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Achtes Kapitel.
Die Geschichte des alten Koläko.

Unsere roten Wirte zeigten sich uns während unseres mehrtägigen Aufenthaltes von ihrer solidesten Seite. Sie gingen, um ein deutsches geflügeltes Wort in ein – gleichfalls geflügeltes – südamerikanisches zu übersetzen, mit den Uhren-Inambus zu Bette und standen mit den Amazonenpapageien wieder auf. Dazwischen lag die Nacht in der brütenden Finsternis der Maloca, die man freilich nicht verließ, denn die bösen Geister machen sich nicht nur, wie schon Huitaca sagte, auf dem nächtlichen Flusse zu schaffen, sondern flüchten sich auch in Jaguar und Puma oder verstecken sich in eine » bejuco«. Worunter in diesem Fall keine Liane, die » el bejuco« heißt, zu verstehen ist, sondern eine äußerst gefährliche Giftschlange, die, infolge einer eigenartigen Mimikry, aufs täuschendste einer Liane gleicht.

Das wichtigste für uns aber blieb es, daß Yama-kos Stamm friedlich von Jagd und Fischfang lebte und nicht zu jenen noch völlig kriegerischen Wilden rechnete, die jeden weißen Eindringling mit einem Hagel von Pfeilen empfangen. Dieser Stamm, zu einer Hundertschaft zusammengeschmolzen, hatte im Bewußtsein seiner Schwäche wohl schon längst kriegerischen Gelüsten entsagt. Was die Leute zum Leben brauchten, wuchs ihnen fast in den Mund. Das hatte ihre Tatkraft gelähmt. Es zeigte sich hier im kleinen, was uns so oft im lateinischen Amerika im großen begegnet: die unbarmherzig heiße Sonne hatte die Kraft der Seele gelähmt und den Geist und Gedanken ertötet, der sich über das Heute hinausschwingt. Wagemann hatte es kürzlich gelegentlich eines seiner fesselnden geschichtlichen Vorträge in die Worte zusammengefaßt: »Die glühende Sonne ist die Mutter von allem und verschlingt ihre eigenen Kinder.«

Heute lag ihm etwas anderes zunächst am Herzen. Die weißen Knaben Koläkos ... wo mögen sie geblieben sein? Wird der Gefangene uns das Rätsel lösen?

Yoma-kos Leute hatten erfahren, daß er ein Dieb war, der uns nachgestellt hatte. Sie fanden es in der Ordnung, daß er gefesselt worden war. Wagemann hatte uns schon früher gesagt, daß die Indios als ziemlich ehrlich gelten.

»Was werdet Ihr mit ihm tun?« übersetzte uns Huitaca ihre Frage. »Ihr werdet ihn den Kaimans vorwerfen?« Und sie waren erstaunt, daß das unsere Absicht nicht war.

»So wollt Ihr ihn freigeben?« forschten sie weiter.

»Nicht heute und morgen, aber eines Tages wird er frei sein und mag hingehen, von wo er gekommen ist.«

Sowohl Koläko wie Bonaparte hatten uns zugehört. Der Schwarze versicherte sofort kriecherisch, und wenn wir ihn auf der Stelle freiließen, er würde nicht einen Schritt tun, sondern aus freien Stücken bei uns bleiben.

» Se me nublaban los ojos Señores – ich würde Tränen vergießen, wenn Ihr mich von euch stoßt. Ich will gehen mit den Señores Alemánes bis ans Ende meiner Tage!«

Koläko dagegen seufzte auf. Wir hatten ihm den Knebel abgenommen. Er sagte: »Ihr wollt mich nicht töten, wie euer gutes Recht war, Caballeros. Aber wenn Ihr mich nicht heute und nicht morgen freigebt, so werdet Ihr zwei Menschen eurer eigenen Rasse töten.«

»Soll das eine Drohung sein? Redest du etwa von den beiden weißen Knaben, die sonst mit dir ritten? Wo sind sie? Wie könntest du sie töten? Willst du an den Schuldlosen Rache nehmen, sobald du hier freikommst?«

»Nicht das eine und nicht das andere. Aber die weißen Knaben sind samt den Pferden eingeschlossen. Die Knaben und die Pferde sterben vor Durst und Hunger, wenn Ihr mich nicht freigebt. Sie wären auch gestorben, wenn Ihr mich erschlagen hättet. So aber schenkt Ihr mir das Leben und raubt es den anderen.«

