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Viertes Kapitel
S. S. Cambodia

Ein Blick auf seine Leuchtuhr zeigte Hauptmann Barthélemy, daß es zwei Uhr nachts vorbei sei, als der französische Postdampfer Cambodia stromabwärts zum Golf hinabglitt.

Eine heiße Leere sog seinen Atem auf. Nach Luft schnappend, schmiß er die unausgerauchte Zigarre fort und wandte sich um. Es waren so viele Zwischendeckpassagiere da, daß er über sie hinwegschreiten mußte, lauter Farbige. Er kletterte zur Kommandobrücke hinauf. Das Licht im Kompaßhause machte eine braune Gestalt am Steuer und hinter dem Steuermann zwei Weiße, vermutlich Kapitän und Pilot, sichtbar.

Barthélemy ging bis in die Mitte des Brückendecks, wo der Schlot über die Funkenkabine reichte und eingehüllte Rettungsboote auf jeder Seite hingen. Er klappte einen Liegestuhl auf und sank darauf nieder. Er fühlte eine schwelende Feindseligkeit gegen die Welt im allgemeinen und im besonderen gegen diese zusammengepferchte Masse von Zwischendeckpassagieren da unten. Er betrachtete sie mit Widerwillen; Kulis, Geschöpfe einer niedrigen Lebensstufe. Jeder hatte wie er selbst ein Herz, ein Gehirn und die anderen menschlichen Organe. Aber damit war die Ähnlichkeit zu Ende. Lebende Wesen, fast wie Tiere, sonst nichts waren sie für ihn. Allmählich überkam ihn eine angenehme Schläfrigkeit.

Über ihm formte der Rauch ein geheimnisvolles Zeichen in der Luft. Die Sterne waren wie Nadelspitzen in einer großen schwarzen Laterne. Er dachte an Lhassa Camber, aber ihr Bild schien ihm zu zerfließen, sein Kopf war zu heiß, um es festzuhalten.

Er schloß die Augen und hörte eine monotone Stimme unaufhörlich reden. Wie konnte man soviel schwatzen in dieser Hitze? Wenn er, Remy Barthélemy, je wieder Paris zu sehen bekäme ... Winter in den Alpen. Ein kalter Blitz fuhr durch seine Vision. War es »die Jungfrau« oder Lhassa Camber?

Er träumte von einem Mackaw-Papagei, einem Vogel mit prächtigem Gefieder, hörte ihn schreien, sah die Kette an seinem Fuß. Wie er schrie ... Dann erwachte er und hörte Stimmen ganz deutlich.

»Also nun?« in tadellosem Französisch.

»Fünf, Korab«, in einem nicht so reinem Französisch.

Wo waren sie? fragte er sich. Nach ein paar Sekunden hatte er es heraus. Zwei Männer unterhielten sich auf dem Deck unter ihm. Einer davon offenbar ein Eingeborener. Korab, das wußte er, war ein Ausdruck von Ehrerbietung, wie ihn Siamesen niedriger Kaste gebrauchen.

»Mich selbst inbegriffen?«

»Ja, Korab. Einer ist ein Offizier; ich sah seine Uniform.«

»Alle fahren sie nach Saigon?«

»Alle, bis auf einen, Korab, der das Schiff in Chantabon verläßt.«

Barthélemy wurde neugierig, er erhob sich und schaute über das Geländer, sah aber nur zwei Schatten, von denen der eine sonderbar verzerrt war.

