Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XXII
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Das lustige Märlein vom Hahn und Fuchs.

Es lebte einmal in einem Dorf ein Mann, der ein betagter Scheich war, begabt mit gutem Rat und trefflichem Verstand. Dieser Mann hatte auf seinem Gut eine Menge Hähne und Hühner, von deren Eiern und Jungen er lebte. Unter seinen Hähnen befand sich aber auch ein betagter und verschlagener Hahn, der lange mit dem Schicksal gefochten hatte und weise und voll Einsicht in irdischen Dingen und den Wechseln und Läuften der Zeit geworden war. Eines Tages traf es sich nun, daß dieser Hahn ausging und über das Feld spazierte, indem er beim Gehen Weizen, Gerste, Durra, Sesam und Hirsekörner, wie sie ihm gerade in den Weg kamen, aufpickte; da er jedoch nicht auf sich acht gab, hatte er das Dorf weit hinter sich gelassen, ohne zu bedenken, was er that, und, ehe er noch mit sich zu Rate ging, befand er sich mitten in der Wildnis. Infolgedessen kehrte er sich nach rechts und links, da er jedoch nirgends einen Freund oder Gefährten erspähte, stand er ratlos in seiner Sache und mit beklommener Brust da, ohne zu wissen, was er thun sollte.

Wie er nun so bestürzt seinen nächsten Schritt that, fiel sein Blick mit einem Male in der Ferne auf einen Fuchs, der auf ihn zukam, so daß er vor Furcht zitterte und von gewaltigem Schrecken erfaßt wurde. Er wendete sich sofort um und gewahrte nun eine hohe Mauer, die sich aus der Wüste erhob, auf die sein Feind nicht steigen konnte, weshalb er seine Flügel ausbreitete und hinaufflog, oben auf dem Rand seinen Stand nehmend. Als aber der Fuchs an den Fuß der Mauer kam und keinen Weg fand, dieselbe zu erklimmen und dem Hahn beizukommen, erhob er sein Haupt und sprach zu ihm: »Der Frieden sei auf dir, o wahrhaftiger Bruder und wohlanstehender Freund!« Da sich der Hahn jedoch nicht zu ihm kehrte und ihm keine Antwort auf seinen Gruß gab, hob der Fuchs von neuem an: »Was fehlt dir, mein treuer Bruder, daß du meinen Gruß nicht erwiderst 115 und dich nicht an meine Worte kehrst?« Der Hahn erwiderte ihm auch diesmal seine Höflichkeit nicht und lehnte es ab ihm zu antworten, worauf der Fuchs von neuem begann: »Weißt du nicht, mein Bruder, mit welcher frohen Botschaft ich zu dir kam, mit welcher wohlanstehenden Nachricht, welchem wahrhaftigen Rat und welch lauterer und unzweifelhafter Kunde? Wüßtest du, was mir zu Ohren gekommen ist, du hättest mich umarmt und auf den Mund geküßt.« Der Hahn stellte sich jedoch geistesabwesend, indem er ihn ignorierte, und antwortete ihm nichts, sondern stand mit runden, in die Ferne gerichteten Augen da, so daß der Fuchs von neuem anhob: »O mein Bruder, der König der Tiere, der Löwe, und der König der Vögel, der Adler, sind auf einer Fahrt auf Wiesen eingekehrt, wo das Gras sprießt und das Wasser fließt, wo Blumen blühen und äsende Gazellen hin- und herziehen; beide haben allerlei wildes Getier um sich versammelt, Löwen und Hyänen, Leoparden und Luchse, Wildkühe, Antilopen, Schakale und selbst Hasen; kurz, alles Wild der Welt; ebenso haben sie alle Vogelarten versammelt, Adler und Geier, Krähen und Raben, wilde Tauben und Turteltauben, Federvieh und Hühner, Katās, Wachteln und anderes Kleinwild. Und beide Könige haben dem Herold befohlen in der Hochlandsteppe und in der Niederungswildnis Sicherheit und Schutz, Brüderschaft und Frieden mit Ehren und Mitgefühl, Freundschaft, Zuneigung und Liebe unter dem wilden Getier, dem Vieh und den Vögeln anzukündigen; die Feindschaft soll abgethan und Unrecht verboten sein, keiner soll sich wider den andern vergehen, und, wer seinem Nächsten etwas zuleide thut, der soll mit gutem Grund ausgepeitscht und zu Recht in Stücke zerrissen werden. Ferner ist der Befehl ausgegangen, daß alle sich nähren und weiden sollen, wo es ihnen beliebt, ohne sich je des Friedensbruches zu unterfangen, sondern sollen in aller Freundschaft und Zuneigung und einträchtiger Liebe bei einander wohnen. Überdies haben sie mir, ja gerade mir, den Auftrag erteilt, die 116 Steppen zu durchstreifen und die Bewohner der Wildnis mit der frohen Botschaft zu erfreuen und anzukündigen, daß sich alle ohne Ausnahme versammeln sollen, und daß jeder Singvogel, der da säumig ist oder den Gehorsam verweigert, nicht ungestraft davonkommen soll, und soll kein einziger verfehlen zu erscheinen und die Hände zu küssen. Von dir ganz besonders, mein Bruder, verlange ich, daß du wohlbehalten und in Sicherheit und Zufriedenheit von deinem hohen Standort herunterkommst, und daß dein Herz fortan nicht erschreckt wird und deine Glieder vor Furcht nicht zittern.«

