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Ein neues Dezennium! Viel schwüle Luft hat sich wieder gesammelt in den Tälern und auf den Bergen. Wird sie milde als Regen niederträufeln oder donnernd in Gewittern sich entladen? Wird die alte Juliussonne auf Blumen oder auf Schlachtfelder scheinen? Wir es ein Sänger, wird es ein Held sein, dessen die Menschheit bedarf? Wird der Fernhintreffer seine Leier spielen oder seine Pfeile absenden? Wird es Blut geben, und wem wird es den Purpur färben? Ich weiß es nicht, will es nicht wissen.
Der Friede ist mir teuer, denn ich liebe die Musen; aber ich fürchte den Krieg nicht, denn ich liebe die Freiheit. Wir sind nicht mehr jene kindischen Poeten, welche jammern und winseln, wenn ein Kanonenschuß bei der Feile eines hübschen Verses sie stört; wir stürzen hinaus, wenn es draußen wogt und stürmt, und zerschlagen getrost unsere Harfe, ehe sie in die Hände eines Moskowiten fällt. Unser Glaube ist einer mit dem Glauben der Menschheit; das Schöntun mit schönen Träumen hat aufgehört, es ist etwas anderes als ein Kaiser, der im Kyffhäuser schläft, etwas anderes als der alte Barbarossa, auf das wir warten.
Nicht jeder besitzt den unvergleichlichen Mut des Herrn Wolfgang Menzel, aus der Hand des Schöpfers wie ein Zigeuner die Geschichte der Zukunft oder die Zukunft der Geschichte zu erraten. Der Weltgeist ist zuweilen ein Weib und hat Launen. Er spottet der Buchhändlerspekulationen.
Wir wollen der Zukunft kein Horoskop stellen, wir wollen nicht prophezeien, wir wollen nur ahnen und ahnen lassen, nur Andeutungen geben.
Ich wollte über Literatur schreiben und habe mit der Politik angefangen. Natürlich! Das Abzeichen der modernen Literatur ist es eben, daß sie ein Kind der Politik, deutscher gesprochen, ein Kind der Juliusrevolution ist. Das sind nun zehn Jahre her, und sie hat bei keinem der besseren Schriftsteller ihre Mutter verleugnet. Selbst das industrielle Element, das in den jüngsten Tagen so überwiegend in ihr geworden ist, beweist durch unverfälschte Aktenstücke diese ihre Abkunft. Man möge unbesorgt sein: Dieser literarische Krämersinn wird in Deutschland so gut seine Endschaft erleben wie der politische in Frankreich. Die Freiheit hat in dem letzten Dezenium nur Studien gebracht, die Literatur vielleicht auch. Die Irrfahrten, die Odysseen werden bald aufhören; die Zeit war eine Penelope, die bei Nacht das Gewebe immer wieder auftrennte, das sie bei Tage gefertigt; ihre unverschämten Freier werden sie nicht lange mehr umlagern; der Erwählte wird kommen und das Gewebe vollendet werden. Was sie darauf sticken wird? Ein Schwert oder eine Feder? Auch das weiß ich nicht. Und wüßt ich's, würde ich es nicht verraten, noch einmal.- Die neue Literatur ist ein Kind der Juliusrevolution. Sie datiert von der Reise Börnes nach Frankreich, von Heinrich Heines Reisebildern. Sie datiert von der Opposition gegen Goethe.
Von der Opposition gegen Goetbe? Ja! Ich liebe Goethe, ich weiß, daß er der größte Künstler ist, den Deutschland geboren; ich weiß, daß seine Gedanken das lautere Gold des Herzens und der Vernunft – ich finde die grundsätze fluchwürdig, aus denen ihn z. B. Menzel angefochten; aber Goethe war kalt, indifferent, er sympathisierte nur mit der Ewigkeit, nicht auch mit der Zeit, die ein integrierender Teil von jener ist. Und die Zeit forderte Sympathien. Nur wer ihr diese bewies, wurde von ihr auf den Schild gehoben. Wir haben die Opposition gegen Goethe auf ein sehr bescheidenes Maß zurückgeführt; wir sind uns bewußt, hinter der reinen Schönheit seiner Produktionen noch unendlich zurück zu sein und dennoch haben wir gewonnen. Statt der Höfe ist das Volk der Mäcenas seiner Talente geworden. Mit der Buchhändlerbörse in Leipzig wurde der oberhoheitlicbe Schutz für unsere Dichter entbehrlich.