»Ein Offizier, sagst du?«

»Ja, Korab.« Längeres Schweigen, dann:

»Das genügt.«

Die Schatten verschwanden. Barthélemy, etwas stutzig geworden, nahm seine liegende Stellung wieder ein. Sonderbar! Warum forschte der mit dem tadellosen Französisch so neugierig? Fünf! Offenbar bezog sich die Zahl auf die Kajütenpassagiere; vielleicht war er ein Schiffsoffizier. Aber, überlegte er, das konnte nicht stimmen, denn etwas, was der Mann gesagt hatte – er hatte den genauen Wortlaut nicht mehr im Gedächtnis – kennzeichnete ihn als Passagier. Wenn – aber diese Mutmaßungen waren zu anstrengend. Und außerdem, fragte er sich schließlich, was ging es ihn an? Nichts! Er war im Fegefeuer, ganz bestimmt war er im Fegefeuer ...

Das Nächste, an das er sich wieder erinnerte, war, daß er früh am Morgen durch Lascaren geweckt wurde, welche die Kommandobrücke scheuern wollten.

*

Beim Frühstück traf Barthélemy seine Reisegefährten: ein Missionar, der nach Chantabon entsandt war, und zwei Forstbeamte von Tongking.

Ein leerer Platz am Tisch ließ noch einen Passagier erwarten. Barthélemy erinnerte sich lebhaft des Gesprächs, das er belauscht hatte, so daß ihm die Abwesenheit des fünften Reisenden auffiel; der Kapitän lächelte auf seine Frage danach:

»Sein Boy hat ihm das Frühstück in die Kajüte gebracht«, war seine knappe Erläuterung.

Die Abenddämmerung milderte etwas die sengende Pein. Barthélemy, der sich's auf dem Deck bequem gemacht hatte, hörte den Dinnergong, ohne sofort darauf zu achten. Als er schließlich hinunterging, wäre er beinahe mit einer buckligen Gestalt im Gang zusammengestoßen. Die letztere murmelte eine Entschuldigung und eilte vorbei. Sie hinterließ in Barthélemys Gehirn den Schimmer eines ihm bekannten Gesichts.

»Verdammt,« rief er aus, »er folgt mir wie mein Schicksal.«

Also, er war der fünfte Passagier. Und, Mon Dieu, Lhassa Camber hatte sich nicht getäuscht. Er hatte einen Buckel. Sonderbar, daß er dies in Singapore nicht bemerkt hatte. War es möglich, daß – – – unmöglich! Aber diese Hände! Den Bart konnte er sich haben wachsen lassen. Ob er wohl zurückkehren würde. Nein, so ein Narr war er nicht. Es war doch nur eine Ähnlichkeit, der Buckel bewies es.

Als er nach dem Essen wieder auf Deck ging, verfolgte ihn das bärtige Gesicht. Er schritt vom Boot bis zur Heckreling in der Hoffnung, nochmals einen Blick auf den Buckligen werfen zu können; umsonst. Er lehnte sich ans Geländer, rauchte und dachte nach – bis ihn eine Stimme aus seiner Versunkenheit riß.

»Großer Gott! Sie müssen zwei Körper haben; in einer Minute sind Sie in Ihrer Kajüte, dann auf Deck!«

Barthélemy drehte sich um und sah den Radio-Mann vorbeigehen.

»Ja?« erwiderte er verwirrt.

Der andere lachte: »Daß Sie sich in dieser Hitze so rasch bewegen können!«

Damit kletterte er die Leiter hinauf und verschwand zwischen dem Schlot und einem Rettungsboot.

Barthélemy öffnete den Mund, um ihn zurückzurufen, schloß ihn aber wieder. Zum Teufel, was meinte der? Er wollte hinauf zu ihm, um es herauszubekommen. Halbwegs auf der Leiter hielt er an, von einer plötzlichen Eingebung gepackt. Idiot! Dummkopf! Warum hatte er nicht gleich verstanden? In seiner Kajüte. Er eilte hinab, vor seiner Tür blieb er einen Augenblick stehen. Rasch steckte er den Schlüssel ins Loch. Unverschlossen! Er drehte den Türknopf herum und trat ein. Sofort schlug die Tür hinter ihm zu, und das Licht wurde angedreht. In der plötzlichen Helligkeit zuckten seine Augen und starrten in ein bärtiges Gesicht.