Alles dies erzählte der Fuchs dem Hahn, der auf ihn nicht im geringsten achtete, als hätte er die Nachrichten gar nicht vernommen; vielmehr beharrte er weiter in seinem Schweigen, ohne ihm Antwort zu geben oder auch nur sich zu wenden und ihn anzublicken; im Gegenteil hielt er sein Haupt aufgerichtet und schaute weiter in die Ferne. Da sprach der Fuchs zu ihm, dessen Herz vor Verlangen brannte, zu erfahren, wie er ihm beikommen und ihn verschlingen könnte: »O mein Bruder, weshalb und warum giebst du mir keine Antwort und richtest kein Wort an mich, ja kehrst dein Antlitz mir nicht einmal zu, wo ich doch der Bote des Löwen, des Königs der Tiere, und des Adlers, des Königs der Vögel, bin? Ich fürchte sehr, daß dich, wenn du dich weigerst mich zu begleiten, außerordentlicher Tadel und übermäßiger Haß treffen wird, da alle vor den Königen versammelt sind und auf grüner Au weiden.« Alsdann fügte er hinzu, da der Hahn sich an ihn nicht kehrte: »O mein Bruder, ich rede zu dir, und du achtest weder auf mich noch auf mein Wort; wenn du dich weigerst mit mir zu ziehen, so laß mich wenigstens deine Antwort wissen.« Da neigte sich ihm der Hahn zu und sprach: »Du hast wahr gesprochen, o mein Bruder, und wohl weiß ich, daß du ein Bote und Bevollmächtigter unseres Königs und sein besonderer Gesandter bist; jedoch bin ich durch das, was mich betroffen hat, beunruhigt.« Nun fragte der Fuchs: »Und welches 117 Unglück, o mein Bruder, hat dich betroffen?« Der Hahn versetzte: »Siehst du, was ich sehe?« Der Fuchs erwiderte: »Und was siehst du denn?« Der Hahn entgegnete: »Fürwahr, ich sehe eine Staubwolke sich erheben und die Sakerfalken um sie schweben.« Da sagte der Fuchs, dessen Herz vor Furcht zu pochen begann: »Sieh genau zu, o mein Bruder, daß uns kein Unheil widerfährt.« Hierauf schaute der Hahn wie verstört eine geschlagene Stunde aus, worauf er sich zum Fuchs wendete und zu ihm sprach: »O mein Bruder, ich sehe deutlich einen Vogel fliegen und eine Staubfährte einhereilen.« Da rief der Fuchs, dessen Schultermuskeln zitterten: »Sieh es dir genau an, mein Bruder, ob es vielleicht das Anzeichen des Windhunds ist.« Der Hahn versetzte: »Die Wahrheit ist Gott allein bekannt, jedoch scheint es mir jetzt, als ob ich etwas mit langen Füßen, schmächtiger Flanke, losen Ohren, feiner Stirn und feistem Hinterviertel sehe, und in diesem Augenblick kommt es heran und ist nahe bei uns, – o wie hübsch!« Als aber der Fuchs diese Worte vernahm, rief er dem Hahn zu: »O mein Bruder, ich muß dir Lebewohl sagen,« und mit diesen Worten machte er sich auf und vertraute seine Beine dem Wind an, zum Vater der Sicherheit seine Zuflucht nehmend. Sobald der Hahn dies gewahrte, rief er: »Weshalb fliehst du so, wo dein Herz keinen Räuber zu fürchten hat?« Der Fuchs versetzte: »Ich fürchte mich vor dem Windhund, o mein Bruder, denn er gehört nicht zu meinen Freunden und Gefährten.« Da entgegnete der Hahn: »Sagtest du mir nicht, du kämest als Bevollmächtigter des Königs in diese Wüste, Frieden und Sicherheit unter allen Tieren und Vögeln anzukündigen?« Der Fuchs erwiderte: »O mein Bruder Hahn, dieses Tier, der Windhund, war nicht gegenwärtig, als der Frieden angekündet ward, und sein Name ward auch nicht in der Versammlung der Tiere angekündigt. Ich für meinen Teil habe keine Liebe für ihn übrig, und zwischen mir und ihm giebt's keine Sicherheit.« Mit diesen Worten kehrte sich 118 der Fuchs stracks zur Flucht und floh aufs schimpflichste, während der Hahn seinem Feind durch seine List und Schlauheit in vollkommener Sicherheit und Wohlbehaltenheit entkam. Nachdem der Fuchs sein Heil in der Flucht gesucht hatte, kam der Hahn von der Mauer herunter und suchte seinen Hof wieder auf, Gott, den Erhabenen, lobend, der ihn unverletzt wieder an seine Stätte gebracht hatte. Hier erzählte er seinen Gefährten sein Erlebnis mit dem Fuchs und die schlaue List, die er ersonnen und durch die er sich aus einer Klemme gezogen hatte, in der ihn sein Feind ohne dieselbe Glied für Glied zerrissen hätte.

 


 


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