Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XXII
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Die Geschichte Attafs.

Man erzählt, – doch Gott kennt allein sein Mysterium und weiß alles, was in den Annalen der Menschen und an Wundern der Vorzeit und längstentschwundenen Vergangenheit geschehen, – daß in Damaskus vor alten Zeiten ein Mann wohnte, Namens Attaf, der in seiner Großmut und Gastfreundschaft, und in seiner Selbstbeherrschung, was Sitte und Benehmen anlangt, mit Hâtim vom Stamme Teij wetteiferte. Er lebte aber in den Tagen, als der Chalife Hārûn er-Raschîd in Bagdad herrschte. Da traf es sich eines Tages, daß der Fürst der Gläubigen traurig und voll Trübsinn und mit beklommener Brust aufwachte, weshalb er aufstand und sich mit Dschaafar dem Barmekiden und dem Eunuchen Mesrûr in seine Schatzkammer begab, wo er zu dem Wesir sprach: »Öffne mir diese Thür, damit ich mich durch den Anblick trösten kann; vielleicht dehnt sich dann meine Brust wieder aus und wird durch solches Schauspiel erfreut.« Der Wesir that nach seines Herrn Geheiß, der, da er hier einen Raum voll Bücher fand, seine Hand ausstreckte und einen der Bände nahm, worauf er ihn öffnete und las. Mit einem Male aber fing er an dreimal zu weinen und dreimal wieder laut aufzulachen, so daß der Wesir ihn anblickte und rief: »O König der Zeit, wie kommt's, daß ich dich beim Lesen zu gleicher Zeit weinen und lachen sehe, was doch nur Verrückte und Wahnwitzige thun?« Nach diesen Worten schwieg er, der Fürst der Gläubigen kehrte sich jedoch zu ihm und schrie: »O Hund von Barmekide, ich sehe, du vergissest deine Stellung und verlässest die Gesellschaft der Verständigen, indem du mich thörichterweise für verrückt erklärst und sprichst: Nur ein Verrückter weint und lacht zu derselben Zeit.« Mit diesen Worten stellte der Chalife den BandEs ist das Buch El-Dschafr gemeint, eine kabbalistische Weissagung aller künftigen Geschicke der Moslems enthaltend, dessen Verfasser der vierte Chalife Alī, der Neffe Mohammeds, sein soll. wieder an seine Stelle in die Schatzkammer und 128 befahl die Thür zu verschließen, worauf die drei in den Diwan zurückkehrten. Hier schaute der Fürst der Gläubigen Dschaafar an und rief: »Hinweg von mir und rede mich nicht wieder an, noch setz' dich auf den Wesiratssitz, bis du deine eigene Frage beantwortet und mir eine Antwort erteilt hast, über das was in jenem Buch, das ich las, aufgezeichnet und niedergeschrieben steht, damit du erfährst, weshalb ich zu derselben Zeit weinte und lachte.« Und zornerfüllt fuhr er ihn an: »Hinweg mit dir und komm mir nicht eher als mit der Antwort vors Gesicht, oder ich lasse dich des schmählichsten Todes sterben.« Infolgedessen verließ ihn Dschaafar, kaum imstande mit seinen Augen zu sehen, und bei sich sprechend: »Fürwahr, ich habe einen schweren Fall gethan. Was für ein übler Fall ist das, und wie widerlich ist die Sache!« Alsdann begab er sich nach Hause, wo er auf seinen Vater Jahjā den Barmekiden stieß, der gerade aus dem Hause kam; er erzählte ihm den Vorfall, worauf sein Vater sagte: »Mach' dich schleunigst fort, ohne noch weiter hier zu säumen, und begieb dich nach Damaskus, bis dieser Niedergang des Glückes und diese Huldentziehung verstrichen sind, in deren Ausgang du Wunderdinge sehen sollst.« Dschaafar versetzte: »Nicht eher als bis ich meinem HaremHarem, arabisch Harîm, bedeutet häufig einfach Frau. einen Auftrag gegeben habe.« Jahjā entgegnete jedoch: »Tritt nicht in diese Thüren ein, sondern begieb dich sofort nach Damaskus, denn also ist's vom Schicksal bestimmt.«Hiernach muß Jahjā ahnen, daß der Chalife das Buch El-Dschafr gelesen hat, und muß dasselbe kennen. Infolgedessen gab der Wesir den Worten seines Vaters Gehör und nahm einen Sack mit tausend Dinaren, worauf er, sein Schwert umhängend, von ihm Abschied nahm. Alsdann bestieg er eine Maultierstute und ritt allein und ohne einen Diener oder Pagen fort, bis er nach ununterbrochenem zehntägigem Ritt zur Wiese von Damaskus gelangte. Es traf sich aber gerade, daß an demselben Tage Attaf, ein 129 Jüngling schön und wohlbekannt als vom »Lächeln des Propheten«, einer der edelsten und hochherzigsten Söhne von Damaskus, außerhalb der Stadt die Zelte aufgeschlagen und zu einem Mahl gedeckt hatte, als er mit einem Male Dschaafar auf seinem Saumtier herankommen sah. Er erkannte, daß es ein des Weges ziehender Mann war, weshalb er zu seinen Sklaven sprach: »Ruft jenen Mann zu mir her.« Die Sklaven thaten nach seinem Geheiß, worauf der Fremde zur Gesellschaft ritt und, von seinem Maultier absteigend, sie begrüßte. Sie erwiderten ihm den Salâm, und, nachdem sie eine Weile dagesessen hatten, erhob sich Attaf und geleitete Dschaafar zu seinem Hause, begleitet von der ganzen Gesellschaft, wo sie sich in eine offene Halle setzten und eine geschlagene Stunde, miteinander plaudernd, dasaßen. Hierauf brachten ihnen die Sklaven einen Tisch mit dem Abendmahl, auf dem mehr als zehn verschiedene Gerichte aufgetragen waren. Sie aßen und waren vergnügt, und, nachdem sich die Gäste die Hände gewaschen hatten, brachten die Eunuchen und Diener Kerzen von honigfarbenem Wachs, die ein glänzendes Licht verbreiteten; dann kamen auch die Musikanten herbei und machten königliche Musik, während die Sklaven Süßigkeiten zum Nachtisch auftrugen.

Nachdem sie hinreichend davon gegessen hatten, tranken sie Kaffee, bis schließlich alle Gäste ungeniert und zu ihrer Zeit aufstanden und sich empfahlen, worauf sie nach Hause gingen. Attaf aber saß mit seinem Gast noch eine Weile bei Tisch, während welcher Zeit er seinen Gast tausendmal willkommen hieß, indem er sprach: »Allerlei Segnungen sind vom Himmel auf unser Haupt herabgekommen. Sag' mir, wie kam es, daß du uns beehrtest, und weshalb kamst du und zeichnetest uns durch die Tritte deiner Füße aus?«

Da entdeckte ihm Dschaafar seinen Namen und sein Amt und erzählte ihm von Anfang bis zu Ende ganz und ausführlich die Gründe seines Rittes nach Damaskus, worauf Attaf ihm 130 erwiderte: »Verweile bei mir, wenn es dir beliebt, zehn Jahre lang, und bekümmere dich nicht, denn Ew. Gnaden sind der Herr dieser Stätte.« Hierauf kamen die Eunuchen herein und machten für Dschaafar ein kostbar gearbeitetes Lager am obern Ende der Halle auf dem Ehrenplatz zurecht, während sie daneben ein anderes Lager aufschlugen. Als Dschaafar dies bemerkte, sprach er bei sich: »Vielleicht ist mein Wirt ein Junggeselle, daß sie sein Bett an meiner Seite aufschlagen; jedoch will ich mich unterfangen ihn danach zu fragen.«