Wagemann rüttelte ihn an den Schultern. »Gnade dir Gott, wenn du lügst! Wehe dir, wenn du uns zu täuschen suchst! Auf der Stelle gestehe, wo du die Knaben gelassen hast! Wer sind sie? Wie kommst du überhaupt zu der seltsamen Begleitung?«

Koläko seufzte wieder. Er sah eigentlich nicht wie ein Verbrecher aus. Von dem dreisten Auftreten von gestern, wo er den Sombrero geschwenkt hatte und stillvergnügt seiner Sache sicher gewesen war, war nichts mehr an ihm. Von Bonaparte unterschied er sich jedenfalls vorteilhaft.

»Hättet Ihr mir den Garaus gemacht, ich hätte nicht um mein Leben gebettelt, das dürft Ihr mir glauben. Aber Ihr fragt nach den weißen Knaben. Wo ich sie ließ? Wie ich zu weißen Knaben komme, der ich das Blut der Indios in meinen Adern habe? Das ist eine Geschichte, die nicht mit zwei Worten erzählt ist. Besser tätet Ihr, Ihr ließet mich mit zu den Knaben gehen, daß ich sie in den Wald lasse.«

»Du hättest sie wirklich eingesperrt?«

Der indianische Cowboy nickte ernsthaft. »Zu meiner Fahrt zu Euch konnte ich kein Gepäck gebrauchen. Ihr hättet Euch, wenn Ihr die weißhäutigen Knaben bei mir gesehen hättet, mehr mit mir beschäftigt, als mir lieb sein mußte. Jetzt weiß ich, daß Ihr es nicht erst nötig hattet, mir lange auf den Zahn zu fühlen. Der Neger da« – er machte eine Kopfbewegung zu Bonaparte, der träumerisch an einem Grashalm sog, als ginge ihn nichts etwas an – »der desertierte Neger da hat mich ja verraten.«

»Ein kleiner Irrtum! Besinnst du dich nicht, daß du unweit von Elisardo an uns mit deinen weißen Gefährten vorüberjagtest? Wer weiß, ob du es nicht warst, der vor uns die Brücke zersägte!«

O nein! Das bestritt Koläko. Die Brücke sei schon immer in dem Zustand gewesen, wie wir sie angetroffen hätten. Don Carlos ängstige sich in seiner ständigen Furcht vor Attentätern vor jedem Besuch. Die Brücke sei nicht für uns, sondern ganz im allgemeinen unbenützbar gemacht worden. Und was die Knaben anlange, so sei es wahr, daß er sie in sein Haus gesperrt habe. Das habe er der Misia, der Mutter der beiden, dereinst gelobt, daß er sie schützen werde. Gegen Jaguar und Schlangen seien sie sicher, nicht aber vor dem Hungertod, dem sie verfallen seien, wenn er nicht zurückkehre. Allerdings habe er mit dieser Möglichkeit nicht gerechnet.

»Weiter!« drängte der Professor. »Wir werden dich nicht unterbrechen. Wie kommst du zu den Knaben? Wo hast du sie?«

»Sie sind in einer Hütte, wo ein Gummisammler wohnte, ehe ihn ein Kaiman holte. Zwei Hütten stehen am Wege, den Ihr genommen habt –«

»Richtig!«

»Den anderen Cauchero töteten kriegerische Leute. Sie sind nicht alle so zahmen Sinnes wie die Leute Yama-kos, die Meraguácos heißen, weil sie vom Angeln leben. Wenn Ihr wollt, gehe ich in die Hütte, in der die Knaben eingeschlossen sind, und lasse sie ins Freie.«

»Und dich zugleich!« Wagemann schüttelte lachend den Kopf. »Da würden wir Roß und Reiter wohl niemals wieder sehen.«

»So reitet mit mir, wenn Ihr mir nicht traut.«

»Und aus dem Hintergrund brechen dann deine Kumpane! Der Herr, der den Jochen ausschickte, daß er den Michel hole, wird auch Sorge dafür getragen haben, daß dem Jochen beigestanden wird, wenn er nicht zurückkehrt. Nach allem, was wir von den Gepflogenheiten auf Elisardo wissen, sind wir nicht mehr harmlos genug, auf gewisse Hinterlisten hereinzufallen.«

Koläko schwor auf seine Unschuld. Er führte ins Feld, daß er Christ sei. Aber, wenn wir ihm mißtrauten, möchten wir die Knaben holen oder ins Freie lassen.

