Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XXII
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Die Geschichte des Vogels mit dem Vogelsteller.

Man erzählt, – doch Gott ist allwissend, – daß einst in der Stadt Bagdad ein Jägersmann, kundig des Weidwerks, lebte. Eines Tages ging dieser Jägersmann auf die Jagd, indem er Netze, Sprenkel und anderes Gerät, dessen er bedurfte, mit sich nahm und sich zu einem Garten begab, reich an Bäumen, deren Gezweig sich verstrickte, wo sich allerlei Vögel aufhielten; und, als er bei einem dichten Gebüsch ankam, steckte er seine Falle in den Boden und schaute sich nach einem Versteck um, wo er sich setzte. Bald darauf näherte sich ein Vöglein der Falle und fing an die Erde zu kratzen, wobei es, rund um die Falle spazierend, bei sich sprach: »Was mag dies nur sein? Wenn ich's doch nur wüßte, denn es scheint nichts anderes als eine wunderbare Schöpfung Gottes zu sein!« Alsdann betrachtete es die Falle, die halb im Boden vergraben war, und begrüßte sie aus der Ferne, worauf die Falle ihm den Salâm erwiderte und sprach: »Und Gottes Barmherzigkeit und Segnungen seien auf dir! Willkommen, willkommen von Herzen, teurer Bruder und aufrichtiger Freund, trauter Genosse und lieber Gefährte, der du so fern von mir stehst, während ich wünsche, daß du mein Nachbar wirst und ich dein getreuer und aufrichtiger Freund und Kamerad. Komm heran zu mir voll 119 Vertrauen auf deine Sicherheit und ohne Furcht vor mir.« Da sprach das Vöglein: »Ich beschwöre dich bei Gott, sag' an, wer du bist, daß ich mich nicht vor dir fürchte, und nenn' mir deinen Beinamen und den Namen deiner Sippe, auf die du deinen Stammbaum zurückführst.« Die Falle antwortete: »Mein Name ist Haltfest, mein Vatersname Bindfest und meine Sippe ist geheißen die Kinder Fallfest.« Das Vöglein versetzte: »Du sprichst die Wahrheit, denn dies ist sicherlich dein Name, der Beiname kommt dir gewißlich zu, und ohne Zweifel ist deine Sippe eine der edelsten.« Die Falle erwiderte: »Gelobt sei Gott, daß du mich erkannt hast und mich unter die getreuesten Freunde zählst, denn wo solltest du einen Freund wie mich finden, einen Liebhaber wahrhaft und zuverlässig und einen Gesinnungsgenossen? In der That, ich bin ein frommer Gottesdiener, der sich von nichtigem Geschwätz, von seinen Bekanntschaften und selbst seiner Sippe zurückgezogen hat. Meine einzige Zuflucht ist auf den Gipfeln der Hügel und in den Gründen langer und tiefer Thäler; von irdischen Dingen bin ich der wahre Haltfest und in weltlichen Freuden der wirkliche Bindfest.« Das Vöglein versetzte: »Du hast wahr gesprochen, o mein Herr, und Heil dir! Wie fromm und gottesfürchtig bist du und wie hold an Sitten und Wesen! Wäre ich ein einziges Härlein an deinem Leib!« Die Falle entgegnete: »Du bist in dieser Welt mein Bruder und in der nächsten mein Vater.« Nun aber sprach das Vöglein: »O mein Bruder, ich möchte dich gern nach Sachen, verborgen in deinen Gedanken, fragen.« Die Falle antwortete: »Frag' wonach du willst, damit ich dir offenkund thue, was du im Herzen begehrst; denn ich will dir getreulich jede meiner Absichten erklären und dir wahrhaftiglich meine ganze Sache und meine verborgenen Gedanken enthüllen, daß dir nichts von meinem Vorhaben verborgen bleibt.« Da hob das Vöglein an und sprach: »O mein Bruder, warum und weshalb sehe ich dich in dieser Weise im Staube wohnen, fern von Verwandten und 120 Gefährten, und warum hast du deine Angehörigen und Freunde verlassen und dich von der Zärtlichkeit deiner Lieben getrennt?« Die Falle entgegnete: »Hast du nicht gelernt, o mein Bruder, daß Zurückgezogenheit beständiges Heil ist, daß Fernbleiben vom Volk Segnungen verleiht und Trennung von der Welt leibliches Wohl bringt. In Bezug hierauf hat ein Weiser gesagt:

