissagt, so schlug er mir die Beine entzwei. –
Es wird dem Herrn Grafen vielleicht unlieb seyn, mich hier zu finden, sagte ich, leise erbebend, und sah mich nach einem Ausweg um.
Warum das? entgegnete die Reine mit ruhigem Lächeln: er kennt Sie ja schon; ich erzählte ihm die Geschichte Ihres Unglücks mit dem Rosenstocke, und er übernahm es damals, Sie für Ihre Einbuße –