»Ich habe auf Sie gewartet, Herr Hauptmann!« Der Sprecher stand mit seinem höckrigen Rücken gegen die Tür gelehnt. Ein grimmiges Lächeln umspielte seinen Mund; eine Locke des krausen, rötlichen Haares streifte die Narbe an seiner Schläfe, einen bleichen Halbmond. Barthélemy bemerkte die Narbe und sah auch, daß er eine Hand in der Tasche hatte, er lächelte kalt.

»Ich hätte Sie schon vorher kennen sollen, trotz des Bartes, der Narbe und ...« Er lachte leise. »Eine wundervolle Veränderung, Monsieur –?«

»Monsieur Garon.«

Barthélemy zuckte die Achseln. Er hatte sich von seiner Überraschung erholt. »Sind Sie wahnsinnig, daß Sie dorthin zurückkehren?«

»Vielleicht; aber wir sind ja alle verrückt. Setzen Sie sich!«

Seine Hand war immer noch in der Tasche. »Wir wollen uns aussprechen, – nein, nicht über die Vergangenheit. Wirklich nicht, mein lieber Barthélemy, sondern über die Zukunft.«

Trotz seiner Verunstaltung machte er einen hochmütigen Eindruck.

Ein unverschämter Schurke, dachte Barthélemy. Guyana hat seinen Mut nicht gebrochen. Als er ihn von Kopf bis zu Fuß musterte, hatte er das Gefühl, daß irgend etwas, ein dazugehöriger Gegenstand, an seinem Anzuge fehle. Es verwirrte und reizte ihn.

»Setzen Sie sich doch!« wiederholte Garon.

Barthélemy erwiderte lächelnd: »Sie waren immer der Teufel, der Befehle gab«, und ließ sich sorglos auf die Schlafkoje nieder. Er bot ihm Zigaretten an, seine Hand war fest. Garon nahm eine. Er blieb mit dem Rücken an der Tür stehen. Jeder zündete sich seine Zigarette selbst an. Ihre Bewegungen waren wohlüberlegt.

»Nun, wie haben Sie das fertiggebracht?« fragte der Offizier.

Garon hob die Schultern und ließ sie wieder sinken.

Er war die Verkörperung von ruhiger Gleichgültigkeit, wie er dastand und leicht lächelte, die eine Hand in der Tasche, in der anderen die Zigarette. Er hatte sich verändert, fand Barthélemy; er hatte Fältchen an den Augenwinkeln und seine Lippen waren schmäler geworden. Die Narbe und der Buckel verwandelten sein Aussehen natürlich, aber sie hatten keine Wirkung auf seine Persönlichkeit. Denn er trug sie mit einer Miene, die den Eindruck der Verunstaltung völlig verwischte.

Garon zuckte wieder mit den Schultern: »Eines Tages werde ich eine Geschichte darüber schreiben«, entgegnete er leichthin mit einer Handbewegung. »Sie wird sehr wild werden, fast zu wild, um glaubhaft zu erscheinen.« Barthélemy konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß am Anzug des anderen etwas fehlte, ebensowenig konnte er begreifen, daß sein buckliger Rücken ihm kein groteskeres Aussehen verlieh.

Er sprach: »Umsonst, ganz vergeblich. Es tut mir leid um Sie, herzlich leid, mein lie–be–r Garon. Ein solch mühevoller Kampf umsonst! Gerechter Gott! Und Cayenne ist die Schwelle zur Hölle, nicht wahr? Isle diables! Isle St. Joseph! Ein Jammer!«

