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Eine Proa bewegte sich stromaufwärts durch das Sumpfgebiet, das Lhassa Camber in einem ähnlichen Fahrzeug zwei Tage früher durchfahren hatte. Der weiße Mann in der Mitte des Schiffes sah die gleiche Wildnis der Pflanzenwelt, die grünen Spiegel der Teiche und die blauen und schwarzen Schmetterlinge. Aber er fand keine Schönheiten darin; für ihn war alles faul und verrottet, selbst die Schmetterlinge, von denen er wußte, daß sie aus dem Miasma entstanden.
Seine langen, braunen Finger waren in ständiger Bewegung, klopften auf die Wände des Kanus oder fuhren durch den Bart.
Die Muskeln an den Armen der Bootsleute traten hervor, wie sie die Ruder schwangen. Der weiße Mann betrachtete dieses Spiel der Armmuskeln mit Wohlgefallen und staunte über die Energie, die unter ihrer wie Atlas glänzenden Haut brannte. Dreißig Arme; er würde sie nötig haben.
Am Nachmittag rief ihm der Malaye am Steuerruder zu:
»Machen wir am Abend halt, Tuan Muda?«
Die Antwort kam prompt.
»Nein, Matu Baba. Erst morgen, wenn wir Abu Hassans Dorf erreicht haben, rasten wir.«
Der Steuermann steckte eine reichliche Portion Betel in den Mund.
»Back!« stimmte er kauend bei. »Der Junge Lord ist weise.«
Etwas später sprach er wieder.
»Fenngo! Schauen Sie, Tuan Muda, hier war ein Lager«, verkündete er und zeigte nach rechts.
Der Franzose befahl, dicht am Ufer zu fahren. Als die Proa nur noch einige Fuß von der Sandbank entfernt war, ließ sich Matu Baba über den Schiffsrand ins Wasser gleiten. Der Malaye untersuchte den Boden der Sandbank; nahe am Wasser waren Aschenreste von verbranntem Holz.
»Eine Frau der Orang-putsch ist hier gewesen, Tuan Muda,« berichtete er, »auch ein Mann.«
Tuan Muda starrte auf die Feuerreste.
»Morgen«, äußerte er, »werde ich einen Eilboten zu Tuan Rajah senden, um es ihm mitzuteilen. Mari.«
Matu Baba stieg in die Proa und ergriff wieder sein Steuerruder.
*
Am Morgen befand sich die Proa in dem schwarzen Wald.
Tuan Muda guckte forschend auf den unbeweglichen Dschungelwall; er hatte dabei das wunderliche Gefühl, als ob seine Blicke aus den Blätterbarrikaden heraus zurückgegeben wurden. Nervöse Erscheinungen, urteilte er und fuhr mit der Hand über die rotgeäderten Augen.
Kurz vor Mittag kamen die Palisaden von Abu Hassans Dorf in Sicht.
»Ich gehe wieder in das Haus, das ich früher schon bewohnt habe,« rief er im Fortgehen über die Schulter Matu Baba zu, »du kennst es.«
Mehrere Eingeborene gingen vorbei. Innerhalb der Einzäunung wurde seine Aufmerksamkeit rege. Er beobachtete zwar die üblichen alltäglichen Beschäftigungen, sah aber auffallend wenig Männer.
Es liegt, dachte er, eine feindselige Stimmung in der anscheinenden Ruhe.
Als er in die Nähe des Palastes kam, sah er eine Gruppe See-Dyakskrieger am Eingang.
Es entging ihm nicht, daß sie wattierte Jacken und Schild und Speer trugen. In ihrer Mitte stand ein schwerer muskulöser Malaye, den er als den Vetter des Sultans, den Datu Tumanggong oder Oberbefehlshaber der Armee erkannte; dieser grüßte Tuan Muda, als er herankam; die Krieger machten einen unruhigen Eindruck.
»Wales ka salaam!« entgegnete der Franzose, dann gab er ihm, ohne weitere Förmlichkeiten, den Auftrag: »Sag' dem Sultan, ich wünsche eine Audienz.«
Nakoda Mubin, der Datu Tumanggong, war ein großer, sinnlich aussehender Malaye mit einem breiten Brustkasten und starken Schenkeln, ein Typ, der zu stierähnlich, um sehr gewandt, aber halsstarrig genug war, um gefährlich sein zu können. Er blickte Tuan Muda aus seinen schmalen, gelbunterlaufenen Augen an, wobei er an seinen goldenen Brustplatten fingerte.
»Mein Vetter ist heute früh nicht in Empfangslaune, o Rajah Besar,« sagte er, »darf ich Ihnen den Rat geben, bis morgen zu warten?«
»Ich will ihn jetzt sprechen, Nakoda Mubin!« war die Erwiderung des Weißen.
Damit ging er weg zu einer Pfahlhütte, die nicht weit entfernt war; er kletterte auf die Galerie und setzte sich so, daß er die Kriegergruppe sehen konnte. Der Oberbefehlshaber war verschwunden; die Speerspitzen der Krieger funkelten im Sonnenlicht. Er zog eine Zigarre aus der Tasche und sog den starken Tabak ein. Augenscheinlich in Gedanken versunken saß er so, bis Nakoda Mubin aus dem Palast herauskam; auch dann veränderte er kaum seine Stellung. Der Armeekommandant sprach zuerst mit den Kriegern und kam dann heran.
»Der Sultan will dich empfangen, o Rajah Besar«, sagte er.
Der Franzose stieg von der Veranda herab und folgte ihm.
Abu Hassan Abdulla Boru, Sultan von Kawaras, thronte auf einem erhöhten Sitz im Staatssaal; er war in Seide gekleidet und wurde mit Goldfasanfedern gefächelt. Krieger und Diener umgaben ihn. Tuan Muda stellte die Abwesenheit der Frauen fest, ein bedenkliches Zeichen! In der herrschenden Stille hörte man nur das Knacken seiner Ledergamaschen, als er eintrat.
Der Sultan erhob seinen rechten Arm zum Gruß; er bot nicht seine Hand. Tuan Muda nickte und hielt in der Mitte des Saales. Das Gesicht des Herrschers war ausdruckslos – es war schmal und arrogant und verriet arabisches Blut – aber es war nicht weniger undurchdringlich als das des Weißen.
»Du bist von Tuan Rajah gesandt?« fragte er.
Wieder nickte Tuan Muda nur.
»Der Tuan ist wohlauf?« fuhr Abu Hassan fort.
»Er war wohlauf, als ich Sadok verließ«, erwiderte der Franzose.
Schweigen trat ein; die zwei Männer schauten einander unverwandt an; Perlenketten klirrten, als ein Krieger sich bewegte. Nach einer Weile bemerkte Tuan Muda:
»Ich sah nur wenige Männer in deinem Dorf. Sie sind auf einem Jagdzug, nehme ich an?«
Abu Hassans ausdrucksloses Gesicht rührte sich nicht.
»Sie sind zu einem Fest in das Dorf des Rajah Orang Masahar gegangen.«
Tuan Muda heftete seine Augen mit einem schattenhaften Lächeln auf einen Lichtstrahl, der von oben hereindrang. Von draußen, durch die Wände gedämpft, drang das schwache Schlagen eines Tomtom.
»Ich verstehe«, bemerkte er darauf, die Staubteilchen, die im Licht schwammen, betrachtend. Wieder ein Schweigen. Durch des Franzosen Geist liefen rasch die Gedanken: Lächerlich ... Conquests Verdacht war richtig ... Diplomatisch sein? ... Nach kurzer Pause äußerte er:
»Ich bin als Gesandter des Tuan Rajah gekommen.«
Der Sultan nahm eine Opiumpille, bevor er antwortete: »Dein Auftrag ist ein friedlicher, ja, Tuan?«
Tuan Muda ließ seinen Blick auf den andern fallen.
»Warum sollte er anders sein, o Abu Hassan?«
Der Sultan kratzte sich, echt malayisch, an den Seiten.
»Die Wege der weißen Männer sind sonderbar, Junger Lord. Sie haben vieles unter Orang-Malayu geändert. Bevor der Tuan Rajah kam, habe ich über die Küste zwischen Sarawak und Sambas geherrscht; jetzt bin ich nur mehr ein Diener des Tuan Rajah, der mir mein Land geraubt hat und den Handel mit den Javanern und den Arabern von Macassor. Allah! Daß ich, Sohn des Hadji Abdulla, solche Ungerechtigkeit dulden mußte!«
»Du hast dich einverstanden erklärt, einen Vertrag mit Tuan Rajahs Regierung zu unterzeichnen«, erinnerte ihn Tuan Muda.
»Ja, unter der Drohung der Kanonen eines großen Kriegsschiffes.«
»Bis jetzt hast du dich nicht beklagt, o Sultan Besar!«
Abu Hassan spuckte aus, sein Blick war jetzt offenkundig feindlich. »Ja! Bis jetzt nicht; die Kanonen des Tuan Rajah sind grausam – sie erstickten Proteste unter ihrem Donner. Aber einmal gibt es ein Ende für alles, Junger Lord!«
Tuan Muda machte eine ungeduldige Geste. »Ich bin nicht hier, um darüber zu streiten, sondern wegen einer anderen wichtigeren und dringlicheren Sache. Es ist dem Tuan Rajah bekannt geworden, daß zur Neumondzeit eine weiße Frau, die Ranee, die du bei deinem Besuch in Sadok gesehen hast, auf dein Gebiet gebracht worden ist. Sie ist eine mächtige Königin in ihrem Land, eine Ranee Besar; deshalb wünscht der Tuan Rajah deine Hilfe, um sie zu finden. Er läßt dir erklären, daß sein Verwalter Salazar, von deinen Leuten Tuan Besar genannt, sie in seiner Abwesenheit fortgeführt hat. Er fordert deine Unterstützung, um ihn festzunehmen, oder wenn du schon weißt, wo er ist, befiehlt er, daß er mir ausgeliefert wird, ebenso die weiße Ranee.«
Der Sultan hatte wieder die unbewegliche Maske aufgesetzt. Nachdem der Franzose geendet hatte, kaute er schweigend an der Opiumpille und legte sich augenscheinlich eine Antwort zurecht.
»Ich weiß nichts von dieser Ranee Besar,« erklärte er nach einer Weile, »auch nichts von Tuan Besar. Er hat sich von mir damals in Sadok verabschiedet – du warst dabei, Tuan Muda – und seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
Tuan Muda wußte sofort, daß er lüge; aber zu Abu Hassan sagte er nur: »Aber sie sind den Fluß heraufgefahren; ich sah die Spuren ihres Lagers nicht weit von hier unten.«
»Sie werden in der Nacht vorbeigefahren sein, o Junger Lord!«
Tuan Muda lächelte: »Schlafen deine Leute auf Posten, daß sie es nicht merken und melden, wer den Fluß hinauf und hinab fährt, o Sultan Besar?«
»Ich weiß nichts von ihnen«, behauptete Abu Hassan hartnäckig. Nach einer Pause meinte er: »Der Wald ist weit; sie können den Fluß verlassen und um mein Kampong herum zur Plantage gewandert sein. Die Angestellten des Tuan Rajah, die dort leben, können sie verborgen halten. Es sind böse Männer. Vor einigen Tagen erst hat einer von ihnen die Frau eines Kriegers zur Untreue gezwungen. Das ist nicht der erste Fall. Mein Volk ist erbittert, besonders die Dyaks. Sie sind Wilde und verlangen Sühne. Es gibt junge Männer unter ihnen, die sich gerne vermählen möchten, aber nicht heiraten dürfen, bevor sich nicht jeder einen Kopf beschafft hat. Sie sind nicht leicht zu bändigen, diese jungen Männer.«
»Sie ist im Dorf«, sagte sich der Franzose. Zu dem andern äußerte er laut: »Falls die Männer auf der Plantage, wie du meinst, Tuan Besar und die Ranee verborgen halten wäre es da klug von mir, allein dorthin zu gehen? Sie würden mir den Eintritt verwehren oder mich sogar töten. Gib mir hundert von deinen Kriegern; mit ihnen werde ich mir, wenn nötig, den Weg ins Fort erzwingen.«
Er beobachtete, während er sprach, scharf das Gesicht des Herrschers, dessen ausdruckslose Züge sich nicht änderten. Aber er war sich im klaren.
»Meine Krieger sind im Kampong des Orang-Masahar«, sagte der Malaye. »Sie kommen erst morgen zurück. Dann, wenn du es wünschest, kannst du nicht einhundert, sondern zwei- – nein dreihundert oder tausend haben.«
Der Franzose dachte nach: Er hat vor, mich umzubringen, wenn ich heute nacht hierbleibe ... Doch ich kann nicht fort ... Wir sind in einer Falle, wenn nicht ... Kamel, Schwein von einem Malayen! Er glaubt mich völlig seiner Gnade ausgeliefert ...
Laut wandte er ein: »In einer Nacht kann viel geschehen; im Dorfe sind noch mindestens fünfzig Männer; sie, mit meinen Bootsleuten, würden genügen.«
Aber Abu Hassan schüttelte den Kopf. »Es sind zu wenig, um es mit den Gewehren des Forts aufnehmen zu können, morgen, Junger Lord.«
Wieder starrte Tuan Muda in den Lichtstrahl und markierte ein Stirnrunzeln; ja, er mußte verdrießlich erscheinen und Nachdenken, dann Zustimmung heucheln. Schmutziger Farbiger! Wo waren die Krieger? Er mußte es herausbekommen. Schließlich: »Nun gut, ich werde warten.« Dann fügte er hinzu: »Der Tuan Rajah wird erfreut sein, von deiner Großherzigkeit zu hören. Ich werde meinen Steuermann Matu Baba als Boten zu ihm schicken, um ihm alles zu berichten, was zwischen uns vor sich gegangen ist. Salaamat jalan!«
Damit wandte er sich und schritt hinaus. Abu Hassan, Sultan von Kawaras, machte sich's bequem, lächelte und kratzte sich zufrieden.
Er ist ein sehr großer Dummkopf, dachte er. Der Tuan Rajah wird ihm gefolgt sein und irgendwo flußabwärts warten. Dieser Bote wird ihm melden, meine Krieger seien fort und ... Allah! Der Schmutz meiner Schmach wird mit Perlen besprengt werden.
*
Tuan Muda kehrte in sein Quartier zurück, wo er Matu Baba wartend vorfand, der das Gepäck gebracht hatte.
»Lord«, verkündete der Malaye feierlich. »Wir werden getötet werden, wenn wir hierbleiben.«
Der Franzose äußerte sich nicht gleich dazu, sondern ließ nur ein schwaches Lächeln über den Mund huschen, als er in dem Reisesack unter Kleidungsstücken herumgriff.
»Die See-Dyaks sind sehr wild«, fuhr der Eingeborene fort; »sie martern ihre Gefangenen; der Sultan, der selbst grausam ist, würde ihnen nichts verwehren, wenn ...«
»Pack diese Büchsen ein«, fiel Tuan Muda ein. »Du bemerkst jene Krieger beim Tor. Schön, sie haben uns zu bewachen ... Nun, du prophezeist den Marterpfahl für uns«, dabei zog er ein Spiel Karten aus dem Sack –. »Nein, Matu Baba. Sie haben wohl vor, uns umzubringen, aber ...« Er schnippte mit den Fingern. »Scharfsinn gegen Gewalt! Strategie, weißt du, was das heißt?«
Matu Baba erwiderte: »Der Junge Lord ist tapfer. Aber ich habe Krieger in Schlachtausrüstung gesehen, habe sie den Gesang der Kopfjäger singen hören. Meine Leute haben es auch gehört und gesehen, und sie drohen mit Weglaufen, bevor sie sich erschlagen ließen. Hassim schwört, er habe im Gemeindehaus den frisch abgehauenen Kopf eines Weißen gesehen.«
Tuan Muda setzte sich mit gekreuzten Beinen nahe der Tür und mischte die Karten. Er nahm die Feststellungen der andern ohne sichtbare Erregung auf. Jedoch war seine Stirn in Falten, nicht wegen Matu Babas Aussagen, sondern wegen des Tomtom, das fortwährend irgendwo im Dorfe schlug.
»Wo ist diese Trommel? Warum schlägt sie so?«
»Es kann ein Dyakweib sein, Lord, die einen bösen Vogel zu verscheuchen sucht; aber meine Leute sagen, es sei etwas anderes, natürlich ein Warnungssignal, man solle fortgehen.«
Der Franzose legte die Karten zu einer Patience auf.
»Sie brauchen nicht zu desertieren, Matu Baba, ich werde sie wegschicken aus der Gefahr, ja, nun ... lege meine Matte hinaus, so daß sie von diesen Affen am Tor gesehen werden kann.«
Der Bootsmann gehorchte und fragte: »Wohin willst du sie schicken? Zurück zu ...?« »Ja, den Fluß hinab. Sie werden einen Tag und eine Nacht brauchen, um auf die andern zu stoßen, he?«
»Ja, Lord, aber –«
»Und die gleiche Zeit mit ihnen zusammen zurück; das gibt – heute ist Mittwoch – gut – bei Dämmerung am Freitag abend. Aber«, mit den Achseln zuckend – »es ist nichts zu machen. Ich habe dem Tuan Rajah geraten, sie nicht so weit zurückzulassen.«
Matu Baba stand unter der Tür und schaute ärgerlich auf den weißen Mann.
»Lord, du willst doch nicht allein hierbleiben?«
»Einer von deinen Leuten muß bei mir bleiben.«
»Warum nicht ich?«
»Nein, deine Aufgabe ist es, die andern herzubringen. Laß den schnellsten Läufer hier – Hassim – ja, er ist es. Ich brauche ihn, um heute nacht eine Botschaft zu Tuan Rajah zu bringen ... Zum Teufel mit dieser Trommel.«
»Er wird nie dazu kommen, ihr beide werdet erschlagen werden.«
»Öffne diese Büchse mit Biskuits,« bedeutete Tuan Muda, »auch die Fleischkonserven. Stell' dir vor, daß ich seit Morgendämmerung nichts im Magen habe ... Erschlagen, he? Gott, was bist du für ein Pessimist.«
Er hielt einen Teil des Kartenspiels ab, die andern waren in sieben Reihen auf dem Boden ausgebreitet.
»Gib acht, Matu Baba! Wenn das Glück mir hold ist, decke ich diese Karten mit diesen hier. Wenn nicht –« Ein Achselzucken. Er legte drei Karten auf. »Eine rote Zwei auf eine schwarze Drei ... Du mußt gehen, sobald du meinen Lunch angerichtet hast. Niemand wird dir ein Hindernis in den Weg legen.« Er lachte leise. »Abu Hassan wird sogar tatsächlich entzückt sein, wenn er dich fortgehen sieht! Wenn du hier fertig bist, möchte ich, daß du mir etwas Gelbwurz, zu Pulver verriebene Gelbwurz, verschaffst; ich werde dir einige Zigaretten zum Einhandeln mitgeben, versuch's beim Dorfarzt. Sage, ich habe ein schreckliches Hautübel – oder irgend was; sieh nur zu, daß du es bekommst, einen Beutel voll. Du entsinnst dich des Platzes, wo wir die Lagerspuren sahen? Auf dem Rückweg wirst du dort einen Boten wartend finden ... Die Karten legen sich gut. Eine Zehn dort, schau ...«
Er sprach weiter Karten lesend vor sich hin, während der Malaye das Essen herrichtete.
