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1.

Die erste Bombe.

Die trigonometrischen Größen, lehrte mir mein Herr Professor, und legte dazu, im Eifer für das schwere Studium der Mathematik, beide Zeigefinger an die Nase: machen eine eigene Art von transcendenten Größen aus. Du weißt, mein Sohn, was unter Sinus versus, Tangente, Sekante, Cosinus u. s. w. zu verstehen ist; eben so weißt Du, daß man, wenn der Halbmesser eines Kreises, aequal 1 gesetzt wird, die Peripherie des Kreises in ganzen Zahlen nicht ausdrücken kann, und daß nur durch Näherung für die halbe Peripherie, durch Hülfe der Differenzial-Rechnung, die Zahl ... er nannte mir einen ungeheuer langen Decimalbruch, Für Mathematiker bedarf es keiner Erwähnung, daß hier die Zahl 3,14159265368979... gemeint sey. den ich schon lange wieder vergessen habe, und schrieb ihn auf die große schwarze Tafel hin; ich starrte darauf ohne Sinn und Verstand, denn ich konnte heute nicht denken. Schon, weil die trigonometrischen Größen zu den endlichen gehörten, waren sie mir fatal; die unendlichen Größen – die hätte ich heute studieren mögen; ich weiß auch warum.

Mein Herr Professor war Witwer, und hatte sich eine Verwandte, Karolinchen Selber, zur Erziehung seiner einzigen Tochter und zur Führung des Hauswesens, aus der Ferne verschrieben. Lina war heute früh angekommen, und hatte mit mir so freundlich und herzlich gesprochen, und dabei ein Paar seelenvolle Blicke auf mich fallen lassen, daß meine gesammte höhere Mathematik zu Boden sank.

Ich mochte mich zusammen nehmen, so viel ich wollte, die verdammten Zahlen schwammen mit allen Wurzeln, Brüchen und Gleichungen, wie von einem Wirbel getrieben, durch einander, und mein Herr Professor, der mich in seinem Leben so zerstreut nicht gesehen hatte, fuhr vor Aerger über meinen gänzlichen Mangel an mathematischer Anstelligkeit, mit der Kreide auf der schwarzen Tafel hin und her, als ob er besessen wäre.

Ich dankte dem Schöpfer, als die Stunde der Erlösung schlug, eilte auf mein Zimmer, ärgerte mich über mich selber, weil ich heute durchaus nichts hatte begreifen können, und freute mich nebenbei, weil die allerliebste Nichte mich ihres freundlichen Wohlwollens zu würdigen geschienen. Nun sollte, meinte ich, das Leben hier im Hause erst erträglich werden; denn bis jetzt hatte ich vom Morgen bis zum Abend von nichts sprechen gehört, als von den Funktionen, Normalen und Subnormalen, von Winkeln, und krummen Linien, und von solchem trockenen Gute, daß ich im Stillen oft die ganze liebe Mathematik in das Pfefferland wünschte.

Mamsell Gustchen, die kleine Professorin, ein achtjähriges Kind, des Vaters Abgott, und von ihm auch dem Zahlenpriester Archimedes zum Opfer geweiht, machte mich mit ihrem verzweifelten Kopfrechnen gar toll, denn bei Tische, der einzigen Zeit, wo ich das Kind sah, war es dessen höchster Genuß, mir Exempel aufzugeben, die einen Hexenmeister, geschweige denn mich, in Angstschweiß versetzen konnten; so hatte das kleine heillose Gustchen mich erst gestern Mittag noch mit der Frage gequält, wie viel ich für 600 Thlr. Ochsen à 40 Thlr., Schweine à 5 ½ Thlr. und Schafe à 1 1/3 Thlr. kaufen könne, wenn die Zahl der zu kaufenden Stücke zusammen 300 betragen müsse.

Solche Kunststückchen sann die kleine Hexe zu Dutzenden aus, und vom Aufschreiben einer einzigen Zahl war bei ihr gar nicht die Rede; das alles machte sie in dem lustigen Lockenköpfchen ab, und wollte vor Lachen sterben, wenn ich mich stundenlang mit Räthseln quälte, die sie in fünf Minuten löste.

Ich zählte jeden Augenblick bis zum Abendessen, denn dann hoffte ich, die hübsche Nichte zu sehen; endlich erscholl der selige Ruf, und ich begrüßte Karolinen, die mit Gustchen und dem Herrn Professor meiner im Speisezimmer wartete, mit unverhehlter Freundlichkeit. Der Herr Professor stutzte über mein vertrauliches Wesen und fragte, ob wir einander schon kennten; ich platzte mit einem vorlauten: o ja! heraus; aber das jugendliche Herz, das sich von der Freude, endlich einmal ein zahlenloses frohes Wesen um sich zu wissen, erhoben gefühlt hatte, zog sich krampfhaft, als der Herr Professor kalt und trocken hinwarf, daß ein einziges Begegnen einen jungen Mann noch nicht berechtige, mit einer jungen, fremden Dame sich gleich auf einen solchen familiären Fuß zu setzen.

Das war die erste, feindliche Bombe, die in meine Natürlichkeit, in meine schuldlose Offenheit fiel; sie wühlte sich tief in den weichen, lockern Boden ein, platzte, und that unersetzlichen Schaden.


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