Alsdann redete er seinen Wirt an und fragte: »O Attaf, bist du ledig oder verheiratet?« Attaf versetzte: »Ich bin verheiratet, mein Herr.« Da sagte Dschaafar: »Weshalb gehst du dann nicht herein und ruhst bei deinem Harem?« Attaf entgegnete: »O mein Herr, der Harem läuft mir nicht fort, und es wäre unehrenhaft für mich einen Gast wie dich, einen von allen verehrten Mann, allein schlafen zu lassen, während ich des Nachts bei meinem Harem ruhe und morgens in der Frühe in das Hammâmbad gehe. Solche Handlung würde ich für unhöflich und für einen Mangel an Ehrerbietung einem Edelmann gegenüber wie Ew. Ehren halten. Fürwahr, mein Herr, so lange als deine Gegenwart geruht dies Haus zu beehren, will ich nicht bei meinem Harem ruhen, bis ich Ew. Gnaden Lebewohl sage, und du in Frieden und wohlbehalten heimkehrst.« Da sprach Dschaafar bei sich: »Das ist ein wunderbarlich Ding, und vielleicht thut er dies, mich um so mehr auszuzeichnen.« Hierauf schliefen sie die Nacht über zusammen und erhoben sich am nächsten Morgen und gingen ins Bad, wohin Attaf seinem Gast zur Benutzung einen prächtigen Anzug gesandt hatte, den anzuziehen er Dschaafar vor dem Verlassen des Bades bewog. Vor der Thür fanden sie Pferde bereit stehen und saßen auf, worauf sie zur Grabstätte der HerrinEs ist das Grab Seinabs, der Tante Mohammeds, gemeint. ritten 131 und einen Tag, wert unter die Lebenstage gezählt zu werden, verbrachten. In dieser Weise besuchten sie vier Monate lang Platz für Platz am Tage und schliefen des Nachts in demselben Raum, bis die Seele des Wesirs Dschaafar traurig und bekümmert ward, so daß er eines Tages dasaß und weinte. Als Attaf ihn in Thränen sah, sprach er zu ihm: »Gott schütze dich vor allem Leid, o mein Herr! Weshalb weinst du und warum bist du bekümmert? Wenn dein Herz von etwas bedrückt wird, weshalb sagst du mir dann nicht, was dich quält?« Dschaafar versetzte: »O mein Bruder, meine Brust ist sehr beklommen, und ich möchte gern durch die Straßen von Damaskus streifen und mich durch Besichtigung der Omajjadenmoschee aufheitern.« Attaf erwiderte: »Und wer, o mein Herr, hindert dich daran? Geruhe zu wandern, wohin du willst, und dich zu zerstreuen, damit dein Gemüt erfreut wird und deine Brust sich wieder froh ausdehnt. Hier ist niemand, der dich im geringsten hindert oder festhält.« Als Dschaafar diese Worte vernahm, erhob er sich, um hinauszugehen, als sein Wirt zu ihm sagte: »O mein Herr, soll ich dir ein Reittier satteln lassen?« Dschaafar entgegnete: »O mein Freund, ich möchte nicht aufsitzen, denn ein Mann zu Pferd vermag sich nicht durch Betrachtung der Leute zu vergnügen; vielmehr vergnügen sich die Leute, indem sie nach ihm schauen.« Attaf erwiderte: »So verziehe wenigstens so lange, bis ich dich mit ein wenig Geld für das Volk versehen habe, worauf du ausgehen und nach Belieben herumspazieren und dich durch Inaugenscheinnahme dessen, was du willst, erheitern magst; so kannst du dich zufriedenstellen und dir deinen Kummer aus dem Sinn schlagen.« Infolgedessen nahm Dschaafar von Attaf eine Börse mit dreihundert Dinaren und verließ das Haus fröhlich wie einer, der aus schwerer Haft herauskommt, worauf er seinen Weg in die Stadt nahm, die Straßen von Damaskus durchstreifend und das Schauspiel genießend; und zum Schluß betrat er die Omajjadenmoschee, wo er das 132 übliche Gebet verrichtete. Alsdann nahm er seinen Spaziergang wieder auf und streifte durch angenehme Plätze, bis er zu einer engen Gasse kam, wo er eine in den Boden gesetzte Steinbank gewahrte. Er setzte sich auf dieselbe, um sich eine Weile auszuruhen, und blickte dabei um sich, als er ihm gegenüber Gitterfenster erblickte, in denen würzig duftende Blumen in Kästen gepflanzt standen. Und kaum hatte er seine Blicke dorthin gerichtet, als sich die Fenster öffneten, und in ihnen eine junge Dame erschien und die Blumen begoß, ein Ebenbild von Schönheit und Lieblichkeit und von hübscher Gestalt und anmutigem Ebenmaß, deren Reize alle Beschauer verliebt machen konnten. Dschaafar warf einen einzigen Blick auf sie und ward von ihrer Schönheit und ihrem Glanz schwer getroffen, während sie auf das Gitterwerk schaute und die Blumen begoß, so weit sie es nötig hatten. Als sie sich dann aber umwendete und, auf die Straße blickend, Dschaafar gewahrte, der dort saß und sie scharf ins Auge faßte, verschloß sie die Fenster und verschwand. Der Wesir zögerte jedoch auf der Bank, in der Hoffnung und Erwartung, das Fenster würde noch einmal geöffnet werden und ihm so noch einen Blick auf sie gewähren; und so oft er sich auch erheben wollte, sprach seine Natur zu ihm: »Bleib' sitzen.« Er that dies deshalb bis zum Anbruch des Abends, worauf er zu Attafs Haus zurückkehrte, den er am Thorweg, ihn erwartend, dastehen sah, und der ihm nun zurief: »'s ist gut, mein Herr; während dieser ganzen Zeit waren meine Gedanken bei dir, denn ich wartete seit langem auf deine Heimkehr.« Dschaafar versetzte: »Es ist so lange her, seit ich ausging, daß ich mich umsehen und mein Gemüt trösten mußte, weshalb ich so lange säumte und ausblieb.« Alsdann traten sie ins Haus und setzten sich, worauf die Eunuchen die Tische mit dem Abendmahl brachten. Als sich jedoch der Wesir ans Essen machte, war er völlig unfähig dazu, so daß er den Löffel aus der Hand warf und sich erhob. Da fragte ihn sein 133 Wirt: »Weshalb, mein Herr, vermagst du nicht zu essen?« Dschaafar versetzte: »Das Mittagsmahl von heute liegt mir schwer im Magen und hindert mich das Nachtessen einzunehmen; jedoch hat es nichts zu sagen.« Als dann die Schlafenszeit kam, zog sich Dschaafar zur Ruhe zurück; erregt jedoch durch die Schönheit der jungen Dame, vermochte er kein Auge zu schließen, denn ihre Reize hatten seine Sinne fast völlig eingenommen und so gefangen, wie es nur anging. So vermochte er nichts weiter zu thun als zu stöhnen und jammern: »O ich Elender! Wer wird sich deiner Gegenwart erfreuen, o Vollmond der Zeit, und wer soll auf diese Anmut und Lieblichkeit schauen?« In dieser Weise lag er wie im Fieber da und drehte und wälzte sich auf seinem Lager bis zum späten Morgen, wie ein in Liebe Verlorener. Als aber die Frühstückszeit gekommen war, trat Attaf bei ihm ein und fragte ihn: »Wie steht's mit deiner Gesundheit? Meine Gedanken waren bei dir; ich sehe, dein Schlaf hat bis in den Vormittag hineingedauert, und ich glaube in der That, du hast des Nachts wach gelegen und bist erst gegen den Vormittag hin eingeschlafen.« Dschaafar entgegnete: »O mein Bruder, ich habe keine Lebensfreude.« Da schickte der Wirt sofort einen Mamluken zum Arzt, und der Mamluk kam nach kurzer Frist mit einem Eisenbart seiner Zeit wieder. Als dieser in Dschaafars Zimmer geführt wurde, sprach er zum Kranken: »Das hat nichts zu sagen, du wirst schon wieder gesund werden. Sag' mir, was dir fehlt.« Dschaafar versetzte: »Alles befindet sich in mir in Aufregung.« Da langte der Arzt mit seinen Fingern nach dem Handgelenk seines Patienten und fand, daß der Puls stark und in regelmäßigen Zwischenräumen schlug. Als er dies merkte, schämte er sich ihm ins Gesicht zu sagen: »Du bist verliebt;« vielmehr schwieg er und sagte hernach zu Attaf: »Ich will dir ein Rezept schreiben, das alles enthält, was der Fall erfordert.« Der Wirt versetzte: »Schreib'«; und so setzte sich der Arzt hin, um sein Rezept abzufassen, 134 als mit einem Male eine weiße Sklavin zu Attaf hereintrat und zu ihrem Herrn sagte: »Dein Harem verlangt nach dir.« Infolgedessen erhob er sich und ging hinaus, um zu erfahren, was man in den Frauengemächern von ihm verlangte; sobald ihn aber seine Frau sah, fragte sie ihn: »O mein Herr, was beliebt dir, das wir zum Mittag- und Abendessen kochen sollen?« Er erwiderte: »Alles, was nötig ist,« worauf er wieder seines Weges ging; denn, seitdem Dschaafar in seinem Hause als Gast weilte, hatte er nicht ein einziges Mal die innern Räume betreten, wie er es zuvor dem Wesir erklärt hatte. Während der Abwesenheit des Wirts in seinem Harem hatte der Arzt jedoch das Rezept ausgestellt und es unter das Kissen des Patienten gelegt; als dann bei seinem Verlassen des Hauses der Hausherr bei seiner Rückkehr zu den Herrengemächern wieder mit ihm zusammentraf und ihn fragte: »Hast du das Rezept geschrieben?« versetzte er: »Ja, ich hab's geschrieben und unter sein Haupt gelegt.« Hierauf zog der Wirt einen Piaster hervor und lohnte damit den Arzt ab; dann trat er an Dschaafars Lager heran und zog das Papier unter seinem Kissen hervor, worauf er es las und folgendes darin geschrieben fand: »O Attaf, fürwahr, dein Gast ist ein Liebender; sieh dich daher nach dem Mädchen, das er liebt, um, sorge für seinen Zustand und säume nicht allzu lang.« Infolgedessen redete Attaf seinen Gast an und sprach: »Du bist nunmehr einer von uns geworden; weshalb verbirgst du also deinen Fall vor mir und verhehlst mir deinen Zustand? Dieser Arzt, der der scharfsinnigste und geschickteste Doktor von ganz Damaskus ist, hat alles, was dir widerfuhr, erkannt.« Hierauf zog er das Papier hervor und zeigte es Dschaafar, der es nahm und lächelnd las; dann rief er: »Dieser Arzt ist ein Meister vom Fach, und seine Worte sind wahr. Wisse, an dem Tage als ich ausging und durch die Straßen und Gassen streifte, widerfuhr mir etwas, was ich niemals erwartet hätte, nein nimmerdar; und jetzt weiß ich nicht, was aus mir werden soll, 135 mein Bruder Attaf, denn mein Fall ist so, daß es sich um mein Leben handelt.« Alsdann erzählte er ihm alles, was ihm widerfahren war, wie sich nämlich, als er sich auf die Bank gesetzt hatte, ein Gitterfenster ihm gegenüber aufthat und er eine junge Dame gesehen hatte, die schönste ihrer Zeit, die es öffnete und heraustrat ihren Fenstergarten zu begießen; »mein Herz,« so schloß er, »ward von Liebe zu ihr aufgeregt, sie aber zog sich plötzlich, nachdem sie auf die Straße hinuntergeschaut hatte, zurück und verschloß das Fenster, sobald sie einen Fremden nach ihr blicken sah. Immer und immer wieder wollte ich mich dann erheben und mich zurückziehen, die Sehnsucht nach ihr ließ mich jedoch sitzen bleiben, in der Hoffnung, sie würde das Fenster noch einmal öffnen und mir die Gunst eines zweiten Blickes gewähren, so daß ich sie noch einmal schauen könnte. Da sie sich jedoch bis zum Abend nicht zeigte, erhob ich mich und kehrte zurück hierher, jedoch war ich bei der außerordentlichen Erregung infolge meiner Liebesglut nicht imstande Speise oder Trank anzurühren, und mein Schlaf war durch das Übermaß meiner Sehnsucht nach ihr, die in mein Herz eingezogen war, geraubt. Und nun, o mein Bruder Attaf, hab' ich dir mitgeteilt, was mir widerfuhr.«

