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Es wäre uns lieb, wenn wir bei Anzeige dieses Buches Autor und Produkt trennen könnten. Wir haben nämlich Schwäche, nur in der Gesellschaft ehrenhafter Leute uns behaglich zu fühlen, und möchten uns daher den Herrn Theaterintendanten Dingelstedt gern ein paar Schritte vom Leibe halten. Unglücklicherweise geht es nicht wohl an, bei Beurteilung lyrischer Gedichte den Dichter aus dem Spiele zu lassen, und wir müssen demnach für eine halbe Stunde die Wesenheit eines solchen Zeitpoeten zu ertragen suchen, so es gehen mag. Wir unterziehen uns dieser Unbequemlichkeit, weil es uns an der Zeit scheint, gegenüber der in Deutschland sich immer breiter machenden lyrischen Hektik und hofrätlichen Niederträchtigkeit einmal ein unverhohlen Wort äußern. Es läßt sich ertragen und entschuldigen, wenn preußische Hoftroubadour und Pensionär Geibel einen B gedankenloser Lyrik nach dem andern von sich gibt, denn in seinen Versen ist wenigstens Formschönheit, in seinen Strophen Melodie. Auch ist Geibel im Grunde genommen seelenguter Kerl, welcher nicht daran schuld ist, daß er statt Verstand bloß Romantik im Gehirn hat, und nichts d. kann, daß er von hysterischen Teekannen zum großen Dichter ausgerufen wurde. Wenn aber die absolute Impotenz mit der Prätension auftritt, was Rechtes zu sein, wenn ein jämmerlicher Renegat sich erfrecht, aus einem königlichen Liebesboudoir hervor seine schwächliche Hofratsgalle auf die beste Sache und ihre treusten Verfechter zu spritzen, wenn ein herzloser Schöngeist es wagt, vor den Augen des von Leuten seines Gelichters tausendfach verratenen deutscher Volkes versedrechselnd mit schwarz-rot-goldenen Glacéhandschuhen zu kokettieren, so darf und soll diese Anmaßung, dieses Erfrechen, diese Koketterie der verdienten Züchtigung nicht entgehen ...
Diese Gedichtsammlung entzieht sich, um es gleich zu sagen, der berühmten literarischen Kategorie »Schund« nur durch den äußerlichen Umstand, daß sie mit neuen Letten auf schönes Papier bei Cotta gedruckt ist. Kaum sind seit Jahren Papier und Druckerschwärze an ein wertloseres Gereimsel verschwendet worden. Wir wußten zwar schon von früher her, was Herr Dingelstedt im Fache der Impertinen zu leisten vermöge, aber in solcher Zeit das Publikum mit derartigem Zeug zu behelligen, für so abgeschmackt hielten wir aufrichtig gestanden, selbst den Herrn Hofrat nicht. Er hebt sein »Nacht und Morgen« mit einem Singsang an, in welchem die verbrauchtesten Bilder und Redensarten von der Nach die auf Deutschland gelastet, von dem Morgen, der angebrochen, zu einem saft- und kraftlosen Brei zusammengerührt werden. Nicht die entfernteste Spur eines selbständigen Gedankens, nicht die leiseste Andeutung einer ursprünglich Gefühlsregung; die abgetragensten Lumpen vom Kleide der Zeit mühsam zusammengeflickt und phraseologisch appretiert. Teuerster Herr Hofrat, Sie verstanden Ihre Reimschneiderei früher wenigstens besser. Gelernt haben Sie inzwischen durchaus nichts, aber manches vergessen. Vorzeiten wußten Sie die aus Byron, Béranger und anderen zusammengestohlenen Lappen doch immerhin mit einiger Gewandtheit vor dem Publikum zur Schau zu stellen. Freilich vertrauten dieser Ihrer Gewandtheit zuletzt in dem Grade, daß fremde Federn ohne weiteres als Ihre eigenen aufsteckten. Erinnern Sie sich, daß Sie in der Novellenzeitung für 1845 drucken ließen: »Zwei Nachbarskinder«, Novelle von Franz Dingelstedt? Ei, wir meinen, Sie hätten sich sollen mit dem Ruhme eines Übersetzers dieser Novelle begnügen, deren Original in dem von Lady E. Stuart Wortley herausgegebenen »Keepsake for 1837« zu finden ist, wörtlich zu finden unter dem Titel: »The Fancy Ball«. Aber so ein