Georg Herwegh
Gedichte
Georg Herwegh

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Der neue Polyphem

1865

            Kennt ihr den neuen Polyphem,
Den pfiffigen Zyklopen?
Es liegt sein Reich sehr angenehm
Im Schoße von Europen.

Sein Nachbar, ihm zur Rechten, ist
Besitzer von Sibirien;
Zur Linken hat man, wie ihr wißt,
Eroberungs-Delirien.

Schiffbrüchiger Regenten Schar,
Mit legitimstem Öle
Gesalbt vom Höchsten jedes Haar,
Kam jüngst in seine Höhle.

Das war ein Lärmen, ein Skandal,
Ein Poltern, ein Gepoche!
Sie schrien: »Wir pfeifen nicht einmal
Mehr auf dem letzten Loche.

Das letzte Loch – O Missetat!
Ist zu,- wir sind gefangen!
Wär's noch der Alte,
fänd sich Rat
Ins Freie zu gelangen.

Er söffe täglich einen Schlauch,
Er söffe täglich zweie,
Und zur Erbauung söff er auch
Am Tag des Herrn wohl dreie.

Und wenn er dann besoffen wär,
So könnten wir entwischen;
Doch dieser Neue sauft nichts mehr
Als Wasser mit den Fischen.«

»O Schwaben«, krächzt der Oberschwab,
»Was wird aus euch, ihr Holden?«
»O Bayern«, ächzt ein junger Knab,
»Was wird nun aus Isolden?«

Dem Sachsen fährt's durch Mark und Bein.
»Wer wird mein Zuchthaus erben?«
Vaduz will nicht gefressen sein,
Und Lobenstein nicht sterben.

Der Mecklenburger seufzt: »Die Kunst
Des Prügelns geht zugrunde!«
Das Schwein von Hessen-Kassel grunzt
So was vom Dank der Hunde.

»Geduld, ihr Herrn!« ruft Polyphem,
»Und schreit nicht vor dem Streiche!
Kommt alle dran; doch welchen nehm
Ich mir zuerst im Reiche?

Das ist die Frage! mit der Zeit
Wird sich das andre finden;
Wir müssen deutsche Gründlichkeit
Mit deutscher Tat verbinden.

Zieht ruhig heim und lebt derweil –
Das Leben einer Rose!
Ich habe keine solche Eil,
Auch fehlt mir noch die Sauce.

An welcher Sauce speis ich ihn?
That is the other question
Man wird sie lösen in Berlin,
Der Bismarck oder – Twesten.«

So lautete der Spruch des Manns;
Ich werd ihn nie vergessen.
Er gleicht dem Esel Buridans,
Und niemand wird gefressen.

 


 


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