Als der Wirt diese Worte vernahm, war er davon überzeugt, daß das Haus, von dem Dschaafar sprach, sein eigenes Haus, das Gitterfenster sein eigenes Gitterfenster und die anmutige junge Dame sein Weib, die Tochter seines Oheims von Vaterseite her, war, so daß er bei sich sprach: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! Fürwahr, wir sind Gottes, und zu Ihm kehren wir wieder zurück!« Dann aber gewann er bei seiner hochherzigen Natur wieder die Herrschaft über sich und sprach: »O Dschaafar, deine Absicht ist rein, denn die Dame, die du gestern sahst, ist von ihrem Ehemann geschieden; ich will mich sofort zu ihrem Vater aufmachen und mit ihm die Sache besprechen, daß kein anderer Hand an sie legt, worauf 136 ich zu dir zurückkehren und dir alles, was sie angeht, mitteilen will.« Mit diesen Worten erhob er sich und begab sich unverzüglich zu seiner Base, die ihn begrüßte und ihn fragte, ihm die Hand küssend: »Geht dein Gast fort?« Er erwiderte: »Keineswegs; die Ursache meines Kommens zu dir liegt nicht darin, daß er fortgeht, vielmehr führt mich die Absicht, dich zu deinen Angehörigen heimzuschicken, hierher, da mich dein Vater soeben auf dem Bazar traf und mir sagte, deine Mutter läge an einer Kolik im Sterben, wobei er hinzufügte: »Geh und schicke ihre Tochter schleunigst her, damit sie ihre Mutter noch am Leben antrifft und sie noch einmal sieht.« Infolgedessen erhob sich die junge Frau, und, kaum wissend, wie sie sich vor Thränen über solche Nachricht bewegte, ging sie mit ihren Sklavinnen nach Hause und klopfte an die Thür, worauf ihre Mutter öffnete und bei ihrem Anblick rief: »Mag dies dein Kommen, so Gott will, gesegnet sein! Jedoch, o meine Tochter, warum erscheinst du so unerwartet?« Die junge Frau erwiderte: »So Gott will, hast du die Kolik überstanden?« Die Mutter entgegnete: »Wer sagt dir denn, daß ich die Kolik hatte? Tritt jedoch ein.« Da trat sie in den Hof, als ihr Vater, Namens Abdallāh Chelebī, ihre Fußtritte von einem inneren Raum her vernahm und fragte: »Was ist los?« Seine Tochter antwortete: »Du trafst soeben deinen Schwiegersohn Attaf im Bazar und sagtest ihm, daß meine Mutter einen schweren Kolikanfall hätte.« Als er dies vernahm, rief er: »Heute ging ich überhaupt nicht auf den Bazar und habe keine Sterbensseele gesehen.« Ehe sie aber noch ihr Gespräch beendet hatten, pochte es an die Thür; und, als die Sklavinnen öffneten, sahen sie Träger, beladen mit den Sachen der jungen Frau, die nun dieselben in den Hof führten, wo ihr Vater sie fragte: »Wer schickte diese Sachen?« Sie erwiderten: »Attaf;« und, ihre Ladungen ablegend, gingen sie wieder ihres Weges. Da kehrte sich ihr Vater zu ihr und fragte sie: »Was hast du verbrochen, daß mein 137 Schwiegersohn deine Sachen aufzuladen und dir nachzutragen befahl?« Ihre Mutter sagte jedoch zu ihm: »Schweig' still und sprich nicht solche Worte, daß des Hauses Ehre nicht beschimpft und geschändet wird.« Wie sie aber noch miteinander redeten, erschien Attaf plötzlich, begleitet von einer Anzahl Freunde, als sein Schwiegervater ihn fragte: »Weshalb bist du in solcher Weise verfahren?« Er versetzte: »Heute kam ein unrechter Eid von meinen Lippen; in meiner Liebe zu deiner Tochter ist mein Herz schwarz wie die Nacht, während ihr guter Name weißer als ein Turban ist und strahlend wie je. Bei einer Gelegenheit entfuhr mir dieser Eid, und ich befahl ihr Herrin über sich selber zu sein.Anscheinend hat er sich bei der Ehescheidung verschworen. Und nun will ich das Geschehene beweinen und sie unverzüglich freigeben.« Mit diesen Worten schrieb er einen Ehescheidungsschein, worauf er zu Dschaafar zurückkehrte und zu ihm sprach: »Vom frühen Morgen an habe ich mich um deinetwillen bemüht und die Sache so gemacht, daß niemand Hand an sie legen kann. Jetzt kannst du das Leben genießen und in die Gärten und Bäder geben und dich vergnügen, bis die Tage ihrer Unnahbarkeit verstrichen sind.« Dschaafar erwiderte: »Gott belebe dich für die Güte, die du mir erwiesest!« Attaf entgegnete: »Suche für dich selbst, was du begehrst!«