»Zum Teufel!« schrie der Franzose, »zum Teufel noch einmal. Es geht nicht weiter. Hier drin –« er klopfte auf die Kartenreihe, die er eben gelegt hatte, »ist die Herzenskönigin; aber ein schwarzer Schurke steht im Wege. Verstehst du? Seinetwegen mißglückt es mir diesmal.« Er stand auf. »Geh und sag' deinen Leuten, sie sollen sich zum Aufbruch fertigmachen. Besorg' auch die andere Sache, hier sind Zigaretten.«
Tuan Muda hatte gegessen und paffte eine schwarze Zigarre, als Matu Baba zurückkehrte, der unter seiner Jacke einen Lederbeutel hervorzog.
»Ich hab' ihn von einem Dyakweib bekommen, Lord.«
Der Franzose nickte beifällig und steckte den Beutel in seine Tasche.
»Bist du fertig? Wo bleibt Hassim?«
»Er wird gleich kommen, Lord.« Matu Baba zauderte, um dann zu fragen: »Hast du nichts mehr für mich, bevor ich gehe?«
»Nichts.«
Wieder zögerte der Steuermann. »Lebwohl, Junger Lord!«
Ein schattenhaftes Lächeln huschte über das Gesicht des Weißen. »Au revoir, Matu Baba!«
Als der Malaye gegangen war, zündete sich Tuan Muda eine neue Zigarre an, sammelte die Karten und mischte sie wieder unter der unheilvollen Begleitung des Tomtom.
*
Als die Nacht hereinbrach, saß Tuan Muda immer noch am gleichen Fleck, rauchte und legte Patience.
Der Tomtom hatte glücklicherweise gerade im richtigen Augenblick aufgehört. Noch ein Schlag, und die Nerven hätten ihn im Stich gelassen. Die Stille nun war wie beruhigendes Öl für sein Gehirn und seinen Leib. Kaleidoskopartig zogen die Ereignisse der letzten paar Wochen durch seinen Geist. Unschlüssigkeit und Schwäche erzeugten eine Spannung, die seine Willenskraft zu zerreißen drohte; als eine schwere Last trug er sein Geheimnis mit sich. Im Mittelpunkt des bunten Mosaiks von Aufregungen stand eine klare ernste Gestalt, die Frau.
»Kalt wie Treibeis«, dachte er. »Prächtig, glänzend, aber kalt. Sie kann nicht verzeihen. Es wird zwischen uns stehen für immer. Garon! Ich hasse den Namen. Nein, sie wird keine Gnade haben – selbst dann nicht, wenn die Wahrheit zutage tritt.«
Ein hoffnungsloses Gefühl drückte ihn nieder. Man langte nach einem Stern, nur um darüber einen anderen noch begehrenswerteren zu finden und so weiter, bis der Leib schließlich erschöpft zur Erde zurücksank, aus der er hervorgegangen. Wenn er heute nacht Glück hatte und sein Wagnis gelang, so würde es nur ein kurzer Siegestriumph sein – dann Guyana. Es lag Ironie darin, daß sie ihm gedroht hatte, sie würde seine Rückkehr in die Sträflingsniederlassung veranlassen –. Ja, er würde dorthin zurückgehen; es gab nichts anderes für ihn. Eine Pflicht rief ihn dorthin, in das verpestete Land. Und sie würde ihren glänzenden Weg fortsetzen, sie war zu erhaben, um zu vergessen oder selbst zu wissen –. Er schnitt den Gedankenfaden scharf ab.
»Hassim,« sprach er einen schwarzen Schatten neben ihm an, »mach' Feuer und koche Wasser!«
Der Malaye begab sich geräuschlos ins Haus, und Tuan Muda erhob sich. Nachdem er einen Blick auf die Gestalten am Tor gegenüber geworfen hatte, trat er ins Innere des Hauses; seiner Ausrüstung entnahm er eine elektrische Taschenlampe und Schreibmaterial; einige Minuten lang lief sein Bleistift geschwind über das Papier; er las das Geschriebene und faltete den Brief befriedigt zusammen. »Hassim, das ist die Botschaft für den Tuan Rajah. Denk' an meine Anweisungen, denk' auch daran, was du zu tun hast, wenn man dich erwischt. Bevor du abgehst, such' den Dukun auf und sag' ihm, daß ich einen Fieberanfall habe und ihn zu konsultieren wünsche. Komm nicht mehr mit ihm zurück, sondern brich unverzüglich auf! Hast du begriffen?«
»Ja, Tuan putih! Soll ich gleich gehen?«
»Kocht das Wasser schon?«
Der Malaye beugte sich über den Topf: »Es fängt zu brodeln an, Tuan.«
»Hier ist die Botschaft. Pigi!«
Als er weg war, stellte Tuan Muda die Taschenlampe ab und legte sie unter die Matte; dann goß er einen Teil des kochenden Wassers in einen anderen Topf und mischte es mit dem Gelbwurzpulver, das Matu Baba besorgt hatte; es löste sich rasch auf.
Dann prüfte er seine Pistole und legte sie neben die Taschenlampe.
»Nun,« sagte er laut, »erzeugen wir Temperatur!«
Er trank zwei Tassen heißen Wassers, tunkte sein Taschentuch hinein, legte es auf die Stirn und ließ sich auf den Boden nieder. In kaum einer Minute strömte Schweiß aus seinen Poren, und sein Gesicht brannte. Aber der Dukun erschien nicht.
»Zum Donnerwetter! Wenn er nicht bald kommt, muß ich es noch einmal machen!« dachte er.
Als er eben zu diesem Zweck aufstehen wollte, hörte er die Leiter ächzen. Er schmiß das Taschentuch weg, schloß die Augen und täuschte schweres Atmen vor. Es kam ein Schritt und dann:
»Tuan hat nach mir gesandt?«
Der Dukun beugte sich über ihn und befühlte seine Stirne.
»Was kann ich tun, Tuan? Hast du keines von euren starken Heilmitteln?«
Der Franzose schauerte absichtlich.
»Es zieht«, sagte er und deutete auf die Tür. »Es ist ganz windstill, Tuan.« Wie ein Tier schnupperte er in der Luft, die nach dem Gelbwurz duftete.
Tuan Muda zitterte wieder. »Ich fühle es ... mach' die Tür zu!«
Der Malaye tat es und trat wieder an die Seite des Weißen.
Dieser sprach mit schwacher Stimme: »Im Herd ist Medizin, starke Medizin. Mein Boy hat sie zum Kochen hingestellt. Sieh ... Warte« – er stützte sich auf einen Ellbogen auf – »Nimm dies Licht.«
Er zog mit der linken Hand die Taschenlampe unter der Matratze hervor und drehte sie an, während seine rechte die Pistole hervorriß.
Der Dukun fuhr zurück, Tuan Muda sprang in die Höhe.
»Geh rückwärts, Dukun!« befahl er. »Und sei still! Verstanden? Weiter zurück bis dorthin« – er zwang ihn bis gegen die Wand.
Der Malaye starrte auf die Mündung der Waffe, anscheinend mehr überrascht als erschrocken.
»Antworte mir auf meine Fragen,« fuhr ihn der Franzose an, »und ich werde dir nichts antun! Wo sind die Männer des Dorfes?« »Apa«, das heißt »Was?«, die gewöhnliche Ausflucht eines Malayen, war die Antwort, um Zeit zu gewinnen.
»Du verstehst schon! Wo sind sie?«
»Ich weiß es nicht, Tuan.«
»Lüge! Geschwind!« er machte eine Bewegung mit der Pistole.
»Sie warten auf den Tuan Rajah und seine Leute, um sie zu töten.«
»Wo?«
»Flußabwärts.«
»Wie weit entfernt?«
»Nicht ganz eine Meile!«
Die Worte des Eingeborenen riefen Tuan Muda eine unheimliche Empfindung ins Gedächtnis zurück, als er durch den Schwarzen Wald gefahren war. Warum, fragte er sich, hatte man ihn durchgelassen? Er fuhr fort: »Hast du die weiße Ranee gesehen, die der Tuan-Besar hergebracht hat? Wo ist sie? Im Palast?«
Der Dukun öffnete den Mund zur Antwort, um ihn gleich wieder schnappend zu schließen. Seine Augen hatten plötzlich einen schlauen, verschmitzten Ausdruck; Tuan Muda sah es und wußte, daß der Malaye sich klargemacht habe, er würde nicht wagen, durch Schießen Alarm zu schlagen. Und er schlug auf den Malayen mit der Pistole wie mit einem Hammer, begleitet von einem dumpf krachenden Geräusch. Aber der Dukun taumelte nur und fiel nicht hin; bevor der Franzose wieder zuschlagen konnte, war er auf der Hut.
Es war kein Handgemenge mit Schlägen und Stößen, sondern von Muskeln und Sehnen. Einer von Tuan Mudas Armen war frei; der andere, aufwärts gestreckt und mit der Faust um den Lauf der Pistole, war in der Umklammerung des Malayen. Sich pressend und drehend schoben sie sich durch den Raum, sie stolperten und prallten an die Wände. Tuan Muda hörte den Boden krachen und fragte sich, wie lange der Bambus noch halten würde. Er schlang ein Bein um das des Dukuns und drückte mit seiner ganzen Kraft. Sie fielen mit dumpfem Aufschlag zu Boden, Brust an Brust. Einen Augenblick lag der Franzose, vom Gewicht des andern erdrückt, unten, aber mit einem Ruck schüttelte er den Körper von sich und schlug zu. Ein Zähneknirschen und ein gurgelnder Ton. Als sich Tuan Muda plötzlich frei fühlte und wieder auf den Beinen stand, tanzten ihm gelbe Funken vor den Augen ... Er mußte sich an die Wand lehnen und zitterte in der Reaktion der Nerven.
»Tot«, dachte er »Männer ... Leichen ... wohin ich immer gehe – ... O Gott der Götter!« Erschöpft, kaum sich dessen bewußt, was er tat, ging er zum Herd, brach einige Zweige entzwei und legte sie auf die glühende Asche. Das trockene Holz flammte auf; er starrte stumpf in das Feuer; der Geruch des Gelbwurzes brachte ihm sein Vorhaben wieder in den Sinn.
»Pah! Ein Malaye«, beschwichtigte er sein Gewissen. »Ich habe ihn für ein Ziel erschlagen!«
Er ging zur Tür und schaute hinaus; schwarze Gestalten in der Toröffnung. Er lächelte grimmig. Mörder? Nein, Narren.
Dann streifte er alle Kleidungsstücke bis auf sein Hemd ab, holte Rasierzeug und mit Hilfe eines Spiegels und der Taschenlaterne war er bald glatt rasiert und fertig, um sich zu färben; es war keine leichte Aufgabe; außer den Armhöhlen und den Lenden malte er seinen ganzen Leib an. Dann machte er sich daran, den Malayen zu entkleiden. Widerwärtig waren ihm diese Kleider, aber er zog sie doch an, Sarong, Jacke und Turban, worauf er die Leiche des Eingeborenen in seine eigenen Kleider steckte.
Kalte Insekten schienen ihm bei dieser Arbeit am Rückgrat auf und ab zu krabbeln. Danach schleifte er die Leiche zu der Matte und legte sie mit dem Gesicht zum Boden hin, schließlich spannte er noch ein Moskitonetz darüber.
»Nun« – seufzte er auf – »können sie kommen.«
Er schaute auf die Uhr; beinahe zehn; die Uhr steckte er in die eine Tasche der Jacke, die Pistole und Taschenlampe in die andere. Wieder lugte er hinaus. »Zu früh«, dachte er. Er löschte das Feuer aus und kletterte auf ziemlich mühselige Weise, die er vorher ausstudiert hatte, durch eine Art Ventilationsluke auf das Strohdach, wo er sich niederließ. Blätterwerk von Palmen beeinträchtigte leider die Aussicht. Einen Teil des Palastes konnte er aber sehen. Als er dorthin blickte, kam ihm eine schreckliche Möglichkeit in den Sinn. Wenn sie nun nicht dort, überhaupt nicht im Dorfe wäre? Aber er schob den Zweifel rasch beiseite. Sie war in der Nähe; er fühlte sie ... kalt wie Nordlicht.
Vom Fluß her drangen die Bässe der Frösche; manchmal schnatterte irgendwo ein Affe; unten im Haus hörte er Ratten; allmählich nagte die Müdigkeit an seinem Gehirn und seinen Muskeln, und er mußte mit aller Kraft gegen den Schlaf kämpfen. Immer wieder schaute er auf die Uhr.
Als bald ein kupferroter Mond aufstieg und gleichzeitig eine Brise süße, betäubende Gerüche herbrachte, wurden seine erschöpften Sinne trunken wie von Wein, so daß er mehrere Male im Halbschlaf fast vom Dach heruntergefallen wäre. Schließlich beschloß er in seiner Verzweiflung, das Rauchen zu riskieren, um sich wach zu halten. Er zündete ein Streichholz an; erstickte es aber sofort wieder.
Ein gedämpftes Knarren.
Die Schläfrigkeit fiel von ihm herab wie ein Mantel. Er zog die Taschenlampe hervor.
Wieder ein Knarren.
Er konnte eine schwache graue Linie in der Finsternis unten erkennen, die sich langsam zu einem Rechteck erweiterte und eine kriechende Gestalt erkennen ließ. Dann, wie durch eine Zauberhand, schrumpfte das Rechteck zusammen und verschwand ganz. Er staunte über die Lautlosigkeit dieses Eindringens. Ein geschickter Teufel. Jetzt würde er wahrscheinlich auf allen vieren über den Boden kriechen. Im nächsten Moment wird er zuschlagen ... Ja! Da! Man hörte dumpfe Schläge. Um Gottes willen! Er hackte.
Der Franzose konnte sich nicht mehr zurückhalten, er ließ das elektrische Licht aufblitzen.
Der plötzliche Lichtstrahl beleuchtete einen nackten Rücken und eine erhobene Klinge. Der Eingeborene wirbelte herum und starrte wild in den Lichtkreis.
Tuan Muda sprang herab. Der Malaye, ein Kerl mit zottigem Haar, stand erstarrt keine vier Fuß weit weg; seine Waffe war ein schweres krummes Schwert, das man Parang-ilang nannte.
»Sohn des Shaitan, herrschte er ihn in malayischer Sprache an und streckte ihm seine Pistole ins Licht entgegen. »Brut der Scheußlichkeit! Ich bin es, Tuan Muda, den du erschlagen wolltest. Schau' hin! Sieh, wen du in Stücke gehackt hast. Denk' an dein eigenes Ende, denn wenn der Sultan deinen Fehlgriff erfährt, wird er dich wie eine Ziege auf den Pfahl spießen und in Stücke reißen lassen. Schau' hin, du Narr!«
Als der überraschte Eingeborene sich umwandte, packte ihn der Franzose am Handgelenk und schraubte es, bis ihm das Schwert entfiel, auf das er dann seinen Fuß setzte.
»Wenn du einen Laut von dir gibst,« drohte er, »werde ich dich töten. Bist du allein gekommen oder ist noch einer draußen? Gib Antwort, Eidechse, kriechendes Wesen!«
Offenbar konnte der Verstand des Malayen die Situation nicht erfassen, nur die einfache Tatsache schien ihm klar, daß er einen schrecklichen Irrtum begangen hatte.
»Bist Du allein?« drängte Tuan Muda. »Antworte!«
Der Eingeborene blinzelte stumpfsinnig nach dem Licht, dann bewegten sich seine Lippen.
»Der Sultan hat mich geschickt, Tuan.«
»Allein?«
»Ja, Tuan.«
»Was ist mit der Mem-Sahib geschehen, die der Tuan-besar hergebracht hat?«
»Tuan?« fragte er verständnislos. »Die weiße Frau«, fuhr er ihn an. »Die Ranee von Sadok.«
»Sie war bis heute im Palast, Tuan, aber sie hatte Streit mit den Sultansfrauen, deshalb hat man sie weggebracht.«
Ein bewundernder Schauer durchrieselte den Franzosen. Eine Leopardin, ja eine Schneeleopardin! Aber plötzlich ging der Schauer in Furcht über.
»Weggebracht? Wohin?«
»Sie ist im Hause von Sajut.«
»Im Dorf?«
»Ja, Tuan.«
»Wer ist bei ihr?«
»Zwei Krieger des Sultans bewachen sie; sie sitzen auf der Galerie.«
Schweigen. Tuan Mudas Gedanken liefen mit rasender Eile durch seinen Kopf. »Wenn du gelogen hast,« sagte er nach einer Weile, »werde ich –«
»Ich habe nicht gelogen«, fiel der Eingeborene hastig ein und fiel auf die Knie nieder. »Schlag mich tot, o Tuan Putih, schlag mich rasch tot, dann ist alles vorbei. Wenn ich am Leben bleibe, wird mich der Sultan foltern lassen. Er wird mich wie eine Ziege aufspießen lassen, wie du gesagt hast. Sei barmherzig, Tuan! Hau' mir den Kopf ab!«
Tuan Muda steckte die Pistole in die Tasche und hob das Schwert auf. Er hatte nicht die Absicht, den Malayen auf Wunsch zu ermorden; dagegen tat sich ihm ein Plan auf, wie er diesen Umstand ausnützen könnte. Der Eingeborene wartete regungslos auf den Todeshieb. Der Franzose erhob das Schwert, hielt aber ein.
»Nein«, erklärte er, »ich will den Boden nicht mit deinem Blut besudeln. Ich werde dich fesseln und knebeln und dich dalassen, damit du wie eine Ziege aufgespießt wirst.«
Furcht glänzte aus den Augen des Malayen.
»O Edelmütigster, Bester«, flehte er. »Schlag mich jetzt tot, schlag, o Rajah Putih.«
Wieder hob Tuan Muda das Schwert und wieder hielt er ein.
»Nein,« wiederholte er, »ich will nicht. Wirklich, ich werde dein Leben schonen, Kröte, die du bist. Wenn du mir folgst und tust, was ich befehle, werde ich dich freilassen, wenn wir aus dem Dorf entkommen sind, und dann kannst du dich der Wut Abu Hassans entziehen.«
Ein ungläubiges Starren entgegnet dieser Eröffnung.