Wir beratschlagten. Das war eine Lösung, auf die wir eingehen konnten. Doch, während die Pferde schon gezäumt wurden, trat etwas ein, das den Professor veranlaßte, Koläko doch noch mitzunehmen. Koläko sagte nämlich, daß auch die Knaben von Haus aus Alemánes wären.

»Und das sagst du erst jetzt!« Koläko fühlte sich an beiden Schultern gepackt. »Sprich! Rede! Wie kommst du Unseliger zu deutschen Knaben?«

Der Professor rief uns alle herbei. »Ich nehme Koläko doch noch mit!« rief er. »Keine Sekunde darf verloren werden. Er mag mir unterwegs erzählen, wie das alles kam. Steig' aus, Mensch! Schnell in den Sattel! Und wenn du glaubst, uns in einen Hinterhalt locken zu können, so soll der da« – Wagemann drohte mit dem Revolver – »rechtzeitig reden!«

Ungesäumt kam es zum Aufbruch. Zu dritt ritten wir: Wagemann und ich und Koläko. »Jetzt rede!« befahl der Professor, den ich noch nie so aufgeregt gesehen hatte.

»Wir hatten Dienste auf einem Rancho genommen,« begann Koläko. »Mein Bruder Clemente und ich. Ein Deutscher hatte sich dort angekauft, der Don Federigo hieß. Er begann zu roden und zu pflanzen und war des guten Mutes voll, obwohl es ein hartes Kolonistenleben war. Ihr wißt, daß es reich ist an Entbehrung und Entsagung, dem wenige gewachsen sind, die nicht von Jugend auf an Entbehrung und einfachstes Leben gewöhnt sind. Das hat oft der fromme Pater Fernando gesagt, der am Fieber dahinsiechte. Don Federigo aber war ein tüchtiger Kolonist. Er hatte seine Frau mitgebracht, die Misia, von der ich sprach und die ihm zwei Söhne geboren hatte. Vier Wegstunden von Elisardo lag der Rancho, und er war Don Carlos, der damals mit einem Heer von Arbeitern, meistens Schwarzen, in die Gegend kam, ein Dorn im Auge. Mein Bruder erzählte mir das oft, und er fügte stets hinzu, daß ein gutes Stück Geld zu verdienen wäre, wenn Don Federigo aus der Gegend verschwinde.«

»Geld von Arboleda – von Don Carlos?«

»Das nahm ich an. Jedenfalls umgarnte jemand meinen Bruder mit Lockungen. Und da ist es eines Nachts geschehen, was niemand mehr gutmachen kann. Indios von einem fremden Stamme, die keiner hier kennt, kamen in die Gegend, und mein Bruder verriet ihnen, wo der Rancho Don Federigos lag. Es war eine grausige Nacht, und die Wilden überfielen uns. Don Federigo schoß alle seine Patronen ab, aber es war vergebens. Die Indios schwärmten immer dichter heran und legten Feuer an Stall und Haus, und ein Steinwurf traf die Misia an der Stirn. Wie sie starb, beschwor sie mich, ich solle um Christi Barmherzigkeit ihre Söhne retten. Und das habe ich der Sterbenden in die Hand gelobt. Ich entkam mit ihnen in dem Augenblick, wo das Dach des Ranchos in Flammen aufging, in den Wald. Ich habe mein Versprechen gehalten, Caballeros. Nun wißt Ihr alles.«

»Nein! Nun wissen wir noch lange nicht alles! Was wurde aus Don Federigo?«

»Die Indios werden ihn erschlagen haben, nachdem sie alles raubten, was der Rancho enthielt. Als ich nach Tagen mit dem ältesten Sohn von Don Carlos an die Stelle kam, wo der Rancho gelegen hatte, fanden wir nur verkohlte Trümmer. Darunter lag die Leiche der Misia. Mein Bruder wurde mit zerschnittener Kehle im Walde gefunden.«

»Und Don Federigo?« fragte Wagemann noch einmal.

