Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band VII
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Etwas von Großmut und Seelenadel.

Ferner erzählt man, daß einmal ein Mann lebte, welcher viele Schulden hatte und infolge seiner bedrängten Lage seine Angehörigen und seine Familie verließ und verzweifelt aufs Geratewohl auszog und unablässig wanderte, bis er nach geraumer Zeit zu einer Stadt mit hohen Mauern und mächtigen Bauten gelangte und dieselbe in herabgekommenem, elendem Zustande, von Hunger geplagt und vom Wege ermattet, betrat. Als er nun durch eine der Hauptstraßen kam, sah er dort eine Gesellschaft vornehmer Leute gehen und folgte ihnen, bis sie in ein Haus gingen, das einem Königspalaste glich. Er folgte ihnen auch in dieses Haus, und die Leute gingen immer weiter, bis sie schließlich zu einem Manne von würdevollem, majestätischem Aussehen gelangten, welcher in einem Saale auf dem Ehrenplatz saß und von Pagen und Eunuchen umgeben war, als wäre er 126 eines Wesirs Sohn. Als dieser die Ankömmlinge sah, erhob er sich vor ihnen und empfing sie ehrenvoll, so daß der Mann, der ihnen gefolgt war, hierüber erschrak und von dem, was er schaute, –

Dreihundertundeinundvierzigste Nacht.

von dem schönen Haus sowohl als von der Menge der Eunuchen und Dienerschaft, ganz verwirrt wurde und sich bestürzt und aus Furcht für sein Leben in einen abgelegenen Winkel zurückzog und sich dort setzte, um von niemand gesehen zu werden. Während er jedoch hier saß, kam mit einem Male ein Mann mit vier Jagdhunden herein, welche mit verschiedenen seidenen Tüchern und Brokatstoffen bedeckt waren und an ihrem Hals goldene Halsbänder mit silbernen Ketten trugen. Nachdem der Mann jeden der Hunde an seinen besondern Platz gebunden hatte, ging er fort und holte für jeden eine goldene Schüssel voll auserlesenem Essen und setzte einem jeden Hunde seine besondere Schüssel vor. Dann ging er wieder fort und ließ sie allein, während der fremde Mann in seinem großen Hunger die Mahlzeit der Hunde betrachtete und gern zu einem der Hunde gegangen wäre, um mit ihm zu essen, wenn er sich nicht vor ihm gefürchtet hätte. Mit einem Male schaute ihn einer der Hunde an, und Gott, der Erhabene, ließ ihn seinen Zustand ahnen, so daß er sich von der Schüssel zurückzog und ihm ein Zeichen gab, worauf er herzukam und sich satt aß. Als er dann wieder fortgehen wollte, gab ihm der Hund ein Zeichen, daß er die Schüssel mit ihrem Inhalt an Speise mitnehmen solle, und schob sie ihm mit seiner Vorderpfote zu. Da nahm er sie und ging aus dem Hause hinaus, ohne daß ihm jemand gefolgt wäre, und zog zu einer andern Stadt, wo er die Schüssel verkaufte und für ihren Erlös Waren einkaufte, mit denen er dann wieder in seine Heimatstadt zurückkehrte. Hier verkaufte er die Waren und bezahlte seine Schulden; und sein Besitz wuchs und ward groß, und er lebte in 127 wachsendem Wohlstand und vollkommenem Glück. Nachdem er geraume Zeit in seiner Heimat gelebt hatte, sprach er bei sich: »Ich muß doch einmal nach jener Stadt zu dem Besitzer der Schüssel reisen und ihm ein hübsches und passendes Geschenk mitnehmen, um ihm die Schüssel zu bezahlen, die mir einer seiner Hunde schenkte.« Hierauf nahm er ein passendes Geschenk und den Preis für die Schüssel mit sich und reiste ununterbrochen die Tage und Nächte über, bis er zu jener Stadt gelangte und hineinging. Wie er nun aber durch die Straßen der Stadt zog, um den Eigentümer der Schüssel aufzusuchen, und zu seinem Hause kam, fand er nichts als zerfallene Ruinen und krächzende Raben, eine verödete Stätte und alles bis zur Unkenntlichkeit verändert. Da erbebten ihm Herz und Seele, und er sprach das Dichterwort:

Die Schätze sind verschwunden aus ihren Zellen,
Wie Kenntnisse und Gottesfurcht aus den Herzen.
Verändert ist das Thal und seine Gazellen,
Nicht sind's die alten Gazellen und die alten Sandhügel.