»Umsonst?«

»Ja, wir sind nicht im Stadttheater – denken Sie daran; wir sind nicht da, um ein Melodrama zu spielen. Sie werden mich nicht niederschießen und dramatisch die Flucht ergreifen. Nein; dies hier ist Wirklichkeit. Ich, Ihr Freund, werde Sie in Saigon verhaften lassen, und«, er lächelte, »Sie werden mir erzählen, was Sie über jenes geheimnisvolle Wesen, ›Monsieur Le Perroquet Noir‹ wissen ... Vielleicht nur darum, weil – – Wie kann ich wissen, daß Sie nicht selbst ›der schwarze Papagei‹ sind? – Ich wäre versucht zu vergessen, daß Sie – nun ja, daß Sie sind, was Sie sind – Teufelsinsel, barmherziger Gott, mich schaudert's!«

Garon lächelte durch den Rauchschleier hindurch, sein täuschendes, schattenhaftes Lächeln.

»Ich würdige Ihre zarten Gefühle, mein Freund,« spann er das Gespräch fort, »Isle Diable! Ich schaudre wie Sie! Ort der Pest und des Todes ... Wahrhaftig, wir spielen nicht im Stadttheater – und doch, wer kann es sagen? – – – Vielleicht ist dies ein Melodrama! Verstehen Sie, ich habe hier einen Revolver«, seine Hand in der Tasche rührte sich andeutend. »Und begreifen Sie, daß ich könnte ... Sie verstehen mich schon, mein Freund?«

Barthélemy schüttelte den Kopf. Ein Schimmer von Humor belebte seine Augen. »Nein, mein lieber Garon, Sie sind viel zu gerissen, um ein Melodrama durch einen tragischen Ausgang zu verderben; das wäre nicht künstlerisch, das wäre auf der Bühne unmöglich. Der Verbrecher wird unvermeidlich der Gerechtigkeit ausgeliefert!«

»Aber wir leben in einem Zeitalter der Umwälzungen, lieber Hauptmann!« machte der andere aufmerksam.

»Ich muß widersprechen, mein lieber Garon. Es würde einen – einen gewaltigen Präzedenzfall abgeben.«

Ihre Augen trafen sich durch den Schleier des Rauches. Garon hatte seinen gleichgültigen, unempfindlichen Ausdruck abgelegt, und sein Gesicht hatte nun eine grimmige Miene angenommen. Auch Barthélemy lächelte nicht länger.

Plötzlich brach der letztere das gespannte Schweigen.

»Sie wissen, was meine Pflicht ist. Sie können nicht erwarten, daß ich Sie freigebe.« Als Garon nichts erwiderte, fuhr er fort: »Ich bin nicht hartherzig, obwohl, weiß Gott, Sie an meiner Stelle es wohl wären! Sie waren immer hart, Monsieur Garon, darum haben so viele Sie gehaßt; ich nicht. Ich hatte sogar Mitleid mit Ihrer Vereinsamung.

Darum hat man Ihnen den Dolchstoß gegeben, als man einen Sprung in Ihrer Rüstung entdeckte. Man stellte sich Sie gerne in der Verbannung vor, und hätte sich sogar gefreut, Sie in der schwarzen Zelle eingesperrt zu wissen, von Le Martiné gefoltert. Grausame Teufel, ha! Neid macht die Menschen giftig.«

Er machte eine Pause, und Garon sagte ironisch lächelnd: »Schöne Worte, Mitleid! Sie machen keinen Eindruck auf meine verhärtete Seele!« Und er fügte hinzu: »Ich ergebe mich.«

Barthélemy streckte seine Hand aus. »Als sichtbaren Beweis dafür darf ich wohl das – das ›Begriffene‹ in Ihrer Tasche verlangen?« sagte er sarkastisch.