Alsdann nahm er ihn Tag für Tag mit unter die Menge der nach Vergnügungen Ausgehenden und heiterte ihn durch ergötzliche Schauspiele auf, bis der Termin der Scheidung verstrichen war, worauf er zum Wesir sagte: »O Dschaafar, ich möchte dir einen besondern Rat erteilen.« Dschaafar fragte: »Was ist's, mein Bruder?« Da versetzte Attaf: »Wisse, o mein Herr, viele Leute haben die Ähnlichkeit Ew. Ehren mit Dschaafar dem Barmekiden herausgefunden, weshalb ich in folgender Weise verfahren will. Ich will dir einen Trupp von zehn Mamluken und vier berittenen Sklaven bringen, mit denen du insgeheim und bei 138 Nacht zur Stadt hinausziehen sollst, um mir dann von außerhalb der Mauern die Nachricht zu senden, daß du, der Großwesir Dschaafar der Barmekide, zum Hofe zurückbefohlen und dorthin von Ägypten in Geschäften, anbefohlen vom Sultan, berufen bist. Alsdann werden der Gouverneur von Damaskus Abd el-Melik bin Merwân und die Großen von Syrien zu deinem Empfang herausströmen und dich mit Banketten und Gelagen begrüßen, worauf du nach dem Vater der jungen Frau schicken und bei ihm um sie anhalten magst. Dann will ich den Kadi und die Zeugen rufen und will ohne Aufschub und Verzug den Ehekontrakt mit einer Brautgabe von tausend Dinaren schreiben lassen, während du dich zur Weiterreise fertig machst. Kommst du dann nach Emesa oder Hamath, so magst du Halt machen, wo es dir beliebt. Ebenso will ich dich mit soviel Reisegeld versehen, als deine Seele nur wünschen kann, und will dich mit Kleidungsstücken, Sachen, Pferden und Packtieren und Zelten, teuren und billigen, ausstatten, wie du es nur begehren kannst. Was sagst du zu diesem Rat?« Dschaafar versetzte: »Das ist ein trefflicher Rat, der seinesgleichen nicht hat.«

Alsdann erhob sich Attaf, und, seine Leute um seinen Gast versammelnd, schickte er ihn vor die Stadt, worauf der Wesir ein Schreiben aufsetzte und es durch zwanzig Berittene mit einem Kaufmann zum Gouverneur von Syrien schickte, ihn davon unterrichtend, daß Dschaafar der Barmekide diese Straße zöge und im Begriff stünde Damaskus in besondern Diensten des Sultans zu besuchen. Und so zog der Kämmerling in Damaskus ein und las das Schreiben des Wesirs vor, das Dschaafars Rückkehr aus Ägypten ankündigte. Da erhob sich der Gouverneur und schickte ein Geschenk von Proviant zu den Mauern hinaus, worauf er die Zelte aufzuschlagen befahl, und die Großen Syriens ritten dem Wesir zum Empfang entgegen, die Vornehmsten der Provinz zogen zu seiner Begrüßung hinaus. und er zog mit allen Ehren und Auszeichnungen ein. Es war in der That ein Tag, 139 den man unter die Lebenstage zählen konnte, ein Tag allgemeiner Freude für alle, die dabei waren; der Ferman ward verlesen, und man bot dem Kämmerling Speise und Proviant an, und so wurde es dem ganzen Volk bekannt, daß ein Begnadigungsschreiben zu Dschaafars Händen gekommen wäre, und in dieser Weise verbreitete sich das Gerücht nah und fern, und die Großen brachten ihm allerlei Geschenke. Hierauf ließ Dschaafar den Vater der jungen Frau zu sich entbieten, und, sobald er vor ihm erschien, fragte er ihn: »Deine Tochter ist geschieden?« Er versetzte: »Ja, sie ist bei mir zu Hause.« Da sagte der Wesir: »Ich möchte sie gern zur Frau haben,« worauf ihr Vater erwiderte: »Ich stehe vor dir, sie dir als deine Sklavin zu senden;« und der Gouverneur von Syrien fügte hinzu: »Ich will die Brautgabe auf mich nehmen.« Ihr Vater lehnte es jedoch ab, indem er sprach: »Sie ist bereits in meine Hand gekommen.« Alsdann ließen sie den Kadi kommen und schrieben Dschaafars Ehekontrakt, worauf sie nach Beendigung der Ceremonie zu Ehren der Hochzeit Speise und Trank unter die Armen verteilten, während Abd el-Melik bin Merwân zu Dschaafar sagte: »Geruhe, mein Herr, zu mir zu kommen und mein Gast zu sein; ich will dir einen Raum zurecht machen, wo du die Heirat vollziehen kannst.« Dschaafar versetzte jedoch: »Nein, ich möchte das nicht thun; ich bin vom Fürsten der Gläubigen in Staatsgeschäften ausgeschickt, weshalb ich mit meiner Braut aufbrechen und ohne Aufschub weiterreisen möchte.« – Die Großen Syriens verbrachten jene Nacht bis zum Morgen, ohne einen Augenblick Schlaf erhaschen zu können; sobald dann aber der Tag dämmerte, ließ Dschaafar seinen Schwiegervater vor sich entbieten und sprach zu ihm: »Morgen beabsichtige ich aufzubrechen und wünsche, daß meine Braut zur Reise bereit ist!« Sein Schwiegervater versetzte: »Auf Kopf und Auge!« Alsdann begab sich Abdallāh Chelebī nach Hause und sprach zu seiner Tochter: »O mein Kind, Attaf hat dich von Tisch und Bett 140 geschieden, dieweil dich Sultan Dschaafar der Barmekide zum Weib genommen hat, und auf Gott beruht die Wiederherstellung unseres gebrochenen Glücks und unserer Herzen Stärkung.« Aus Mißfallen hierüber schwieg sie, da sie Attaf wegen der Blutsbande und seiner ausnehmenden Hochherzigkeit liebte. Am andern Tage schickte dann Dschaafar eine Botschaft an ihren Vater, ihn unterrichtend, daß er die Reise zur Zeit des Nachmittagsgebets antreten würde, und daß er alles bereit machen solle, worauf ihr Vater demgemäß handelte; und, als Attaf davon hörte, schickte er Provision und Geldmittel. Zur festgesetzten Zeit stieg der Wesir zu Pferd, geleitet vom Gouverneur und den Großen, und sie brachten die Maultiersänfte heraus, in der die Braut saß, worauf der Zug sich in Bewegung setzte, bis sie die SperlingskuppelKubbet el-Asāfîr, heute Chân el-Asāfîr, vier Stunden von Damaskus auf dem Wege nach Palmyra. erreichten, wo der Wesir sie heimkehren hieß. Sie gehorchten ihm und verabschiedeten sich von ihm; auf dem Heimritt stießen sie jedoch auf Attaf, der aus der Stadt kam und sein Pferd anhielt, um dem Gouverneur den Salâm zu entbieten und seine Begleitung zu begrüßen, die zu ihm sagten: »Zur selbigen Zeit, da wir heimkehren, kommst du heraus.« Attaf versetzte: »Ich wußte nicht, daß er heute aufbrechen würde; sobald ich jedoch erfuhr, daß er aufgesessen hatte, ließ ich sein Gefolge entbieten und zog aus, ihm zu folgen.« Der Gouverneur erwiderte hierauf: »Geh' und hol' sie bei der Sperlingskuppel ein, wo sie jetzt Halt machen.« Attaf befolgte seinen Rat und stieg, bei dem Platz angelangt, ab, worauf er auf Dschaafar zuging und, ihn umarmend, rief: »Gelobt sei Gott, o mein Bruder, der dich mit wiederhergestelltem Glück und gestärktem Herzen heimkehren läßt.« Der Wesir entgegnete: »O Attaf, Gott gebe mir die Macht dazu, es dir zu lohnen; laß du jedoch nicht ab mir zu schreiben und Nachrichten zu geben; für heute aber befehle ich dir heimzukehren und nirgend anders als in deinem Hause 141 zu schlafen.« Sein Wirt that nach seinem Geheiß, während seine Base, als sie seine Stimme vernahm, ihr Haupt aus der Sänfte steckte und ihn unter strömenden Thränen anschaute, da sie erkannte, bis wohin seine Großmut ihn geführt hatte.