»Mit dir gehen, Tuan? Nicht sterben?« Er brauchte einige Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß ihm die Freiheit angeboten wurde, in einer Lage, die ihm nur durch den Tod lösbar erschien. »Was willst du, daß ich tue, o Rajah-Besar?«
»Führ' mich zu dem Hause, wo die Ranee Putih gefangengehalten wird.«
»Ja, Tuan«, erwiderte er eifrig. »Ich werde, ich –«
»Sei still, Schlange« zischte der Weiße.
»Ich habe gesagt, daß ich dich am Leben lasse, aber nur, wenn du meinen Befehlen nachkommst, und vor allem befehle ich dir, still zu sein. Von nun ab, wenn du eine verdächtige Bewegung machst oder irgend etwas in mir nur den Verdacht aufkommen läßt, du könntest Verrat im Sinne haben, werde ich, nein, dich nicht töten, sondern nur verwunden und zurücklassen, damit man dich martern kann! Schwör bei Allah, daß du gehorsam sein willst!«
»Ich schwöre, o Tuan.«
»Wenn du diesen Eid brichst, möge deine Seele an Shaitan ausgeliefert werden, möge dein Verrätername ein Abscheu für die Menschen, selbst für deine eigene Familie werden. Wiederhole das!«
»Nun«, fuhr der Franzose fort, »antworte auf meine Fragen! Wartet der Sultan auf dich?«
»Er hat mir befohlen, mit deinem Kopf zurückzukommen.«
Tuan Muda dachte einen Augenblick nach: »Wir müssen rasch handeln. Nur zwei Männer hast du gesagt, bewachen sie, nur zwei?«
»Mehr hab' ich nicht gesehen, o Tuan.«
»Hm. Wir müssen sie überrumpeln ... Wie heißt du? Tama? Wir müssen sie überrumpeln, rasch umbringen, du mit deinem Schwert, ich mit meiner Schießwaffe. Dann aber werde ich dir sagen, was dann zu tun ist. Führt von dort ein Pfad zu der Pflanzung, zum Fort?«
»Ja, Tuan, durch das Moor.«
Tuan Muda ging zur Tür, ohne den Eingeborenen aus den Augen zu lassen; obwohl er nicht glaubte, der Malaye mit seinem starken Aberglauben könnte einen so schrecklichen Eid brechen, wollte er für alle Fälle auf der Hut sein. Beim Feuer, dem Toreingang gegenüber, kauerten noch zwei Gestalten, er konnte nicht sehen, ob sie herüberschauten oder nicht; dieses Risiko mußte er auf sich nehmen.
»Da nimm dein Schwert«, befahl er »klettere hinab und geh unter das Haus – mach' rasch.«
Tama gehorchte und Tuan Muda folgte, wobei er seine Aufmerksamkeit zwischen seinem neu erworbenen Bundesgenossen und den zwei Gestalten gegenüber teilte.
»Nun,« murmelte er, als sie unter dem Pfahlgebäude waren, »welchen Weg?«
Der Eingeborene machte eine Handbewegung und führte durch das schlafende Dorf.
*
In einem Haus, das in einer Ecke lag, saß Lhassa Camber in düstere Betrachtung versunken.
Ein Mondstreifen stahl sich in das Zimmer herein.
Seit dem Morgen war aus ihrer Empfindung von Hilflosigkeit eine dumpfe Resignation geworden. Sie war zerschlagen von dem Kampf mit den Sultansfrauen. Aber es war kein körperlicher Schlag, der sie betäubt hatte, sondern wenige kurze Worte, die wie grausamer Stahl sich in ihr Herz gebohrt hatten.
Seit jenem Abend in Singapore war der blaue Slendong ein Bestand ihres Denkens und Daseins geworden, in welchem Sinne, hatte sie nur unklar empfunden; jetzt in plötzlicher Hellsicht erfaßte sie seine wahre Bedeutung: Er war das Symbol der Romantik.
Aus dem Nichts hatte er sich zu Abenteuer verheißendem Glanz entfaltet und sie über das Meer in den Dschungel gelockt, aber nur, um sie der Wirklichkeit auszuliefern. Der Smaragd-Buddha mit all seinen romantischen Tragödien wurde so zu einem bloßen Stück Jade, das Millionen von Gläubigen in tierischem Stumpfsinn anbeteten. »Romantik, die schöne Illusion«, hatte Conquest gesagt und er selbst war der Beweis für seine Worte.
Sie hatte sich selbst für klug gehalten und war doch so blind gewesen; sonst hätte sie die Wahrheit vermuten müssen, bevor Salazar sie ihr sagte. Es war leicht begreiflich, daß sie ihn nicht wieder erkannte; die früheren Begegnungen, eine in Singapore und die zweite in Bangkok, waren zu flüchtig gewesen, und jedesmal war er verkleidet, mit einem Vollbart oder einem Buckel. Aber eine innere Stimme hätte sie die Wahrheit ahnen lassen müssen, ihr Instinkt – und seine braunen, schmalen Hände, – Hände, die gestohlen hatten ... Sie verfolgten sie den ganzen Tag, hatten sich in ihre Gedanken eingenistet und beherrschten sie. Sie hatten sich schmiegsam um ihr Herz gelegt und zerrten daran. Sie hatte versucht, sie wegzuziehen, aber sie blieben hartnäckig. Sie malte sich in Gedanken sogar aus, wie sie kämpfen würden in der Falle, die Salazar gelegt hatte, und wie sie still und matt daliegen würden.
Aber diese Phantasiegebilde riefen kein triumphierendes Gefühl in ihr hervor, vielmehr taten sie ihr schmerzlich weh. Bestürzt stellte sie das fest. Er, Tuan Muda – sie würde ihn niemals Garon nennen – hatte die Macht, ihr weh zu tun. Sie mußte diese Wahrheit anerkennen, empfand aber dabei einen tiefen, reißenden Schmerz, als ob sich Eis unter einem furchtbaren Drucke spaltete. Es war ihr, wie wenn ihr Vater, jener Mann, dessen ungeduldiger Zug um den Mund auch auf dem Ölgemälde zum Ausdruck kam, sie in Haft gehalten hätte, daß aber der Feuergeist ihrer Mutter, der lebensvollen Frau mit dem Pfauenschal, sie aus dem Gefängnis befreit hätte. Sie dachte an eine Nacht in Saigon, als sie eine Menge von Gesichtern hatte an sich vorbeifluten lassen und sie sich selbst so abgesondert und gesichert vorkam in ihrem ruhigen Weg, abseits vom Hauptstrom. Diese erhabene Einstellung war bei dem Erscheinen dieses Mannes, ... dieses Mannes aus dem Gefängnis, zusammengebrochen. Er war gerade aus der Sphäre gekommen, die sie verabscheut hatte, aus Plackerei und Schweiß, wo dem Traum der Garaus gemacht wird, und hatte ihr die Offenbarung der Schönheit und des Erdenleides verkündet. Leben! Blitzartig sah sie seine Stärke und Schwäche, seine Siege und Niederlagen. Und im Glutofen des Erbarmens verschmolzen alle Gefühle zu einem Großen: barmherzig sein! seine Hände in Mitleiden reinwaschen!
Aber als die Stunden voller Furcht und zweifelnder Spannung dahin schlichen, brannte das Feuer aus und jetzt belebte kein Funke davon mehr ihr totes Gefängnis. Sie saß da und dachte nicht mehr an Verdammen, noch an Vergeben, sondern wartete nur, hoffnungslos, selbst ohne bewußte Sehnsucht nach Befreiung.
Um sie war die Stille einer toten Stadt; doch sie wußte, daß draußen vor der Tür zwei ganz lebendige Menschen seien. Sie hörte sie öfters sich bewegen oder sich unterhalten. Einen hörte sie eben sprechen. Es klang wie eine Aufforderung; in ihrer Aufregung bildete sie sich ein, es sei Salazar.
Sie erhob sich zitternd. Wenn es so wäre, was würde sie tun? Sie wußte es wohl. Den ganzen Tag über war ihr der Gedanke immer wieder gekommen, aber bis jetzt hatte sie ihn immer wieder von sich gewiesen. Ja, sie würde es tun. Seine rohen Muskeln waren stärker als ihre Kräfte, aber sie erinnerte sich eines Kunstgriffs, den sie einmal auf der Reise von Nagasaki nach Hongkong gesehen hatte. Es war ein unheimlicher, gefährlicher Trick. Zwei Japaner rangen im Zwischendeck miteinander, und der eine preßte plötzlich seine Daumen dem anderen unter die Ohren ... Wieder vernahm sie eine Aufforderung. Eine zweite Stimme antwortete; dann erfolgte ein plötzliches dumpf dröhnendes Krachen vor der Tür und darauf eine Erschütterung, wie wenn ein schweres Gewicht auf die Galerie gefallen sei. Fußtritte, Schläge. Der Boden unter ihr bebte. Voll Schrecken sagte sie sich, daß draußen zwei Körper im Ringkampf sich wälzten, im nächsten Moment hörten die Geräusche auf. Die plötzliche Ruhe war ebenso verwirrend wie der Tumult.
Sie ging auf die Türe zu ... ging die Tür auf oder phantasierte sie nur? Als Antwort trat eine Gestalt aus einem länglichen, grauen Lichtkegel hervor. Sie erkannte den Anzug und den Turban eines Eingeborenen; die Entspannung ließ sie tief aufatmen. Sie fragte: »Was wollen Sie?« Er trat in den Strahl des Mondscheins, der zwischen ihnen lag, und erwies sich als ein Mensch von Fleisch und Blut. Ein Schwindelanfall verdunkelte ihren Blick, und der Raum fing an, sich um sie zu drehen. Er sprach, und die Stimme erinnerte sie an eine andere, ebenso sein Gesicht. Lange Hände, die sich langsam, scheu ihr entgegenstreckten, gaben ihr den Schlüssel zur Erkenntnis. Der Raum zwischen ihnen versank. Sie war sich keiner Bewegung bewußt, noch sah sie ihn sich rühren; es war, als ob eine unsichtbare Gewalt sie in seine Arme warf. Seine Wärme steckte sie an und schien die beiden in eins zu verschmelzen. Ebenso rasch, wie das Feuer sich entzündet hatte, erlosch es; sie lösten sich voneinander wie kaltes, spröde gewordenes Metall. Sie fühlte ihre Lippen, auf die er die seinen gepreßt hatte, als wenn sie verwundet wären.
»Ich ... ich habe es nicht so gemeint ...« begann sie, gab es aber auf, weiterzusprechen, da ihr die richtigen Worte fehlten. Sie machte eine schwache, hilflose Bewegung. Der plötzliche Feuerausbruch hatte nur weiße Asche hinterlassen.
»Sie begreifen –« fing sie zusammenhangslos wieder an, »die Spannung, die schreckliche Spannung, und dann kamen Sie – plötzlich von nirgendwo her, oh, Sie verstehen mich!« wiederholte sie. »Ich weiß es.«
Er stand im Mondlicht, und sie sah die gespannten Muskeln seines Gesichts. Der frühere hochmütige Ausdruck fehlte, vielleicht, weil die Narbe, die ihn hervorrief, unter dem Turban verborgen war. Garon? Nein, er konnte es nicht sein.
»Sagen Sie mir,« ihr Atem ging rasch, »sagen Sie mir, wer Sie sind, sagen Sie mir, ob Salazar gelogen hat, als er sagte, Sie – Ihr Name –« wieder fehlten ihr die Worte, nur ihre flehenden Augen konnten die Bitte vollenden.
Seine Finger – diese rastlosen Finger – trommelten am Heft des Schwertes unter seinem Sarong. Eine lange Pause der Überlegung ging seinen Worten voraus. »Ich hieß,« er feuchtete seine Lippen an, »ich wurde Garon genannt, und ich war dort, in Bangkok in jener Nacht, aber –«
»Lügen Sie nicht,« unterbrach sie mit erstorbener Stimme. Sein Ausdruck änderte sich. Etwas von seiner früheren Anmaßung, dem Stolz und der Unnachgiebigkeit, die einen Teil seiner Persönlichkeit ausmachten, blitzte wieder auf. Er zog seine Brauen in die Höhe und zuckte mit den Schultern.
»Lügen, warum sollte ich lügen?«
Auch ihr angeborener Hochmut reagierte auf den Wechsel in seinem Ton. Aber sie bezwang sich und wiederholte nur jene hilflose Gebärde. Sie wünschte leidenschaftlich zu glauben, aber der blaue Slendong! Barthélemy!
»Ich weiß nicht mehr aus noch ein«, seufzte sie. »Ich bin zu müde, zu denken, mein Gehirn scheint mir wie gelähmt. Ich –« verzweifelt suchte sie nach Worten. »Oh, ich will Ihnen glauben,« schloß sie in Ergebung, »ich will glauben, wenn Sie schwören, zu Gott schwören, daß Sie es nicht getan haben.«
Schweigen. – Sein Gesicht war starr wie Bronze im Mondlicht. Vergebens suchte sie aus seiner unbeweglichen Haltung eine Andeutung seiner Gedanken zu lesen.
Endlich holte er tief Atem:
»Ich schwöre, daß ich ihn – nicht – angerührt habe!«
Sie war von einem schweren Druck befreit, und ihre Spannung löste sich. Sie hörte noch nicht auf zu fragen: »Und Sie wissen nicht, wer es getan hat? Oder was mit Barthélemy geschehen ist?«
»Nein.«
»Sie beschwören auch das?«
Ein Ausruf der Ungeduld: »Sie haben meinen Eid, daß ich nicht schuldig bin. Ist das nicht genügend? Wenn ich Ihnen jetzt alles erzählen würde, würden Sie es nicht glauben. Übrigens werden wir umgebracht werden, wenn wir noch länger hierbleiben und reden.«
Während er sprach, zitterte ein Schatten hinter der Tür, die leise knarrte. Bestürzt flüsterte sie: »Was ist das?«
»Einer von den Leuten des Sultans. Er hat sich bereit erklärt, uns den Weg nach dem Fort zu zeigen.«
»Sind Sie allein? Ich meine, ist Mr. Conquest mit Ihnen?«
»Er ist im Fort oder sollte wenigstens jetzt dort sein. Es ist jetzt keine Zeit für Erklärungen. Wenn wir zu ihm gelangen, bedeutet es wenigstens vorläufig Sicherheit, und dann –«
»Aber ich muß Genaueres wissen«, entgegnete sie beharrlich. »Ich will nicht blindlings hingehen. Wie ist Mr. Conquest hingekommen? Was ist überhaupt geschehen?«
Seine Hände zuckten ungeduldig. »Großer Gott, eine Frau muß jede Einzelheit wissen!«
»Gelten meine Gefühle Ihnen nichts?« fuhr sie auf. »Sie sind bei allem dabei gewesen und haben handeln können, während ich wartete, immer wartete in Ungewißheit. Ich kann es nicht länger ertragen!«
Der ärgerliche Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht. »Meine Nerven sind so ...« Er schnippte mit den Fingern. »Verzeihen Sie mir! Was geschehen ist? Nun, als wir nach Sadok zurückkehrten und erfuhren, was sich ereignet hatte, trommelte der Tuan Rajah alle erreichbaren Leute, einschließlich der Mannschaft des ›Narzissus‹, zusammen und wir zogen los. Wir wußten natürlich, daß Salazar mit dem Sultan unter einer Decke stecke. Vor zwei Tagen haben wir uns getrennt; ein taktisches Manöver. Conquest mit einigen dreißig Malayen verließ den Fluß, um auf einem Umweg durch den Dschungel nach Barabbas-Stadt zu marschieren. Er hatte den Verdacht, Salazar könnte die Leute dort bestochen haben und in diesem Falle wollte er das Tor gewaltsam in Besitz nehmen, um sich einen strategischen Punkt zu sichern, wissen Sie. Wir haben gerechnet, daß er heute nachmittag oder abend dort eintreffen könne. Inzwischen hatte der größere Teil seiner kleinen Streitmacht unter dem Kommando des Kapitäns vom ›Narzissus‹ ein Lager bezogen, während ich mit einigen Leuten abgegangen war, um – um – die Temperatur der Lage zu messen, sozusagen. Ich sollte den Sultan sondieren und wenn möglich, Sie finden. Für den Fall, daß die Lage sich zuspitzen sollte, war ausgemacht, daß ich den Kapitän mit seiner Truppe heranziehen und zu Conquest in Barabbas-Stadt stoßen sollte. Wenn dagegen keine Revolte im Entstehen war, nun, dann würde unser kriegsähnlicher Zug nicht weiter von sich reden machen und sich keine gespannte Situation daraus ergeben. Mit Wilden muß man diplomatisch umgehen. Verstehen Sie? Sie –«
»Wird der Aufstand ausbrechen?« warf sie dazwischen.
»Er ist schon ausgebrochen; heute nacht wurde ein Mordanschlag auf mich gemacht und die Leute des Sultans liegen am Flusse im Hinterhalt. Gegen Abend habe ich einen Eilboten nach Barabbas-Stadt abgesandt, um Conquest zu melden, daß ich Sie hier vermute. Wenn wir in das Fort gelangen und er bei seinem Unternehmen Glück gehabt hat, können wir uns halten, bis Entsatz kommt. Ich habe die anderen nachbeordert.« Er stoppte plötzlich und fragte: »Wo ist Salazar?«
»Ich weiß es nicht; seit heute morgen habe ich ihn nicht zu sehen bekommen; er erzählte mir von den Kriegern im Hinterhalt und ich ... Aber ich verstehe nicht, weshalb man Sie in das Dorf hereingelassen hat?«
»Offenbar wünschte der Sultan zu erfahren, wieviel ich wisse. Aber Salazar ...« Eine bedeutsame Pause.
Sie zwang sich ein Lächeln ab: »Es ist alles so unwirklich, so – so lächerlich. Er ist wie ein Bösewicht aus einer Geschichte. Er ... Aber was hofft er denn zu gewinnen?«
»Die Beute im Hause des Tuan Rajah,« erklärte er, »da gibt es genug, selbst um es unter diese Schurken auf der Plantage zu teilen, falls sie auf seiner Seite stehen. Und danach Freiheit! Vergessen Sie nicht, daß es gehetzte Menschen sind!«
Sie hatte es nicht vergessen, auch nicht, daß er selbst so ein Gehetzter war. Als sie sprechen wollte, kam ein Knarren von der Veranda. Er schlich zur Tür und lugte hinaus.
»Wir verschwenden Zeit,« wandte er sich zurück, »sind Sie bereit?«
Unentschlossen trat sie in den Mondstreifen am Boden. Gehetzte Menschen. Diese Worte wollten ihr nicht aus dem Kopf.
»Wir müssen über die Palisaden klettern,« sagte er, »außerhalb sind einige Dyakshäuser. Aber wenn wir vorsichtig sind, ist wenig Gefahr, und selbst wenn wir erblickt werden, wird unsere Kleidung uns schützen.« Als sie immer noch keine Anstalten machte, sich ihm anzuschließen, fragte er: »Sie zögern? Warum?«
Sie hatte Angst, die Worte, die ihr auf der Zunge brannten, auszusprechen, aber sie wußte, sie würde sich nicht zufrieden geben, bevor sie es getan und seine Antwort hätte.