»Einsamkeit und nicht schlechte Gesellschaft.«

Ebenso sprach man zu El-Bahlûl:Lebte zur Zeit Hārûn er-Raschîds. »Warum säumst du unter den Häusern der Toten und verweilst an einer unfruchtbaren Stätte, und was bist du so fern von Verwandten und Gefährten und hast keine Liebe für Bruder und Freunde?« Er versetzte jedoch: »Weh euch! Würde ich unter meinen Angehörigen wohnen, sie würden mich eines Tages nicht mehr lieben; während ich aber fern von ihnen weile, werden sie mich nie tadeln, indem sie sich weder meiner Liebe erinnern noch meine Vorliebe begehren; und so zufrieden bin ich mit meiner Einsamkeit, daß, wenn ich meine Familie sähe, ich wie in Furcht vor ihr zurückschrecken würde; ja, würden meine Eltern von neuem zum Leben erweckt und verlangten nach meiner Gesellschaft, fürwahr, ich würde vor ihnen fliehen.« Das Vöglein erwiderte: »Fürwahr, mein Bruder, du hast in allen deinen Worten die Wahrheit gesprochen, und der beste Rat ging von dir aus; aber gieb mir, bitte, Auskunft über jenen Strick, der mitten um deinen Leib gewunden ist, und weshalb du trotz aller Anstrengungen auf dem Boden weder stehst noch sitzest?« Die Falle versetzte: »O mein Bruder, wisse, eine jede Nacht jeden Monats verbringe ich in Gebet, während welcher Übung ich, wenn mich je Müdigkeit überkommen sollte, diesen Strick um meinen Leib binde, wodurch ich den Schlaf aus meinen Augen treibe und um so wacher für meine Gebete werde. Wisse auch, daß Gott – Preis Ihm, dem Erhabenen! – 121 seine Diener liebt, so sie gottesfürchtig sind und allerwege in Andacht zu bringen, stets dem Gebet ergeben und ihn bei Tag und Nacht preisend; und die, sich auf ihren Seiten drehend, den Herrn in Sehnsucht und Furcht lieben und ihr Gut als Almosen austeilen. Sprach doch auch Gott – Preis Ihm, dem Erhabenen! –: Sie schliefen nur einen kleinen Teil der Nacht und schon des Morgens früh flehten sie um Vergebung.«Sure 51, 17.