Soviel in Bezug auf Attaf und seine Sache; jetzt aber höre, wie es ihm mit Abd el-Melik bin Merwân erging. Als dieser mit seinem Gefolge heimritt, fragte ihn einer, der den hochherzigen Mann haßte: »Weißt du, weshalb er auszog, zu so später Zeit seinem früheren Gast Lebewohl zu sagen?« Der Gouverneur fragte: »Weshalb?« Der Verleumder erwiderte: »Dschaafar brachte vier Monate lang als Gast in seinem Hause zu und hatte sich so verkleidet, daß ihn allein sein Wirt kannte; und nun kommt Attaf nicht um seinetwillen sondern allein wegen der Frau heraus.« – »Wegen welcher Frau?« fragte der Gouverneur. Der Verleumder entgegnete: »Wegen seiner einstigen Frau, von der er sich um des Fremden willen schied, und die er mit ihm verheiratete. Heute folgt er ihm, um ihm noch einmal die Sache in betreff des Gouvernements von Syrien ans Herz zu legen, das ihm vielleicht versprochen ist. Besser ist's, du frühstückst ihn als daß er dich zum Abend verspeist.« Da fragte der Gouverneur: »Wessen Tochter ist sie? Ist nicht Abdallāh Chelebī ihr Vater?« Der andre versetzte: »Ja, mein Herr, und ich wiederhole, daß sie entlassen ward, damit Dschaafar sie heiraten konnte.« Als der Gouverneur diese Worte vernahm, ergrimmte er in gewaltigstem Grimm, jedoch verbarg er seinen Zorn vor Attaf für eine Weile, bis er einen Plan zu seinem Verderben ersonnen hatte. Alsdann befahl er eines Tages, den Leichnam eines Erschlagenen in den Garten seines Feindes zu werfen, und, nachdem er seine Späher ausgesandt hatte, den Mörder zu entdecken, und diese den Leichnam gefunden hatten, ließ er Attaf vor sich entbieten und fragte ihn: »Wer hat den Mann auf deinem Grund und Boden ermordet?« Attaf versetzte: »Ich war's, 142 der ihn erschlug.« Da rief der Gouverneur: »Und weshalb erschlugst du ihn? Was hatte er dir zuleide gethan?« Der hochherzige Mann erwiderte: »O mein Herr, ich habe mich zur Ermordung dieses Mannes bekannt, damit ich allein seines Blutes wegen gebüßt werde, auf daß die Nachbarn nicht sagen: »Um Attafs Garten willen sind wir zur Bezahlung seiner Buße verurteilt.« Abd el-Melik versetzte: »Wie sollte ich Geldbuße von den Leuten nehmen? Nein, ich will nach dem heiligen Gesetz Befehl erteilen und, wie Gott angeordnet hat: Leben für Leben.« Alsdann wendete er sich des Zeugnisses halber zu den Anwesenden und fragte sie: »Was hat dieser Mann ausgesagt?« Sie entgegneten: »Er sagte aus: Ich erschlug ihn.« Nun fragte er: »Ist der Beklagte bei Verstand oder von Sinnen?« Sie versetzten: »Bei Verstand.« Hierauf sprach der Gouverneur zum Muftī: »O Efendī, gieb deinen amtlichen Entscheid über das, was du vom Mund des Beklagten vernahmst;« und der Richter fällte seinen Spruch über den Schuldigen gemäß seinem Geständnis. Da erteilte der Gouverneur seinen Sklaven Befehl Attafs Haus zu plündern und den Eigentümer zu bastonnieren; alsdann rief er nach dem Henker, als sich die Großen ins Mittel legten und riefen: »Gewähr' ihm eine Frist, denn dir steht das Recht nicht zu, ihn ohne weiteren Beweis hinzurichten; besser ist's, ihn einzukerkern.«

Ganz Damaskus aber kam wegen dieser Sache in Erregung und Aufruhr, die über das Volk so plötzlich und unversehens hereinbrach; und Attafs Freunde und Vertrauten bestürmten den Gouverneur und verbreiteten nach außen, daß der hochherzige Mann diese Worte nur gesprochen hätte, damit seine Nachbarn nicht belästigt und für einen Mord in Buße genommen würden, den sie nicht begangen hätten, und daß er an einem solchen Verbrechen völlig schuldlos wäre. Infolgedessen ließ Abd el-Melik bin Merwân sie vor sich entbieten und sagte: »Wenn ihr behauptet, daß der Beklagte geistesgestört ist, so wäre es Thorheit, denn er ist der 143 Verständigen Fürst; ich war entschlossen, ihn bis morgen leben zu lassen, nun aber ist meine Absicht durchkreuzt, und noch heute Nacht will ich ihn strangulieren lassen.« Alsdann schickte er ihn in den Kerker zurück und befahl dem Kerkermeister ihn noch vor Tagesanbruch hinzurichten. Der Mann ergrimmte jedoch gewaltig, als er Attafs Todesurteil vernahm, und, ihn im Gefängnis besuchend, sprach er zu ihm: »Fürwahr, der Gouverneur ist entschlossen dich hinzurichten, denn er war mit der Fürsprache der Leute nicht zufrieden und wollte sich nicht einmal mit dem gesetzlichen Blutgeld begnügen.« Da weinte Attaf und rief: »Gott – Preis Ihm, dem Erhabenen! – hat für jeden Tod eine Ursache verhängt. Ich wollte nichts als den Gartenleuten Gutes thun und verhindern, daß sie in Buße genommen würden; und nun ist diese Güte die Ursache meines Verderbens geworden.« Nach vielem Hin- und Herreden sagte dann der Kerkermeister: »Ich bin entschlossen dich in Freiheit zu setzen und mit meinem Leben auszulösen; und sofort will ich deine Ketten abnehmen und dich von ihnen befreien. Du aber steh' auf, zerkratz' mein Gesicht, reiß' mir den Bart aus und zerreiß' mir die Sachen; stopf' dann einen Knebel in meinen Mund und geh' deines Weges, daß du dich rettest, während ich alle Folgen zu tragen habe.« Attaf versetzte: »Gott lohne es dir mit allem Guten an meiner Statt!« Alsdann that der Kerkermeister, wie er gesagt hatte, worauf der Gefangene ihn unverletzt verließ und stracks die Straße nach Bagdad einschlug.