»Tuan Muda,« sagte sie mit einer leisen, etwas heiseren Stimme, »noch eine Frage. Werden Sie nicht ungeduldig. Es besteht die Möglichkeit, daß wir nicht ins Fort gelangen; tausenderlei Dinge können passieren. Also geben Sie mir doch eine wahrheitsgetreue Antwort: Warum hat man Sie nach Guyana verschickt?«
Er stand regungslos an der Tür, sein Gesicht war ganz im Dunkel, sie konnte nur sein schweres Atmen hören; er antwortete:
»Ich hatte die Verwaltung gewisser Fonds in Hanoi, eine Stellung an der Regierung. Ich ... Es war eine schmutzige Sache.«
Die Spannung ihres Körpers löste sich. Eine seltsam durchschauernde Empfindung von Ruhe, wie leidenschaftlicher Friede kam über sie.
»Kommen Sie her!« befahl sie.
Der Schal war von ihrem Kopf herabgeglitten und das Mondlicht wob eine bleiche Gloriole um ihr Haar und auch um ihren Körper; auf ihrem Seidengewand lag ein schwaches Glühen. Er kam langsam auf sie zu, wie ein Mann, der sich in einer Kathedrale einem heiligen Bilde nähert. Sie streckte ihre Hände aus.
»Nehmen Sie sie,« flüsterte sie fast, »halten Sie sie fest.« Er gehorchte. »Ich glaube an Sie. Tuan Muda – junger Lord!«
Er stand ihr mit gesenkten Augen einen Moment gegenüber, dann ließ er ihre Hände los, ging rasch an die Tür und wartete auf der Schwelle.
Dieser Auszug aus dem Dorfe war in Lhassas Geist wie eine Reihe von Radierungen eingeprägt: die stillen, dunklen Häuser, der kalkfarbene Mond, der Eingeborene, der vor ihnen herschlich und Garon an ihrer Seite. Außerhalb der Palisaden schien es ihr, als ob sie in eine neue Welt eintrete; eine Welt, die von Schatten bewohnt war, die menschliche Formen annahmen und wieder verschwanden; eine Welt, die voller Leben war mit knackenden Zweigen, Geflüster der Blätter und sonderbaren, zarten Rufen von Vögeln und Insekten. Auf sie wirkte dieses gespenstische Schattenspiel und die Töne wie ein Teil einer Verschwörung, um sie zu quälen.
Feuchte Pflanzen streiften ihre Knöchel, und mehr als einmal blieb ihr langer Rock hängen und bekam einen Riß. Bei jedem Rascheln im Gras, jedem Blätterrauschen machte sie sich darauf gefaßt, etwas Glitscheriges um ihre Beine sich wickeln oder etwas Schlangenartiges von oben auf sich herabfallen zu fühlen. Der Schrecken der Nacht, die stärkste aller Ängste, brachte sie rasch in ihren Bann. Der Franzose wanderte neben ihr, ohne ein Wort zu sprechen. Sie wünschte verzweifelt, eine Menschenstimme zu hören, andere Töne als nur die der Waldgeschöpfe, aber sie begriff, daß Klugheit Schweigen gebot.
Auf einmal wurde sie gewahr, daß der Boden unter ihren Füßen nachgab und daß an die Stelle der Bäume Binsen und hohe Gräser traten. Ein schwüler Odem entströmte der Erde. Sie hätte sich am liebsten gegen das Durchschreiten des Sumpfes gesträubt, aber sie bemeisterte ihre Schwäche und biß zum Ausdruck ihrer Entschlossenheit die Zähne zusammen. Garon hielt sie nunmehr am Arm fest. Sein Griff gab ihr ein durchdringendes Gefühl von Sicherheit, dem sie sich völlig überließ.
Um sie herum spielten trübe Lichter von faulender Materie.
In ihrem Zustand abnormer Wachsamkeit sah sie in jedem Holzklotz ein gerüstetes Ungeheuer. Einmal, als ein Vogel aus seinem Nest flatterte, hätte sie beinahe laut aufgeschrien. Garon mußte das Beben ihres Körpers gefühlt haben, denn sein Griff wurde fester und inniger.
»Wie weit noch?« hauchte sie, mehr um ihre eigene Stimme zu hören als aus wirklicher Wißbegierde.
»Nicht mehr weit – eine Meile vielleicht.«
Es schien ihr, als ob sie um Jahrhunderte zurückversetzt sei. In ihren Gedanken, ihren elementaren Gefühlen von Furcht und Schrecken und in dem instinktiven Anschmiegen an den Mann an ihrer Seite war sie wieder auf das Niveau jener Lebewesen zurückgekommen, die in den silurischen Wäldern jagten und kämpften. Die zerfließenden Dämpfe verursachten ihr Übelkeit, so daß sie sich die Frage stellte, ob sie die Kraft zum Weitermarschieren haben werde. Die Müdigkeit überwältigte sie, sie sank auf die Knie; Garon hielt ihre Schultern fest umfaßt.
»Erschöpft,« flüsterte sie, »nur einen Moment Rast.« Sie sank in eine sitzende Stellung zusammen, ungeachtet des feuchten Bodens und lächelte müde zu ihm auf. »Zu dumm, so schwach zu sein, nicht wahr? Aber ich kann nichts dafür. Sie verstehen es?«
Ein kurzer Druck auf ihre Schultern war die Antwort.
Sie bemerkte, daß der Eingeborene sich dicht über das Sumpfgras gebeugt hatte; plötzlich richtete er sich steif auf und lauschte. Sofort sprach er einige Worte auf malayisch zu Garon.
»Was ist los, fragte sie und Angst vertrieb die Müdigkeit.
Das Mondlicht war so hell, daß es die Nacht in geisterhaft fahlen Tag verwandelte, sie konnte den Ausdruck von Unruhe an ihm sehen. Er zog aus der Tasche einen glitzernden Zylinder.
»Er sagt, daß jemand auf diesem Pfade geht.« Der Weg war durch die hohen Schilfrohre so verdeckt, daß auch ein großer Mensch nicht sichtbar werden konnte. Garon schlich seitwärts und sie folgte ihm; keine fünf Meter vom Pfade entfernt, ließ er sich auf die Hacken nieder und lauerte, während sie sich hinter ihm verkroch.
Nur schwach drangen unregelmäßige Fußtritte an ihr Ohr. Furchtsam lauschte sie, ihre Augen flimmerten vor Aufregung. Die Schritte kamen näher, in der Stille hörten sie sich wie Stampfen an. Dann tauchte plötzlich eine weiße Gestalt auf, die auf dem Pfad mehr dahergestolpert als geschritten kam. Ohne Anruf fuhr Garon in die Höhe. Die weiße Gestalt wandte sich rasch zu ihm herum.
»Nicht schießen,« rief Garon, »ich bin es, Tuan Muda!«
Ein kurzes hysterisches Lachen war die Antwort. Lhassa kannte dieses Lachen. Sie hatte es seit jener Nacht, wo sie sich in den Raum mit den zwei Porträts eingeschlichen hatte, nicht mehr vernommen.
Garon hatte den Pfad erreicht, sie eilte ihm nach, ihr Herz klopfte zum Zerspringen.
Conquest war ohne Rock. Eine Beule an der Stirn entstellte sein regelmäßiges Gesicht; sein Hemd war weit aufgerissen, ein großer Riß klaffte von der Schulter bis zur Hüfte und entblößte eine Haut, die im Mondlicht dunkel erschien und mit noch dunkleren Flecken bedeckt war. Mit einem Blick hatte sie diese Einzelheiten bemerkt; als sie herangekommen war, fiel er vornüber; aber er war nicht ohnmächtig, sondern richtete sich auf einem Arm auf und schaute sie mit weit aufgerissenen Augen an.
»Geglückt,« murmelte er, »Miß Camber ... weiß Gott ... bin froh, daß Sie gerettet sind.« Er hielt ein und schluckte; sein Atem ging stoßweise. »Teufel, verfluchter! Salazar, er ...« Wieder war er gezwungen einzuhalten und schmerzlich zu schlucken.
»Strengen Sie sich nicht an«, riet Garon. »Wo sind Sie verwundet?«
»Nichts Ernstliches«, wehrte der andere ab. »Muß Ihnen erzählen, was vorgefallen ist. Diese feigen Malayenhunde liefen davon, desertierten! Ich versuchte, sie zum Stehen zu bringen und da – da bekam ich dies hier« – er berührte seine entblößte Seite. »Als ich wieder zum Bewußtsein kam, machte ich mich zum Dorf auf, um –«
»Warum sind sie desertiert?« fiel der Franzose ein.
Conquest schüttelte es, und er schloß die Augen, wie um sich einem schrecklichen Anblick zu verschließen. Lhassas Augenmerk wurde vorübergehend von seinem Gesicht auf etwas Glänzendes in seiner Hand abgelenkt. Ein Dolch. Im Mondlicht konnte sie an der durchlöcherten Klinge den Trösterdolch erkennen, den er ihr im Malayenhaus gezeigt hatte.
»Schrecklich,« murmelte er, »schrecklich, alle miteinander.« Seine Augen öffneten sich wieder. »Wir trafen vor etwa vier bis fünf Stunden am Fort ein; jedenfalls dunkelte es schon. Grabesstille, kein Licht. Ich argwöhnte Verrat. Das Tor stand offen. Ich ging hinein, aber nur mit der Hälfte meiner Truppe.« Wieder ein Schaudern. »Großer Gott! Wir fanden sie alle ... siebenundzwanzig – über den Platz zerstreut daliegen ... Einige im Hause, die anderen außerhalb. Scheußlich! Entsetzlich.«
Seine Worte bargen nur Keime des Grauens für sie; sie war nicht erschüttert, weil sie nicht so schnell sich ein Bild von der furchtbaren Tragödie machen konnte. Hätte sie es mit eigenen Augen gesehen, hätte sie sofort das tiefste Grausen empfunden, so aber, nur beim Hörensagen, erschien es ihr zu unwirklich, um einen stärkeren Eindruck auf sie zu machen, als den eines drohenden Unheils.
Conquest fuhr fort:
»Sie müssen überrumpelt worden sein. In früher Morgenstunde, vielleicht zu der Zeit, wo die Dyaks angreifen, wissen Sie; daß es Dyaks waren, darüber ist kein Zweifel. Sie verstehen ... Grauenvoll. Meine Malayen ergriff Schrecken. Sie weigerten sich, zu bleiben. Ich redete auf die Burschen ein, drohte ihnen. Aber nein, sie waren zu feige. Sie seien zu wenig, sagten sie und würden alle getötet werden. Ich wollte meinen Willen mit Gewalt durchsetzen. Verrückt, selbstverständlich. Aber ich tat es; ein Wunder, daß ich nicht umgebracht wurde. Sobald ich wieder bei Bewußtsein war, machte ich mich auf, ins Dorf zu gehen. Ich wußte, Abu Hassan, der verdammte Mörder, hatte die Dyaks losgelassen. Ich ... aber wie kommen Sie hierher?« Garon gab in kurzen Zügen seine Abenteuer wieder von der Ankunft im Dorf bis zum Entkommen; Lhassa hörte seinen Bericht nur bruchstückweise. Conquests Erzählung ließ ihr keine Ruhe und ihr gräßlicher Eindruck verstärkte sich immer mehr. Ihre eigenen Schmerzen und Ängste erschienen ihr neben dieser krassen Brutalität armselig. Daß das Fort kein Schutz war, daß dort eine Falle war, machte ihr merkwürdigerweise keine angst; die Furcht um ihre persönliche Sicherheit verschwand unter dem rasch wachsenden Entsetzen vor dem Unsäglichen, das sich in Barabbasstadt ereignet hatte.
»Merken Sie es nicht?« rief Conquest aus. »Salazars Absicht ist, daß kein einziger sich mit ihm die Beute teilen soll; er weiß, daß der Sultan mit der Wiederherstellung seiner früheren Macht sich zufrieden geben würde. Der verfluchte Überläufer!« Er wandte seine Augen auf Lhassa. »Sie haben einmal gesagt, daß eines Tages mein Lumpenpack sich gegen mich wenden und mich beißen würde, erinnern Sie sich? Aber noch bin ich nicht erledigt, noch nicht!«
Er arbeitete sich mühsam wieder empor und schob Garons Hand beiseite, die ihn zum Liegenbleiben veranlassen wollte. Für Lhassa lag ein prächtiger Trotz in dieser Geste. Durch sie zeigte er sich erhaben über seine beschmutzte, zerrissene Kleidung und seine Wunde. Sie sah In blitzschnellem Erfassen den ungeheueren Fehlschlag seines Lebens. Ein unbarmherziges Geschick hatte schon vor seiner Geburt ihm die Liebe, die des Menschen Erbe ist, entrissen; und als er größer wurde, konnte er nur Ungerechtigkeit entdecken, und verbittert suchte er Trost darin, die Wirklichkeit durch Trugbilder zu ersetzen. Sie begriff die Verzweiflung, die ihn zu so einer aussichtslosen Laufbahn getrieben hatte. Nun sah er sich der Tragik gegenüber, daß er sogar die Surrogate, mit denen er sich Glück vorgetäuscht hatte, verlor; und trotzdem spottete er mit einer Geste des Schicksals, das ihn zu vernichten suchte.
»Ich habe einen Plan,« sagte er, »Sie, Tuan Muda, müssen mir Miß Camber aufs Fort bringen; das ist noch der sicherste Platz für sie.«
»Und Sie selbst?« fragte Garon.
»Eine Chance, die einzige Chance, daß ich zu Abu Hassan gehe!«
»Bedeutet soviel wie Tod«, war die Ansicht des Franzosen.
»Keine Zeit, es jetzt zu erklären. Aber ich werde Erfolg haben.«
»Sie werden erschlagen werden, bevor Sie zu ihm gelangen.«
Lhassa bebte. Erschlagen. Sie mußte ihn geschwind fragen, bevor er ihr wieder entkam; die Frage, die sie seit Tagen verfolgte. Nur eine Minute würde es in Anspruch nehmen.
»Nein,« erklärte Conquest, »ich werde allein ins Dorf gehen; sie werden mich gefangennehmen. Dann werde ich eine Unterredung mit dem Sultan verlangen. Man wird sie mir nicht abschlagen, denn noch bin ich Rajah von Kawaras. Sie werden nicht wagen, mich zu töten, ohne Befehl des Sultans, und wenn ich ihn zu sehen bekomme –«
»Ich werde Sie begleiten«, fiel Garon ein.
»Und Miß Camber allein lassen?«
Lhassa sprach: »Ich fürchte mich nicht.«
»Es handelt sich nicht um Mut«, erwiderte ihr Conquest, eine Hand auf seine Seite drückend; er schwankte etwas. »Es ist ein Teil meines Plans, daß Sie beide aufs Fort gehen. Ich ... Was war das?« Die Frage erfolgte wegen eines Raschelns im Sumpf. »Nur mein Eingeborener«, erklärte Garon. Conquest fuhr fort: »Sie, Tuan Muda, können beim Sultan nichts ausrichten. Aber ich wohl, meine Stellung verschafft mir Ansehen.«
»Sie sind zu schwach«, sagte Lhassa. »Aber bevor Sie gehen, muß ich Sie fragen.« »Daß Sie an mein Befinden denken,« unterbrach er sie mit seinem sonderbaren Lächeln, »wird mir die Kraft geben, die ich brauche. Es ist die einzige Chance. Wenn ich sie nicht ergreife – nun, so werden uns Abu Hassans Krieger verfolgen, wohin wir auch fliehen. Unsere Streitkräfte können nicht vor übermorgen hier eintreffen. Also gehen Sie ins Fort und warten Sie.« Er hielt ein, schwer atmend. »Sie werden hingehen, nicht wahr?«
Er richtete einen flehenden, beredten Blick auf sie, der die Bitte auszudrücken schien: »Das ist die herrliche Gelegenheit, von der ich geträumt habe. Wollen Sie mir sie nicht gönnen?«
Garon streckte ihm seine Pistole hin: »Nehmen Sie sie!«
Conquest zückte zur Antwort den Dolch. »Ich werde ihn nötig haben, bevor ich ins Dorf gelange«; er schnitt vor Schmerz eine Grimasse. »Gehen Sie. Wenn Sie sich aufhalten ... Horchen Sie!«
In der Stille, die seiner Aufforderung folgte, hörte Lhassa rasche gedämpfte Schritte auf dem Moorboden. Der Eingeborene wartete nicht länger, ein schwarzer rasch sich verkleinernder Schatten markierte seinen Rückzug durch das Schilf. Garon erhob seine Pistole, ließ sie aber wieder sinken.
»Verräterisches Schwein«, murmelte er. »Nun wird er wahrscheinlich zum Sultan gehen. Ich hätte ihn –«
»Es ist keine Zeit mehr zu verlieren«, warf Conquest ein. »Beeilen Sie sich!« Als er sich zum Gehen anschickte, lächelte er Lhassa zu, mit jenem ironisch-melancholischen Lächeln und wankte davon. Undeutlicher wurde seine sich entfernende Gestalt, immer unklarer, bis die Dunkelheit sie verschlungen hatte.
»Kommen Sie!« hörte sie Garons Stimme sagen; sie folgte ihm.
*
Gleich nachdem Conquest Lhassa und Garon verlassen hatte, wiederholte er im Geiste seinen Plan bis ins einzelne; als er sich dem Dorfe näherte, ging er ihn nochmals genau durch. Fieber brannte in seinem Gehirn und drohte seine Gedanken aufzuzehren; eine eisig wühlende Flamme glühte seine Seite aus. Seine Gamaschen drückten an den geschwollenen Beinen, aber er nahm sie nicht ab, er brauchte sie ... Sein Plan.
Er näherte sich dem Tor von der Flußseite her. Durch die Bäume, die ihn vom Strom trennten, sah er Lichter, wabernde Fackeln. Sie bewegten sich und waren augenscheinlich auf irgendeinem Fahrzeug, das stromaufwärts fuhr. Stromaufwärts! In Richtung auf die Plantage und das Fort! War das Entweichen so bald entdeckt worden? Eile! Boot, das zum Fort fährt; so wiederholte es sich fortwährend in seinem entzündeten Gehirn. Und im Fort war sie – Beim Gedanken an sie wurde sein ganzes Wesen von einem verzehrenden Verlangen erfaßt. Seine Leidenschaft war so heiß, daß seine Beine unter ihm nachgaben. Er strauchelte und griff nach einem Baumstumpf, an den er sich halb ohnmächtig anlehnte. Er mußte sie aus seinem Geiste entfernen – für immer. Sie gehörte in eine Sphäre, die unermeßlich höher als die seine war. Pi-noi, außer Reichweite. Es würgte ihn in der Kehle. Er spürte böse Mächte, die wie ein schwarzer Taifun immer größer wurden, ihn zu Boden streckten und sein ganzes Ich vernichteten. Ohnmächtige Wut schüttelte ihn. Er ging weiter.