»Ich vermag Euch nichts zu sagen. Seine Leiche fand sich nicht, und Don Alfonso, der Sohn von Don Carlos, sagte, die weißen Indios würden ihn mit sich fortgeschleppt –«

»Die weißen Indios?!« Wir glaubten nicht recht zu hören. »Was sagst du da, Koläko?«

»Die Angreifer waren hellhäutige Indios. Sie sind die kriegerischesten, die wir kennen. Sie leben in den Bergen gegen Osten. Wenige haben sie zu Gesicht bekommen, nur große Raubzüge locken sie mitunter bis in die Gegend des großen Rio Meta oder bis hinab zum Lago Mapiripan.«

»Furchtbar ist das, was du uns erzählst! Und Don Federigo war ein Deutscher, sagst du? Du kennst seinen Vatersnamen?«

»Ich weiß nur, daß er Don Federigo hieß. Die Knaben aber, die Julio und Ernesto heißen, sind seine Söhne. Ich wollte sie zu Don Carlos bringen. Doch Don Carlos sagte, sie seien bei mir gut aufgehoben. Sie sollten solche guten Boten werden, wie ich einer sei. Seit Don Federigos Haus dem Erdreich gleich gemacht ward, bezahlt mich Don Carlos. Er ist reich und mächtig, und er wird noch ein großer Herrscher und Erlöser der Bedrückten werden.«

Lange ritten wir in tiefer Erschütterung. Wir zweifelten nicht an Koläkos Worten. Aber welch grausiger Abgrund hatte sich vor uns aufgetan! Welch neuer Beweis von der Herzlosigkeit Arboledas war uns wieder geworden! Dieser Mensch hätte retten, hätte rächen können! Statt dessen hatte er gleichmütig und kalt zugesehen, wie sein einziger europäischer Nachbar dahingemordet worden war! Ja, er war mit dessen Vernichtung sogar zufrieden gewesen, und er hatte keine Hand ausgestreckt, um sich der armen, verwaisten Kinder anzunehmen. Wenn nicht bisher, in dieser uns so grauenerregende Eröffnungen bringenden Stunde wurde es uns klar: Arboleda war ein Scheusal, war nichts als ein grausamer Wüterich!

Wir trieben die Pferde zu eiligerem Vorwärts. Die Dornen peitschten unsere Gesichter, ohne daß wir ihrer achteten. Wir dachten nicht mehr an die hellhäutigen Indianer, deren Spur zu entdecken so oft das Ziel unserer Sehnsucht gewesen war; wir hatten nur den einen Wunsch, die Knaben so schnell wie möglich zu befreien. Nicht eine Stunde länger durften sie in der Hand des alten Koläko bleiben. Sie zu retten, war ein heiliges Gebot, war wichtiger als alles, was uns in Urwald und Wildnis und auf nie beschrittene Forscherpfade geführt hatte.

Aber wie, wie würden wir sie antreffen? Sie, die selbst Kinder der Wildnis geworden waren! Bange Zweifel, brennende Sorgen jagten uns vorwärts. In unglaublich kurzer Zeit hatten wir die Gegend der Furt erreicht, sahen wir die erste der beiden herrenlosen Caucherohütten aus dem Uferbuschwerk schimmern. Alle Vorsichtsmaßnahmen hatten wir vergessen, wir dachten an keinen Hinterhalt mehr ...

Und es lauerte auch kein Feind in dieser Wildnis. Koläko schob den ungefügen Holzriegel von der Pforte. Zwei Pferde wieherten hell. Zwei Knaben sprangen vom Boden auf ... blauäugige, blonde Knaben von zwölf bis dreizehn Jahren, die uns aus verbrannten Gesichtern groß anstarrten.

Koläko rief ihnen ein paar spanische Worte zu, denen er einige indianische hinzufügte. Das beruhigte sie, aber sie sahen uns, still nebeneinander stehend, beobachtend an. Unsere deutschen Worte verstanden sie nicht.

Trotzdem fiel uns ein Alp von der Brust.

»Sie hätten noch verwilderter sein können,« sagte der Professor. »Mich hatten furchtbare Ahnungen gepeinigt. Zweifellos ist an diesen Knaben unendlich gesündigt worden. Arboleda hat den unsühnbaren Frevel auf sich geladen, sie aus der Gemeinschaft der Artgenossen in die Wildnis zu stoßen. Daß wir sie trotzdem nicht als völlig verwilderte Geschöpfe finden, ist Koläkos Verdienst.«

Als sie ihre ungesattelten Pferde bestiegen, fühlten sie sich sofort in ihrem Element, wie wir es ja schon früher beobachtet hatten. Sie wurden zutraulicher, aber kein deutscher Laut schien ihnen verständlich. Sie sprachen das aus spanischen und indianischen Brocken zusammengestoppelte Mischmasch ihres verwogenen Erziehers, der sie auf seine Weise ausgebildet hatte.