»Nur unter gewissen Bedingungen.«

»Bedingungen?«

»Ja, daß Sie mit niemandem auf dem Schiff über das, was Sie wissen, sprechen.«

»Ah, das würde Ihnen eine Waffe in die Hand geben.«

»Möglicherweise –«

Garon hielt an und holte tief Atem:

»Barthélemy,« erklärte er mit leidenschaftlichem Ernst, »ich muß Zeit zum Nachdenken haben, bevor ich – bevor ich irgend etwas tue. Für mich handelt es sich um eine Sache – nein, nicht auf Leben oder Tod, aber um eine Sache von größter Bedeutung. Ich werde es Ihnen nicht erklären. Aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich mit Ihnen nach Saigon fahren und dort tun werde, was Sie befehlen, vorausgesetzt, daß Sie mich diese paar Tage noch in Freiheit lassen.«

Barthélemy mußte an sich halten, um nicht zu lachen.

»Ihr Wort?«

Ein zorniger Blick zuckte in Garons Augen. »Ja, mein Wort, Narr, ich könnte Sie jetzt töten, wenn ich wollte, könnte Sie mit meinen bloßen Händen umbringen. Sie wissen, daß ich es könnte. Erinnern Sie sich an die Zeit, da ich als Gevrol, der ›Würger‹ bekannt war? He? Sicher erinnern Sie sich daran, nicht wahr? Denn ich entsinne mich, daß ich Ihnen eines Abends in dem kleinen Café in der Rue Catinat davon erzählt habe. An das kleine Café erinnern Sie sich doch wenigstens ... Also, Sie sind sich klar darüber, mein Freund, daß ich imstande wäre ... Sie zögern, haben Sie je davon gehört, daß ich mein Wort gebrochen habe?«

»Sie haben das Vertrauen, das man in Sie gesetzt hat, mißbraucht.«

»Ach Gott, Sie müssen eine angelsächsische Ader in sich haben!«

Barthélemy zuckte die Achseln: »Was soll ich denken. Erklären Sie mir doch, warum Sie hier sind und warum Sie nach Saigon zurückkehren.«

»Ich will – ich wollte von dort mich nach – hm, China vielleicht oder Japan einschiffen. Irgendwohin.«

Der Offizier machte eine zweifelnde Handbewegung. »Sie hätten sich doch schon in Singapore einschiffen können –« Er stockte, die Stirn runzelnd. »Ich habe Sie dort im Hotel gesehen. Das Sonderbare daran ist nur, daß ich mich nicht erinnere, Ihren – ich muß grausam sein – Ihren verunstalteten Rücken bemerkt zu haben. In der Tat – ...« Wieder eine Pause, er kniff seine Augen zu. »Wirklich ... zum Teufel, ich bin blöd, ein Trottel, daß ich das nicht früher gesehen habe!« Er brach in ein Gelächter aus. »Monsieur Garon, Sie sind gerissen wie nur einer, alle Achtung, ein Chamäleon. Sie wechseln nicht nur die Farbe, sondern auch die Gestalt und schleichen unbeachtet davon. Einmal sind Sie ein Straßenräuber, dann ein Buckliger. Oh, mon Dieu! Monsieur Garon – oder Gevrol? Oder wer? König der Chamäleons!« Dann tat er seinem humoristischen Ausbruch Einhalt. »Ja, Sie hätten sich in Singapore einschiffen können, ohne Gefahr, entdeckt zu werden. Warum taten Sie es nicht?«

Mit leicht belustigter Miene hob Garon resigniert eine Hand, die andere behielt er in der Tasche.

»Wenn Sie es wissen müssen, es war da nämlich eine Angelegenheit, die – nun ja, die ich gern beenden wollte; eine alte Schuld.«

»Ha? Eine Schuld; was meinen Sie damit?«

»Erwarten Sie, daß ich Ihnen beichte?« entgegnete er wieder in hochfahrendem Ton.