Soviel in Bezug auf ihn; doch höre nun, was sich mit dem Gouverneur von Syrien Abd el-Melik bin Merwân zutrug. Derselbe wartete bis Mitternacht, worauf er sich erhob und, begleitet von dem Scharfrichter, zum Kerker begab, um dem Henken Attafs beizuwohnen. Doch siehe, da fand er die Thür weit offen stehen, während sich der Kerkermeister in schwerem Leidwesen befand, mit völlig zu Lumpen zerrissenen Kleidern, ausgerauftem Bart und zerkratztem Gesicht, und das Blut rieselte ihm von allen vier Seiten herunter, 144 so daß er aufs übelste daran war. Nachdem sie ihm den Knebel aus dem Mund gezogen hatten, fragte ihn der Gouverneur: »Wer behandelte dich so?« Der Mann versetzte: »O mein Herr, gestern Nacht, ungefähr um die Mitte der Nachtzeit, überfiel mich eine Bande Vagabunden und Nichtsnutze, die wie Ifrîte unseres Herrn Salomo – Frieden sei auf ihm! – aussahen, von denen ich nicht einen einzigen erkannte; und, ehe ich ihrer gewahr wurde, brachen sie die Gefängnisthür ein und schlugen mich halbtot; als ich dann schreien und um Hilfe rufen wollte, stopften sie mir jenen Knebel in den Mund, worauf sie mich blutig schlugen und, mir die Kleider zerreißend, mich in dem Zustande, wie du mich siehst, verließen. Überdies zerrissen sie die Ketten Attafs und sprachen zu ihm: »Geh' und unterbreite deine Klage dem Sultan.« Hierauf sagten die Begleiter des Gouverneurs: »Dies ist ein Kerkermeister und der Sohn eines Kerkermeisters, und sein ganzes Leben lang hat ihm niemand den Auftrag gegeben, einen Gefangenen loszulassen.« Da sagte Abd el-Melik zu dem verwundeten Mann: »Geh' nach Hause und verbleibe daselbst;« worauf dieser unverzüglich aufstand und seines Weges ging. Alsdann stieg der Gouverneur mit seinem Geleit zu Pferd, und alle ritten aus und suchten Attaf vier Tage lang, indem die einen von ihnen sich tüchtig ins Geschirr legten, während die andern nach nutzloser Suche zurückkehrten und berichteten, daß sie ihn nicht gefunden hätten.

So stand die Sache mit dem Gouverneur von Syrien; nun aber hör', wie es Attaf erging. Nachdem er unaufhörlich gewandert war, bis nur noch eine einzige Station zwischen ihm und Bagdad lag, ward er von Räubern überfallen, die ihm alle seine Sachen auszogen, so daß er gezwungen war in übelster Verfassung nackend wie vom Mutterleib in die Stadt zu ziehen, wo irgend eine barmherzige Seele ein altes Gewand über ihn warf und einen Lappen um sein Haupt band, von dem sein ungeschorenes Haar über seine 145 Augen fiel. Alsdann erkundigte er sich nach der Wohnung des Wesirs Dschaafar, und das Volk wies ihn dorthin; als er jedoch eintreten wollte, hinderten ihn die Diener daran, so daß er an der Thür stehen blieb, bis ein alter Mann auf ihn zu kam, den er fragte: »O Scheich, hast du Tinte, Federn und Papier bei dir?« Der Scheich versetzte: »Ja, ich hab' sie bei mir; was willst du damit? Sag' mir's, damit ich für dich schreiben kann.« Attaf versetzte: »Ich will selber schreiben.« Da gab ihm der Scheich das Schreibzeug, und er setzte sich nun und setzte an Dschaafar ein Schreiben auf, in dem er ihm alles mitteilte, was sich von Anfang bis zu Ende zugetragen, speciell in wie übler Lage er sich befand. Hierauf gab er dem Alten die Tinte und Rohrfedern zurück und begab sich zum Thor, wo er die Leute, die dort standen, fragte: »Wollt ihr nicht für mich dieses Schreiben in die Hand Sr. Excellenz, des Wesirs Dschaafar des Barmekiden, legen?« Sie erwiderten: »Gieb es her;« und einer der Leute nahm es in der Absicht es dem Wesir zu überreichen, als plötzlich die Kanonen donnerten, so daß der ganze Palast in Aufruhr geriet, und ein jeder rief: »Was ist los?« Viele Stimmen antworteten hierauf: »Dem Sultan ist ein Knabe beschert worden, und er befiehlt die Stadt sieben Tage lang auszuschmücken.« Da warf der Diener, der die Besorgung des Schriftstücks auf sich genommen hatte, dasselbe in der allgemeinen Verwirrung aus der Hand, und Attaf wurde als Strolch ins Gefängnis gesperrt. Bald darauf saß Dschaafar auf und befahl, nachdem er des Sultans Reskript in betreff der Ausschmückung der Stadt hatte verlesen lassen, daß alle Gefangenen losgelassen werden sollten, unter deren Zahl sich auch Attaf befand.

Als er aus der Haft entlassen wurde, sah er alle Straßen mit Fahnen und Teppichen geschmückt, und gegen Abend wurden dann Tische mit Speisen aufgetragen, über die sich alle hermachten, indem einige zu Attaf, der sich in jämmerlichem Zustand befand, sprachen: »Komm und iß;« denn es 146 war ein Volksfest. In dieser Weise gingen die Sachen, unter Musik der Musikerbanden und Kanonendonner, bis die Woche der Ausschmückung vorüber war, in der das Volk auf und ab wogte. Als dann der Abend anbrach, trat Attaf in eine Hauptmoschee ein und verrichtete das Nachtgebet, als ihn die Eunuchen anredeten und sprachen: »Steh' auf und geh' deines Weges, Attaf, damit wir das Thor der Moschee schließen können;« sein Name war nämlich bekannt geworden. Attaf versetzte: »O Mann, der Gesandte Gottes spricht: »Wer nach dem Guten strebt, der ist wie der, der es thut; und, wer es thut, gehört zum Volk des Paradieses.« Laß mich hier in einem Winkel schlafen.« Der Eunuch entgegnete jedoch: »Steh' auf und pack' dich fort; erst gestern wurde mir ein Stück Matte gestohlen; heute Nacht will ich deshalb die Thür verschließen und keinem erlauben hier zu schlafen. Hat doch auch der Prophet Gottes – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – verboten, des Nachts in den Moscheen zu schlafen.« Trotzdem sich nun Attaf unter seinen Schutz stellte und ihn inständigst bat und sprach: »Ich bin hier fremd in der Stadt und kenne niemand, gestatte mir daher nur eine einzige Nacht hier zu verbringen,« so vermochte er ihn doch nicht zu überreden, so daß er schließlich auf die Straßen hinausging. Da ihn hier jedoch die Hunde anbellten, begab er sich auf den Bazar, wo ihn die Wächter und Aufseher anschrieen, bis er schließlich in ein zerfallenes Haus trat. Hier stolperte er über etwas und fiel, wobei sich der Gegenstand, über den er gestrauchelt war, als der Leichnam eines eben ermordeten Jünglings erwies. Beim Straucheln war er auf sein Gesicht gefallen und hatte sich die Sachen mit Blut beschmutzt und rot gefärbt, und, wie er nun dastand und nicht wußte, was er thun sollte, stieß der Wâlī mit der Wache, der die Nachtrunde durch die Stadt machte, auf ihn, die sich, sobald sie ihn erblickten, alle auf einmal auf ihn stürzten und ihn ins Gefängnis schleppten.