»Sie sind aufgewachsen wie ein wilder Schlehdorn – knorrig und dornig. Viel gute Worte werden nicht an sie verschwendet sein.«

»Und doch müssen wir Koläko manches abbitten. Hätte er sich ihrer nicht angenommen, wären sie zu Grunde gegangen.«

Koläko wurde nicht mehr als Gefangener betrachtet. Wir sagten ihm nur, daß er uns nochmals zu der Hütte Yama-kos begleiten müsse, damit wir nicht Gefahr liefen, von Arboleda überrascht zu werden. Auch brauchten wir noch manche Auskunft von ihm, nicht zuletzt über die Indios, die Don Federigos Farm gebrandschatzt hatten. Er nickte und folgte uns willig. Schweigend ritten wir in den Mittag hinein. Kurz vor der Ansiedlung Yama-kos sichteten wir Mr. Harper und die Venezolaner. Sie lenkten gerade ihr Boot zum Ufer.

Mit fliegenden Worten erzählten wir dem Amerikaner unser seltsames Erlebnis. Er schalt uns leichtsinnig, aber konnte uns seine Bewunderung nicht versagen. Nur was wir mit den jugendlichen Cowboys anfangen wollten, wolle ihm nicht in den Sinn.

Aber da geriet der blonde. Professor in Harnisch. »Da können Sie noch fragen, Mr. Harper? Haben Sie nicht gehört, daß es junge Deutsche sind? Glauben Sie im Ernste, daß wir sie ihrem Schicksal überlassen würden? Könnten Sie das Gegenteil verstehen, wenn Sie zufällig junge Nordamerikaner in den Händen eines Indianers fänden?«

» Well! In diese Möglichkeit habe ich mich noch nicht hineingedacht. Ich müßte Ihnen dann allerdings recht geben. Ich würde dann die jungen Leute nehmen und bei der nächsten Missionsanstalt abliefern. Man würde für sie zu sorgen wissen. In solchen Fällen kennt die Mildtätigkeit meiner Landsleute keine Grenzen. Ein Aufruf von mir, der den abenteuerlichen Vorfall ins rechte Licht rückt, würde alle Taschen öffnen. Es wäre ein Ereignis, von dem sämtliche Zeitungen ein halbes Jahr lang zehrten. Überall stände mein Name. Sie haben recht: ich würde so verfahren wie Sie. Fast bedaure ich, daß die jungen, verwahrlosten Burschen nicht die Waisen eines amerikanischen Bürgers sind.«

»Wir werden anders verfahren wie Sie, Mr. Harper. In einem Punkte nur dürften wir uns einig sein: in dem unverrückbaren Verlangen, daß die Knaben nicht ferner in der Begleitung des alten Koläko bleiben dürfen.«

Dr. Stenger kam aus dem Staunen nicht heraus. Aber auch für ihn stand sofort fest, daß für die Knaben gesorgt werden müsse. Wenn sie wirklich die Söhne eines Deutschen seien, so gäbe es kein Besinnen. Vorläufig wisse freilich niemand, wer dieser unglückliche »Don Federigo« gewesen sei.

»Was das anlangt,« sagte Koläko, der unserer Aussprache mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt war, »so wird die Lata der Misia Auskunft geben.«

»Eine Lata? Ein Büchschen? Und von der Mutter der Knaben?«

Koläko nickte. Er nestelte dem einen der beiden Knaben das zerschlissene Wams auf. Eine kleine, flache, elfenbeinerne Büchse – ein Amulett – an seidener Schnur kam zum Vorschein. Als Professor Wagemann sie öffnete, stieß er einen Schrei aus und griff sich an die Stirn. Er brachte kein Wort heraus. Seine Hand zitterte, als er Dr. Stenger den kleinen Gegenstand reichte.

»Die Eltern vermutlich?« Das Büchschen enthielt zwei kleine Lichtbilder.