Und eines andern Wort:

Zur Nachtzeit erschien mir Soadas Traumbild und weckte mich;
Schon graute der Morgen, doch schliefen die Freunde noch all in der Wüste.
Doch als ich erwachte, fand ich das nächtliche Traumbild nicht,
Die Luft sah ich leer und fern den Wallfahrtsort.Soada, ein Mädchenname; die letzte Zeile, ein häufig gebrauchtes Citat. Vgl. 315. Nacht.

Wie nun jener Mann die zerfallenen Trümmer sah und das offenbare Werk der Hände des Schicksals wahrnahm, welche nur Spuren von dem früher Vorhandenen hinterlassen hatten, bedurfte es für ihn keiner weitern Erklärung. Als er sich jedoch wieder zum Gehen wendete, gewahrte er einen armen Mann in so kläglichem Zustande, daß ihm die Haut davon schauderte, und daß sich harte Felsen seiner hätten erbarmen müssen. Er fragte ihn: »Du da, was hat 128 das Schicksal und die Zeit aus dem Herrn dieser Stätte gemacht? Wo sind seine leuchtenden Vollmonde und seine strahlenden SterneDie schönen Mädchen. hingekommen, und wie kam es, daß solches Unheil über sein Haus kam, daß nichts als die Mauern übrig blieb?« Da antwortete der Mann: »Der, den du hier siehst, ist der Unglückliche, welcher beweint, was ihn nackend gemacht hat. Doch kennst du nicht das Wort des Gesandten, – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – das eine Lehre für alle ist, die sich belehren und eine Mahnung für alle, die sich auf den rechten Weg führen lassen, und das da lautet: Siehe, Gottes, des Erhabenen, Weise ist es, daß er nichts in dieser vergänglichen Welt erhöhet, das er nicht auch wieder erniedrigt? Wenn du nach der Ursache dieses Unglücks fragst, so ist der Wandel der Zeit nicht wunderbar. Ich war der Herr dieses Hauses, ich schuf es, baute es und besaß es zum Eigentum. Ich war der Herr der leuchtenden Vollmonde, der stolzen Pracht, der schimmernden Kleinodien und der strahlendschönen Mädchen, doch die Zeit kehrte sich ab und nahm die Eunuchen, die Diener all und all das Gut von hinnen; sie pfändete mir alles wieder ab und überfiel mich mit ihren verborgenen Schlägen. Doch mußt du für deine Frage einen Grund haben; sag' ihn mir und laß deine Verwunderung.« Da erzählte ihm der Mann, schmerzlich ergriffen, die ganze Geschichte und sagte zu ihm: »Ich habe dir ein Geschenk gebracht, wie es die Herzen begehren, und den Preis für die goldene Schüssel, die ich von dir nahm; denn sie war die Ursache meines Reichtums nach der Armut, des Wiederaufbaues meines Hauses aus seiner Verödung und des Endes all meiner Sorge und Bedrängnis.« Als der Unglückliche diese Worte vernahm, schüttelte er das Haupt und weinte, seufzte und klagte und sagte: »Du da, ich glaube du bist verrückt, denn so handelt kein verständiger Mensch. Wie käme ich dazu, wenn einer unserer 129 Hunde dir eine goldene Schüssel schenkte, dieselbe wieder zurückzunehmen? Fürwahr, höchst wundersam wäre es, wollte ich etwas zurücknehmen, was mein Hund verschenkt hat. Wäre ich in drückendster Sorge und in schlimmstem Elend, so nähme ich nichts von dir an, und hätte es auch nur eines Nagelschnipselchens Wert. Zieh' daher von hinnen, von wannen du gekommen bist, gesund und in Frieden.« Da küßte der Mann ihm die Füße und kehrte heim, indem er ihn pries und beim Abschied von ihm den Vers sprach:

»Fort sind die Menschen und fort mit ihnen die Hunde,
So komme auf die Menschen und die Hunde der Frieden.«

Und Gott ist allwissend.

 


 


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