Soviel von ihm; jetzt aber wollen wir wieder auf 147 Dschaafar und seine Erlebnisse zurückkommen. Nachdem er Damaskus verlassen und Attaf bei der Sperlingskuppel heimgeschickt hatte, sprach er bei sich: »Du stehst im Begriff die Heirat zu vollziehen und befindest dich auf der Reise nach Bagdad, mach' dich daher inzwischen auf und nimm dir einen Eimer Wasser, die Waschung zu vollziehen und das Gebet zu verrichten.« Als er jedoch beabsichtigte, Attafs Weib an jenem Abend heimzusuchen, kam ihm etwas dazwischen, und die Zeltaufschläger, die zur nächsten Station geschickt waren, schlugen das Zelt der Braut und die andern Zelte auf. Dschaafar geduldete sich, bis jedes Auge, wie wach es auch sein mochte, mit Schlaf erfüllt würde, worauf er sich aufmachte und zu Attafs Frau eintrat, die in dem Augenblick, als sie ihn eintreten sah, ihr Gesicht wie vor einem Fremden mit den Händen bedeckte. Er begrüßte sie mit den Worten: »Der Frieden sei auf dir!« und sie entgegnete: »Und auf dir sei der Frieden, die Barmherzigkeit und die Segnungen Gottes!« Alsdann sagte er: »O Tochter meines Oheims, weshalb hast du deine Hand vors Gesicht gelegt? Das Erlaubte bringt doch keine Schande.« Sie versetzte: »Es ist wahr, mein Herr, jedoch gehört Sittsamkeit zur Religion. Wenn es einem Manne wie dir ein leichtes Ding ist, daß der Mann, der dich gastlich aufnahm und dir mit seinem Geld und Gut diente, so behandelt wird, und du das Herz hast, ihm sein Weib zu nehmen, so bin ich nur eine Sklavin vor deinen Händen.« Da fragte Dschaafar: »Bist du die geschiedene Frau Attafs?« Sie erwiderte: »Ich bin's.« Nun fragte er: »Und weshalb verfuhr dein Gatte in dieser Weise?« Sie antwortete: »Als ich am Fenster stand und Blumen begoß, geruhte deine Hoheit auf mich zu schauen, und du erzähltest Attaf von deiner Liebe, der mich dann alsbald entließ und mit deiner Hoheit vermählte. Das ist's, weshalb ich mein Antlitz vor dir bedecke.« Da rief Dschaafar: »Du bist jetzt ihm verwehrt und mir erlaubt; jedoch sollst du alsbald mir verwehrt und ihm 148 erlaubt werden. Von dieser Stunde an bist du mir teurer und werter als meine Augen und Mutter und Schwester. Augenblicklich ist deine Rückkehr nach Damaskus jedoch nicht angängig, damit nicht thörichte Zungen schwätzen und sagen: »Attaf zog hinaus, sich von Dschaafar zu verabschieden, und sein Weib lag des Nachts mit ihm, so daß die Rückgrate einen einzigen Zipfel hatten.« Ich will dich daher nach Bagdad mitnehmen, wo ich dich in eine geräumige, schön eingerichtete Wohnung unterbringen und dir zehn Sklavinnen und Eunuchen zur Bedienung geben will. So lange du bei mir bleibst, sollst du jeden Tag fünf Golddinare und jeden Monat einen kostbaren Anzug erhalten; außerdem soll dir alles in deiner Wohnung gehören, und alle Geschenke und Gaben, die dir gemacht werden, sollen dein Eigentum sein, denn die Leute werden denken, du seiest meine Frau und werden dich bewirten und zu den Bädern geleiten und dir kostbare Kleider schenken. In dieser Weise sollst du deine Tage in Freuden verbringen und sollst bei mir in höchster Ehre, Achtung und Verehrung stehen, bis wir sehen, was sich machen läßt. Von dieser Stunde an laß alle Furcht fahren und sei von nun an fröhlichen Herzens und guter Dinge, denn nunmehr bist du mir an Mutter und Schwester Statt und nichts als Gutes soll dir widerfahren. Mein erstes Verlangen nach dir, das in meiner Seele glühte, ist ausgelöscht und hat sich in brüderliche Liebe, noch stärker als die frühere, verwandelt.«

Attafs Frau freute sich hierüber mächtig, und Dschaafar ließ unterwegs nicht ab, sie in die feinsten Sachen zu kleiden, damit die Leute ihr als der Gemahlin des Wesirs Ehre erwiesen, und behandelte sie mit immer vermehrter Ehrerbietung. Dies währte an, bis sie in die Stadt Bagdad zogen, wo die Diener ihre Sänfte in den Harem des Wesirs trugen; alsdann ward ein Zimmer für sie eingeräumt, wie Dschaafar es ihr verheißen hatte, und es ward ihr ein Monatseinkommen von tausend Dinaren festgesetzt nebst all den Bequemlichkeiten, Annehmlichkeiten und Vergnügungen, 149 wovon er zu ihr gesprochen hatte. Und niemals ließ er seine alte Flamme zu ihr wieder auflodern und nahte ihr sich nimmer; vielmehr schickte er ihr Boten, ihr die baldige Wiedervereinigung mit ihrem Gemahl zu verheißen.

Also verhielt es sich mit Dschaafar und Attafs Frau; nun aber vernimm, wie es dem Wesir während seines ersten Empfangs bei seinem Herrn erging, der seine Abreise schwer bedauert und ihn sehr vermißt hatte. Sobald sich Dschaafar dem Chalifen wieder vorstellte, freute sich dieser über die Maßen und erwiderte seinen Salâm und seine Zufluchtnahme vor dem gesteinigten Satan, worauf er ihn fragte: »Welches war das Ziel dieser deiner Reise?« Dschaafar versetzte: »Damaskus.« Alsdann fragte er ihn: »Und wo kehrtest du ein?« Dschaafar erwiderte: »Im Hause eines Mannes, Namens Attaf;« und so erzählte er ihm alles von Anfang bis zu Ende, was sein Wirt an ihm gethan hatte. Der Fürst der Gläubigen geduldete sich, bis er seinen Bericht beendet hatte; dann aber rief er seinem Schatzmeister zu und sprach: »Mach' dich auf, öffne die Schatzkammer und bring' mir das und das Buch.« Als der Schatzmeister seinem Befehl entsprochen hatte, sagte der Fürst der Gläubigen: »Überreiche das Buch Dschaafar.« Dschaafar nahm es, und, als er es nun las, fand er alles, was sich zwischen ihm und Attaf zugetragen hatte, darin geschrieben, bis zu dem Zeitpunkt, an welchem er und sein Gast voneinander Abschied genommen und sich getrennt hatten und Attaf heimgekehrt war. Da rief ihm der Chalife zu: »Schließe das Buch bei der Stelle, die mit der Erzählung deines Abschieds von Attaf und seiner Heimkehr endet, und dann wirst du verstehen, weshalb ich zu dir sagte: »Komme nicht eher wieder zu mir, als bis du mir bringst, was in diesem Buche steht.« Alsdann gab der Fürst der Gläubigen dem Schatzmeister das Buch zurück und sprach zu ihm: »Nimm es und stell' es wieder in die Bibliothek,« worauf er sich zu Dschaafar wendete und sagte: »Fürwahr, Gott – Preis Ihm, dem 150 Erhabenen! – hat geruht dir zu zeigen, was ich darin las, als ich zu derselben Zeit weinen und lachen mußte! Nun zieh' dich zurück und begieb dich nach Hause.« Und so that Dschaafar nach seinem Befehl und führte das Wesirsamt wieder in noch trefflicherer Weise als zuvor.