Nunmehr konnte er die Palisadenfront ungehindert überblicken. Am Tor waren Gestalten, Krieger und Fackeln. Über den Palisaden loderte rötlicher Feuerschein, der Widerschein eines brennenden Holzstoßes im Inneren des Dorfes. Ohne Zweifel, sagte er sich, hatte man ihr Entweichen gemerkt. Abu Hassans Leute würden den Dschungel bald durchsuchen. Er mußte sich beeilen. Er machte halt, lockerte seine Gamaschen einen Augenblick und schnürte sie dann wieder fest.
Wie ein Gespenst aus dem schwarzen Wald mußte er den Kriegern erschienen sein, als er in den Lichtkreis ihrer Fackeln kam. Sie starrten ihn nur an und wagten nicht, ihn anzurühren. Noch einmal überfiel ihn eine solche Schwäche, daß er auf den Boden sank und nahe daran war, sein Bewußtsein zu verlieren; aber mit einer letzten, verzweifelten Willensanstrengung riß er sich zusammen; die Malayen halfen ihm wieder auf die Beine.
»Kennt ihr mich nicht«, schrie er sie auf Malayisch an. »Ich bin der Tuan-Rajah. Laßt mich los!« Dann fiel er in Englisch: »Laßt mich gehen, sage ich – laßt ...!«
Mit einem Ruck machte er sich frei und stolperte durch das Tor. Die Eingeborenen umringten ihn; es schwindelte ihn noch immer etwas, und als er sich taumelnd um sich drehte, packten ihn Hände; er wehrte sich nicht dagegen.
»Bringt mich zum Sultan!« forderte er mit schwerer Zunge.
Er wurde halb getragen, halb geschleppt zwischen Reihen von Männern und Weibern hindurch. Er sah den freien Platz und den Palast, sah federngeschmückte Schilde und die Fetische an den Speeren und Schwertern. Dunkle feindselige und neugierige Gesichter, die tätowiert und durch häßliche Malereien noch entstellter waren, schienen wie eine Kette aus Münzen zusammengeschweißt. Trotz höllischer Schmerzen bewahrte sein Antlitz seine eingewurzelte Würde, er schüttelte die Hände ab, die ihn hielten, und taumelte allein weiter. Auf dem freien Platz inmitten von Feuer und Rauch und von Kohle gefärbten Gestalten sah er sich einem Manne mit mächtigen Muskeln gegenüber, in dem er Nakoda Mubin, den Datu Tumanggong erkannte ... »nicht so bald erwartet, Tuan Rajah«, hörte er den Malayen sagen. Er lachte; es klang häßlich und grausam. Er bekam wieder die Herrschaft über Geist und Körper und schwankte nur noch leicht.
»Euer Stamm wird diese Nacht bereuen, o Datu«, sagte er zu Nakoda Mubin. »Erinnerst du dich des großen, grauen Schiffes, das nach Sadok kam und viel gewaltigere Kanonen hatte als die armseligen Sechspfünder des Sultans?«
Die mächtigen Schultern des Oberbefehlshabers hoben sich bedeutsam.
»Was habe ich getan? Bin ich der Sultan?« Er fügte hinzu: »Es gibt Ungerechtigkeiten, Tuan Rajah, die mit dem Parang gesühnt werden müssen.«
»Nein, nicht mit Blut. Und du glaubst das nicht, Nakoda Mubin!«
Wieder hob dieser die muskelstrotzenden Schultern und wiederholte:
»Bin ich der Sultan?«
»Bring' mich zu Abu Hassan«, befahl der weiße Mann.
»Ich muß erst nachfragen, ob mein Vetter dich empfangen kann, Tuan Rajah. Er hatte sich zur Ruhe begeben, aber als man ihm meldete –«
»Ja, ich weiß,« unterbrach ihn Conquest, »ich bin gekommen, um über sie zu sprechen, o Datu.« Er zog sein zerrissenes Hemd weit auseinander. »Ich bin verwundet, Nakoda Mubin, und wenn es noch lange dauert, wird meine Kraft dahin sein; dann werde ich nicht mehr imstande sein, zu sprechen. Und ich weiß, wo Tuan Muda und die weiße Frau sind. Sag' das deinem Vetter, aber schnell!« Er stand da, eine einsame weiße Gestalt inmitten brauner Menschen, während ein Krieger mit der Botschaft in den Palast eilte. Wieder verschmolzen vor seinen Augen die Gesichter zu einer Kette. In seinem fiebrigen Kopf bekamen sie eine wilde Bedeutung, es waren die Gesichter dunkler Rassen, gelber, brauner und schwarzer, die zu einer Barriere aus Fleisch und Knochen zusammengefügt waren und ihn wie ein drohender Wall umgaben und gefangenhielten. Der ganze Hochmut seines Blutes wurde durch diese Drohung der Farbigen herausgefordert. Es schien ihm, mit einem Male, als ob er den Ritterschlag empfangen habe mit dem Geheiß, seine Rasse zu vertreten. Panzerhemd und Rüstung, ein rotes Kreuz auf der Brust! Und um ihn eine wogende Flut von Farben!
Der Bote kam, den Wall der Gesichter durchbrechend, zurück. Der Datu Tumanggong nickte und hob seinen Arm. Die Menge trat zurück, und Conquest schritt durch die Gasse, die sich so öffnete; der Oberbefehlshaber folgte ihm. Er versuchte an den gekerbten Pfählen, die zum Palast führten, hinaufzuklettern, fiel aber erschöpft zu Boden. Etwas Warmes floß über seine linke Hüfte. Zwei Krieger trugen ihn zur Galerie hinauf und stellten ihn auf seine Füße. Hände glitten rasch über seinen Leib, nach einer Waffe fühlend; er lächelte grimmig dazu. Von Wächtern in die Mitte genommen, ging er in den Palast.
Die große Empfangshalle war trübe beleuchtet. Die Fackeln strömten einen harzigen Geruch aus, der sich unangenehm mit menschlicher Ausdünstung und dem Gestank der Abwässer unter dem Boden mischte. Diener standen längs der Wände; mit Gewehren bewaffnete Leibgardisten und malayische Häuptlinge und Edle. Am andern Ende saß auf Seidenstoffen und Kissen der Sultan. Auf jeder Seite von ihm hingen von der Decke herab zwei mächtige »Tawaks« oder Gongs. Schweigen erfüllte den Raum. Conquest bewegte sich langsam, von Schmerz gepeinigt, durch die feindlichen Reihen; sein Blick war fest auf Abu Hassan gerichtet. Er mußte eine noch größere Schwäche heucheln, sagte er zu sich selbst. Als er daher bis in die Mitte der Halle gelangt war, gaben seine Knie nach, und er fiel hin. Er machte keinen Versuch, ohne Hilfe aufzustehen, sondern blieb liegen, bis er von zwei Kriegern wie ein Sack in die Höhe gerichtet wurde.
»Salaamat pagi!« stöhnte er zum Sultan hin.
Abu Hassan saß wie ein bronzenes Götzenbild auf seinem Thron, ein grausames Lächeln belebte sein sonst ausdrucksloses Gesicht; seine eine Hand spielte mit einem goldenen Schmuckstück an seinem Hals, die andere fingerte an einem Schwert in Holzscheide herum, das an seinem geflochtenen Gürtel hing; die Gongs zu seinen beiden Seiten fingen das Licht der Fackeln auf und glänzten wie die Augen von Ungeheuern. Ein plötzlicher Haß schoß in Conquest auf, nicht gegen Abu Hassan als Einzelwesen, sondern gegen das, was er symbolisierte. Er schien das lebendige Hauptglied, das die Kette der Gesichter zusammenhielt, das eitrige Mark, aus dem sie den Keim der Rebellion bezogen hatten. Zerreiß die Kette, verstopfe die Quelle! Dieser Gedanke flackerte flammenheiß in seinem Gehirn.
Der Sultan erwiderte seinen Gruß nicht, sondern fragte nur:
»Warum bist du gekommen, o Rajah der Orang-Putih?« Und ohne die Antwort abzuwarten, fuhr er weiter: »Wenn es Gnade ist, die du suchst –«
»Nicht Gnade,« fiel Conquest ein, »sondern eine Verständigung.«
»Das kann es nicht geben.«
»Auch dann nicht, wenn ich dir sage, wohin Tuan Muda und die weiße Frau geflohen sind?«
Das grausame Lächeln blieb auf Abu Hassans Miene haften.
»Selbst dann nicht, wenn du sie verrätst – denn ich weiß, wo sie sind. Meine Leute haben sie den Pfad entlang verfolgt, und der Tuan-Besar fährt mit vielen Kriegern den Fluß hinauf. Sie sind umzingelt wie Fasanen in der Falle.«
Conquest erinnerte sich der Fackeln, die er auf dem Fluß gesehen, und seine Hoffnungslosigkeit wuchs. Verzweifelt suchte er das Feuer in seinem Gehirn zu löschen und klar zu denken; aber seine Gedanken schienen ihm in Rauch gehüllt. Er stieß die Männer, die ihn stützten, zurück und stand allein da.
»Warum tust du dies, o Abu Hassan?« fragte er in entschiedenem Ton, »was verlangst du?«
Der Sultan fingerte noch an seinem Schwert herum. »Blut«, war die grimmige Antwort.
Conquests Blick glitt durch die Halle und die vielen Gesichter.
»Fordern deine Edlen, daß die angeblichen Ungerechtigkeiten mit Blut gesühnt werden?«
Er machte eine Armbewegung, die ihm einen reißenden Schmerz verursachte. Unwillkürlich griff er nach seiner Seite, sie war warm und feucht, und er wischte seine Hand an dem Hemd ab. Eine Sekunde später kam ihm die Bedeutung des Blutflecks in den Sinn: ein rotes Kreuz auf seiner Brust! »Fordern sie es?« wiederholte er mit ansteigendem Ton, »oder ist es selbstsüchtiger Gewinn, nach dem du strebst?«
»Ich bin Sultan von Kawaras«, antwortete Abu Hassan, das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. »Mein Wort allein gilt. Deine Herrschaft muß vernichtet werden, zermalmt wie Reismehl.«
»Aber«, entgegnete Conquest, »du hast meine Leute auf der Plantage ermordet, genügt dir das nicht?«
»Deine Herrschaft muß vernichtet werden – vollständig«, sagte der Sultan abermals.
Conquest wurde ungeduldig; dieses Unterhandeln war zu langwierig. Salazar näherte sich auf dem Fluß, die Krieger zu Lande dem Fort. Erbarmungsloses Schicksal verfolgte ihn und drohte ihn zu zertreten, nicht bloß ihn, sondern auch sie! Er ging auf die Entscheidung los.
»Trotz allem, was du sagst,« begann er, »gibt es einen Kompromiß. Willst du ihn hören?«
Abu Hassan machte eine unwillige Handbewegung. »Feuer verzehrt die Luft, Worte die Zeit. Aber sprich!«
Conquest zitterte fast. Eine neue Hoffnung vermehrte die Aufregung, die jeden Nerv in ihm überspannte. Dies war die große Probe!
»Ist es passend, o Sultan,« fragte er, »daß wir in Gegenwart deines Hofes verhandeln. Schick' sie hinaus, und ich werde sprechen.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Hast du das Gold vergessen, das du einmal in meinem Geldschrank in Sadok gesehen hast? Übrigens« – bedeutsam – »es befindet sich nicht mehr dort ... Willst du mit mir allein verhandeln?«
Ein unergründlicher Ausdruck schlich sich in die Augen des Sultans. Aber er sprach nicht gleich.
»Hast du Angst, mächtiger Herrscher?« höhnte der Weiße, »ich bin verwundet und waffenlos. Auf jeden Fall kannst du zur Vorsicht den Datu Tumanggong und seine Leute anweisen, vor der Tür zu warten.«
Der unergründliche Ausdruck in Abu Hassans schmalen Augen verdichtete sich zu einem Schimmer. Zerstreut griff er nach dem Heft des Schwertes und wurde sich anscheinend plötzlich der Waffe bewußt. Das grausame Lächeln war wieder erschienen.
»Ich will mit dir allein sprechen, o Rajah von den Orang-Putih«, gab er seinen Entschluß kund.
Conquest fühlte seine Furcht an einem prickelnden Gefühl im Rückgrat. Er wußte, warum Abu Hassan ihm die Unterredung unter vier Augen gewährt hatte; er verstand sein Lächeln ...
Der Sultan sprach zu seinen Edlen, dann zu dem Datu Tumanggong. Die steifen Reihen an den Wänden lösten sich auf. Conquest fühlte wilde Freude. Der erste Teil war geglückt. Nun ging der Kampf vor allem um die Zeit. Sein Blick folgte den abziehenden Edlen nach. Warum waren sie so langsam? Sie schienen zu kriechen. Und sie war auf dem Wege zum Fort, wenn nicht schon dort, ohne Ahnung, daß ... Der Schmerz krallte sich in seine Seite und schnitt ihm bis ins Herz.
Bald würde er das Lebenszentrum erreichen und ... eine plötzliche Revolte gegen das völlige Erlöschen seiner Person bäumte sich in ihm auf. Nein, nicht das Ende! Menschheit ... nicht ein unglaubliches Gewächs auf einem schmutzigen und verrotteten Planeten ... Nein. Es mußte hinter der physischen Außenwelt noch eine Macht geben, so versicherte er verzweifelt sich selbst. Diese Macht, ein erhabener Impuls, hatte ihn hierher gebracht – um ihretwillen – Reiß dich zusammen! Keine Selbstbetrachtungen mehr. Die Tür hatte sich geschlossen, und er war mit Abu Hassan allein.
»Sprich!« befahl der Sultan.
Sein Gesicht war so unbewegt, daß Conquest die absonderliche Illusion hatte, es würde zerbrechen wie ein Götzenbild aus Gips, wenn er darauf schlagen würde. Unverschämter Teufel! dachte er. Keine Zeit zu verlieren, der Tanz mußte beginnen.
»Abu Hassan,« begann er krampfhaft atmend, »hast du es dir wohl überlegt? Hast du das große Kriegsschiff vergessen, das einmal nach Sadok kam? Es gibt noch hundert andere solche.« – Er schwankte unsicher. – »Und wenn nötig, werden alle hierher geschickt werden, um deinen Aufstand niederzuschlagen. Du bist ein kluger Mann; du solltest das bedenken.«
Das Antlitz des Sultans zeigte Ungeduld.
»Willst du mir drohen, o Rajah der weißen Menschen?«
Conquest machte einen neuen Schritt, hielt an, seine Züge waren verzerrt.
»Mein Bein,« stöhnte er, »ich glaube, die Sehnen sind zerrissen«, dann fügte er hinzu: »Keine Drohungen, Abu Hassan, nur Tatsachen.«
»Tatsachen?« wiederholte der Malaye. »Ich kenne auch Tatsachen. Es gibt noch andere Sultane, andere Rajahs und Edle, die dieselbe Schmach erdulden mußten wie ich. Glaubst du nicht auch, daß ihre Sympathien auf meiner Seite sein werden? Sie könnten vielleicht mehr tun als das hai–yo! Ich weiß so manche Tatsachen. Die getöteten Männer waren Sträflinge, denen du eine Zuflucht geboten hast, und in deinem Palast gibt es Dinge, die nicht dorthin gehören. Der Tuan-Besar hat es mir erzählt. Wenn weiße Rajahs, die noch mächtiger sind als du, mit ihren Kriegsbooten und ihren großen Kanonen kommen, werde ich ihnen all dies erzählen. Werden sie mich bestrafen, weil ich Verbrecher umgebracht habe? Ich bin kein Narr, o Rajah der Weißen, ich habe alles wohl überlegt.«
Unverschämter Nigger, dachte Conquest, und gerissen und energisch dazu. Nun, er selbst war ebenso raffiniert und mindestens so energisch. Er machte wieder einen Schritt. Er griff nach seinem Knie und stürzte. Er schloß seine Augen, als ob er furchtbare Schmerzen habe. Aber er beobachtete den Sultan unter gesenkten Lidern hervor. Letzterer rührte sich nicht; nur seine Hände bewegten sich. Die eine schloß sich um das Heft des Schwertes, während die andere fortfuhr, mit dem goldenen Schmuck zu spielen.
»Ich habe diese Unterredung nicht gewährt, um sie mit Drohungen zuzubringen. Du hast da etwas von Gold gesagt, das du verborgen hast?«
Conquest öffnete seine Augen weit.
»Gold?« Er tat geistesverwirrt. »Oh, das Gold ... mein Bein ..., ja, das Gold, ich erinnere mich. Mein – Gehirn scheint mir umnebelt zu sein. Vielleicht der Schmerz ...« Er erhob sich nicht, sondern krümmte sich am Boden, nach seinem Bein tastend.
»Ja, das Gold,« fuhr er fort, »das willst du gern haben.« Er lachte. »Ich will dir sagen, wo es ist, für ... für eine Gegenleistung ...« Der Satz endete in einem Stöhnen.
»Was für eine Gegenleistung?« fragte Abu Hassan, dessen Stirn sich verfinsterte. Conquest unterdrückte ein Lächeln. Der Dummkopf. Er hatte in die Falle gesehen und den Köder bemerkt.
»Wenn du dich bereit erklärst, die weiße Frau nicht zu belästigen,« fuhr er fort, »werde ich dir sagen ... Ach, der Schmerz ..., sagen, wo das Gold ist.«
Der Sultan hörte auf, an dem goldenen Schmuckstück herumzufingern, so daß es nun schimmernd an seiner Brust herabhing. Conquest beobachtete es, gebannt durch den Gedanken, der ihm dabei kam.
»Ich habe nichts mit der Frau zu tun,« gab Abu Hassan zurück, »sie gehört dem Tuan-Besar.«
»Aber versichere«, Conquest versuchte sich aufzurichten, aber er fiel wieder zurück. »Ich – – ich werde immer schwächer«, keuchte er, auf Abu Hassan zukriechend. »Gib mir dein Versprechen, sie – – sie nach Sadok zurückzusenden, und ich will dir verraten, wo es ist.«
Er schleppte sich zu dem Rande des Throns und fiel wie ein Häufchen Unglück zu des Sultans Füßen nieder. Schwer atmend ließ er seine rechte Hand unter seine Gamasche gleiten. Abu Hassan blickte mit wilder Freude auf ihn nieder. Affe, dachte Conquest. Aber er flehte: »Du siehst, wie ich leide. Dein Versprechen ... gib sie frei ...«
Des Sultans Schwert blitzte aus seiner Scheide. Er erhob sich nicht, sondern blieb sitzen, die Klinge in der Schwebe haltend.