Da entgegnete das Vöglein: »Du hast, o mein Bruder, in jedem deiner Worte wahr gesprochen und hast alles sehr schön gesagt; jedoch – ich bin in deinem Schutz – sag' an, weshalb ich dich zur Hälfte in der Erde vergraben und zur Hälfte über der Erde sehe?« Die Falle entgegnete: »Ich bin es aus dem Grunde, daß ich hierdurch den Toten ähnlich werde und im Leben die verderblichen Lüste des Fleisches meide. Sagt doch Gott – Preis Ihm, dem Erhabenen! – in seinem heiligen Buch: »Aus Staub haben wir euch erschaffen, in den Staub werden wir euch wieder zurückkehren lassen und dann werden wir euch zum andern Male daraus hervorziehen.«Sure 20, 57. Das Vöglein versetzte hierauf: »Du hast die Wahrheit gesprochen, weshalb aber sehe ich deinen Rücken so gekrümmt?« Die Falle erwiderte: »Wisse, mein Bruder, der Grund davon, daß mein Nacken so gebeugt ist, liegt darin, daß ich so häufig des Tages dastehe und bete und des Nachts im Dienste des Königs, des Allgütigen, Einigen, Allgewaltigen, Erhabenen und Allmächtigen, aufstehe.« Das Vöglein versetzte: »O mein Bruder, du hast die Wahrheit gesprochen, und ich habe dich verstanden und bin von deiner Wahrhaftigkeit überzeugt. Jedoch sehe ich ein härenes Kleid an dir.« Die Falle entgegnete: »O mein Bruder, weißt du nicht, daß die Kleider der Frommen und der Asketen aus Haar und Wolle bestehen?« Das Vöglein antwortete: »Fürwahr, deine Worte sind wahr; sag' mir jedoch, was das für 122 ein Stab ist, den du in der Hand hältst?« Die Falle erwiderte: »O mein Bruder, wisse. ich bin ein alter und hochbetagter Scheich geworden und meine Kraft hat nachgelassen, weshalb ich mir einen Stab nahm, daß ich mich darauf stütze und an ihm eine Hilfe finde, wenn ich faste.« Das Vöglein versetzte: »Deine Worte sind wahr, mein Bruder, und du sprichst, wie es sich geziemt, jedoch möchte ich dich noch nach etwas fragen, und du verweigere mir nicht die Auskunft darüber; sag' mir, weshalb und warum hier so viel Korn um dich verstreut ist.« Die Falle antwortete: »Siehe, die Kaufleute und die Reichen bringen mir diese Speise, daß ich sie den Fakiren und Hungrigen als Almosen gebe.« Da versetzte das Vöglein: »O mein Bruder, ich bin auch hungrig; befiehlst du mir also davon zu essen?« Die Falle erwiderte: »Du bist mein Gefährte, darum ist solch ein Befehl Pflicht für mich; sei so gütig, mein Bruder, und komm schnell hierher und iß.«

Hierauf flog das Vöglein von seinem Baum herunter und kam Stückchen für Stückchen mit vor Furcht bebendem Herzen näher, worauf es einige Körnlein, die neben der Falle lagen, aufpickte, bis es zu dem Korn kam, das in die Schlinge der Falle gelegt war, und nach ihm pickte. Ehe es aber noch etwas Gutes davon gewonnen hatte, kam die Falle schwer auf es nieder und verstrickte seinen Hals, es festhaltend. Da schrie das Vöglein, von Todesschrecken erfaßt: »Zîk, Zîk! Mîk, Mîk! Fürwahr, ich bin ins Verderben geraten und durch einen Freund verraten! Weh über meinen Kummer und mein Mißgeschick, Zîk, Zîk! O du, der du meine Lage kennst, setz' mich instand zu entkommen, errette mich aus dieser schlimmen Klemme und sei barmherzig und mild zu mir!« Die Falle aber sprach nun zu ihm: »Du piepst Zîk, Zîk! und bist in die schlimmste Klemme geraten und von deinem Weg abgeirrt, du Heide und Atheist; nun soll dir weder Bruder noch Freund und Kamerad helfen. Jetzt versteh' und such' dein Vergnügen! Ich fing dich mit einer List, 123 und du liehest ihr dein Ohr und wardst lüstern.« Das Vöglein versetzte: »Ich bin einer, den das Gelüst niedergeworfen, und den Thorheit und zügellose Gier verführt hat, einer für dessen Hals das Halsband der Vernichtung fertig gemacht ist, und der mit denen, die am tiefsten fallen, gestrauchelt ist.«

Hierauf kam der Vogelsteller mit seinem Messer, das Vöglein zu schlachten und sprach: »Wie viele Vögel haben wir nicht schon in aller Gemächlichkeit gefangen aus Verlangen nach seinem Fleisch, ihre Köpfe mit Reis oder in HarîseEin Teig aus zerstoßenem Weizen mit Butter, Fleisch und Gewürzen geknetet. oder in der Pfanne gebacken selber mit Behagen zu schmausen oder Große und Vornehme damit zu bewirten. Ebenso liegt es uns ob, die Hälfte ihrer Leiber selber zu verspeisen, und die andere Hälfte soll für unsere Gäste sein, während ich die Flügel meiner Familie und meinen Verwandten als prächtigste Gabe vorsetzen will.«