Nun aber wollen wir wieder zu Attaf zurückkehren und sehen, wie es ihm erging. Nachdem sie ihn aus dem Gefängnis zum Kadi geführt hatten, stellte dieser ihn zur Rede und sprach: »Wehe dir, hast du diesen HaschimitenEin Nachkomme von Mohammeds Urgroßvater El-Hâschim. ermordet?« Er erwiderte: »Ich that es.« Da fragte ihn der Kadi: »Und weshalb thatest du es?« Attaf versetzte: »Ich fand ihn in jener Ruine und erschlug ihn vorsätzlich.« Nun fragte der Kadi: »Bist du bei Sinnen?« Attaf entgegnete: »Jawohl.« – »Und wie heißest du?« – »Mein Name ist Attaf.« Als der Kadi dieses Geständnis vernahm, das dreimal wiederholt wurde, setzte er ein Schreiben an den Muftī auf, in dem er ihm den Fall vortrug; der Muftī aber holte, nachdem er sein Urteil abgegeben hatte, ein Buch hervor und trug den Fall in die Akten ein. Alsdann schickte er dem Wesir Dschaafar hierüber einen Bericht zur amtlichen Anordnung der Vollstreckung des Spruchs, und der Wesir nahm das Dokument und erteilte, sein Siegel und seine Unterschrift darunter setzend, den Vollziehungsbefehl. Infolgedessen führten sie Attaf fort und schleppten ihn an den Fuß des Galgens, begleitet von einer Menge, zahllos wie der Sand. Als sie ihn aber gerade unter den Baum stellten, ritt Dschaafar mit seinem Gefolge aus, so daß er, als er mit einem Male eine Menschenmenge zur Stadt hinausziehen sah, den Profoß vor sich befahl. Als dieser herankam und ihm die Kniee küßte, fragte er ihn: »Weshalb hat sich hier eine Menge so zahlreich wie der Sand versammelt, und was wollen sie?« Der Profoß versetzte: »Wir gehen einen Syrer zu hängen, der einen Jüngling von Scherifengeblüt ermordet hat.« Da 151 fragte der Wesir: »Und wer ist dieser Syrer?« Er entgegnete: »Er heißt Attaf.« Sobald Dschaafar jedoch den Namen Attaf vernahm, stieß er einen lauten Schrei aus und rief: »Her mit ihm!« Infolgedessen lösten sie die Schlinge von seinem Hals und führten ihn vor den Wesir, der ihn betrachtete und sogleich erkannte, daß es sein ehemaliger Wirt war, wiewohl er sich in der kläglichsten Verfassung befand. Aufspringend, warf er sich auf ihn, und ebenso warf sich Attaf auf seinen frühern Gast; dann fragte Dschaafar, sobald er wieder sprechen konnte: »Was ist das für eine Lage?« Attaf versetzte: »Das kommt von meiner Bekanntschaft mit dir her, die mich in dieses Elend gebracht hat.« Hierauf schwanden beiden die Sinne, daß sie ohnmächtig auf den Boden sanken. Als sie dann wieder zu sich kamen und auf ihren Füßen stehen konnten, schickte der Wesir Dschaafar seinen Freund Attaf ins Bad zugleich mit einem prächtigen Anzug, den dieser beim Verlassen des Bades anlegte. Alsdann führten ihn die Diener in die Wohnung des Wesirs, wo sich beide setzten und Wein tranken und das Frühstück einnahmen, worauf sie nach dem Kaffee bei einander saßen und sich unterhielten. Nachdem sie sich so erholt hatten und guter Dinge geworden waren, sagte Dschaafar: »Erzähle mir nun alles, was dir widerfuhr, seit der Zeit, daß wir Abschied nahmen, bis auf den heutigen Tag.« Da begann Attaf ihm zu erzählen, wie er von Abd el-Melik bin Merwân, dem Gouverneur von Syrien, behandelt worden war, wie er ins Gefängnis geworfen war und sein Feind des Nachts kam ihn zu erdrosseln, wie aber sein Kerkermeister einen Plan zu seiner Rettung ersonnen hatte, und wie er darauf geflohen und rastlos gewandert war, bis er Bagdad fast erreicht hatte, wo ihn Räuber überfielen und auszogen; wie er dann die Gelegenheit den Wesir zu sehen durch die Ausschmückung der Stadt verloren hatte, und schließlich, wie es ihm ergangen war, nachdem man ihn aus der Kathedralmoschee verjagt hatte; kurz, er erzählte ihm 152 alles von Anfang bis zu Ende. Hierauf überhäufte ihn der Wesir mit Wohlthaten und erteilte Befehl den Ehekontrakt zwischen ihm und seiner Frau zu erneuern, die beim Anblick ihres Gatten, als er ihr den Besuch abstattete, die Besinnung verlor und laut rief: »Wüßte ich doch nur, ob ich wache oder ob dies nur wirre Träume sind!« Sie fuhr erst auf wie in Furcht, dann aber warf sie sich auf ihren Gatten und rief: »Sag' mir, ist's eine Vision oder sehe ich dich leibhaftig wieder?« Er versetzte: »Du siehst mich wirklich und wahrhaftig wieder, es ist kein Sinnentrug.« Alsdann setzte er sich neben sie und erzählte ihr alle Drangsale und Schrecknisse, die er auszustehen gehabt hatte, bis er vom Galgen weggeführt wurde, während sie ihrerseits ihm erzählte, wie sie unter Dschaafars Dach gewohnt und gut gegessen und getrunken und sich fein gekleidet und in höchsten Ehren und größtem Ansehen gelebt hatte. Und so ward die Freude dieses Paares über ihre Vereinigung vollkommen.

Was nun Dschaafar anlangt, so erhob er sich am nächsten Morgen und machte sich auf zum Palast, wo er zum Chalifen eintrat und ihm alles, was Attaf widerfahren war, mitteilte. Der Chalife erwiderte: »In der That, dies ist das wunderbarste Ereignis, das geschehen kann, und das merkwürdigste, das sich je zutrug.« Alsdann rief er den Schatzmeister und befahl ihm, das Buch noch einmal aus der Schatzkammer zu holen, worauf er es nahm und, es Dschaafar überreichend, sprach: »Öffne und lies.« Da las Dschaafar seine ganze Geschichte mit Attaf, während der Fürst der Gläubigen wiederum zur selbigen Zeit weinte und lachte und sprach: »Fürwahr, alle Dinge seltsamer und absonderlicher Art sind ausgezeichnet und unter die Schätze der Könige gelegt. Und deshalb geschah es, daß ich dich in meinem Zorn anschrie und dir meine Gegenwart untersagte, bis du die Frage beantworten könntest, was in diesem Buch stünde, und die Ursache meiner Thränen und meines Lachens begreifen könntest. Hierauf verließest du mich und wardst durch 153 das Schicksal fortgetrieben, bis dir mit Attaf geschah, was da geschah; zum Schluß kehrtest du dann mit der Antwort, die ich verlangte, zurück.« Alsdann verlieh der Chalife Dschaafar ein kostbares Ehrenkleid und befahl den Dienern: »Holt mir Attaf her.« Infolgedessen gingen die Diener aus und führten Attaf vor den Fürsten der Gläubigen; und der Syrer trat vor den Fürsten der Gläubigen und segnete den Herrscher, für seine Ehre und seinen Ruhm in dauerndem Glück und Wohlergehen betend. Der Chalife aber sprach nun zu ihm: »O Attaf, erbitte dir, was du wünschest.« Da versetzte der hochherzige Mann: »O König der Zeit, ich erbitte nur deine Verzeihung für Abd el-Melik bin Merwân.« Da fragte Hārûn Er-Raschîd: »Dafür, daß er dir Leid zufügte?« Attaf entgegnete jedoch: »O mein Herr, das Vergehen geschah nicht durch ihn, sondern durch den, der ihn veranlaßte, mir Unrecht zu thun; ich habe ihm bereitwilligst verziehen. Ferner stell', o mein Herr, einen Ferman mit eigener Hand aus, bestätigend, daß ich dem Kerkermeister alle meine Sklaven und Besitzungen vollzählig und ganz verkauft und von ihm den Preis dafür erhalten habe; und geruhe ihn zum Aufseher über den Gouverneur von Syrien zu ernennen und stelle ihm einen Siegelring als Zeichen dafür zu, daß keine Bittschrift, die nicht dieses Siegel trägt, angenommen oder auch nur angehört werden soll, und übersende alles dies durch einen Kämmerling nach Damaskus.«

Nun erwarteten alle Bewohner von Damaskus Vergeltung von Attafs Seiten und waren mit diesem bedrückenden Gedanken erfüllt, als sich plötzlich von Bagdad die Kunde verbreitete, daß ein Kämmerling in Sachen Attafs erscheinen würde. Da geriet das Volk in großen Schrecken und sprach: »Hin ist Abd el-Melik bin Merwâns Haupt, und verloren sind alle, die etwas zu seiner Verteidigung vorbringen könnten.« Als dann des Kämmerlings Eintreffen angekündigt wurde, zogen alle zu seiner Begrüßung und seinem Empfang heraus, und er zog an einem Tag des Gedränges und 154 Gewimmels ein, der wahrlich unter die Lebenstage gezählt werden konnte. Dann holte er das Begnadigungsreskript hervor, und Gnade vermag nur von dem erlangt werden, der zur Begnadigung wirklich instand gesetzt ist. Hierauf ließ er den Kerkermeister holen und übergab ihm Attafs Güter und Sklaven zugleich mit dem Siegel und der Ernennung zum Oberaufseher über den Gouverneur von Syrien nebst einem besonderen Ferman, daß kein Befehl Gültigkeit hätte, der nicht mit dem Siegel des Oberaufsehers gesiegelt sei.

Abd el-Melik bin Merwân freute sich nicht weniger, daß die Angelegenheit so günstig für ihn abgelaufen war, als er den Kämmerling nach Bagdad zurückkehren sah, um über alles, was seine Sendung betraf, Bericht abzustatten. Dschaafar aber verlieh seinem Freunde Attaf Herrschaften und schenkte ihm mehr als zehnmal soviel an Besitz und Geld, als er zuvor besessen hatte, und brachte ihn in eine glücklichere Lage, als er je gewesen war.

 


 


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