»Ich werde dich spalten wie eine Mangopflaume, wenn du es mir jetzt nicht sagst.« Conquest erhob sich auf seine Knie, das gezückte Schwert ins Auge fassend. Seine Hand war noch unter der Gamasche. Heftige Schmerzen drückten ihren Stempel auf sein Gesicht. Das Blut stieg ihm heiß zu Kopfe. Das Ziel seines Blickes war das Schmuckstück.
»Wenn du versprichst, sie freizugeben«, beharrte er leise.
»Nein.«
Conquest sah Blut vor den Augen. Durch den roten Nebel blitzte eine Klinge. Er war sich halb bewußt, daß er den Dolch aus der Gamasche herausgerissen, und daß er mit seiner ganzen Kraft zugestoßen hatte. Der dumpfe Fall des Körpers. Ein Röcheln. Das erhobene Schwert des Malayen fiel geräuschlos auf die Kissen, aber nicht geräuschloser als der Sultan selbst. Conquest, von dem heftigen Stoß nach vorn gerissen, fiel taumelnd auf ihn. Das alles vollzog sich in rasender Schnelligkeit, in wenigen Sekunden. Als er aufstand, lachte er hysterisch, seinen Blick auf den Dolchgriff heftend, der über dem Schmuckstück auf Abu Hassans Brust herausragte.
»Was?« stieß er laut zwischen erstickten Atemzügen aus, »du wirst sie freigeben? Und Tuan Muda auch? Du schwörst bei Allah? Also gut« – er schritt nach der Tür, »das Gold ist in einem geheimen Schrank in meinem Haus.« Er packte den Körper unter den Armen und schleppte ihn auf die Rückseite des Throns. »In dem Raum, den ich das Damaskus-Zimmer nenne. Du wirst ihn an den Waffen an den Wänden erkennen« – er bedeckte den Sultan mit Kissen und Seidentüchern. »Viele Parangs und Dolchmesser. Der Schrank ist hinter einem Kayanschild. Der Schlüssel liegt in meinem Schreibtisch, er ist gelblich, die andern sind grau. Jetzt«, er sank in momentaner Erschöpfung zusammen – »jetzt laß sie holen – rasch – bevor der Tuan-Besar das Fort erreicht. Du wirst? Was? der Datu Tumanggong? Ich werde ihn rufen.«
Er nahm seine ganze Stärke zusammen und taumelte weg. Würde es ihm jetzt noch mißlingen? Nach diesem? Der Schrecken vor dem, was er getan, schmerzte sein Gehirn. Er war an der Tür angelangt und öffnete sie halb, indem er sich so stellte, daß er die Sicht in den Raum versperrte. Wie er erwartete, stand der Datu Tumanggong auf der Schwelle, seine Krieger hinter ihm. Der Oberbefehlshaber trat, ohne daß Conquest ein Wort sagte, ein. Dieser schloß die Tür und lehnte sich gegen sie. Nakoda Mubin hielt nach einigen Schritten an und schaute umher.
Conquest wollte zu ihm gehen, aber bei seinem ersten Schritt wandte sich der Malaye um und zog seinen Parang.
Der Weiße sprach halblaut mit einem bedeutungsvollen Ausdruck:
»Ich begrüße dich, Nakoda Mubin – Sultan von Kawaras!«
Der Datu Tumanggong starrte ihn blöde an. »Wo?« Er sprach nicht weiter, da ihm ein schwaches Licht aufging. Er ließ seinen Blick wieder durch den Raum wandern und sein Auge blieb einen Augenblick auf dem Thron haften, dann wandte er sich wieder zu Conquest. »Du hast –« Wieder fand er keine Worte. Er machte eine drohende Bewegung gegen ihn, drehte sich dann aber wieder schwerfällig herum und eilte zu dem Hügel von Seidentüchern und Kissen. Conquest taumelte hinter ihm her und warf sich auf den Thron.
»Warte,« flüsterte er, »gib acht, was du« – Der Oberbefehlshaber schnaubte, seine muskulöse Brust hob und senkte sich vor Aufregung.
»Du hast ...?«
»Ja ...« er stoppte. Eine gefährliche Schlaffheit kam über ihn. Aber er durfte nicht erlahmen, noch nicht. »Sein Tod ist die Gelegenheit für dein Glück. Du hast die Kriegsmacht hinter dir. Du hast ihn nicht getötet. Du ...« Er fiel auf die Kissen zurück, hilflos dreinblickend. »Du kannst mich umbringen«, fuhr er fort, die Luft einziehend, denn seine Lungen schienen ausgetrocknet und heiß wie Sand. »Aber wenn du es tust, wirst du niemals Sultan sein. Willst du zuhören, willst du meinen Plan wissen?«
Nakoda Mubin ließ seine Finger langsam über die Schneide seines Schwertes gleiten. Ein Schimmer war in seine Augen getreten, ein gieriger Schimmer. Sein asthmatischer Atem rasselte in der Stille.
»Ich habe nicht die Macht, dich auf dies hin zu retten, o Tuan Rajah«, sagte er nach einer Weile.
»Sprich leiser«, befahl Conquest. »Es handelt sich nicht um meine Person, die ich retten will, sondern um die weiße Frau und Tuan Muda. Meine Leute fahren jetzt den Fluß herauf; sie werden übermorgen spätestens hier eintreffen. Wenn sie Mißerfolg haben, dann gibt es andere, du weißt es, nicht von meiner Streitmacht, sondern vom Heer meiner Regierung, die kommen und mit euch abrechnen werden. Was sind eure Schwerter und Speere, eure paar alten Gewehre gegen ihre Kanonen?« Er stützte sich auf den Ellbogen mit fieberglänzenden Augen. »Mach deinen Leuten die Aussichtslosigkeit eines Widerstandes gegen eine Macht von der Größe des Britischen Rajah klar. Ruf deine Krieger aus dem Hinterhalt zurück. Nimm die weiße Frau und Tuan Muda unter deinen Schutz. Sende – –«
Seine Stimme brach. Er sank wieder auf die Kissen nieder, richtete sich aber sofort wieder auf. Nakoda Mubin ließ immer noch nachdenklich seine Finger über die Schneide des Parang gleiten, der Schimmer in seinem Auge war zu einem Glühen geworden und sein Atem ging rascher im gleichen Takt mit der ansteigenden Heftigkeit seiner Erregung.
»Tu, wie ich dir sage, Nakoda Mubin«, fing Conquest wieder an. »Schicke deine Krieger unverzüglich nach dem Fort, um die weiße Frau zu retten und die Ermordung Tuan Mudas zu verhindern! Salazar der Tuan-besar ... Ich fürchte ...« Sein Mund war voll Speichel, er dachte wenigstens, es sei Speichel, bis es von seinen Lippen herabtröpfelte. »Morgen oder wann immer meine Leute ankommen, laß sie unbehelligt in das Dorf herein. Wenn es dann irgendeine Störung gibt, werden sie ...
Deine Leute werden nicht bestraft werden, nur die Dyaks, die auf dem Fort Köpfe geholt haben. Ich verspreche dir, daß niemand aus der direkten Linie von Abu Hassan Abdulla Boru sein Thronfolger werden soll ... oh, wie heiße Nadeln! Für das, was Salazar getan, wird er für vogelfrei erklärt werden ... Schnell! Sag', daß du einverstanden bist! Wenn wir warten ... Salazar.«
Er sank wieder auf die Kissen mit fliegendem Puls.
Verdammt der Tumult! Tausende von Hufen. Die Reiter des Schicksals, sie ritten ihn nieder. Geklapper, immer schneller, der Schlag der eisenbeschuhten Hufe. Aber Nakoda Mubin, einen Augenblick lang hatte er die Anwesenheit des Malayen vergessen. Er fuhr zusammen.
»Du willst?« fragte er mit einer Stimme, die nur noch wie ein Schatten von seinen Lippen kam. »Du wirst sie entsenden?«
Der Datu Tumanggong befühlte nicht mehr die Schneide seines Schwertes. Mit einemmal stieß er die Klinge in die Scheide.
»Das Volk wird Sühne für Abu Hassans Tod fordern, o Tuan Rajah«, äußerte er.
Conquest brachte es irgendwie fertig, sich in sitzende Stellung zu bringen. Die Hufe schlugen noch in seine Ohren. Reiter ... eisenbeschuht. Reiter des Schicksals!
»Du meinst ...?« fragte er, seine Stimme ging ihm verloren, in dem Lärm, der seine Ohren füllte. Er konnte die Erwiderung des Datu Tumanggong nicht vernehmen, aber er las ihm die Worte von den Lippen ab. Er lachte halbverrückt.
»Ich bin einverstanden. Aber vor allem – ruf deine Leute zurück – sende ...«
Schwach, wie auf einem staubigen Spiegel, sah er Datu Tumanggong sein Schwert ziehen und auf einen der Gongs zugehen.
Bong! Bong!
Auf eine kurze Weile wurde das Stampfen der heranstürmenden Pferde von dem schwingenden Ton des Gongs verschlungen. Wieder lachte Conquest oder seufzte vielleicht nur. Er wußte es nicht. Er kroch zum seidenen Hügel. Der Tröster war dort. Er wollte sühnen – sühnen, aber er mußte sich beeilen, denn die Reiter, die hinter ihm waren, holten ihn ein.
Wieder schlug der Stahl auf Messing. Er hatte Sühne gelobt. Auge um Auge. Aber er wollte es auf seine eigene Weise machen. – – Durchlöchert ... hatte ihn in Smyrna bekommen ... seine Hand ergriff das Heft ... umschloß es ... und riß ihn mit einem Ruck heraus. Er wollte sie alle besiegen, selbst das Schicksal. – – – Jetzt hatte er den Dolch, holte aus ... Im nächsten Augenblick stürmten die Reiter über ihn hinweg, über das rote Kreuz auf seiner Brust und über sein Hirn und zerstampften das letzte Aufblitzen seines Bewußtseins.
*
Als Lhassa und Garon das Fort zu Gesicht bekamen, hing der Mond über den zackigen Palisaden und einer der Wachttürme ragte in düsteren Umrissen darüber. Darunter zeichneten sich die Blätter der Palmen schwarz gegen den Himmel.
Es war wie ein Bild aus einer Silhouettenmappe. Als sie sich näherten, sprach der Mann zum erstenmal, seit sie sich im Moor von Stephen Conquest getrennt hatten.
»Sie müssen am Tor warten, bis ich einen Blick ins Innere getan habe.«
Sie verstand und schauderte.
»Ich möchte lieber mit Ihnen gehen. Nichts ist schrecklicher als allein warten.«
Sie setzten den Weg zum Tor schweigend fort.
Das Fort, ein viereckiger, palisadenumsäumter Bau, mit Wachttürmen an jeder Ecke, lag so hoch, daß man den Fluß überblicken konnte. Das Buschwerk war auf zwanzig Meter im Umkreis entfernt worden. Aber dahinter waren dichte Gruppen von Sagopalmen, die das Fort, mit Ausnahme der Flußseite, vollständig abschlossen. Die Stimmung, die über dem Ganzen lag, war durch das lastende Schweigen unheimlich. Es war nicht die Stille, die Schlimmes prophezeit, sondern die Ruhe, die einer Tragödie zu folgen pflegt. Und die Furcht, die sie einflößte, war nicht Angst vor irgend etwas Lebendem, sondern das Grauen des Todes.
Das Tor stand offen; als sie eintraten, griff Lhassa impulsiv nach Garons Arm; sie fühlte, wie seine Muskeln sich spannten. Der Palisadenwall war sehr ausgedehnt und umschloß viele Blockhäuser. Einige waren klein, anscheinend Wohnhäuser, andere schienen der Größe nach Warenlager. Die Eingänge waren schwarz, wie die Öffnungen von Gräbern. Über allem hing der Geruch des Sago. Barabbasstadt; Dorf der Diebe, unwillkürlich änderte sie es um in Barabbasstadt – – Dorf der Toten ...
Unbegreiflich, wie solch ein Grausen in dieser warmen, atemlosen Nacht sein konnte. Sie stand still. Ihre Glieder wurden schwer wie Blei.
»Warum gehen wir nicht dort hinauf,« fragte sie, auf den nächsten Wachtturm deutend. »Von dort können wir den Fluß übersehen.« Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern und hörte sich an, als käme sie von irgendwoher, nur nicht von ihren Lippen.
Garon nickte. Am Eingang hielt er sie zurück.
»Warten Sie, ich will zuerst allein hinaufgehen.« Dieses Mal willigte sie ein und einen Augenblick später hörte sie ihn eine Treppe emporsteigen und dann in dem Wachtturm herumgehen. Sie war froh, als sie Garon wieder herunterkommen hörte.
»Jetzt können Sie auch nach oben kommen.« Viele Fragen lagen ihr auf der Zunge, aber sie folgte ihm, der Raum war fensterlos. Sie wußte, daß er eine Taschenlampe bei sich hatte und wunderte sich ein wenig, warum er sie nicht benutzte. Statt Licht zu machen, nahm er ihren Arm und führte sie durch das Dunkel. Sie stiegen zu einem Raum hinauf, der von dem durch ein Gitterfenster eindringenden Mondlicht schwach beleuchtet war. Sie konnte einen Stuhl und einen dunklen Fleck an der Wand erkennen und setzte sich. Mit der Entspannung ihrer Nerven übermannte sie die solange zurückgedämmte Müdigkeit. Sie fühlte sich plötzlich uralt. Garon, der im Mondlicht stand, das infolge des Gitterfensters schachbrettartige Schatten warf, sah aus wie ein Harlekin in Schwarz und Weiß. Ohne zu wollen, mußte sie lachen; der Laut schien die Stille zu entweihen.
»Mir ist, als wären wir zwei Geister, die am Ende der Welt schweben«, sagte sie. Sie blickte durch das Gitterwerk auf den Landungssteg und den Fluß.
»Wir werden es sein,« fing sie gleich darauf wieder an, »wenn Conquest kein Glück hat. Nicht wahr?« Garon nickte und sagte:
»Ich werde das Tor schließen.«
»Nein,« wandte sie ein, »wenn sie kommen, wird dann eine Tür sie aufhalten? Einige Minuten vielleicht, aber ich bin froh, wenn es bald überstanden ist. Ein anderer, vielleicht törichter Grund ist, daß ich es nicht aushalten kann, hier drinnen –« sie machte eine das ganze Fort umfassende Handbewegung – »mit – mit ihnen eingeschlossen zu sein. Zu dumm, nicht wahr? Aber, ich glaube, sonst ersticke ich hier, der Tod scheint mich zu – – aber ich kann es nicht erklären – – ich fühlte es schon einmal, in jener Nacht, in Dr. Garth's Studierzimmer – –« Sie hielt ein, da ihr bewußt wurde, welchen Punkt sie berührt hatte.
»Es ist nicht gut, Dinge zu verheimlichen«, fuhr sie rasch fort. »Ich habe mich bis jetzt beherrscht, aber nun kann ich nicht mehr. Wie ich dies Fragen hasse! Sie werden mir jetzt antworten, nicht wahr, Garon?« Es war das erste Mal, daß sie ihn so nannte, und der Name klang seltsam aus ihrem Munde. »Sie werden antworten, ja?« flehte sie. Garons Hand zuckte in seiner ungeduldigen, ausdrucksvollen Art.
»Fragen,« erwiderte er bitter, »auch ich hasse sie. Ihre ersten Worte an mich waren schon Fragen. Großer Gott, sie verfolgen mich wie eine Meute.«
Sich kurz umwendend, schritt er einmal im Raum auf und ab. Sie sah ihn fast teilnahmslos an. Ihr Empfindungsvermögen war durch die brutale Gewalt der letzten Erlebnisse so erschöpft, daß sie nun unfähig war, zu reagieren.
Furcht, Mitleid, Abscheu, alles war ausgelöscht durch die tiefe Ruhe, die sich auf sie gesenkt hatte. Aber eben diese Ruhe, die sie wie ein Wall umfriedete, schien sie gefangen zu halten und dadurch ihre schon ermatteten Gefühle zu ersticken.
»Warum haben Sie Angst vor Fragen«, forschte sie. »Ja, Fragen! Mich haben sie auch verfolgt. Dr. Garth, Barthélemy, »der schwarze Papagei«, der Eingeborene, der an meine Veranda kam ... Sie seufzte und schaute von neuem auf den Fluß.
»Was wurde denn aus dem Ostindier? Warum war er dort in jener Nacht? Warum hat er an das Gitter gekratzt?«
»Warum?« wiederholte er fast wütend, »er kam, um Ihnen etwas zu sagen, das Sie damals noch nicht erfahren durften. Ich kam gerade dazu ...«
»Wo haben Sie ihn hingeschickt«, fiel sie ihm ins Wort. Er preßte seine Hände so fest zusammen, daß sie die Adern dunkel hervortreten sah.
»Nach Sarawak« entgegnete er hochmütig. Eine innere Eingebung ließ sie die Wahrheit vermuten. Aber sie ließ ihm keine Ruhe.
»Warum?« Sie sah nicht nach seinem Gesicht, sondern nach seinen Händen und dachte unklar, warum ihm die Adern nicht platzten.
»Ich habe ihn, nun – – zum Rajah von Sarawak geschickt.«
Der Atem stockte ihr. Sie zitterte.
»Um – – um Hilfe?«
Er gab keine Antwort. Sie seufzte.
»Um Hilfe?« wiederholte sie. »Für mich – um meinetwillen? Sie waren bereit, Ihre eigene Gelegenheit zur Flucht, ihre Freiheit für mich zu opfern?« Er lachte gezwungen.
»Vielleicht hatte ich vor, mich aus dem Staube zu machen, bevor die Leute des Rajah kamen.«
»Nein,« protestierte sie, »nein!« Sie sagte weiter kein Wort der Anerkennung. Ihr Ton war so gut wie ein Ritterschlag. Sie hob ihre Augen zu seinem Antlitz. Sie sah es nur verschwommen, aber doch deutlich genug, um seinen Ausdruck zu erkennen. Wie abgespannt er im fahlen Mondlicht aussah!
»Sie sind sehr gütig,« murmelte er, »Sie vergeuden Ihre Sympathie.« Er machte eine charakteristische Geste. »Ich habe Sie belogen, weil ich fürchtete, Sie würden mir nicht folgen, wenn Sie die Wahrheit erführen. Ich ... gerechter Himmel, ich bin immer noch in Angst.«
Sie bebte vor Schreck.
»Sie haben gelogen? Als Sie von ...«
»Ja, über Barthélemy und den Doktor.«
Pause; für sie eine qualvoll lange Pause. Die erschlafften Saiten ihres Gefühls spannten sich aufs neue und klangen in greller Dissonanz. Sie beherrschte sich lange, bis ihr das Schweigen unerträglich wurde.
»Weiter,« flehte sie, »bitte, bitte!«
»Gelogen«, murmelte er, als ob er mit sich selbst spräche, und seine Sache vor seinem Gewissen zu verantworten hätte. »Der Buddha – ein grüner Teufel; ich erklärte mich bereit, ihn Conquest zu verschaffen. Darum war ich in Bangkok.«
Wieder eine Pause, diesmal nur eine kurze.