»Nein, nein, ich erwarte es nicht.«

»Aber Sie werden mein Wort annehmen, ja?«

Barthélemy kam plötzlich das Gespräch in Erinnerung, das er in der vergangenen Nacht belauscht hatte; er fragte:

»Haben Sie einen Boy bei sich? Was hat es mit ihm für eine Bewandtnis?«

»Ich hab' ihn in Singapore aufgelesen. Er weiß von nichts.«

»Vielleicht, aber wir werden ihn verhören müssen.«

»Wie Sie wünschen.« – – –

Barthélemy, der aufgestanden und an die Luke gegangen war, fragte plötzlich mit Nachdruck:

»Was hatten Sie hier drin zu tun?«

»Ich wartete auf Sie. Ich wußte, Sie hatten mich im Seitengang erkannt. Ich hatte vorgehabt, Ihnen aus den Augen zu bleiben, nachdem mein Boy mir mitgeteilt hatte, daß ein französischer Offizier an Bord sei; aber ich war unvorsichtig genug, auf Deck zu gehen, um frische Luft zu schnappen zu einer Zeit, wo ich alle beim Essen vermutete.«

Barthélemy forschte im Gesicht des anderen; nicht eine Muskel rührte sich. Zufrieden schaute er wieder zur Luke hinaus, wie wenn er dort eine Lösung des Problems suchte.

»Wenn ich Ihnen Vertrauen schenke und ...« sagte er leise, sich wieder umwendend, »ist da auch keine Tücke verborgen? Wollen Sie schwören?«

»Ich werde mit Ihnen nach Saigon fahren, ich und mein Boy – und mich dort der formellen Verhaftung unterwerfen. Das wollen Sie doch? Nicht?«

»Schwören Sie das?«

»Auf meine Ehre!«

Barthélemy drehte gedankenvoll an seinem Schnurrbart.

»Meine Vernunft warnt mich,« sagte er, »und doch – Sie sind unwiderstehlich, mein lieber – zum Teufel mit dem Namen – Garon? Ja, ich wiederhole, Sie sind unwiderstehlich. Sie verlangen nach etwas, und – ssst – schon haben Sie es! ... Ja, zweifellos bin ich ein Narr, aber ich nehme Ihr Wort an. Gute Nacht, Monsieur!«

Als Garon die Tür öffnete, hielt ihn der andere mit einer Handbewegung auf.

»Sie haben Ihr – Ihr ›Begriffenes‹ vergessen!«

Als Antwort stülpte Garon seine Taschen um. Barthélemy runzelte die Stirn, dann aber überflog ein Strahl von Humor sein Gesicht.

»Erster Akt, mein lieber Garon,« bemerkte er trocken, »fällt kläglich in sich zusammen.«

Garon sagte nichts dazu, sondern lächelte nur dunkel und ging, die Tür leise schließend, hinaus.

Barthélemy setzte sich wieder. Er war immer noch von dem Gefühl beherrscht, daß Garons Bild, als er mit dem Rücken an der Tür stand, nicht vollständig war. Es gab nicht die nämliche geistige Momentaufnahme wie in Singapore und in Bangkok – – – Erst als er sich zur Ruhe gelegt hatte, ergänzte sein Gedächtnis die Lücke; mit einemmal fiel ihm der blaue Slendong ein.

*

In den nächsten zwei Tagen bekam Barthélemy Garon wenig zu sehen. Ein paarmal begegneten sie sich auf Deck und unterhielten sich über unpersönliche Dinge.

In der dritten Nacht sollte das Schiff in Kep, einer kleinen Stadt an der Küste von Cambodia, sein. Barthélemy ging zu Bett; er vertraute darauf, daß der übliche Lärm beim Ankern ihn wecken würde; er glaubte zwar nicht, daß Garon sein Wort brechen würde; wollte aber lieber doch nichts riskieren.

Es kam ihm vor, daß er kaum eingeschlafen gewesen sei, als er in Schweiß gebadet aufwachte; er richtete sich auf, um auf die gewohnten Geräusche des Wassers am fahrenden Schiff zu lauschen, hörte aber nur schwaches Gurgeln von der Reede her.

Er brauchte nur eine Sekunde und einen Blick auf die Armbanduhr, um die Stille zu begreifen; rasch sprang er aus dem Bett und steckte seinen Kopf zur Luke hinaus.