Als das Vöglein diese Worte vernahm, rief es: »Siehst du nicht, wie mager mein Fleisch und schlank mein Wanst ist? Fürwahr, ich kann dir nicht als Speise dienen und deinen Hunger stillen; fürchte daher Gott und gieb mir die Freiheit, dann wird dir's der Allmächtige überreich lohnen.« Der Vogler hörte jedoch gar nicht auf seine Worte sondern gab es seinem Sohn, indem er zu ihm sprach: »Mein Kind, trag' diesen Vogel nach Hause, schlachte ihn und koch' uns von ihm ein Kümmelragout und ein Citronenstew, ein Gericht gewürzt mit Traubensaft, ein zweites aus Pilzen, ein drittes aus Granatapfelkörnern und ein viertes aus geronnener Milch gekocht mit Summâk, und feines in der Pfanne Gebackenes, sowie Konserven von Birnen, Quitten, Äpfeln und Aprikosen, geheißen Rosenwasser, und Vermicelli und Sikbâdsch; ferner Fleisch mit den sechs Blättern angerichtet, eine Mehlsuppe, Milchreis, Adschīdschîje, gebratene Fleischschnittchen, Kabâben, Oliven und dergleichen Gerichte. Ebenso mach' aus seinen Därmen Bogensehnen, aus seiner 124 Speiseröhre eine Wasserleitung fürs Dach, aus seiner Haut ein Tischtuch und aus seinen Federn Polster und Kissen.« Als der Vogel in der Hand des Vogelstellers dies vernahm, lachte er vor Kummer und sagte: »Weh dir, Vogelsteller, wohin ist dein Witz und Verstand gekommen? Bist du verrückt oder trunken? Bist du vor Alter kindisch oder schläfst du? Bist du schwer von Begriffen oder geistesabwesend? Fürwahr, wenn ich selbst der langhalsige AnkāvogelDer Phönix. wäre, die Tochter des Lebens, oder die Kamelin Sâlihs oder Isaaks Opferwidder oder Es-Sâmirīs sprechendes KalbDas goldene Kalb der Juden; wer Es-Sâmirī ist, ist nicht festzustellen; vielleicht Aaron. oder ein lecker gemästeter Büffel, so würde doch alles, was du da erwähnt hast, nicht von mir kommen. Willst du mich in deiner Gier wirklich schlachten, wie du es sagtest, so werde ich dir nichts nützen; willst du jedoch mir wohl und setzest mich in Freiheit, so will ich dir etwas zeigen, das dir Nutzen bringen und deiner Kindeskinder und spätesten Nachkommen Glück ins Werk setzen soll.« Da fragte der Vogelsteller: »Was willst du mir für einen Rat geben?« Das Vöglein erwiderte: »Ich will dich drei Worte der Weisheit lehren und will dir in dieser Erde einen Schatz zeigen, der dich, deine Kinder und Nachkommen für immer zufriedenstellen soll, daß ihr stets für meines Lebens Dauer beten werdet. Außerdem will ich dir ein Paar aschgrauer Falken zeigen, von großem Körper und plumper Masse, die meine besten Freunde sind und die du in den Gärten ungefangen ließest.« Da fragte der Vogelsteller: »Und welches sind die drei Worte, die so nach Weisheit schmecken?« Das Vöglein entgegnete: »Die drei Weisheitsworte sind: »Traure nicht über das Vergangene, freue dich nicht zu früh über das Künftige und glaube nichts, als worauf dein Blick gefallen ist. Was aber den Schatz und die beiden Falken anlangt, so will ich sie dir zeigen, wenn du mich freigelassen hast, und sehr bald sollst du dann 125 die Wahrheit meiner Worte erschauen.« Da ward das Herz des Vogelstellers dem Vöglein in seiner Freude über den Schatz und die Falken zugethan; und des Gefangenen List bethörte den Fänger und benahm ihm den Verstand, so daß er alsbald seinen Fang losließ, worauf das Vöglein sofort in mächtiger Freude, sein Leben vom Tode errettet zu haben, aus der Hand des Vogelstellers flog. Nachdem es dann sein Gefieder geputzt und seine Schwungfedern und Flügel ausgebreitet hatte, lachte es, daß es fast ohnmächtig zur Erde fiel. Alsdann begann es nach rechts und links auszulugen, und tief zu atmen und immer größere Freude zu bezeugen, so daß der Vogelsteller sprach: »O Vater der Flucht, o du, der Wind geheißen, was sagst du nun zu mir in betreff der beiden aschgrauen Falken, die du mir zeigen wolltest, und wo sind die Gefährten, die du in den Gärten verließest?« Da gab ihm das Vöglein zur Antwort: »Ach und Weh! Nimmer sah ich einen Esel wie dich oder etwas geringer an Verstand und größer an Dummheit; denn, fürwahr, du hegst Gedankenlosigkeit in deinem Kopf und Schwäche in deinem Verstand. O du Schwachkopf, wann sahst du wohl einen Sperling mit einem Falken, geschweige denn gar mit zwei, Freundschaft haben? So kurz ist dein Witz, daß ich deinen Händen durch die einfachste List entrann, die mir meine Einsicht und Kenntnis eingab. Weh dir, du armseliger und elender Wicht, du weißt nicht, was du an mir verloren hast, denn, in der That, deine Absicht ist vereitelt, dein Glück ist zu Schanden geworden, und dir nahe sind Armut und Dunkel. Hättest du, als du mich fingst, meinen Hals aufgeschnitten und meinen Kropf gespalten, du hättest darin ein Juwel von dem Gewicht einer Unze gefunden, das ich aus dem Schatz des Königs Kisrā Anūschīrwân aufpickte und verschluckte.«