Die Muse der Geschichte hat die ersten Blätter der neuen Literatur geschrieben. Ich erinnere an Börnes »Briefe aus Paris«, an Heines »Französische Zustände«. Die deutsche Professorennatur wird im einzelnen immer viel an solchen Büchern auszusetzen haben und mit ihrer historischen Nase tausend Gebrechen an denselben hervorspüren. Den Kritiker kümmert das wenig. Für sind es Bücher, die eine Richtung geben, für ihn steht ihr Wert fest. Lessing, Klopstock, Goethe, Schiller – wer von ihnen hat sich für die Geschichte der Zeit in ihrem Detail interessiert? Wer von ihnen ausschließlich einer Partei mit Begeisterung sich angenommen? Keiner. Der jungen Literatur war dies aufbehalten. Hier erst findet sich ein politischer Glaube neben dem poetischen. Welcher Natur dieser Glaube ist, ward von uns schon bei verschiedenen Gelegenheiten nachgewiesen. Das Prinzip der neuen Literatur ist, um es zum tausend und ersten Male zu sagen, das demokratische.
Durchgängig und zuerst machte sich die literarische Revolution im Stil bemerklich. Es ist eine ganz neue Sprache, die man im letzten Jahrzehnt geschrieben. Sie ist rasch wie der Gang der Zeit, schneidend wie ein Schwert, schön wie die Freiheit und der Frühling. Die Sätze verraten eine beinahe ängstliche Hast, sie sind kurz; was man behauptet, für das steht man auch ein; die Rezensenten haben das Wir abgeschafft und das kecke Ich an seine Stelle gesetzt.
Börne hatte in Paris keine Muße, Gedichte zu schmieden, er mußte all seine Blumen zur Prosa verwenden; Heine ebenso. Unsere Prosa ist viel mit Poesie versetzt worden, gewiß nicht zu ihrem Nachteile. Die Schönrednerei einiger Literaten darf uns ja nicht verführen, über diese ganze stilistische Tendenz den Stab zu brechen.
Das Schwert der Revolution wird in der Literatur immer zunächst zum kritischen Messer. So war denn in den Tagen nach der Juli-Umwälzung die literarische Tätigkeit der Deutschen hauptsächlich eine publizistische. Die Aufmerksamkeit der Nation war auf die politischen Journale gerichtet. Erst als das Stuttgarter Literaturblatt geistig sich überlebt hatte und die politischen Organe mehr eingeschränkt wurden, trat mit dem »Literaturblatt« zum »Phönix« eine Reformation in der Literatur ein. Die poetischen Heroen ausgenommen, ward allen Novellen – und Romankünstlern vor dem Jahre 1830 der Handschuh hingeworfen. Man schätzte nach wie vor ihr formelles Talent, zog es sogar dem der jüngeren Posten vor; aber man vermisste etwas bei ihnen, für das einem die sprachliche Glätte, die gute Konzeption, die ironischen Hiebe keinen Ersatz boten – das war der Charakter der neuen Zeit, die Sympathie mit der Nation. Die Schönheit sollte keineswegs der Tendenz geopfert werden. Die Schönheit wurde beibehalten als das oberste Gesetz jeder Ästhetik; nur verlangte man von ihr; sie solle sich des Streites begeben mit ihrer gleichgöttlichen Schwester, der Freiheit, sie solle Arm in Arm wandeln mit ihr.
Produktiv machte sich die junge Literatur lange Zeit hindurch nur in der Lyrik geltend. Anastasius Grün schrieb seine »Wiener Spaziergänge«, ihm folgten Nikolaus Lenau mit seinen schönen Polenliedern, Julius Mosen mit seinen revolutionären Romanzen und Balladen. Die Initiative hatte Heinrich Heine mit seinem »Buch der Lieder« gegeben, der allerdings nicht nur für seine Ideale, sondern auch für seine >Launen alle nur mögliche Freiheit in Anspruch nahm, an den aber doch seine sämtlichen lyrischen Gegner und Rivalen nicht hinaufreichten. Was diese Leute so sehr an Heines Gedichten tadeln, den unversöhnenden Schluß, wie sie so unausstehlich sich ausdrücken, so mögen sie versichert sein, daß Heine denselben gar leicht einen sentimentalen Schwanz anhängen könnte, wenn er nur wollte. Er will aber einmal nicht. – Als Politiker, als Kritiker werde ich Heine, namentlich gegenwärtig, nicht anerkennen; den Poeten aber lasse ich ihm nicht streitig machen.
Erst in den zwei letzten Jahren hat sich die neue Literatur auch in andern Gebieten produktiv hervorgetan. Laube, Kühne, Mundt sind nicht über die Kritik hinausgekommen, dagegen haben sich viel junge Sprossen als Ersatzmänner eingefunden. Wie tief der komische Roman, der mit so viel Glück angebaut wird, in unser Leben eingreifen wird, läßt sich noch gar nicht berechnen. Wieviel läßt sich in dessen Bereich ziehen! Er kann der eigentliche Hebel der Zeit werden.
Nach dem komischen Roman ist es hauptsächlich das Drama, das einer neunen Blüte entgegensieht. Der komische Roman und das Drama werden es auch sein, dem wir in diesem Jahre das Schönste zu verdanken haben werden, wenn uns das Schicksal verdammt, noch länger mit der bloßen Poesie uns zu begnügen. Doch – wir haben vielleicht wenig Muße mehr, in ein Theater zu gehen!