Das Schiff warf einen dunklen Schatten aufs Wasser; nicht einmal eine Küstenbrise war zu spüren.

»Kep.« Merkwürdig, dachte er, daß das Hineinplumpsen des Ankers und der dazugehörige Lärm ihn nicht geweckt hatte. Er starrte nach den schattenhaften Umrissen des Landes und sah den Rand einer Werft und ein einsames Licht am Dock.

Er schlüpfte in die Strohsandalen und in einen Sarong und ging auf Deck.

Schritte auf der Brücke lenkten seinen Blick dorthin.

»Wann fahren wir weiter?« rief er; seine Stimme klang laut in der Stille.

»Möglichst bald nach Tagesanbruch, mein Herr,« war die Antwort, »bei Dämmerung wird Fracht an Bord gebracht.«

Barthélemy erkannte den Funker, der barfuß die Leiter herabstieg.

»Großer Gott!« murrte er. »Diese Hitze! Diese Gegend! Zum Sterben! Das ist kein Land für Franzosen, nein, Monsieur, nicht einmal Saigon mit all seinen Cafés und Klubs. Hitze, schlechter Likör und braune Weiber! Bah! Was für ein Leben!«

Eine Weile schimpfte er sich noch über die verfluchten Tropen aus, dann äußerte er:

»Doch, ich nehme an, man kann es ertragen, wenn man eine interessante Beschäftigung hat. Die meine ist es nicht. Mon Dieu! Aber die Ihrige – ah, Abenteuer!«

»Nicht immer«, meinte Barthélemy.

»Ah? Nun, natürlich Sie denken anders darüber. Aber ich würde diesen Beruf jedem andern vorziehen.«

Er knöpfte seine Jacke auf und fächelte sich damit.

»Ihr Kamerad hat mir etwas von Ihren Erlebnissen erzählt«, fuhr er rasch fort.

Barthélemy blickte ihn forschend an. »Mein Kamerad?«

»Ja, der Herr mit dem Buckel – der die Antwort auf den an Sie gerichteten Funkspruch aufgegeben hat.«

»Antwort? Funkspruch?« Ein Verdacht sickerte tropfenweise in sein Bewußtsein.

Der Funker kicherte.

»Oh, keine Angst, Herr Hauptmann! Ich kann schweigen wie – wie Kep, ha, ha!«

Barthélemy hielt die Fragen, die ihm auf der Zunge lagen, zurück und zwang sich, nur zu sagen:

»Sie wollen sagen, Monsieur Garon habe Ihnen erzählt, daß er und ich Agenten der – – –«

»Ja, aber ich hab auch aus dem Funkspruch einiges entnommen.«

Barthélemy lächelte grimmig. Eine Funkmeldung, hm? In blitzartigem Erfassen durchschaute er alles. Was hatte der Funker zwei Nächte vorher gesagt? »In der einen Minute in Ihrer Kajüte ... und auf Deck ...« Garon, der Spitzbube, das Chamäleon. In seiner Kajüte! Und er hatte sogar die Depesche beantwortet! Barthélemy fügte die Bruchstücke rasch zusammen; ein glänzendes Gewebe, das ihm seine eigene Dummheit offenbarte. Er wollte hinunterstürzen, um Garon zu stellen, aber eine Vorsicht hielt ihn zurück. Es wäre nicht klug, den Telegraphisten merken zu lassen, daß er durch die Mitteilungen aufgeregt sei.

»Aus Versehen«, bemerkte er, »habe ich die Depesche verloren. Können Sie mir eine Kopie davon geben?«

»Gewiß. Jetzt gleich?«

»O nein, erst im Laufe des Vormittags ... doch – – ich werde mit Ihnen jetzt gleich hinaufgehen.«

Sie stiegen zur Funkerkabine hinauf. Unter dem Schein einer grünbeschirmten Lampe blätterte der Telegraphist seine Meldungen durch, während der Legionär neben ihm stand.