Sie sagte: »Dann ist also Stephen Conquest, der schwarze Papagei?'«
Er lachte, ein hartes, rauhes Lachen.
»›Der schwarze Papagei‹, ha, der Mann, der so hieß, ist tot; hat unter der Guillotine geendet; aber die Organisation des schwarzen Papageis, die – –«
»Die Organisation?« Sie war zu ungeduldig, um länger zuhören zu können. »Sie wollen sagen, der Schwarze Papagei sei eine Bande und keine Person?«
»Ja, selbstverständlich, eine Organisation, die von Salazar nach der Hinrichtung des ›Perroquet noir‹ gegründet wurde, zu dem Zweck, Sträflingen zu helfen. Vielleicht kennen Sie Salazars Namen, den er noch als Sträfling trug: ›Letourneau!‹ Ein Straßenräuber, der seine Opfer erwürgte. Seine Verurteilung erfolgte am Senegal. Conquest kam nach Cayenne, noch vor der Hinrichtung des ›Perroquet‹. Er traf ein Übereinkommen mit Letourneau, jeden entsprungenen Sträfling in seinen Dienst und unter seinen Schutz zu nehmen, ferner wollte er zu bestimmten Zeiten ein Schiff zur Verfügung stellen. Er –«
»Aber der berüchtigte Dieb,« unterbrach sie ihn wieder, »dem man die Diebstähle der Juwelen und Kunstschätze zuschreibt?«
»Eine Phantasiegestalt. Conquest setzte die Geschichten darüber in Umlauf und warb Leute an, die für ihn stehlen mußten. Ich ging nach Bangkok, um den Buddha zu holen. Ich – ich –«
Er brach jäh ab und lauschte.
»Was ist los?« fragte sie.
Wie zur Antwort vernahm man schwingende Töne, schwach und gedämpft, wie das Echo eines Glockenspiels.
»Ein Gong«, erklärte er.
»Wo?«
»Im Dorf.«
Wieder der metallisch vibrierende Ton.
»Was kann das bedeuten?«
Er zuckte die Achseln.
»Glauben Sie, daß er dort angelangt ist? – Und daß es bedeutet ... Vielleicht ...«
Sie wollte aufspringen. »Vielleicht wäre es doch klüger, das Tor zu schließen und – – warten Sie. Vorher müssen Sie mir noch zu Ende erzählen. Ich muß die Wahrheit wissen, bevor etwas passiert.«
Er ging an das Gitterfenster und spähte hinaus. Dann wandte er sich zurück.
»Ich sollte den Buddha holen«, wiederholte er. »Das war der Preis für den Unterschlupf in Sadok. Conquest und ich haben den Plan zu dem Diebstahl in Singapore gemacht. Er traf mich schon in Surabaya auf meiner Reise von – – Guyana. Als ich in Bangkok angelangt war, suchte ich den Tempel auf, um Beobachtungen zu machen. Am nächsten Tag sandte ich meinen als buddhistischen Mönch verkleideten Diener dorthin. Er sollte sich unauffällig bis zum Einbruch der Dunkelheit darin aufhalten und sich dann mit dem Buddha unter seinem Gewand fortstehlen.«
In Zwischenräumen ertönte der Gong, wie eine unheimliche Begleitung zu seiner Geschichte.
»Anscheinend,« fuhr er, den Raum durchschreitend, fort, »hatte irgend jemand anders einen ähnlichen Plan gemacht. Mein Diener war im Tempelhof bei einer der Türen; als er eintrat, um das Götzenbild zu holen, schlug ein Priester – das heißt ein als Priester verkleideter Eingeborener – gerade den Wächter des Buddha nieder. Dieser Priester nahm den Gott an sich. Mein Diener folgte ihm; um es kurz zu machen, es war irgend jemand, der von Ihrem Freund, dem Doktor, gedungen war. Sein Boy, ein Eurasier, holte das Bild aus dem Hause des Priesters ab. Mein Diener verfolgte ihn. Als er herausbekommen hatte, wohin er gegangen war, kehrte er zu mir zurück.«
Der Gong schlug immer noch, der Ton nahm an Stärke zu, bis es klang wie die mächtigen Schläge der Hämmer eines Schmiedewerkes. Mit einem ärgerlichen Ausruf stürzte Garon zum Fenster. Seine plötzlich angespannte Haltung hieß sie neben ihn treten. Anfangs sah sie nur den Landungssteg und die graue Fläche des Flusses, aber gleich darauf das Aufleuchten eines weißen Anzugs, der sie die Gestalt erraten ließ, die auf dem Steg erschien. Ihr Atem ging rascher.
»Ich habe sie nicht heranfahren hören«, flüsterte sie.
»Umwickelte Ruder«, war seine lakonische Antwort. Nun sah man noch andere Gestalten. Die Insassen des Bootes waren gelandet. Einige näherten sich dem Fort so geräuschlos, daß sie im Zweifel war, ob sie Wirklichkeit seien. Sie konnte ihre hellen Jacken unterscheiden. Es waren Malayen, keine Dyaks.
»Was sollen wir tun?« hauchte sie.
Garon zuckte die Achseln und riß seine Pistole heraus. Als sie das sah, kam ihr ein hysterisches Lachen. Wie konnte dieses lächerlich kleine Ding sie beide schützen! Die Verzweiflung nahm ihr fast den Verstand, aber sie war doch nicht so verwirrt, daß sie nicht mehr zusammenhängende Gedanken fassen und ausdrücken konnte.
»Erzählen Sie mir,« sagte sie unbekümmert, »was sich in Jener Nacht im Hause des Doktors ereignet hat; das soll das letzte sein –«
Seine Hand schloß sich um ihren Mund und er zog sie in eine Ecke. Ärger stieg in ihr auf, aber sie leistete keinen Widerstand, denn plötzlich fühlte sie ihren Körper wie abgestorben und ihr Geist schien außerhalb seiner Hülle zu existieren, aber mit der Fähigkeit zu sehen und zu hören.
Von unten kamen undeutliche Töne.
Garon zog seine weiße Jacke aus und warf sie in die Ecke gegenüber; dann schob er sie hinter sich. Seine Berührung brachte ihr Blut wieder in Umlauf. Ueber seine Schultern hinweg konnte sie das obere Ende der Stiege und den Mondschein auf dem Boden sehen, der phantastisch wie ein Schachbrett aussah; sie stellte sich Hände dazu vor, welche die Figuren auf den schwarzen und weißen Feldern bewegten.
Unten herrschte jetzt völlige Stille, eine ahnungsvolle Stille.
Die Malayen durchsuchten das Innere des Forts, sagte sie sich. Unvermeidlich mußten sie auch zu dem Wachtturm kommen. Und dann ... Wenn sie nur wüßte, was in jener Nacht in Bangkok geschehen war. Sein Ohr war dicht bei ihren Lippen; sie wollte flüstern – aber seine Schultern, die er gegen sie drückte, geboten ihr Schweigen.
Sie konnte Garons Herzschlag fühlen, sogar hören. Eine prickelnde Aufregung lief ihr über den Rücken.
Fußtritte unten, jetzt auf der Stiege.
Sie fühlte, wie die Muskeln an Garons Rücken hart wurden. Etwas von seinem Mut strömte in sie und gab ihr die Kraft, den Treppenabsatz zu beobachten.
Die Fußtritte kamen näher.
Ein graufarbener Fleck erschien in der Dunkelheit, der wie durch Zauber sich zu einem Kopf und ein paar Schultern auswuchs, die in den Lichtschein, der durch das Gitterfenster fiel, traten.
Beim Anblick des Gesichtes des Mannes und des glitzernden Laufes in seiner Hand, ging es wie eine erstickende Welle durch die Brust. Sie keuchte.
Im nächsten Augenblick sprang Salazar aus dem Bereich des Mondlichtes und der Knall von zwei Pistolenschüssen durchbrach das Schweigen.
Garon fiel rücklings auf sie; das Gewicht seines Körpers nahm ihr den Atem. Einen Augenblick lang war alles finster um sie. Als sie wieder sehen konnte, erblickte sie ein Gesicht im Mondlicht daliegend: Garons. In ihrem Hirn riß etwas. Sie fühlte eine Peitsche um sich wirbeln, die ihr das Blut in die Augen jagte, die sie vorwärts trieb, auf Salazar los.
Ihr Ansturm kam so unerwartet und war so wütend, daß sie ihn zweimal schlagen und ihre Finger in sein Gesicht krallen konnte, bevor er eine andere als zurückweichende Bewegung machen konnte. Dann fiel einer seiner mächtigen Arme auf ihre Schultern und umschlang ihren Hals, den andern hielt er zum Schutz vor seine Augen; sie hörte ihn fluchen. Sein Atem streifte heiß ihr Gesicht.
Sie taumelten gegen die Mitte des Raumes; sie klammerte sich an ihn und packte ihn an den Haaren, während er ihre Handgelenke quetschte, um sich von ihrem Griff frei zu machen. Plötzlich fühlte sie kaltes Metall, es fiel ihr ein, daß er bewaffnet war, sie ließ sein Haar los und haschte nach der Waffe, schon umschlossen sie ihre Finger, da drehte er ihr das Handgelenk um, so daß die Pistole zu Boden fiel. In der Verzweiflung grub sie ihre Zähne in seine Hand. Ein Schlag warf sie nach rückwärts. Sie sah Salazar sich bücken, um die Pistole aufzuheben, stürzte sich auf ihn und umklammerte mit beiden Händen seinen Arm. Als er in die Höhe sprang, schleuderte die Gewalt seiner Bewegung im Verein mit seiner Stärke sie hinter ihn an seinen Rücken. So schwankten und taumelten sie aneinandergepreßt herum.
Sie sagte sich verzweiflungsvoll, daß er sie schließlich überwältigen würde. Schon tanzten Flammen vor ihren Augen, als in ihr verdunkeltes Bewußtsein ein Funken fiel. Wenn sie einen Stoß oder ein anderes Mittel, um einen lebenswichtigen Nerv zu lähmen, anbringen könnte, dann war noch eine Möglichkeit zu siegen: Jiu-jitsu.
Salazar wollte sie jetzt am Handgelenk packen. Sie merkte seine Absicht und versuchte sich loszureißen. Die Seide ihres Kleides zerriß auf der Schulter wie Papier. Darauf fühlte sie seine Finger sich um ihr Handgelenk legen und es festdrücken. Der Mann lachte. In einer Sekunde blinden Schmerzes dachte sie, ihr Arm sei gebrochen. Ihre Hand entglitt ihm und stieß an seinen Hals. Diese Berührung entzündete den Funken. Jiu-jitsu ... ringen ... Wie ein erleuchtender Blitz kam ihr der Gedanke.
Mit einem Ruck riß sie ihre andere Hand los, packte ihn am Hals und preßte ihre Daumen in die Vertiefung unter seinen Ohren. Sie ließ ihn nicht los, während er fluchend sie durch den Raum zog. Sie taumelte gegen die Wand, aber ihr Griff lockerte sich nicht. Sie hielt fest, Zeit und Gefühl waren verschwunden. Sie spürte den Schmerz in ihren Händen nicht mehr, in deren Fleisch sich seine Nägel grausam einbohrten. Ihre ganze Kraft war auf ein Ziel gerichtet. Es war nicht mehr bloß ein Kampf zwischen ihr und Salazar, sondern sie focht gegen die böse Urbegierde, die die Menschheit von Anfang der Welt bedroht hatte. Und sie hielt fest. Sie fühlte ihre Muskeln erlahmen, es wie eine tödliche Lähmung über sie kommen. Plötzlich merkte sie, daß sie strauchelte. Salazars Gesicht versank vor ihr unterhalb des Gitterfensters und schien sie anzustarren, stöhnend vor Erschöpfung fiel sie auf ihre Knie und dann ganz zu Boden. Das Blut schoß ihr ins Hirn und drohte es zu sprengen. Sie wurde nicht ohnmächtig, aber es folgte eine kurze Zeitspanne, während der ihr das Leben unterbrochen schien. Sie konnte ihr stürmisches Atmen inmitten des schrecklichen Schweigens hören. Das brachte ihr den eigenen Körper wieder zum Bewußtsein. Sie faßte sich und richtete sich auf, aber ihr Blick suchte nicht das Antlitz unter dem Fenster, sondern Garons.
Einen Augenblick später kroch sie zu ihm hin. Das Klopfen seines Herzens ließ ihre Hände erregt zittern. Sie schüttelte ihn und rief ihn beim Namen. Er rührte sich. Sie beugte sich näher über ihn und flüsterte ihm zu, was sie getan hatte, und fügte hinzu:
»Wir müssen hinabgehen zu den andern. Es hat keinen Zweck, Widerstand zu leisten. Und ich kann nicht hier drin bleiben. Sie wissen, es erstickt mich.«
Sie half ihm hoch, indem sie einen seiner Arme auf ihre Schulter legte und ihn um die Hüften faßte. Er zog sie fast zur Erde, aber sie brachte es fertig, sich mit ihm bis zur Treppe zu schleppen. Als sie im Vorbeigehen einen flüchtigen Blick durchs Fenster warf, glaubte sie ein anderes Kanu am Landungssteg zu sehen. Aber sie beachtete es nicht. Ihrethalben konnten noch hundert andere kommen. Sie war vorläufig unempfindlich für Eindrücke. Irgendwie kamen sie nach unten und traten in das Licht des Mondes. Wie sie vorausgesehen hatte, warteten die Malayen in Gruppen beim Tor. Garons Gestalt straffte sich, und er sprach sie mit schwacher Stimme auf malayisch an. Ein paar Eingeborene kamen ihnen entgegen und stießen ihre Schwerter in die Erde. Sie wechselten einige Worte, worauf der Franzose ein schwaches Lachen hören ließ.
»Sie sagen« – – sein Körper sank zusammen und sie umfaßte ihn fester, »sie sagen, wir seien in Sicherheit. Das Dorf ... man ...«
Sie hielt ihn an einem Arm fest, als er zu Boden glitt. Sein Gewicht zog sie fast an seine Seite nieder. Zwei Malayen kamen heran, und sie hörte sich selbst fragen, was sie tun solle, und hörte einen Eingeborenen erwidern, daß ein Kanu auf sie warte, um sie zum Dorf zu bringen. Man hob Garon auf; wie im Traum folgte sie zum Landungssteg, ließ sich von den Malayen in die Proa helfen und legte sich neben Garon. Wie im Halbschlaf empfand sie, daß ein Wunder geschehen war. Stephen Conquest hatte gesiegt. Am liebsten hätte sie ihrer Ermüdung nachgegeben, aber sie bezwang die Schwäche. Jetzt noch nicht, nicht eher, als bis sie ihrer Rettung endgültig sicher war.
Der Mond stand gerade über den Kronen der Bäume. Ihr erschien er wie ein Kronleuchter in einem düstern Dom. Einen Augenblick später würde er verschwinden.
*
Sie waren im Dorf angekommen, Am Ufer eine Menge Gestalten und Fackeln. Als die Proa anlegte, teilte sich der Schwarm von einem muskulösen Malayen, der zum Ufer herabkam. Lhassa erinnerte sich dunkel, ihn früher schon gesehen zu haben. War das der Sultan? Er sprach zu den Bootsleuten, worauf sich einige über Garon beugten. Sie erriet, daß sie den Befehl erhalten hatten, ihn durch die Palisaden ins Dorf zu tragen. Andere halfen ihr aus dem Boot. Eine breite Gasse öffnete sich in der Menge, und der vielen Neugierigen Blicke kaum achtend schritt sie hindurch. In ihrer Teilnahmslosigkeit war nur noch Raum für einen anderen Menschen. Am Tor hielt sie von selbst an. Hinter ihr kamen die Männer, die Garon trugen, und auch der große Malaye, der seinen Transport angeordnet hatte. Auf ihren fragenden Blick sagte ihr letzterer, daß sie und Tuan Muda in Sicherheit seien, daß Abu Hassan tot und daß er, Nakoda Mubin, nunmehr Sultan sei. Sie fragte:
»Wo können wir ihn hinschaffen?«
Nokado Mubin führte sie zu einem Hause unweit des Tores.
Drinnen sah sie beim Licht einer Fackel Garons Wunde und fragte:
»Wird er sterben?« Ihre traurigen Augen blickten fragend zu dem neuen Herrscher von Karawas auf.
Er sagte etwas von Wunden rein halten und einem Umschlag mit Holzasche. Sie hörte, wie er den andern Malayen Befehle gab, und blieb neben Garon sitzen, die Hand auf seiner heißen Stirn. Erst als die Malayen zurückkehrten, kam ihr auch Conquest wieder ins Gedächtnis.
»Wo ist Mr. Conquest, der Tuan-Rajah«, fragte sie plötzlich. Er habe sie zu sehen verlangt, sobald sie angekommen wären, erwiderte der Malaye. Aber sie würde wahrscheinlich schon zu spät kommen, denn der Tuan-Rajah liege schon in jener Bewußtlosigkeit, die gewöhnlich dem Tod vorangehe. Seine Worte wirkten lähmend auf sie. Sie fühlte, daß es einen schrecklichen Verlust für sie bedeuten würde. Einen Augenblick schwankte ihr Gefühl zwischen dem Mann an ihrer Seite und jenem, der sich für sie geopfert hatte. Sie wußte instinktiv, daß Stephen Conquest seine letzte romantische Tat vollbracht hatte, um die Schönheit, die er liebte – ihre Schönheit –, zu retten. Diese Liebe, darüber war sie sich klar, war etwas Seltsames, eine Liebe für die körperliche Vollkommenheit, ohne Verlangen, sie zu besitzen. Die Anbetung des geheimnisvollen Wesens der Schönheit, unfaßbar wie die Kunst.
»Führt mich zu ihm«, sagte sie entschlossen. Nakoda Mubin geleitete sie durch Gruppen von neugierig starrenden Eingeborenen zu einem nahe beim Palast gelegenen Haus. Er wartete auf der Galerie, während sie hineinging. Es war dunkel drinnen, und eine feuchte dumpfige Luft schlug ihr entgegen. In einer Ecke lag ein weißes Laken. Bei seinem Anblick schnürte sich ihr die Kehle zusammen; sie wußte, daß sie zu spät kam. Sie beugte sich nieder und strich über die kalte Stirn. Bei dieser Berührung stieg eine große Bitternis in ihr auf und überflutete sie. Sie kniete nieder und blieb so, still wie der Tote neben ihr.