literarischer Eroberer nimmt eben ungeniert, wo er etwas findet. Sie haben das ohne Zweifel von den Vorfahren einiger Freunde gelernt mit welchen Sie in Stuttgart verkehrten, und zum Dank der empfangenen Lehren ergriffen Sie die Gelegenheit vorliegendem Opus die Besatzung der »Ritterbank« in württembergischen Kammer zu beweihräuchern. Sie scheinen Umgang auch benützt zu haben, um sich diverse noble Passionen anzugewöhnen. Sonst wäre es wenigstens nicht recht erklärbar, warum Sie (S. 39) als »moderner an dem Euter der Ziege Amalthea sich« zum Bock trinken wollten. Zeus, Amalthea, Bock, welch ein erhabenes und originelles Bild! Da sage noch einer, Herrn Dingelstedts Phantasie sei erloschen. Die Abteilung »Nachtwächter als Hofpoet« könnte man der Überschrift nach für Selbstironie halten. Allein das ist ganz ernst gemeint. Herr Dingelstedt macht förmlich Parade mit seiner Schmach. Er prahlt ordentlich damit, daß ihm vergönnt gewesen, den Kronprinzen die Kronprinzessin des Stuttgarter Hofes mit den schalsten Speichelleckereien anzusüßeln. Und diese Jammerseligkeit nennt er »Zeitgedichte« und hat die Frechheit, mit einer Zunge, an welcher noch dieser Hofschranzenmundleim klebt, den Namen Börnes auszusprechen, um gleich hinterher »Erzherzog Reichsverweser« zuzumuten, der möge »ums die feste Höhe droben im Freiheitsstrahle« führen. Schon dieses faselnde Durcheinander zeigt, daß wir es hier mit einem der herz- und charakterlosesten Windbeutel zu tun haben, welche je »in Zeitgedichten gemacht«. Herr Dingelstedt macht weiterhin verzweifelte Anstrengungen, witzig zu sein, und hier ist es, wo er am schlagendsten seine Nullitätät beweist, denn da kann er die ärmliche Blöße nicht mit entlehnten und tausendmal wiedergekauten Tiraden zudecken. Man glaubt einen alten gichtbrüchigen Hofhund zu sehen, welcher Polka tanzen will. Und dabei wirft sich der Mensch in die Brust und gibt sich ein Air, als wollte er sagen: Bin ich nicht der witzigste Teufelskerl von der Welt? Habe ich nicht Geist für eine Milliarde Distichen und Xenien aller Art? z. B.
»Reichsverweser«:
Nomen et omen habet! Doch schrecke der doppelte Sinn nicht;
Aus der Verwesung steigt blühendes Leben empor.
Wie fein, wie neu, wie graziös und wie prophetisch! Welch herrlich blühendes Erfurter und Dresdener Leben ist aus der »Verwesung« emporgestiegen! Nein, wer solchen tiefen Humor, solchen blitzenden Witz nicht anbetet, muß ein Barbar, muß ein Schwabe sein. Und nicht allein glänzenden Witz, sondern auch zartfühlende Humanität dokumentiert Herr Dingelstedt. Dem Parlamentsmitglied Rösler sagt er im wundervollen Epigramm, überschrieben der »Asperg perspektivisch«:
Nur zu, Kanarienvögelein;
Dein Bauer wird bald fertig sein.
Wenn die Menschen recht schlecht werden, sagt Goethe irgendwo, haben sie keinen Anteil mehr als die Schadenfreude. Und aber Herrn Dingelstedts Strohfiedel hat viele Saiten. Nachdem er so kostbar witzig gewesen, wird er wieder pathetisch und singt »Zwei österreichische Tage« in einer Tonart, woraus hervorgeht, daß Herr Dingelstedt, gleich anderen bankrotten Renomméen, München nur als einstweiliges Absteigequartier auf der Reise nach Wien betrachtet. Haben doch literarische Bankeroutiers von jeher einen Zug dahin verspürt, wie Fr. Schlegel und Gentz. Zwar hält der wohlverwandte Herr Laube den Posten der Theaterintendanz dort besetzt, allein es wird sich neben diesem Edeln und neben dem nicht minder edlen Herrn Hurter wohl noch ein Plätzchen für den gleich edeln Verfasser von »Nacht und Morgen« ausfindig machen lassen.
Doch genug und übergenug. Good bye, Herr Hofrat und Hoftheaterintendant, seien Sie in Zukunft nicht mehr so ungalant, englischen Damen sans facon ihre Novellen zu stehlen.