»Sonderbar«, brummte der erstere, schaute nachdenkend auf und schlug sich an seinen nackten Brustkasten. »Ich weiß, ich habe eine Kopie gemacht – aber –« Seine Augen flogen über den Tisch, dann suchte er nochmals seine Papiere durch.

»Ist nicht hier« – als er fertig war –, »aber sie muß hier in dem Raum sein. Ich könnte darauf schwören –«

»Am Vormittag ist noch Zeit«, unterbrach Barthélemy.

»Gut, bis dahin werde ich sie gefunden haben, mein Herr.«

»Danke bestens. Gute Nacht – oder ist es schon Morgen?«

Der Telegraphist lachte und Barthélemy ging eilig weg.

Zum Narren gehalten, fuhr es ihm durch den Kopf, als er zu den Kajüten hinabstieg.

Vor Garons Tür machte er halt. Sein Verstand riet ihm, sich zuerst mit einer Waffe zu versehen, aber die Wut überwog die Vernunft, und ohne zu klopfen, öffnete er die Tür. Er konnte trotz der Dunkelheit das Bettgestell sehen; kalte Angst befiel ihn; er knipste den Lichtschalter; laut fluchte er. Leer! Auch nicht ein Kleidungsstück hing an der Wand!

Ein paar Sekunden lang stand er unbeweglich, von einem Gemisch aus Wut und Kummer ergriffen. Trottel, der er war, einem Dieb zu vertrauen! Schlimmer als ein Trottel! Er stieß wieder wilde Flüche aus; dann ging er an Deck zurück.

Er fand den Telegraphisten noch immer beim Suchen.

»Haben Sie schon lange Nachtwache?« fragte er, bestrebt, nicht aufgeregt zu erscheinen.

»Seit wir vor Anker gingen.«

Barthélemy platzte los: »Haben Sie Monsieur – haben Sie meinen Kameraden an Land gehen sehen?«

»Ja« – war die prompte Antwort – »er war der einzige Kajütenpassagier mit dem Fahrtziel Kep. Er verlangte, unverzüglich an Land gesetzt zu werden, da er bei Tagesanbruch schon nach Pnompenh aufbrechen wollte. Er ist gelandet – – – nun, vor mehr als einer Stunde. Wußten Sie nicht, daß er so frühzeitig weggehen würde?«

Barthélemy verstand den Wink. »Gewiß, a–ber – er hat etwas vergessen, etwas sehr Wichtiges.«

»Soll ich den Kapitän anrufen? Er wird Sie – – – nachschicken – – –«

»Ja; ich werde mich ankleiden gehen.«

Er eilte die Leiter hinab und rannte fast durch den Seitengang. Also, er wollte landeinwärts nach Pnompenh gehen? Oder war das nur eine falsche Fährte? Bah! Sein Ehrenwort. Er hätte es besser wissen können.

Als er sich durch den dunklen Gang zu seiner Kajüte durchtastete, hatte er die eigentümliche Empfindung, als ob die Dunkelheit ihn verschlänge, als ob er mit dem Verlassen des Decks das Leben selbst verlassen hätte.

Das Leuchtblatt seiner Armbanduhr zitterte vor ihm wie eine davonflatternde Seele.

Als er den Türknopf berührte, durchfuhr es ihn mit elektrischem Schlag.

Der Knopf war naß. In seinem Unterbewußtsein verknüpfte sich das Gefühl der Feuchtigkeit mit einem schwachen Aufblitzen, das er kurz vorher nahe am Schiffsrumpf flüchtig erhascht hatte.

... Und plötzlich wußte er.

Er stieß die Tür auf, – prallte einen Schritt zurück!

Drinnen, sichtbar im geisterhaften Licht, das durch die Luke eindrang, stand eine Gestalt, wartend.


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