Als der Vogelsteller die Worte des Vögleins vernahm, streute er Staub auf sein Haupt und schlug sich vors Gesicht, seinen Bart ausraufend und seine Kleider zerreißend, 126 bis er schließlich ohnmächtig zu Boden fiel. Wie er dann wieder zu sich kam, schaute er nach seinem entronnenen Gefangenen und rief: »O du Vater der Flucht, du der Wind geheißen, sag' an, kehrst du wohl je wieder zu mir zurück? Du solltest dann bei mir wohnen, und ich wollte dich wie meinen Augapfel hüten, dich nach all dieser Mühsal und Plackerei parfümieren und mit Ambra und Komoriner Aloe beräuchern, und dir Zucker und Piniennüsse als Speise bringen, und du solltest in höchsten Ehren bei mir bleiben.« Das Vöglein versetzte jedoch: »O du Elender, was vergangen ist, ist vergangen; ich lasse mich von deiner Arglist und schmeichlerischen Falschheit nicht fangen. Und Preis sei dem Herrn, o du erbärmlichster Wicht, wie schnell hast du doch die drei Lehren vergessen, die ich dir gab! Wie kurz ist dein Witz, wo du doch siehst, daß mein ganzes Leibesgewicht noch keine zehn Drachmen ausmacht, ich also gar nicht in meinem Kropf ein Juwel im Gewicht einer Unze tragen kann. Wie fern von dir ist Scharfsinn, und wie schnell hast du meine Ermahnung vergessen, die ich dir gab, indem ich zu dir sprach: »Glaube nichts als worauf dein Blick gefallen ist, bedaure und betraure nicht das Vergangene und freu' dich nicht zu früh über das Künftige.« Diese Worte der Weisheit sind dir ganz aus dem Gedächtnis entschwunden. Wärst du schnell von Verstand gewesen, du hättest mich auf der Stelle geschlachtet; jedoch, gelobt sei Gott, der mich nicht die scharfe Schneide des Messers schmecken ließ, und ich danke meinem Herrn für mein Entkommen und für meines Wohlergehens Befreiung aus der Falle der Kümmernis.«

Als der Vogelsteller diese Worte des Vögleins vernahm, bereute und bedauerte er seine Thorheit und rief: »Ach, daß ich diesen Vogel nicht schlachtete!« Dann sank er zu Boden, während das Vöglein von ihm Abschied nahm und zu seinem Heim und seinen Angehörigen flog, wo es sich setzte und alle seine Erlebnisse mit dem Vogelsteller erzählte. 127

 


 


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