»Lesen Sie doch!«

Da buchstabierte Dr. Stenger: »Margarete Ramshorn ...« Er zuckte zusammen. »Fritz Ramshorn, geboren 27. November 1874 –«

»Ramshorn! Es heißt wirklich Ramshorn! Don Federigo, der Vater unserer Findlinge war kein anderer als der verschollene, deutsche Farmer Friedrich Ramshorn, über dessen Schicksale Sie etwas in Erfahrung zu bringen suchten!«

»Ein Wunder! Wahrhaftig!« rief Mr. Harper. »Jetzt bekommt die Sache Farbe!«

Dr. Stenger aber drückte die beiden Knaben, die nicht recht wußten, wie ihnen geschah, an sich. »Arme Jungens! Euch schickt uns wahrlich eine ewiggütige Vorsehung in den Weg! Und auch Mr. Harper hat recht: es grenzt an ein Wunder, hinter dem alles zurückbleibt, was uns die Expedition bescherte. über alle Begriffe ist das Auffinden der beiden Knaben erstaunlich. Jetzt sind sie die Unseren. Das Vermächtnis, das Koläko übernahm, soll auf uns übergehen.«

»Und was soll aus mir werden?« fragte Koläko. »Ich habe gewußt, daß die Knaben Alemánes sind. Ich verstehe, daß Ihr wünscht, daß sie zu ihrem eigenen Volk zurückkehren. Ich werde nun wieder einsam sein.«

»Du hast getan, was du tun konntest. Wir werden es dir danken, alter Freund! Und gewiß sollst du dich nicht von heute zu morgen von deinen Schützlingen trennen müssen. Dazu brauchen wir dich selbst noch viel zu nötig. Das schwerste Stück Arbeit steht uns gerade jetzt erst noch bevor, und ohne dich und deinen besten Willen scheint es aussichtslos. Du bist der erste und einzige Mensch, Koläko, der die räuberischen Indios mit eigenen Augen gesehen hat. Es ist uns nicht bekannt, wie hoch dir dein Don Carlos deine Dienste bezahlt, die nicht die Dienste eines ehrlichen Mannes sind; aber es soll dir nicht schlecht gelohnt werden, wenn du uns helfen willst, den Spuren jener Räuber nachzugehen. Überlege dir das, Koläko!«

Er schüttelte anfangs den Kopf. »Ihr würdet in Euer Verderben rennen. Der Stamm der hellhäutigen Indios verschont keinen weißen Mann, und schwer ist es, ihre Schlupfwinkel aufzuspüren.«

Aber wir ließen nicht locker. »Schwierigkeiten können uns nicht schrecken. Wir Deutschen haben ein Wort, das sagt: ›Schwierigkeiten sind da, damit sie überwunden werden‹. Das Wort soll nicht nur bei uns daheim gelten. Deine Erfahrung als Waldläufer würde uns viel Zeit und Mühe sparen, und dir soll Zeit und Mühe bezahlt werden.«

»Und ich werde mit den Knaben reiten wie bisher?«

»Keiner wird es dir verbieten. Tagelang, wochenlang, solange du uns führen wirst.«

Da überlegte Koläko nicht mehr. Er streckte Professor Wagemann seine zerwetterte Hand hin: »Ich werde Euch führen, Caballeros Alemánes! Wenn wir der Sonne entgegenwandern, werden wir an die Wasser kommen, wo die Bergindios ihre einsamen Verstecke haben.«

Mr. Harper lachte. »Er sieht wahrhaftig schon seinen Sattelgurt nach! – No, alter Herr! So schnell reiten wir nicht. Heute ist genug getan. Ich denke, es ist nicht unbescheiden, wenn ich Sie bitte, mein Verdienst zu würdigen.«

»Das tun wir doch immer, Mr. Harper!«

»Bedanken Sie sich bei meinem Funkenapparat. Hätte ich ihn nicht mit auf die Reise genommen, wäre uns Koläko nicht nachgestiegen. Dann hätten Sie nie etwas von der Herkunft dieser, bei näherer Besichtigung übrigens ganz annehmbaren Jungens erfahren und ebensowenig etwas über das Schicksal des deutschen Farmers. Finden Sie aber auch ein Wort der Anerkennung für meine Fixigkeit, mit der ich meinen Apparat mit einer Attrappe vertauschte und heute nacht die Attrappe wieder mit dem Apparat. Er hat tadellos funktioniert. Desgleichen der Drache. Die Gewehre des schuftigen Herrn Arboleda werden nicht ans Ziel schwimmen!«


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