Sie fühlte sich endgültig besiegt. Alle waren sie dahin, die ihr Klarheit hätten geben können; ihr Großvater, Dr. Garth, Stephen Conquest. Sie mußte auch an die Frau mit dem Pfauenschal, ihre Mutter denken, deren Wesen ihr immer so rätselhaft erschienen war. Ihr Lächeln, dieses unvergeßliche Lächeln, nahm in ihrer Erinnerung etwas Spöttisches an. Es ließ ahnen, daß es noch eine andere Ursache für das absonderliche Wesen ihres Großvaters gegeben hatte, irgendeinen dunklen Punkt, den man besser nicht enthüllte. Ja, wiederholte Lhassa sich selbst, sie war besiegt. Sie würde niemals die Wahrheit erfahren. In den folgenden Jahren würde sie träumen und zweifeln. Träumen: von der toten Stadt, die im Dschungel von Siam begraben ist. Zweifeln: ob zwischen ihr selbst und der Frau aus Stein an der Tempelwand auch nur die entfernteste Beziehung bestand. Und immer würde die Frau mit dem Pfauenschal über ihren Phantasien schweben und spöttisch darüber lächeln.
Und plötzlich kam Lhassa die Erkenntnis, die echte Romantik sei, niemals die genaue Wahrheit zu erfahren, sondern aus dem Nebel der Träume sich das zu erdichten, was man ersehnte. Zum Beispiel: zu glauben, daß in ihr das königliche Blut der Khmers fließe, oder: daß Conquest nur ihre Züge der Pi-noi auf seinem Bilde gegeben hatte; ihr Geheimnis blieb für immer in dem Lächeln des Porträts ihrer Mutter begraben.
Für Lhassa brachten die nächsten Tage eine Reihe aufregender Stunden, in denen Zweifel, Spannung und Besorgnis abwechselten. Obwohl Garons Wunde nicht lebensgefährlich war, so war doch, wie immer in solchen Fällen, die Gefahr eines Rückfalls oder einer Blutvergiftung vorhanden, da sachgemäße Pflege fehlte. Die meiste Zeit war er bewußtlos; oft lag er im Fieberwahn. Wenn er einmal sprach, lauschte Lhassa atemlos und angstvoll, daß er in seinen Fieberphantasien etwas verraten könnte. Nakoda Mubin wies ihr drei Malayenweiber zu, die sie dauernd damit beschäftigte, Garon zu baden und Kühlung zuzufächeln. Sie selbst übernahm die Wundbehandlung. Wie sie ihn so leiden sah, schienen seine Schmerzen sich ihr mitzuteilen. Er beherrschte sie schon so stark, daß ihr eigener Kummer davon versank, und sie litt mit ihm. Sie wollte nicht glauben, daß er an jenem Verbrechen schuld war, sondern daß unglückliche Umstände es nur so erscheinen ließen.
Er war ein Dieb, ja, aber kein Mörder.
Und die Tatsache, daß er gestohlen hatte, die sie sich absichtlich vor Augen hielt, stieß sie nicht ab. Seine Vergehen schmolzen in der Flamme des Leidens und läuterten sich zu reinem Metall. Das Ende des ersten Tages fand sie am Bette des schlafenden Mannes sitzend, ihr Antlitz war blaß wie Elfenbein, unter der rotgoldenen Haarkrone. Draußen schwirrten zartgeflügelte Nachtinsekten durch die Dunkelheit, und ein Muselmann ließ seinen Gesang gen Mekka erschallen. Und plötzlich begriff sie die Schönheit des blinden Verzeihens.
Am nächsten Morgen war Garons Fieber niedriger. Er erwachte früh und versuchte zu reden. Aber sie schloß seine Lippen mit ihrer kühlen Hand. Als er trotzdem sprechen wollte, zog sie sich zurück, ihn der Obhut der Malayenweiber überlassend; gegen Mittag kam sie wieder, ihre Müdigkeit war so groß, daß sie alle Schmerzen dämpfte, aber das Bewußtsein, daß zum Abend die Spannung sich lösen würde, verlieh ihr neue Kraft. Conquests Leute mußten dann kommen, darunter auch die weiße Mannschaft vom »Narzissus«. Dann konnte sie endlich ausruhen.
Violette Dämmerung sank auf die Erde, als laute Rufe sie veranlaßten, vors Haus zu gehen. Eingeborene eilten zum Tor. Auf dem Dorfplatz brannte goldgelbes Feuer gegen violetten Schatten und warf seinen flackernden Schein auf die Männer, die durch das Tor kamen. Sie sah weiße Gesichter und lief ihnen, zitternd vor Aufregung, entgegen.
Als sie bei ihnen war, wandte sich eines von ihnen nach ihr um und starrte sie an.
»Miss Camber!«
Sie erschrak als sie ihren Namen hörte. Der Mann, der so gerufen hatte, war weiß gekleidet und trug einen Tropenhelm. Jedoch in der Nähe schien seine Haut dunkel, wie die eines Eingeborenen. Als er seine Kopfbedeckung abnahm, fing sie ein ihr bekanntes Lächeln auf.
»Sie erkennen mich wohl nicht?« fragte er mit einem Akzent, der ihr ebenso bekannt vorkam wie sein Lächeln.
»Das macht wahrscheinlich die Bemalung, verstehen Sie, die muß nämlich erst abgehen.«
Und nun erkannte sie ihn. Sie versuchte zu sprechen, aber die Stimme versagte ihr. Schließlich brachte sie ein hysterisch klingendes Lachen heraus.
»Hauptmann Barthélemy?«
Obwohl ihr schwindelte, hörte sie ihn doch ausrufen:
»Mein Gott, ich wußte nicht, daß es Sie so erschüttern würde. Ich dachte ..., hat er Ihnen denn nicht erzählt?«
Sie ergriff seinen Arm und hielt sich an ihm fest, bis der Anfall vorüber war.
»Garon!« wiederholte er, »wissen Sie denn nicht, wer er ist?«
Seine Worte verwirrten sie vollends.
Zunächst konnte sie nur den Kopf schütteln.
Schließlich stammelte sie ungläubig:
»Was, Sie meinen das Geld, das er gestohlen? Hanoi?«
Er machte eine echt romanische Geste und lächelte.
»Das war der raffinierte Plan eines der gerissensten Männer in den Kolonien. Major Lestron ist sein Name. Lestron vom Geheimdienst. Wenigstens war dies damals sein Rang; jetzt,« ein Achselzucken, »ist er vielleicht Departementschef oder Oberresident, – vielleicht sogar Gouverneur. Nach diesem Meisterstück kann er fast alles werden, was er will.«
Sie faßte ihn wieder am Arm, weil die Schwäche sie aufs neue übermannte.
»Kommen Sie mit in mein Haus«, brachte sie mühsam heraus. »Er liegt verwundet nebenan. Sie müssen mir alles erzählen, jede Einzelheit. Jetzt gleich. Ich ... ich dachte, Sie wären ... Kommen Sie.«
Auf der Veranda sank sie in einen Sessel und hieß ihn auf einem andern Platz nehmen.
»Das Schiff,« begann sie verwirrt, »die Nachricht, daß Sie gestorben seien, ich weiß nicht, womit Sie anfangen sollen. Beginnen Sie nur geschwind. Das Geld ... Hanoi ...«
»Wie ich schon sagte, eine raffinierte Täuschung«, nahm er den Faden wieder auf. »Nur Major Lestron und der Gouverneur wußten darum. Es war abgemacht, daß Lestron das Geld unterschlagen, überführt und zur Verbannung nach Cayenne verurteilt werden sollte. Nicht einmal die Beamten dort durften etwas erfahren. Als Gefangener würde er günstigere Gelegenheit haben, das Geheimnis des »Schwarzen Papagei« aufzuklären und in Verbindung damit an dem Hauptsteckenpferd des Gouverneurs, nämlich der Gefängnisreform, mitzuarbeiten. Wenn man nachweisen konnte, daß das gegenwärtige System der Strafkolonie fehlerhaft und unwirksam sei, würde es einen Sieg für den Gouverneur gegenüber seinen politischen Feinden bedeuten. So ging Lestron als Sträfling dorthin. Seine Lage war, nach seiner Befreiung durch den »Schwarzen Papagei« und dem Verlassen Guyanas, so heikel, daß er nur mittels einer schlau ausgeklügelten Methode, bei der der Kauf und Verkauf von Vögeln eine Rolle spielte, mit dem Gouverneur in Verbindung blieb. Oh, es war ein schwieriges Unternehmen für Lestron. Sehen Sie, Conquest, der die Seele der Organisation des »Schwarzen Papagei« war, befand sich auf dem Schiff, das Lestron und die entwichenen Sträflinge abholte. Und offenbar hatte er einen Argwohn gegen Lestron, denn er setzte ihn in Thursday-Island an Land. Lestron glaubte, daß er auf die Probe gestellt werden sollte. Infolgedessen tat er so, nun, er tat so, als ob er zum Teufel gehen wollte und fing an zu trinken. Und das war ein kluges Manöver. Denn er wurde verfolgt – von Conquest selbst. Aber er hatte die Prüfung bestanden und wurde aufgenommen.«
Barthélemy machte eine Pause und zuckte die Achseln.
»Darf ich rauchen? Wollen Sie nicht auch?« Er zündete eine Zigarette an, bevor er fortfuhr:
»Nun, zu den Ereignissen auf der ›Cambodia‹:
Ich erkannte Lestron und da ich ihn für einen entsprungenen Sträfling hielt, nahm ich ihn fest. Lestron sah sich in die Enge getrieben. Ich gehe nicht weiter auf Einzelheiten ein. In Kep ging er an Land, schwamm aber zurück und verbarg sich in meiner Kajüte. Ich dachte, er hätte sein Wort gebrochen, bis ich ihn dort fand. Er erzählte mir alles und sagte, sein Unternehmen sei viel schwieriger, als er ursprünglich angenommen habe und entwarf einen Plan, wie wir zusammen arbeiten könnten. Nachdem wir meine Kleider so zurechtgelegt hatten, daß ein Selbstmord wahrscheinlich aussah, schwammen wir an Land. Ich mußte vollständig verschwinden. Wir gingen landeinwärts nach Pnom-penh und telegraphierten von dort aus an den Gouverneur, um seine Genehmigung zu unserem Plan zu erhalten, Er gab sie. Und ich, in einen Ostindier verwandelt, begleitete Lestron als sein Diener nach Saigon. Er erzählte Conquest, den wir dort trafen, daß ein Hauptmann Barthélemy ihn an Bord erkannt und daß er ihn getötet hätte ...
Durch Sie wurde die Sache natürlich komplizierter. Bevor wir die »Cambodia« verließen, beschlossen wir, daß es besser sein würde, Sie nach Saigon gehen zu lassen und wenn sich nach Ihrer Ankunft kein anderer Ausweg fand, Sie durch Conquest gefangen halten zu lassen. Sie sehen, wir haben ein verzweifeltes Spiel gespielt. Bald nach Ihrer Ankunft in Saigon fuhren Lestron und ich nach Sadok ab. Mit Conquest war abgemacht, Sie in einem Haus in Cholon unter Obhut einer ihm bekannten Frau gefangenzuhalten. Andernfalls hätten wir andere Maßnahmen zu Ihrem Schutze getroffen. Wir hatten einen Plan, aber – verdammt – er wurde vereitelt, als Conquest Sie plötzlich auf seiner Yacht entführte.
In der Nacht, in der Sie in Sadok eintrafen, kam ich an Ihre Veranda – Sie erinnern sich –, um Sie aufzuklären. Ich handelte gegen Lestrons Anordnungen, da er der Meinung war, Sie würden ein besserer Verbündeter sein, wenn man Sie in Unwissenheit ließ. Ich war gegenteiliger Meinung, aber – es gelang ihm, mich zu erwischen. Am nächsten Morgen sandte er mich nach Sarawak, um Hilfe vom Rajah zu holen. Conquest war britischer Untertan. So würde die Hilfe eines britischen Beamten jede mögliche Verwickelung verhindern. Ich ging und ... nun, von jetzt ab ist wenig mehr zu sagen, außer daß ich, als ich mit Hilfskräften zurückkehrte, vernahm, was geschehen war, und wir unverzüglich nach dem Dorfe aufbrachen. Gestern erreichten wir das flußabwärts gelegene Lager und erfuhren von dem Ausbruch des Aufstandes. Natürlich machten wir uns auf einen Kampf gefaßt, aber heute morgen brachte uns ein Bote Nachricht vom Sultan über das, was sich inzwischen ereignet hatte. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu versichern, wie erleichtert ich war. Ich dachte ... ach tausend schreckliche Dinge, liebe Miss Lhassa. Nun erzählen Sie mir Ihre Geschichte. Ich bin mehr als begierig sie zu hören.«
Sie schauderte. »Salazar« begann sie und gab ihre grauenvollen Abenteuer wieder.
»Mon Dieu«, rief Barthélemy am Schluß ihrer Erzählung aus. Sie saß einen Augenblick still und blickte auf die Glühwürmchen, die draußen umherflogen. Dann erhob sie sich.
»Ich muß nun zu ihm gehen«, erklärte sie. »Warten Sie«, da Barthélemy Anstalten machte, mitzugehen. »Ich möchte lieber allein gehen. Kommen Sie in ... in einigen Minuten nach. Sie verstehen mich doch.« Er schwieg taktvoll. Als sie in Garons Zimmer trat, – sie nannte ihn in Gedanken immer noch Garon – legte das Malayenweib, das ihm Kühlung fächelte, das Palmenblatt nieder und begab sich hinaus. Es war dunkel, aber doch nicht so, daß sie nicht seine offenen Augen hätte sehen können. Ihre Hand zitterte, als sie seine Stirn befühlte. Sie war feucht.
»Sind sie gekommen?« fragte er.
»Ja.«
Sie setzte sich neben das Bett und blickte über ihn hinweg zum Fenster. Das warme Leuchten der Sterne durchbrach die Dunkelheit und ein gedämpfter Lärm entfernter Stimmen und undeutlicher Laute drang aus der Nacht herein. Nach kurzem Zögern sagte sie:
»Ich habe Hauptmann Barthélemy gesehen. Er wird gleich nachkommen.« Nach einer Pause fügte sie hinzu:
»Es war grausam, mich in Unkenntnis zu lassen. Sie taten es wohl grade, um mich leiden zu machen, nicht wahr?«
»Doch ich vermute, Sie dachten wohl, es sei klüger so. Vielleicht hatten Sie recht.«
Sie hörte ihn seufzen, aber er sprach nicht.
»Haben Sie mir gar nichts zu sagen, bevor er kommt?« Wieder seufzte er.
»Meinen Sie,« seine Stimme war heiser, »über Bangkok und den Doktor?« Sie lächelte leise vor sich hin. Aber ihr Herz zog sich zusammen.
»Ich meine alles, was Sie sagen möchten.« Nach einem Schweigen, daß ihr unendlich lang vorkam, sprach er:
»Der Buddha, dieser grüne Teufel. Sie entsinnen sich, daß ich ihn so nannte. Er ist die Ursache von allem. Ich habe ihn, auf meinen Rücken gebunden, aus Siam fortgetragen. Das war mein Buckel ... Ja, ein grüner Teufel. Wir, mein Boy und ich, gingen in das Haus des Doktors, um ihn zu holen. Er hatte ... aber ich erzählte Ihnen das schon ... Wir traten durch einen Eingang ein, der auf einen Garten hinausführte. Ich hatte Sua-mog, meinen Boy, gewarnt, Gewalt anzuwenden. Bevor wir eintraten, sah ich den Doktor am Tisch, mit einem Schiffsmodell in der Hand. Er wandte uns den Rücken zu. Ich mußte den Buddha haben. Es war der Preis für die Aufnahme in Conquests Haus. Ich wußte, daß er dem Tempel zurückgegeben würde, wenn unser Unternehmen glücklich zu Ende wäre. Daher befahl ich Sua-mog, den Doktor zu fesseln, während ich ihn mit einer Pistole bedrohte. Ich sagte ihm, er sollte den alten Doktor schonend behandeln. Ich gab ihm meinen Slendong und ...«
Sie unterdrückte einen Schauder. Die Sterne, die durchs Fenster schienen, wurden kalt wie Eiskörper. Garon richtete sich auf einem Ellbogen auf. Sie wollte ihn wieder niederdrücken, aber ihre Absicht scheiterte an ihrer eigenen unüberwindlichen Müdigkeit.
»Und« ...
»Nein«, herrschte sie ihn an, »sagen Sie es nicht.« Bitter, scharf und fast wild erklärte er:
»Der Dienst für Recht und Gesetz beginnt mit reinen, schuldlosen Händen. Aber zum Schluß sind sie so schwarz, wie die des Verbrechers.«
Erschöpft brach er ab und sank in die Kissen. Er atmete schwer. Sie erhob sich und ging zur Türschwelle, ihre Hände hielten sich am Rahmen fest, ihre Augen waren zum Himmel erhoben, sie fühlte den plötzlichen Zusammenbruch des Tempels, den sie sich erbaut hatte. Der blaue Slendong hatte sie betrogen und ihr die Wirklichkeit gezeigt, die grausamer als Enttäuschung war. Und doch empfand sie gerade diese Tragödie als die Einweihung in ein höheres Heiligtum. Die Götter waren gestürzt, aber es waren ja nur Götzenbilder gewesen. Die Romantik war nicht tot; die Erinnerung an Stephen Conquest war lebendiger Protest ...
Wie sie so dastand, ahnte sie das Weh und die Unendlichkeit des Weltenraums und sie erkannte die Kleinheit des irdischen Menschen, im Vergleich zu den endlosen Ketten der Sterne und dem stillen, aber ewigen Lauf des Universums.
Von Furcht ergriffen, wandte sie sich zu Garon zurück.
In dem Fenster über seinem Bett schimmerten durch schwarze Zweige die Sterne, wie durch Gefängnisgitter. Sie erinnerten sie an eine Bemerkung, die Barthélemy gemacht hatte, und ein mächtiger Wille ergriff sie und trieb sie zu ihm ans Bett.
»Entsinnen Sie sich,« fragte sie mit vor Erregung zitternder Stimme, »daß ich gesagt habe, ich werde die Wahrheit erfahren, und dafür sorgen, daß Sie nach Guyana zurückgeschickt würden? Wissen Sie noch?« Er antwortete nicht und sie fuhr fort:
»Hauptmann Barthélemy sagte, Sie könnten Resident oder gar Gouverneur werden.« Sie machte eine Pause und holte Atem.
»Zurück nach Guyana, um durch Barmherzigkeit jene Nacht in Bangkok zu sühnen! Gehen Sie zurück und tilgen Sie Schmutz und Fieber, Ungerechtigkeit und Grausamkeit aus. Gehen Sie zurück um meinetwillen.«
Die Flamme ihrer Erregung mußte auch ihn ergriffen haben, denn er richtete sich wieder auf und sie hörte ihn rascher atmen.
»Zurückgehen,« wiederholte er, »allein??«
Für einen Augenblick stand sie regungslos. Ihre Augen hatten einen Ausdruck von unerforschlicher Weisheit. Sie erhob ihre Arme mit frohlockender und besitzergreifender Gebärde.
»Sie müssen allein gehen«, sagte sie sanft lächelnd. »Bis ...«
Ende.